Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 62: Kursänderung ------------------------ Kapitel 62 Kursänderung Ihre Reise verlief angenehm. Sie besuchten unterwegs noch eine kleinere Magiersiedlung. Diesmal waren Juuro und Xaira wie angekündigt dabei. Auch hier gab es Verwirrung, Verblüffung, Entsetzen und Unglauben, als ihnen alle Fakten und die gesamte Geschichte präsentiert wurden. Aber sie konnten nicht lange bleiben. Der Weg der kleinen Reisegruppe würde sie weiterführen in Magiergebiet und jede Minute des Rastens inmitten einer Magierstadt konnte die Drachenjägertruppe auf den Plan rufen. Und darauf hatte keiner von ihnen Lust. Einen Tag später machten sie in einem kleinen Waldstück Rast. Es war das erste Mal, dass sie ihre eigenen Vorräte anrührten, da sie von Magiern bisher gut durchgefüttert worden waren. Kaum hatte Juuro die Vorratstasche geöffnet, wich er zurück. „Was zum…?“ Ein scharfer Gestank strömte aus der Tasche. „Was ist denn?“, wollte Xaira wissen und rümpfte die Nase. Das war Raubtierurin, ganz eindeutig. „Wir haben wohl einen unerlaubten Mitreisenden.“ Sie packte die Tasche und drehte sie um. Heraus fielen Essensreste, Lederfetzen, Kot und eine Katze, die fauchend auf den Füßen landete. Einmal blinzelte sie, dann stob sie davon, direkt auf Dhaômas Schultern, wobei sie einige Löcher in Kleidung und Haut hinterließ. Von dort oben blickte sie bedacht auf sie. „Kitty?“ Sie sah Dhaôma an und ignorierte ihn dann. „Sieht so aus, als wären unsere Vorräte unbrauchbar.“, knurrte Xaira und warf den Beutel in den vorbei fließenden Bach, damit er sauber gespült wurde. „Was willst du hier, du nutzloses Vieh? Wir ziehen in den Krieg, selbst dir müsste klar sein, was das bedeutet!“ „Hast du überhaupt nicht nachgedacht? Deine Eltern und Freunde werden sich große Sorgen machen.“, stimmte Mimoun zu und kratzte sich am Kopf. Na wunderbar. Was nun? Er könnte zwar alleine zurückfliegen und sie nach Hause bringen, aber das würde mehrere Tage dauern und sie ließ sich von ihm nicht anfassen. Und mitnehmen ging nicht, wie Xaira gerade treffend formuliert hatte. Hier lassen aber ebenso wenig. Entschieden schüttelte er den Kopf. „Kannst du bitte ein wenig Fisch für uns suchen?“, bat er seinen Drachen und wandte sich an Dhaôma. „Und du lässt bitte ein wenig Obst wachsen. Wir müssen unsere Vorräte wieder aufstocken. Und was mit dir wird…“ Mimoun fixierte die Katze sehr ernst. „…darüber reden wir noch.“ Tyiasur verschwand bereits in den Fluten, da fiel Mimoun etwas ein. „Die Drachen hatten mich doch auch über sehr große Entfernung gerufen. Jetzt ist es nicht ganz so weit. Sie könnten Bescheid sagen.“ Lulanivilay starrte nur auf die Katze und wandte sich dann desinteressiert ab. Er hatte sie schon kurz nach dem Start bei dem Holzhaus gerochen, aber ihm war es einfach egal, ob sie da war oder nicht. Es war ihre freie Entscheidung. Und Dhaôma begann zu lachen. „Du wolltest nicht mehr in dem Haus sein? Es ist doch schön dort.“ Sie rieb ihr Köpfchen an ihm. „Was willst du denn machen, wenn Gefahr droht? Du weißt doch, wie Magier sein können, oder?“ Ihr Schwanz schlug. „Wir bringen dich wieder nach Hause. Gleich morgen.“ Sie sprach von seiner Schulter und verschwand in einem Dickicht. „Was nun? Hab ich sie verschreckt?“, fragte der Braunhaarige bekümmert. „Glaub ich nicht. Es sah mehr so aus, als hätte sie dich gar nicht verstanden.“ Noch immer raschelte es im Gebüsch. „Aber mitnehmen geht doch nicht.“, sagte Xaira unglücklich. „Und es ist viel zu gefährlich mit den Drachen das Gebiet zweimal zu überfliegen. Wer weiß, wo die Jäger inzwischen sind.“ „Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als sie mitzunehmen.“, kicherte Dhaôma. „Ich an ihrer Stelle hätte das als Kind auch gemacht, wenn ich gekonnt hätte.“ Soviel zum Thema, darüber reden wir noch. Dhaôma hatte es einfach entschieden. „Dann hätten wir Keithlyn auch mitnehmen können. Das wird kein Spaziergang, Dhaôma. Wir können nicht ständig auf sie aufpassen. Wir brauchen einen Ort, wo wir sie sicher unterbringen, bis wir sie wieder abholen. Mitnehmen kommt nicht in Frage.“ „Ai?“ Dabei war er davon ausgegangen, dass sie Keithlyn unter anderem wegen ihrem Gewicht nicht mitgenommen hatten und damit sie nicht von Magiern gefangen genommen wurde. Laut der Halblinge waren weibliche Hanebito selten zu fassen zu kriegen und sehr begehrt. „Willst du zurück? Wir bringen damit nicht nur uns in Gefahr, wenn wir zweimal an der gleichen Stelle im Wald, wo nichts ist, landen.“ „Dessen bin ich mir durchaus bewusst.“ Er verschränkte die Arme und betrachtete das Gebüsch, in dem die kleine Katze verschwunden war. „Darum sagte ich ja, dass Tyiasur ihnen Bescheid geben soll, dass sie wohlauf ist, und wir einen sicheren Ort für sie brauchen.“ Besagter Drache brachte gerade den ersten Fisch ans Ufer. Und sofort zog er sich selbst mit an Land. „Kalt.“, stellte er simpel fest. „Ah. Tut mir Leid.“ Das hatte Mimoun natürlich nicht bedacht. Das Wasser war zwar nicht mehr gefroren, musste aber dennoch noch empfindlich kühl sein. Sanft schlossen sich seine Hände um den schlanken Leib und schob ihn unter sein Hemd. Seit er den Drachen hatte, fiel es weiter aus, damit er in höheren, kälteren Luftschichten einen warmen Rückzugsort hatte. Zischend zog der Geflügelte die Luft ein. Wirklich kalt. In dem Moment kam auch die Katze zurück. In ihren Fängen hatte sie eine Ratte und legte sie fast feierlich vor Dhaôma auf den Boden. Große gelbe Augen sahen ihn an. „Ist das für mich?