Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 10: Teamwork -------------------- Kapitel 10 Teamwork Das Tal wurde von einem eigentlich kleinen Fluss gebildet, das wegen der Schneeschmelze jedoch um das doppelte angeschwollen war, weshalb eine Überquerung bedeutete, dass es eisig werden würde. Unglücklich blickte Dhaôma ins Wasser und fröstelte. So gern er Wasser mochte, das da war ihm zu kalt! Hoffnungsvoll ließ er seinen Blick nach rechts und links schweifen. War da irgendwo eine Möglichkeit, hinüberzukommen? Ein umgestürzter Baumstamm oder so? Aber zu Dhaômas Unglück gab es keinen. „Du hattest gesagt, dass du helfen willst.“, begann er schüchtern und spürte, dass seine Wangen anfingen zu brennen. „Kannst du alle Sachen da rüber fliegen, damit sie trocken bleiben?“ Entschlossen nickte der Geflügelte. Äußerlich ging er nicht auf diesen zögerlichen Tonfall ein oder die leicht geröteten Wangen, innerlich freute er sich riesig, dass Dhaôma ihn tatsächlich gefragt hatte. Auch er besah sich den reißenden Strom. Es war nicht weit. Und seine Kräfte beurteilte er als ausreichend. Er ließ sich sämtliche zu transportierende Gegenstände aushändigen. „Bleib.“, befahl er. „Ich will was ausprobieren.“ Und schon verschwand er mit wenigen Flügelschlägen ans andere Ufer. Sorgsam legte er die Sachen ab und sah zu Dhaôma zurück. Dieser hatte schon begonnen, sich auszuziehen, als der andere zurückkam. Aber das war okay, so konnte er seine Kleider auch trocken transportieren. Erneut fröstelnd legte er alles ordentlich zusammen. Gänsehaut. „Das wird ein unangenehmes Bad.“, erklärte er mit einem Blick in das leicht dreckige Wasser. Mimoun schüttelte nur den Kopf. Aber was sollte er jetzt auch weiter dazu sagen? Ebenso gut konnten ihn seine Kräfte auch verlassen. „Entspannen und nicht zappeln.“, wies er an, trat kurz entschlossen hinter den Magier. Ohne auf Antwort oder Gegenwehr zu achten, packte er ihn unter den Armen, sprang mit heftigem Flügelschlagen in die Luft und steuerte das andere Ufer an. „Wa…was? Woah!“ Dhaômas Hände klammerten sich an die Arme, die ihn hielten, seine Augen leicht angstvoll aufgerissen, starrte er erst auf den sich entfernenden Boden, dann auf das schäumende Wasser unter ihm. Er flog! Wirklich! Die Füße nicht mehr am Boden, höher, als er springen konnte! Die Angst war vergessen und durch ein Gefühl der Euphorie ersetzt worden. „Das hättest du mir auch sagen können, dass du mich tragen kannst, dann hätte ich mich nicht ausziehen brauchen!“, jubelte er fast. Er hatte das Gewicht des Magiers ein wenig unterschätzt. Vielleicht hätte er ebenfalls seine Rüstung erst einmal ablegen sollen. Und nicht nur das. Nun schrie ihm Dhaôma auch noch fast ins Ohr. „Woher soll ich das bitte wissen? Ich sagte, ich will es ausprobieren.“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. Er versuchte einen Kräfte sparenden Gleitflug, doch dafür fehlten ihm hier unten so dicht über dem Boden die geeigneten Luftströmungen. Immer schneller verlor er an Höhe. Verzweifelt versuchte er sie durch Flattern zurückzuerlangen, doch ohne Erfolg. Im Gegenteil. Sie sackten noch ein wenig weiter ab und die Füße des Magiers schwebten nur noch wenige Zentimeter über dem Wasser. Kurz bevor sie das andere Ufer erreichten, passierte es. Mimouns Arme erschlafften und der Magier rutschte ihm aus dem Griff. Hastig griff er mit den Händen nach und erwischte Dhaôma nur knapp. Der Geflügelte flatterte wieder angestrengter und erlangte sogar ein wenig mehr an Höhe. Doch schon hatten sie das andere Ufer erreicht. Mimoun ließ den Magier fallen und landete wenig elegant auf dem Bauch wenige Meter weiter. Erschöpft hob er einen Arm. „Ich geh gleich.