Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 64: Blütenmeer ---------------------- Kapitel 64 Blütenmeer Das Spiel draußen war noch immer in vollem Gange, auch wenn inzwischen alle ziemlichen ausgepowert aussahen. Die Kinder wollten nicht aufgeben. Also machte sich Dhaôma mit Geleitschutz zu seinem großen, grünen Freund, der zwar nicht wirklich schlief, aber doch ziemlich bewegungslos war vor Kälte. Fiammas Anwesenheit änderte das fast sofort, vor allem, da er die unterschwellige Magie verstärkte. Graduell kam seine Bewegungsfähigkeit zurück und Dhaôma ließ die beiden Kinder frei, damit sie mit dem Drachen spielen konnten. Nach anfänglicher Vorsicht verloren sie ihre Scheu und tapsten dem peitschen Schwanz mit seinen Stacheln nach. Sie waren im herumtrotten richtig gut geworden. Und äußerst ausdauernd. Über ihr Spiel hellte sich auch seine Stimmung wieder auf. Da es ein sehr kurzes und sehr einseitiges Spiel gewesen wäre, schlug sich Mimoun auf Xairas Seite. Zwar fauchte sie ihn an, sie bräuchte keine Unterstützung bei den Gören, doch die Realität sah anders aus. Schließlich war die Tasche wieder in der Hütte verschwunden. Aber auch gemeinsam hatten sie den Kindern nicht ausreichend entgegen zu setzen. Als Dhaôma mit den Kleinsten wieder nach draußen trat, erstarrte er. Ein nicht geblockter Schlag traf empfindlich seine Magengrube, doch der Blick des Geflügelten blieb wie gebannt am Gesicht des Magiers hängen. Er kannte Dhaôma nun lange genug, um sagen zu können, dass etwas nicht stimmte, dass ihm etwas auf den Magen geschlagen hatte. Seine nun ernst gemeinten Versuche zu Dhaôma durchzukommen, wurden genauso gut abgewehrt wie seine scherzhaften. Auf den Trick, sie fortzulocken und seine Geschwindigkeit zu nutzen, ließen sie sich auch nicht ein. Sie kannten ihn wohl doch besser als ihm lieb war. Oder sie waren erschöpfter, als sie zugaben. Plötzlich wandte sich Mimoun ruckartig ab, weg vom Schauplatz des Geschehens. Wenn er nicht zu Dhaôma gelangen konnte, so würde er sich seine Information von anderer Stelle holen. Sein Magier war aus der Hütte Addars gekommen. Was auch immer seinen Freund bedrückte, dort würde Mimoun eine Antwort erhalten. Als er die Hütte betrat, herrschte eine leicht gedrückte Stimmung, obwohl sich jeder bemühte, entspannt und fröhlich zu wirken. Seufzend ließ Mimoun die Lederplane wieder zufallen und nutzte sie als Rückenstütze, indem er sie gleichzeitig festhielt. Irgendwie traute er sich nicht mehr zu fragen. Was auch immer es war, es betraf alle hier Anwesenden. „Hört auf, solche Mienen zu ziehen.“, verlangte Addar unwirsch. „Jeder wird mal alt.“ Nun verstand Mimoun gar nichts mehr. Was hatte das Vorgefallene mit Addars Alter zu tun? „Hat er es dir nicht gesagt?“, wollte der Älteste verblüfft wissen und Mimoun verneinte. „Die Kinder haben mich erfolgreich von ihm ferngehalten.“ Leise lachend klopfte der alte Geflügelte auf die Felle neben sich. „Du reagierst wohl empfindlich auf seine Stimmungen.“, stellte er fest. „Und nun quälst du dich, weil du den Grund nicht kennst.“ Kurz schwieg er und betrachtete den Drachenreiter. „Es betrübt ihn, dass er mir nicht in dem Maße helfen konnte, wie er es sich wünscht.“ Irritiert runzelte sich die Stirn seines Gesprächspartners. Es brauchte eine Weile und nur der vorher gegebene Hinweis bezüglich des Alters brachte Mimoun schließlich auf die richtige Spur. Bevor er etwas sagen konnte, wurde ihm einerseits ein Becher Tee in die Hand gedrückt, andererseits hob Addar die Hand, um Mitleidsbekundungen zu unterbinden. „Jeder muss irgendwann gehen. Auch bei mir ist das nicht anders.“ „Ich weiß. Nur sieht man die, die man mag, so ungern gehen.“ Milde nickte Addar und schwieg. Mimoun blieb noch eine ganze Zeit neben ihm hocken und genoss den Tee, doch schließlich erhob er sich mit einer Entschuldigung und trat wieder vor die Tür. Aufmerksam sah er sich um. Xaira kam ihm entgegen. Sie hatte ihre Tasche wieder. Auf ihrem Gesicht leuchtete der matte Schimmer des Sieges, untergraben vom noch matteren Schein der Erschöpfung. Ihre Wangen glühten vor innerer Hitze und kalter Luft. „Dass ihr es hier oben aushaltet. Ganz ehrlich, keiner sonst würde hier leben wollen.“, murrte sie. „Ich bin so froh, dass ich noch warme Felle habe, sonst würde ich hier erfrieren! Warum wollte Dhaôma noch mal Seide?“ Misstrauisch beäugte sie ihn. „Du bist vorhin so schnell verschwunden? Hast du aufgegeben oder ist was passiert?“ „Ach, ich dachte, den Rest schaffst du auch allein.“ Demonstrativ betrachtete er die Tasche. „Zu Recht, wie ich sehe.“ Abschätzig besah sich Mimoun die Frau von oben bis unten. „Na los. Geh rein. Es müsste noch warmer Tee da sein.“ Mit diesen Worten ließ er den Halbling stehen und ging zum Verschlag, wo er Dhaôma das letzte Mal gesehen hatte. Die Kinder saßen und lagen zum Teil völlig erschöpft davor. Jetzt wären sie eigentlich leichte Beute, doch mit einem amüsierten Lachen ließ er die Kleinen liegen. Er wollte wissen, wie es seinem Freund ging und schlüpfte durch den Eingang. Das Spiel der Kleinen war ziemlich bald beendet gewesen, als Lulanivilay keine Lust mehr hatte, weil sie ihn langweilten. Jetzt saßen sie bei Dhaôma auf dem Boden und bestaunten kleine Blumen. Dank Fiammas Magie war der Ort warm genug, dass die Pflanzen, die der Braunhaarige wachsen ließ, nicht eingingen. Zwar hatte er ihnen verboten, die Blüten zu zerpflücken, aber sie hatten es natürlich nicht verstanden. Gerade steckte sich Seren eine Ringelblume in den Mund. Dhaôma sah auf. „Hallo.“, winkte er. Sein Kichern überlagerte ein wenig seine Worte. „Auch ein paar Blümchen als Nachtisch?“ Er lachte. Dem Himmel war Dank. Beinahe zeitgleich mit dem Kichern entspannte sich Mimoun wieder völlig. Es war alles in Ordnung, wenigstens für den Moment. Der Blick des Geflügelten glitt über die Winzlinge und auch er musste lächeln. Sie waren so süß und herzerwärmend. Er ließ sich neben Dhaôma auf den Boden sinken und dachte über dessen Frage nach. Nacheinander betrachtete er die noch vorhandenen Blümchen und wandte sich schließlich an seinen Freund. „Wenn zu Blümchen auch Blumenkinder zählen, verzichte ich lieber, sonst habe ich nachher keines mehr.“ „Es gibt Nachschub.“, lachte Dhaôma und kreierte mit einer konzentrierten Bewegung einen Kranz für Mimoun. Die Ringelblumen leuchteten wunderbar orange und kontrastierten das schwarze Haar unheimlich intensiv. „So, jetzt bist auch du ein Blumenkind. Aua.