“, fragte der Magier und sie sah fort, verschwand wieder im Gebüsch. „Was sagt man dazu? Ich will das nicht essen.“ Die Ratte sah wirklich nicht mehr sehr appetitlich aus. Ihre Gedärme hingen heraus. „Okay, lassen wir es fürs erste gut sein. Vielleicht können wir ja doch noch bei den Hanebito vorbeifliegen und sie dort lassen.“, schlug Volta vor. „Und wir sollten sie ohnehin noch warnen wegen der Halblinge, nicht wahr? Wir könnten bei ihnen immerhin erreichen, dass sie oben in ihren Höhlen bleiben und nicht mehr kämpfen.“ „Hanebito leben nicht in Höhlen.“, korrigierte ihn Dhaôma sofort. „Trotzdem wäre es hilfreich, wenn sie sich vorerst nicht mehr bei den Magiern blicken ließen.“ „Das ist nicht so einfach. Sie müssen jagen, um zu überleben.“ „Reden wir mit ihnen. Vielleicht können sie sich etwas überlegen.“ „Also fliegen wir jetzt in Richtung Sonnenaufgang?“, wollte Dhaôma wissen. Er betrachtete immer noch die eklige Ratte. Ratten. Das weckte Erinnerungen. Der Geflügelte knuffte den Magier in die Seite. „Komm schon. Es ist ein Geschenk und du müsstest ihn doch noch kennen, den Geschmack von Ratten. Gut durch konnte man sie fast essen.“, lachte er, während seine Hände an der Beule vor seinem Bauch entlang strichen. Er wirkte fast schwanger. Aber sein Gesicht wurde ernster. „Wir können nicht zu einem X-beliebigen gehen. Es muss einer vom Rat sein. Jemand, der ohnehin schon auf unserer Seite steht und der unsere Geschichte glaubt und sicher weiterverbreiten wird. Addar, Asam, Kaley… das sind die, denen ich am meisten vertraue. Aber sie sind soweit weg derzeit.“ „Ich weiß.“ Dhaôma nickte, beschloss dann aber, die Ratte in Ehren dort liegen zu lassen und wandte sich ruckartig ab. „Ich weiß, dass sie weit weg sind. Aber was willst du mit ihr machen? Sie zurücklassen? Aussetzen? Du müsstest dir vorstellen können, wie es sich anfühlt, zurückgelassen zu werden von demjenigen, den man gern hat. Es ist auch nicht gesagt, dass man sie dann nicht doch einzieht, um ihre Fähigkeiten zu nutzen. Und dabeihaben willst du sie auch nicht. Ich meine, du hast ja Recht, sie ist im Weg, aber…“ Er verstummte und strich sich durch das Haar. „Ich werde mit ihr reden.“, sagte er schwerfällig. Damit wandte er sich ab und hielt auf das Gebüsch zu, in dem sie verschwunden war. Weit kam Dhaôma nicht. Mimoun schlang ihm von hinten die Arme um den Bauch und zog ihn fest an sich, vergessend, dass noch immer Tyiasur unter seinem Hemd steckte. Fauchend und zischend wand sich dieser hervor und verzog sich in einen der Körbe. „Es tut weh.“ Dhaôma hatte ihn darum gebeten alles zu erklären, damit er verstehen konnte, also würde er das tun. „Es tut weh, wenn du mit mir schimpfst, obwohl es keinen Grund dafür gibt.“, nuschelte er in die braunen Haare. „Ich habe doch nie davon gesprochen, sie auszusetzen. Hältst du mich wirklich für so ein Monster? Ich will die Kleine doch nur nicht in Gefahr bringen.“ Das hatte er nicht erreichen wollen. Er wollte nicht, dass sich Mimoun schlecht fühlte, aber irgendwie schaffte er es immer wieder. „Verzeih.“, murmelte er leise. Hinter ihnen rollte Xaira mit den Augen und wies Volta an, Feuerholz zu sammeln, während sie und Juuro jagen gingen. Das würde ja was werden. Dhaôma hatte eh längst gewonnen, also war das nur noch eine Sache der Zeit, bis Mimoun es begriff. Entweder sie nahmen die Katze mit oder sie brachten sie zu den Hanebito. Mit einem stummen Nicken wurde Dhaômas Entschuldigung zur Kenntnis genommen. Länger als nötig hielt Mimoun ihn umschlungen, bevor er ihn von sich schob und mit einem Klaps auf den Hintern in die richtige Richtung schob. „Na los. Rede mit ihr. Und ich bitte derweil Tyiasur um eine Nachrichtenübermittlung.“ Und damit wandte er sich ab. Sein kleiner Freund war schnell gefunden und auch bereit, Kittys Familie Bescheid zu geben, was er mithilfe von Lulanivilay auch sofort tat. Nüchtern gab er bekannt, dass man sich über seine plötzliche Anwesenheit in ihren Köpfen erschrocken habe und dass sie sich bereits Sorgen gemacht hätten, da sie unauffindbar war. Es beruhigte sie zumindest zu wissen, wo sie steckte, und man wollte gerne wissen, wie es jetzt weiter gehen sollte. Mimoun ließ den Drachen ausrichten, dass man das selber noch nicht wusste und sie sich später erneut melden würden. Dhaômas Aufgabe war nicht so einfach. Er rief sie, aber sie war weg. Seufzend ließ er sich auf einen umgefallenen Baum sinken und starrte auf den Boden, wo langsam aber sicher Triebe wuchsen. Natürlich, sein Energienproblem war noch nicht gelöst, er schleppte lauter Leute in den Krieg und Mimoun war wegen ihm auch in Gefahr. Er war so nutzlos, dass er fast daran erstickte. Bau dir eine Grundlage auf und setze deine Prioritäten richtig, hatte Addar gesagt, aber was tat er? Er suchte sich den kürzesten Weg, weil die Zeit knapp wurde und missachtete damit alles, was er gelernt hatte. „Verdammt!“, zischte er und schlug mit der Faust auf den Baumstumpf, woraufhin etliche Samen auf einmal in die Höhe schossen, aufblühten und seinen Arm einwickelten. Es brachte ihn zum Lachen. Er war so mächtig und konnte doch nichts richtig machen. Als Kitty ihn wieder fand, hatte er den gesamten Baumstumpf in ein Kunstwerk verwandelt. Ihre Katzenaugen betrachteten sich das, bevor sie langsam wieder menschlicher wurde. Sie hielt ihm eine Eidechse entgegen und er lachte. „Ich brauche das nicht. Du kannst es essen.“ Sie tat es. „Kitty, warum bist du mitgekommen?“ Sie zeigte auf ihn. „Weil ich da bin?“ Ein Nicken bestätigte das. „Aber im Krieg ist es gefährlich. Du bist in Gefahr, wenn du bei uns bist. Jederzeit könnten wir angegriffen werden.