“, jappste er in den Schnee. Schließlich fror sich Dhaôma hier nun sonst was weg. Nur, Mimoun fühlte sich ausgezehrt, völlig erschöpft. Der Junge fing sich ziemlich ungeschickt ab, aber wenigstens stand er noch. Die Position seines Begleiters war wesentlich ungünstiger. Eilig rannte er zu ihm. Eine Hand legte sich auf dessen Schulter. „Ist dir was passiert?“, fragte er besorgt. „Mimoun!“ Was sollte er tun, wenn sich der Geflügelte wegen ihm verletzt hatte? „Bitte, steh auf!“ Obwohl sein Gesicht noch immer halb im Schnee lag, weil er nicht die Kraft aufbringen wollte sich zu drehen, spürte er doch die Sorge, die ihm galt. Darum versuchte Mimoun auch der Bitte nachzukommen. Der erste Versuch scheiterte an seinen Ellenbogen, die sich weigerten sich durchdrücken zu lassen. Beim zweiten Versuch kam er zwar in eine sitzende Position, doch seine zittrigen Arme verboten ein sicheres Abstützen. „Keine Angst. Ich hab mich nur ein wenig überschätzt.“ Langsam löste er die Schnallen seiner Rüstung. Noch einmal musste er übersetzen, wenn Dhaôma seine Sachen nicht verlieren wollte. Er sah sich suchend um und drückte sich weiter hoch, als seine Suche von Erfolg gekrönt war. Die gelösten Rüstungsteile fielen automatisch von ihm ab. Wackelig steuerte er auf einen leicht zu erklimmenden hohen Baum zu. Von dort oben konnte er ohne große Mühe rüber segeln. Die Höhe reichte dafür aus. Dhaôma hielt ihn fest. Nur ganz leicht am Ellbogen, gerade stark genug, dass er den Druck spüren konnte. Er wusste, dass Mimoun nicht schwimmen konnte. Wenn er ins Wasser fiel, dann würde er vielleicht sterben. „Nein. Ist schon gut.“ Das hatte er nun davon. Da hatte er ihn um etwas gebeten und damit diesen Erfolg erzielt. Hatte er nicht gewusst, dass Mimoun dazu neigte, seine Kräfte zu überschätzen und seine Schwächen zu ignorieren? Offenbar war sein Flügel noch immer nicht gesund genug. „Warte einfach, bis du nicht mehr so wankst, ja?“ Denn seine Hilfsbereitschaft abzuschlagen würde in Streit enden. Er mochte keinen Streit. „Ich habe noch meine Decke. Du kannst dir also Zeit lassen.“ Mimoun sah ihn prüfend an. Er schien sich den Zustand des Geflügelten sehr zu Herzen zu nehmen. Darum schenkte er ihm ein sanftes aufmunterndes Lächeln. „Du brauchst dir keine Sorgen machen. Es war nur ein Versuch und ich weiß, dass ich das nicht mehr machen kann. Egal wie sehr ich trainiere, mein Flügel wird wohl nie zu seiner ursprünglichen Stärke zurückkehren.“ Noch während er sprach, rollte er sich an der Stelle, an der er stand, im Schnee zusammen. Seufzend stieß er die Luft aus und entspannte sich völlig. Nur kurz, dachte er sich. Gleich geht’s wieder. Beruhigt holte Dhaôma ihre Sachen und setzte sich dann neben ihn. Schweigend und in die Decke gewickelt, ließ er seinen Blick über den Fluss schweifen und genoss die schwache Sonne im Rücken. Nach einigem Zögern suchte er sich aus der Tasche des Hanebito wieder das kleine Buch und las darin, lies die Zeit verstreichen. Irgendwann aß er eine Kleinigkeit und bot auch Mimoun etwas an. Rohkost, natürlich. Nur nebenbei registrierte er, dass Dhaôma in seiner Tasche wühlte. Er wusste, was der Magier suchte, doch da war irgendwas, das er vergessen hatte. Doch er kam nicht drauf. Erst als der andere ihm Essen anbot, kam der Geistesblitz. Sofort saß er senkrecht. „Ich bin so ein Idiot.“ Peinlich berührt grinste er Dhaôma an. „In der Tasche müsste doch noch Wechselwäsche von mir sein. Vielleicht sind sie etwas eng für dich, aber fürs Erste müssten die doch reichen.