“ Mit gerunzelter Stirn entzog er den ziehenden Kinderhänden seine Haare. „Warum sind die für die Kleinen nur immer so unglaublich faszinierend? Es sind doch nur Haare.“ Eine weitere Bewegung später wurden all seine Haare von einem starken Pflanzenstängel in einem Knoten gehalten und es gab Gequengel, weil Fiamma nicht mehr an seine Haare kam. „So etwas Weiches findest du bei uns so selten.“, erwiderte Mimoun. Die Blumen in seinem Haar waren ihm peinlich, wie man deutlich in seinem Gesicht ablesen konnte. Um das zu verbergen, lehnte er sich zu Dhaôma hinüber, wickelte sich eine Strähne braunen Haares um seine Finger und küsste die Stirn seines Freundes. Es brachte Dhaômas Gesicht zum Glühen. Unbändige Freude quoll aus seinem Inneren, ohne dass er es verhindern konnte, aber zur gleichen Zeit machte es ihn unheimlich unsicher. Wie sollte er nun reagieren? Im Gegensatz zu ihm, wusste seine Magie ganz genau, wie sie zu reagieren hatte, denn die Blumenpracht weitete sich rasendschnell aus. Innerhalb einiger Sekunden wanden sich Ranken über die nächste Wand und an der Decke entlang, erblühten in einem strahlenden Weiß. Wegen seiner Zauberei hatte Tyiasur die Blockade aufgehoben, jetzt spielte diese seltsame Kraft in ihm wieder verrückt. Der Drache ließ sie, denn inzwischen hatte er eine Sache begriffen: abhängig davon, welches Gefühl den Magier beherrschte, wenn seine Magie Amok lief, nutzte sie einen anderen Kanal. War er wütend, zersetzten sich Pflanzen oder Eis wucherte, war er ängstlich, verlor er die Kontrolle über alle Magie, war er fröhlich, kanalisierte sich die Kraft über die Arme oder die Wangen. Jetzt gerade war er glücklich, warum sollte er also eingreifen? Erst als er sich von seinem Freund löste, entdeckte Mimoun das Spektakel um sie herum. Staunend betrachtete er die Blütenpracht. Na toll. Jetzt wurde nicht nur der Geflügelte, sondern auch das Gebäude dekoriert. Mit schief gelegtem Kopf besah er sich seinen Freund. „Auf die Stirn küssen, gibt weiße Blüten. Mal schauen…“ Damit drückte er ihm einen Kuss auf die linke Wange. Dhaôma wusste sich nicht anders aus der Lage zu helfen, also begann er zu kichern. Er war hoffnungslos überfordert. In seiner Erinnerung war es immer ein Scherz gewesen oder hatte irgendwelche Trauer ausgelöst. Mimoun machte das bei Kindern und seiner Mutter und seiner Schwester. Und nun bei ihm. Es bedeutete, dass er ihn gern hatte. Nicht wahr? Es war der Grund, warum er sich nicht wehrte, aber in ihm kribbelte alles, besonders seine Arme juckten und er konnte sie kaum stillhalten, denn Mimouns weiche Lippen kitzelten seine Haut. „Deine Lippen sind genauso weich wie meine Haare.“, brachte er hervor, kicherte erneut. Um sie herum begann das Gras höher zu schießen. Immer mehr gelbe Blüten zeigten sich dazwischen. Sie waren für den Geflügelten trotz seiner anfänglichen Neugier zur Nebensache geworden. Auch sein Spiel fand ein Ende. „Wenn meine Lippen - die eines Kriegers und Kämpfers - weich sind, wie…“ Mimoun sprach nicht weiter. Sein Gesicht hatte sich nicht weit von dem seines Freundes entfernt. Nun glitt der Blick der grünen Augen zu den Lippen des Magiers und strich vorsichtig mit dem Daumen darüber. Wie hypnotisiert sah Dhaôma in diese grünen Augen, versuchten dem Blick zu folgen. Seine Lippen kribbelten. Genauso die Stellen in seinem Gesicht, die Mimoun berührt hatte. Im Hintergrund nahm er wahr, wie sich Lulanivilay bewegte, aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Mimoun war das einzige, das war. Mimoun und der Herzschlag, der laut in ihm widerhallte. Wie häufig hatte er Dhaôma schon geküsst? Jetzt gerade wusste Mimoun es nicht zu sagen, aber er wusste, das hier war anders. Diesmal war es keine Tat aus Verzweiflung. Diesmal gehörte Dhaôma ihm. Und dieses Wissen ließ ihn unsicher werden. Dabei gab es doch nun keinen Grund mehr dafür, nicht wahr? Hauchzart und vorsichtig küsste er die ihm so vertrauten Lippen, zog sich unsicher zurück, bevor er ein wenig entschlossener zurückkehrte. Es war anders als früher. Auch Dhaôma spürte es sofort. Die Wärme in seinem Bauch, die alles zu überschwemmen drohte, das leichte Schwindelgefühl, das seine Sinne verwirrte, das Kribbeln, das ihn rastlos zurückließ. Und all das wurde nur durch diese keusche, heimliche Berührung ausgelöst. Er blinzelte und holte Luft. Wann hatte er das das letzte Mal getan? Dann waren Mimouns Lippen wieder da. Ohnmächtig, etwas dagegen zu unternehmen, schlossen sich seine Augen, ließen nur noch Gefühl zurück. Ein Gefühl, so unbeschreiblich und ungreifbar, dass er mehr wollte, nur um zu ergründen, was es war. Unwillkürlich lehnte er sich ein wenig vor, kam Mimoun entgegen. Ohne sein Zutun wanderte eine Hand höher und legte sich in Dhaômas Nacken, während sich seine andere Hand in den Rücken seines Freundes stahl, ihn näher zog. Dass Dhaôma erwiderte, war für ihn die Bestätigung, die er brauchte. Das hier, was er tat, war richtig. Und er wollte länger den süßen Geschmack von Dhaômas Lippen kosten, dieses Glücksgefühl erleben, das durch seinen Körper tobte. „Atmen nicht vergessen.“ Die Umgebung holte sich mit Macht ihre Existenzberechtigung zurück und erschreckt löste sich Mimoun von seinem Freund, die Hände noch immer da liegen lassend, wo sie waren. Mit einem sehr unerfreuten Knurren wandte er sich dem Sprecher zu. Asam. Dieser grinste nur höchst amüsiert. „Wir müssen auf die Jagd, da wir ja nun ein paar Mäuler mehr zu stopfen haben, also mach dich nützlich.“ Und schon kam der Bogen des Geflügelten heran geflogen. Mehr schlecht als recht wurde er aufgefangen und missgelaunt begutachtet. Mimoun wollte nicht weg. Nicht jetzt. Doch Asam war schon wieder nach draußen verschwunden, so dass ein Protest nur vergeudete Luft war. Mimoun wandte sich wieder seinem Magier zu und lehnte seinen Kopf an ihn. „Kannst du uns einwuchern, so dass ich hier nicht mehr herauskomme?“ „Und mich könntest du entwuchern. Es ist ziemlich eng geworden, seit eurem Kuss.“ „Uahhh.“ Erschrocken sprang Dhaôma auf, als er sah, dass seine Ranken den Drachen völlig überwachsen hatten. Zittrig ging er wieder in die Knie. Sie waren weich und er hatte sie nicht unter Kontrolle, als hätte er einen Schock! „Entschuldige. Wann ist denn das passiert?