“ Ihr Finger stupste gegen seinen Unterarm. „Ja, ich kann auch verletzt oder getötet werden, aber ich kann mich besser schützen als du.“ Ihre gelben Augen starrten ihn an und er seufzte. „Könntest du von hier den Weg nach Hause zurückfinden?“ Sie schüttelte den Kopf. „Auch nicht, wenn ich verspreche, dich abzuholen, wenn alles vorbei ist?“ Wieder verneinte sie und er gab auf. „Und was soll ich jetzt machen? Mimoun ist böse auf mich, weil ich dich mitnehmen werde.“ Kittys kleine Hand streichelte über seinen Kopf, aber das bedeutete nicht, dass sie für ihn darauf verzichten würde, ihn zu begleiten. Sie lächelte nur dankbar. „Können wir uns darauf einigen, dass du dich aus Kämpfen heraushältst und dich in deiner Katzenform versteckst und niemandem zeigst, dass du eigentlich eine Magierin bist? Vielleicht interessierst du sie dann nicht und bleibst unbemerkt.“ Fröhlich nickte sie und er seufzte. „Ich verstehe dich ganz und gar nicht.“ Aber auch das störte sie nicht, wie es schien. Sie hatte begonnen, mit den Blümchen zu spielen, die um diese Jahreszeit einfach noch nicht blühen sollten. Volta kam vor Dhaôma zurück und seufzte nur. „Er ist nicht sehr gut darin, nein zu sagen, oder?“, fragte er Mimoun. „Du hättest das hören müssen. Hoffnungslos weichherzig.“ Ein Nicken war die einzige Antwort. Ein leises Lächeln folgte. „Also haben wir jetzt eine Katze mit dabei.“ Ein Blick zu Tyiasur reichte, damit dieser die Information und das Versprechen, auf sie aufzupassen, weiterleiten konnte. Mimoun streckte sich auf der kalten Erde aus und sah in den Himmel. Seine Augen folgten dem Flug der Wolken. Er wusste nicht, wie lange er dalag, wusste nicht zu sagen, was er dachte, aber seine Gedanken kreisten um ihre derzeitige Situation. Manchmal wirkte es so als würde dieser Magier nicht nachdenken. Was sollten sie nun mit diesem Kind anfangen? Sie mussten ständig auf sie aufpassen. Sie bedeutete nur Gewicht und einen weiteren Esser und war kein bisschen hilfreich bei ihrer Mission. Vielleicht sollte er Dhaôma beibringen, nein zu sagen. Obwohl ihm das bei den Plagen aus Mimouns Dorf gut geglückt war. Und Amar hatte sich auch aufhalten lassen. Konnte Dhaôma sich vielleicht nur bei Magierkindern nicht durchsetzen? Oder lag es daran, dass sie nur bei ihm so anhänglich und kuschelig war. Wenn sie doch sonst niemanden so an sich ranließ. Hatte der Magier Kitty etwa unbewusst schon adoptiert? Himmel, so eine Tochter wünschte sich echt jeder. Das würde dann ‚Mama’ ausbügeln dürfen. Als Dhaôma zurückkam, hatten die anderen bereits Feuer gemacht und etwas zu Essen organisiert. Er selbst hatte sich ein wenig verausgabt, weil er wieder ohne Lulanivilay Magie gewirkt hatte, also würde es kein Obst oder Gemüse geben bis auf ein paar Beeren, die er von seinem Kunstwerk mitgenommen hatte. Kitty war wieder eine Katze. Offenbar hielt sie sich an ihr Versprechen. Dennoch ignorierte sie alle anderen, als wären sie gar nicht da. „Warum ich?“, murmelte Dhaôma, bevor er sich zu Mimoun setzte. „Verloren.“, erklärte er ihm zerknirscht. „Es tut mir Leid.“ „Ich weiß.“, lächelte Mimoun still. Er hatte nur kurz zu Dhaôma gesehen, als dieser sich niederließ, und starrte nun wieder in den Himmel. „Mama sollte lernen sich gegen ihren Nachwuchs durchzusetzen, sonst tanzen sie uns bald alle auf der Nase herum.“ Kurz strich er ihm lächelnd über die Wange. „Hältst du es wirklich für klug, sie mitzunehmen? Krieg ist nichts, was man einem Kind antun sollte.“ „Nein. Es ist nicht klug, aber…“ Hilflos zuckte er mit den Schultern, sagte nicht einmal was gegen das Mama, das er sonst immer vehement ablehnte. „In Ordnung. Wir wissen alle, dass du immer ja sagst, soweit ich es beurteilen kann, also kommt jetzt essen. Wenn nicht, werden wir auch die noch rohen Stücke grillen.“, drohte Xaira und bekam damit die Aufmerksamkeit. „Das wäre gemein.“, bemerkte Dhaôma und erhob sich wieder. „Ich glaub nicht, dass du dich mit Vilay anlegen willst.“, stellte Mimoun ungerührt fest und betrachtete die Frau, indem er seinen Hals überstreckte. Gegrilltes zählte nicht zu seinen Lieblingsspeisen, war aber auch nichts, was er ablehnen würde. Trotz allem folgte er Dhaôma und sie ließen sich am Feuer nieder. Obwohl Mimoun hier ausreichend Leckerbissen vorgesetzt bekam, kaute er nur lustlos darauf herum. Sein Blick wanderte immer wieder zu der kleinen Katze, die es sich auf Dhaômas Schoss gemütlich gemacht hatte. Er spürte eine Berührung und betrachtete Tyiasur, der es sich mit seinem selbst erbeuteten Fisch auf Mimouns Schoss bequem gemacht hatte. Kurz warf ihm der Wasserdrache einen abschätzigen Blick zu und futterte ungerührt weiter. Das hieß wohl, er solle sich nicht so viele Gedanken machen. Kichernd strich er ihm über den Kopf. In dieser Nacht schien der Mond hell und erschwerte Dhaôma das Schlafen zusätzlich. Die Situation, in der sie sich befanden, gefiel ihm nicht. Im Grunde waren sie gerade dabei, ohne Plan einfach drauflos zu rennen. Zwar war ihm das nicht wirklich zuwider, hatte er das schließlich vorgeschlagen, aber es gefiel ihm nicht, dass sie damit so schutzlos waren. Seitdem die Sache mit Kitty aufgekommen war, fühlte er sich, als wären sie eingekesselt, als stünden sie auf einem Silbertablett, über dem Radarr aufragte. Nein, im Grunde ging das schon so, seit sie wussten, dass Radarr Jagd auf die Drachen machten. Er hatte Angst um sie. Schweigend erhob er sich, betrachtete kurz Mimoun, der im Gegensatz zu ihm genügend körperliche Bewegung bekam und deshalb meist sehr tief schlief, dann setzte er sich auf Lulanivilays andere Seite und betrachtete die komplizierten, rotgrünen Muster auf dem Flügel, den dieser reflexartig zum Schutz vor der Kälte vor ihn gespannt hatte. „Du bereust, Freiheit.