“ Noch immer schüttelte er den Kopf. Wie konnte er so was Elementares vergessen? Etwas überrascht hielt Dhaôma inne, dann lachte er. „Danke.“ Auffordernd hielt er ihm das Fleisch hin. „Los, iss.“ Danach konnte er sich immer noch um etwas zum Anziehen kümmern. Dankend nahm Mimoun das Fleisch entgegen. Das ruckartige Aufsetzen hatte nicht den Schwindel ausgelöst, den er erwartet hatte. Vielleicht würde er demnächst schon die Kraft finden, erneut den Bach zu überfliegen. Und er würde aufs Segeln zurückgreifen. Er suchte sich schon jetzt auf der anderen Seite den passenden Baum für diese Aktion. Dhaôma kramte die Sachen aus Mimouns Tasche und schlüpfte hinein. Dass der Rücken frei war, kam ihm seltsam vor, auch dass das Hemd so kurz und die Hose so eng waren, aber besser als nichts. Und das Leder war wirklich schön weich, nicht so derb wie das seiner Sachen. „Wie schafft ihr es, dass es so weich ist?“, wollte er wissen und strich bewundernd darüber. Wenn er solches Leder herstellen könnte, dann wäre es perfekt. Es würde mit Sicherheit auch nicht so schnell kaputt gehen wie seine Seidensachen. Ratlos zuckte der Geflügelte mit den Schultern und kaute auf dem Fleischbrocken herum. „Ich hab mich nicht damit beschäftigt. Wozu auch. Es stinkt, darum wird das nicht in den Dörfern gemacht, sondern auf weit entlegenen Inseln. Aus meiner Gemeinschaft hat sich niemand daran beteiligt. Wir haben es nur erworben und weiterverarbeitet.“ Er lehnte sich ein wenig vor und wackelte prüfend mit den Schwingen. Enttäuscht schüttelte er den Kopf. Sein linker Flügel fühlte sich leicht taub an. Das waren ungünstige Startbedingungen. „Schade.“ Der Junge setzte sich wieder hin. Dann betrachtete er sich die Lockerungsübungen. „Hey, Mimoun, wenn dein Flügel nicht okay ist, ich kann auch schwimmen. Es ist zwar kalt, aber es ist okay. Ich bin das gewohnt.“ „Ach was.“, winkte der Geflügelte ab. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, damit der Magier dann doch ins Wasser ging. Dieser fror doch schon bei kleinsten Temperaturschwankungen. „So schlimm ist das nicht.“ Wie zum Beweis erhob sich Mimoun. Kein Zittern war an ihm zu bemerken, als er dem bereits erwählten Baum entgegen strebte und, die Krallen tief in die Rinde gerammt, sich langsam bis hoch zur Spitze zog. Auch diese bog sich unter dem Gewicht des Geflügelten. Nach einigem Ausprobieren hatte er den perfekten Abflugwinkel gefunden, baute wieder Spannung auf und schnellte los. Wie beabsichtigt nutzte er keinen Flügelschlag für Auftrieb sondern konnte sich von der Luft bequem bis ans Ufer tragen lassen. Die Taubheit seines Flügels wirkte sich leicht negativ aus, da er das Gewicht nicht mehr spürte, sondern nur nach Erinnerung ausgleichen musste. Dennoch war die Landung leicht und sicher. Erleichtert seufzte er unhörbar auf. Dieser Teil war tatsächlich einfach gewesen, doch auf dieser Seite des Baches hatte er keinen ausreichend hohen Baum ausmachen können. Langsam schritt er zu dem Kleiderbündel und schnürte es mit den Ärmeln des Hemdes zusammen. Seine linke Hand schob er unter den Knoten und hatte das Bündel nun am Arm hängen. So hinderte es ihn kaum, als er auf dieselbe Art wie eben einen Baum erklomm. Nicht nur, dass dieser nicht so hoch war, wie Mimouns vorherige Starthilfe, es ließ sich hier auch nicht so viel Spannung aufbauen. Dennoch blieb ihm nichts anderes übrig. Auch jetzt ließ er sich vom Baum schnellen und segelte, solange es ihm möglich war. Gegen Ende musste er noch ein wenig Flattern. Jetzt wurde das