Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 1: "Ihr seid wirklich großartig" ---------------------------------------- Er erwachte durch die Hand, die seine Schulter sanft drückte. Violette Augen wurden langsam geöffnet und sein Blick brauchte einen Moment, um sich zu fokussieren. Dann jedoch schälte sich Crawfords Gesicht aus dem Nebel heraus, den der Schlaf hinterlassen hatte und er lächelte. Amüsiert wurde sein Lächeln erwidert und kurz streifte die Hand weiter, seinen Hals entlang, um zum Abschluss seine Wange zu umfassen. "Wir sind gleich da." Er zwinkerte und ein weiterer Moment verging, ehe alles an den richtigen Platz fiel. Amerika… Abrupt richtete er sich auf, was die Belustigung in braunen Augen vertiefte. "Ah ja, endlich wach genug, wie mir scheint." Sein Grinsen zeigte, dass er sich rein gar nichts daraus machte, aufgezogen zu werden. Aber trotzdem konnte er nicht anders, als nach Crawfords Handgelenk zu suchen. Der Herzschlag des Älteren pulste gegen seinen Daumen, brachte wie immer Beruhigung mit sich. Und die Aussicht, in Kürze Fuß in ein völlig neues Land zu setzen, verlor an Wucht. Stattdessen schlug sein Herz aus einem anderen Grund schneller. Manchmal schien es noch wie ein Traum, aber es war keiner. Er saß wirklich hier neben Crawford und als sein Blick weiterschweifte, konnte er auch die Anderen sehen. Farfarello starrte aus dem Fenster, schien völlig in den Ausblick versunken. Das Einzige, was sich bei ihm rührte, war der Daumen, der mit hypnotisch gleichmäßigen Zügen über Schuldigs Unterarm strich. Grüne Augen erwiderten unverhofft seinen Blick, schreckten ihn aus seiner Beobachtung auf und das Grinsen, das ihm geschenkt wurde, war auf seine Art genauso beruhigend wie der Puls, den er immer noch spürte. Blieb nur noch Nagi, der sich völlig von der Außenwelt abgeschottet hatte, mit Kopfhörern über den Ohren und irgendeinem technischen Gerät vor der Nase. "Er versucht sich abzulenken. Sein Talent kann in so einer Umgebung gefährlich werden. Auch wenn er es normalerweise unter Kontrolle hat, Unfälle kann es immer geben." Die tiefe Stimme zog seine Aufmerksamkeit zurück auf Crawford. Er verzog unwillkürlich das Gesicht. "Warum musst du mir so etwas erzählen?", beschwerte er sich. "Ich dachte, es könnte dich interessieren", wurde vollkommen unschuldig zurückgegeben. Etwas, das er dem Älteren ganz sicher nicht abnahm. Aber bevor er das sagen konnte, lagen plötzlich Lippen auf seinen und wischten jeden Gedanken daran hinweg. Seine Hand verkrampte sich, dort, wo sie immer noch Crawford hielt und mit der anderen suchte er nach der Weste des Älteren. Der Kuss endete so abrupt wie er begonnen hatte und er hatte Mühe, sich zu sammeln, während Crawford weitersprach, als hätte es dieses Zwischenspiel nie gegeben. "Außerdem gibt es keinen Grund mehr, sich Sorgen zu machen. Immerhin sind wir fast am Boden und Nagi könnte uns ohne Probleme runterbringen, sollte die Technik versagen." Er hatte Mühe, diese Aussage zu verarbeiten, zu unglaublich klang sie. Doch dann – glaubte er es. Nagi hatte einen Turm lange genug vor einem Einsturz bewahrt, dass sie alle ungeschoren entkommen konnten. Natürlich wäre es ihm da möglich, sie sicher zu Boden zu bringen. "Ihr seid wirklich großartig", sprudelte es plötzlich aus ihm heraus. Crawfords Mundwinkel zuckten, doch in seinem Kopf hörte er ein richtiges Lachen. >Das fällt dir jetzt erst auf?<, klang dann Schuldigs Stimme auf, als würde der Andere direkt neben ihm sitzen. Es war immer noch eine seltsame Erfahrung, wenn der Telepath so mit ihm kommunizierte. Aber er versuchte, diesen Gedanken nicht zu äußern, streckte innerlich die Zunge heraus, um Schuldig davon abzulenken. Der hatte nichts Besseres zu tun, als dieses Mal laut zu lachen und spätestens jetzt ahnte auch Crawford, was da ablief. "Er spukt in deinem Kopf herum, hm?", merkte der Ältere an, mehr Aussage als Frage. Als nächstes geriet Crawfords Blick etwas abwesend. Da er im selben Moment nichts mehr von Schuldigs Präsenz spüren konnte, ging er davon aus, dass Schuldig ermahnt worden war. Ein Lächeln kurvte seine Lippen bei dieser Feststellung, dann jedoch zupfte er an Crawfords Ärmel, um dessen Aufmerksamkeit zurückzuerhalten. Wärme erfüllte ihn, als die braunen Augen gleich darauf wieder auf ihm ruhten und Zufriedenheit vertiefte sein Lächeln. Die Reaktion wurde natürlich sofort registriert und mit Amüsement aufgenommen. Was vielleicht noch ein bisschen mehr Wärme in seine Wangen trieb, aber ansonsten beschloss er, sich nichts daraus zu machen. Crawford griff plötzlich um ihn herum, brachte seinen Sitz in die Senkrechte. Er musste sich zusammenreißen, den Älteren nicht einfach festzuhalten, als dieser sich wieder zurücklehnte, aber durch seine Hand lief trotzdem ein Zucken. "Nervös?", wurde er leise gefragt, ein Murmeln neben seinem Ohr, das einen Schauer seinen Rücken herunterlaufen ließ. Gespielte Empörung blitzte in violetten Augen auf. "Ganz bestimmt nicht. Du hast mir schließlich gerade erst erklärt, warum es keinerlei Grund gibt, nervös zu sein", wehrte er ab. "Gut, du hast mir also zugehört", kam es unbeeindruckt zurück und nur ein winziger Funken verriet die Belustigung des Amerikaners. Als könnte er Crawford jemals nicht zuhören. Und irgendwie schlich sich auf einmal der Wunsch in seine Gedanken, der Ältere würde ihm noch andere Sachen ins Ohr flüstern. Vorzugsweise irgendwo, wo sie unter sich waren. Er erstarrte, als ihm wirklich bewusst wurde, was er da gerade gedacht hatte, drehte sich dann misstrauisch zu Schuldig um. Doch der Telepath wurde gerade von Farfarello mit Beschlag belegt und schien zur Abwechslung mal unschuldig. "Was ist, Ran?", erkundigte sich Crawford, doch irgendwie hatte er das dumme Gefühl, dass der Ältere genau wusste, was ihm durch den Kopf gegangen war. Und deswegen verweigerte er eine Antwort, suchte nur wieder den Kontakt zu Crawfords Handgelenk, den er zwischenzeitlich verloren hatte. Eine fast unbewusste Geste, denn gleichzeitig war er mit der Erkenntnis beschäftigt, dass seinem Wunsch in Zukunft kaum etwas entgegen stehen würde. Crawford musterte ihn noch für einen Moment, lehnte sich dann zurück und ließ ihn damit leichter atmen. Anschließend galt es nur noch, die Landung hinter sich zu bringen, etwas, das aus irgendeinem Grund nur noch halb so aufregend war, wie es zuvor noch schien. Aber darüber sollte er sich wohl nicht wundern. Denn was bedeutete der Aufenthalt in einem fremden Land schon im Vergleich zu der Aussicht, dass er nun jeden Tag Crawford sehen konnte? Es war eigentlich lächerlich, dass er sich das bisher nicht wirklich bewusst gemacht hatte. Aber es war so. Und der Gedanke ließ sein Herz schneller schlagen. Hände lösten seinen Gurt und holten ihn in die Gegenwart zurück. Und sie war genauso wie sein Blick auf die Zukunft mit Crawford erfüllt. Er konnte gar nicht anders als zu lächeln, woraufhin ihn der Amerikaner kurz küsste, mit einer Selbstverständlichkeit, die die Gewissheit mit sich brachte, im Moment nicht beobachtet zu werden. "Nicht träumen, aussteigen", wurde er dann aufgefordert. Wieder belustigt. "Du warst mit deinen Gedanken ganz weit weg, was?" Er erhob sich, schwerfälliger als gewohnt, stützte sich nicht unbeabsichtigt für einen Moment gegen den Älteren. Und bevor er sich eine unverfängliche Antwort überlegen konnte, kam ihm Schuldig zuvor. "Nicht ganz weit weg", grinste der Ältere. "Im Gegenteil. Das Ziel seiner Überlegungen war sehr nah." Zum Glück war da auch schon Rettung in Form von Farfarello heran, der Schuldig vorwärts drängte, bevor der noch mehr verraten konnte. Und als violette Augen sich von den beiden ab- und Crawford zuwandten, hatte der eine Augenbraue hochgezogen. Da er keine Kraft für mehr zu haben schien, seufzte er nur. "Ja, genau das, was du gerade denkst", bestätigte er anschließend ganz einfach. Und dieses Mal hielt kein Blut Einzug in seinen Wangen. Der Amerikaner schien kurz überrascht, schüttelte den Kopf, um ihm dann einen kleinen Anstoß in die richtige Richtung zu geben. Er war froh über die Hand, die in der Folge in seinem Kreuz ruhen blieb, sie diente als Anker, als der Trubel des Flughafens ihn umfing. So viele Leute, nicht nur die aus ihrem Flugzeug, und sie alle strebten auf die Schalter zu, die ihnen die Einreise erlauben würden. Schuldig sah sich mit verengten Augen um, das Grün kühl, während dieser sich streckte. Am Ende wurden die Hände hinterm Kopf verschränkt und der Orangehaarige wandte sich an Crawford. "Sag mal, großer Meister. Müssen wir uns hier wirklich anstellen?" Ihm zuliebe sprach der Telepath Japanisch, doch das half nicht viel, wenn um ihn herum viel zu viele Leute sich auf Englisch unterhielten. Zu schnell und zu durcheinander, um die Wörter auseinanderhalten zu können. "Ich werde mich darum kümmern", versprach der Schwarzhaarige, bevor er wieder dessen Blick auf sich ruhen fühlte. "Du kümmerst dich dafür um einen Sprachkurs für Ran." "Mm…" Ein Lächeln, das sich rasch in ein Grinsen weitete. "Klingt nach einem Deal. Und ich werde mir jemanden aussuchen, der nicht so schnell entdeckt wird." Schuldig neigte den Kopf leicht zur Seite. "Ah, deswegen sollte ich es nicht schon auf dem Flug tun", wurde dann verstehend hinzugefügt. Er verstand gar nichts, anders als die Anderen, die von Crawfords bestätigendem Nicken nicht besonders überrascht schienen. Bevor er fragen konnte, worum es ging, schlang Schuldig einen Arm um seine Schultern und führte ihn zu ein paar Sitzen. "Komm, wir ruhen uns ein bisschen aus, während Crawford den Papierkram übernimmt." An dieser Stelle hätte er einwenden können, dass sie im Flugzeug lange genug gesessen hatten, aber darum ging es ja nicht. Nach einem letzten Blick auf Crawford folgte er also dem Zug und fand sich gleich darauf zwischen Schuldig und Farfarello sitzend wieder. Nagi stand ein wenig von ihnen entfernt. Nicht, um auf Abstand zu gehen. Der Jüngere hatte sich anscheinend die Aufgabe auferlegt, ihnen andere Leute vom Hals zu halten, indem er ihnen das Gefühl gab, dass die Sitzgelegenheit in sich zusammenzufallen drohte, sobald sie Platz zu nehmen versuchten. "Dann wollen wir mal, was, Ran-chan?" Die Worte lenkten seine Aufmerksamkeit zurück auf Schuldig und er zog die Nase kraus. Aber statt sich über die Form der Anrede zu beschweren, stellte er eine Gegenfrage. "Was soll ich dazu sagen? Ich weiß noch nicht einmal, was du überhaupt vorhast." Schuldig grinste unbekümmert. "Solches Misstrauen… Dabei will ich dir doch nur helfen." Der Daumen des Orangehaarigen deutete in Crawfords Richtung. "Ganz wie der Boss es befohlen hat. Ich kann dir zwar kein Sprachpaket einpflanzen, aber ich kann es dir leichter machen, dein Englisch zu verbessern. Sozusagen dein Sprachzentrum aktivieren." Violette Augen wurden leicht zusammengekniffen, als er die Worte abwog. Denn irgendetwas schien ihm Schuldig nicht verraten zu wollen. Doch letztendlich gewann der Fakt, dass Crawford tatsächlich den Befehl gegeben hatte. Und damit gab es keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Also nickte er knapp, was Schuldig zum Anlass nahm, sein Gesicht mit beiden Händen zu umfassen. "Und jetzt schön stillhalten, Ran-chan." Schuldigs Gesicht kam ihm immer näher und unwillkürlich musste er an den Moment damals im Flur zurückdenken, als ihn der Ältere geküsst hatte. Die Erinnerung ließ ihn beinahe zurückweichen, aber daran hinderte ihn der Griff des Anderen. Und dann war der Augenblick auch schon vorüber und statt Lippen streiften ihn orangefarbene Strähnen, bevor Schuldigs Stirn an seiner zu ruhen kam. Mit einem kaum merklichen Seufzen der Erleichterung erlaubte er seinen Augen, sich zu schließen. Nicht, dass er etwas gegen Schuldig hatte, aber geküsst werden wollte er nur von Crawford. Ein Lachen klang in seinem Kopf auf, schlängelte sich als Kitzeln durch seine Gedanken, bevor sich der Telepath offensichtlich auf seinen Job besann und zu konzentrieren begann. Er konnte nicht sagen, was Schuldig eigentlich machte, aber nach einer Weile ließ das Kribbeln in seinem Kopf nach, dafür schien es plötzlich, als wäre genau neben seinen Ohren ein Lautsprecher platziert worden. Wieder drangen englische Wörter auf ihn ein, doch dieses Mal wurden sie sortiert, orientierten sich dabei an einer Matrix, die vorher nicht da gewesen war. Und statt überwältigt zu werden, begann er zu verstehen. Nicht alles, aber mehr und mehr. Zum Schluss spürte er noch eine Berührung, als würde sein Kopf getätschelt werden, dann zog sich die Wärme zurück. Sowohl aus seinem Verstand als auch von seinem Gesicht. "Gut gemacht", wurde er gelobt, als er langsam seine Augen aufschlug, schon wieder müde, obwohl er gerade erst im Flugzeug geschlafen hatte. Verwirrt rieb er sich über die Stirn. "Ich habe doch gar nichts gemacht", wandte er dann ein. Was ihm ein Grinsen einbrachte. "Ganz genau, du hast mich nicht bei meiner Arbeit gestört. Apropos Arbeit…" Schuldigs Blick schweifte ab, in die Richtung, in die Crawford vorhin verschwunden war. "Ich denke, unser großer Meister hat seine Kräfte wirken lassen und wir können jetzt aufbrechen." Vielleicht sollte er über diese respektlose Art sauer sein, aber letztendlich war das nur oberflächlich, wie er spürte. Also lächelte er nur, kam dann rasch auf die Beine, unterstützt von der Aussicht, zu dem Amerikaner zurückkehren zu können. Tatsächlich wartete Crawford schon auf sie und neben dem Schwarzhaarigen stand ein anderer Mann. "Wenn Sie mir bitte folgen würden", wurden sie empfangen und nach einem rückversichernden Blick zu Crawford hin taten sie es. Es ging durch ein paar Türen, die anscheinend nicht für den normalen Passagierverkehr gedacht waren, und dann standen sie unverhofft draußen. "Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt", verabschiedete sich der Mann, der sich nicht einmal vorgestellt hatte. Und erst als dieser wieder ins Innere des Flughafengebäudes verschwunden war, wurde ihm bewusst, dass er jetzt wirklich angekommen war. In Amerika. ~TBC~ Kapitel 2: "Auf jeden Fall hat unser Kleiner genug Raum, um sich draußen austoben zu können" -------------------------------------------------------------------------------------------- Schuldig war es, der als erster wieder das Wort ergriff. "Sieht ganz so aus, als würden wir standesgemäß zu unserem neuen Heim chauffiert werden." Er folgte dem Blick des Orangehaarigen zu einer bereitstehenden Limousine. Natürlich hatte der Telepath dank seiner Fähigkeiten keine Zweifel, dass der Wagen auf sie wartete. "Hast du den Wagen bestellt oder-?" Schuldig stoppte sich selbst, als er sah, wie Crawfords Mundwinkel nach oben kurvten. Und der Ältere schien von der Antwort ganz und gar nicht überrascht. "Herr Schneider hatte sich bereits darum gekümmert, von daher kannst du dich bei ihm bedanken." Unwillkürlich musste er grinsen, als Schuldig daraufhin das Gesicht verzog, aber beinahe ohne sein bewusstes Zutun suchte seine Hand gleichzeitig nach Crawfords Handgelenk. Eine stumme Versicherung, dass der Amerikaner bei ihm war und nicht bei dem Direktor. Braune Augen richteten sich auf ihn und dieses Lächeln enthielt mehr Wärme als Spott. "Dir sollte inzwischen aufgefallen sein, dass er solche Gesten nicht lassen kann. Kein Grund zur Sorge." Es war gar nicht so schwierig, das Lächeln zu erwidern. "Ich mache mir keine Sorgen." Und das stimmte auch, überwiegend jedenfalls. Auch wenn er immer noch nicht so ganz verstehen konnte, wie Crawford so einfach hatte weggehen können. Was er natürlich nicht sagte. Stattdessen setzte er sich in Bewegung, was dafür sorgte, dass der Ältere es ebenfalls tat. Kurz darauf saßen sie alle in der Limousine und Schuldig begann die Minibar zu durchsuchen, beobachtet von Farfarello. Nagi hingegen tat so, als würde ihn das Ganze nichts angehen. Doch als Schuldig ab und zu der erste Griff misslang, wurde schnell klar, dass hier jemand seine Finger im Spiel hatte. Auch wenn es nur telekinetische waren. Sein bittender Blick wurde bemerkt und richtig interpretiert. Der Jüngere lächelte leicht, als er eine Flasche zu ihm herüberfliegen ließ. Er griff sie sich aus der Luft, wie immer fasziniert von diesem Schauspiel. Nagis Talent war einfach etwas Besonderes. Das von Crawford war unglaublich und das von Schuldig ausgesprochen seltsam. Aber Nagis war wirklich greifbar, im wahrsten Sinne des Wortes. Er konnte es mit eigenen Augen sehen. Und der Telekinet setzte noch eins drauf, als er ihm die Flasche aufschraubte. Farfarello lachte über seinen Gesichtsausdruck und hatte nichts Besseres zu tun, als ihm die Flasche einfach aus der Hand zu nehmen und einen Schluck von der Cola zu trinken. Doch wenigstens erhielt er sie anschließend zurück. Also sparte er sich einen Protest, lehnte sich stattdessen vorsichtig gegen Crawford, entspannte sich, als der Ältere sein Gewicht ohne Unbehagen trug. Erst danach widmete er der Welt außerhalb des Wagens seine Aufmerksamkeit. Anfangs eröffnete sich ihm dort eine typische Großstadt, vollkommen anders als Tokyo und gleichzeitig vertraut. Nach einer Weile jedoch wichen die hohen Bauten zurück, der Verkehr wurde weniger. Gleichzeitig löste Grün nach und nach Beton ab, was ihm das Gefühl gab, leichter atmen zu können. Denn das Gefühl der Fremdheit war nicht so sehr durch die Gebäude ausgelöst worden, wie vielmehr durch die ganzen Menschen, die eindeutig keine Japaner waren. Und hier draußen würde er immerhin weniger von ihnen über den Weg laufen. Er spürte plötzlich, dass ihn jemand beobachtete und als er den Kopf wandte, begegnete er Schuldigs Blick. Als der sich seiner Aufmerksamkeit sicher war, erhielt er ein Grinsen und eine wegwerfende Handbewegung. Er sollte sich über die anderen Leute keine Sorgen machen, sollte das wohl heißen. Und es half sogar, weswegen er mit einem Lächeln reagierte. Dennoch hob er sich weitere Betrachtungen der Außenwelt für später auf, wandte sich lieber Crawford zu, der in einer englischsprachigen Zeitschrift las. Neugierig flogen violette Augen über die Artikel hinweg, doch es schien nicht besonders interessant. Irgendetwas mit Wirtschaft. Was ihn aber nicht davon abhielt, weiterzulesen. Denn so hatte er eine gute Entschuldigung, weiter so nah bei Crawford zu bleiben. Und er übte sein Englisch, nicht wahr? Mit einem innerlichen Lächeln traf er diese Feststellung, stellte dann aber mit leichter Überraschung fest, dass es wirklich funktionierte. Was auch immer Schuldig am Flughafen gemacht hatte, er verstand jetzt mehr. Da Crawford immer geduldig wartete, bis er einen Artikel zu Ende gelesen hatte, bevor umgeblättert wurde, versank er völlig in die Lektüre. Weswegen er erst merkte, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, als der Wagen hielt. Es war ein Haus, umgeben von einem riesig wirkenden Grundstück. Und erst als er letzteres wirklich erfasst hatte, konnte er die Dimensionen des Gebäudes an sich einordnen. Es war viel größer als das in Japan. Crawfords Hand auf seiner Schulter holte ihn zurück und ihm war egal, dass der Ältere eindeutig amüsiert aussah. "Die Immobilienpreise sind hier um einiges verträglicher als in Tokio, ebenso die Mieten", wurde ihm erklärt. Er nickte verstehend, verließ dann den Wagen, da der Chauffeur inzwischen die Tür geöffnet hatte. Der Rest von Schwarz folgte und mit einer gewissen Genugtuung stellte er fest, dass auch die Anderen von der Größe des Grundstücks überrascht waren. Crawford natürlich ausgenommen. Sobald ihr weniges Gepäck ausgeladen war, verabschiedete sich der Chauffeur mit der Versicherung, dass er jederzeit gerne wieder zu Diensten sein würde. Schuldig grinste, als sie unter sich waren, murmelte dann ein von Ironie angehauchtes "Home sweet Home", bevor er sich an Nagi wandte. "Nun, auf jeden Fall hat unser Kleiner genug Raum, um sich draußen austoben zu können." Er konnte nicht anders als aufzulachen, immerhin war ihnen allen bewusst, dass der jüngere Japaner eher zu den Stubenhockern gehörte. Nagi hingegen verdrehte die Augen und schien Schuldig für diesen Kommentar gegen das Schienbein zu treten, ohne dafür seinen Fuß benutzen zu müssen. Crawford tat vollkommen unbeteiligt, machte sich einfach auf den Weg zur Haustür, wurde von diesem Ziel aber von Schuldigs Ausruf abgehalten. "Warte mal!" Der Orangehaarige rieb sich mit einem leisen Fluchen das Bein, doch die