Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 75: Eile ---------------- Kapitel 75 Eile Lulanivilay machte richtig Fahrt, als er all seine Fähigkeiten zusammenrief. Auf seinem Rücken hatte Dhaôma trotz Geschirr Probleme, sich zu halten, zumal Xaira sich mit aller Kraft an ihm festhielt. Aber Dank dieser Geschwindigkeit erreichten sie ihr Ziel recht bald. Aus der Höhe war die Stadt winzig, aber schon während sie näher kamen, wurden ihre ganzen Ausmaße sichtbar. Selbst Dhaôma, der gewusst hatte, dass sie groß war, hatte nicht damit gerechnet, dass sie das gesamte Blickfeld ausfüllen würde. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, sie einmal zu umwandern. In der Mitte, umringt von mehreren Mauern, die unterschiedlich prachtvolle Häuser beherbergten, stand der Palast. Er allein bot ihrer ganzen Marschgesellschaft locker Platz, der Garten und der Friedhof darum herum sicher noch einmal der doppelten Menge. Und vor den steinernen Mauern und hatten sich die Magier aus der Unterstadt gesammelt und wetterten gegen die massiven Tore. Sie hatten sie noch nicht erreicht, da brachen sie mit einem Steinschlag schließlich durch. Eine aufgewühlte Menge an Menschen ergoss sich auf den Vorplatz, Gartengeräte, Küchenmesser, Äxte wurden geschwungen. „Mimoun!“, brüllte Dhaôma, um sich über den Lärm hinweg verständlich zu machen. „Sie werden alles ruinieren!“ Und schon vermittelte er seinem Drachenfreund mittels Fußdruck, dass er dort hinunter wollte, um die Menge aufzuhalten. Dessen war sich Mimoun auch bewusst. Es fiel ihm schwer, die beeindruckende Menge an belebten Gebäuden auszublenden. Noch nie war ihm eine solch gewaltige Ansammlung untergekommen. Drangar war zwar beeindrucken, aber es war auch genauso ausgestorben und tot. Dies hier war anders. Doch bevor er sich davon berauschen lassen konnte, gab es wichtigeres zu klären. Seinem Sturzflug gab er alle Geschwindigkeit, die er besaß, schwenkte erst im wirklich allerletzten Moment herum und kreuzte vor der aufgebrachten Menge. Der Geflügelte streckte seine Hand aus und seine Krallen fuhren über den Boden, rissen eine Spur hinein. Die Vordersten sahen ihn und erkannten möglicherweise auch die Bedeutung dieser Linie, doch die Hinteren drängten weiter vor und überrannten sie einfach. Mimoun schraubte sich wieder in die Höhe und pfiff lautstark, was in dem Lärm unterging. „Genug!“, donnerte eine Stimme in allen Köpfen und auch der Geflügelte presste sich die Hände gegen die Ohren. Tyiasur hatte keine Ausnahmen gemacht. Lulanivilay landete unsanft vor dem Eingangstor der Burg. Die Erde bebte und einige fielen zu Boden. Dennoch ging Dhaômas Ruf im Lärm unter. Jeder hatte den Drachen landen sehen. Und kaum begriffen die Leute, wer da angekommen war, begannen sie im Chor die Namen der Drachenreiter zu singen. Der Lärm war ohrenbetäubend und Dhaôma versuchte mittels Tyiasur zu den Menschen durchzudringen, aber irgendwie war die Telepathie abgeschnitten. Einfach ausgelöscht. „Was geht hier vor?“, brüllte Dhaôma, dabei waren seine Freunde gar nicht so weit entfernt. Und dann erblickten die Menschen Xaira. Eine Welle der Wut durchlief die ersten Reihen. Wie konnte eine so niedere Kreatur es wagen, sich an ihrem Helden zu vergreifen? Hatten die Halblinge, von denen alle redeten, die Drachenreiter als ihre Geiseln genommen? Sie griffen an, bevor einer reagieren und sie aufklären konnte. Ein Schwall aus Wasser wusch Dhaôma und Xaira von Lulanivilays Rücken vor die Füße der aufgebrachten Magier, die sofort angriffen. Eine Axt senkte sich Millimeter von Xaira entfernt in den Boden. Lulanivilay brüllte vor Wut. Er spürte seines Reiters Angst und Schrecken, seine Hilflosigkeit und zog die junge Frau mit seinen Krallen in Sicherheit, während Dhaôma sich aufrappelte und die Arme ausbreitete. „Haltet endlich ein!“, brüllte der Braunhaarige. Fast wurde er überrannt. Im letzten Augenblick nahm er der Luft vor sich und seinen Freunden die Bewegungsfähigkeit. Er dehnte die Strecke so weit er konnte, als er begriff, dass die Magier trotzdem weiterdrängten, doch sie kamen an den Seiten vorbei. Sie wollten sich nicht aufhalten lassen. Und dann griffen auch noch einige Mimoun an, der noch immer flog. In Dhaôma explodierte Wut und ließ ihn die Kontrolle über seine Magie abermals verlieren. Wie konnten diese Menschen nur so blind sein? Er trug Tyiasur auf seinen Schultern. Definitiv kein normales Wesen hier unten. Wieso also griffen sie ihn an? Waren sie so gefangen in ihren antrainierten Werten, dass jeder als Feind betrachtet wurde, der ihren Wünschen derzeit im Wege stand? Der Geflügelte stieg höher. Was konnte er tun? Wie konnte er ein Blutbad verhindern? Alles was er konnte, war ein wenig mit Wind spielen. Tatenlos hatte er mit ansehen müssen, wie seine Freunde angegriffen worden waren. Selbst wenn Tyiasur die Magie blockieren würde, waren die Magier derzeit bereit, mit einfachsten Waffen auf alles und jeden loszugehen. Schon lange hatte er sich nicht mehr so hilflos gefühlt. Ein sanfter Stoß riss ihn aus dem Strudel aus Verzweiflung, der von ihm Besitz ergreifen wollte. Kurz fuhr seine Hand über den geschuppten Körper und er konzentrierte sich auf seine derzeitige Lage. Höher stieg er hinauf und wandte sich der Burg zu. Sicher waren die Menschen da drin gewarnt bei dem Lärm, aber würden sie einfach stillhalten und abwarten, wie sie es sonst immer taten? Mimoun hoffte es. Er hoffte es inständig und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinen Freunden am Boden zu. Gerade wollte er Lulanivilay signalisieren wieder zu starten, als er stockte. Etwas dort unten lief in diesem Moment gehörig falsch. Die Tore hinter ihnen waren längst offen, um Lulanivilay herum lagen bewusstlose Menschen, die es gewagt hatten, ihn und Xaira anzugreifen, die Mosaiken waren überwuchert mit eingefrorenem