Wörtertanz mit einem Globus von Sternenschwester (OS/Drabbelsammlung) ================================================================================ Kapitel 25: Adjektivtango - Philosophisch - AmiRus -------------------------------------------------- December 1991 – Irgendwo in Russland „Wofür bist du gekommen, Jones?“ Wie ein verwirrtes Schaf blickte sich der Amerikaner betreten im großen Saal um, welcher einst ein prächtiger Versammlungsraum gewesen sein musste. Doch nun war er von Trümmern umgeben und der schneidende Winterwind hauchte seinen eisigen Atem durch die zerbrochenen großen Fenster in den Raum. Die alten roten Banner wiegten sich leicht in einem nicht hörbaren Tackt und machten Alfred immer deutlicher, dass er sich mit diesem Besuch auf die Spuren einer gestürzten und bald vergessenen Ära machte. Es schien als wäre dieser Ort vor langer Zeit von der Welt vergessen worden, doch der Sturz, dessen bitterer Duft scheinbar bei jedem Zug die Atemwege verklebte, war erst ein paar Augenzwinkern der Geschichte her. Amerika hatte die Auswirkungen des Zerfall der Sowjetunion hinter dem Fensterglas der Limousine, welche ihn her gefahren hatte gesehen. Die offensichtlichen Zeichen, welche groß im Fernsehen Einzug gehalten hatten und die versteckten, auf den ersten Blick kaum zu bemerkenden Omen des Machtwechsel. Ein kalter Windstoß trieb Alfred die Wärme aus dem Leib und riss ihn wieder in diese in sich verlorene Scheinwelt zurück. Zornig rüttelte der Zug an den alten Bannern und ließ das Metall ihrer Halterungen gegen die Wand scheppern. Unwohl machte der Amerikaner einen Schritt vorwärts, um nur wenige Atemzüge später zwei nach hinten zu stolpern, kaum war er sich des forschen Blicks aus den violetten Augen des anderen Anwesenden bewusst geworden. Es war nicht seine Art vor dem Russen Blöße zu zeigen – bei Gott nicht – aber der eiskalte Verstand, welcher sich nun offen hinter der Maske des Russen zeigte, jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken, wie es ein alaskischer Winter nie in der Lage gewesen war. Abermals wurde Amerika bewusst an welchem Ende sie sich nun befanden und auch wenn es nicht seines gewesen war, bestürzte es ihn. Ivan stand mitten im Raum, wobei wenig an seiner Haltung erkennen ließ, wie schwer ihn die letzten globalen Schachzüge der Politik getroffen hatten. „Nun, kleines Amerika? Hat dich dein ganzer Mut verlassen, bekomme ich denn eine Antwort?“ Wie das Grollen eines verletzten Bären erfüllte die Stimme Ivans schallend den Saal, wobei Alfred es nicht lassen konnte, eine zweite drohender, kältere Stimme in der Aufforderung des Russen zu hören. Als würde sich jemand hinter dem Russen verbergen. „I..ich…“ Alfred wusste einfach nicht wo er anfangen sollte. Doch was sollte man auch einer Nation sagen, welche nun vor den Trümmern der Symbole ihres einstigen Imperiums kauerte und wieder einmal vor dem schmerzhaften Nichts stand? Ivan schien nach kurzer Zeit der ausgefranste Geduldsfaden zu reißen. „Was machst du hier? Willst du dich etwa an meinem Leid laben? Mir wie ein Großwildjäger deinen Stiefel ins Gesicht drücken.“ Alfred zuckte unter den berechnenden Blick des Russen kurz zusammen. Es lag nicht der übliche leichte Wahnsinn dahinter. Die violetten Augen waren so klar und verbargen paradoxerweise gleichzeitig jeden Gedanken Ivans. Auch wenn es Amerika nie für möglichgehalten hatte, aber er wünschte sich den alten Ivan zurück. Der Ivan, welcher immer dieses hintergründige Lächeln auf den Lippen trug und auf so kindliche Weise grausam handeln konnte. Der Mann, der ihm nun gegenüberstand, war ihm ein Fremder und nicht derjenige mit dem er sich die letzten Jahrzehnte um den Erdball gebalgt hatte. Ein brenzliges Spiel was nun offiziell mit der Auflösung des roten Blockes zu Ende gebracht worden war. „Ich… ich wollte sehen, wie es dir geht….“ Ein eisiges Lachen erfüllte die große Halle und erneut schien es Alfred, als würde eine rauere Stimme im Wind in dieses kalte Lachen einstimmen. „Mich sehen wollen… mich!“ Mit ungläubigen Blick schlug sich Ivan auf die Brust. Die goldenen Orden auf den schweren Wintermantel tanzten kurz im Zwielicht der flackernden Beleuchtung auf. „Sind wir jetzt in einem Märchen gelandet, Jones?“ „Nein, Ivan! Sind wir nicht!“ Schwer betreten brach Alfred den Blickkontakt ab und stocherte beklommen mit der Stiefelspitze im Schutt. Zwischen dem ganzen Staub entdeckte er einen kleinen Anstecker in Form eines roten Sternes. Wahrscheinlich ein Orden für irgendetwas. Nun Plunder, so wie der politische Wind wehte. „Was suchst du dann?“ Ein wenig gefestigter blickte Alfred wieder auf und suchte den Blick des ehemaligen Feindes. „Ich sagte doch Ivan, ich kam her um dich zu sehen.