grünen Augen waren auf die Doppelgarage gerichtet. "Du hast doch sicher den Garagenöffner am Bund. Ich will sehen, ob mein Cabrio sicher angekommen ist." Er erinnerte sich erst in diesem Moment wieder daran, dass sie zwar Crawfords Wagen in Japan zurückgelassen hatten, am Flughafen, wo ihn jemand abholen würde, doch das knallrote Cabrio war in den letzten Tagen nicht mehr da gewesen. Crawfords Mundwinkel zuckten, dann schien er Schuldigs Wunsch auch schon nachzukommen, denn die Garagentore fuhren nach oben. "Ah, da ist er ja!" Schuldig lief auf sein Auto zu, stockte aber, als ihm bewusst wurde, dass auch der andere Garagenplatz belegt war. Langsam wandte sich der Orangehaarige Crawford zu. "Wusstest du das schon?" "Bis eben nicht…" Crawfords Stimme klang… ausdruckslos. Aufmerksam musterte er den Älteren, doch Crawford sah nicht so aus, als wäre er sauer. Nur, als wüsste er nicht so ganz, wie er reagieren sollte. Aber ganz versteckt glaubte er einen Anflug von Zufriedenheit zu registrieren. Unwillkürlich schloss er seine Hand um das Handgelenk des Schwarzhaarigen, als er verstand. Denn nur wenn es um Herrn Schneider ging, reagierte Crawford so. Schuldig hatte sich längst wieder der schwarzen Limousine zugewandt, stieß jetzt ein lautes Pfeifen aus. "Wirklich schick, wenn auch nicht so toll wie mein Cabrio. Scheint der Gleiche wie der in Japan zu sein, nur ein neueres Modell." Nun suchten die grünen Augen wieder nach der Gestalt des Amerikaners. "Herr Schneider hat ziemlich tief in die Tasche gegriffen, was? Nicht nur, dass er uns in diesem Riesenkasten einquartiert, er besorgt dir ganz nebenbei auch noch einen neuen fahrbaren Untersatz." Ein Grinsen folgte. "Da wird man direkt neugierig, wie es drinnen aussieht." Die Aufforderung in diesen Worten wurde mühelos verstanden und mit einem Kopfschütteln warf Crawford die Schlüssel zu Schuldig, der sich nach einem angedeuteten Salut zur Haustür aufmachte, gefolgt von Nagi und Farfarello. Crawford jedoch rührte sich immer noch nicht vom Fleck, weswegen er noch ein Stück näher an ihn herantrat. Sein Griff um das Handgelenk löste sich, nur um gleich darauf neuen Halt in Crawfords Rücken zu finden, als sich seine Finger um den Stoff von dessen Jackett schlossen. Gleichzeitig lehnte er sich vor, so dass seine Stirn etwas über seiner Hand zu ruhen kam und seine Worte waren kaum verständlich, so gegen das Jackett gesprochen. "Er wünscht sich sicher, dass du mit ihm nach Deutschland gegangen wärst…" Seine stillen Befürchtungen, dass sich Crawford doch noch dafür entscheiden könnte, sprach er natürlich nicht aus. Der Ältere blieb für einen Moment sehr starr, dann aber lief ein leises Lachen durch ihn, die Vibration gut spürbar. "Hm, dem will ich nicht widersprechen. Aber man sollte darauf nicht so einfach aus der Tatsache schließen können, dass er mir meinen Aufenthalt hier so angenehm wie möglich gestaltet." "Ha…", entkam ihm ein leiser Laut der Belustigung, stieß gewichtslos gegen Crawfords Rücken. "Meine Gedanken liefen auch eher in die Richtung, dass er dir gerne einen Gefallen tut." Der Schwarzhaarige gab einen kaum hörbaren Laut von sich, der nichtsdestotrotz problemlos Zustimmung vermittelte. Dann drehte sich Crawford vorsichtig zu ihm um, was ihn dazu zwang, ihn freizulassen. Das war aber gar nicht so schlimm, da gleich darauf eine kräftige Hand warm an seiner Taille lag, während die andere sich um seine Wange wölbte. Unwillkürlich vertiefte sich sein Atem und ihm wurde wärmer, während er die Kurve um Crawfords Mundwinkel in sich aufnahm, die von sanfter Belustigung sprach. "Wir sind weit weg von ihm", wurde leise angemerkt. "Du musst nicht befürchten, dass er plötzlich hier auftaucht." Das war nicht ganz das, wovor er Angst hatte, aber die Wahrheit wollte er Crawford auch nicht sagen. Nämlich, dass er selbst an dessen Stelle niemals die Nähe des Direktors aufgegeben hätte. Zum Glück verflüchtigten sich diese Gedanken, ohne sich auf seinem Gesicht abzeichnen zu können. Denn als nächstes beugte sich der Ältere zu ihm herunter und küsste ihn. "Besser?", wurde er nach einer scheinbaren Ewigkeit gefragt, Crawford stand wieder aufrecht vor ihm und lächelte. Etwas benommen lächelte er zurück, antwortete mit einem undefinierten Brummen. Mit wenig Inbrunst vielleicht, aber aufrichtig gemeint. Denn er konnte sich im Moment gar nicht mehr erinnern, worauf sich Crawfords Frage überhaupt bezog und nach einem Kuss von dem Älteren fühlte er sich immer besser. Aus irgendeinem Grund lachte Crawford, dann legte sich eine Hand in sein Kreuz und leitete ihn so sanft in Richtung Haus. Dieses Mal schafften sie beide es, das Ziel auch zu erreichen und kaum waren sie drinnen, wurde er wieder überrascht. Denn trotz der schon von draußen erkennbaren Größe, hatte er nicht diese Weitläufigkeit der Räume erwartet. "Ja, wir bauen hier mit etwas mehr Platz als ihr in Japan." Crawford klang immer noch belustigt, doch er nahm es ihm nicht übel. Stattdessen grinste er, irgendwie zufrieden mit diesem Ort und mit sich selbst. Weil er mit diesen Worten wieder daran erinnert wurde, dass er jetzt mit den anderen zusammenwohnen würde. Mit Crawford. Er tat einen nächsten Schritt, tastete gleichzeitig blind nach der Hand des Älteren, so dass seine Finger gleich darauf von Wärme umfangen wurden. Bisher hatte er noch nicht entschieden, ob er dieses Gefühl mehr mochte oder doch eher die Gelegenheiten, wenn er Crawfords Handgelenk hielt und dessen Puls spüren konnte. Aber das war nicht so wichtig, schließlich zwang ihn niemand dazu, sich auf etwas festzulegen. Er steuerte geradewegs auf die breite Treppe zu, die ins obere Geschoss führte, nicht ohne Grund vermutend, dass er dort die Schlafräume finden würde. Die drei anderen waren vor ihm bereits auf die gleiche Idee gekommen, wie die Geräusche von oben verrieten. Crawford folgte ihm bereitwillig, überholte ihn zum Schluss sogar, und strebte auf das Zimmer zu, aus dem Schuldigs Stimme zu ihnen vordrang. "Das hier ist meins. Hast du den Fernseher da gesehen? Jetzt brauch ich mich nicht mehr mit Nagi-chan um die Fernbedienung streiten." Dahinter lag unausgesprochen die Information, dass der Telepath in solchen Auseinandersetzungen in der Regel den Kürzeren gezogen hatte. Er lachte bei dieser Vorstellung, konnte vor seinem inneren Auge regelrecht sehen, wie Nagi ungerührt die Fernbedienung mit dessen Fähigkeit in der Luft hielt und sie dort bediente, während Schuldig keine Chance hatte, an sie ranzukommen. Prompt richteten sich grüne Augen auf ihn und er erhielt einen schiefen Blick. "Sehr witzig." Der Telepath hatte sich das Bild anscheinend direkt aus seinem Kopf geholt. Selbst schuld, dachte er daher innerlich, mit der Gewissheit, dass Schuldig auch das auffangen würde. "Ja, finde ich auch", gab er unbekümmert zurück, sprach aber schnell weiter, bevor der Ältere anfangen konnte, Rachegedanken zu hegen. "Gefällt Farfarello denn auch das Zimmer nebenan? Das solltest du bei deiner Wahl nicht vergessen." Schuldig, der schon den Mund geöffnet hatte, um etwas zu sagen, schloss ihn jetzt wieder und zwinkerte. Als hätte er bis zu diesem Moment tatsächlich nicht daran gedacht. Dann wanderte Schuldigs Blick zu Crawford hinüber, eine stumme Frage in ihnen. Ein Schatten schien durch die grünen Augen zu flackern, wie eine Erinnerung, die gleich wieder verdrängt wurde. Der Schwarzhaarige nickte. Vielleicht auf die Frage hin, vielleicht in Bestätigung, dass diese Erinnerung in der Gegenwart nichts mehr zu suchen hatte. Und Schuldig grinste daraufhin zufrieden. Kapitel 3: "Interessanter war da zu erfahren, dass einige Dinge aus amerikanischen Serien tatsächlich im wirklichen Leben geschahen" ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Er ließ Schuldigs Zimmer hinter sich, kam dann an Nagis vorbei. Jedenfalls betitelte er es bereits entsprechend, denn der Jüngere hatte sich ohne weitere Umstände an den dortigen Schreibtisch gesetzt und war bereits dabei, den Computer auf Herz und Nieren zu testen. Ein Lachen stand in violetten Augen, als er sich kurz Crawford zuwandte und der Amerikaner schien ebenfalls amüsiert. "Ich denke, für dich bleibt nicht mehr viel Auswahl", meinte er. Eine Augenbraue wanderte in die Höhe. "Und ich denke, dass ich die auch nicht benötige", wurde ihm erwidert. Und dann übernahm Crawford die Führung, öffnete die Tür zu einem Zimmer, das… ganz offensichtlich für Crawford gedacht war. Es war noch größer als das in Japan, aber der Einrichtungsstil war absolut vertraut. Dunkles Holz, Glas, cremefarbene Polster. Er tat einen vorsichtigen Schritt hinein und tatsächlich fand sein Blick sogar das Gestell, auf dem Crawfords Katana ruhte. Als nächstes wurde seine Aufmerksamkeit vom Bett eingefangen, das im Vergleich in die Breite gewachsen zu sein schien, ohne dass es den Raum seiner Freizügigkeit beraubte. Da war auf einmal Wärme in seinem Rücken, als Crawford hinter ihn trat und er lehnte sich bereitwillig zurück, während ein Arm um ihn geschlungen wurde. "Wir können es heute Nacht gerne ausprobieren." Warmer Atem spielte über sein Ohr und ihn störte nicht die Belustigung, die in den Worten lag. Mit Mühe hielt er die Röte aus seinen Wangen, als er wortlos nickte, und in seinem Bauch begannen Schmetterlinge zu flattern bei der Vorstellung, Crawford hier für sich zu haben. Ein leises Lachen vibrierte durch den Körper hinter ihm, bevor der Ältere weitersprach. "Nachdem wir das geklärt haben: bist du gar nicht auf dein eigenes Zimmer neugierig?" Er brauchte ein paar unerwartet lange Atemzüge, ehe er die Frage verarbeitet hatte. Und er war tatsächlich überrascht, dass das auch ein Punkt war, an den er noch nicht gedacht hatte. Selbst nachdem er endlich begriffen zu haben glaubte, dass er ab jetzt mit Schwarz zusammenwohnen würde. Als er nicht gleich reagierte, verstärkte sich die halbe Umarmung für einen Moment. "Du kannst natürlich trotz eines eigenen Zimmers bei mir schlafen." Die Auskunft rief ein rasches Lächeln auf seine Lippen und unwillkürlich drehte er sich um. Darauf musste er nicht antworten, es reichte völlig aus, sich leicht auf die Zehenspitzen zu erheben und Crawford übernahm den Rest, lehnte sich ihm entgegen und küsste ihn. Er nutzte die Gelegenheit, seine Finger wieder um das Handgelenk des Älteren zu schließen und nachdem er wieder klar genug denken konnte, machte er sich endlich auf den Weg zum letzten Raum. Von der Größe her gab es keine Unterschiede zu dem von Schuldig oder Nagi und auch hier erwartete ihn bereits eine vollständige Einrichtung. Mit leichter Überraschung stellte er fest, dass auch er einen eigenen Computer erhalten hatte und der Anblick des gefüllten Bücherregals war für einen Moment regelrecht überwältigend. Vor allem, da sich darin nicht nur Freizeitlektüre verbarg, ganz im Gegenteil. Sein Griff verstärkte sich ohne sein bewusstes Zutun, während seine freie Hand über die breiten Buchrücken hinwegtastete, als könnte er die englische Schrift dadurch besser entziffern. "Ich denke, damit bist du für die Schule gut ausgestattet. Aber wenn etwas fehlt, können wir es schnell besorgen." Allein bei der Vorstellung, in eine völlig fremde Schule zu wechseln, meldete sich Nervosität in ihm und ließ sein Herz schneller schlagen, doch er drängte den Anflug von Unsicherheit rasch zurück. Immerhin würde er auf dieselbe Schulung wie Nagi gehen, selbst wenn es nicht dieselbe Klasse war. Außerhalb des Unterrichts würde es immer jemanden geben, mit dem er sprechen konnte. Crawford drückte kurz seine Schulter, der Ältere schien mal wieder genau zu wissen, was in ihm vorging, dann wurde er von dem Regal weggezogen. "Du musst dir jetzt noch keine Gedanken darüber machen, es sind noch zwei Wochen, bis die Ferien vorüber sind." Sein Nicken daraufhin geriet vielleicht etwas halbherzig, doch das fiel nicht weiter auf, da in diesem Augenblick Schuldig auftauchte."Hey Ran, willst du mitkommen? Wir wollen die Nachbarschaft ein bisschen erkunden." Obwohl er angesprochen wurde, fokussierten sich die grünen Augen kurz auf Crawford und die beiden kommunizierten zweifellos, auch wenn sich ihm der Inhalt nicht erschloss. Ihm reichte die Tatsache, dass Crawford auf seinen fragenden Blick hin mit einem zustimmenden Lächeln antwortete. "Ich komme gerne mit." Schuldig grinste und schob sich die Sonnenbrille, die bis eben über der Stirn in den Haaren geruht hatte, auf die Nase. "Ausgezeichnet. Farf ist auch neugierig und sogar Nagi will sich das nicht entgehen lassen." Gezwungenermaßen ließ er Crawfords Handgelenk los, als Schuldig ihm einen Arm über die Schultern schlang und sich in Bewegung setzte. "Nicht so langsam. Du hast schließlich auf dem Flug genug geschlafen." Dem konnte er nicht widersprechen und er fühlte sich auch nicht direkt müde, sondern eher leicht gerädert. Schuldig grinste schon wieder. "Umso besser, wenn du ein bisschen Bewegung bekommst." Inzwischen hatte er sich fast daran gewöhnt, dass der Telepath so einfach auf seine unausgesprochenen Gedanken antwortete. "Und du willst wohl dein Talent ein bisschen ausstrecken", antwortete er daher schlagfertig. Nagi, der im Flur gegen die Wand gelehnt gewartet hatte, lächelte. "Ich denke, da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Schließlich hatte Schuldig auf dem Flug kaum Gelegenheit, die armen Leute zu ärgern. Das hätte viel zu schnell zu Stress für uns alle führen können." Daran hatte er noch gar nicht gedacht, aber Schuldigs flüchtig verzogener Miene nach zu urteilen hatte Nagi völlig Recht. Der andere Japaner grinste jetzt beinahe und deutete eine Verbeugung in seine Richtung an, während Schuldig die Augen verdrehte und es nicht lassen konnte, sich zu revanchieren. "Du hast deine eigenen Laster, also bist du auch nicht besser. Es ist direkt ein Wunder, dass du so schnell bereit bist, dich von dem neuen Computer zu trennen." Nagi verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch, blieb aber stumm. Jedenfalls auf der offensichtlichen Ebene. Neugierig musterte er Schuldig, doch der tat so, als sei alles Wichtige gesagt worden. Und da jetzt auch Farfarello mit der Erkundung seines Zimmers fertig war, konnten sie aufbrechen. Die Fremdartigkeit der Nachbarschaft überfiel ihn mit unerwarteter Wucht, vor allem, da er die so ungewohnt aussehenden Häuser bereits vom Auto aus gesehen hatte. Doch während sie die verlassen wirkenden Weg entlangstreiften, summierten sich die Eindrücke. Die Häuser waren viel zu groß, wirkten eher wie Villen und der Platz zwischen den einzelnen Gebäuden ließ ihn sich fragen, ob da nicht das eine oder andere Haus abhanden gekommen war. Schuldig, der Farf mit einem Strom von Kommentaren über die Bewohner unterhalten hatte – und wahrscheinlich auch Nagi, selbst wenn der Jüngere das nicht zugeben würde –, wandte sich auf einmal ihm zu und grinste, die Sonnenbrille für den Augenblick hochschiebend. "Die haben in den USA eben viel Platz, Ran-chan. In den Großstädten wirst du das gewohnte Gedränge finden. Aber du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du es vermisst? Ich jedenfalls tue es nicht." Was höchstwahrscheinlich mit Schuldigs Begabung zusammenhing. Die grünen Augen gerieten für einen Moment kühl, aber der Ausdruck verschwand schnell hinter der wieder auf die Nase gerutschten Sonnenbrille und als der Ältere noch etwas sagte, schwang in dessen Stimme keine Spur von dieser Reaktion mit. "Vielleicht solltest du darüber nachdenken, den Führerschein zu machen. Bis zur Schule ist es von hier ein Stück, aber das ist auch der einzige Nachteil, der mir gerade einfällt." Das Grinsen war auch wieder zurück. Er ging gerne darauf ein. "Und womit willst du dich beschäftigt halten?" Die Belustigung fühlte sich bei der Antwort wesentlich echter an. "Zum einen habe ich einen fahrbaren Untersatz und bin nicht auf die unmittelbare Umgebung beschränkt. Und zum anderen wird Crawford sicher dafür sorgen, dass ich nicht in Trägheit verfalle." Nagi stieß daraufhin ein Schnauben aus, wandte sich dann hastig zum Gehen, bevor sie seinen Gesichtsausdruck deuten konnten. Farfarello schlang unerwartet beide Arme um ihn und schien über seine Schulter hinweg Schuldig zu mustern. "Es ist viel Grün hier. Erinnert mich an früher…" Der Orangehaarige vergaß Nagi völlig und schien plötzlich sehr, sehr still zu stehen. "Und ist das etwas Gutes oder etwas Schlechtes?" Er spürte das Schulterzucken mehr als es zu sehen. "Vielleicht etwas Gutes", wurde schließlich entschieden. "Und das da stört dich auch nicht?" Schuldig deutete blind mit dem Daumen hinter sich, doch er traf genau die Kirche, deren spitzes Dach sich in einiger Enfernung dem Himmel entgegen streckte. Was darauf hinwies, dass der Telepath sie schon seit einer Weile gesehen hatte, aber das Thema bis eben nicht hatte ansprechen wollen. Und in seiner Erinnerung war er zurück in einer ganz anderen Kirche. In einer, in der Farfarello ein Messer bei sich gehabt hatte. Mit Mühe schob er die Bilder von sich, spürte mit jeder Faser seines Körpers der Reaktion des Iren nach. Und mit einem Anklang von Erleichterung registrierte er, dass Farfarello entspannt blieb. "Es ist nicht mehr wie früher", lautete dessen Antwort auf Schuldigs Frage, woraufhin sich auch der Orangehaarige kaum merklich entspannte. Der Rest ihres Ausflugs verlief ohne weitere angespannte Momente und da Schuldig sich plötzlich dazu entschloss, zu Übungszwecken nur noch auf Englisch zu kommunizieren, war er auch hinreichend abgelenkt, um sich keine Sorgen um den Iren zu machen. Er lernte einige neue Ausdrücke, von denen er sich nicht sicher war, ob er die wirklich kennen sollte, interessanter war da zu erfahren, dass einige Dinge aus amerikanischen Serien tatsächlich im wirklichen Leben geschahen. Seine Stirn legte sich bei diesem Gedanken für einen Moment in Falten. Natürlich könnte es auch sein, dass Schuldig sich die Sachen nur ausdachte und dabei aus ebendiesen Quellen schöpfte. Die Überlegung brachte ihm eine sanfte Kopfnuss von dem Telepathen ein. "Warum sollte ich mir die Mühe machen, mir etwas auszudenken? Außerdem war Ziel dieser Sache, dass ihr die Nachbarn etwas besser kennenlernt. Irgendwelche Geschichten zu erzählen wäre da kontraproduktiv." Das klang alles zwar ganz logisch, aber man durfte nicht vergessen, dass Schuldig sich gerne Scherze mit den Leuten erlaubte. An dieser Stelle nickte Nagi allerdings. "Er scheint die Wahrheit zu sagen." Und der Aussage des Jüngeren konnte er viel eher vertrauen. Also lächelte er dankend und als Schuldig daraufhin eine gespielt beleidigte Miene zeigte, wandelte sich sein Lächeln in ein Grinsen. "Du hast keinen Grund, dich zu beschweren, ich habe einfach dazugelernt", machte er ihn ohne jegliches Schuldbewusstsein aufmerksam. Schuldigs Blick ruhte eine sehr lange Sekunde auf ihm, dann grinste der Orangehaarige überraschend selbst. "In dem Fall sollte ich wohl mehr tun, um meinen guten Ruf zu pflegen." Er zwinkerte, öffnete den Mund, bloß um dann doch nichts zu sagen und nur den Kopf zu schütteln. Schuldig würde schließlich immer tun, was dieser wollte. Crawford war nicht unten, als sie zurückkehrten. Nicht im Wohnzimmer, wo Schuldig und Farfarello zurückblieben, um den riesigen Fernseher auszuprobieren, noch größer als der in Schuldigs Zimmer. Und auch nicht in dessen Arbeitszimmer, das er nach kurzer Suche entdeckte. Also zog er sich nach einem kurzen Blick hinein zurück und machte sich auf den Weg nach oben. Die Türen dort waren bis auf Nagis alle offen und so fiel es ihm nicht schwer, den Eindruck von Worten aufzufangen, die aus Crawfords Zimmer drangen, auch wenn er sie nicht verstehen konnte. Er blieb im Türrahmen stehen, sah von dort aus den Schwarzhaarigen auf der Couch sitzen, einen Arm lang über die Lehne ausgestreckt, in der anderen Hand das Handy. Crawford schien völlig auf das Telefonat konzentriert, die Stimme leise und tief. Der Klang ließ eine Gänsehaut seinen Rücken herunter rieseln. Nicht unangenehm, im Gegenteil, es war Verlangen, das sich da in ihm meldete. Und obwohl es so einfach gewesen wäre, die wenigen Schritte zurückzulegen und sich neben dem Älteren auf die Couch sinken zu lassen, rührte er sich nicht vom Fleck. Denn er wusste bereits, mit wem Crawford da redete, ob es am Tonfall lag oder an der Frage, die er jetzt problemlos verstehen konnte. "Sind Sie eigentlich