Gras. Die Menschen wichen immer weiter zurück, viele hielten sich die Beine oder schüttelten entsetzt ihre Schuhe ab. Selbst Lulanivilay zog sich langsam aber sicher vor seinem Freund zurück, der beschlossen hatte, dass es jetzt genug war. Es war das erste Mal, dass er von sich aus angriff, bewusst all seiner Magie freien Lauf ließ, nachdem er verstanden hatte, dass es die Menschen daran hinderte, zu tun, was sie tun wollten. Mit geballten Fäusten und wutverzerrtem Gesicht schritt er auf die Menge zu, alle Linien an seinem Körper hell erleuchtet. Seine neuen Kleider wurden fadenscheinig, obwohl es gute Seide war, entblößten auch den Rücken und die Schultern, seine Haare und Kleider flatterten im selbst kreierten Wind, während sich über ihnen dunkle Wolken zusammenbrauten. Das konnte doch nicht wahr sein. Hin und her gerissen zwischen seinen Gefühlen vergeudete der Geflügelte wertvolle Sekunden. Ja, es war gut, dass Dhaôma seine Magie voll ausschöpfte, um diese blutgierige Meute zu stoppen. Aber er wirkte nicht so, als würde er erkennen, wo die Grenze zwischen Androhung und Ausübung von Gewalt war. Mimoun landete neben dem Drachen und erkundigte sich nach Xairas Befinden, bevor er sich seinem Magier zuwandte. Nach kurzem Zögern beschloss er, sich von der wilden Magie nicht beeindrucken zu lassen und schritt wie selbstverständlich über vereisten Boden und wucherndes Grünzeug. „Dhaôma.“, begann er sanft, in der Hoffnung, der Freund würde ihn hören. „Das ist nicht das, weswegen wir hergekommen sind.“ Der Braunhaarige fuhr herum, noch immer beherrschte ihn Wut. Gerade jetzt fühlte er sich gestört durch die Unterbrechung und war tatsächlich gewillt, die Kraft auf Mimoun zu wenden. Eine Sekunde lang, verengten sich die Augen, bevor er sich bewusst wurde, was er da tat. Schreck weitete seine Augen, dann presste er sie zusammen. „Sie haben es verdient!“, schrie er, zeigte mit seiner Hand auf die Leute und löste allein damit einen heftigen Windstoß aus. „Sie wollen dir schaden. Sie greifen Xaira an, sie machen alles kaputt!“ Über ihnen krachte es, als ein Blitz den Himmel zerriss. „Ich habe genug von diesen Menschen. Gerade die, die wir retten wollen, machen alles zunichte, wofür wir kämpfen!“ Als er mit dem Fuß aufstampfte, um seine Worte zu unterstreichen, breitete sich eine spiegelglatte Eisfläche kreisrund um ihn aus. „Sie hören nicht einmal mehr zu!“ Äußerlich war ihm nichts anzumerken, aber Mimouns Herz schlug schmerzhaft in seiner Brust, als er sich kurzfristig als Ziel von Dhaômas Wut sah. „Und du versuchst dir durch Gewalt Gehör zu verschaffen. Was macht dich besser als sie? Was gibt dir das Recht, mit Lulanivilay verbunden zu sein, wenn du willentlich und mit voller Absicht Menschen schadest?“ Sein Blick glitt über die Menschen hinter seinem Freund. „Es ist genug. Sie werden uns nun zuhören.“ Es war für ihn wie eine kalte Dusche. Frieden. Immer hatte er nur das eine gewollt und jetzt wurde er selbst gewalttätig. Kälte breitete sich in seinem Magen aus. Seine Magie versiegte. Dhaôma starrte auf seine Hände, deren Zeichen nur noch flackerten, während er in die Knie sank. Erst schadete er Menschen, dann wollte er Mimoun angreifen… „Was habe ich getan?“, flüsterte er, doch es kam kein Ton heraus. Um sie herum tobte das Chaos, doch für Dhaôma war alles still. Kein Laut durchdrang seine Ohren mehr, außer das schnelle Schlagen seines eigenen Herzens. Nur mit Mühe konnte der Geflügelte die Lippenbewegungen entziffern. Hauptsächlich war es ein Raten unterstützt von dem entsetzten Gesicht Dhaômas. „Nichts.“, antwortete Mimoun und kniete sich nach einem scharfen Blick in die Runde ebenfalls nieder. Seine Hand strich über Dhaômas Wange. „Es ist alles gut.“ Das dunkle Gesicht wurde sorgenvoller. Sein Freund reagierte nicht. Das war es nicht, was er mit seinen Worten hatte erreichen wollen. Nun nahm er auch seine andere Hand zur Hilfe und umfasst das geliebte Gesicht. Vorsichtig gab er ihm einen Kuss auf die Stirn und erhob sich. „Xaira, kümmere dich um ihn.“, bat er mit einem halbherzigen Schulterblick und schob sich selbst zwischen seine Freunde und die unruhig und unschlüssig hin und her wogende Meute. Die Hände zu Fäusten geballt suchte er festen Stand. „Ich sage es nur einmal, also hört gut zu. Wir wollen KEINE Gewalt. Aber wir werden nicht davor zurückschrecken, euch mit allen Mitteln an eurer Wahnsinnstat zu hindern.“ „Aber…“, wurde er unterbrochen, doch ein scharfer Blick ließ den Sprecher wieder verstummen. „Ich weiß, was der Zirkel getan hat und er verdient durchaus eine Bestrafung. Aber wir wollen Frieden und eine friedliche Lösung. Diese Menschen…“ Er deutete auf die Burg hinter sich. „…sind keine Bedrohung mehr. Sie haben keine Gewalt mehr über mein Volk oder euch. Wir kennen nun die Wahrheit.“ Mimoun erlaubte es sich einmal tief durchzuatmen und seine Gefühle zu ordnen und sich zu sammeln. „Solltet ihr dennoch gewillt sein, die Burg zu stürmen, wird es nicht Dhaômas Zorn sein, den ihr fürchten müsst.“ Das war der größte Bluff seines Lebens. Sollten sie sich für die Gewalt entscheiden, hätte er nicht den Hauch einer Chance. Und er hoffte inständig, dass diese Tatsache den Magiern nicht bewusst war. Währenddessen hatte sich Xaira neben Dhaôma gehockt, der verzweifelt Mimouns Rücken ansah. Er fühlte sich so elend, dass er hätte weinen wollen. Erst verriet er seine Prinzipien und seine Träume und schreckte seinen Drachenfreund ab, dann enttäuschte er seinen Geliebten, so dass dieser ihm den Rücken zuwandte und jetzt allein gegen diese Meute stand. Vor Scham wandte er den Blick ab. Es waren lange Augenblicke, in denen Mimoun um die Sicherheit der Situation fürchtete. Doch der kritische Punkt verstrich, ohne dass einer der Magier die Hand gegen ihn oder seine Liebsten erhob. Nun scheute er sich nicht mehr, ihnen seine sanfte Seite zu zeigen. Mit einem eindeutig erleichterten Seufzen entspannte er sich und lächelte befreit. „Ehrlich Leute, was habt ihr euch nur dabei gedacht?