“ „Als er so lieb zu dir war.“, kam die unumwunden passive Erklärung. „Aber es sah so hübsch aus, da hab ich es vergessen.“ Und schon kam der nächste Schrecken. „Wo sind Fiamma und Seren? Sie waren doch grade noch hier!“ „Unter mir.“ Wieder war es die dumpfe Stimme des Drachens, die gelangweilt Ruhe vermittelte. „Sie nerven und zwicken. Mach sie weg.“ „Oh weh.“ Mimoun war kurz davor, in Lachen auszubrechen. Wenn das jetzt jedes Mal passierte, wenn er Dhaôma nahe kam, sollten sie sich für diese Zeitpunkte Orte suchen, die fernab jeden Lebens waren. „Okay.“ Seine Lippen streiften Dhaômas Wange. „Du rettest unsere Lieblinge vor dem fesselnden Naturell der Pflanzen und ich rette sie derweil vor dem Hungertod.“ Seine Arme schlangen sich um den Bauch des Magiers und drückten ihn fest an sich. Sein Mund näherte sich dessen Ohr und flüsterte ihm die drei wichtigsten Worte hinein, bevor er sich löste und sich zum Gehen wandte: „Ich liebe dich.“ „Ich freue mich.“, antwortete Dhaôma, was Lulanivilay vor Frust knurren ließ. Er wollte endlich aus diesem Pflanzengewirr heraus! Es war nicht ganz das gewesen, was er zu hören gehofft hatte. Wenn er recht darüber nachdachte, hatte Dhaôma es auch damals nicht direkt gesagt, als Xaira sie auf den richtigen Weg brachte. Zwar hatte er seine Gefühle ziemlich genau beschrieben, doch diesen Satz, den Mimoun zu hören wünschte, hatte Dhaôma bisher noch nicht in seiner Gegenwart ausgesprochen. Ob ihm das derzeit noch unmöglich war? So wie damals mit der Freundschaft? Ein Pieksen in der Seite riss ihn aus seinen trübseligen Gedanken. Sein Blick fokussierte sich auf Asam, der seinem Freund die Spitze des eigenen Bogens knapp unterhalb der Rippen in den Körper gestoßen hatte. „Na los. Je schneller wir fertig sind, desto schneller bist du wieder bei ihm.“, lachte Asam ausgelassen und stieß sich vom Rand der Insel, ließ sich nahezu senkrecht fallen, dicht gefolgt von den Jägern, die ihn heute begleiteten. Kurz glitt Mimouns Blick noch einmal zu dem Verschlag des Drachens und sprang dann hinterher. Das Ratsmitglied kannte sich in ihren Jagdgründen besser aus und so beschränkte Mimoun sich darauf zu folgen. Es verlangte kein eigenständiges Handeln und seine Gedanken drifteten wieder zu einem gewissen Magier, dessen Ringelblumenkranz er immer noch im Haar hatte. Die Herden waren noch nicht von ihrem Winterplatz zurückgekehrt, so dauerte es eine Weile, bis die kleine Gruppe jagdbares Wild fand. Tragende Tiere wurden verschont, um die Population für das nächste Jahr nicht zu gefährden. Währenddessen machte sich Dhaôma an die Arbeit und fasste er einen Entschluss. „Komm, Vilay, wir helfen ihnen, dann kannst du dir selbst Beute suchen.“ „Es ist kalt draußen.“ „Wir können Fiamma mitnehmen, dann wärmt sie dich.“ „Sag das Sonne und Spatz.“ Es so zu hören, war einfach witzig. Zwar hatte er schon gewusst, was Asams Name übersetzt hieß, aber er hätte es nie ausgesprochen. Jetzt brachte es ihn zum Lachen. „Natürlich sage ich Bescheid, also beweg dich. Du wolltest doch. Los. Wir begleiten Mimoun und passen auf ihn auf!“ „Sicher.“ In den massigen Körper kam Bewegung. Viele der Blumen wurden unter seinen großen Pranken zermatscht, aber den Drachen kümmerte das nicht. „Warte, der Haltegurt.“ Dhaôma legte ihn an und der Drache schob sich durch die Lederplanen nach draußen, überließ es Dhaôma, sich Seren auf den Rücken zu wickeln und Fiamma auf den Bauch zu binden. „Ich hab dich schon gesucht. Du warst lange weg.“, kam Leoni auf ihn zu, als er Lulanivilay folgte. „Was machst du da?“ „Ich will sie auf die Jagd mitnehmen. Fiamma hilft Lulanivilay dabei, sich zu bewegen. Da sie schreit, wenn Seren nicht da ist, nehme ich beide mit.“ Sie runzelte die Stirn. Das war doch gefährlich. Aber er schien das gar nicht wahrzunehmen. „Wenn das so ist, begleite ich euch auch.“ Immerhin musste jemand auf sie aufpassen. „Na dann komm!“, rief Dhaôma begeistert. „Ich wollte dich schon immer mal fliegen sehen.“ „Werd nur nicht übermütig.“ Und nachdem sie eine Sekunde darüber nachgedacht hatte, begriff sie. „Es ist etwas Gutes passiert, nicht wahr?“ „Ja.“, antwortete Dhaôma frei heraus. Lulanivilay breitete die Schwingen aus und der Lärm, der dabei entstand, wenn er die Luft durchschnitt, machte ein Gespräch für ein paar Sekunden unmöglich, aber Leoni hatte auch so begriffen. Der junge Mann auf dem gefährlichen Drachen, bepackt mit zwei Babys, war auf der Jagd nach seinem Geliebten. Wahrscheinlich hatte Asam sie bei irgendetwas unterbrochen. Die junge Mutter musste sich wirklich anstrengen, um auf gleicher Höhe mit dem Drachen zu bleiben, der immerhin zehn Meter Spannweite hatte. Bei ihren zwei Meter vierzig messenden Flügeln verbrauchte sie viel mehr Kraft. Sie holten die Gruppe Jäger nicht so schnell ein, wie Dhaôma gehofft hatte. Leoni war zu langsam. Irgendwann wurde es sogar Lulanivilay zu bunt. Er flog über die blonde Geflügelte, dann packte er sie und schon wurde er schneller. Das Schreien dreier Kehlen verklang im Wind hinter ihnen. Oh ja, die Kleinen hatten einen Heidenspaß an der Sache. Der pfeifende Wind, die Geschwindigkeit, das unglaubliche Gefühl gefiel ihnen und sie zappelten beide wie verrückt. „Leoni, ist alles okay bei dir?“ „Sonne geht es gut. Sie findet bloß die Haltung unbequem.“ „Das müsste auch nicht sein. Wir hätten in ihrem Tempo fliegen können.“ „Du wolltest auf Himmel aufpassen. Das kannst du nicht, wenn du auf sie wartest.“ Dhaôma schwieg. Sein Freund hatte Recht, was aber nicht bedeutete, dass er es guthieß, wie er Leoni behandelte. „Lass sie wenigstens hinter mir Platz nehmen.“ „Nicht nötig.“ „Schau, Dhaôma, da vorne sind sie.“ Tyiasur hatte sich seit langer Zeit mal wieder gemeldet. „Sie jagen ja schon. Sie hätten ruhig warten können.“ „Sie wussten doch nicht mal, dass wir kommen.“ Abrupt bremste Lulanivilay ab, dann ließ er Leoni fallen, die erschrocken war und schrie, sich dann aber abfing. Kaum hatte er die Klauen frei, ging der Drache in die Vollen. Er beschrieb einen großen Bogen um die Herde herum, dann kam er direkt von vorne, trieb die in Panik geratenden Tiere zurück zu den Jägern und griff sich nebenbei einen Wisent. Ein weiteres Tier stürzte unglücklich, als es versuchte, auf dem Huf zu wenden, während einer der großen Flügel es streifte. Eines der Beine brach hörbar. Mit Jubel wurden die neuen Jäger begrüßt. Doch es dauerte nicht lange, da wurde auch eine wütende Stimme laut: „Was machen die Kinder hier? Dhaôma, bist du noch bei Sinnen?