noch in Japan?" Was auch immer Herr Schneider darauf antwortete, es ließ Crawford auflachen. "Vielleicht", meinte der Ältere dann. "Aber es würde sowieso niemandem in den Sinn kommen, sich zu beschweren, auch wenn Sie nur da gewesen wären, um uns zu verabschieden." Als nächstes lächelte Crawford und schloss für einen Moment die Augen, als könnte er auf der Rückseite seiner Lider eine Erinnerung sehen. Und dessen einzige Antwort blieb ein leises Brummen. Danach schien Herr Schneider länger zu reden, da Crawford nur ab und zu eine knappe Bestätigung von sich gab, bis das Gespräch langsam zum Ende kam. "Mm, vielen Dank. Aufgrund Ihrer Vorarbeit sollte mich das nicht vor größere Probleme stellen." Mit einem Anklang von Belustigung. Dann ein kurzes Schweigen, während dessen die Miene des Schwarzhaarigen einen unlesbaren Ausdruck annahm. Es ging mit einem Ziehen in seinem Magen einher und der inzwischen altbekannten innerlichen Frage, warum Crawford eigentlich hier saß und nicht bei Herrn Schneider. "Die Antwort darauf wird sich wohl niemals ändern", meinte Crawford schließlich und er zuckte ein bisschen zusammen, da es beinahe so war, als hätte der Ältere auf seinen Gedanken geantwortet. Diese Bewegung war es, die schließlich Crawfords Aufmerksamkeit auf ihn zog, ruhige braune Augen nahmen ihn gefangen, während sich der Amerikaner von Herrn Schneider verabschiedete. Anschließend herrschte für ein paar lange Sekunden Schweigen zwischen ihnen oder vielleicht einfach nur Ruhe, dann wurde er hereingewunken. Er folgte der Einladung mit einem Lächeln. ~TBC~ Kapitel 4: "Ich kann vieles von Rosenkreuz behaupten, aber sicher nicht, dass die Ausbildung unzureichend war" -------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Stille herrschte im Wohnzimmer, nur ab und zu durchbrach ein leises Rascheln die Ruhe, wenn er die Zeitung weiterblätterte. Hin und wieder griff er nach seiner Kaffeetasse und nahm einen tiefen Schluck von dem heißen Getränk. Erst als Schritte zu hören waren, die die Treppe herunterkamen, änderte sich etwas an der Routine und für einen Moment neigte er lauschend den Kopf. Seine Mundwinkel kurvten nach oben, als er hörte, wie die Schritte in der Küche verschwanden, denn damit war es ganz einfach zu erraten, wer der Frühaufsteher war. Und tatsächlich kam kurz darauf Schuldig ins Zimmer, die Hände um eine eigene Tasse gewölbt. Der Orangehaarige ließ sich in einen der Sessel sinken, die Beine angezogen, grinste ihn dann über den Rand der Tasse an. "Morgen, großer Meister." "Guten Morgen, Schuldig", erwiderte er amüsiert. "Was hat dich denn um diese Zeit aus dem Bett getrieben?" Ein Schulterzucken antwortete ihm, bevor der Andere einen sehr vorsichtigen ersten Schluck vom Kaffee nahm. "Ich bin aufgewacht und dachte mir, ich könnte dir ein wenig Gesellschaft leisten", wurde die wenig aussagekräftige Geste dann ergänzt. "Und mein Kaffee war ja da, nicht wahr?" Grüne Augen blitzten ihn kurz an, dann schien wieder die Tasse von größtem Interesse zu sein. Hm, es stimmte schon, dass er in den letzten Tagen vor allem Ran seine Zeit gewidmet hatte. Aber er hatte erwartet, dass Schuldig inzwischen über dieses Verhalten hinweg war. Dann wiederum hatte Schuldig in diesem Punkt schon immer gerne an alten Gewohnheiten festgehalten... Er lächelte, wenn auch nur innerlich. Es gab Schlimmeres, aber das würde er niemals offen sagen. Weswegen er auch jetzt das Gespräch in eine sinnvollere Richtung lenkte. "Dann hoffe ich mal, dass der Kaffee auch schnell Wirkung zeigt. Ich hätte nämlich gerne einen Zwischenstand zu Rans Training." Schuldig verdrehte sichtlich die Augen, schien aber nicht wirklich abgeneigt. "Die telepathische Unterstützung hat ihm zu merklichen Fortschritten verholfen, was die Sprache angeht. Aber ich nehme an, dass du seine Schilde meinst?" Die Worte hoben sich zum Ende hin zu einer Frage. Auf sein Nicken hin fuhr Schuldig fort. "Es sind keine Schilde, wie wir sie von Rosenkreuz kennen. Aber Farfarellos Lektion scheint gefruchtet zu haben und zwar so sehr, dass Ran den Trick jetzt auch unterbewusst anwendet. Ein oberflächlicher Scan zeigt in der Regel, dass er sich mit ganz normalen Dingen beschäftigt. Vorzugsweise mit seinem Training." Ein Grinsen folgte und die nächsten Worte verrieten, woher diese Reaktion rührte. "Überraschenderweise stehst du dabei nicht einmal im Mittelpunkt, sondern eher seine Kata." Schuldig mochte das einfach nur lustig finden, aber er verstand. Diese Übungen konnten schließlich beinahe meditativen Charakter haben und Ran beschäftigte sich schon seit Jahren damit. Der Orangehaarige merkte, dass er sich nicht ärgern ließ, sprach daher mit einem Schulterzucken weiter. "Alles in allem ist es wirkungsvoller als Persers Schilde und die waren für einen Talentlosen schon ganz gut. Aber eine echte Barriere wie wir wird er wohl nie errichten können. Ich habe mit ihm die Visualisierungsübungen ausprobiert, die du mir damals als erstes beigebracht hast, doch er hat einfach nicht das Talent dafür, solche Schilde aufzubauen. Wenn es irgendwann hart auf hart kommen sollte, werde ich für einen Block sorgen müssen. Aber ehrlich, wer sollte uns hier schon in die Quere kommen? Es sei denn natürlich, Stephan und seine Kumpane haben ihren Job nicht richtig erledigt und jemand hat sich hierher abgesetzt." Seine Mundwinkel zuckten unwillkürlich nach oben. "Ich denke, Herr Schneider hätte uns vorgewarnt, wenn so etwas passiert wäre." Schuldig verzog das Gesicht, wie so oft, wenn der Name des Direktors fiel und beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. "Sein Training in waffenlosem Kampf steckt noch in den Anfängen, aber er lernt sehr schnell. Kein Wunder, bei seiner Vorbildung…" Eine kurze Pause. "Ich hoffe trotzdem, du hast bald etwas anderes für mich zu tun, als nur den Trainer für Ran zu spielen." Amüsement blitzte in braunen Augen auf. "Du musst nicht befürchten, arbeitslos zu werden. Aber in der nächsten Zeit wirst du mit Kopfarbeit vorlieb nehmen müssen." Der Andere nahm einen tiefen Schluck, ließ den Kaffee für einen Moment im Mund verweilen, als wollte er den Geschmack auskosten, bevor er herunterschluckte. Aber auch anschließend wurde nichts gesagt, sondern nur eine auffordernde Augenbraue hochgezogen. "Ich möchte, dass du die Angestellten der Schule überprüfst. Da es eine Privateinrichtung ist, haben sie natürlich gründlich aussieben können, aber das heißt nur, dass die Leute auf dem Papier gut aussehen. Was Nagi übrigens bereits bestätigt hat." Nun ließ sich Schuldig doch zu einem Kommentar herab. "Ich nehme nicht an, dass du dir um den Jungen Sorgen machst. Nagi kann auf sich selbst aufpassen." Das bedurfte keiner Antwort. Egal, was Ran in den letzten Wochen Japan erlebt hatte, letztendlich war er in vielen Dingen noch sehr unschuldig. Und er wollte nicht, dass er an die falschen Leute geriet. Schuldig reagierte auf sein schmales Lächeln mit einem Grinsen. "Kein Problem, Boss. In anderer Leute Köpfe herumzustöbern ist sowieso mein Hobby." "Das freut mich zu hören", erwiderte er trocken. "Denn wenn du mit der Schule fertig bist, kannst du dich weiter darin üben." "Kopfarbeit, wirklich…", murmelte der Telepath wenig beeindruckt, schien dann zu seufzen. "Und wen genau gilt es danach auszuhorchen?" "Herr Schneider hat hier schon ein paar Kontakte geknüpft, die es uns später leichter machen sollten, unbehelligt die gewünschte Schwesterschule zu gründen. Wie du weißt, bin ich vorläufig anderweitig beschäftigt, also bleibt dir genug Gelegenheit, den Leuten einen unauffälligen Besuch abzustatten, bevor ich offiziell mit ihnen in Verbindung trete." "Ah ja, du willst Material haben, falls sie sich aus irgendeinem Grund weniger kooperativ als erwartet erweisen. Und wir wollen sie ausnutzen und nicht umgekehrt, nicht wahr?" Mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht, während Schuldigs Miene ganz lässige Überlegenheit ausdrückte. "Klingt ganz so, als würdest du keine weiteren Anweisungen benötigen." "Nun, ich kann vieles von Rosenkreuz behaupten, aber sicher nicht, dass die Ausbildung unzureichend war." Dieses Grinsen enthielt eine gewisse Schärfe. "Der Job klingt ganz gut, so komme ich endlich mal aus diesem Nest heraus. Hier gibt es wirklich nichts Interessantes mehr herauszufinden." Das Grinsen wandelte sich und nun schien echte Belustigung in den grünen Augen. "Ran-chan hat übrigens ganz Recht, aus den Intrigen und Familiengeheimnissen hier kann man ein Drehbuch für eine ganze Serie zusammenschreiben." "Hat er so etwas gesagt?", erkundigte er sich, unwillkürlich belustigt. "Nun, er hat es zumindest gedacht." Was für Schuldig noch nie einen großen Unterschied gemacht hatte. Er schüttelte leicht den Kopf, kam dann auf das Geschäftliche zurück. "Lass dir von Nagi die Daten geben, er hat natürlich auch bei diesen Leuten bereits einen Check durchgeführt. Mach einen Vorschlag zur Reiseroute, ich werde sie mir dann angucken." Schuldig nickte fleißig, stockte dann aber. "Was ist mit Farf, kann der mitkommen?" "Das solltest du mit ihm ausmachen. Wer weiß, ob er Ran die ganze Zeit allein lassen will. Da du zwischendurch sicher hierher zurückkehren wirst, kannst du ihn ja auch nur für Teile des Auftrags mitnehmen." Der Orangehaarige schnitt eine nicht ganz ernst gemeinte Grimasse. "Irgendetwas stimmt doch nicht, wenn es darauf Rücksicht zu nehmen gilt, oder?" Seine Mundwinkel kurvten wieder nach oben. "Das mag sein. Aber das ist auch etwas, das du mit Farfarello ausmachen musst." Das brachte ihm ein entnervtes Seufzen von dem Jüngeren ein, dann schien das aber auch schon wieder vergessen, abgetan mit einer wegwerfenden Handbewegung. "Ich werde mich um alles kümmern", wurde ihm versprochen. Und Schuldig hatte sein Versprechen gehalten, ging es ihm durch den Kopf, als er sich vor dem Spiegel den Krawattenknoten richtete. Heute war sein erster Arbeitstag und er wollte keinen falschen Eindruck hinterlassen. Und Schuldig würde in Kürze auch durchstarten können. Sie waren sich lediglich einig gewesen, dass sie den Start der Schule noch abwarten würden. Die Überprüfung des Personals war ohne Auffälligkeiten verlaufen, nun blieb nur noch, auch einen Blick auf die Schüler zu werfen. Etwas, das Schuldig von sich aus angesprochen hatte. Anscheinend traute der Telepath den "reichen Schnöseln" nicht ganz über den Weg. Zitat Schuldig. Belustigung blitzte in braunen Augen auf und Ran, der ihn auf dem Wannenrand sitzend beobachtet hatte, wurde aufmerksam. "Was ist?", erkundigte sich der Rothaarige, während ein Fuß einen gleichmäßigen Rhythmus auf die Fliesen klopfte. Der junge Japaner war vor seinem Start heute eindeutig nervös und gab sich nicht viel Mühe, das zu verbergen. Er antwortete ihm bereitwillig. "Mir ist gerade durch den Kopf gegangen, dass Schuldig sich Sorgen macht, du könntest zu sehr von oben herab behandelt werden." Ran runzelte die Stirn, als dieser über seine Worte nachdachte und Fuß stoppte für den Moment. "Und du findest das lustig, weil?" "Weil du meiner Meinung nach genug Rückgrat haben solltest, um dich von so etwas nicht beeindrucken zu lassen." Der Jüngere sagte zuerst gar nichts, lachte dann auf. "Eigentlich hast du Recht." Schließlich habe ich euch, wie sollte mich da noch jemand anderer beeindrucken?, blieb dahinter unausgesprochen. "Aber es wäre trotzdem schön, wenn ich ein paar Freunde finde. Schließlich dauert es mindestens ein Jahr, ehe ich meinen Abschluss machen kann." Violette Augen blickten kurz nach unten und Ran sprach etwas leiser weiter. "Am leichtesten würde es über den Club sein, aber es wäre wirklich zu viel verlangt gewesen, wenn sie hier Kendo anbieten würden." Bevor er darauf antworten konnte, mischte sich eine andere Stimme in ihre Unterhaltung ein. "Kopf hoch, Ran. Du hast du etwas viel Besseres als einen Kendo-Club, nämlich deinen eigenen Privattrainer in Crawford hier." Schuldig, der sich gegen den Türrahmen gelehnt hatte, die Arme vor der Brust verschränkt. Rans Kopf ruckte in Schuldigs Richtung, überrascht von der plötzlichen Anwesenheit des Orangehaarigen. Doch die Überraschung hielt nicht lange vor, als die Worte verarbeitet wurden und schließlich lächelte der Jüngere. Zuerst zu Schuldig, dann aber kehrten die violetten Augen zurück zu ihm. "Das würde ich natürlich für nichts eintauschen wollen." Trotz des Lächelns vollkommen ernsthaft. Er lächelte ebenfalls, trat näher an Ran heran und beugte sich zu ihm herunter, um ihn zu küssen."Dann denk daran", forderte er ihn anschließend leise auf. Ran nickte, etwas benommen, schien gar nicht mitzubekommen, dass sich seine Aufmerksamkeit für den Moment Schuldig zuwandte. "Wolltest du etwas?" "Nur darauf aufmerksam machen, dass es Zeit für euch wird", kam die unbekümmerte Antwort. "Du willst doch an deinem ersten richtigen Arbeitstag nicht zu spät kommen, großer Meister." Letzteres mit einem Grinsen. Anscheinend genoss es Schuldig, solche Worte mal an ihn richten zu können. Er quittierte das nur mit einer hochgezogenen Augenbraue, ein stummes 'Glaubst du wirklich, mir würde so ein ein Faux Pax unterlaufen?'. Das Grinsen wurde breiter, als seine Mimik richtig interpretiert wurde und der Orangehaarige zeigte eine schwungvolle Verbeugung. "Wie konnte ich auch nur für eine Sekunde an deiner Perfektion zweifeln." Damit machte Schuldig auf der Ferse kehrt und ließ sie beide allein zurück. Ran, der sich inzwischen wieder erholt hatte, schüttelte den Kopf. "Warum ist er so aufgedreht?" Eine kurze Pause. "Ich meine mehr als normalerweise." Das Lächeln erschien von ganz alleine. "Ich denke, er sieht seinem eigenen Job entgegen, der in ein paar Tagen startet." Der Jüngere strich sich überlegend ein paar Strähnen aus der Stirn, zuckte schließlich mit den Schultern. "Also ich bleibe lieber bei dir", wurde dann mit Überzeugung und nur einem Hauch von Röte auf den Wangen gesagt. Das überraschte ihn nicht, genauso wenig wie die Finger, die sich gleich darauf um sein Handgelenk schlossen. Violette Augen sahen forschend zu ihm auf. "Was ist mit der Schule, werde ich dich dort auch sehen?" Inzwischen wusste natürlich auch Ran, wohin ihn sein erster Auftrag hier führen würde. Er neigte leicht den Kopf. "Ich bin nicht als Lehrer dort, sondern um die administrative Seite einer Schule hier kennenzulernen. Von daher wirst du mich keinen Unterricht geben sehen." Es war nicht schwer zu erkennen, dass Ran innerlich mit sich rang, ob er an dieser Stelle eher Erleichterung oder Enttäuschung verspüren sollte. Und es blieb bei einem Unentschieden, wie er mit leichter Belustigung feststellte, bevor er fortfuhr. "Aber das sollte mich nicht davon abhalten, dir ab und zu zufällig über den Weg zu laufen." Daraufhin grinste Ran erst, lachte dann auf. "Aber nur ganz zufällig, ja?" Humor funkelte in den violetten Augen auf. Und sein im Gegenzug sehr ernstes Nicken brachte ihm noch ein Auflachen ein. Der Jüngere sprang als nächstes auf, offensichtlich mit sich selbst im Reinen und endlich bereit aufzubrechen. Nagi hatte diese Bedenkminuten nicht benötigt und mit der für ihn typischen Unbeteiligtheit im Wohnzimmer auf ihr Erscheinen gewartet, schloss sich ihnen jetzt an. Und auch wenn der Junge so tat, als wäre dies nicht erforderlich, legte er ihm für einen Moment die Hand auf die Schulter. Ran war gerade sowieso durch Farfarello abgelenkt, der wie ein Gewicht an dem Rothaarigen hing und ihn nicht mehr loslassen wollte. So konnte er ungestört einen langen Blick mit dem jungen Telekineten austauschen, der mit einem knappen Nicken und einem winzigen Lächeln erwidert wurde. Schuldig kam Ran zur Hilfe, so dass sie anschließend aufbrechen konnten. Natürlich konnte sich der Orangehaarige einen letzten Kommentar zu Ran nicht verkneifen. "Macht's gut, Cutie Pie. Und lass dich von den bösen Schülern nicht ärgern." Ran brauchte einen Moment, um die Anrede zu übersetzen, reagierte statt mit Empörung dann aber mit einem resignierten Schulterzucken. "Du kannst es einfach nicht lassen, was?" Ein zufriedenes Grinsen war die Antwort. "Ich dachte nur, du müsstest dich mehr an die hiesige Kultur gewöhnen. Und es klingt doch fast so gut wie Ran-chan, nicht wahr?" Ran verdrehte daraufhin nur die Augen und verweigerte eine Antwort. ~TBC~ Kapitel 5: "Du bist auch nicht besser als er" --------------------------------------------- Als Crawford schließlich auf dem Parkplatz der Schule hielt, war er sich nicht sicher, ob er wirklich aussteigen, hier lernen, wollte. Denn wohin er auch blickte, überall sah er diejenigen, die seine Mitschüler sein würden und sie alle… waren natürlich keine Japaner. Er wandte sich vom Fenster ab und begegnete Nagis Blick. Der Jüngere schien zu erraten, was ihm durch den Kopf gegangen war und reagierte mit einem unbeeindruckten Schulterzucken darauf. Was ihn daran erinnerte, dass er Nagi in der Schule meistens allein gesehen hatte. Bei dem Baum, mit einem Buch und ganz zufrieden mit dieser selbstgewählten Isolation. Was die Reaktion des Jüngeren verständlicher machte. Und vielleicht sollte er sich daran ein Beispiel nehmen. Das hier war letztendlich nur vorübergehend, auch wenn es ein Jahr dauern sollte. Und jetzt deswegen nervös zu sein, würde auch nichts ändern. Dieser letzte Gedanke ließ seine Mundwinkel nach oben kurven. Nagi blieb für einen Moment ernst, dann aber wurde sein Lächeln erwidert. "Dann wollen wir mal", schloss sich dem in gespielt munterer Manier an, etwas, das irgendwie gar nicht zu Nagi passen wollte. Er lachte auf, setzte dann ebenso wie der Jüngere die Worte in die Tat um. Crawford, der ihren Austausch stumm verfolgt hatte, schien amüsiert, als dieser ebenfalls ausstieg. "Ihr kommt am besten erstmal mit. Der Direktor wird euch sehen wollen, bevor ihr in eure Klassen geht." Er war garantiert nicht der einzige, der in diesem Moment an Herrn Schneider dachte und am liebsten hätte er nach Crawfords Handgelenk gegriffen. Doch dafür war er sich zu sehr der neugierigen Blicke bewusst, die sie verfolgten, als sie sich jetzt in Bewegung setzten. Aber nichts verhinderte, dass er ganz auf den Schwarzhaarigen konzentriert blieb und Crawford blieb natürlich völlig ungerührt, allerdings ohne dabei die Umgebung ignorieren zu müssen. Die braunen Augen schienen jeden Winkel in sich aufzunehmen, jede Person, und alles wurde fein säuberlich analysiert und eingeordnet. Einem Dritten wäre das nicht aufgefallen, doch er konnte regelrecht spüren, wie sich der Ältere konzentrierte. Kurz schweifte sein Blick zu Nagi hinüber und er war für einen Moment verwundert, dass dieser so viel weniger Interesse an dieser neuen Umgebung zu haben schien. Dann aber fiel ihm ein, dass Nagi nicht seine Augen benutzen musste, sondern einen anderen Sinn dafür parat hatte. Er wünschte sich, dass er ihr Training hätte, wenn er schon kein Talent hatte, dann würde er es ihnen gleichtun, statt nur Ablenkung zu suchen. Und dann stockte er innerlich. Nichts hinderte ihn daran, nicht wahr? Und Crawford hatte ihm schon vor einiger Zeit beigebracht, seine Umgebung stets wahrzunehmen. Wenn er das beim Training konnte, sollte es ihm hier erst recht gelingen. Also löste er sich von seiner Beobachtung des Älteren und widmete sich stattdessen ebenfalls der Umgebung. Die Schüler wichen in den Hintergrund zurück, als er erstmals den Außenbereich wirklich in sich aufnahm. Der Parkplatz war von teuren Autos belegt gewesen – wenn es nicht sogar so war, dass die Schüler einfach nur ausstiegen und die Wagen dann gleich wieder fortfuhren. Und das Thema setzte sich beim gepflegten Gelände fort. Die Rasenflächen waren dicht, grün und kurz geschnitten. Hochgewachsene Bäume waren strategisch so verteilt, dass ausreichend Schattenbereiche für heiße Tage zur Verfügung standen. Und das Schulgebäude schien alt und neu zugleich zu sein. Gepflegte Fassade, große, blitzende Fenster; aber eingelebt. Drinnen waren die Gänge hell und großzügig und irgendwie fühlte es sich nicht wie eine Schule an. Vielleicht eine Universität, stellte er nach einem Moment der Überlegung fest. Er spürte plötzlich Crawfords Blick auf sich ruhen und violette Augen hoben sich in Erwiderung zu dem Älteren. "Gefällt es dir?", wurde er gefragt, mit einem leichten Lächeln. Das war gar nicht so einfach zu beantworten. Auf jeden Fall war es ungewohnt. Fremd. "Ich denke schon", meinte er schließlich, ohne