“, wollte Mimoun mit einem leichten Kopfschütteln erfahren. „Wenn… wenn diese Kreaturen nicht mehr sind, kann endlich Frieden werden.“, brachte jemand stockend hervor und schob sich in die Menge zurück als Mimouns Blick ihn traf. „Hey.“ Eine warme Hand legte sich unterdessen auf Dhaômas Schulter und drückte sie sanft. „Mach einfach das, was du immer tust. Lass Blumen wachsen. Es beruhigt die Gemüter. Und vielleicht solltest du das Gewitter stoppen. Das hat einen schlechten Beigeschmack.“ Kurz fanden seine Augen Xairas, dann schloss er sie. Die junge Frau hatte Recht. Er hatte Panik bekommen und seinen kühlen Kopf verloren. „Ich mache es wieder gut.“, flüsterte er und schon schmolz das Eis auf dem Boden. Kurz darauf rief er den Löwenzahn, wo immer er ihn spürte. „Zuerst einmal verbitte ich mir die Bezeichnung Kreatur. Nicht wenige von den Halblingen zähle ich zu meinen Freunden. Zum anderen mache ich mir ein wenig Sorgen um eure Nachrichtenübermittlung. Die Taten des Zirkels scheinen euch bekannt zu sein, aber dass wir Drachenreiter eine friedliche Durchsetzung von Frieden vertreten, scheint nicht bis hierher durchgedrungen zu sein, was ich sehr bedauerlich finde.“ Betretenes Schweigen antwortete auf seine Worte, das von Erleichterung abgelöst wurde, als die Blumen begannen zu sprießen. Einige der Magier begannen zu murmeln und freuten sich, manche wurden blass und taumelten. Wind kam auf und blies die Regenwolken langsam aber stetig weg von ihnen. Auf dem Vorplatz des Schlosses wurde es still. Mimoun wandte sich um und ging zu Dhaôma und Xaira hinüber. Vorsichtig ließ er sich neben seinem Freund nieder und strich ihm sanft über die Wange. „Hey, mein Schöner. Geht es wieder?“ Die Magier sahen einander an. Natürlich hatten sie davon erfahren und dann gedacht, dass es besser wäre, wenn man den einfachen Weg ging, bevor die Drachenreiter hier auftauchten. Niemand konnte sagen, ob der friedliche Weg einen garantierten Sieg brachte, aber der herkömmliche versprach eine schnelle Wirkung. Zumal es sich nur um ein paar wenige Monster handelte. Währenddessen lehnte sich Dhaôma gegen Mimoun. „Entschuldige.“, flüsterte er, drückte seine Nase gegen den warmen Hals und sog den beruhigenden Geruch ein. „Schon gut. Auch du hast das Recht wütend zu werden.“ Sanft nahm Mimoun den vertrauten Körper in den Arm, schlang auch seine Flügel um ihn, dass sich ihnen zumindest die Illusion von Zweisamkeit und Ungestörtheit bot. „Tut mir Leid, dass ich gerade nicht für dich da sein konnte, als du mich gebraucht hast.“ „Du hattest Wichtigeres zu tun.“, tat der Braunhaarige es ab. Hinter ihnen begann Lulanivilay damit, seine Klauen tief in die Erde zu bohren und zerstörte damit das kunstvolle Mosaik, weil ihm das Muster nicht gefiel. Der Drache spürte instinktiv, dass die Angriffswelle gestoppt war. Mit seinen goldenen Augen beobachtete er die Menschen, die langsam begriffen, dass ihre Helden tatsächlich direkt vor ihnen standen. Sie freuten sich, während sie sich gleichzeitig seltsam fühlten. Manche waren blass, andere hielten sich an ihren Nachbarn fest, als schwindelte es sie. Jubel brach los, während sich Mimouns Worte wie ein Lauffeuer unter ihnen ausbreitete. Selbst ohne den kleinen blauen Tyiasur wusste innerhalb weniger Augenblicke jeder, was der Drachenreiter gesagt hatte. Dhaôma erhob sich endlich wieder. Er hatte sich beruhigt und die Wärme der zurückkehrenden Sonne tat ihm unendlich gut. In seinem Kopf arbeitete es, was er den Leuten sagen sollte, um einen erneuten Angriff zu verhindern. Noch immer leuchteten seine Arme, denn er konnte in den weit entfernten Winkeln der Stadt noch schlafenden Löwenzahn erspüren, den er wecken wollte. „Es ist gut.“ Mimoun hielt die Hände Dhaômas umklammert. Die leuchtenden Linien erfüllten ihn mit Sorge, hatte er doch gerade mit seinen Kräften um sich geschmissen. Er drückte einen sanften Kuss auf eine der Handflächen und erhob sich endlich. „Du musst nicht mehr zaubern. Sie haben sich wieder beruhigt.“ Sein Blick glitt zu Xaira hinüber, die in sicherem Abstand zu der Menge und gebührendem Abstand zu dem randalierenden Lulanivilay stand. Seine stumme Frage beantwortete sie mit einem Nicken. „Bist du dir sicher?“ Plötzlich färbten sich Dhaômas Wangen rot vor Aufregung. „Nur noch ein kleines bisschen, ja? Gleich weiß es wirklich jeder. Dass wir hier sind, meine ich. Nur noch einen kleinen Moment länger.“ Er fühlte sich bei weitem nicht müde genug, um einzulenken. Im Gegenteil, nie war er nach einem derartigen Aufgebot an Magie so energiereich gewesen, niemals hatte er sich so schnell wieder regeneriert. Dann fiel ihm etwas ein, das er machen konnte. „Vilay, heb mich bitte hoch, damit sie mich sehen können.“ Gelassen tat der Drache, was verlangt wurde und hielt dabei sogar still. Dhaôma winkte, bis die meisten Gesichter in seine Richtung sahen. „Ich weiß, dass ihr aus einem anderen Grund hierher gekommen seid, aber ich bitte euch wirklich, den Zirkel der Geteilten Geister uns zu überlassen. Morgenmittag kommen die Menschen an, die uns begleitet haben. Viele Menschen, die Hunger haben werden und einen Platz zum Schlafen brauchen. Es sind Hanebito ebenso wie Magier und Halblinge. Nehmt sie bitte freundlich auf und bereitet ein bisschen was für sie vor, damit sie sich hier ausruhen können, bevor es dazu kommt, den Zirkel zu überzeugen.“ Einstimmig riefen die Menschen ihre Zustimmung. Irgendwie hatten sie es mit Pauken und Trompeten geschafft, die Situation zu retten. Derweil versuchte Mimoun durch Tyiasur eine Entwarnung an den Friedenszug zu schicken, aber der kleine Drache schüttelte nur den Kopf und fuhr sich mit den Krallen am Schädel entlang. „Hey. Alles okay?