“, wollte Asam aufgebracht wissen. „Die Ebenen sind kein Platz für Kinder.“ „Darum bin ich ja hier.“ Nun hatte auch Leoni die Jagdgesellschaft erreicht. „Ich passe schon auf unsere Mädchen auf.“ Man sah deutlich, dass Asam mit dieser Situation nicht einverstanden war, doch zuerst musste ihr vorrangigster Auftrag zu Ende gebracht werden. Mit Lulanivilays Hilfe waren schnell genug Tiere erlegt und die kleine Gruppe machte sich daran, die Beute fachmännisch zu zerlegen. Das Ratsmitglied enthielt sich dieser Aufgabe und trat zu Dhaôma. „Die Ebenen sind kein Ort, wo man leichtfertig hingehen sollte. Immer wieder verschwinden Geflügelte und nun wissen wir auch warum. Dass du meine gesamte Familie hierher bringst, war absolut verantwortungslos.“ „Warum verschwinden sie denn?“, fragte Dhaôma irritiert. Er verstand nicht, warum Asam sich so aufregte. In seinen Augen gab es keinen besseren Schutz vor der Welt im Allgemeinen als Lulanivilay und Tyiasur in Kombination mit Mimoun. Alle waren sie hier versammelt, also sah er keine Gefahr. „Halblinge.“, ließ Mimoun das einzig nötige Stichwort fallen, das erklärte, was Asam meinte. Auch er war nicht sonderlich angetan von der Tatsache, dass die Winzlinge und Leoni hier unten waren. Gut. Lulanivilay war anwesend und die Gefahr für ihre Liebsten war nahezu null. Deshalb hätte er Dhaôma lieber später dezent darauf hingewiesen, statt ihn hier vor allen zu maßregeln, aber es ging hier vorrangig um Asams Familie. „Aber die sind doch gar nicht hier.“ Irgendwie hatte Dhaôma das Gefühl, dass er nicht verstanden wurde. Seine Freude wurde nicht verstanden, seine Fürsorge missverstanden. Es war wie früher, wenn er etwas getan hatte, was für den Rest der Welt nicht gut nachzuvollziehen war. Wie bei seiner Familie, die schon eine vorgefertigte Meinung hatte. Sie waren zwar nicht wie sie, er wusste das. Sie waren besorgt. Unnötig, aber besorgt. „Es tut mir Leid, dass ich dir Sorgen bereitet habe. Ich werde es nicht wieder tun.“, versprach er mit hängendem Kopf und fühlte gleichzeitig eine immense Last in sich aufsteigen. Fiamma würde also in ihrer Kindheit niemals Freiheit kosten dürfen, würde immer auf dieser Insel sein, ohne die Möglichkeit, andere Orte zu erkunden, ohne dass einer dabei war, der sie trug. Sie würde niemals die Freude kennen lernen, mit jemandem durch hohes Gras zu rennen, so weit die eigenen Beine sie trugen. Hatte er einen Fehler damit gemacht, sie in Hanebitohände zu geben? Kurz betrachte Mimoun seinen Freund und zog seufzend seine blutigen Hände aus dem Kadaver. Nur notdürftig wischte er das Blut am Gras ab und bat mit einen kurzen Kopfschütteln an Asam, die weitere Angelegenheit ihm zu überlassen. Er erlöste den Magier von seiner Last und ging mit ihm ein paar Schritte abseits. „Ich weiß nicht, ob du wirklich begriffen hast, warum wir so in Sorge sind.“, begann Mimoun und sprach auch gleich weiter, ohne Dhaôma die Möglichkeit eines Einwurfes zu geben. „Wir beide wissen aus nahezu erster Hand, dass gezielt Geflügelte gefangen wurden. Und wir wissen, dass sie nur selten Frauen in die Finger bekamen. Nun bringst du Leoni und unsere beiden Mädchen mit hier runter. Lass ein Unglück geschehen, nur einen dummen Zufall, eine Unachtsamkeit und sie wären Gefangene des Zirkels. Du erinnerst dich doch sicher noch daran, wie Asam gestern auf diese Information reagiert hat. Und nun sind seine Mädchen hier unten. Solange der Zirkel existiert, sind sie hier nicht sicher. Versuche ihn bitte zu verstehen. Er hat Angst um sie.“ Mimoun lächelte Dhaôma aufmunternd zu. „Ich weiß, dass du es nicht böse meintest und ich weiß auch, dass du sie immer beschützen wirst. Aber ich bin mir absolut sicher, dass du nicht willst, dass ich in potenziell gefährliche Situationen gerate, nicht wahr?“ „Ich dachte nicht, dass es gefährlich ist.“, murmelte Dhaôma zerknirscht. „Die Magier vertragen die Kälte nicht, sie würden es nicht wagen, im Winter über die Steppen zu gehen, weil sie euch fürchten. Und Lulanivilay und Tyiasur sind eine schier unüberwindbare Mauer, die sie mit ihrer Magie nicht durchbrechen können. Dann sind hier unheimlich viele Jäger und du bist hier und…“ Seine Stimme war immer leiser geworden. Er hasste es, sich zu rechtfertigen und tat es aus diesem Grund nicht gerne. Im Grunde tat er es nie. Lieber entschuldigte er sich und brachte es möglichst schnell hinter sich, aber bei Mimoun durfte er das nicht machen. Der hatte ihm gesagt, er solle seine Gedanken mit ihm teilen, damit er ihn verstand. „Hey. Nicht traurig sein.“ Vorsichtig lehnte Mimoun sich vor und küsste die Stirn seines Freundes. „Ich weiß, dass du es gut gemeint hast. Und natürlich ist es in unserer Gegenwart weniger gefährlich für sie. Deshalb bin ich auch nicht wirklich böse. Nur ein klein wenig in Sorge. Und ich bin mir sicher, auch Asam wird sich schnell wieder beruhigen.“ Auffordernd klatschte Mimoun in die Hände. „Also. Wir haben noch ein wenig zu erledigen. Passt du solange auf die Mädels auf?“ „Du hast sie mir weggenommen. Ich dachte, ich darf nicht mehr, weil ich sie in Gefahr bringe.“, hakte der Braunhaarige vorsichtig nach. Er fühlte sich so unsicher wie den ersten Tag auf den Inseln oben. „Dummkopf.“, lächelte Mimoun sanft. „Ich wollte nur kurz mit dir allein sprechen, herausfinden, ob du wirklich verstanden hast, worum es uns ging. Natürlich darfst du mit den Kleinen auch weiterhin spielen. Du bist doch Fiammas Vater. Niemand kann dir das Recht nehmen, dich mit deiner Tochter zu beschäftigen.“ Vorsichtig drückte er seinem Freund einen Kuss auf die Schläfe. „Na komm.