sich ganz festzulegen. Und Crawford bestand auch nicht auf mehr. "Sie haben auch eine gut ausgestattete Bibliothek hier, ebenso lassen die Sportanlagen kaum Wünsche offen. Und ein vernünftiges Essensangebot gibt es ebenfalls." Belustigt hoben sich seine Mundwinkel. "Du musst mir die Schule nicht verkaufen, weißt du? Mir reicht schon, dass du auch hier bist." Diese Neuigkeit war überraschend und umso willkommener gewesen. Seine Gedanken sprangen gleich weiter. "Wir könnten in der Bibliothek Hausaufgaben machen, falls du länger arbeiten musst." Mit einem schnellen Blick zu Nagi, der nichts gegen den Vorschlag zu haben schien, sogar knapp nickte. "Du willst dich nicht von jemand anderem chauffieren lassen, bis du selbst ein Auto hast?" Amüsement blitzte in den braunen Augen auf. Er zuckte kaum merklich mit den Schultern und versuchte die Wärme zurückzudrängen, die in seine Wangen ziehen wollte. "Ich möchte lieber mit dir fahren", stellte er dann mit fester Stimme klar. Und wieder zuckten seine Finger in dem Verlangen, nach dem Älteren zu greifen. "Natürlich, Ran." Immer noch amüsiert, aber auch mit Wärme. Und erst als Crawford stehen blieb, merkte er, dass er sich tatsächlich erfolgreich abgelenkt hatte, denn sie hatten anscheinend das Büro des Direktors erreicht. Zum Glück erwies sich der Besuch beim Direktor als eine reine Höflichkeitsveranstaltung, die schnell hinter ihnen lag. Und so fanden sie sich kurz darauf wieder vor der Tür wieder, von der Sekretärin höflich um einen Moment Geduld gebeten, bis sie jemand zu ihren Klassen führen würde. Und für diesen Augenblick war Crawford noch bei ihnen, der Direktor hatte den Älteren gerne noch einmal freigegeben. Nachdem der Direktor in seiner alten Schule eine sehr ferne Respektperson gewesen war, brauchte er einen Moment, um die neuen Eindrücke zu verarbeiten. "Er war sehr… zuvorkommend", stellte er schließlich fest, sicher in der Gewissheit, dass die Sekretärin kein Japanisch verstehen würde. Crawfords Miene geriet irgendwie seltsam, kühle Belustigung vielleicht. "Ich denke, er ist Herrn Schneider etwas schuldig. Daher war es auch so einfach, seine Einwilligung dafür zu erhalten, dass ich hier etwas Erfahrung sammeln kann." Erst als er bereits den Stoff berührte, merkte er, dass er am Ärmel von Crawfords Jackett zupfte. "Haben wir auf diese Weise auch unsere Plätze als Schüler bekommen?", hakte er nach und irgendwie gefiel ihm dieser Gedanke nicht. Was ihm geradewegs vom Gesicht abgelesen wurde. Mundwinkel zuckten kurz. "Nein, das ist dem guten alten Geld zu verdanken, das man für diese illustre Einrichtung zahlen muss." Er zwinkerte, denn irgendwie war das nicht viel besser. Aber ein bisschen schon. Und Craword schien sich nie Gedanken um Geld machen zu müssen. Also war es wohl besser, wenn er selbst gar nicht erst damit anfing. "Gut zu wissen", gab er daher so trocken wie möglich zurück, woraufhin sich Crawfords Lächeln für einen Moment vertiefte, bevor da plötzlich eine Hand in seinem Nacken war, Finger, die sich in rote Strähnen woben. Der Kuss war vorüber, bevor er ihn wirklich erwidern konnte, aber der Druck der Hand gegen seinen Nacken, der Lippen gegen seine, verweilte wie ein Echo. Er warf einen schnellen Blick in Richtung der Sekretärin, doch die hatte nichts mitbekommen, ganz wie es bei Crawford zu erwarten gewesen war. Dann schenkte er dem Älteren einen beinahe vorwurfsvollen Blick, der ganz ohne Worte auskam. Denn jetzt wollte er mehr haben als diese Erinnerung, dieses Echo. Der Schwarzhaarige blieb natürlich ungerührt und dann war da auch schon wie versprochen der Lehrer, der ihn und Nagi begleiten würde. Der Mann tauschte ein paar Worte mit Crawford aus, winkte ihnen dann, ihm zu folgen. Nach einem langen Blick zurück zu dem Amerikaner tat er das auch, ein wenig zögernd anfangs, dann aber mit fester werdenden Schritten. Nagi hielt sich an seiner Seite, die Miene eisern unter Kontrolle, als er angesprochen wurde. "Crawford scheint dich gerne aufzuziehen", wurde ihm ernsthaft mitgeteilt, während in den dunkelblauen Augen ein ganz anderer Funken glitzerte. Für einen Moment zog er eine saure Miene. "Ich hätte auch nichts dagegen", gab er zu. Nein, wirklich nicht. "Aber ausgerechnet heute… hier." Begleitet von einer umfassenden Geste. Nun äußerte sich die Belustigung doch in einem schnell wieder verschwundenen Lächeln. "Darüber solltest du dir wirklich keine Sorgen machen. Crawford ist Crawford. Er hätte es nicht getan, wenn euch jemand gesehen hätte." Er fühlte sich plötzlich in einem viel zu verstehenden Blick gefangen. "Außerdem hat er dich erfolgreich von deiner Nervosität abgelenkt. Wir sind vor deinem Klassenzimmer angekommen und du hast es nicht einmal gemerkt." Das hatte er tatsächlich nicht. Und nicht nur Crawford hatte dazu beigetragen, sondern auch die Tatsache, dass Nagi ungewohnt gesprächfreudig gewesen war. Violette Augen verengten sich, bevor ihm ein hilfloses Auflachen entkam. "Du bist auch nicht besser als er", stellte er dann fest. Nagi sah ihn mit einem ausgesprochen unschuldigen Gesichtsausdruck an, ließ dem eine Verbeugung folgen. "Ich wünsche dir einen erfolgreichen Start." Mit einem innerlichen Kopfschütteln erwiderte er die Verbeugung, seine Worte waren aber weniger förmlich. "Wir sehen uns in der Mittagspause, ja?" Dieses Lächeln stand allein in den dunkelblauen Augen. "Natürlich." Er verabschiedete sich noch bei dem Lehrer, der ihrem Austausch verständnislos gelauscht hatte, drückte dann die Klinke der vor ihm liegenden Tür herunter, bevor die Nervosität zurückkehren und ihn zögern lassen würde. Der Raum war bereits gut gefüllt und auch die Lehrerin schon da, doch der Unterricht hatte zum Glück noch nicht begonnen. Er wurde von der schon älteren Frau begrüßt und war froh, dass ihn sein Englisch nicht im Stich ließ, als er die Begrüßung erwiderte, während zwischen seinen künftigen Mitschülern neugieriges Getuschel einsetzte. Als nächstes wurde ihm ein leerer Platz gewiesen, am Fenster, wie er erfreut feststellte. Er beeilte sich dorthin zu kommen und saß bereits, bevor ihm auffiel, dass er sich nicht vor der Klasse hatte vorstellen müssen. Das war… irgendwie seltsam, aber gleichzeitig auch eine Erleichterung. Während um ihn herum Unterhaltungen fortgesetzt wurden, versuchte er unauffällig seinerseits Blicke auf die Schüler zu erhaschen. Und schnell wurde ihm wirklich bewusst, dass er selbst zwar neu hier war, die anderen sich aber schon kannten, miteinander vertraut waren, wahrscheinlich seit Jahren. Und aus irgendeinem Grund wirkte diese Erkenntnis wie eine kalte Dusche. Die ganze Zeit war er so nervös gewesen, aber warum eigentlich? Die Schüler hier waren nicht mehr als das, ganz einfach Schüler. Was wussten sie schon? Der Gedanke war unerwartet kalt und er hätte ihn vielleicht auf Schuldig geschoben, wenn er nicht so sicher gewesen wäre, dass er ganz allein ihm gehörte. Sein Rücken hatte sich gestrafft und um seine Lippen hing ein schmales Lächeln, als es schließlich zum Unterricht läutete. Er verstand genug, um der Lehrerin folgen zu können, etwas, wofür er Schuldig wohl noch danken musste. Trotzdem musste er sich so sehr konzentrieren, dass alle weiteren Gedanken in den Hintergrund verschwanden und nur noch der Unterricht ihn gefesselt hielt. Erst ein erneutes Läuten holte ihn aus dieser besonderen Form der Abschottung heraus und nach einem Schütteln des Kopfes, als müsste er ihn klären, lehnte er sich zurück und entspannte sich ein bisschen. Da laut Stundenplan kein Raumwechsel anstand, ließ er die Stunde vor seinem inneren Auge Revue passieren und wieder bogen sich seine Mundwinkel. Ein Glück, dass er nicht aufgerufen worden war, anscheinend gab es für ihn eine bestimmte Schonfrist, denn genauso wie er sich nicht hatte vorstellen müssen, schien es nicht üblich zu sein, aufzustehen, wenn man im Unterricht drankam. Was er wahrscheinlich automatisch getan hätte. Etwas weckte seine Aufmerksamkeit und als er seinen Blick wieder der äußeren Welt zuwandte, hatte sich tatsächlich jemand vor seinem Tisch aufgebaut. Es gelang ihm beinahe mühelos, den anderen ruhig zu mustern. Ein Grinsen begrüßte ihn, als sich ihre Blicke begegneten. "Hi, Neuer." Er brauchte nicht lange, um die passende Antwort darauf zu finden. "Hi, Eingesessener." Das Grinsen wurde breiter und dann setzte sich der Andere ohne eine Einladung abzuwarten auf die Kante seines Tisches. "Du verstehst uns also wirklich?" "Überwiegend", zuckte er mit den Schultern, während er mehr Einzelheiten wahrzunehmen begann. Die blonden Haare und blauen Augen ließen ihn zunächst als Herrn Schneider denken, doch der Junge vor ihm war viel zu unschuldig, als dass der Vergleich lange standhalten konnte. Der lehnte sich gerade zu ihm vor. "Erik ist mein Name. Aber ich muss zugeben, dass ich deinen nicht ganz verstanden habe." Er lächelte unwillkürlich. "Fujimiya Ran", antwortete er dann bereitwillig. Wer hätte auch erwartet, dass es so leicht sein würde, jemanden kennenzulernen. "Fu-ji-mi-ya Ran", wurde sein Name langsam und mit nicht ganz der richtigen Betonung wiederholt, doch er machte sich nichts daraus. Und da er sich an die Sitten hier anpassen wollte, fiel es ihm nicht weiter schwer, die nächste Entscheidung zu treffen. "Ran. Das ist einfacher." "Ah, sehr gut. Ich habe mal gehört, dass ihr immer Nachnamen verwendet, aber das wäre wirklich kompliziert." Er neigte nur den Kopf, was aber vollkommen ausreichend war, um Erik zum Weitersprechen zu animieren. "Was hat dich eigentlich in unser Land verschlagen?" Wenn seine Miene für einen Moment gefror, dann schien es zumindest niemand zu merken. "Die Gelegenheit hat sich ergeben, da ein Kollege meines Vaters hier zu tun hat. Und ich interessiere mich schon eine Weile für die USA." Nichts davon entsprach unbedingt der Unwahrheit, auch wenn sein Interesse erst mit Crawfords Bekanntschaft erwacht war. Der Andere nickte nur, gar nicht argwöhnisch, begann dann, ihm weitere Mitschüler vorzustellen. Alles in allem war es ein ganz guter Anfang. ~TBC~ Kapitel 6: Ich verstehe dich sehr gut. Ich werde nur nicht auf dich hören" -------------------------------------------------------------------------- Bis zur Mittagspause hatte er die Namen seiner Mitschüler mindestens einmal gehört, doch er konnte nicht behaupten, sie sich auch schon alle gemerkt zu haben. Eriks Angebot abzulehnen, an dessen Tisch zu sitzen, wo es nur noch mehr neue Gesichter geben würde, fiel ihm daher recht leicht. Ganz abgesehen davon, dass ihm inzwischen der Kopf ein wenig schwirrte und er sich schon seit einer Weile darauf freute, endlich wieder etwas auf Japanisch zu hören. Suchend sah er sich um, nicht lange, denn als würde ihn ein sechster Sinn leiten, glitt der Blick violetter Augen rasch eine bestimmte Schlange entlang – und fand dort tatsächlich Nagi. Er hörte sich selbst etwas tiefer als sonst ausatmen, musste darüber lächeln, bevor er sich in Bewegung setzte. Und noch ehe er sein Ziel erreicht hatte, wurde der Telekinet auf seine Annäherung aufmerksam, machte in der Schlange Platz für ihn. "Ich hatte schon befürchtet, du würdest zu einer anderen Zeit essen", wurde er leise und in seiner Muttersprache begrüßt. Was ihn wieder lächeln ließ. "Auf die Idee bin ich bisher gar nicht gekommen", gab er dann zu. "Aber wie es aussieht, haben wir ja Glück." Nagi neigte leicht den Kopf und ebenso spielte ein kaum sichtbares erwiderndes Lächeln über dessen Miene. "Wir können nachher unsere Stundenpläne vergleichen, ob es an allen Tagen so ist." "Möchtest du nicht auch mal mit den Anderen aus deiner Klasse essen?", erkundigte er sich, ehrlich neugierig. Ihm antwortete ein unbestimmtes Schulterzucken. "Vielleicht." Nagi klang nicht besonders überzeugt. "Aber eigentlich sehe ich im Unterricht und den anderen Pausen genug von ihnen, nicht wahr?" Wieder musste er daran denken, dass er Nagi in der Schule meistens allein gesehen hatte, aber er hatte nicht vor, ihn eines angeblich Besseren zu belehren. Der Jüngere hatte schließlich kaum Gemeinsamkeiten mit seinen Mitschülern und diese Tatsache galt hier nur noch mehr als früher in Japan. "Wir werden einfach sehen, was sich ergibt", meinte er stattdessen. Nagi erhob keine Einwände und dann waren sie auch schon an der Reihe, sich ein Essen auszusuchen. Es wäre besser gewesen, wenn er vorher die Zeit genutzt hätte, die angebotenen Gerichte zu identifizieren, statt sich mit Nagi zu unterhalten. Doch diese Erkenntnis kam etwas zu spät. Weswegen er es sich sehr einfach machte und das gleiche Essen wie der Jüngere wählte. Nagi schien amüsiert, sagte aber erst etwas, als sie sich einen freien Tisch suchten. "Was ist, wenn ich auch nur auf gut Glück gewählt habe?" Mit vorgeblichem Gleichmut lächelte er. "Das kann ich mir bei dir einfach nicht vorstellen. Und selbst wenn, werden wir wenigstens das Gleiche durchleiden müssen." Das entlockte dem Anderen beinahe ein Auflachen, er konnte es in den dunkelblauen Augen aufblitzen sehen. Das Essen erwies sich letztendlich als ganz annehmbar, Reis mit Meeresfrüchten, letztere eindeutig frisch. Sie stillten zunächst ihren größten Hunger, bevor sich wieder eine Unterhaltung einstellte. Die sich allerdings unverändert ums Essen drehte. "Ich hatte gehört, dass es hier fast nur ungesundes Essen geben soll", meinte er, während seine Gabel auf seinen Teller deutete, der etwas anderes behauptete. Es war ein wenig seltsam, nicht mit Stäbchen essen zu können, aber er hatte es schon bei Schwarz geübt und stellte sich nicht mehr allzu ungeschickt an. Nagi nickte. "Ich habe Crawford gefragt", wurde dann zugegeben. Was nur solange verwunderlich war, bis er sich erinnerte, dass Nagi immer selbst für dessen Bento zuständig gewesen war und sicher kein Problem gehabt hätte, hier die Tradition fortzusetzen. "Die Schule hier kann es sich leisten, gesundes und abwechslungsreiches Essen anzubieten." Eine kurze Pause. "Du solltest aber nicht zu viel aus unserem Raum erwarten, wenn dann geht es mehr in Richtung Europa." Er nahm es unbekümmert auf, vor allem, da es ja immer noch eine Alternative gab. "Uns bleiben immer noch Bentos, nicht wahr?" Eine Augenbraue wurde hochgezogen. "Nur wenn du hilfst. Ich werde nicht die Hausfrau für dich spielen." Er lachte auf, doch der Humor verschwand, als sich eine beißende Stimme in ihre Unterhaltung einmischte. "Was gibt es zu lachen…?" Es klang so, als würde eine abfällige Bemerkung dahinter liegen, die nur zurückgehalten wurde, da gerade ein Lehrer in ihrer Nähe vorbeiging. Er hob den Blick und glaubte sich vage an das Gesicht zu erinnern, aus seiner ersten Klasse an diesem Tag, aber er war sich nicht ganz sicher. Vielleicht hätte er bei anderer Gelegenheit einen Rückzieher gemacht, etwas getan, um die Sitation zu entschärfen, bevor sie wirklich unangenehm werden konnte. Doch da war Nagi, der ihm gegenüber saß und dessen leichtes Stirnrunzeln zeigte, dass er ganz und gar nicht beeindruckt war. Eher im Gegenteil. Und Nagi erinnerte ihn an Crawford, an Schwarz, und daran, dass auch er selbst keinen Grund hatte, sich von so jemandem drangsalieren zu lassen. "Was geht dich das an?", gab er daher ruhig zurück, wandte sich in einer betont gelangweilten Geste von dem Anderen ab. "Nun, du sitzt an meinem Tisch. Wenn du dich schon selbst einlädst, kann ich doch mehr über dich erfahren wollen." Die Antwort war unerwartet genug, dass er nach einem kurzen Blickkontakt mit Nagi – der sich Mühe gab _nicht_ die Augen zu verdrehen – wieder aufsah. "Ich sehe hier nirgendwo deinen Namen." Und würde ihn auch nicht zuordnen konnte. Eine innerliche Ergänzung, die seine Mundwinkel zucken ließ. "Außerdem gibt es ausreichend freie Tische zur Auswahl. Von daher würde ich es vorziehen, in Ruhe gelassen zu werden." Er blieb so höflich, wie es ihm seine Englischkenntnisse erlaubten, konnte aber nicht viel Eindruck damit schinden. "Jetzt hör mal zu, Japse." Aha, anscheinend war der Lehrer inzwischen außer Hörweite. "Wenn du es nicht kapiert hast, kann ich es auch deutlich sagen: verschwinde von hier und am besten gleich von der Schule." War das Rassissmus oder nur der übliche Schulhofschläger, der da sprach, fragte er sich müßig und seltsam distanziert. "Ich verstehe dich sehr gut", gab er schließlich zurück. "Ich werde nur nicht auf dich hören." Das brachte ihm zusammengekniffene Augen und ein Zucken von Wangenmuskeln ein. Und es folgte eine neue Strategie. "Kannst du dir die Schule überhaupt leisten? Du siehst nämlich nicht danach aus. Vielleicht solltest du dir besser eine Schule in Chinatown oder so suchen, da bist wenigstens unter deinesgleichen." Eine Hand ballte sich ominös zur Faust. Irgendwie wurde das Ganze lächerlich, aber er fühlte sich immer noch zu distanziert, um sich über den Anderen aufzuregen. Und da war noch das Bewusstsein um Nagis Anwesenheit, der seinen Mitschüler mit einer Hand zerquetschen konnte. Oder auch ganz ohne Hände. Was die Sache nur noch lächerlicher machte. Also ließ er sich ganz sicher nicht provozieren. Stattdessen blitzten violette Augen nur kühl hinter halbgesenkten Lidern hervor. "Bist du dir sicher, dass du dir solche Fragen leisten kannst?" Das verschlug dem Anderen erst einmal die Sprache, doch dessen selbstgefälliges Gebaren verlor er leider nicht. "Jetzt werde bloß nicht aufmüpfig, du hast keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast. So ein Stipentant wie du sollte sich möglichst unsichtbar machen." Letzteres mit einem gehässigen Hissen. Er hätte vielleicht etwas darauf erwidert, doch er wurde von der Belustigung abgelenkt, die Nagis Gesicht streifte. Der Jüngere musterte ihn, beide Ellenbogen in einer ungewohnten Geste auf dem Tisch abstützend. Es sollte wohl unterstreichen, wie unbeeindruckt er von dem Störenfried war. "Das hast du davon, dass du dir diese Sachen selbst ausgesucht hast. Hättest du Crawford wählen lassen, wäre dir das nicht passiert." Nagi war eindeutig auf etwas aus, sonst hätte der Telekinet nicht auf Englisch gesprochen. Er zwinkerte, beschloss dann mitzuspielen und betrachtete das simple Hemd, das er trug und das ihn etwas an sein altes Schulhemd erinnert hatte. Dann flog ein Grinsen über sein Gesicht, vollkommen gewollt. "Vielleicht nicht", gestand er zu, genauso wie Nagi den Anderen jetzt ignorierend. "Aber ich bin alt genug, um mir meine Garderobe selbst zusammenzustellen." Nagi zeigte ein winziges Lächeln, sprach seltsamerweise an ihm vorbei, als dieser antwortete. "Möglich. Doch über Geschmack lässt sich in diesem Fall sehr wohl streiten." Für einen Moment war er im Zwiespalt mit sich selbst, denn er konnte nicht wirklich widersprechen. Das hätte nur bedeutet zu bestreiten, dass Crawford tatsächlich eine bessere Wahl getroffen hätte. Zum Glück blieb es ihm erspart, etwas zu sagen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte und eine vertraute Stimme aufklang. "Wenn Ran es für notwendig erachtet, werde ich ihm gerne helfen. Doch ich wage zu bezweifeln, dass ihn die Meinung dieser Person hier wirklich interessiert." Crawford hatte auf Japanisch gesprochen, doch der Blick, der dem immer noch namenlosen Jungen zugeworfen wurde, sprach für sich. Und wo zuvor der Ansatz zu einem weiteren Aufbegehren zu sehen gewesen war, erschien nun Unsicherheit. Denn wer auch immer dieser Typ war, offenbar ließ er sich schnell von Äußerlichkeiten leiten und Crawfords maßgeschneiderter Anzug in Kombination mit dessen selbstsicheren Auftreten schien ihm zuzuflüstern, dass er sich mit dem Schwarzhaarigen besser nicht anlegen sollte. Einen hastigen Rückzug später, der vielleicht nicht danach aussehen sollte, aber dennoch leicht als solcher identifiziert werden konnte, ruhten die braunen Augen auf ihm. Die Hand war nach einem kurzen Druck zurückgezogen worden und er vermisste bereits ihr Gewicht, doch Crawfords Aufmerksamkeit stellte einen nicht unbeträchtlichen Ersatz dar. "Konntest du dich von deiner Arbeit losreißen?", lächelte er zu ihm auf und aus dem Augenwinkel sah er Nagis Mundwinkel flüchtig nach oben zucken, wie aus eigenem Willen. Crawfords Amüsement stand allein in dessen Blick. "Auch ich habe die eine oder andere Pause verdient. Und ich nehme sie auch, ob du es glaubst oder nicht." Sein Lächeln wurde ausgeprägter und beinahe hätte er nach dem Handgelenk des Amerikaners gegriffen. "Isst du mit uns?", erkundigte