“ Ein Kopfschütteln antwortete. Mimouns Beunruhigung wuchs. „Bist du verletzt?“ Wieder ein Kopfschütteln, ein Stocken, dem ein seitliches Hin- und Herwiegen folgte. „Ich habe keine Lust auf Rätselraten. Kannst du mir nicht einfach sagen, was los ist?“ Erneutes Kopfschütteln war die Antwort. Frustriert seufzte Mimoun. „Also doch Rätselraten.“ Dafür erntete er einen Kopfstoss, der in seiner Heftigkeit über Beruhigung und Aufmerksammachen hinausging. Mehr als irritiert rieb sich Mimoun die schmerzende Stirn und es dauerte noch einen Augenblick, bis es ihm dämmerte. „Du kannst es mir nicht sagen, weil du nichts sagen kannst.“, brachte der Geflügelte die Situation auf den Punkt. Ein Verdrehen der Augen und ein bestätigendes Nicken folgten. „Ach Mist.“ Mimoun wandte sich seinem Magier zu. „Jemand blockiert die Telepathie der Drachen. Tyiasur kann sich also nicht mit den anderen in Verbindung setzen. Jemand sollte sie in Kenntnis setzen über den Stand der Dinge, da wir ziemlich überhastet aufgebrochen sind. Möchtest du fliegen oder soll ich?“ Stirn runzelnd sah Dhaôma seine beiden Begleiter an, bevor er von Lulanivilay herunter sprang und zu ihnen lief. „Jemand blockiert die Telepathie? Hatte Volta nicht mal so was gesagt? Eine Frau, die dazu in der Lage ist, Telepathie zu benutzen? Vielleicht macht sie es.“ Ihm gefiel der Gedanke nicht, sich jetzt zu trennen. Aber der Tross musste verständigt werden. Und diese Leute konnte man jetzt auch nicht alleine lassen. Aber genauso wenig würde er Mimoun ganz alleine bei den Magiern zurücklassen. Dass sie versucht hatten, ihn anzugreifen, war ihm nicht entfallen. Weich lehnte er seine Stirn gegen die seines Geliebten. „Wenn du gehst, dann können auch wir nicht mehr miteinander sprechen.“, sagte er leise mit bebenden Lippen. „Ich muss mich darauf verlassen, dass du dort unbeschadet ankommst.“ Seine Finger begannen zu jucken und er gab dem Bedürfnis nach, Mimoun seine ganze Kraft zurückzugeben, damit er möglichst schnell fliegen konnte und sich im Notfall verteidigen konnte. „Ich möchte dich nicht gehen lassen, aber du hast Recht, wenn du sagst, dass Genahn und Asam Bescheid wissen müssen. Pass auf dich auf, ja?“ „Mein geliebter Dummkopf.“, seufzte Mimoun zufrieden und küsste ihn sanft und lange. „Ich werde immer zu dir zurückkehren. Und es sind ja nur wenige Stunden. Ich gebe ihnen einen Lagebericht und komme umgehend zu dir zurück.“ Tyiasur gab ein würgendes Geräusch von sich und hatte nahezu sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit. Er schüttelte kurz den Kopf und deutete in die Richtung, in die der kurze Trip gehen würde. „Schon klar. Je eher ich hier wegkomme, desto eher bin ich wieder da.“, murrte Mimoun und zog Dhaôma in seine Arme. Es beunruhigte ihn nicht, Dhaôma hier zu lassen. Die Menge hatte sich beruhigt und Lulanivilay würde schon für Ordnung sorgen, sollte Dhaôma sich beherrschen. Erneut küsste er seinen Freund. „Als Wegzehrung für unterwegs.“ Winkend sah er dem jungen Mann hinterher, der wie der Wind davon flog. Den fragenden Magiern erklärte er, dass Mimoun die anderen begleiten würde. Dann sah er unschlüssig in die Runde. Gerade diesen Moment, in dem Mimoun nicht da war, würde er zu gerne dazu nutzen, seine Schwägerin aufzusuchen, aber konnte er diese Menschen unbeaufsichtigt alleine lassen? „Hast du etwas vor?“ Xaira kannte ihn inzwischen gut genug, um seine Stimmungen zu lesen. Vorsichtig nickte er. „Ich wollte in mein altes Haus, ein paar Dinge holen und mit Penny reden.“ Sie gab ein glockenhelles Lachen von sich. „Und du willst sie nicht alleine lassen. Spinner.“ Sie wandte sich um. „Dhaôma will nach Hause. Hat jemand was dagegen einzuwenden?“ Es gab Gelächter, Beteuerungen und plötzlich war die ganze Meute geschäftig. Sie wollten die Bitte des Drachenreiters erfüllen und für die Gäste Schlafmöglichkeiten und Nahrungsmittel vorbereiten. Dennoch dauerte es, bis sich alle in Bewegung gesetzt hatten, denn sie verstopften beinahe alle Straßen, bevor sie sich langsam zerstreuten. „Lass uns also gehen.“, murmelte der Braunhaarige. Ihm war ganz und gar nicht wohl bei der Sache. „Xaira, sei mir nicht böse, aber ich denke, es ist besser, du wartest mit Vilay draußen. Meine Mutter ist so ziemlich die schrecklichste Frau der Welt. Dagegen ist Silia beinahe ein zahmes Lamm.“ Xaira schüttelte sich. „Ich habe Probleme, mir das vorzustellen.“, lachte sie. „Aber wenn du es sagst, dann ist es so. Ich werde warten.“ Dankbar drückte er sie, dann flogen sie los. Von oben war die ganze Stadt gelb, selbst im schwindenden Tageslicht noch. Im Garten hinter dem Haus, inmitten eines Feldes aus Löwenzahn ließ sich Lulanivilay fallen. Xaira hatte beeindruckt gepfiffen bei dem nutzlosen Prunk der Fassade, jetzt fühlte sie sich mit Lulanivilay regelrecht klein. Dhaômas Haus war beinahe größer als die Wasserinsel bei Mimouns Wohnung. Aber für Dhaôma war dieses Haus lediglich eine lästige Ansammlung unschöner Erinnerungen. Als wäre er nie weg gewesen, trat er durch die Gartentür in den feinen, in weiß gehaltenen Salon und von da aus weiter in den Flur. Es war bedrückend still. Wie früher. Er fühlte sich beklommen und zum Weinen zumute. „Unsinn.