fehlende Gefühl schon eher zum Problem. Er kippte leicht nach links weg und schaffte es nur unter großen Mühen es wieder auszugleichen. Mimoun verkürzte den Flug so weit wie möglich und setzte nur wenige Finger breit hinter den reißenden Fluten auf. Dhaôma rollte mit den Augen, als er sah, dass der Geflügelte stur blieb, aber er sagte nichts. Er hatte gelernt, jeden machen zu lassen, was er wollte. Sich dagegen aufzulehnen brachte wenig bis gar nichts. Also wartete er am Ufer, um notfalls rettend einschreiten zu können, aber glücklicherweise klappte es auch so. Wortlos trat er zu ihm hin, hob die Hand und strich über die intakte Haut des kaputten Flügels, um sich das Konstrukt jetzt doch mal ansehen zu können. So viele Löcher. Das musste wirklich schmerzhaft gewesen sein. Aber wenigstens hatte er einen Teil seiner Freiheit zurückbekommen. „Danke schön.“, sagte er etwas verspätet und nahm das Bündel entgegen. Als die Hand seine Flügelhaut berührte, musste der Geflügelte bewusst ein Zurückzucken verhindern. Nicht nur, dass die Haut von Natur aus ein wenig empfindlich war. Durch die Überbelastung schmerzten die Verbindungsstellen zum Leder. Eine Weile würde er wohl wieder auf seine Füße vertrauen müssen. „Gern. Gehen wir gleich weiter oder willst du deine Klamotten anziehen oder willst du noch ein wenig Pause machen?“ Mimoun selbst war das Einerlei. „Ich ziehe mich um.“ Dhaôma lachte leise. Mimouns Kleider waren vielleicht schön weich, aber trotz allem eng. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie er da wieder rauskommen sollte, falls sie nass wurden. „Danach sollten wir weitergehen. Immerhin brauchen wir einen Unterschlupf, nicht wahr?“ Obwohl das nicht zwangsweise nötig wäre, denn er hatte gesehen, wie Mimoun auf freiem Feld ohne Decke geschlafen hatte. Vorsichtig löste er die Knoten im Nacken und nahm das Hemd ab. „Hör mal, Mimoun. Ich bin nicht gut darin, Entscheidungen für andere zu treffen.“ Mit einem Lächeln zuckte Angesprochener mit den Schultern. „Alles eine Frage der Übung. So lernt man eigene Wünsche auch mal auszusprechen, sich nicht ständig zurückzunehmen und in einer Gemeinschaft zu leben. Wenn ich dir die Wahl lasse, dann kannst du im Allgemeinen davon ausgehen, dass ich mit jeder Entscheidung voll einverstanden bin. Und wenn du dir über weitere Vorgehensweisen unsicher bist, mach es wie ich gerade. Zähle mehrere Möglichkeiten auf und frag mich, was mir lieber ist. Sollte es dann doch nicht mit dem von dir Gewünschten übereinstimmen, können wir ja darüber diskutieren.“ Er nahm das Hemd in Empfang, legte es zusammen und schob es in die Tasche zurück. Mit einem letzten, nichts sagenden Blick zog sich Dhaôma um. In seiner Familie hatte das Recht des Älteren bestanden – sprich, seine Mutter hatte alles entschieden. Es war kein Raum gewesen für eigene Wünsche oder Diskussionen. Irgendwann hatte er aufgehört, sich Hoffnungen zu machen oder Vorschläge zu äußern. Und jetzt kam dieser Hanebito, fragte ihn nach seiner Meinung und erwartete sogar, dass er sie äußerte! Im Affekt band er schließlich sein Haar neu, um seine roten Wangen zu verbergen. Vielleicht wusste er noch nicht, wie er das umsetzen sollte, aber das Angebot war lieb. Gleichberechtigung ausgerechnet von jemandem aus dem Feindeslager. Ohne es zu bemerken hatte er mit seinem Fund einen Glücksgriff gelandet. „Ich versuche mein Bestes.