er sich hoffnungsvoll, doch Crawford begann bereits den Kopf zu schütteln, bevor er die Frage ausformuliert hatte. "Ich wollte mich nur vergewissern, dass du - _ihr_ - die ersten Stunden gut überstanden habt." Der Einschub erfolgte mit einem Nicken in Nagis Richtung und war vollkommen ernst gemeint, auch wenn Nagi sich wahrscheinlich dagegen verwehren würde, so einen Besuch zu benötigen. Enttäuschung wallte in ihm auf, aber er schluckte dagegen an und weigerte sich, mehr an Reaktion zu zeigen. Schließlich war es lächerlich. Crawford jetzt zu sehen war schon mehr, als er überhaupt hatte erwarten dürfen. Also zwang er sich zu einem Lächeln, das etwas steif ausfiel, ohne dass es ihm bewusst war. "Gut, aber um ein gemeinsames Abendessen kommst du nicht herum." Dieses Mal war das Nicken kaum zu sehen, begleitet von warmer Belustigung und Verständnis. "Natürlich, Ran." Mit dieser Bestätigung wurde sein Lächeln ungezwungener und vielleicht lag ein Hauch von der alten Überraschung darin, dass Crawford ihm so einfach seinen Willen ließ. Crawford verabschiedete sich kurz darauf und sein Blick folgte ihm noch für einen Moment, bevor er sich mit einem innerlichen Seufzen wieder seinem Essen zuwandte. Doch Nagis Frage lenkte ihn schnell davon ab, dass er jetzt viel lieber bei dem Älteren sein wollte als hier. "Ich weiß, dass du es ganz sicher nicht nötig hast, auf diesen Typen zu reagieren." Der Kopf wurde leicht zur Seite geneigt, als der andere Japaner auf ihren unwillkommenen Besucher zuvor zurückkam. "Aber wenn ich ihn richtig einschätze, würde er sich mehr ärgern, wenn deine Kleidung deinen Status widerspiegelt als wenn du ihn ignorierst." Dieses Mal war es an ihm, eine Augenbraue hochzuziehen. Und es hatte rein gar nichts mit der Tatsache zu tun, dass Nagi ihm so einfach einen gewissen Status zuschrieb . "Du meinst, ich soll ihn provozieren?" Nagi schien kalt und gleichzeitig belustigt. "Das hast du doch schon. Jetzt kannst du die Arbeit fortsetzen, bis er etwas Dummes tut." Und danach würden sie ihn lossein, auf die eine oder andere Weise, steckte hinter diesen Worten. Und er las es heraus, als wäre er auf einmal ein Telepath. Er zwinkerte unwillkürlich, nickte dann langsam. Vielleicht nicht ganz Bestätigung, aber immerhin in Anerkennung der Möglichkeit. Als er nach der Mittagspause das Klassenzimmer betrat, hielt er automatisch Ausschau nach dem anderen Jungen, doch der schien dieses Fach nicht zu belegen. Eine nicht unwillkommene Feststellung. Dafür fand sich Erik bei ihm ein, kaum dass er Platz genommen hatte. "Ich hab gesehen, dass Daniel eurem Tisch einen Besuch abgestattet hat. Er bildet sich ein, dass er sich alles erlauben kann, weil sein Vater im Verwaltungsrat sitzt." Erik stockte, schüttelte dann etwa unbehaglich den Kopf. "Das Dumme ist, dass er damit nicht weit von der Wahrheit entfernt ist." Die Warnung musste nicht deutlicher sein, um verstanden zu werden. Doch er fühlte sich nicht bedroht, wie konnte er auch. Vor allem, da wiederum Crawfords Besuch sehr viel mehr Eindruck hinterlassen hatte. Und so war er nicht besonders überrascht, als seine Mundwinkel von ganz allein in die Höhe krochen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er für uns wirklich zu einem Problem werden könnte", gab er aufrichtig zurück. Der Andere wusste sichtlich nicht, was er darauf erwidern sollte, suchte daher nach einem anderen Thema. "Apropos 'uns'. War das dein Bruder, mit dem du gegessen hast?" Er konnte ihm diese Frage nicht wirklich verübeln, sie sahen für Erik wahrscheinlich fast gleich aus – ihm erging es mit den Schülern hier ja nicht viel anders. Also lachte er nur auf. "Nein. Er gehört zu dem Arbeitskollegen meines Vaters, von dem ich dir erzählt habe. Den du übrigens auch gesehen haben müsstest." Die blauen Augen wurden kurz zusammengekniffen, bevor so etwas wie Verstehen in sie trat. Anscheinend war die Verbindung zu seiner Unbekümmertheit was Daniel anging hergestellt worden. Andere sahen es also auch in Crawford – und nicht nur, wenn sie ihm direkt gegenüber standen. Der Gedanke löste ein warmes Glühen in seinem Inneren aus. ~TBC~ Kapitel 7: "So gesehen tun sie eigentlich ein gutes Werk" --------------------------------------------------------- Nagi war bereits da, als er die Bibliothek nach Unterrichtsschluss betrat und leise näherte er sich ihm, setzte sich genauso leise zu ihm. Natürlich schreckte der Jüngere nicht auf, Nagi war sich immer seiner Umgebung bewusst, viel mehr als er selbst es durch Crawfords Training gelernt hatte. Er wurde mit einem Nicken begrüßt, das er mit einem Lächeln erwiderte, bevor er ebenfalls seine Hausaufgaben ausbreitete. Das Ganze war beinahe vertraut und er mochte die Ruhe. Nicht nur die offensichtliche Stille um sie herum, da sie sich in einer Bibliothek befanden, sondern vielmehr die innere Ruhe, die damit einherging, einfach nur hier mit Nagi zu sitzen. Auch wenn kein weiterer Schüler ihm Ärger gemacht hatte, war das sehr viel besser als allein von praktisch Wildfremden umgeben zu sein. Diese Überlegungen verflüchtigten sich, als er sich ganz auf seine Aufgaben konzentrierte und das Schweigen zwischen ihnen wurde nur gebrochen, wenn er eine leise Verständnisfrage an Nagi richtete. Er merkte schnell, dass ihm der Jüngere nicht nur bei Sprachschwierigkeiten weiterhelfen konnte, sondern auch den Stoff an sich verstand. Was allerdings keine Minderwertigkeitskomplexe in ihm auslöste, er war schließlich immer ein guter Schüler gewesen. Nagi hingegen schien ein halbes Genie zu sein. Irgendwann warf er ihm einen Blick unter halbgeschlossenen Lidern hervor zu. "Sag mal, warum bist du eigentlich nicht in meiner Klasse – mindestens?" Der Jüngere sah so aus, als fände er die Frage irgendwie lustig, setzte zu einer Antwort an. Doch jemand anderer kam ihm zuvor. "Das würde Aufmerksamkeit auf ihn ziehen und so etwas vermeiden wir, wenn es sich vermeiden lässt." Die bekannte Stimme ließ ihm herumfahren und unwillkürlich musste er grinsen, als er Schuldig erspähte. Denn anders als dessen Worte behaupteten, schien es der Deutsche nun wirklich nicht auf Unauffälligkeit anzulegen, eher im Gegenteil. Allein die orangefarbene Mähne war ein ausreichend deutliches Signal. Der Andere grinste ebenfalls, als dieser seinen Gedanken folgte, machte dann eine wegwerfende Handbewegung. "Anders als unser Nagi hier stecke ich nicht mehr in der Schule fest." Das 'zum Glück nicht' stand ganz in den kühlen, grünen Augen, die so gar nicht zu der nach außen gezeigten Emotion passen wollten. Er konnte Schuldig diese Meinung nicht verübeln. So wenig er von Crawford über dessen frühere Schule gehört hatte, so sicher war er sich, dass kein Kind in so einer Umgebung aufwachsen sollte. Schuldig musterte ihn für einen Moment, dann folgte ein neues Grinsen und dieses hier war sehr viel aufrichtiger. "Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, es ist schließlich schon lange vorbei." Gleich darauf wuschelte eine Hand durch seine Haare, als wäre er noch ein kleines Kind, doch er wehrte sich nicht dagegen. Hauptsache, die Stimmung des Älteren war wieder besser. Stattdessen zwinkerte er, als ihm endlich einfiel, die offensichtliche Frage zu stellen. "Was machst du eigentlich hier?" Und war Farfarello auch da? Letzteres sprach er nicht aus, aber unwillkürlich sah er sich nach dem Iren um, ohne fündig zu werden. "Crawford hat angerufen. Es wird länger bei ihm, daher soll ich euch abholen." Die Miene des Orangehaarigen zeigte, dass dieser von Crawfords Arbeitswut nicht besonders überrascht war und jetzt spielte leichter Spott um dessen Mundwinkel. "Es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn er mal pünktlich Feierabend macht." Das spiegelte exakt seine Gedanken wider und er konnte wetten, dass der Telepath dafür nicht einmal dessen Talent benötigt hatte. Und jetzt war auch verständlich, warum Farfarello nicht hier war. Es war schon genug, wenn er sich einen Sitz mit Nagi teilen musste, noch jemand hätte beim besten Willen nicht in das Cabrio gepasst. "Es sei denn, sie haben sich sehr, sehr gern." Schuldig grinste schon wieder, schob dann beide Hände in die Hosentaschen. "Was ist nun, ihr wollt doch nicht wirklich als Einzige noch länger hier hocken bleiben? Habt euch wohl bei Crawford mit Arbeitswut angesteckt, was?" Als Einzige? Er sah sich langsam um, stellte jetzt erst fest, dass sich außer ihnen tatsächlich niemand mehr in der Bibliothek befand. Schuldig war seinem Blick gefolgt. "Die Anderen waren vernünftig genug, es am ersten Schultag nicht gleich zu übertreiben." "Das hat damit nichts zu tun", stellte er fest und antwortete dann auch gleich auf die ursprüngliche Frage. "Wir haben schließlich auf Crawford gewartet und wollten die Zeit mit etwas Nützlichem verbringen." "Ausgesprochen lobenswert." Der Ältere klang nicht so, als würde er das wirklich ernst meinen. Doch dann verschwand der Schalk aus dessen Blick und Schuldig lauschte sichtlich auf etwas. "Hm, anscheinend wart ihr doch nicht allein so vorbildlich." Sie alle wandten sich dem Eingang zur Bibliothek zu, vorher konnte er noch sehen, dass Nagi die Stirn runzelte und auf stille Weise wenig amüsiert aussah. Wie gerufen trat Daniel in ihr Blickfeld und erstarrte sofort, als er mehr Personen als erwartet vorfand. Der andere Schüler war ebenfalls nicht allein, so dass Daniel gleich darauf unfreiwillig angerempelt und weiter in den Raum geschoben wurde. Schuldig benötigte offensichtlich nicht lange, um die Absichten der drei Neuankömmlinge zu erfassen und sagte etwas auf Deutsch, das verdächtig nach einem Fluch klang, auch wenn er es nicht verstehen konnte. Anders als das, was darauf folgte, denn jetzt sprach Schuldig Japanisch. "Sag mal, ziehst du solche Situationen häufiger an? Irgendwie habe gerade ein Déjà-vu." Der trockene Tonfall ließ ihn unwillkürlich auflachen, obwohl das nicht wirklich lustig war. Denn wenn er allein hier gewesen wäre – so wie damals, bevor Schuldig zu seiner Rettung kam – hätte er bei drei Gegner trotz seines neuen Trainings Schwierigkeiten bekommen. Daniel schien sich von dessen Überraschung erholt zu haben und hatte anscheinend auch Schuldigs Herkunft aus den wenigen Schimpfwörtern herausgelesen. Was vielleicht gar nicht so überraschend war, schließlich lernte man diese immer als erstes, nicht wahr? "Erst ein Japse und jetzt auch noch ein Deutscher, das wird ja immer schöner", brach es aus dem Amerikaner heraus, der sich aus irgendeinem Grund wieder überlegen zu fühlen schien. Dann wiederum setzte der sicher auf die Muskeln seiner Kumpane und weder er selbst noch die beiden Schwarz-Mitglieder konnten bei diesen offensichtlichen Attributen mithalten. Er schüttelte innerlich den Kopf, als seine Überlegungen so weit gediehen waren. Es war dumm, auf solche Äußerlichkeiten abzustellen. Aber er hatte nicht vor, das laut zu äußern und dann ergriff sowieso schon Schuldig das Wort. "Hast du etwas gegen meiner Herkunft einzuwenden?" Kühl und völlig unbeeindruckt. Ein höhnischer Blick antwortete Schuldig darauf, während Daniels Begleiter langsam näher kamen und unfreundlich grinsten. "Warum sollte ich wohl was dagegen einzuwenden haben, du Nazi?" Er hätte wetten können, dass Nagi an dieser Stelle leise stöhnte, doch als er dem Jüngeren einen schnellen Blick zuwarf, war dessen Miene regungslos. Dann wurde seine Aufmerksamkeit durch einen erschrockenen Ausruf auch schon zurück auf die Störenfriede gelenkt. Er zwinkerte. Wann hatte sich Schuldig eigentlich bewegt? Der Orangehaarige befand sich plötzlich neben Daniel und hatte jetzt einen Arm über dessen Schultern geschlungen, in einer Geste, der es an jeder Freundlichkeit mangelte. "Du solltest es dir lieber zweimal überlegen, bevor du so mit mir redest. Und ein Nazi bin ich ganz sicher nicht." Eine kurze Kunstpause. "Ich bin sehr viel schlimmer." Die Worte schlossen mit einer Faust in den Magen, woraufhin Daniel zusammenklappte. Dessen Freunde schienen unentschlossen, ob sie ihm zur Hilfe eilen sollten, wirkten wie erstarrt, während ihre Blicke panisch zwischen ihrem Freund und Schuldig hin und her huschten. Der Deutsche ließ sich nicht lange bitten und überließ Daniel sich selbst, um sich dann den anderen beiden zuzuwenden und ihnen etwas zu sagen, so leise, dass das Flüstern nicht bis zu ihm vordrang. Doch was auch immer es war, es hinterließ sichtlich Eindruck, wie die bleich werdenden Gesichter verrieten. Schuldig vergewisserte sich dessen nicht einmal mehr, sondern kehrte unmittelbar zu ihnen zurück. "Die sollten euch keinen Ärger mehr machen", wurde ihnen nonchalant mitgeteilt. Diesmal bildete er sich Nagis Reaktion auf keinen Fall ein, das Schnauben des Jüngeren hörten sie beide. "Und sollten sie es doch versuchen, werde ich sie auflaufen lassen." Vielleicht hätte er sich beleidigt fühlen sollen, weil er der Ältere war und auf sie aufpassen sollte. Doch dafür war er zu realistisch. Schwarz passte einfach nicht in diese Normen. Schuldig schenkte ihm ein schiefes Grinsen und in die grünen Augen wollte sich wieder Kälte schleichen, doch die Emotion wurde überwunden, bevor sie sich wirklich manifestieren konnte. "Los, machen wir uns auf die Socken, bevor Farf noch ungeduldig wird." Diese Erinnerung sorgte dafür, dass sie rasch zusammenräumten. Daniel, dem von seinen Freunden auf die Beine geholfen worden war, hielt den Kopf gesenkt, als sie an ihm vorbeigingen. Es war erst im Wagen, dass er beschloss, Nagi auf dessen Reaktion zuvor anzusprechen. Leise genug, dass der Fahrtwind für Schuldig seine Stimme übertönte. Der Telepath konnte also selbst entscheiden, ob er zuhören wollte. "Ich weiß, dass viele Ausländer Vorurteile haben, wenn es um Deutsche geht. Aber du… es war nicht deswegen, nicht wahr?" Er wurde für einen Moment aus dunkelblauen Augen gemustert, bevor Nagi beschloss ihm zu antworten. "Es ist nur wegen der Historie. Ich bin zwar nicht selbst dort zur Schule gegangen, aber Crawford hat mir ein bisschen darüber erzählt. Und die Ursprünge lagen tatsächlich in der Zeit. Da einige Nationalsozialisten dem Okkultismus frönten, musste es einfach geschehen, dass sie früher oder später auf Talente stießen. Nimm hinzu, dass sie generell Schulen für die Erziehung der künftigen Elite eingerichtet haben und es konnte nicht ausbleiben, dass jemand auf die Idee kam, Rosenkreuz zu gründen. Die Sache war allerdings so geheim, dass die Schule auch das Ende des Nationalsozialismus überlebte und die Erziehung erhielt eine weniger ideologische Ausrichtung. Allerdings haben sich wohl für eine ganze Weile noch die althergebrachten Erziehungsmethoden dort gehalten…" Oh… kein Wunder, dass Schuldig nie besonders glücklich mit der Erinnerung an die Schule schien. Bewusst sah er _nicht_ zu dem Älteren hinüber. "Wolltest du deswegen nicht dorthin?" Nagi deutete ein Schulterzucken an. "Das lag eher daran, dass ich lieber bei Crawford bleiben wollte. Er hat mich schließlich aufgelesen." Er hätte gerne gewusst, was eigentlich mit Nagis echter Familie geschehen war, doch der Ausdruck in den dunklen, blauen Augen hielt ihn davon ab. Und er würde auch keine solchen Fragen hören wollen, nicht wahr? Bevor eine Reaktion fand, war es Schuldig, der das Wort ergriff. Und dessen Worte, nach vorne weg gesprochen, hallten in seinem Kopf nach, so dass er ihn problemlos verstand. "Natürlich werden wenige überhaupt vor eine Wahl gestellt. Ich wurde damals auch von Crawford aufgelesen – und persönlich zur Schule gebracht. Und wenn wir schon mal dabei sind, Farf haben wir auch von der Straße geholt." Ein Mundwinkel zuckte, als könnte sich Schuldig nicht ganz entscheiden, ob er belustigt oder bitter sein sollte. "So gesehen tun sie eigentlich ein gutes Werk." Und nun streifte ihn doch als momentaner Schock der Blick grüner Augen. "Aber wenn jemand meine Worte wiederholt, werde ich leugnen, sie jemals geäußert zu haben." Unwillkürlich lächelte er und gab sich Mühe, die begleitende Emotion auf mentalem Wege dem Telepathen mitzuteilen. Denn er war wirklich sehr froh, dass alles so geschehen war. Denn es hatte ihm ermöglicht Schwarz – und vor allem Crawford – zu treffen. Nachdem er sich wieder Nagi zugewandt hatte und sie sich ungefährlicheren Themen widmeten, war da eine stumme Erwiderung, die ihm versicherte, dass Schuldig ihm seine Meinung nicht übelnahm. Nach einem kurzen Abstecher dauerte es glücklicherweise nicht mehr lange, bis sie endlich zu Hause ankamen und kaum dass sie durch die Tür getreten waren und er seine Tasche abgestellt hatte, hängte sich Farfarello an ihn. "Wie war dein erster Tag in der Schule?" "Jetzt überfall ihn doch nicht gleich so", ermahnte Schuldig ihn, allerdings ziemlich unwirksam, da ein Grinsen die Worte begleitete. Dann aber besserte sich der Ältere, hielt die Kartons hoch, die sie eben gekauft hatten. "Ich habe die versprochene Pizza mitgebracht", wurde versucht, Farfarellos Aufmerksamkeit anzuziehen. Der schien ebenfalls zu grinsen, auch wenn er es nicht sehen konnte. "Dann wirf schon mal einen Film rein, zu dem wir sie essen können." Er prustete ein Lachen, als Schuldig daraufhin die Augen verdrehte, aber tatsächlich gehorchte. Farfarello verstärkte die Umarmung, stützte das Kinn auf seiner Schulter ab. "War der Unterricht interessant und die Schüler nett?" "Seit wann interessiert dich so etwas denn?", gab er zurück, immer noch belustigt, jetzt wegen der uncharakteristischen Fragen. Farfarello ließ sich sich davon nicht stören. "Es interessiert dich, nicht wahr?" Nun, so gesehen… Wärme erfüllte ihn, bevor er Farfarello wie gewünscht zu berichten begann. Als er zu Daniel kam, stieß der Gleichälterige einen Laut aus, der verdächtigt nach einem Knurren klang. "Ich hätte wissen sollen, dass Er immer noch nicht von dir ablässt." Er schüttelte den Kopf. "Daniel ist nur ein etwas besserer Schulhofschläger. Er hat es nicht verdient, sich über ihn aufzuregen." Farfarello dachte für einen Moment über seine Worte nach, schien ihm dann zuzustimmen. Jedenfalls kam kein Widerspruch und er wurde in Richtung Wohnzimmer geschoben. Ohne Widerstand ließ er es zu. ~TBC~ Kapitel 8: "Ich kann ja das Fenster aufmachen, wenn du darauf bestehst" ----------------------------------------------------------------------- Er legte gerade sein Handy weg, als Ran das Wohnzimmer betrat. Der Rothaarige schien den Schluss seines Gesprächs gehört zu haben, denn sofort kam eine besorgte Nachfrage. "Ist alles in Ordnung bei ihnen?" Seine Mundwinkel kurvten unwillkürlich nach oben. "Ja, alles bestens. Schuldig hat nur gemeldet, dass sie den nächsten Teil des Auftrags abgeschlossen haben und jetzt weiterreisen." "Sie kommen nicht zwischendurch nach Hause?" Ran setzte sich neben ihn auf die Couch. Er stellte innerlich mit leichter Belustigung fest, dass es dem Jüngeren sehr leicht gefallen war, dies hier als neues Zuhause zu akzeptieren, bevor er antwortete. "Es ist nicht erforderlich. Farfarello bleibt bisher ruhig und es wäre die völlig falsche Richtung." Rans Gedanken weilten jetzt klar bei dem Iren, während die violetten Augen irgendwo ins Nichts blickten. "Wird es ihm denn nicht zu langweilig?" Sein Kopfschütteln wurde wahrscheinlich gar nicht richtig wahrgenommen. "Schuldig wird ihn schon beschäftigt halten. Meinst du denn, hier hätte er mehr zu tun? Obwohl er sicher sein Training mit dir vermissen wird." Das holte Rans Aufmerksamkeit zurück zu ihm und ein Lächeln blitzte auf. "Ich bin noch lange nicht gut genug, um ein ernsthafter Gegner für ihn zu sein." Hm, aber darauf kam es dem Iren nicht unbedingt an. Er spielte einfach gerne mit Ran. Was er dem Rothaarigen so aber nicht unbedingt auf die Nase binden wollte. Weswegen er die Tatsache ausnutzte, dass Ran etwas in der Hand hielt. "Was hast du da eigentlich?" Ran zwinkerte und dann… schien sein Gesicht regelrecht aufzuleuchten. "Deswegen bin ich eigentlich gekommen. Aya hat geschrieben, endlich!" Er lachte auf, weil der Rothaarige in diesem Moment um so vieles jünger wirkte. "Du kannst dich nicht beschweren. Soweit ich weiß, bist du noch nicht auf die Idee gekommen, ihr zu schreiben." Ein schuldbewusster Schatten flog über Rans Gesicht, wurde aber schnell wieder verdrängt. Und dann lehnte sich der Jüngere in einer Bewegung gegen ihn, die so unbeabsichtigt schien, dass sie es gar nicht sein konnte. Der Brief wurde geöffnet und