“ Derweil hatte Asam sich einen weniger privaten Einlauf von Leoni eingefangen. Sie hatte Dhaôma nicht aufgehalten, sie war einverstanden gewesen. Wenn er schon jemanden zusammenstauchen wollte, dann sollte er sich gefälligst an die richtige Person wenden. Es war Dhaôma ganz und gar nicht Recht, jetzt zurück zu all jenen zu gehen, die potentiell gegen seine Aktion eingestellt waren. Leonis Verteidigungslinie gegen Asam stimmte ihn zwar ein wenig fröhlicher, aber ihn aufheitern konnte es nicht. Gerade als sie Lulanivilay erreichten, brach bei den beiden ein heftiger Streit los, der beinahe von Leoni allein geführt wurde. Ihr Wutausbruch beinhaltete, dass sie sich auch als Frau sehr gut allein verteidigen konnte, dass sie es sich nicht nehmen lassen würde, mit ihren Freunden einen Ausflug zu machen, dass sie kein Fenra war, das man irgendwo einsperren konnte, wenn es gefährlich wurde, und dass sich Asam nicht als Glucke aufspielen sollte, nur weil er sich erschrocken hatte. Man konnte in seinem Gesicht sehen, dass es ihm schrecklich weh tat, sich mit ihr zu streiten und er wollte einlenken, aber sie fauchte ihn nur an, dass er gefälligst seine Arbeit tun sollte, denn sie würde die Kinder in Sicherheit bringen, um ihm seine allzu übertriebene Sorge zu nehmen. Wutentbrannt kam sie zu Dhaôma und fragte ihn, ob er etwas dagegen hätte, mit ihr zurück zu den Inseln zu fliegen. „Nein.“, bestimmte Lulanivilay und krallte sich seine Beute. „Fliegst du allein, mit Freiheit oder wie vorhin, Sonne?“ „Ich bevorzuge es, glaube ich, diesmal allein zu fliegen.“, knurrte sie. Ihre Stimme war eine Spur heller als gewöhnlich. Dhaôma griff sich Serens Tragegurt und schnallte ihn sich auf den Rücken. „Wir sehen uns später, Mimoun.“ Er warf ihm einen unsicheren Blick zu, bevor er sich auch Fiamma schnappte und auf den Rücken des Drachens kletterte. Einen Knoten später startete Lulanivilay, in jeder Klaue ein Wisent. Da er sowieso auf die zierliche Geflügelte warten musste, konnte er auch mehr tragen. Mit Bedauern sah Mimoun seinen Freund abziehen. Doch schnell wandte er sich ab. Sein Blick ruhte lange und ernst auf Asam, ohne dass er ein Wort sagte. „Willst du mir irgendetwas sagen?“, fragte das Ratsmitglied schließlich. Er schien sich uneins zu sein, ob er wütend oder geknickt sein sollte, und das hörte man in seiner Stimme. „Du solltest lernen, entspannter durchs Leben zu gehen.“, gab Mimoun seinem Freund den weisen Rat und hockte sich hin, um seine Arbeit fortzusetzen. „Bei dem ganzen Stress, den du dir umsonst machst, wirst du noch jung sterben.“ „Umsonst?“, fuhr Asam auf. Langsam bekam er wieder Fahrwasser. „Wenn ich nicht einmal meine Familie beschützen kann, wie soll ich dann unser Volk beschützen? Ich trage die volle Verantwortung.“ Ruhig erwiderte Mimoun den Blick und nickte zur Bestätigung dieser Aussage. „Aber auch du vergisst anscheinend eine Kleinigkeit.“ Sein Gesprächspartner schien trotz intensiven Überlegens nicht darauf zu kommen, deshalb fuhr er fort: „Fiamma ist auch meine Tochter. Es sei denn, man hat mir dieses Recht abgesprochen, aufgrund meiner häufigen Abwesenheit? Und sie ist auch Dhaômas Tochter. Niemals würde er unserem Winzling Schaden zufügen oder sie und ihre Familie in Gefahr bringen. Langsam müsstest du ihn wirklich besser kennen.“ Asam schwieg eine ganze Zeit lang und wandte sich schließlich den verbliebenen Jägern zu. „Möchte noch jemand etwas dazu sagen?“ „Weniger reden, mehr arbeiten wäre nicht schlecht.“, wurde hinter einer Hand versteckt gebrummt. „Ja. Mach dich nützlich.“, wiederholte Mimoun lachend die Worte, mit denen Asam ihn vorhin gestört hatte. Dieses Geplänkel lockerte ein wenig die peinliche Anspannung, ein Rest davon blieb aber bis zum Schluss vorhanden. Es war wie jedes Mal. Kaum hatte er seine Beute bei den Leuten im Dorf abgeladen, irrte sein Blick auf der Suche nach einer bestimmten Person über die Menge. Dhaôma war mit seinem Drachen, Tyiasur, den Kindern und Leoni auf direktem Weg in die Drachenhöhle gegangen, wie die Kinder dieses Haus nannten. Erst jetzt, als die junge Frau staunend im Eingang stehen blieb, nahm er wirklich wahr, was er hier geschaffen hatte. Zwar war die Blütenpracht und das Grün von tiefen Spuren durchzogen, zertreten und zerrissen, aber ein wenig erinnerte es ihn an seine Heimat, den Wald, in dem er aufgewachsen war, wenn er es zu Hause nicht mehr aushielt. Es war beinahe nostalgisch, wie tröstlich es sich anfühlte, in diesen Dschungel einzutreten. Weich lächelnd schob er sich an Leoni vorbei. „Tyiasur, lass locker, bitte.“, murmelte er und im nächsten Moment erholten sich all die zertretenen Pflanzen, nur um Sekunden später von Lulanivilay wieder kaputtgemacht zu werden. Es war egal. Er ließ sie sich ein weiteres Mal erholen, bevor er die beiden Kinder absetzte. Seren schlief inzwischen und Fiamma war kurz davor. Der Ausflug war sehr anstrengend für sie gewesen. „Hey, kann es sein, dass du aufgewühlt bist?“ Der Braunhaarige sah Leoni an, die zu ihm gekommen war. Ihr standen die Blumen unheimlich gut. Sie passte genau in dieses Bild. Aber ihre Worte bohrten in einer Wunde, die heilen sollte. „Es ist in Ordnung. Er meint es nicht böse.“ „Oh doch. Er meint es genau so, wie er gesagt hat.“ Ernst richtete sich Dhaôma auf. „Asam hat keinen Grund, sich über etwas aufzuregen, was er nicht meint. Und da er sich so selten aufregt, war es ihm doppelt ernst.“ „Das heißt aber nicht, dass er Recht hat.“, versuchte sie einzulenken, aber das Lächeln, das gerade noch auf Dhaômas Lippen gelegen hatte, als er seine Blümchen und die Kinder betrachtet hatte, war wie weggewischt. „Hör mal, nur weil er so etwas gesagt hat, heißt das nicht, dass ich nicht gern mit dir geflogen bin. Es heißt auch nicht, dass du die beiden Kinder nicht weiterhin bei dir haben darfst.“ Seine Augen glommen still, dann wandte er sich ab. Wann hatte sie ihn jemals so gesehen? Vorsichtig folgte sie ihm, legte ihm ihre Hand auf die Schulter. „Dhaôma?“ Er fuhr herum, wich ihrer Hand aus und sah sie bitter an. „Es reicht wirklich.“ Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Keuchen. „Ich werde gleich nach dem Treffen gehen. Ich…“ Erneut wandte er sich ab. Seine Zähne mahlten aufeinander. „Nein, Dhaôma. Das war sicher…“ „Doch!“, fuhr er auf und als die ersten Pflanzen zu Eis erstarrten, beschloss der kleine blaue Drache, Dhaômas Magie wieder einzusperren. „Doch, es wird Zeit. Es war einfach vermessen zu glaube, ich könnte in eine Familie gehören, ohne sie zu zerstören. Ich werde gehen, damit es nicht wieder passiert und…“ Ihr Entsetzen über seine Worte nahm Leoni den Atem. Glaubte er ernsthaft, er würde ihre Familie zerstören? Warum? Wegen dem kleinen Streit? Weil sie sich auf seine und nicht auf Asams Seite geschlagen hatte? Fest umarmte sie ihn, ließ ihn auch nicht los, als er sich halbherzig wehrte. „Nein.“, flüsterte sie. „Das ist es nicht. Der kleine Streit wird unsere Familie nicht zerstören. Du wirst sehen, heute Abend ist alles wieder im Lot. Es ist doch nicht das erste Mal, dass wir uns streiten.