“, nickte er schließlich, als er schon alles aufnahm und tragefertig machte. Irgendwie war Mimoun stolz auf sich. Er hatte, was Erklärungen anging, wohl dazu gelernt. Der Jüngere hatte sofort begriffen, worauf er hinaus wollte. Auch der Geflügelte sammelte seine Sachen zusammen und gemeinsam machten sich die zwei auf den Weg den nächsten Berg hinauf. Dabei wandten sie sich nicht exakt dem Gipfel zu, sondern versuchten ihn mehr gen Mittag zu umrunden. Da sich der Tag langsam seinem Ende zuneigte, tastete Mimouns Blick die Umgebung ab auf der Suche nach einem geeigneten Lagerplatz für die Nacht. Doch er konnte nichts entdecken, was seinen Ansprüchen genügen konnte. Die Sonne näherte sich schon dem Horizont, als Dhaôma seufzend stehen blieb. Den ganzen Weg über hatte er darüber nachgedacht, wie man sich am besten ausdrückte, wenn man Wünsche äußern wollte. Er war zwar auf ein befriedigendes Ergebnis gekommen, aber mit der Umsetzung haperte es noch, wie er in einem imaginären Gespräch festgestellt hatte. Am Ende kam er doch wieder darauf zurück, die Wahl ganz Mimoun zu überlassen. „Wir werden heute keine Höhle mehr finden.“, stellte er fest. „Mir macht das nichts. Ich kann auf dem Boden oder auf einem Baum schlafen, aber was ist mit dir?“ Seine braunen Augen fixierten den Hanebito mit einer Mischung aus zurückgenommener Entschuldigung und Unwohlsein. Dieser Blick ließ Mimoun schmunzeln. Dhaôma hatte die Grundlagen gelernt und versuchte sie nun anscheinend umzusetzen, war sich aber ganz und gar nicht sicher in seinem Verhalten. Na ja. Er würde schon noch sicherer werden. „Die letzte Zeit hab ich auch eher auf Bäumen verbracht. Ein einfacher Schutz gegen am Boden jagende Raubtiere.“, erwiderte der Geflügelte und ließ seinen Blick nun hoch zu den Bäumen schweifen. Na gut. Nadelbäume sagten ihm als Schlafstätte nicht wirklich zu, aber besser als nichts. Der Junge nickte. „Ich habe einen effektiveren Schutz gegen Raubtiere, wenn die Äste da oben zu dünn für dich sind. Ah, warte… Vielleicht…“ Was, wenn es Mimouns Nase auch betäubte. Aber andererseits hatte er sich während der Reise zur Schlucht niemals beschwert, obwohl die Blumen immer geblüht hatten, wenn der Unterschlupf nicht ausreichend zu sichern war. Wenn er jetzt darüber nachdachte, hätte er das beim Bieberversteck auch leichter haben können. Es war schon erstaunlich, wie sicher er sich gefühlt hatte, nur weil der Bau rundherum abgeschlossen war. Sein Blick kehrte zurück in die Gegenwart und entschlossen ging er weiter. „Ich brauche einen Ort, an dem ich ein Feuer machen kann, ohne dass der Boden Feuer fängt.“, erklärte er dieses Verhalten. „Deswegen muss ich noch weitergehen.“ „Wir können auch noch ein Stück gehen. Kein Problem.“, erwiderte Mimoun. Die Gedanken des Magiers schienen schnell hin und her zu springen. Erst die Erwähnung des Schutzes, welchen auch immer er damit meinte, dann das Zurücknehmen dieses Vorschlags und schließlich der Wunsch nach Feuer. Der Geflügelte zuckte nur mit den Schultern. Darauf musste er sich wohl einstellen. Es dauerte nicht mehr lange, bis sie eine kleine Lichtung fanden, die noch mit Schnee bedeckt war. Dhaôma ließ seine Sachen fallen und nickte zufrieden. Hier würde er keinen Schaden anrichten. Mit sich ringend blickte er dann zwischen dem Hanebito und dem Wald hin und her. Mimoun sah erschöpft aus, hatte heute ja auch schon einiges geleistet. Andererseits hatte er um Hilfe gebeten. Nein, so war das nicht richtig, er hatte darum gebeten, helfen zu dürfen. Aber mit den Flügeln war er im Wald wie ein Hirsch mit zu großem Geweih. Überall blieb er hängen. Und mit Feuer schien er keine gute Beziehung zu pflegen. „Was willst du jetzt machen? Schlafen? Oder helfen? Oder was anderes?