das Papier sorgfältig auseinander gefaltet, um ja nicht den kleinsten Riss zu riskieren. Er legte einen Arm um Ran, der sich daraufhin nach einem kleinen Lächeln hoch zu ihm zufrieden weiter in ihn hineinlehnte. "Hat sie sich gut eingelebt?" Ran blieb für einen Moment stumm, während die violetten Augen über die Spalten flogen, nickte dann. Und dieses Lächeln galt ganz allein dessen Schwester. "Sie scheint sich gut mit ihrer Gastfamilie zu verstehen. Wortwörtlich. Auch wenn sie sich derzeit meistens noch auf Englisch unterhalten, ist sie von ihrem Sprachunterricht begeistert und lernt schnell. Und…" Der Jüngere stockte, warf ihm dann einen Blick aus geweiteten Augen zu, "…sie schreibt, dass Herr Schneider sie besucht hat. Wusstest du das?" Ihm rutschte eine Augenbraue hoch. Der Deutsche hatte ihm nichts davon erzählt. Und er war etwas überrascht, dass Schneider sich so um Aya kümmerte. Ran hatte seine wortlose Reaktion richtig gedeutet und jetzt war es an ihm aufzulachen. "Es ist wirklich sehr nett von Herrn Schneider, dass er auf sie aufpasst. Das habe ich nur dir zu verdanken." Er brauchte einen Augenblick, um der Logik zu folgen, musste dem Jüngeren dann mit diesem Urteil aber Recht geben. Denn seit Rans Schwester aufgewacht war, zeigte sie nichts mehr von dieser seltsamen Verbindung, dies schien durch Nagis Heilung beseitigt worden zu sein. Also konnte Schneiders Interesse nicht professioneller Natur sein. Was ein privates Interesse nicht ausschloss, nicht wahr? Sein etwas schief geratenes Lächeln wurde gesehen und Ran schien seine Belustigung von zuvor völlig zu vergessen. "Glaubst du, er kommt dich auch mal besuchen?" Es lag ein Hauch von der gewohnten Unsicherheit, in der Geste, mit der Finger gegen seinem Puls zu ruhen kamen. Innerlich schüttelte er den Kopf, bevor er sich vorlehnte, um den Rothaarigen zu küssen. "Er möchte nicht zu viel Aufmerksamkeit auf uns lenken, von daher kann ich mir das nicht vorstellen", beruhigte er ihn dann. Und ignorierte den Teil von sich, der sich wünschte, Schneider tatsächlich wiederzusehen. Ran schien ihm glauben zu wollen, es nur nicht ganz zu können, weswegen er ihn weiter abzulenken versuchte. "Was ist eigentlich mit deinem Freund, hat der dir auch geschrieben?" Und Ran ließ sich ablenken, lächelte ungehemmt. "Keinen Brief, aber bei E-Mails ist er fleißig." Unbewusst streichelte der Daumen über die Innenseite seines Handgelenks, während der Jüngere weitersprach. "Er beschwert sich häufiger, dass ich ihm jetzt nicht mehr bei den Hausaufgaben helfe." Eine kurze Pause, bevor es etwas leiser weiterging. "Seine Eltern sind unverändert die meiste Zeit auf Geschäftsreise. Yun-kun hat schon gescherzt, dass er sich noch ein Beispiel an ihnen nehmen wird und auch ein Auslandssemester macht." Er zog an einer roten Strähne. "Er will dir doch nicht etwa nachreisen, oder?" Rans Lächeln fiel etwas schwach aus. "Ich denke, er würde es schon gerne tun, ist aber zu vernünftig dafür. Schließlich steht gar nicht fest, wie lange genau wir hier bleiben und er möchte ganz sicher nicht auf einmal allein dastehen." "Gut so…", stellte er ruhig fest, ließ sich ein bisschen zurücksinken und zog Ran mit sich. Der hatte den Brief seiner Schwester schon beiseite gelegt und folgte ihm bereitwillig, begann über seine hemdbedeckten Oberarme zu streichen, nachdem sie mehr lagen als zu sitzen. "Du hast heute frei, stimmt's?", wurde er schließlich gefragt, ohne dass Ran von seiner Tätigkeit abließ. Seine Mundwinkel kurvten nach oben. "Hm, habe ich." Natürlich brachte es seine aktuelle Aufgabe mit sich, dass er am Wochenende grundsätzlich immer frei hatte. Dann wiederum gab es aber häufig genug etwas zu tun, was mit ihrem eigentlichen Job zusammenhing. Ran lächelte wieder, zufrieden. "Du hast mir erzählt, dass Brauner inzwischen hier ist. Können wir nicht vielleicht…" Die Worte versandeten, als er bereits nickte, bevor Ran die Frage ausformuliert hatte. "Willst du ihn nur besuchen oder auch reiten?", hakte er dann nach. Ran verlagerte unwillkürlich mehr Gewicht auf ihn, als sich die violetten Augen verschleierten, in Erinnerungen versunken. "Reiten", wurde schließlich entschieden und jetzt fanden die Hände ein neues Ziel, tasteten über die Knopfleiste seines Hemds hinweg. Als wäre der Jüngere in Gedanken schon bei der Notwendigkeit, sich umzuziehen. Amüsement blitzte in braunen Augen auf. "Gut, dann werde ich dort anrufen und darum bitten, Brauner bereitzumachen. Vielleicht haben sie auch ein weiteres Pferd frei." Ran zwinkerte, kehrte zu ihm zurück und lächelte ausdrucksvoll. "Ja, lass es uns versuchen." Furchtlos, wie es schien. Und genauso ohne zu zögern wurde er dieses Mal von dem Jüngeren geküsst. Was vielleicht dazu geführt hätte, dass sie ihre Beschäftigung miteinander ins Bett verlegten, aber dazu war sich Ran doch zu sehr bewusst, dass es gerade mal Vormittag war und der Rothaarige schien meistens recht genaue Vorstellungen davon zu haben, wann es angebracht war, Sex zu haben. Weswegen sie sich wenig später gegenüberstanden und die Kleidung ordneten, bevor er wieder nach seinem Handy griff, um im Club anzurufen. Ihn hielt nur eine kleine Geste von Ran für den Moment noch zurück. "Sollte ich vielleicht Nagi fragen, ob er auch mitkommen will?" Und wieder zuckten seine Mundwinkel in ein Lächeln. "Das kannst du gerne tun. Aber ich kann dir jetzt schon sagen, dass er ablehnen wird. Nagi kann Pferden nicht viel abgewinnen." Ran sah so aus, als wäre es ihm ganz Recht so, aber nichtsdestotrotz machte dieser sich auf den Weg nach oben, so dass er selbst sich jetzt um den Anruf kümmern konnte. Der sich als reine Formsache erwies. Ihm wurde versichert, dass Brauner für ihn bereitstehen würde und natürlich auch ein weiteres Pferd. Und man würde sich gerne um weitere Wünsche kümmern, er sollte sie nur äußern. Anscheinend wurden sie gut genug bezahlt, um zuvorkommend zu sein. Mit einem innerlichen Schnauben begab er sich ebenfalls nach oben, hielt kurz bei Nagis Zimmer inne. Der Jüngere saß wie erwartet vor seinem Computer, war lobenswerter Weise aber mit einem Spiel beschäftigt, das jetzt pausiert wurde. Eine schmale Augenbraue hob sich fragend, eine weitere Reaktion hielt Nagi nicht für erforderlich. "Auch wenn du nicht mitkommen willst, ganz im Allgemeinen solltest du dir vielleicht ein Beispiel an Ran nehmen und ab und zu auch an die frische Luft gehen." Er fragte gar nicht erst, wie sich Nagi entschieden hatte. Der erwiderte seinen Blick wenig beeindruckt, zeigte aber gleichzeitig ein kleines Lächeln. "Ich kann ja das Fenster aufmachen, wenn du darauf bestehst." Er verdrehte _nicht_ die Augen, schüttelte lediglich den Kopf, bevor er sich wieder verabschiedete. Natürlich würde er Nagi in dieser Hinsicht keine Vorschriften machen. Solange dieser ausreichend trainierte, war Nagi frei, was seine Freizeitgestaltung anging. "Ich habe deine Sachen auch schon zusammengesucht", wurde er von Ran begrüßt, als er sein Zimmer betrat. "Dann hält uns ja nichts mehr auf, nicht wahr?", gab er belustigt zurück. Ran schien es eilig zu haben. Der Rothaarige grinste flüchtig, schloss sich ihm mit der Tasche in der Hand an. "Ist es eigentlich weit zu fahren?" Er musste tatsächlich einen Moment darüber nachdenken, schließlich war er noch nicht dort gewesen, doch dann schüttelte er den Kopf. "Es müsste schneller gehen als in Japan. Natürlich wollten sie den Reitstall nicht zu nah an der Siedlung errichten, um die Bewohner nicht zu belästigen. Ganz zu schweigen davon, dass sie genug Platz für die anderen Einrichtungen benötigten. Aber gleichzeitig soll eine gute Erreichbarkeit gewährleistet sein." "Dann… dann hast du jetzt häufiger Zeit für Brauner, ja?" "Meinst du, er vermisst mich sonst?", missverstand er die Frage absichtlich. Und Ran warf ihm daraufhin einen langen Blick zu. "Du weißt genau, was ich meine." Was er nicht abstreiten konnte. "Wenn du es wünschst, können wir sicher öfter einen Ausflug dorthin machen." Dieses Mal erhielt er ein Lächeln, bevor eine Hand nach ihm ausgestreckt wurde und sich nach einem minimalen Zögern um sein Handgelenk schloss. Erst als sie die Garage erreichten wurde er wieder losgelassen und nutzte es aus, um die Autoschlüssel aus seiner Tasche zu fischen. "Wie wäre es mit ein bisschen mehr Übung?" Ran überwand seinen Anflug von Unsicherheit schnell, schließlich hatte es bei den bisherigen Fahrversuchen auch keine Probleme gegeben und allein eine längere Strecke war nun wirklich kein Hinderungsgrund. "Aber aus der Garage fährst du den Wagen", wurde jedoch sicherheitshalber eingeschränkt. "Das musst du irgendwann aber auch lernen." "Du sagst es, irgendwann." Beinahe hätte Ran die Arme vor der Brust verschränkt, doch der Jüngere sah die Belustigung in seinen Augen und wusste damit, dass er nur aufgezogen wurde. Immer noch amüsiert setzte er sich in Bewegung und tat wie ihm geheißen, um anschließend den Schlüssel an Ran weiterzureichen und im Beifahrersitz Platz zu nehmen. "Die Strecke ist recht simpel." Natürlich hatte er sie sich schon vor einer Weile angeschaut, schließlich hatte er wissen wollen, wo genau Brauner landen würde. Nur eine Besichtigung hatte er sich gespart. Die Erkundigungen, die er eingeholt hatte, waren durchweg positiv ausgefallen, aber ganz davon abgesehen gab es den ganz profanen Grund, dass er keine Ausweichmöglichkeit gehabt hätte, jedenfalls keine gut erreichbare. "Ich gebe dir Bescheid, wenn du abbiegen musst. Aber erst mal geht es eine Weile die Hauptstraße entlang." Ran hatte Sitz und Spiegel für sich eingestellt, ihm aber trotzdem aufmerksam zugehört und nickte nun bestätigend. Er erhielt ein Lächeln, bevor nach einer kaum merklichen Pause der Motor gestartet wurde und sich alle Konzentration des Rothaarigen auf das Fahren richtete. Sie erreichten ihr Ziel nach einer ruhigen Fahrt ohne Zwischenfälle, für Unterhaltungen war Ran noch zu nervös, aber solange er nicht abgelenkt wurde, fuhr er wirklich souverän. Nachdem der Motor schließlich abgestellt wurde und sie sich abgeschnallt hatten, lehnte sich der Jüngere mit einem lauten Ausatmen zurück und grinste dann plötzlich. "Mir ist richtig warm geworden", wurde festgestellt. "Hm, vielleicht bekommst du dann dieses Mal weniger Muskelkater." "Sehr lustig", stellte Ran fest, zupfte dann an seinem Ärmel. "Apropos, vielleicht…" Rans Gesichtsfarbe wurde eindeutig gesünder und das hatte nichts mehr den Nachwirkungen der Fahrt zu tun. Ihn überraschte es immer wieder, dass der Jüngere manchmal so schüchtern war und wiederum in anderen Situationen keine Scheu zeigte. "Ich massiere dich gerne wieder, wenn es dir hilft", antwortete er auf die unausgesprochene Frage. Dann folgte seine Hand der Verbindung, die Rans Arm zwischen ihnen geschaffen hatte und er zog den Rothaarigen erst näher und dann in einen Kuss. Denn eine Erinnerung war wachgerufen worden und damit der Wunsch, Ran jetzt unter sich zu spüren. Aber er weigerte sich, mit mehr als diesem Kuss darauf zu reagieren, soweit hatte er sich noch unter Kontrolle. Anders als Ran, der anschließend etwas Zeit benötigte, um wieder ganz zu sich finden. Der Blick, den er dann erhielt, fiel beinahe vorwurfsvoll aus. "Ich dachte, wir wären zum Reiten hier." Eisern hielt er auch seine Mundwinkel unter Kontrolle, als ihm durch den Kopf schoss, was Schuldig in dieser Situation gesagt hätte. Aber irgendwie wurde es ihm angesehen und dieses Mal verschränkte Ran tatsächlich die Arme vor der Brust, während sich dessen Wangen wieder einfärbten. Doch gesagt wurde nichts mehr. ~TBC~ Kapitel 9: "Ihr Interesse galt mehr meiner Brieftasche" ------------------------------------------------------- "Herr Crawford?", wurde er fragend begrüßt, kaum dass sie den Parkplatz verlassen hatten. Er nickte, während er die junge Dame musterte und gleichzeitig in einer automatischen Reaktion abschätzte, sie schnell als ungefährlich einstufend. Offensichtlich nur eine Angestellte des hiesigen Clubs. Kaum hatte sie seine Antwort, wurde ihm ein eingeübtes Lächeln geschenkt. "Willkommen zu Ihrem ersten Besuch bei uns. Mein Name ist Diana und ich möchte Sie gerne mit unseren Einrichtungen vertraut machen." Er tauschte einen Blick mit Ran aus, der nicht ganz glücklich mit diesem Vorschlag wirkte, sich aber bereits damit abgefunden hatte. Weil eine Ablehnung etwas seltsam ausgesehen hätte, wie ihnen beiden bewusst war. Nur für den Jüngeren war das Lächeln gedacht, das für einen Moment seine Mundwinkel kurvte, dann wandte er sich wieder der Angestellten zu. "Wir freuen uns auf die Besichtigung", gab er daher zurück. Dianas Lächeln wurde daraufhin ausdrucksvoller und er seufzte innerlich, als er so etwas wie echtes Interesse in ihren Augen aufblitzen sah, nachdem ihr Blick ach so zufällig zu seiner Hand abgeschweift war. An der er natürlich schon sehr lange keinen Ring mehr trug. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie diesen Job weniger zur Aufbesserung ihres Taschengelds angenommen hatte als vielmehr, um jemanden kennenzulernen, der so etwas künftig völlig unnötig machen würde. Höflich gab er sich interessiert, als sie durch das Clubgebäude geführt wurden, die Bar gezeigt bekamen, ebenso wie das kleine Restaurant. Anders als in Japan handelte es sich hier nicht um einen reinen Reitstall, sondern es gab auch weitere Sportangebote und andere Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen. Es erinnerte ihn auf ewas unangenehme Art an den Club, in dem sein Vater früher Mitglied gewesen war und wo dieser sich mit dessen Freunden getroffen hat, um ganz dem Cliché genügend Zigarren zu rauchen und sich wichtig zu machen. Nichts davon zeichnete sich auf seiner Miene ab, doch Ran schien zu spüren, dass er mit etwas nicht ganz zufrieden war. Der junge Japaner hielt seine Gesichtszüge so mühelos wie er selbst unter Kontrolle, aber als Diana mal wieder in ungebremster Begeisterung ein Detail beschrieb, konnte er die flüchtige Berührung von Fingerspitzen an seinem Puls spüren. Und da Ran im Moment nicht so aussah, als benötigte er diese Versicherung, war die Geste offensichtlich ganz für ihn bestimmt. Das Lächeln stand dieses Mal allein in seinem Blick und wurde ebenfalls mühelos von dem Rothaarigen identifiziert, mit einem eigenen Lächeln erwidert. Erst als ihre Runde schließlich – endlich – den Stall erreichte, sah Diana ihre Aufgabe als erfüllt an und verabschiedete sich von ihnen, nicht ohne ihm zu versichern, dass er bei weiteren Fragen gerne auf sie zukommen könnte. "Ich dachte schon, wir würden gar nicht mehr zum Reiten kommen", meinte Ran leise, als sie für den Moment unter sich waren. "So ist das nun mal bei solchen Einrichtungen. Da sie uns mehr als genug Geld abknöpfen, wollen sie uns bei Laune halten", gab er trocken zurück. Ran gab ein unterdrücktes Schnauben von sich. "Aber du hättest bessere Laune, wenn sie dich in Ruhe gelassen hätte, oder?" Eine Antwort wurde nicht abgewartet, bevor Ran weitersprach, die violetten Augen jetzt niedergeschlagen. "Ich glaube, sie hat ein Faible für dich." Er hob kurz die Hand, berührte genauso flüchtig die Wange des Jüngeren. Ran nahm doch nicht ernsthaft an, dass er sich seinerseits für die Frau interessieren würde… Aber dann wiederum hatte Ran in dieser Hinsicht noch nie besonders viel Selbstvertrauen gezeigt. Amüsement blitzte in braunen Augen auf, als sich ihre Blicke wieder begegneten. "Du solltest etwas sorgfältiger beobachten. Ihr Interesse galt mehr meiner Brieftasche." Ran zwinkerte langsam, verarbeitete seine Aussage dann aber rasch – und zeigte ein unerwartetes Grinsen. "Aber dein Aussehen hat ganz sicher auch geholfen", wurde mit Gewissheit festgestellt. Er stutzte, lachte dann beinahe auf. "Damit könntest du Recht haben", gab er zu. Und da sie gerade nicht beobachtet wurden, hielt er seine Hände nicht auf, die sich an Rans Taille legen wollten. Einen Moment später hatte sich der Rothaarige auf die Zehenspitzen erhoben, ihm entgegenkommend, so dass er ihn küssen konnte. Anschließend hing immer noch ein Lächeln an den Mundwinkeln des Jüngeren, dieses hier hatte allerdings keine Ursache in irgendeiner Form von Belustigung. Er erwiderte es kurz, bevor er sich den Grund ihres Hierseins in Erinnerung rief und endlich den Stall betrat, gefolgt von Ran. Auch hier dauerte es nicht lange, bis sie begrüßt wurden, dieses Mal von einem Mann, der schon etwas älter war, aber immer noch ausgesprochen fit wirkte. "Ihr Pferd wurde bereits vorbereitet", wurde ihm nach einer kurzen Begrüßung mitgeteilt. "Ebenso habe ich wie gewünscht eine Stute vorbereitet, die an Anfänger gewöhnt ist." An dieser Stelle wurde Ran gemustert. "Benötigen Sie einen Reitlehrer für Ihren Begleiter?" "Nein, danke. Die Grundlagen kennt er bereits und mit dem Rest werde ich ihm helfen." Natürlich widersprach ihm Ran an dieser Stelle nicht, doch gut verborgen in den violetten Augen stand die Meinung, dass dieser die Grundlagen noch lange nicht kannte. Der andere Mann nickte nur arglos, führte sie zu einem Stand, wo Brauner sie bereits erwartete. Kaum dass er erkannt wurde, zog das Pferd ungeduldig an dem Halfter, mit dem es festgebunden war, anders als die Stute, die sie einfach nur seelenruhig beäugte. Ran tauschte einen fragenden Blick mit ihm aus, bevor dieser an sein Pferd herantrat, Brauner mit einem leisen Murmeln begrüßend. Der es sich gerne gefallen ließ, vor allem, als Ran einen Apfel aus der Hosentasche seiner Reithose holte. "Sie haben da ein schönes Tier", merkte der Angestellte an. "Aus Kentucky nehme ich an?" "Hm, richtig. Meine Familie hat ihre Pferde schon immer von dort bezogen." Und natürlich hatte Schneider das beachtet, als dieser ihm Brauner schenkte. Alles andere hätte auch nicht zu dem Deutschen gepasst. Für einen Moment sah es so aus, als wollte der Mann noch eine weitere Frage stellen, doch etwas schien ihn davon abzuhalten. Vielleicht die Kühle, die auf einmal in braune Augen getreten war. Nach einem trockenen Schlucken wurde das andere Pferd losgebunden. "Das ist Glory. Sie sollte Ihnen keinen Ärger machen. Und sie kennt den Weg zurück zum Stall auswendig. Wenn Sie die Richtung verlieren, müssen Sie ihr einfach nur die Zügel lassen und Glory bringt Sie zurück." Er nickte verstehend, kümmerte sich dann seinerseits um Brauner, der inzwischen den Apfel verspeist hatte und nun bei ihm nach Nachschub suchte. Amüsiert strich er ihm über die Blesse. "Mehr musst du dir erstmal verdienen, mein Hübscher." Als wäre er verstanden worden, wurde er angeschnaubt, doch mehr Enttäuschung zeigte Brauner nicht und vor allem folgte dieser ihm freudig, sobald er sich in Bewegung setzte. Sie wurden zu einem Tor geführt, das sie aus dem abgegrenzten Gelände entlassen würde und nach einigen Tipps, wohin sie sich am besten wenden könnten, wurden sie allein gelassen. Er klopfte mit der flachen Hand gegen Brauners Hals, der ungeduldig zu tänzeln begann, während er sich Ran zuwandte. "Wir lassen es langsam angehen, den Feldweg entlang. Und wenn wir auf den Unterstand treffen, legen wir erst einmal eine Pause ein und sehen, wie es weitergeht." Der Rothaarige nickte in einer Mischung aus Vorfreude und Nervosität und er lächelte, als er Brauner für den Moment am Zaun festband, um zuerst die Steigbügel für Ran und dann für sich selbst richtig einzustellen. "Wenn du dir zu unsicher bist, sag es", forderte er den Jüngeren mit sanftem Amüsement auf. "Dann lasse ich Glory wieder reinbringen und wir teilen uns Brauner." Ran schüttelte den Kopf, ohne ernsthaft über seinen Vorschlag nachzudenken. "Ich möchte es ja lernen." Nun folgte doch eine kurze Pause. "Oder glaubst du, ich falle herunter?" Die Frage war eindeutig an sein Talent gerichtet. Er zog eine Augenbraue hoch. "In dem Fall hätte ich davon abgesehen, überhaupt ein Pferd für dich vorbereiten zu lassen, meinst du nicht auch?" Daraufhin rieb sich Ran den Nacken und etwas Röte hielt in dessen Wangen Einzug. Und der Jüngere war ganz froh, als er ihm daraufhin Hilfe beim Aufsteigen anbot und das Thema damit hinter sich ließ. Anschließend schwang er selbst sich auf Brauner und schweigend setzten sie sich in Bewegung. Er selbst genoss es, in diesen altgewohnten Rhythmus zurückzufallen, mit dem sich Brauner bewegte, während Ran vollauf damit zu tun hatte, erst einmal so etwas wie eine gewisse Gewöhnung aufzubauen. Nach einer Weile hatten