“, stellte der Drache fest. „Was?“ „Ich habe Angst.“ „Man kann es sehen.“ „Ist das so?“ Seufzend legte er den Kopf in den Nacken und betrachtete den beinahe vollen Mond. „Sag mir, was ich tun soll. Was würdest du machen?“ „Zum Meer fliegen und große Fische jagen.“, antwortete der Drache mit gedämpfter Stimme. Er wollte niemanden wecken. „Aber das ist nicht dein Wunsch. Du willst, dass sie alle leben.“ „Ist das falsch?“ „Nein, nur schwer.“ „Was soll ich also tun?“ „Ich kann dir nicht sagen, was du tun willst. Du musst alleine darauf kommen.“ Schwer schloss der junge Mann die Augen und gab sich dieser massiven Verantwortung hin, bis er plötzlich die Augen öffnete. „Kannst du dich bewegen, Vilay?“ „Sicher.“ „Lass uns fliegen. Wie früher.“ „Himmel wird sich Sorgen machen.“ „Tyiasur kann ihm sagen, dass alles okay ist. Bitte.“ Als hätte Lulanivilay jemals etwas dagegen, zu fliegen. Leise trottete er weg vom Lager, bevor er startete. Es dauerte einige Zeit, bis sich Dhaômas Mütchen so weit abkühlte, bis er wieder klar denken konnte. Unter ihnen war dichter Wald, kleinere Flüsse und wie winzige Glühwürmchen verteilt die Siedlungen, die man ohne ihre Feuer kaum wahrgenommen hätte. Über ihm waren der Mond und die Sterne und winzige Wolken. Es war vollkommen still bis auf das Pfeifen des Windes. „Ich weiß, warum du Angst hast.“, meinte Lulanivilay irgendwann. „Jetzt gerade hast du keine.“ Schweigend ließ Dhaôma seine Augen durch die Nacht schweifen. „Ich weiß es auch.“, sagte er. „Aber daran lässt sich zurzeit nichts ändern.“ „Es wird besser, wenn du wieder frei bist. Es dauert sicher nicht mehr allzu lange.“ „Oder länger. Vilay, geh mal runter. Vorsichtig.“ Er hatte etwas gesehen, das ihn beunruhigte. Viele kleine Feuer. Als sie näher waren, erkannte er, dass es sich um ein Lager handelte. Ein Lager auf einer Lichtung, darum herum Soldaten in ihrer Kriegeruniform. War es Radarrs Stützpunkt? Waren sie gefunden worden? Hatte man auf sie gewartet? „Wir fliegen zurück.“ „Soll ich sie einfach einsammeln?“ „Nein, das ist nicht nett. Wir warnen sie vor und legen dein Geschirr an, sonst falle ich am Ende hier noch runter.“ Lulanivilay machte ein Geräusch, als fände er es lustig. „Ich fange dich auf.“ Aber weil er sie eben nicht handgreiflich aus dem Schlaf reißen durfte, machte er aus seiner Landung auch keinen Hehl. Er bretterte durch ein paar Äste, hinterließ einige tiefe Furchen auf dem Boden und peitschte einmal mit dem Schwanz hinterher, so dass sie allein von dem Krach schon auf den Füßen standen. „Was zum…?“, fluchte Mimoun ungehemmt und erfasste blitzschnell die Situation. Dhaôma saß auf Lulanivilays Rücken und den Spuren zu urteilen war der Drache gerade gelandet. Das hieß im Umkehrschluss, dass Dhaôma weg gewesen war. Ohne Bescheid zu geben. „Wo warst du?“, verlangte er schärfer als nötig zu erfahren. Sie befanden sich auf Kriegsgebiet. Der Magier konnte doch nicht so einfach herumstromern, wenn ihm der Sinn danach stand. „Ich musste meinen Kopf frei bekommen und über meinen Horizont sehen, um zu verstehen, dass ich mich selbst fange.“, gab Dhaôma zur Antwort, dann wandte er sich an die anderen. „Wir fliegen morgen in die Steppe oder direkt zu den Hanebito. Die Armee liegt auf der Lauer und wartet nur auf uns. Wir haben sie gesehen, nicht einmal eine Flugstunde von hier entfernt.“ Es war noch mitten in der Nacht, wie ein Blick in die Umgebung bewies. Knirschend mahlten Mimouns Zähne aufeinander. Auch wenn sich eine Flugstunde nicht viel anhörte, war es doch eine gewisse Strecke, die die Magier zu bewältigen hatten. Also konnten sie noch ein wenig Kraft schöpfen. Auch wenn es ihm nicht behagte, hier in der Nähe von feindlich gesinnten Magiern zu nächtigen. Und die Frage war: ruhten sie auch oder kamen sie ihnen immer näher? „Volta. Xaira. Könnte ich euch darum bitten, wach zu bleiben? Wir können jetzt noch nicht los, es ist zu dunkel und ich muss selber fliegen.“ „Und wir können uns während des Fluges in den Körben ausruhen.“, machte Volta deutlich, dass er verstanden hatte, worauf Mimoun hinaus wollte. „Natürlich bleibe ich wach.“ Dankbar nickend wandte sich der Geflügelte seinem Freund zu. „Sag mir doch wenigstens Bescheid. Was ist, wenn du eines Tages nicht mehr von so einer Aktion zurückkommst?“, bat er sanft. „Ich weiß, dass du mit Lulanivilay unterwegs warst und ich vertraue ihm voll und ganz, aber unsere Gegner sind darauf aus, Drachen zu töten.“ „Damit du nicht schlafen kannst und dich sorgst? Oder am Ende mitkommst? Ich brauchte Zeit für mich. Ohne diese vielen Leute um mich herum. Und ich wollte dich auch nicht vor den Kopf stoßen.“ Vorsichtig rutschte er von dem Drachen herunter, da sie offenbar beschlossen hatten, noch ein wenig zu bleiben. „Du warst so müde, dass du nicht einmal gemerkt hast, dass ich aufgestanden bin, obwohl du sonst immer reagierst.