“ Ihr Lachen klang hohl und aufgesetzt, während ihre Hand sanft durch das lange Haar strich. „Wie kommst du darauf, du würdest Familien zerstören?“ „Meine ist zerbrochen, weil ich lebe. Und Mimouns sobald ich in ihr Leben getreten bin.“ Leoni spürte seine Brust beben. „Das war aber nicht deine Schuld. Du warst ein Kind. Ein Kind ist niemals Schuld, wenn seine Eltern einander nicht mehr mögen. Und Mimouns…“ „Doch! Du verstehst das nicht!“ Dhaôma schüttelte sie ab und wandte sich ihr wieder zu. „Du kannst es nicht verstehen! Du warst nicht dabei.“ Er wurde leiser, presste die Augen zusammen, weil er sich nicht erinnern wollte, aber die Erinnerungen flossen vor seine Lider, als wären sie flüssige Spiegel der Vergangenheit. „Du warst nicht dabei, als sie sich stritten, warum Mutter nicht gut genug war, einen Heiler zu gebären, als er ihr Vorwürfe machte und sie sie zurückgab, weil ich nicht einmal kämpfen konnte.“ Wütend wischte er sich die Augen trocken. „Du kannst es nicht wissen, weil du nicht dabei warst, als meine Geschwister mich herumgeschupst haben und sagten, dass ich Schuld an Vaters Tod war, weil ich ihn nicht heilen konnte, als er auf dem Sterbebett lag. Wäre ich ein Krieger gewesen, wäre meine Schwester nicht gestorben! Und wäre ich nicht gewesen, hätte Mimoun sich nicht zwischen mir und seiner Familie entscheiden müssen! Er hat den Tod seiner Mutter nicht aufhalten können. Sie dachte, er wäre tot, weil er mit mir unterwegs war. Silia kann mich nicht leiden, weil ich ihr den Bruder weggenommen habe, und jetzt hat Mimoun sogar noch die Geburt seines Neffen verpasst! Sie hat ihn weggejagt, hat gesagt, er gehöre nicht mehr zu ihrer Familie!“ Mit der Zeit war er immer lauter geworden, seine Gesten ausladender, jetzt schnappte er nach Luft und presste die Hände auf die Augen. Er ließ seine Wut an jemand anderem aus. „Und jetzt bin ich hier. Habe eine Magierin in euer Haus gebracht. Ihr streitet euch wegen mir und…“ „Und wegen dir lebe ich noch.“ Sie ergriff seufzend seine Hand. „Dhaôma, ich sage es dir gerne noch einmal: Wir werden uns nicht trennen. Würdest du in unserem Weg stehen, wären wir nicht mit dir befreundet, würdest du nicht unter unserem Dach leben. Wir kommen klar, du bist eine glückliche Zugabe zu unserer Familie. Was glaubst du, haben wir durch dich erst alles gewonnen? Addar ist noch am Leben, meine Töchter sind hier und gesund und ich kann es noch sehen, sie fühlen. Dank dir hat ein ganzes Volk Hoffnung geschöpft, Hoffnung auf Frieden.“ Sie machte eine Pause, fing mit ihren Augen seine ein. „Kannst du das nicht sehen? Es war nur ein Streit. Lass die Vergangenheit ruhen. Vergiss deine Eltern oder Geschwister, die dich nicht mochten. Du hast nicht in ihre Vorstellungen gepasst, nicht in dieses seltsame Leben, von dem du mir erzählt hattest, aber hierher passt du gut. Ein einfaches, friedliches Leben. Ab und zu mal zu streiten ändert daran gar nichts. Es hilft einen, zu verstehen, was den anderen ausmacht.“ Dhaôma ließ ihre Worte lange auf sich wirken, bevor er sich schluchzend niederließ. Er zog sie in die Arme, suchte die Wärme, die sie ihm angeboten hatte. „Sie werden es uns richtig übel nehmen, wenn wir all die Kinder mit zu den Drachen nehmen, oder?“ „Einige sicher. Niemand lässt seine Kinder gerne ziehen, ob in den Krieg, auf Drachensuche oder in die Ehe.“ „Die Ehe? Ist das nicht ein schönes Ereignis?“ „Aber es bedeutet loslassen. Niemand kann das gut.“ Weich lächelnd wischte Leoni ihm die Tränenspuren von den Wangen. „Hast du dich beruhigt?“ Nicken. „Und du glaubst auch nicht weiter, dass du unsere Familie zerstörst?“ Er zögerte und sah zu Boden, was sie dazu bewog, ihm eine liebevolle Kopfnuss zu geben. „Hör zu, ich gebe dir ein Versprechen. Sollte ich jemals ahnen, dass deine Anwesenheit meine Familie zerstört, werde ich dir das schonungslos sagen und dich davonjagen. Bist du damit zufrieden?“ Er lachte verschnupft, nickte aber. Das beruhigte ihn tatsächlich. „Sehr gut. Dann sei doch so lieb und lass noch ein paar von den Brombeeren da drüben wachsen. Die würden sich gut zu der Beute von heute machen.“ Lulanivilay begann endlich seinen Wisent zu fressen. Fast schien es, als hätte er Anteil genommen an dem Drama um sich herum, aber vielleicht war ihm der Lärm auch einfach nur auf den Magen geschlagen. Er war nicht da. Er konnte Dhaôma nirgends entdecken. Also war er in einer Hütte. Entweder hatte er die Kleinen wieder in die Hütte geschafft und war nun dort oder bei Lulanivilay, der offensichtlich in seinem eigenen Haus steckte. Mimoun hatte sich für die falsche Möglichkeit entschieden, wie ihm ein kurzer Blick verriet. Addars grüßend erhobene Hand wurde schon gar nicht mehr registriert. Wie hatte Mimoun auch annehmen können, dass sein Freund nach der sich zugetragenen Szene die Gegenwart anderer suchen würde. Unruhig stürmte der Geflügelte durch die Planen in Lulanivilays Reich und prallte zurück. Auch wenn sich Leoni alle Mühe gegeben hatte, es zu vertuschen, so waren die leicht geröteten Augen doch ein deutliches Zeichen. Dhaôma hatte geweint und er selbst war nicht da gewesen, um ihm zu helfen. Seine Kehle war wie zugeschnürt, so dass kein Wort über seine Lippen kam. Nur sein sorgenvolles Gesicht sprach Bände. „Ah, da bist du ja.“ Leoni drehte sich zu ihm um und auch Dhaôma sah von seiner Arbeit auf, die Ranken in die von ihr bevorzugte Form zu bringen und dabei möglichst viele Früchte entwickeln zu lassen. Es war ihr Spiel gewesen, um ihn aufzumuntern. „Sind die anderen Jäger auch schon zurück oder bist du ihnen weggeflogen?“ Der Magier lächelte weich. „Bist du mit Brombeeren zufrieden oder möchtest du Erdbeeren?“, wollte er wissen. Nur mühsam wandte Mimoun seinen Blick Leoni zu und schaffte sogar ein Lächeln. „Zum Wegfliegen ließen sie mir keine Möglichkeit. Sie halsten mir alles auf, was ich tragen konnte, und noch ein wenig mehr.“ Endlich. Endlich setzten sich seine Füße in Bewegung und brachten ihn zu Dhaôma. „Es ist mir alles Recht.“ Sein Blick glitt über die schlafenden Winzlinge während seine Hand unbewusst und nachlässig mit einer Dornenranke spielte. Besorgt sah dieser Mimoun an. Kam es ihm nur so vor, als wäre etwas anders? „Bist… Bist du in Ordnung?