“ Angesprochener rang mit sich selbst. Einerseits war er ein wenig müde und erschöpft. Andererseits hatte er auf Arbeitsteilung gedrängt und drohte nun schon am ersten Abend davon abzuweichen. „Ich mach auch eine Kleinigkeit. Ich kann nicht zulassen, dass du schon wieder alles allein machst.“, sagte er widerstrebend. „Was gibt es denn zu tun?“ Mimoun legte seine Sachen zu denen von Dhaôma und streckte sich einmal ausgiebig. Die Müdigkeit ließ sich nur begrenzt vertreiben. Hoffentlich dauerte die Aufgabe nicht ganz so lange und hatte mit Bewegung zu tun. „Holz suchen, Fleisch in Streifen schneiden, Feuer machen, Schnee schmelzen oder vielleicht einen Schneewall gegen eventuellen Wind bauen. Vom Kochen hältst du ja nichts.“ Er lächelte vergnügt. Natürlich hätte er es auch alleine geschafft, aber dieser Kerl war eben gerne hilfsbereit. Da sollte er sich nicht dagegenstellen. Schnee schmelzen war, wenn er sich recht entsinnen konnte, eine Spezialität von Dhaôma. Feuer machen konnte man nur mit Holz, auf das er dann wahrscheinlich erst einmal warten musste. Fleisch in streifen schneiden, war nicht anstrengend und er würde vielleicht im Sitzen einschlafen. Das wäre wohl ein wenig ungünstig und peinlich. „Ich such erst Holz und kümmere mich dann um den Schneewall.“ Gut. Das waren die langwierigsten Aufgaben, hatten aber mehr Vorteile als der Rest. Bis auf die Armschienen mit den Klingen legte er auch alle Rüstungsteile zu dem Haufen. Er ging nicht davon aus, dass sich ausgerechnet jetzt irgendein Beutegreifer ihn zu seinem Abendessen auserkor. Und wenn würden die Klingen und seine Krallen schon ihren Dienst tun. „Bin gleich zurück.“, sagte er noch und streunte schon Richtung Wald. Wieder einmal irritiert blickte Dhaôma ihm nach. Da hatte er sich ausgerechnet die unpraktischsten Aufgaben ausgesucht. Seltsamer Kerl. Achselzuckend machte er sich an die Arbeit. In einem kleinen Kreis, in dem er das Feuer haben wollte, schmolz er den Schnee zu Wasser, das schnell abfloss, danach machte er sich daran, das Fleisch in Streifen zu schneiden. Außen war es schon gut getrocknet, aber innen war es noch immer blutig und feucht. Es war notwendig, es zu trocknen oder zu räuchern. Und weil räuchern besser schmeckte und auch schneller ging, bevorzugte er diese Art des Konservierens. Im Wald suchte er sich ein paar Stöcke, auf die er das Fleisch aufspießte. Damit war seine Arbeit soweit getan, also machte er sich daran, die Wind zugewandte Seite des Feuers mit Nadeln auszulegen. Der trockene Nadelteppich war weich und würde die Kälte von unten ein wenig abhalten. Inzwischen dämmerte es. Bald war es dunkel. Ohne Sinn streunte der Geflügelte kreuz und quer durch den Wald, nahm hier und da Holz auf, das er für geeignet hielt. Sein Weg führte ihn dort entlang, wo es für ihn am bequemsten schien. Hinterher konnte er nicht sagen, ob er oder was er in der ganzen Zeit gedacht hatte. Als die Dämmerung schließlich sein Bewusstsein erreichte, machte er sich auf den Rückweg. Mimoun hatte einen guten Arm voll Holz dabei, die er neben der freien Stelle im Schnee einfach fallen ließ, als er schließlich die Lichtung wieder erreichte. Kurz sah er sich nach dem Magier um. Dieser kam aus der entgegengesetzten Richtung. Er hatte auch noch ein wenig Holz gesucht und dabei gleich eine Stelle zum Schlafen frei geräumt, wo jetzt eine kleine braune, unauffällige Blume blühte. Mit einem Willkommen heißenden Lächeln machte er sich daran, die Äste aufzuschichten und musste grinsen, als er sah, dass sie im Schnee lagen. „Es wird qualmen, wenn die Stöcke nass sind.