“ Traurig senkte er den Blick. „Ich mache dir keine Vorwürfe deswegen, jeder braucht mal Zeit für sich, aber…“ Mimoun schwieg. Was hätte er auch sagen sollen? Er verstand Dhaômas Standpunkt durchaus. Aber verstand Dhaôma auch, wie er sich fühlte? Vorsichtig, fast ängstlich nahm Mimoun die Hand seines Freundes und zog ihn auf den Boden. Dieser hatte Recht gehabt. Der Geflügelte war müde und eine Diskussion würde nur Kraft und Nerven kosten. Seufzend schloss Mimoun die Augen. Er zog den Magier nicht in eine Umarmung, sondern hielt nur dessen Hand fast krampfhaft fest. Lächelnd begann Dhaôma die Hand zu streicheln, erst mit dem freien Daumen, dann mit der freien Hand. Irgendwann ging er dazu über, sein Haar zu streicheln. Lulanivilay rollte sich um sie herum wie eine Mauer und irgendwann spürte Dhaôma die Katze in seinen Kniekehlen. Wortlos streichelte er Mimoun weiter, um ihm zu versichern, dass er da war, dass er nicht mehr fort ging. Er konnte nicht schlafen. Jede dieser streichelnden Berührungen wollte er spüren und in sich bewahren. Mimoun hatte Angst, dass Dhaôma eines Tages ohne ein Wort verschwand und nie wieder zurückkehrte. Zwar konnte er noch ein wenig Schlaf finden in dieser Nacht, doch erholt fühlte er sich nicht. Aber das war egal. Sie mussten von hier verschwinden und zwar so schnell es ging. Während des Fluges, der sie schon seit Stunden Richtung Steppe führte, wurde Mimoun immer ruhiger. Immer häufiger verfiel er in eine Art Segelflug, um Kraft zu sparen. Eine Pause konnten sie sich aber nicht leisten, also biss er die Zähne zusammen. Mit geschlossenen Augen lauschte er dem Wind, als ihn ein kräftiger Druck, wieder wach rüttelte. Erschrocken blinzelte er Lulanivilay an. „Du bist immer tiefer gegangen.“, erklärte Volta. „Bist du in Ordnung?“ Der Blick der grünen Augen löste sich von dem großen Drachen und irrte zu dem Halbling hinüber. „Natürlich. Ich war mit meinen Gedanken nur woanders.“, grinste Mimoun. „Und zwar auf dem Weg ins Traumland.“, merkte Xaira an. „Machen wir eine Pause.“ Auch Dhaôma hatte das mit Erschrecken bemerkt und nun suchte er mit den Augen einen Ort, der ihnen einen gewissen Schutz geben konnte. Sie hatten regelrechtes Glück, dass in dem Fluss, dem sie schon seit einiger Zeit folgten, eine Insel zu sein schien, groß genug für viele Bäume, die ihnen Deckung geben würden. „Da unten.“, sagte er und zeigte hinunter. Die Pause dauerte bis zum nächsten Morgen. Juuros Einschätzung nach waren die Magier nicht einmal halb so weit gekommen wie sie. Und vermutlich waren sie in die falsche Richtung gelaufen. Im Grunde mussten sie sich Dank Lulanivilay nicht hetzen. Also beschlossen sie, die nächste Magierstadt auch aufzusuchen, um ihren ursprünglichen Plan nicht zu vernachlässigen. Zwei Tage später stießen sie auf eine recht große Stadt und aufgeschlossene Anführer, die ihnen geduldig zuhörten. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als der große Saal, in dem sie sich alle befanden, gestürmt wurde. Tyiasur hatte sie gerade noch rechtzeitig warnen können, hatte einen ungeduldigen Gedanken von außerhalb des Raumes erhascht, denn die Zuhörerschaft hatte das nicht kommen sehen. Herein kamen Soldaten. Genug, um sie alle zu töten, aber zum Glück reagierten die Drachen sofort. Tyiasur stoppte die Magie, Lulanivilay unterstützte den kleinen Blauen und bei den Soldaten brach augenblicklich Panik aus. Einem solch großen Drachen entgegenzustehen und keine Magie zur Verfügung zu haben, war der Alptraum aus ihren schlaflosen Nächten. Schon wollte Lulanivilay sie vernichten, da zog Dhaôma an einer seiner Krallen. „Wir gehen.“, beschloss er mit fester Stimme. „Keinen Kampf!“ „Aber Dhaôma, sie sind doch hilflos!“, rief Volta und wurde im nächsten Moment von Xaira in einen der Körbe geschupst. „Wir können sie alle besiegen!“ Lulanivilay gehorchte schon, breitete seine Flügel aus und die Holzdecke zersplitterte unter dem Druck seines massiven Kopfes. „Draußen sind noch mehr Magier.“, warnte sie Tyiasur, während Splitter auf sie niedergingen. „Wärst du auf einen solchen Sieg etwa stolz?“, fauchte Mimoun den jungen Halbling wütend an und kämpfte sich durch die herabregnenden Trümmer nach oben. „Wir wollten Frieden bringen und nicht weiteres Leid und Zerstörung. Wenn du das noch nicht begriffen hast, bist du hier definitiv falsch!“ Der Geflügelte ließ sich auf dem Rand des zerstörten Daches nieder und betrachtete sich Stirn runzelnd die Szene. Da waren Soldaten, die verzweifelt versuchten, ihre Magie zu wirken. Wieder andere versuchten den unangenehmen Druck auf ihrem Körper durch Kratzen loszuwerden. Und dann gab es noch solche, die sich davon nicht hindern ließen. Ein Stein streifte ihn am Unterschenkel. Der Nächste war besser gezielt, auf die Entfernung aber ohne Wirkung. Es war erstaunlich, wie einfach er über solch eine Aktion hinweg sehen konnte, wenn es ihn selbst betraf und nicht Dhaôma. Früher hätte es ihm in den Fingern gejuckt, diesen Idioten die Leviten zu lesen, heute nicht mehr. Heute drehte er ihnen demonstrativ den Rücken zu und schwang sich in die Lüfte. Wo war Dhaôma? Wo waren Lulanivilay und die anderen? War Kitty bei ihnen? Lulanivilay hatte ein paar Mal mit den Flügeln geschlagen und hatte schnell an Höhe gewonnen. Er tobte innerlich, man konnte es spüren, wenn man ihn berührte. Ebenso wie Juuro, dessen starke Arme Dhaôma bald den Bauch eindrückten. Unter ihnen war es zu Schlägereien gekommen – Magier gegen Magier. „Es sieht so aus, als wollen die einen uns verteidigen. Die anderen wollen uns wohl vernichten.“ „Das da unten sind Männer meines Bruders.“, sagte Dhaôma leise, so dass im Grunde nur Juuro ihn hören konnte. „Woher weißt du das?“ „Die roten Bänder an den Armen. Das ist das Zeichen seiner Einheit.“ Dhaôma wandte sich ab. „Mimoun, bist du verletzt? Ist Tyiasur bei dir?