“ Es war doch nicht normal, dass Mimoun Brombeeren über Erdbeeren stellte, zumal er diese Früchte in letzter Zeit recht selten bekam. „Ich, ja.“, antwortete Angesprochener mit flüchtigem Lächeln. „Aber was ist mit dir?“ „Jetzt wieder alles in Ordnung. Leoni hat versprochen, dass ich nichts kaputt gemacht habe.“ Die blonde Frau lachte und ihre blauen Augen funkelten verschmitzt. Wie konnte man in diesem Alter noch so sein? Aber es gefiel ihr unerwartet gut, jemandem auf diese Weise zu helfen. Vielleicht würde sie das zu ihrer Aufgabe machen, wenn das alles hier vorbei war. Kurz ruhte Mimouns Blick prüfend auf Dhaôma, um den Wahrheitsgehalt seiner Worte zu ergründen. Er meinte es völlig ernst. Und schon fiel die sorgenvolle Anspannung völlig von ihm ab und er wandte sich Leoni zu. „Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass du die Beste bist.“, fragte er sie strahlend, obwohl er wusste, dass er ihr das schon am Vortag gesagt hatte. „Du kannst es gern häufiger sagen.“, gab sie ebenso fröhlich zurück. Mit einem belustigten Schnauben wandte sich Mimoun wieder seinem Freund zu. Seine Hand fuhr prüfend über Dhaômas Stirn, so wie früher, wenn er sehen wollte, ob sich der Magier verausgabt hatte. Bei dem ganzen Pflanzenreichtum wäre es eigentlich zu vermuten. „Wie sieht es mit deinen Kraftreserven aus?“ „Bist du verletzt?“, kam die entsetzende Assoziation zurück geschossen. Augenblicklich schlossen sich die Hände um die Wangen, rahmten sie ein und seine eigenen Wangen begannen zu leuchten. Einen Augenblick lang war Mimoun zu verblüfft, um zu reagieren. Wie kam Dhaôma denn jetzt darauf? Sah er etwa so aus, als wäre er verletzt worden? Wovon denn? Dann lachte er schallend los. Aber dieser Magier war schon niedlich in seinem Verhalten. Seine Finger suchten die seines Freundes, zogen sie aber nicht von seinem Gesicht fort, sondern verhinderten, dass sie von dort weggezogen werden konnte. „Du hast all das hier wachsen lassen und anscheinend auch repariert, da man kaum Beschädigungen sieht. Ohne böse klingen zu wollen, Lulanivilay ist nicht gerade der Rücksichtsvollste. Ich wollte nur wissen, ob du dich nicht verausgabt hast.“ Verausgabt? „Nein.“ Dhaôma horchte in sich hinein, doch er konnte noch immer kein großartiges Echo seiner Kraft hören. „Ich denke nicht. Nicht mehr, seit dieser einen Nacht.“ „Welcher Nacht?“, hakte Leoni lasziv nach, aber seine Reaktion war nicht so spaßhaft, wie sie es gemeint hatte. Schmerzvoll sah er sie an und schüttelte den Kopf. Versichernd sah sie zu Mimoun. „Was ist denn passiert?“ Ihm entging ihr Unterton nicht. Doch auch ihm war der Spaß vergangen, als Dhaôma diese Momente ansprach. „Etwas, das sich niemals wiederholen wird.“, schmetterte er ihre Frage mit einer bedrückenden Ernsthaftigkeit ab, die sie erst einmal von weiteren Fragen absehen ließ. Er sagte es ihr nicht nur deshalb nicht, weil Dhaôma es nicht wollte. Wie würden die Geflügelten darauf reagieren, sollten sie es erfahren? Um sich von trüben Gedanken abzulenken, streckte er sich neben Dhaôma aus und legte seinen Kopf in dessen Schoß. Mimouns Hand wanderte hoch und streichelte die Wange seines Freundes. „Ich freue mich, dass es dir gut geht.“, murmelte er und schloss die Augen. Er wollte nicht schlafen, wollte einfach nur hier so liegen. „Eine große Schmusekatze.“, stellte Leoni fest, um ihre Unsicherheit und den Moment zu kaschieren. „Wo ist eigentlich die kleine Katze? Ich habe sie heute noch gar nicht gesehen?“ „Ich habe keine Ahnung. Sie wird sich wohl verstecken. Nachts war sie jedenfalls da.“ „Schläft sie bei euch?“ Dhaôma nickte, während er seine Finger dazu brachte, schwarzes Haar zu teilen und die viel hellere Haut darunter zu betrachten. Immer wenn Mimoun in Sorge war, dann wurde er schmusig. Leoni seufzte. „Dann werde ich mich mal auf den Weg machen, Asam zu begrüßen.“ Sie zwinkerte Dhaôma zu. „Wenn ihr später nachkommt, ist alles wieder gut. Du wirst sehen.“ Überwältigt von ihrer Zuversicht, winkte der Magier, bis sie verschwunden war. Wortlos fuhr er fort, Mimoun zu kraulen. Eigentlich wollte er lieber nicht zu Asam gehen. Vielleicht war er noch böse? Schmusekatze? Er war doch keine Schmusekatze. Wie zur Bestätigung versuchte er sich an einem Geräusch, das einem Schnurren recht ähnlich war. Mimoun drehte seinen Kopf ein wenig mehr, damit Dhaôma auch andere Stellen erreichen konnte und entriss sich ihm plötzlich. Er spürte, wie er dösig wurde. Es war einfach beruhigend, wenn die schmalen Finger ihn berührten. Aber er wollte nicht schlafen. „Also. Was machen wir jetzt? Die Kleinen schlafen. Wir können sie also nicht piesacken. Und laut sein dürfen wir auch nicht, sonst wachen sie auf.“ Eigentlich war Dhaôma ganz zufrieden damit gewesen, wie sie hier gesessen hatten, aber wenn Mimoun etwas zu tun brauchte, dann sollten sie vielleicht planen. „Brombeeren pflücken, dann darüber nachdenken, wie die nächsten Tage aussehen.“, sagte er. „Vielleicht sollte ich wieder mit ein paar Magiern reden, während wir auf den Rat warten.“ Überzeugt war er davon nicht, aber er hatte auch das Gefühl, dass es besser für ihn war, wenn er nicht zu lange hier blieb. Egal, was Leoni oder Mimoun gesagt hatten, in ihm brodelte es immer noch. „Nein.“, war die etwas laute, sehr ernste Reaktion des Geflügelten. „Beeren pflücken, ja. Planen, ja. Aber keine Magier. Nimm dir eine Auszeit. Tu einfach mal das, wozu du Lust hast. Setz dich nicht unnötig unter Druck. Wir werden früh genug wieder mit ihnen zu tun haben.“ Seine Finger spielten mit Dhaômas Haaren und er atmete ein paar Mal tief durch. Vielleicht war seine Reaktion ein wenig zu heftig gewesen. „Ich erinnere mich noch sehr gut an die Begegnung mit den Soldaten. Wenn du sagst, du willst mit den Magiern reden, dann gehe ich davon aus, du meinst auch du. Du allein, niemand sonst an deiner Seite. Lulanivilay vielleicht noch, damit er dich hinbringt. Aber ohne Tyiasur wird die nächste Begegnung mit Soldaten nicht so glimpflich verlaufen. Ich möchte nicht, dass du allein zu ihnen gehst, verstehst du?“ „Ja.“ Sein Blick glitt zu den beiden schlafenden Mädchen. Wie viel einfacher war es gewesen, allein zu sein. Zwar auch einsamer, aber er hatte immer tun können, wonach ihm der Sinn stand. „Und wozu habe ich Lust?“, fragte er schließlich an Mimoun gewandt. „Ich bin nicht gut darin, mir etwas auszudenken, was in deinen Augen ungefährlich ist.