sie ausreichend Muße, auch der Landschaft Beachtung zu schenken, denn Ran gewann zunehmend an Sicherheit, so dass er ihn nicht mehr die ganze Zeit im Auge behalten musste. Eine naturbelassene Wiese erstreckte sich um sie herum und in einiger Entfernung schien ein Bach zu verlaufen. Eine Straße war hier nirgendwo zu sehen, die lag in der anderen Richtung und weiter voraus verdichtete sich der gelegentliche Baumbewuchs zu einem kleinen Wäldchen. Bevor er es verhindern konnte, meldeten sich Bilder aus seiner Kindheit, denn diese Gegend war seinen damaligen Erinnerungen viel ähnlicher als die Landschaft in Japan. "Crawford", holte ihn eine leise Stimme zurück, bevor die Bilder Überhand nehmen konnten und seine Gedanken in Richtungen lenken, in denen er sie nicht haben wollte. Braune Augen richteten sich auf seinen Begleiter und Ran zuckte im ersten Moment unter seinem Blick zusammen, bevor ihm ein zögerliches Lächeln geschenkt wurde. Er brauchte ein paar Sekunden, dann aber kurvten seine Mundwinkel ebenfalls nach oben. Rans Lächeln gewann daraufhin an Ausdruck und dann wurde eine Hand ausgestreckt. "Das dort hinten könnte der Unterstand sein, meinst du nicht auch?" Er folgte der Geste, nickte dann langsam. "Ja, sieht ganz so aus. Es ist näher, als ich angenommen hatte." Der Rothaarige sah so aus, als wollte er etwas hin und her rutschen, tat es dann aber lieber nicht, als er sich daran erinnerte, dass er sich in einem Sattel befand. "Aber wir halten trotzdem, ja?", wurde er schließlich gefragt. Unwillkürlich belustigt neigte er den Kopf. "Wenn du möchtest." Immerhin hatte sich Ran bis jetzt gut gehalten und er verstand, dass der Jüngere für einen etwas schnelleren Ritt auf Brauner wechseln wollte. Immerhin kannte Ran sein Pferd schon viel besser, auch wenn Glory rein pragmatisch gesehen wahrscheinlich die bessere Wahl wäre. Erst als sie schließlich abgesessen hatten, die Pferde angebunden und mit Wasser versorgt, ging ihm auf, dass Ran für diese Pause ein ganz anderes Motiv gehabt haben könnte. Denn der Jüngere trat näher an ihn heran und gleich darauf strichen Hände seine hemdbedeckten Arme entlang, glitten warm über seine Muskeln, bevor Ran sich auf die Zehenspitzen erhob und die Arme um seinen Hals schlang. Er stützte ihn an der Taille und dieses Mal mussten sie den Kuss nicht kurz halten, es bestand schließlich keine Gefahr, dass plötzlich jemand um die nächste Ecke biegen würde. Und es war Ran, der die Führung bei diesem Kuss übernahm, als wollte der Jüngere jeden Winkel in seinem Mund schmecken. Als er ihn schließlich leicht von sich schieben wollte, um wieder zu Atem zu kommen, gab der Rothaarige nur für einen Moment nach, lehnte sich dann mit einem Laut des Protests wieder zu ihm vor. Die Wärme zwischen ihnen nahm zu und begann sich in Hitze zu wandeln, vor allem, da sein Körper inzwischen aufgehorcht hatte und versuchte, die Kontrolle zu übernehmen. Dass Rans Finger eine neue Beschäftigung in den Knöpfen seines Hemdes gefunden hatte, machte die Sache nicht leichter und dann beschloss er, ganz einfach nachzugeben. Wofür hatte man schließlich Kontrolle, wenn man sie nicht auch ab und zu aufgeben konnte? Er umfasste Ran etwas fester, was mit einem scharfen Einatmen quittiert wurde, hob den Jüngeren auf den niedrigen Zaun, der zwar stabil war, ansonsten aber eher der Optik zu dienen schien, den Unterstand ergänzend, als ein wirkliches Hindernis für ein entschlossenes Pferd darzustellen. Ran nutzte die neue Position aus, um ihn zwischen dessen Beine zu ziehen und dann kneteten dessen Hände seine inzwischen freien Schultern, während ein neuer Kuss gestartet wurde. Bei der nächsten Pause war die Farbe der violetten Augen kaum noch zu erkennen, so geweitet waren die Pupillen und Ran atmete schwer, um seinen Körper wieder mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Er lächelte leicht, während er ihn musterte und hob dann eine Hand, um sachte über die leicht geschwollenen Lippen zu streichen. "Wenn es dir um Sex geht, hätten wir nicht herfahren müssen", machte er ihn aufmerksam, mit leichtem Humor. Ran wurde noch etwas röter, grinste dann aber. "Ursprünglich ging es nicht darum." Das Grinsen wandelte sich in ein warmes Lächeln und wieder rieben Hände über seine Schultern. Der Jüngere lehnte sich zu ihm vor, bis dessen Stirn seine berührte und die nächsten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. "Ich habe an unsere anderen Ausflüge denken müssen, in Japan." Ah, daher kam also dieser plötzliche Überfall. Seine Mundwinkel zuckten nach oben. Und diese Erinnerungen waren sehr viel angenehmer als die, die sich bei ihm gemeldet hatten. Also folgte er lieber Rans Gedanken und seine Lippen suchten die des Rothaarigen, während sich eine Hand von Rans Taille löste und stattdessen ihren Weg in in dessen Hose fand. ~TBC~ Kapitel 10: "Was machst du denn hier?" -------------------------------------- "Schneller!", lachte Ran und beugte sich tiefer über den Hals seines Pferdes. Glory gehorchte gutmütig, ohne sich von dem lauten Ruf aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Er musste ein Lächeln zurückhalten, bevor er sich seinerseits tiefer über Brauner beugte, seine Worte waren hingegen kaum mehr als ein Flüstern. "Na dann zeig mal, was du kannst." Ob es nun seine Worte oder seine Haltung war, Brauner schien genau zu verstehen, was er von ihm wollte und fiel in einen weit ausgreifenden Galopp. Glory wurde schnell ein- und dann überholt, doch die Stute ließ sich davon nicht beeindrucken, behielt ihr Tempo bei. Sie war wirklich eine gute Wahl, auch wenn Ran in diesem Moment gar nicht wie ein Anfänger wirkte. Mit einem innerlichen Kopfschütteln schob er diesen Gedanken beiseite, ließ für den Moment einfach los, so wie er Brauner die Zügel freigegeben hatte. Und so konnte er später gar nicht genau sagen, wie viel Zeit vergangen war, als die Pferde schließlich von sich aus langsamer wurden, bis sie in einen gemütlichen Trott fielen. "Wir müssen einen Bogen geschlagen haben", merkte Ran an, dessen rote Haare windverweht waren. "Da vorne, das ist wieder der Unterstand." Die violetten Augen funkelten, als sie seinen Blick fanden und dieses Mal lächelte er wirklich. "Es scheint mir, als würde nicht nur Glory den Weg zurück zum Stall kennen", stimmte er zu. Ran nickte eifrig, den Blick schon wieder auf das offensichtliche Ziel der Pferde gerichtet. "Wollen wir noch einmal eine Pause einlegen?" Dieses Mal eindeutig ohne jeden Hintergedanken, Ran dachte allein an sein Pferd, das gerade zufrieden getätschelt wurde. Er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr, rechnete die Zeit für den restlichen Weg und das Umziehen ein, bevor er nickte. "Solange wir uns nicht zu lange hier aufhalten." Der Jüngere nahm die Auskunft freudig auf, lächelte ausdrucksvoll, bevor Glory noch einmal kurz angespornt wurde. Natürlich folgte Brauner unmittelbar, sein Pferd spielte nicht gerne die zweite Geige, und so konnten sie kurz darauf absitzen. Dieses Mal band Ran die Stute selbst fest, er hatte beim ersten Mal genau aufgepasst, dann streckte sich der Rothaarige, dass ihm die Gelenke krachten. "Ich fühle mich mindestens fünf Jahre älter…", wurde mit einem schiefen Grinsen zugegeben, während Ran sich in ein paar vorsichtigen Schritten versuchte. Die dann auch ohne Unfälle zurückgelegt wurden, doch als sich Ran schließlich gegen den Zaun lehnte, schienen dessen Beine zu zittern. Seine Mundwinkel zuckten nach oben, als er ebenfalls absaß. "Du weißt, dass du damit immer noch jünger wärst als ich?" Violette Augen weiteten sich überrascht, offensichtlich hatte sich Ran das nicht bewusst gemacht, auch wenn er es eigentlich wissen sollte. Der Jüngere brauchte, bis er zu ihm getreten war, ehe dieser sich wieder gefasst hatte, dann aber wurde er ohne Vorwarnung umarmt. Hm, anscheinend hatte sein Hinweis weniger dafür gesorgt, dass Ran eine unbeabsichtigte Beleidigung fürchten würde. Vielmehr hatte er die alte Unsicherheit wieder geweckt. Dabei war es gerade so einfach gewesen, sich auf Ran einzulassen, weil dieser nur ein normaler Schüler war und so gar nichts mit seiner Welt zu tun hatte. Natürlich verbunden mit der Tatsache, dass Ran nichtsdestotrotz mehr über die Widernisse des Lebens erfahren hatte als so mancher sogenannter Erwachsene. Die braunen Augen verdunkelten sich bei diesem Gedanken, ohne dass es irgendjemandem auffallen konnte und er schlang seine Arme um Rans schlanke Gestalt. ****** Die Umarmung sorgte dafür, dass er nicht mehr darüber nachdachte, warum sich Crawford überhaupt mit ihm abgab. Er hatte es schließlich schon oft genug getan und zu Verstehen hatte es nie geführt. Mit einem leisen Seufzen entspannte er sich Stück für Stück und dann lächelte er gegen den Stoff von Crawfords Hemd. Der Ältere wusste garantiert, was ihm durch den Kopf gegangen war und hatte prompt darauf reagiert. Es war eine Erkenntnis, die ihn mit Wärme füllte, die bis in seine Wangen stieg. Und er wollte darauf antworten. Crawford schien ganz und gar nicht überrascht von der Hand, die sich gleich darauf in dessen Nacken schlich und ihn in einen Kuss zog. Und er war froh darüber, denn auf diese Weise konnte er es sagen, ohne Worte dafür zu benötigen. Anschließend erhielt er ein Lächeln, in dem sich Verständnis mit Belustigung mischte, bevor Crawford sich Brauner zuwandte und etwas aus der kleinen Satteltasche holte. "Die beiden haben sich eine Belohnung verdient, meinst du nicht auch?" Damit wurde ihm ein Apfel zugeworfen, während der Schwarzhaarige einen weiteren für sein Pferd zurückbehielt. Er fing die Frucht mühelos auf und lachte, als sowohl Glory als auch Brauner die Köpfe nach ihm verdrehten. "Natürlich. Aber ist es nicht etwas unfair, dass Brauner einen mehr bekommt? Er hatte doch vorhin schon einen Apfel." Crawford deutete ein unbeeindrucktes Schulterzucken an. "Brauner ist mein Pferd, Bevorzugung ist da gestattet." Dem konnte er schlecht widersprechen und er tat es auch nicht. Stattdessen gab er Glory den hart erarbeiteten Apfel und die Stute mampfte zufrieden vor sich, während Brauner seinen Apfel viel zu schnell herunterschlang und dann bei Crawford nach Nachschub suchte. Der Amerikaner wehrte die Übergriffe mit einem amüsierten Lächeln und leisen Worten ab, klopfte Brauner schließlich mit der flachen Hand gegen den Hals. "Du bekommst auch nie genug, was? Aber mir meine Taschen kaputt zu machen, bringt dich auch nicht weiter." Er hielt ein Auflachen zurück, weil Crawford in diesem Moment so anders wirkte, nutzte die Gelegenheit, um sich ein bisschen zu strecken und seine Beine noch etwas zu bewegen. Diese Schritte fielen ihm wenigstens schon etwas leichter, aber alles in allem fühlte er sich wie gerädert. Sein Blick streifte kurz Crawford und er hoffte, dass der Ältere sein Versprechen nicht vergessen hatte. Denn eine Massage würde er heute Abend wirklich gebrauchen können. Eisern vertrieb er die Röte, die sich in sein Gesicht schleichen wollte, als seine Gedanken in weniger unschuldige Richtungen abdrifteten. Er schüttelte innerlich den Kopf über sich und gleichzeitig die Bilder ab, wandte sich wieder der Gegenwart zu, wo Crawford ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte. Hatte der Ältere ihn etwas gefragt? Auf seine sich weitenden Augen hin zuckten Crawfords Mundwinkel kaum merklich, bevor dieser sich offensichtlich wiederholte. "Bereit für das letzte Stück?" Er nickte beinahe hastig und trat auf sein Pferd zu, gefolgt von Crawford, der sichergehen wollte, dass er auch zurück in den Sattel gelangte. Und dieses Mal war die stützende Hand wirklich erforderlich, die dafür sorgte, dass er nicht in den Sattel hineinplumpste statt sich darauf niederzulassen. Danach wurden erst Glory und dann sein Bein getäschelt und er erhaschte noch einen amüsierten Funken in den braunen Augen, bevor Crawford sich abwandte, um seinerseits auf Brauner aufzusteigen. Er tat so, als hätte er es nicht bemerkt, sonst würde er vielleicht noch verlegen werden und ließ die Zügel locker. Denn Glory wusste sehr genau, wo es hinging und strebte von ganz allein in Richtung Stall. Kaum hatten sie ihr Ziel erreicht, war auch schon jemand heran, um ihnen die Pferde abzunehmen. Er konnte sehen, wie Crawford einen Blick auf die Uhr warf, bevor der Ältere Brauner ohne Widerspruch abgab, sich nur kurz von dem Pferd verabschiedend. "Haben wir noch etwas vor?", erkundigte er sich, als sie sich auf dem Weg zu den Umkleideräumen befanden, den Blick fest auf den Boden gerichtet. Denn er fühlte sich immer noch – oder schon wieder? – unsicher auf seinen Beinen. Er musste ganz einfach häufiger reiten gehen… und das sollte ja kein Problem darstellen, nicht wahr? Unbemerkt huschte ein Lächeln über seine Lippen bei diesem Gedanken. "Nun, nicht direkt", antwortete Crawford und erhielt damit seine Aufmerksamkeit zurück. "Ich bin nur davon ausgegangen, dass du hier Mittagessen möchtest und die Küche ist nicht durchgehend geöffnet." Er wollte gerade einwenden, dass er auch bis Zuhause durchgehalten hätte, als sein Magen sich lautstark zu Wort meldete und das Gegenteil behauptete. Prompt lief er rot an. Bis zu diesem Moment war ihm gar nicht bewusst gewesen, wie hungrig er eigentlich war. Crawford nickte, Amüsement in den braunen Augen. "Ja, genau so etwas hatte ich mir schon gedacht. Und deine Muskeln können sich in der Zwischenzeit auch ein bisschen erholen." Ein Mundwinkel kurvte leicht nach oben, als das hinzugesetzt wurde. Er weigerte sich, darauf etwas zu antworten, achtete nur noch mehr auf seine Schritte. Es wäre ja noch schöner, wenn er jetzt ins Stolpern geraten würde… Nichtsdestotrotz hatte er das Gefühl, dass Crawford innerlich über ihn lachte, auch wenn man es dem Älteren nicht ansehen konnte. Zum Glück gab er ihm keinen Grund, wirklich zu lachen, erreichte ohne irgendwelche Unfälle den Umkleidebereich und dann auch die Dusche. Letztere befanden sich in abgetrennten Bereichen, viel mehr als bloße Kabinen. Es war fast wie ein kleines eigenes Bad, mit genug Platz, um die Sachen abzulegen. Ein Waschbecken mit Spiegel, Fön und verschiedenen Toilettenartikeln vervollständigte die Ausstattung. In dem Bewusstsein, nicht gestört zu werden, streifte er beinahe hastig seine Sachen ab, um schnell unter die Dusche zu kommen. Er hatte das Wasser so weit wie möglich aufgedreht und genoss die Hitze, die auf ihn herunterzuströmen begann. Doch irgendwie fühlte sich der Strahl anders als gewohnt an, so dass er nach oben blickte, Wasser aus den Augen blinzelnd. Und dann begegnete sein Blick dem größten Duschkopf, den er jemals gesehen hatte. Kein Wunder, dass er beinahe den Eindruck hatte, im Regen zu stehen… Verblüfft lachte er auf, besann sich dann aber mit einem Kopfschütteln darauf, dass er nicht nur zur Entspannung hier stand, sondern auch den Schweiß loswerden wollte, den der Ausritt mit sich gebracht hatte. Duschgel sowie Shampoo befanden sich natürlich in bequemer Reichweite und kurz darauf duftete er nach Meeresfrische. Jedenfalls wenn er der Verpackungsbezeichnung Glauben schenken wollte. Das Handtuch, nachdem er danach griff, war nicht nur vorgewärmt, sondern auch riesig, fast wie eine Decke. Und so weich, dass es ihm fast schwer fiel, sich wieder davon zu trennen, als er schließlich trocken war. Danach musste er sich nur noch um seine Haare kümmern und sich anziehen, um kurz darauf den privaten Raum zu verlassen. Natürlich suchte sein Blick als allererstes nach Crawford, doch wie es aussah, war er etwas schneller als der Ältere gewesen. Nachdem er ein paar weitere Schritte getan hatte, nicht ohne leicht das Gesicht zu verziehen, wünschte er sich, die heiße Dusche noch etwas ausgedehnt zu haben, doch gleichzeitig war ihm auch bewusst, dass sie nicht viel mehr gegen den einsetzenden Muskelkater hätte helfen können. Nein, da wäre etwas anderes viel hilfreicher… Er verbat seinen Gedanken, wieder in diese Richtung abzuschweifen, denn jetzt konnte er Stimmen näherkommen hören und er wollte nicht dumm herumstehen, mit rot angelaufenem Gesicht. Sie würden ihn noch für einen Spanner oder so etwas halten. Diese Überlegung rief Humor in violette Augen, der sich schnell verflüchtigte, als er einer bekannten Gestalt gewahr wurde, der er lieber nicht über den Weg gelaufen wäre. Der Andere stoppte seine Unterhaltung mit dessen Freunden und starrte ihn an. "Was machst du denn hier?", fragte Daniel dann in einem Tonfall, der alles andere als höflich ausfiel. Ein schmales Lächeln zog unwillkürlich an seinen Mundwinkeln, weil der Andere so ehrlich überrascht schien, und er erlaubte ihm zum Vorschein zu kommen. Anscheinend glaubte sein Mitschüler immer noch an dieses selbsterfundene Märchen, dass er nur ein armer Stipendant war und in ihrer illustren Runde nichts zu suchen hatte. Ihn hier zu sehen musste diese kleine Welt, in der Daniel lebte, regelrecht auf den Kopf stellen. Und dabei _hatte_ er Nagis vielleicht gar nicht so ernst gemeinten Rat befolgt und Crawford bei der Wahl seiner Garderobe ein Wort mitreden lassen… Irgendwie schien Daniel seine fehlende Reaktion – oder vielleicht auch das Lächeln – nicht zu gefallen, denn jetzt hob der Andere die Hand an, die einen Tennisschläger trug, trat einen drohenden Schritt nach vorne. Dessen Begleiter, nicht diese Schulhofschläger von damals, schienen von der Entwicklung zu verblüfft, um einzuschreiten. Ihn selbst… beeindruckte dieses kindische Verhalten nicht besonders. "Ich denke, das ist offensichtlich", ließ er sich schließlich zu einer Antwort herab und ohne dass es ihm bewusst war, gewann sein Lächeln eine Note, die er sich bei Schuldig abgeschaut hatte. "Aber wenn dir das nicht ausreicht", er bewegte seine Hände, in denen er immer noch sehr gut erkennbar seine Reitsachen hielt, "ich war reiten. Dir ist sicher bewusst, dass der Club hier auch einen Stall hat. Aber vielleicht sollte ich auch mal Tennis ausprobieren." Er wusste nicht, warum er das noch anfügte, doch die entleisenden Züge des Anderen bestätigten ihn in dieser Entscheidung. Sein erster Gedanke war wohl treffender als angenommen, die Selbstverständlichkeit, mit der er den Club für sich beanspruchte, passte wirklich nicht zu dem Bild, das sich Dennis von ihm gemacht hatte. Und vielleicht konnte er ihn ein kleines bisschen verstehen, wenn er sich in dessen Lage versetzte. Daniel schien einfach sehr behütet aufgewachsen zu sein und glaubte daher, dass alles in ein bestimmtes Schema passen musste. Während das Leben in Wirklichkeit chaotisch war. Da er keine Lust hatte, sich weiter mit dem Anderen auseinanderzusetzen – denn es sollte ihm schwerfallen, auf dessen Niveau zu sinken – neigte er leicht den Kopf. "Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, ich habe noch etwas vor." Etwas im Blick des Anderen verriet ihm, dass seine Worte anders als die angestrebte Neutralität als Überheblichkeit ausgelegt wurden. Doch es kam keine Erwiderung, da in diesem Moment Crawford hinzukam. Und der Amerikaner tat so, als würde er Daniel nicht erkennen, sondern sammelte ihn einfach nur ein und setzte seinen Weg fort. Es war eine Lösung, die ihm ausgesprochen gut gefiel. ~TBC~ Kapitel 11: "Ich bin also ein Niemand" -------------------------------------- "Wer war das?", wurde er gefragt, als sie außer Hörweite waren und braune Augen ruhten für einen Moment auf ihm. Er zuckte spielerisch mit den Schultern, unwillkürlich amüsiert, weil Dennis offensichtlich so unwichtig für Crawford war, dass dieser ihn nicht der Erinnerung für Wert befunden hatte. "Weißt du noch, als du uns beim Mittagessen besucht hast, an unserem ersten Tag in der Schule hier?" Eine Augenbraue hob sich, gefolgt von einem Mundwinkel. "Ah, dein werter Mitschüler. Hat er nach seiner Begegnung mit Schuldig immer noch nicht seine Lektion gelernt?" Ein leises Lachen entkam ihm, wie ein Schluckauf. "Ich denke, seine Erziehung zuvor hat mehr Eindruck hinterlassen…", fasste er seine Überlegungen zuvor dann in Worte. Wieder nahm ihn der Blick des Amerikaners für einen Moment gefangen, bevor dieser langsam nickte. "Es würde mich nicht wundern. Seine Eltern haben ihm damit allerdings keinen Gefallen getan." Da war ein Lächeln, das nicht ganz wie eines wirkte, als er darüber nachdachte. "Die meisten leben nicht in deiner Welt", stellte er dann leise fest. In unserer Welt…, flüsterte ein Teil