“ Was? Dhaôma brauchte doch noch die Hilfe des kleinen Wasserdrachens. Also war er wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Tyiasur bei dem Magier blieb. Aber wenn er nicht dort war… Mimoun Herz setzte einen Schlag aus und panisch begann sein Blick das Trümmerfeld unter ihnen abzusuchen. Nichts. Nichts Blaues war zu sehen. War er begraben worden? Nein. Sonst würde seine Kraft nicht mehr wirken. Aber wo steckte er dann? „Mach dir nicht ins Hemd.“ Ernsthaft wütend wandte sich Mimoun Xaira zu. Sie konnte doch nicht verstehen, wie er sich fühlte, weil er seinen Drachen… Sie saß nicht in dem Korb, sondern hing halb draußen, sich krampfhaft mit einer Hand festklammernd. Die andere hatte sie halb über ihren Kopf erhoben. An ihr sickerte Blut entlang, das aus kleinen Wunden tropfte, die die vor Schreck aufgerichteten Stacheln des kleinen Drachens verursacht hatten, der kopfüber in ihrer Hand baumelte. Tiefe Erleichterung ergriff den Geflügelten. „Es tut mir Leid. Es tut mir Leid.“, beteuerte er immer wieder, als Tyiasur auf die Schultern seines Reiters überwechselte. Im selben Atemzug begriff Mimoun auch, warum Xaira keinen Versuch startete, in ihren Korb zu klettern. Er war belegt und wurde verteidigt. Einen beherzten Griff und tiefe Kratzer später saß die kleine Katze in der einstmaligen Vorratstasche, die zu ihrem Transportmittel geworden war. Nun war der Weg für Xaira frei. „Lasst uns von hier verschwinden. Je eher wir weg sind, desto eher hören hoffentlich die Prügeleien auf. Tyiasur. Bitte blockiere die Magie so lange wie möglich, damit sie sich keine ernsthaften Verletzungen zufügen können.“ Einen schmerzhaften Kopfstoß später stimmte der kleine Drache seinem Wunsch zu. Ja. Den hatte er wirklich verdient. „Tyiasur, kannst du ihnen bitte vermitteln, was ich sagen will?“, rief Dhaôma, nachdem auch er sich ein wenig von dem Schreck, ihn womöglich verloren zu haben, beruhigt hatte. „Allen oder nur den Kriegern?“ „Alle, die du erreichen kannst.“ „Das sind nicht viele. Es ist anstrengend so viele Magier auf einmal aufzuhalten. Außerdem kann ich dann die Magie nicht mehr stoppen.“ „Das ist in Ordnung. Sag ihnen bitte, dass es schade ist, dass sie so versessen auf Krieg sind. Und vermittle ihnen meinen Dank, dass sie uns helfen. Sie sollen wenn möglich niemanden töten, denn damit ist niemandem geholfen.“ „Du bist ein Träumer, Freiheit.“, mischte sich Lulanivilay ein, was Dhaôma zum Lächeln brachte. „Würdest du ihn bitte dabei unterstützen, damit er mehr Menschen erreichen kann?“ „Sicher.“ Kurz darauf kehrte bei den Magiern für einen unheimlichen Moment Stille ein, bevor lautes Rufen zu ihnen heraufhallte. Einige schienen enthusiastisch ihre Hilfsbereitschaft anzubieten, andere verfluchten sie und ein paar versuchten sie magisch anzugreifen, aber ihre Zielgenauigkeit wurde von den Friedensunterstützern gestört. Dhaôma lachte frei heraus. „Ihr werdet es schon noch begreifen!“, rief er und winkte und Tyiasur übersetzte auch das. Dann geriet die Stadt außer Sicht. Mimoun wünschte sich gerade in die Sicherheit seines Volkes. Da wusste er zumindest, dass die, die er liebte, sicher waren und nicht jeden Moment befürchten mussten, angegriffen zu werden. Niemand konnte sagen, was geschehen wäre, wären die Drachen nicht bei ihnen gewesen. Dankbar drückte er seine Wange gegen Tyiasurs Kopf. Aber vielleicht wäre es eher so gewesen, dass sie gar nicht erst diese Stadt betreten hätten. „Ehrlich? Diese Soldaten gehen mir gerade gehörig auf die Eier.“, maulte er frei heraus. Sie flogen weiter, so schnell sie konnten. Xaira schimpfte mit Volta wegen seiner Uneinsichtigkeit im Bezug auf das Töten. Irgendwie schaffte sie es, dass er ein schlechtes Gewissen hatte, aber ob er einsichtig war, blieb abzuwarten. Sie konnten die Steppe schon sehen, als sie ein paar Tage später eine weitere Stadt anflogen. Lange hatten sie diskutiert, ob sie das Risiko eingehen sollten, aber Dhaômas Argument, dass sie sich wegen einem solchen Zwischenfall nicht ins Bockshorn jagen lassen sollten, zog, so dass sie – angespannt und mit einer gehörigen Portion Unwohlsein – ein weiteres Gespräch mit Magiern hinter sich brachten. Diesmal wurden sie nicht angegriffen, aber sie warnten die Menschen dort dennoch vor den Übergriffen der Armee. Dhaôma hatte zu befürchten begonnen, dass dieser Versuch, Frieden zu schaffen, am Ende Krieg im Land der Magier allein bedeutete. Und dann erreichten sie die große Steppe. Es war inzwischen Frühling, aber wurde noch immer bitterkalt nachts. Gerade auf der Steppe hatten sie Probleme, warm genug zu bleiben, um sich zu bewegen. Aber hier bestand nur eine geringe Chance, von Magiern angegriffen zu werden. Dhaôma sehnte sich danach, auf die Inseln hinauf zu kommen. Wenn mit dem Hohen Rat zu sprechen, sein nächster Schritt sein würde, dann wollte er nicht so viel Zeit damit verbringen, dorthin zu gelangen. „Hetz nicht, Freiheit.“, hörte er seinen grünroten Drachen immer wieder sagen, woraufhin er einmal tief durchatmete. Es war nicht so leicht für ihn, sich zusammenzureißen. Die Steppe. Seine Heimat war zum Greifen nahe. Auch ihm fiel es schwer, ruhig zu bleiben, wenn auch aus anderen Gründen als Dhaôma. Seine Familie war hier, seine Freunde. Es war vielleicht nur ein Winter gewesen, aber dennoch vermisste er sie. Drängeln sollte Mimoun aber auch nicht. Es war eine beschwerliche Reise und im Gegensatz zu Lulanivilay musste er kein zusätzliches Gepäck mitschleppen. Die Reise war dennoch auch für ihn erschöpfend. Sein Blick glitt suchend über das weite Land, das sich vor ihnen ausbreitete. Wo waren sie eigentlich gelandet? Die kleine Gruppe hatte so viele Kursänderungen vorgenommen, so viele kaum noch nachzuvollziehende Routen genommen… Ach. Das würde kein Problem darstellen. Wenn sie den ersten seiner Art trafen, würde er sich wieder zurechtfinden. Aufgeregt wie ein kleines Kind hibbelte er hierhin und dorthin und Xaira war erwartungsgemäß die Erste, die explodierte. „Du bist momentan wirklich schwer zu ertragen!