“, murmelte er und schüttelte dieses Gefühl der Kindheit ab. Mit festen Schritten ging er die Treppe hinauf. Hier hatte sich einiges getan. Alles war neu renoviert und noch prunkvoller als damals. Offenbar hatte seine Mutter den wachsenden Einfluss ihres Sohnes dafür genutzt, den eigenen Status hervorzuheben. Ganz am Ende der Treppe, oben im zweiten Stock und hinter der letzten Tür fand er seinen Raum. Er war verriegelt. Ein bisschen Magie löste das Problem und das morsche Holz gab nach. Das Zimmer war beinahe unverändert, wenngleich voller Staub. Offenbar hatten sie ihn für tot erklärt und wie bei seinem Vater beschlossen, die Trauer einzusperren. Ein bisschen hatte er darauf gehofft. Nachdenklich sah er sich um. Die wenigen Bücher, das Bett, der Schreibtisch mit seinen Notizen über Pflanzen und Drachen, der Teppich und die langweiligen Bilder von seinen Vorfahren, alles gehalten in den Farben lila und blau, um seine Heilerkräfte zu fördern. Unwirsch wandte er sich ab und ging zu seinem alten Schrank. Darin waren noch immer all die Kleider, die er sein eigen nennen konnte. Allesamt zu klein. War er wirklich so viel gewachsen? Verdammt. Er hatte gehofft, er würde hier ein paar vernünftige Kleider bekommen können. Letztlich kehrte er dem Zimmer den Rücken. Hier war nichts, das es wert gewesen wäre, mitgenommen zu werden. Stattdessen ging er ins nächste, ebenfalls verschlossene Zimmer, um sich etwas von seinem Bruder zu holen. Die Kleider passten wenigstens. Radarr würde ungehalten sein, wenn er erfuhr, dass er ohne Erlaubnis eingebrochen war… Aber es war ihm egal. Er nahm sich das erstbeste Gewand, ein dunkelrotes, zog es an, dann suchte er nach Penny. Im zweiten Stock war keine Spur von ihr. Im ersten genauso wenig. Im Erdgeschoß sah er im Wohnzimmer die verhärmte Gestalt seiner Mutter sitzen, die blicklos aus dem Fenster sah. „Radarr. Bist du endlich zurück?“ Die Frage schwebte dünn durch den Raum, ihre Stimme desinteressiert und emotionslos. „Hast du deinen Vater und deine Geschwister gerächt? Ist der Drache tot?“ Sie hatte sich nicht einmal umgedreht. Wie konnte sie glauben, dass er Radarr war? Sein Bruder hatte ein viel energischeres Auftreten als er. Im Grunde müsste sie wissen, dass nur er sich jemals so heimlich in diesem Haus bewegt hatte. „Sag dieser Frau, dass sie das Kind morgen vorbeibringen soll. Ich habe es schon länger nicht mehr gesehen.“ „Tsk.“, schnaubte Dhaôma, drehte sich um und ging. Sie war das letzte. Sie hatte überhaupt nichts gelernt. Penny als ‚diese Frau’ zu bezeichnen! „Radarr. Antworte mir!“, rief die Alte, aber er kümmerte sich nicht mehr darum. Unzweifelhaft wusste er jetzt, wo er nach Penny suchen musste. Er kreuzte durch den Garten, vertröstete seine Freunde noch einmal, bevor er das Dienstbotenhaus betrat. Ihm kamen zwei Jungen entgegen, die ihn neugierig musterten. Der ältere von ihnen war jetzt sechs Jahre alt und seine Augen wurden weit, als er ihn sah. „Wow. Wie auf dem Bild.“ Er begann zu strahlen. „Bist du Onkel Dhaôma?“ „Jokun.“ Sprachlos sah der Drachenreiter seinen Neffen an. Er hatte ihn bisher nur zwei Mal gesehen, immer aus der Ferne. „Du bist wahnsinnig groß geworden!“, freute er sich dann. „Und wer bist du?“ Schüchtern versteckte sich das Kind hinter seinem Bruder, dass dieser lachte. „Keine Angst. Er ist nett.“ Dann fixierte er wieder Dhaôma. Seine braunen Augen waren klar, aufrichtig und stolz. „Sein Name ist Palil.“, stellte er seinen Bruder vor. „Er kennt noch keine Fremden, deswegen ist er so ängstlich.“ Es tat ihm weh, die beiden zu sehen und sich vorzustellen, was für ein Leben sie bisher gehabt hatten, aber dass sie beide gesund waren, erfüllte ihn mit Glück. „Bringt ihr mich zu eurer Mutter?“, fragte er und wurde bei der Hand genommen und ins Haus gezogen. „Ist der Drache draußen echt?“, wollte Jokun wissen und Dhaôma lachte leise. „Natürlich. Wenn du magst, kannst du ihn danach kennen lernen. Er ist ein netter, wenngleich wortkarger Geselle.“ Sie erreichten eine Tür und nach einem sachten Anklopfen öffnete der Junge die Tür. Palil sprintete sofort auf seine Mutter zu, die hochschwanger auf einem kleinen Sessel saß und stickte. Sie sah erstaunt auf. „Mama, wir haben Besuch!“, rief Jokun. „Es ist Dhaôma. Von dem Papa ab und zu erzählt.“ Sie war deutlich überrascht, dann stand sie jedoch auf. Es fiel ihr sichtlich schwer, aber dennoch begrüßte ihn Penny mit aller Sitte und Anstand. Sie war so eingefallen, dass Dhaôma sich um sie sorgte, aber sie meinte, dass es nach der Geburt mit Sicherheit besser würde. Sie vertrug das Schwangersein nicht so gut. Es machte Dhaôma zornig, dass Radarr es ihr trotzdem immer zumutete. Es wurde ein langes Gespräch mit ihr. Kurz tauschten sie sich aus, was in den letzten Jahren passiert war, bevor Dhaôma ihr von den letzten Ereignissen, seinem Bruder und ihrem Bruder erzählte. Sie nahm es gefasst auf, hatte vermutlich einfach nicht mehr die Kraft, sich darüber aufzuregen. Letztlich hielt es Dhaôma einfach nicht mehr aus. Er legte ihr entschuldigend die Hand auf den Bauch, was sie erschreckte, dann begann er all die Missstände in ihrem Körper zu beseitigen. Sie stöhnte einmal auf, als die drückende Übelkeit sich in ihr löste und verschwand, als die bohrenden Kopfschmerzen endlich nachließen und die Haut nicht mehr so spannte. Dhaôma gewann dabei eine Erkenntnis. „Es wird in spätestens zwei Tagen soweit sein.“ Sie nickte. „Aber er wird es wieder nicht miterleben. So wie er es immer verpasst.“ Traurig ruhten ihre Augen auf dem kalten Herd. Sie hatte sich damit abgefunden. „Du isst nicht genug.“ „Die Diener wurden eingezogen. Ich kann nicht gut genug kochen.“ Dhaôma presste die Lippen zusammen, dann lächelte er. „Ich komme morgen wieder zu dir. Ich hoffe, ich kann dir zumindest Genahn bringen. Er ist auf dem Weg hierher.“ „Das sagtest du schon.“, lachte sie leise. „Danke, Dhaôma. Ich wünsche mir wirklich, dass du Erfolg hast. Es wäre wunderbar, wenn Radarr bei mir bleiben könnte, wenn ich keine Angst mehr haben müsste, dass er stirbt und mich für immer allein lässt.“ Ihre Lippen zogen sich zu einem verträumten, breiten Lächeln. „Aber er ist nicht der Typ, der ein ruhiges Leben zuhause führt. Früher habe ich ihn dafür geliebt, dass er wild war, aber jetzt wünsche ich mir nur noch, dass er für mich da ist.“ „Sage ihm das. Ohne Zurückhaltung. Sage es ihm, wenn er wieder da ist. Biete ihm deine Unterstützung an bei seinem Problem, dann zieht aus diesem Haus hier aus. Es tut niemandem gut. Vor allem nicht deinen Kindern. Es ist längst tot.