“ Woher sollte er wissen, was Dhaôma machen wollte? „Also, verboten sind: Treffen mit Magiern, wenn niemand in der Nähe ist, von einer Insel springen, auf einer Lawine reiten, Wasserfallspringen, mit Wölfen anlegen. Ah nein, Moment, das war ich.“ Angestrengt grübelte er über alles nach, was seit der Begegnung mit Dhaôma in minder schweren Katastrophen geendet hatte. Mimoun hatte das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben, und er wollte die Stimmung nicht endgültig ins Negative laufen lassen. „Sonst steht dir alles frei. Ich frage doch nicht umsonst, was du machen willst. Das kann ich dir doch nicht sagen.“ „Ja.“ Und er wusste schon jetzt, dass es eine lange Wartezeit werden würde. Nachdenklich sah er zu seinem Drachenfreund, aber auf den war auch kein Verlass. Ohne Fiamma würde er sich nur dann fortbewegen, wenn es Wärme versprach. Faktisch war er also wieder einmal an einem Ort gefangen. Warum fühlte es sich immer so schrecklich beengend an, wenn er nicht zumindest die Wahl besaß, an welchem Ort er sich aufhielt? Aber wenn er darüber nachdachte, dann war es schon immer so gewesen. Seit er als Kind sein Zimmer nicht verlassen durfte. „Manchmal frage ich mich, ob es dir lieber wäre, ich wäre eine Frau, die zu Hause bleibt und das Feuer hütet.“, murmelte er. Betroffen starrte Mimoun zu Boden. Kam er so rüber? Weil er Dhaôma beschützen wollte? Engte er ihn etwa ein? Dabei wusste er doch, dass Dhaôma seine Freiheit über alles liebte. Der Blick des Geflügelten wanderte zu Dhaôma und er versuchte, sich seinen Freund als Frau vorzustellen. Als kleines Heimchen, das brav Zuhause auf den Gefährten wartete. Es ging nicht. Irgendwie war diese Vorstellung nicht mit dem Magier, der ihm gegenüber saß, vereinbar. „Ist es falsch, dass ich das mir Liebste beschützen möchte?“ Kurz runzelte sich seine Stirn, als er sein Hirn auf der Suche nach dem passenden Wort durchforstete. „Erdrück ich dich?“ Das war es. Nicht wahr? Das war genau das Gefühl, das er manchmal hatte. „Ich freue mich darüber, dass ich dir das Liebste bin.“, stellte er fest. „Aber ich kann nicht aufhören zu leben, nur weil du dir Sorgen machst. Ich kann auch nicht aufhören, meinen Weg zu gehen, nur weil er gefährlich ist. Genauso wenig, wie ich aufhören kann, dich zu lieben, nur weil du mich einschränken willst.“ Er schwieg kurz, dann sah er Mimoun wieder an. „Mach dir keine Sorgen. Bis du zurück bist, werde ich nichts tun. Ich finde etwas, das mich beschäftigt hält.“ Er hatte es gesagt. Auch wenn es nur in einem Nebensatz war. Aber es besserte seine Stimmung kein bisschen. „Du kommst also nicht mit.“, stellte Mimoun leise und resigniert fest. Er hatte es gehofft, aber genauso wusste er auch, dass Silia und Dhaôma zusammen auf einer Insel einfach nicht gut gehen konnte. Es war wohl besser so. Kurz schüttelte er den Kopf. Sie waren vom Grundkonsens abgekommen. „Ich wollte nicht wissen, was die nächsten Tage ist. Das zählt unter planen. Ich wollte wissen, was wir den Rest des Tages machen.“ Dhaôma zuckte mit den Schultern. „Ich werde mich wohl bei Asam entschuldigen. Es wird sonst unerträglich hier.“ Um seine Füße herum begannen die Pflanzen zu Eis zu werden und Tyiasur schloss die Magie wieder ein. Es gab Dhaôma den Rest. Der Druck, der jedes Mal auf seinem mentalen Selbst lastete, wenn Tyiasur die Magie einsperrte, machte ihm sowieso zu schaffen, aber heute fühlte er sich mehr denn je eingesperrt und gefesselt. Er tat einen Schritt zurück, dann holte er tief Luft, griff sich an die Kehle, weil es unerwartet schwer fiel. „Lulanivilay, bitte bring mich zur Ebene. Ich ersticke sonst.“ Wortlos erhob sich der Drache. Da er noch immer sein Geschirr trug, würde es kein Problem geben, wenn er Dhaôma reiten ließ. Und die Reste des Wisents konnte er später essen. „Tut mir Leid, Mimoun. Ich kann den Tag heute mit niemandem mehr verbringen. Kümmere dich bitte darum, dass der Winzling und seine Schwester zu Addar zurückkehren.“ Wie automatisch griffen seine Hände nach dem Leder, er schwang sich hinauf auf den breiten Rücken und Lulanivilay spannte sich. Im nächsten Moment schoss der große Grüne durch die Lederplanen, dass es knallte, erhob sich nach vier ausladenden Sprüngen steil in die Luft. Sie ließen die erschrockenen Hanebito zurück, die ihnen nur nachsehen konnten, als der dunkle Schatten sich zur Erde hinabstürzte. Auf den Ebenen angekommen, stieg Dhaôma ab. Er bat Tyiasur, seine Magie zurückzuziehen, ihn sein zu lassen, wer er war, er bat sie beide zu gehen. Lulanivilay stupste ihn an. „Ruf, wenn du Hilfe brauchst, Freiheit.“, dann zog er sich zurück, kehrte zurück auf die Insel und in seine warme Höhle. Dort saß Mimoun noch immer, reglos, blicklos. Erst die Ankunft des Drachens riss ihn aus seiner Starre. Verständnislos betrachtete er den grünen Leib, sah zu Tyiasur, der sich ins Gestrüpp fallen ließ. Mechanisch erhob er sich und befreite Lulanivilay von dem Tragegurt. Ohne sich seiner Handlungen bewusst zu sein, entzündete er ein Feuer, nachdem er alles brennbare Grünzeug in gefährlicher Reichweite des Kohlebeckens entfernt hatte. Dann hob er die Kinder hoch. Es wurde Zeit, dass er sie zu ihren Eltern brachte. Es gab nicht wenige, die wissen wollte, wohin Dhaôma gegangen war, doch er lief wortlos an ihnen vorbei. Ebenso stumm legte er Addar die kleine Magierin in den Arm und ließ Seren neben ihm weiterschlafen. Die Worte der Anwesenden rauschten, ohne Gehör zu finden, an ihm vorbei. Auf eine Berührung hin, sah er zwar auf, doch sein Blick glitt schnell wieder von der Gestalt ab. Er hatte es nicht einmal als leichte Ohrfeige Xairas registriert. Sein Weg führte ihn nach draußen und zu dem von Dhaôma damals zu neuem Leben erweckten Kirschbaum. Dicht wuchsen Äste und Zweige, dennoch zog er sich soweit ins Innere zurück, bis seine eng anliegenden Flügel ein Weiterkommen unmöglich machten. Ganz eng schlangen sich seine Arme um seine Knie und sein Kopf bettete sich darauf. Die Rufe der Kinder erreichten ihn nicht. Er wollte nicht spielen, er wollte keine Gesellschaft. Nur Dhaôma wollte er, aber diesen hatte er schwer verletzt. Hatte er überhaupt das Recht, an seiner Seite zu sein, wenn er es nicht schaffte ihn glücklich zu machen? -------------------------- Sie sind allesamt Idioten *schmoll* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)