“, fauchte sie ihn an. „Tob dich an Dhaôma aus, aber verschone uns mit deinem Bewegungsdrang.“ Verblüfft blinzelte Mimoun zu dem Halbling hinüber und grinste dann schelmisch. „Tut mir Leid. Ich werde mich bemühen, ruhiger zu werden.“ Die ersten Inseln tauchten aus einer Art Hochnebel auf, als sie in Richtung Großes Wasser flogen. Seit Tagen war es so diesig und regnete auch immer wieder mal. Dhaôma war so glücklich über seinen Poncho, der den Regen wenigstens einigermaßen abhielt. Aber noch glücklicher war er, als er auf einer der Inseln Gestalten ausmachte, die sich in die Luft erhoben. Juuro hatte sie auch gesehen, denn er spannte sich. Und Dhaôma wurde aufgeregt. Welche Insel war es? Waren sie weit von Addars entfernt? War Silias Insel nahe? Denn auch wenn Mimoun es nicht gesagt hatte, so wusste Dhaôma einfach, dass sein Freund sich Vorwürfe machte, sein Versprechen gebrochen zu haben, also plante er einen Besuch bei Silia, auch um zu sehen, ob es der Mutter und dem Baby gut ging. „Mimoun, kündigst du bitte unsere Freunde an? Nicht, dass sie uns nicht dahaben wollen. Dann sollten wir nicht landen.“ „Mach ich.“, lachte Mimoun ausgelassen und schraubte sich mit einer Spirale höher, bevor er kehrt machte und sich Tyiasur aushändigen ließ. „Es ist garantiert einfacher zu erklären, wer ich bin, wenn er dabei ist. Also streng dich an. Ich weiß, du schaffst das.“ Und schon war er wieder verschwunden. Es wäre nicht nötig gewesen den Wasserdrachen mitzunehmen. Lulanivilay war schließlich nicht zu übersehen gewesen. Aber Mimoun war ein Drachenreiter. Als solcher war er sicher schon längst bei seinem Volk bekannt und als solcher hatte er natürlich auch mit seinem Drachen zu erscheinen. Mit freundlicher Zurückhaltung wurde der Neuankömmling begrüßt und Mimoun stellte sich vor, wie es sich für einen Drachenreiter gehörte. „Also doch.“, stellte ein Jungspund aus den hinteren Reihen der Neugierigen fest. „Wir haben schon viel von dir gehört.“ „Nur Gutes, hoffe ich.“, lachte Mimoun zurück. Das vorlaute Mundwerk des Burschen fand keine Begeisterung bei den Erwachsenen. „Natürlich.“, sprang der Älteste der Gruppe ein, aber den Jungen konnte er nicht unterbrechen. „Und dass du ein Kindskopf bist.“ „Nerofa, genug.“ Mimoun lachte nur. Es störte ihn kein bisschen. Er fand es erfrischend. „Warum sind deine beiden Begleiter nicht mit zu uns gekommen? Fürchten sie uns?“ „Nein.“, wehrte Mimoun sofort ab. „Wir haben nur weitere Freunde mitgebracht. Sie sind ein wenig… speziell.“, wich er aus und erklärte es lieber gleich, bevor jemand nachfragen konnte. „Es sind Halblinge. Ihre Eltern sind sowohl Magier als auch Geflügelte. Dhaôma befürchtet, dass ihr sie vielleicht nicht bei euch haben wollt.“ Lange Zeit herrschte Schweigen. „Sie sind Freunde von euch.“, stellte der Älteste schließlich fest. „Und ihr seid diejenigen, die unsere Jungen vor dem Krieg beschützen wollen. Warum sollten wir sie fortjagen?“ Das war also ein Einverständnis. Begeistert grinsend schraubte er sich noch wenige Meter in die Höhe und winkte seinen Freunden ausladend zu, dass sie ruhig kommen konnten. Dank Tyiasur verstanden sie das Rumgehampel auch auf die Entfernung und Lulanivilay flog auf die Insel zu. Er war müde und ihm war kalt und er wollte ein paar Steine haben, auf die die Sonne schien. Nicht zu haben bei dem Wetter, aber das würde sich hoffentlich bald geben. Dhaôma wurde wie Mimoun als Freund begrüßt. Egal, wie er sich kleidete, er war bekannt unter den Hanebito und die Halblinge staunten nicht schlecht, wie anders hier die Begrüßung vonstatten ging. Kein ewiges Gerede und etikettierte Floskeln, sondern einfache Worte mit tiefem Sinn. Die Kinder wurden nicht festgehalten und rannten herum, kamen ihnen so nahe wie die aus der Holzhütte im Wald. Am unglaublichsten war die Tatsache, dass ihnen angeboten wurde, bei den anderen in den Häusern zu übernachten und dass man dem großen Drachen Decken brachte, die ihn wärmten. Als man ihnen erklärte, dass man schon gehört hätte, dass die Drachen die Kälte nicht so gut vertrugen, waren die Halblinge absolut überzeugt, dass dieses Leben aus Umsicht und Hilfsbereitschaft wirklich erstrebenswert war. Es wurde ein lustiger Abend. Mit Dhaômas Feuersteinen machte man ein Feuer, das die Kälte ein wenig vertrieb, es wurden Geschichten erzählt und Dhaôma wurde von den Kindern zum Fangenspielen verdonnert. Offenbar war der Magier als Babysitter bekannt, was die Halblinge ein wenig wunderte, weil sie eher den Eindruck gewonnen hatten, dass es Mimoun war, der mit Kindern umgehen konnte. Als etwas später am Abend dann Kitty in ihrer Katzengestalt kam und die Kinder mit ihr spielen wollten, musste dann aber eingegriffen werden, denn die Katze setzte Zähne und Krallen ein, um sich die Rasselbande vom Leibe zu halten. Die blutigen Kratzer waren kein schöner Anblick. Lange unterhielt sich Mimoun an diesem Abend mit Lyetor, dem Dorfältesten. Es interessierte ihn stark, in welcher Richtung und Entfernung sich Addars Heimatinsel befand. Die kleine Reisegruppe befand sich etwa auf halber Strecke zwischen der damals besuchten Trainingsinsel und ihrem Zielpunkt, nur deutlich weiter östlich. Es würde also garantiert noch eine Woche dauern, wenn nicht mehr. Ein wenig war das schade. Mimoun hatte gehofft schon dichter dran zu sein. Beunruhigender fand er die Eröffnung Lyetors, dass die Rekruten des letzten Jahres schon fast vollständig zur Verstärkung der Front gerufen wurden. Völlig entgeistert starrte Mimoun den Älteren an. Das durfte nicht wahr sein. Warum schon so früh? Sie konnten ihre Ausbildung doch sicher noch nicht vollständig abgeschlossen haben. Das Kinderlachen klang für den jungen Drachenreiter mit einem Mal schal. Es konnte ihn nicht erfreuen, wusste er doch jetzt, dass sich Aylen und die anderen nun in größter Gefahr befanden. Auf einen fragenden Seitenblick Juuros hin, erklärte er, was ihn bedrückte. Wie zum Trost fand die Pranke des Mannes Mimouns Schulter. Und auch der Dorfälteste entschuldigte sich, da er den Gast nicht in Kummer hatte stürzen wollen. „Schon gut.