“ Sie nickte. „Sobald ich weiß, wohin ich gehen kann. Weißt du, es ist nicht so einfach.“ „Ich komme auch aus diesem Leben. Glaube mir, ich weiß, wie es ist. Aber du kannst es schaffen. Und ich werde dir helfen.“ Sie strich ihm über die Wange. „Du bist wirklich stark geworden. Kein Vergleich zu dem verstockten Kind von damals, das einen ansah, als wäre man ein lästiger Zusatz zu den einschränkenden Menschen dieses Hauses. Ich wünsche mir, dass meine Kinder auch so werden wie du.“ „Rebellisch?“ „Frei.“, flüsterte sie. „Ungebunden durch Konventionen. Ich glaube, dass du genau der richtige bist, um ihre Zukunft zu gestalten.“ „Du redest, als würdest du morgen sterben. Penny. Du wirst die Geburt überleben.“ „Ich weiß, denn du wirst da sein.“ Dann änderte sich ihr Gesicht zu mitleidig. „Aber du wirst viele Leute heilen müssen, wenn es wirklich zum Kampf kommt, vielleicht bleibt dir dann nicht mehr die Kraft für mich.“ „Ich hatte noch nie so viel Magie zu meiner Verfügung wie heute. Aber selbst wenn. Ich werde mich nicht verausgaben. Ich spare mir etwas für dich auf. Versprochen.“ Penny wuschelte ihm durch die Haare. „Danke. Und jetzt hole deine Freundin herein. Ihr schlaft heute Nacht am besten in diesem Haus, dann friert ihr draußen nicht. Dein Drachenfreund findet sicher Platz im Stall, wenn wir den Pferden die Wiese zur Verfügung stellen.“ Kurz darauf unterhielten sich Xaira und Penny zum ersten Mal, während Dhaôma seinen Neffen Lulanivilay vorstellte. Der Drache hatte schon vorher versucht, eine Nachricht an Tyiasur zu schicken und tatsächlich war sie durchgekommen. Die Telepathieblockade war gebrochen. Immer wieder drehte sich Mimoun um und sah zu den Zurückgebliebenen zurück, auch als diese nicht mehr zu erkennen waren. Zwischenzeitlich nahm er sich auch die Zeit und Muße die Größe und Lebendigkeit dieser riesigen Stadt in sich aufzunehmen. Wie groß war die größte Ansammlung Geflügelter? Hundertfünfzig? Zweihundert? Maximal. Wenn überhaupt. Es gab einfach zu wenige Inseln, um noch mehr seines Volkes darauf unterzubringen, da sie ja auch entsprechend mit Nahrung versorgt werden mussten. Wie würde es erst werden, wenn sie frei und ungestört die unteren Ebenen besiedeln und bejagen konnten? Einen Moment lang gab er sich seinen Phantasien hin und schraubte sich noch ein wenig mehr in die Höhe. Nicht mehr lange und ihre Träume würden Wirklichkeit werden. Voll Euphorie und Tatendrang flog er über die angrenzenden Wälder dahin, stieß auf den Fluss und folgte seinem Verlauf. Die Wolken waren noch immer dunkel in seiner Flugrichtung und er hoffte, dass der Regen, der an ihrem Lagerplatz geherrscht hatte, wenigstens nachgelassen hatte, wenn er denn noch immer existierte. Mimoun wollte keine unnötige Zeit verschwenden. Der Geflügelte war so in seine Gedanken vertieft, dass Tyiasur ihn auf den Punkt in der Ferne aufmerksam machen musste. Bei Beibehaltung der Flugrichtung wären sie an ihm vorbei geflogen. Mit mehr Schwung als nötig flog der Drachenreiter eine Kehre und hielt darauf zu. Mit jeder verstreichenden Minute bestätigte sich die Vermutung, dass sich dort ein Geflügelter näherte. Noch einige Minuten später war auch der Magier in seinen Armen deutlich zu erkennen. Mit einer kurzen Handbewegung bedeutete Mimoun den beiden zu landen und gesellte sich zu ihnen. Teils irritiert, teils schmunzelnd betrachtete der Drachenreiter das junge Mädchen, das zittrig in die Knie ging und sich in den Boden krallte. Der sie begleitende Geflügelte hockte sich neben sie und legte ihr stützend eine Hand auf die Schulter. Zeitgleich und bevor Mimoun nach den Umständen ihrer Anwesenheit fragen konnte, erstattete er Bericht. Seine nicht ganz abgelegte Steifheit zeugte von seiner Jugend und der erst kürzlich überstandenen Rekrutenzeit. „Mein Name ist Heyle, dies ist Maarit. Wir waren auf dem Weg zu Euch mit einer wichtigen Information. Eine der Gefangenen wünscht sich, dass das Ganze friedlich zu Ende geht. Sie zögerte erst, uns diese Information zu offenbaren, aber ihr war es dennoch wichtiger, dass ihr es erfahrt. Sie befürchtet, dass ihre Freunde in der Burg eher den endgültigen Weg gehen würden, als sich gefangen nehmen zu lassen. Und wenn sie leben wird, wünscht sie sich das auch für die anderen Mitglieder des Zirkels.“ Das war ein wenig komplizierter ausgedrückt, als es Mimoun lieb gewesen wäre, aber er hatte die Kernaussage begriffen, vor allem, weil Tyiasur wieder in der Lage war, Kontakt mit seinem Reiter aufzunehmen, um ihm die nötigen fehlenden Informationen nebenbei zu verschaffen. „Und die Kleine?“, wollte Mimoun mit einem Seitenblick auf die Magierin wissen, deren hektischer Atem langsam wieder ruhiger wurde. „Es regnet noch immer am Lagerplatz. Und weder sind die Magier schnell genug zu Fuß, noch kommen wir in der Luft bei Regen vernünftig voran.“ Das Mädchen erhob sich auf ihre zitternden Beine und setzte den Bericht fort. „Man machte den Vorschlag, dass ein Wassermagier einen der Euren begleitet, um den Regen fernzuhalten. Und die Hanebito kannten es ja von Euch, dass Ihr einen der Unseren getragen habt. Ich war die Kleinste und Leichteste mit genug Ausbildung für diese Aufgabe. Aber mir war nicht bewusst, wie hoch es werden würde.“ Sie schlug die Hand vor den Mund und schluckte krampfhaft. Mimoun lächelte sie aufmunternd an. „Das war eine großartige Leistung von dir, ihn dennoch erfolgreich zu unterstützen. Ich danke dir dafür.“ Schlagartig verschwand ihre Übelkeit und machte leichter Röte und unsicherer Freude über das Lob Platz. „Aber wie es aussieht, trennen sich unsere Wege jetzt wieder. Ich muss wieder in die Hauptstadt, wenn ich unnötige Opfer vermeiden will.