“ Das Lächeln, welches nun die spröden Lippen des Russen beherrschte, war falsch wie die üblichen Lächeln, die ihm der Russe unter normalen Umständen schenkte und doch fehlte Alfred schmerzhaft der kindliche Zug um die Mundwinkel des anderen. So wirkte es, als ob Ivan mehr offen legte, als Alfred es sehen wollte. „Jones. Das wäre doch selbst in deinen Augen so, als würde der edle Ritter nach dem Kampf nach dem Drachen sehen würde.“ Mit langsamen Schritten kam Ivan auf ihn zu, wobei es schien, als würde der kalte Wind ihn begleiten. Verunsichert ging Alfred ein paar Schritte zurück, bevor er seinen sonst überschäumenden Mut zusammenkratzte und stehen blieb, den kommenden Sturm erwartend. „Nun, du musst zugeben, Ivan, dass diese Illusion schon lange genug angehalten hat.“ Der Russe blieb vor ihm stehen und betrachtete ihn eingehend. „Von welcher Illusion redest du?“ Mit leichter Willensanstrengung zwang sich Alfred zu ihm aufzublicken, um sein typische sonniges Lächeln zwischen ihn und den Russen zu bringen. Doch es gelang ihm nur kläglich und wirkte verlogen. „Den Tanz unserer beiden Mächte. Die Illusion, dass einer von uns beiden der Gute ist und der andere das Ungeheuer.“ „Eher der Verführer…. Nicht das Monster.“, unterbrach ihn Ivan mit ungewöhnlicher heiserer Stimme. „Ivan, wir haben die letzten Jahrzehnte versucht mit dieser Illusion die Welt in zwei zu zerreißen und sind dabei öfter knapp an der Vernichtung vorbei geschlittert.“ Ivan hob die Hand, schien etwas sagen zu wollen, aber Alfred ließ es soweit nicht kommen. „Verdammt, Ivan, all unsere Ideale, welche wir beide auf unsere Weise so hochgepriesen haben. Was sind die am Ende? Nichts als Staub unter unseren Füßen. Nur Illusionen, die nicht einmal diesen Staub wert sind.“ Alfred holte noch einmal tief Luft und kiff dabei die Augen zu, um nicht in die kalten seines Gegenüber blicken zu müssen, während er die Gedanken aussprach, welche ihn seit seinem Entschluss nach Russland zu fahren malträtiert hatten. „Ich mag vielleicht nun der Sieger sein, nach so vielen Jahren des Umschleichens und vielleicht magst du nun im roten Staub deines Regimes liegen, aber ich fühle mich dabei ebenso erbärmlich. Ich bin kein Sieger, Ivan. Nur ein Pappritter, der einfach erbärmlich ist.“ Plötzlich spürte Amerika, wie eine Hand sich auf seine Wange legte und ein Daumen behutsam über die Haut strich. Das Leder der Handschuhe schabte zwar unangenehm über seine hellen Bartstoppeln, aber Alfred trat nicht zurück. Nur zögerlich öffnete er die blauen Augen. „Wie kommt es, dass du heute so philosophisch bist, Jones?“ Unbeholfen musste Alfred lächeln. „Weiß nicht, vielleicht weil wir beide so erbärmlich sind am Ende.“ Langsam zog Ivan seine Hand zurück. Das Lächeln, was er nun trug war um ein paar Spuren wärmer geworden. Dann trat er plötzlich einen Schritt zurück und hielt ungewöhnlich galant Alfred seine Hand hin. „Dann bitte ich dich um einen Tanz?“ „Wie bitte?“ Verwirrt starrte Alfred die Hand an. „Du selbst hast doch gesagt, dass dies alles eine Illusion war, ein Face… also lass sie mir wenigstens noch für diesen einen Tanz… damit wir uns würdig von diesem verdammten Spiel verabschieden können.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Ivan nach den Handgelenken des anderen und zog Alfred zu sich. Mit leicht geröteten Wangen ließ ihn der Amerikaner gewähren, als er einen Arm um dessen Taille schlang und seine Hand auf sein die Schulter legte. „Vielleicht solltest du dich langsam von deiner starren Vorstellungen von Gut und Böse verabschieden, kleiner Alfred…“, vernahm Alfred in rauer Stimme die Worte des Russen, als dieser ihn enger zu sich zog. „Sie könnten beim Aufbruch in eine neue Ära hinderlich sein.“ Alfred nickte nur stumm, verwirrt über die Worte und reagierte wie ferngesteuert auf den erst gesetzten Tanzschritt. Während Ivan, ungewöhnlich selbstsicher, ihn zu einer nicht zu hörenden Musik mit keinem Tanz näher zu zuordneten Schritten durch den Raum führte, schmiegte Alfred aus einem Impuls heraus den Kopf gegen die breite Brust des Russen. Durch die vielen Lagen des Stoffes hörte er einen beruhigenden Donner. Schwach zwar, aber das Herz Russlands war immer noch gut vernehmbar. Die blonde Supermacht lächelte verstohlen. Er konnte immer noch nicht genau sagen, warum er her gekommen war, noch warum er sich nicht gewehrt hatte, als ihn der Russe in die Arme gezogen hatte. Warum er ihn, dem durch den Lauf der Zeiten Besiegten, diesen letzten Tanz gewährte. Aber es ließ seine Seele zur Ruhe kommen, als er hinter dem pochenden Herzen des vergangenen Regimes, eine neue Ära klar und deutlich hören konnte. Dies war ein Abschied und doch gleichzeitig ein Neubeginn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)