“, informiert er den anderen neutral, bevor er mit einem Feuerstein ein paar Funken in trockenes Gras schlug. Es dauerte nicht lange, bis es brannte. Und qualmte. Aber auch das ging vorbei, immerhin waren nur die Oberflächen feucht. Mit seiner Magie taute Dhaôma den Boden im Qualm auf, um seine Fleischspieße aufzustellen, dann setzte er sich vor das Feuer. Jetzt hieß es warten. Gut. Das nächste Mal das Holz nicht in den Schnee legen. Mimoun würde sich das merken. Auch er wusste halt nicht alles. Jetzt gab es das nächste Problem. Seine zweite Aufgabe. „Wie soll der Schneewall werden? Nur zum Schutz des Feuers? Oder für uns? Wo genau und wie hoch brauchst du ihn?“ Aus seiner Tätigkeit gerissen, starrte er ihn an, dann zuckte er mit den Schultern. „Es kommt darauf an, ob du dahinter schlafen willst oder nicht. Im Grunde benötigen wir ihn nicht, aber wenn du hier auf dieser Lichtung über Nacht bleiben willst, dann ist es sinnvoll sich gegen schneidenden Wind zu schützen.“ „Ach so.“, entfuhr es dem Geflügelten. „Falls die Schlafplätze auf den Bäumen für mich nicht geeignet sind, kann ich auch zwischen den ersten Bäumen am Rand schlafen. Da stört der Wind sicher auch nicht.“ Nicht dass Wind für ihn in irgendeiner Weise unangenehm werden würde. Er liebte ihn, versprach er doch Freiheit. Also brauchte der Geflügelte nun nichts mehr tun und konnte sich zum Schlafen legen. Oder vorher noch ein wenig Essen. Obwohl die Müdigkeit den Hunger überwog. So lange war es ja nicht her, dass er etwas gegessen hatte. „Falls du mich nicht mehr brauchst, leg ich mich dann hin.“ Und schon erhob er sich und klaubte seine Sachen zusammen. Die Rüstung legte er wieder an zum zusätzlichen Schutz für die Nacht. Den Beutel und seinen Bogen würde er an einen der Bäume in der Nähe hängen. Unerreichbar für Getier. Dhaôma nickte und winkte. „Schlaf gut.“ Er würde noch nicht schlafen. Zuerst wollte er den Proviant in Sicherheit wissen, danach konnte er immer noch schlafen. In seinen Mantel eingehüllt starrte er in die Flammen, legte immer wieder Holz nach und wartete. Bevor der Hanebito schlafen gegangen war, hätte er ihn nach dem Buch fragen sollen, aber das hatte er vergessen. Zu schade, denn so musste er noch länger warten, bis er wusste, was darin stand. Aber ihn dafür zu wecken kam genauso wenig in Frage, wie einfach an seine Sachen zu gehen, wenn er es nicht bemerkte. Als das Feuer heruntergebrannt war, packte er das geräucherte Fleisch in Leder ein und hängte es in einen Baum, bevor er noch einmal nach seinem Begleiter sah. Still und leise ließ er die kleine Blume erblühen, die ihn aus der sensorischen Wahrnehmung der Raubtiere löschte. Dann rollte er sich in der Kuhle zusammen, die er vorher fleißig mit Nadeln ausgelegt hatte. Es war ein langer Tag gewesen. Und noch immer wusste er nicht recht, was er von dem Besuch halten sollte. Zwar war es schön, jemanden da zu haben, einen Freund zu haben, aber es fiel ihm schwer, sich daran zu gewöhnen. Was genau wollte der Hanebito von ihm? Und was meinte er damit, dass er lernen sollte, Wünsche zu formulieren? Oder dass er ihm Arbeit abgeben sollte? Ob das vorhin in Ordnung gewesen war? Wirklich begeistert hatte der Schwarzhaarige nicht gewirkt, aber er hatte es getan, obwohl er gar keinen Nutzen daraus gezogen hatte. Weder hatte er sich am Feuer gewärmt, noch mochte er gegartes Fleisch. Mit einem tiefen Seufzen zog er Umhang und Decke fester um sich. Hoffentlich verstand er es bald. „Hilfe annehmen.“, murmelte er. Auch ein Rat von Mimoun. Aber das war wirklich nicht so einfach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)