“ Mimoun spannte bereits seine Flügel. „Richtet Asam und Genahn bitte aus, dass die Magier versucht haben, die Burg zu stürmen, dass wir das aber erfolgreich verhindern konnten und die Situation sonst unter Kontrolle ist.“ Damit erhob er sich in die Luft. „Und legt den Weg zu den anderen zu Fuß zurück. Maarit zuliebe.“ Und schon verschwand er aus dem Blickfeld der beiden. Es blieb keine Zeit für lange Abschiedsszenen. Die Zeit drängte. Wer wusste schon, ob der Zirkel nur sich oder auch seinen Gefangenen schadete. Die Dunkelheit brach herein, dennoch legte sich der Geflügelte mächtig ins Zeug und flog weiter. Als sie die Mitteilung Lulanivilays erreichte, bat er umgehend um eine gute Beleuchtung seines geplanten Landeplatzes. Es sei dringend, dass er noch heute mit Dhaôma sprach. Es erwarteten ihn außer Xaira und Dhaôma noch Penny und ein Dienstmädchen. Dhaôma stand mitten auf der Wiese und ließ seine Magie der Pflanzen frei, damit es hell genug war für seinen Freund. Grinsend sah er ihm entgegen. Als er Penny und Filwen, der Dienerin, erklärt hatte, wer kam, waren sie beide aufgeregt gewesen, jetzt aber versteckte sich das junge Ding ängstlich hinter der Schwangeren. Die dunklen Schwingen, die vor dem noch dunkleren Himmel auftauchten, weckten Erinnerungen aus ihrer Kindheit und den schrecklichen Geschichten von den Geflügelten. Ein Feld aus leuchtenden Blumen. So in etwa hatte er sich das vorgestellt, als er seine Anfrage bezüglich Beleuchtung gestellt hatte. Neugierig ließ der Ankömmling seinen Blick über die Umgebung und die Frauen schweifen. Kurz nach der Landung stellte er sich neben Dhaôma, ergriff dessen Hand. „Verzeiht bitte mein Auftauchen. Es lag mir fern, euch zu ängstigen.“, eröffnete der Geflügelte mit einer leichten Verbeugung. „Aber mein Anliegen ist äußerst wichtig.“ Mimoun wandte sein Gesicht Dhaôma zu. „Ich fürchte, es gibt Probleme.“ „Wann gibt es die mal nicht.“, seufzte der junge Mann. Eigentlich hatte er gehofft, dass es einmal problemlos vonstatten gehen würde. „Welche diesmal?“ Unsicher fuhr sich Mimoun mit der Zungenspitze über die Lippen und behielt Xaira im Blick. „Es kann sein, dass sich die Zirkelmitglieder umbringen werden, bevor wir ihrer habhaft werden können.“ Dhaôma runzelte die Stirn. Wieso sollte jemand so etwas dummes tun? „Woher willst du das wissen?“, fragte er und veranlasste damit die Einmischung der Halblingsfrau. „Weil sie Gefangenschaft, Mord und Folter fürchten. Sie wissen, was früher mit ihnen geschehen ist, sehen, was sie selbst machen, da haben sie Angst, dass es ihnen auch so gehen könnte.“ Sie rieb sich über den Nacken. „Es gab eine Zeit, da dachte ich genauso.“ Noch immer tat sich Dhaôma schwer damit, das zu verarbeiten. Aber je stärker das Begreifen wurde, desto klarer wurde auch, dass er sich mit der Konsequenz einfach nicht abfinden wollte. „Soll das heißen, sie sind vielleicht alle schon tot?“, fragte er und seine Stimme wurde immer lauter. „Weil sie gestern angegriffen wurden und es schlecht für sie aussah? Jayan etwa auch?!“ Das blaue Licht auf seinen Armen verblasste, als Tyiasur vorsorglich seine Magie einsperrte. „Was soll denn dann aus Silia werden?“ „Hey, ruhig. Es ist nicht gesagt, dass Jayan wirklich dort ist. Und ich glaube nicht daran, dass sie sich die Mühe machen werden, die Gefangenen ebenfalls zu töten. Sie nähern sich ihnen nur im äußersten Notfall.“ „Silia kam die letzten Monate auch zurecht. Sie hat liebevolle Menschen, die sich um sie kümmern.“, versuchte Mimoun ebenfalls zu beruhigen. Die Aussage Xairas half ihm selbst enorm, die innere Unruhe loszuwerden, die ihn bei diesem Gedanken schon über längere Zeit quälte. „Und niemand sagt, dass bereits alle tot sind. Wir waren doch auch auf der Suche nach einer Freundin, die zurückblieb. Sie möchte sicher nicht sterben. Es wird auch andere geben. Aber ich fürchte, wir müssen schnell handeln. Je mehr Zeit vergeht, desto weniger können wir vor ihrer dummen Entscheidung retten.“ Ein bisschen zitterte seine Hand, sein Bauch befahl ihm, möglichst jetzt gleich zu handeln, jetzt in die Burg zu gehen und sie einfach alle schlafen zu legen, aber Lulanivilay roch den Braten, bevor er etwas sagen konnte. „Du hetzt, Freiheit. Damit erreichst du gar nichts.“ Dhaôma sah ihn an und langsam begann seine Logik wieder zu greifen. Lulanivilay konnte nicht mit ins Schloss, das bedeutete, dass er ihnen nicht helfen würde. Noch dazu würden all die dicken steinernen Mauern ihre Verbindung miteinander und damit Lulanivilays verstärkende Magie dämpfen. Irgendjemand konnte Tyiasur ausschalten, indem er die Gedankenübertragung lahm legte, damit waren er und Mimoun faktisch alleine gegen einige Hundert. Das war nicht zu schaffen, nicht einmal für sie. „Das heißt also, entweder beeilen sich die anderen, oder wir gehen mit den Menschen aus dieser Stadt hinein, sehe ich das richtig?“ „Bei aller Liebe, aber unsere Fußgänger werden morgen Mittag frühestens hier auftauchen. Und so viel Zeit haben wir nicht.“, stellte Mimoun fest und verschränkte die Arme. „Wir sollten also die Stadtbewohner um Hilfe bitten. Erneut. Und damit sie nicht ohne uns und unüberlegt handeln, sollen sich alle, die uns helfen wollen, Gefangene zu befreien und eine Flucht des Zirkels zu verhindern, vor der Burg versammeln. Also los. Die Zeit drängt.“ Bekräftigend nickte er und wandte sich um. Mimoun stockte und hob mit einem undefinierbaren Laut fragend eine Hand, als er sich zurückdrehte. Die leuchtende Wiese ließ die Gegend außerhalb der hellen Grenze dunkler zurück. Hier und da sah man Lichter in den Häusern schimmern, halfen ihm aber nicht bei der Orientierung in dieser für ihn fremden Umgebung. „Nur so mal als Frage: Wo sind wir hier und wo müssten wir lang?“ „Das fällt dir wirklich früh ein.“, stellte Xaira fest. „Du willst das wirklich in Dunkelheit machen?