“, wehrte Mimoun ab. „Ich bin Euch dankbar für diese Information.“ Sein Blick suchte die Gestalt des Magiers. „Sagt es Dhaôma bitte heute nicht mehr. Er würde nur wieder die ganze Nacht wach liegen und sich Vorwürfe machen.“ Danach versuchte Mimoun alles auszublenden bis auf Dhaôma. Mit dessen ausgelassenem Spiel mit den Kindern, seinem Schimpfen mit Kitty und die Begeisterung über die schnelle Heilung versuchte er alle trüben Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Es wurde spät, als die Kinder schließlich ins Bett gerufen wurden und sich einer nach dem anderen schließlich zur Nachtruhe begab. In dieser Nacht suchte er mehr als sonst die Nähe seines Freundes. Eigentlich spürte Dhaôma das Kuschelbedürfnis, aber er hatte sich seit Wochen das erste Mal richtig ausgepowert. Das ständige Fliegen war zwar wunderschön, aber er vermisste die körperliche Arbeit, die das Wandern mit sich brachte. Er hatte es alles auf einen Schlag nachgeholt und sein Körper forderte Tribut. Gerade als er fragen wollte, ob er etwas tun konnte, schlief er ein, ein zufriedenes, liebevolles Lächeln auf den Lippen und seine Hand immer noch in Mimouns Haaren vergraben. Auch hier fand man es schade, dass sie schon so bald gehen wollten, aber die beiden Drachenreiter drängte es vorwärts. Eine Woche in ihrer Geschwindigkeit zu fliegen, nahm genug Zeit in Anspruch und sie hatten es eilig. Außerdem war der Winter gerade erst vorbei. Die Vorräte der Inseln dürften sich ihrem Ende zuneigen, da wollte Dhaôma ihnen nichts wegessen. Stattdessen half er den einheimischen Pflanzen ein wenig, indem er den Boden abtaute und sie stärkte. Mehr konnte er bei dieser Kälte einfach noch nicht tun. Xaira fiel es am schwersten zu gehen. Das hier war anders als das Gerede vom friedlichen Zusammenleben bei ihr zu Hause. Die Menschen hier waren wirklich freundlich und hilfsbereit und sie taten sich nicht halb so schwer damit, ihre Vorurteile ein wenig beiseite zu schieben, um die Wirklichkeit zu sehen. Auch wenn man sie bemitleidet hatte, nachdem sie mit ihnen geredet hatten, festgestellt hatten, dass auch sie Menschen waren, hatte sich das Mitleid gelegt. Dass sie sie nicht mit Abscheu betrachteten lag jedenfalls definitiv an Dhaôma und Mimoun, denn als sie fragte, lachte die Frau, mit der sie sprach, nur und zeigte demonstrativ in die Richtung der turtelnden Männer. „Als ob es so schlimm wäre.“, meinte sie und kicherte. Xaira verstand jetzt auch viel besser, warum diese beiden so fest an dem Glauben festhielten, dass sie den Frieden herbeiführen konnten. Auch wenn die Magier wenig Bereitschaft zeigten, Hanebito zu akzeptieren, so zeigten die Hanebito umso mehr davon, wenn es um Magier ging. Sie hatten ein wunderbares Beispiel über Jahre kennen lernen können und wenn alle sich so verhielten, dann hatten sie gar nichts gegen sie einzuwenden. Immer wieder führte ihre Reise sie an kleineren Dörfern vorbei. Selten blieben sie für ein paar Stunden. Noch seltener übernachteten sie in einem der Dörfer. Die natürliche Neugierde und der Hunger nach neuen Geschichten dieses Volkes verblüffte die Halblinge ein ums andere Mal. Mit jeder weiteren Insel, die sie passierten, jeder weiteren Stunde, die sie ihrem Ziel näher kamen, wurde Mimoun aufgeregter und vorfreudiger. Natürlich hatte er sie zwischenzeitlich wieder gesehen, aber er freute sich dennoch riesig, wieder hier zu sein. „Ist der immer so, wenn er nach Hause fliegt?“, fragte Xaira schließlich entnervt. Dhaôma musste darüber lachen. Sie fragte das schon zum zweiten Mal, aber er hatte gar nicht das Gefühl, dass Mimoun anders wäre als sonst. Früher jedenfalls war er häufig so gewesen. „Tut mir Leid. Ich hatte nur einmal das Vergnügen, mit ihm nach Hause zu fliegen, aber damals konnte man von Vorfreude nicht sprechen.“, sagte er. Und dann kam Addars Insel endlich in Sichtweite. Dhaôma erkannte sie schon von weitem, schließlich war er oft genug um sie herum und auf sie zugeflogen. Seine Augen begannen zu leuchten. „Diesmal ist es wirklich eine Überraschung!“, rief er Mimoun zu. „Sie werden wohl kaum schneller ihre Nachrichten verbreiten können, als wir fliegen, nicht wahr?“ „Dhaôma, hör auf, hier rumzuzappeln, sonst fallen wir beide runter.“, beschwerte sich Juuro und der Magier lachte befreit. „Entschuldige.“ Aber es änderte gar nichts. Schnell wurde die Insel größer und als Dhaôma Fiamma erwähnte, kannte plötzlich Lulanivilay kein Halten mehr. Plötzlich wurde er schneller, nutzte all seine Kraft und Magie, um den Wind zu bändigen und schneller zu werden. Noch bevor die Hanebito der Insel die Chance hatten, sich in die Luft zu erheben, landete er direkt auf dem Platz vor Addars Haus und steckte seinen Kopf ins Innere. „Ist das Feuerkind da? Mir ist kalt." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)