“, wollte Dhaôma wissen. „Die Magier können nachts schlechter sehen als ihr und selbst für euch würde es schwer werden. In der Burg gibt es kein Mondlicht, schätze ich. Und ob sie alles mit Lampen beleuchten, weiß ich nicht.“ Natürlich konnte man jeden mit Leuchtmoos ausstatten, aber das würde nicht so hell sein, wie man es für eine groß angelegte Suche brauchte. „Tyiasur, starte trotzdem den Aufruf. Mach es in einem Rutsch klar, was wir wollen und warum, damit man dich nicht wieder unterbricht. Versuche vielleicht sogar, die Halblinge aus dem Schloss auszusparen.“, nahm nun Xaira das Heft in die Hand. Sie war auch der Meinung, dass man gleich loslegen sollte. „Was wir vor allem brauchen, sind Heiler.“ Dhaôma sah sie schweigend an. Die Heiler in dieser Stadt hielten sich grundsätzlich für etwas Besseres, weswegen er schon jetzt ahnte, dass sich da kaum jemand melden würde. Abrupt wandte er sich an die beiden schweigenden Zeugen dieses Treffens. „Filwen, kann ich dich dafür gewinnen, bei Penny zu bleiben und darauf aufzupassen, dass es ihr gut geht? Es wäre gut, wenn du mich benachrichtigst, sobald es Anzeichen für die nahende Geburt gibt.“ Das Mädchen nickte eifrig. Das hätte sie sowieso gemacht. „Und sorge dafür, dass uns Jokun nicht folgt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder dazu tendieren, sich in die schlimmsten Situationen zu manövrieren, weil ich dort bin.“ Penny begann zu lachen. Ihrer Meinung nach hatte der Braunhaarige ihren Sohn vollkommen richtig eingeschätzt. „Geht schon. Wir kommen hier zurecht, Dhaôma. Mach dir nicht so viele Gedanken.“ Seufzend nickte er, ließ sie dann stehen, um Lulanivilay aufzuschirren. Im Grunde genommen war das hier eine ziemlich dumme Idee, aber was blieb ihnen anderes übrig, wenn sie möglichst viele retten wollten? Mimoun sah ihm lange und nachdenklich hinterher. „Entschuldigt mich bitte.“, bat er schließlich leise und folgte seinem Freund, ließ die Frauen einfach auf der leuchtenden Wiese stehen. Als er Dhaôma fand, war nicht mehr viel zu erledigen. Wenn man wusste, was wie zu befestigen war, ging es schnell von der Hand. Der Geflügelte brauchte also hier nicht mehr helfen, aber das war es nicht, weswegen er gekommen war. „Du hältst es für eine dumme Idee, nicht wahr?“, begann er leise. „Es tut mir leid. Ich kann nicht untätig rum sitzen und warten. Ich bin bereits einmal zu spät gekommen. Ich möchte nicht, dass es noch einmal geschieht.“, versuchte er zu erklären, warum er gerade so drängelte. "Ist schon gut. Ich kann dich verstehen." Dhaôma zog den letzten Riemen fest, dann strich er Mimoun über die Wange. "Ich werde einfach das ganze Schloss hell erleuchten, dann sehen wir auch genug. Und die Magier werden uns schon helfen. Aber ich habe Angst. Dass wir etwas Wertvolles verlieren. Dass alles aus dem Ruder läuft. Ich habe nicht gern so viel Verantwortung." Tief seufzte er. "Können wir nicht einfach ganz alleine dort hineingehen? Das hatten wir doch zu Anfang auch vor, oder?" Er zumindest hatte das die ganze Zeit tun wollen. Seit er sich vorgenommen hatte, Frieden zu bringen, und wusste, wer ihn störte. „Ich würde mich wohler fühlen, wenn wir nicht allein dort hinein müssten.“ Mimoun fing die streichelnde Hand ein und hielt sie an seiner Wange fest, schmiegte sich in die Handfläche. „Allein gegen wer weiß wie viele Zirkelmitglieder und Gefangene unterschiedlichster Rassen, die mit den Nerven am Ende sein dürften und völlig unkontrolliert reagieren werden.“ Er schüttelte sanft den Kopf. „Es wäre Wahnsinn allein dorthin zu gehen. Aber keine Angst. Nicht mehr lange. Heute Nacht, morgen. Nur noch wenige Tage und unsere Aufgabe ist erfüllt. Dann liegt es an den anderen den Frieden zu sichern und zu bewahren. Und wenn wir klare Regeln aufstellen, kann hoffentlich nicht so viel aus dem Ruder laufen. Wir schaffen das schon. Wir sind nicht ohne Grund auserwählt, okay? Hab Vertrauen in deine Fähigkeiten.“ Mimoun blinzelte. „Hach. Das hab ich dir auch lange nicht mehr sagen müssen.“, stellte er fest. "Ich habe Vertrauen in meine Fähigkeiten." In seine eigenen schon. Und in Mimouns. Aber was all die anderen betraf, da sah die Sache schon anders aus. Aber es brachte auch nichts, darüber zu diskutieren. Vor nicht mal einer Minute hatte Tyiasur den Aufruf losgeschickt. Sie sollten sich auf den Weg machen. In seinem Bauch ein Knoten aus Verlustangst und Unruhe lehnte er sich vor, um Mimoun zu küssen. Ganz vorsichtig nur berührte er dessen Lippen. "Sieh nur zu, dass du da lebend wieder herauskommst. Und wenn du verletzt bist - richtig verletzt bis zur Gefahr, dein Leben zu verlieren - dann ruf nach mir. Ich will gar nicht wissen, was ich tue, wenn du von ihnen ermordet wirst." „Mir wird nichts passieren.“, versprach Mimoun leise und strich seinem Liebsten durch die Haare. „Jemand muss doch auf dich aufpassen.“ Sanft zog er ihn in seine Arme und strich seinem Magier über den Rücken. „Keine Angst. Mich wirst du so schnell nicht los. Pass aber bitte auch auf dich auf. Ich will dich genauso wenig verlieren.“ Nacheinander stupste Tyiasur sanft erst seinen Reiter, dann Dhaôma an. „Ihr solltet vor euren Helfern da sein, nicht dass sie wieder allein anfangen.“, riet der kleine Wasserdrache. Starke Finger glitten kraulend über blaue Schuppen. Mimoun lächelte Dhaôma aufmunternd zu. „Es wird alles gut gehen. Mach dir keine Sorgen.“, versuchte er die letzten dunklen Wolken schwermütiger Gedanken zu vertreiben und hielt dann Ausschau nach Xaira. Sie sollte besser mitkommen. Sie kannte sich in dem Gemäuer besser aus als irgendjemand sonst in dieser Stadt. _____________ zerstört der dumme Drache ein kunstvolles, mühevoll gearbeitetes Mosaik, weil ihm das Muster nicht gefällt. ... Ich liebe Vilay. und ich hasse Radarr. Ich weiß, er ist meine Erfindung, aber das ändert nichts daran. Mistkerl. *schmoll* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)