von ihm dahinter. "In seinem Kreis kann er vielleicht wirklich damit durchkommen." Crawford nahm seine Überlegungen ernst, die Belustigung in den braunen Augen trug nicht einmal den Anklang von Herablassung in sich. "Es ist wohl eine Frage der Persönlichkeit. Ich wollte mein Leben schon immer in meine eigenen Hände nehmen." Sein Atem stockte für einen Moment und mit Mühe hielt er seine Beine davon ab, ebenso zu reagieren. Es geschah selten, dass der Ältere ihm etwas Persönliches erzählte. Auch wenn diese Worte nun wirklich keine Neuigkeit darstellten, schließlich hatte ihn die Kontrolle, die Crawford nicht nur über sich sondern auch über seine Umgebung ausübte, von Anfang an angezogen. Ohne es zu merken, lächelte er als nächstes warm. "Ich bin nicht überrascht, das zu hören." Er konnte genau sehen, wie Crawfords Mundwinkel zuckten, doch natürlich lachte der Amerikaner nicht und dann wandte sich Crawford auch schon dem Mann zu, der am Eingang des Restaurants die Gäste willkommen hieß. Oh, er hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihr Ziel erreicht hatten… Neugierig nahm er die neue Umgebung auf und natürlich sah das Restaurant genauso teuer aus wie alles hier. Violette Augen schweiften zu dem Mann, der zunächst aus irgendeinem Grund gestutzt hatte, dann aber rasch auf Crawfords Wunsch nach einem Tisch für zwei Personen reagierte. Vielleicht lag es daran, dass sie sich eben noch auf Japanisch unterhalten hatten, überlegte er kurz, ließ den Gedanken dahinschwinden. Es war schließlich nicht wirklich von Interesse. Sein Magen war genauso glücklich wie seine Beine, als er schließlich Platz nehmen konnte. Immerhin roch es bereits verführerisch, auch wenn noch kein Essen auf dem Tisch stand. Selbiger befand sich halb versteckt hinter strategisch platzierten Pflanzen und Schmuckwänden, anscheinend war man auch hier sehr auf Privatsphäre bedacht. Noch ein bisschen dunkler und es wäre der perfekte Ort für ein romantisches Dinner. Er grinste unverhofft bei diesem Gedanken und das Funkeln in braunen Augen ließ ihn vermuten, dass Crawford genau wusste, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war. Doch der Ältere ließ sich davon nicht ablenken, sondern bestellte in aller Seelenruhe Getränke für sie. Etwas völlig Unverfängliches, ohne Alkohol. Sie konnten kaum einen Blick in die Speisekarte werfen, da standen die Gläser bereits auf ihrem Tisch, doch der Kellner schien das problemlos zu erfassen und war im nächsten Moment wieder verschwunden. "Er ist fast so schnell wie Schuldig", kommentierte er, ohne Crawford anzusehen. Dennoch konnte er beinahe körperlich das Amüsement spüren, das nun von dem Älteren ausstrahlte. "Sag das mal lieber nicht, wenn Schuldig dich hören kann. Er könnte sich sonst beleidigt fühlen." Kurz blitzten violette Augen über die Speisekarte hinweg zu dem Amerikaner hinüber. "Hatte ich nicht vor. Wenn er also anfängt mir beweisen zu wollen, wie flink er sein kann, weiß ich, dass ich dir das zu verdanken habe." Crawford lächelte mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck, den man bei dem Älteren selten zu sehen bekam. Und schwieg. Für einen Moment überlegte er, ob ihm deswegen mulmig zumute werden sollte, dann entschied er, dass es höchstwahrscheinlich nur ein Bluff war. Und selbst wenn nicht, Schuldig hatte es nie mit seinen Spielchen übertrieben. Nicht bei ihm. Fast völlig ruhig wandte er sich also wieder der Karte zu und wurde vor die Qual der Wahl gestellt. Was nicht unbemerkt blieb. "Wenn du möchtest, kann ich für dich auswählen", schlug Crawford leise vor, nachdem er ein paar Minuten mit sich gerungen hatte. Er ließ die Karte sinken und dieses Mal war er es, der lächelte. "Ich möchte ein Steak." Soweit war er wenigstens schon gekommen. "Aber hinsichtlich der Beilagen kannst du mir gerne helfen." Ein Nicken und dann legte auch Crawford seine Karte beiseite, was für den Kellner das Zeichen war, sich wie aus dem Nichts heraus wieder neben ihrem Tisch zu materialisieren. "Sie haben gewählt?" Crawford bestellte und er merkte, dass er immer noch nicht alle Begriffe kannte, die mit dem Essen zu tun hatte. Mit einem innerlichen Schulterzucken nahm er es hin, schließlich würde er noch genug Gelegenheit haben, dazuzulernen. Er musste nicht wissen, wie etwas hieß, damit es ihm schmeckte. Aus irgendeinem Grund streifte ihn wieder ein amüsierter Blick. Es war manchmal so, als wäre Crawford der Telepath und nicht Schuldig… Seine Mundwinkel kurvten von ganz allein nach oben, während er leicht den Kopf neigte. Ein stummes Eingeständnis. Crawford erwiderte die Geste und begann dann, sein Wissen in Sachen kulinarische Spezialitäten zu erweitern. Natürlich machte ihn das Gespräch nur noch hungriger, doch zum Glück musste sich sein Magen nicht mehr lange gedulden, bis ein gefüllter Teller vor ihm stand. Den kunstvoll angerichteten Salat ignorierte er für den Moment zu Gunsten des Steaks, nicht einmal von einer der Soßen nahm er sich, bevor er den ersten Bissen probierte. Ein zufriedenes Summen entkam ihm, als der rauchige Geschmack seinen Mund eroberte. Seit Crawford ihn damals zum ersten Mal in ein amerikanisches Restaurant mitgenommen hatte, hatte er ein Faible dafür. Denn es schmeckte viel, viel besser als das, was er davor als Steak kennengelernt hatte. Crawford beobachtete ihn stumm, schob das Tablett mit den Saucen dann näher zu ihm. "Glaub mir, du solltest sie probieren. Sie zerstören den Geschmack nicht, sondern erweitern ihn. Und von den Beilagen versuch es mal mit den deutschen Bratkartoffeln. Dann kannst du Schuldig neidisch machen." Das musste jetzt ja kommen… aber es war seine eigene Schuld, nicht wahr? Er hatte den Telepathen schließlich als erster erwähnt. Glücklicherweise war es nicht weiter schwer, den letzten Punkt zu ignorieren, auch wenn er ansonsten Crawfords Ratschlag folgte. Und natürlich behielt der Amerikaner Recht. Vollkommen mit seinem Essen beschäftigt, bemerkte er es zunächst gar nicht, als sie Gesellschaft bekamen. Als nächstes war er versucht, die Anwesenheit einer anderen Person als ihren Kellner einzuordnen, doch sein Blick musste sich nicht weiter als bis zu Crawfords Miene heben, damit diese Illusion zerstört wurde. Denn in den braunen Augen stand zu viel kühle Indifferenz, als dass es sich bei dem Anderen um jemanden vom Personal handeln könnte. Nein, der Ältere ging eindeutig davon aus, dass der Mann Ärger bedeuten würde. Oder sich zumindest einbildete, diese Art der Macht zu besitzen. "Dürfte ich um einen Moment Ihrer Zeit bitten?" Es klang nicht besonders höflich, auch wenn die Worte es waren. Nun endlich wandte auch er sich dem Neuankömmling zu, konnte aber nichts Besonderes an ihm entdecken. Und dann wurde seine Aufmerksamkeit auch schon wieder auf Crawford gelenkt, der ihn ruhig – und auf Japanisch – ansprach. "Ran, bitte lass uns kurz allein. Wir werden nicht lange brauchen." Er nickte zustimmend und erhob sich sofort, auch wenn er einen letzten Blick auf seinen Teller nicht lassen konnte. Wenigstens war von dem Steak nur noch ein kleiner Rest übrig und seine Beilagen würden noch da sein, wenn er zurückkehrte. ****** Der junge Japaner gehorchte ohne Widerspruch, nicht, dass ihn das bei Ran wundern würde. Nach einer formlosen Verabschiedung von ihrem uneingeladenen Gast – eine subtile Beleidung, die der Andere sicher nicht erkennen würde – verschwand Ran, so dass er sich auf den Mann konzentrieren konnte. "Nehmen Sie doch Platz", lud er ihn höflich ein und deutete auf den freigewordenen Stuhl. Die Einladung wurde natürlich angekommen und gab ihm die Gelegenheit, den anderen unauffällig zu beobachten und abzuschätzen. Sein erster Eindruck fand Bestätigung, der Andere war kein Talent, also kam die gezeigte Überheblichkeit wohl von einem gutbezahlten Job, denn trotz des gut geschnittenen Anzugs sah der Mann nicht so aus, als wäre er in diese Umgebung hineingeboren worden. "Ich vertrete die Interessen von Mr. Warren", hielt sich der Andere nicht mit solchen Höflichkeiten wie einer Vorstellung auf. "Er wünscht, dass Ihr Zögling weitere Zusammenstöße mit seinem Sohn vermeidet." Das… kam unerwartet. Und auch wenn er von Ran nie den Nachnamen des Jungen erfahren hatte, wäre es nach dem heutigen Beinahe-Zwischenfall nicht weiter schwer gewesen, die richtige Schlussfolgerung zu ziehen. Nur dass er dies nicht nötig hatte, denn Nagi hatte schon am Ende des ersten Schultags dafür gesorgt, dass ein ausführlicher Bericht über den Störenfried auf seinem Schreibtisch gelandet war. Die Familie mochte Geld haben und über den Sitz von Mr. Warren Einfluss in der Schule, doch das alles war kein Grund, die Warnung Ernst zu nehmen, die ganz allein im Blick seines Gegenübers lag. Eine Einschätzung, die sich in dem schmalen Lächeln zeigte, das jetzt seine Mundwinkel kurvte. "Ich denke, hier liegt ein Missverständnis vor. Es ist ganz sicher nicht Ran, der irgendwelche Zwischenfälle provoziert. Solange Daniel ihn in Ruhe lässt, wird es also keine Zusammenstöße geben." Sein Gegenüber runzelte die Stirn. "Sie verstehen nicht-" Oh doch, besser als der Andere annahm. Er hatte bloß nicht vor, Ran das Problem ausbaden zu lassen. Weswegen er dem Mann das Wort abschnitt. "Nein, Sie scheinen nicht zu verstehen." Die Temperatur um sie herum schien um ein paar Grad abzufallen. "Es mag sein, dass Mr. Warren normalerweise seinen Willen bekommt, wenn er Sie oder einen Ihrer Kollegen vorschickt. Aber das funktioniert nur solange, wie Mr. Warren in der besseren Position ist. Ich hingegen habe keinerlei Grund, ihm irgendwelche Gefallen zu tun." Manchmal half es, möglichst deutlich zu werden. In der Hoffnung, dass die Sache damit vom Tisch war und er sich nicht um künftige Komplikationen kümmern musste. Wirklich überzeugt sah sein Gegenüber aber immer noch nicht aus, weswegen er beschloss, ihm etwas auf die Sprünge zu helfen. "So kurz die Vorbereitungszeit war, haben Sie doch vorher hoffentlich einen Check laufen lassen, oder?" Sonst würden alle Worte nicht helfen, ganz einfach, weil die Gegenseite zu unprofessionell agierte. "Natürlich", kam es mit zusammengebissenen Zähnen zurück. "Und Sie haben ganz sicher keinen Grund, den Mund so voll zu nehmen." "Weil Sie – lassen Sie mich raten – rein gar nichts gefunden haben?" Mit einer ironisch hochgezogenen Augenbraue. Ein abgehacktes Nicken war die Antwort, nicht weniger ungehalten als die Worte zuvor, doch ein paar Sekunden danach begann ein Schimmer von Verstehen in die Augen des Anderen zu treten. Oder wenigstens die Anfänge. "Ich bin also ein Niemand. Der erst vor kurzem hierher gezogen ist. Ein Haus in der besten Nachbarschaft mieten konnte. Ohne Probleme eine Stelle beim Direktor einer renomierten Privatschule bekommen hat und – wie Sie sehen – eine Clubmitgliedschaft hier." Auf die man sonst schnell mal ein Jahr warten durfte. "Habe ich alle wesentlichen Punkte getroffen?" Der Andere war zu blass geworden, um zu antworten, was ganz gut so war, denn in diesem Moment vibrierte sein Handy. Und vielleicht wäre er höflich genug gewesen, nicht ranzugehen, aber zum einen hatte sein Gesprächspartner die Höflichkeit nicht verdient und zum anderen stand Schuldigs Name auf dem Display. "Crawford hier", begrüßte er ihn auf Deutsch und machte damit sogleich deutlich, dass er sich in Gesellschaft befand. Was Schuldig nicht wirklich zu registrieren schien. "Wo bist du, Crawford?" Verblüfft schwieg er für einen Moment, seine Miene blieb jedoch regungslos und dann antwortete er auch schon. "Dort, wo ich auch schon heute früh war. Oder um genauer zu sein, in einem Restaurant nicht allzu weit entfernt davon." Wenn der Telepath so seltsam war, blieb er lieber ungenau. Und es schien Schuldig auch schon zu reichen, der mit einem hörbaren Seufzen ausatmete. "Ich wusste es doch, du konntest es einfach nicht sein…" Dann riss sich Schuldig endlich zusammen und schien gleichzeitig auch zu verarbeiten, dass sie sich auf Deutsch unterhielten. "Ich muss dringend mit dir reden. Da ich schon mal vor Ort bin, werde ich versuchen, den letzten Teil des Auftrags abzuschließen. Falls es sich aber als komplizierter herausstellen sollte, will ich deine Erlaubnis haben, ein anderes Mal fortzufahren." Vollkommen professionell. Es wäre von Vorteil gewesen, in diesem Moment eine Vision zu haben, doch gleichzeitig auch zu viel verlangt. Und er konnte Schuldig vertrauen, wenn der sich in diesem Modus befand. "Gut", erwiderte er daher nur knapp und sie beide legten anschließend auf. Braune Augen hatten sich kaum merklich verengt, als er nach dem Blick des Anderen suchte, der in der Zwischenzeit noch nicht ganz seine Gesichtsfarbe wiedergefunden hatte. Und anscheinend auch nicht vorhatte, hier darauf zu warten. Denn der Mann erhob sich knapp und schien es dieses Mal tatsächlich so zu meinen, als er sich höflich verabschiedete. Nun blieb nur zu hoffen, dass von dieser Seite wirklich keine Probleme mehr kommen würden. Denn wie es aussah, würde Schuldig schon genug davon heimbringen. ~TBC~ Kapitel 12: "Ich glaube, jemand beobachtet uns" ----------------------------------------------- "Wie geht es Ran?", lautete die erste Frage, nachdem er aufgelegt hatte und er hielt es für unnötig, ein Verdrehen der Augen zurückzuhalten. Schließlich lag Farfarello gerade auf dem Boden, Blick fest auf den Fernseher – und den dort laufenden Wetterbericht – gerichtet und würde es daher nicht mitbekommen. "Dem geht es gut, keine Sorge…" "Er wird nicht mehr in der Schule geärgert?", gab sich Farfarello noch nicht zufrieden. Er stieß ein entnervtes Seufzen aus. "Wenn du solche Details haben willst, musst du selbst mit Crawford telefonieren. Oder am besten gleich mit Ran." Obwohl… das wäre ihm auch nicht unbedingt Recht. Nicht, dass er es laut zugeben würde. Nun erhielt er doch mehr Aufmerksamkeit, das bernsteinfarbene Auge richtete sich auf ihn, und unter dem Blick des Jüngeren fühlte er sich durchschaut. Was er natürlich gleich überspielte, indem er Farf die Zunge rausstreckte. Der schenkte ihm ein raubtierhaftes Grinsen, wenig beeindruckt. Und wechselte endlich das Thema. "Crawford ist einverstanden, dass wir gleich weitermachen?" "Hast du ernsthaft etwas anderes erwartet? Immerhin wird der Job so viel schneller erledigt." Er erhielt ein desinteressiertes Schulterzucken für seine Mühe. Warum Farfarello aber trotzdem die Frage gestellt hatte, wurde gleich darauf klar. "Nun, zumindest scheint er dich nicht zu brauchen, um in Rans Schule ein paar Leuten dauerhaft bessere Manieren zu verpassen. Das ist schon mal ein gutes Zeichen." Also doch kein Themenwechsel. Dieses Mal war er es, der zum Fernseher starrte, aber inzwischen war der Wetterbericht vorbei. Und es hatte sowieso keine Neuigkeiten von Interesse gegeben. War schließlich nicht so, als befänden sie sich im tiefsten Winter und ein Schneesturm könnte ihnen die Reisepläne verhageln. Mit diesem Gedanken stand er auf, machte eine auffordernde Geste in die Richtung des Iren. "Auf die Beine mit dir. Wir müssen jetzt packen, damit wir den geplanten Flug nicht verpassen." Das bernsteinfarbene Auge wurde kurz zusammengekniffen, dann aber rappelte sich der Jüngere auf. Und war eine Sekunde später direkt vor ihm. Farf konnte wirklich flink sein, wenn er es wollte. Kurz sah er ein weiteres Mal weiße Zähne aufblitzen, dann wurde er auch schon geküsst. Erst als sich der leicht metallische Geschmack von Blut in seinem Mund ausbreitete, registrierte er, dass ihn der Ire in die Lippe gebissen hatte, aber im Moment scherte ihn das herzlich wenig. Und alles in allem hatten sie noch ein bisschen Zeit, bevor sie aufbrechen mussten. Als sie schließlich am Flughafen eintrafen, hatten sie noch eine gute Stunde Zeit, ein Puffer, der sich rasch durch die Schlange beim Einchecken reduzierte. Aber er störte sich nicht weiter daran. Ob er nun hier wartete oder vor dem Gate war nun wirklich egal. Was langsam an seinen Nerven zu zehren begann, war ein seltsames Gefühl, das ab und zu am Rande seiner Aufmerksamkeit an ihm zupfte. Er konnte es nicht genau einordnen, was es nur umso unangenehmer machte. Farfs angespannte Gestalt neben ihm hielt Ausschau, eindeutig für ihn selbst, auch wenn jeder Dritte es kaum registriert hätte. "Was ist?", erkundigte er sich leise, konnte sich die Antwort aber schon denken. "Ich glaube, jemand beobachtet uns." "Ja, der Verdacht ist mir auch schon gekommen." Und nicht zum ersten Mal in den letzten Tagen. Allerdings war es schwer einzuschätzen, ob es nicht vielleicht nur ihr Aussehen war, was die Blicke anzog. Auch wenn sie sich nicht mehr in Japan befanden, stachen sie immer noch aus der Menge hervor. Ein Grinsen glitt über sein Gesicht, war aber schnell wieder verschwunden. Dass sein Talent nichts Auffälliges identifzieren konnte, sprach für Zufall und nicht für Verfolgung, doch hundertprozentig sicher konnte er sich nicht sein. Vor allem jetzt nicht, da auch Farf aufmerksam geworden war. "Ich kann nichts orten", meinte er schlussendlich zu dem Jüngeren. "Aber ich verlasse mich darauf, dass du wachsam bleibst." Farfarello sah nicht so aus, als würde ihn diese Aufgabe stören. Nachdem sie den Check-In hinter sich gelassen hatte, verblasste das Gefühl und mit einem innerlichen Schulterzucken hakte er die Sache vorläufig ab. Er hatte sowieso genug damit zu tun, ihnen die anderen Leute vom Hals zu halten, denn der Wartebereich erwies als bereits gut gefüllt und dann standen da noch diejenigen im Weg herum, die es nicht abwarten konnten und sich vor dem Zugang zum Gate herumtrieben, in der Hoffnung, bald durch zu dürfen. Auf einen telepathischen Tritt hin wurden zwei Sitze für sie frei und mit einem gar nicht gekünstelten Seufzen ließ er sich hineinfallen. "Wir hätten auch zur Lounge gehen können, wenn es dir hier nicht gefällt", bekam er von Farf zu hören, der genau wusste, worüber er sich so eloquent beschwerte. "Das lohnt sich eh nicht. Wenn wir dort sind, können wir fast schon wieder kehrtmachen." Und dann fühlte er sich dort viel zu sehr an Crawford erinnert, zwischen diesen ganzen Geschäftsleuten. Was egal war, solange ihr Leader bei ihnen war. So aber wehrte er lieber die so völlig unmaßgeblichen Gedanken des Fußvolks ab. Was den Vorteil hatte, dass man sich darüber ab und zu wenigstens noch lustig machen konnte. Probleme hatten manche Leute… Bevor er dem weiter nachgehen konnte, was er gerade aufgefangen hatte – und was mit ein wenig Einmischung von seiner Seite vielleicht für etwas Unterhaltung gesorgt hätte – kam die von einigen heiß ersehnte Durchsage. Das Boarding begann. Da er keinen Bock auf das Gedränge hatte, blieb er vorläufig noch sitzen, nutzte die Gelegenheit, um noch ein letztes Mal nach neugierigen Genossen zu scannen, die nicht ganz unschuldige Hintergedanken hatten, doch wieder fiel die Suche erfolglos aus. Die Flugdauer erwies sich als noch erträglich, vor allem, da die Erinnerung an ihren Flug nach Amerika noch nicht ganz verblasst war. Was nicht hieß, dass nicht etwas Langeweile aufkam, die er soweit möglich damit vertrieb, dass er ihre Mitreisenden aushorchte. Trotzdem war er froh, als sie die bessere Sardinenbüche schließlich verlassen konnten. Sie nahmen ein Taxi zum Hotel, wurden dort schnell ihr Gepäck los, bevor sie auch schon wieder aufbrachen. Immerhin war es eine günstige Zeit. Der Typ, auf den er einen Blick werfen sollte, müsste um diese Zeit im Büro sein. Wenn dieser ein paar Skelette im Schrank hatte, die irgendwie mit dessen Job zu tun hatten, würde die Umgebung es leichter machen, die Geheimnisse auszubuddeln. Und falls es eher im Privatbereich etwas zu finden gab, nun, dafür hatten sie auch später noch Zeit. "Also entweder ist der Typ vollkommen sauber, was vielleicht selten aber nicht völlig unmöglich ist, oder wir sind einfach zu einem ungünstigen Zeitpunkt hier." Entnervt lehnte er sich gegen die Lehne der Parkbank zurück, die ihm eine gute Entschuldigung gegeben hatte, die Augen zu schließen, während er sich auf ihre Zielperson konzentrierte. Niemand würde ihn schließlich schief ansehen, wenn er ein paar Sonnenstrahlen genoss, nicht wahr? Farfarello schob dessen Sonnenbrille für einen Moment hoch, so dass er das bernsteinfarbene Auge sehen konnte, als er gemustert wurde. "Heißt das, du willst aufgeben?" Für einen Augenblick hätte er beinahe automatisch widersprochen, aber er hielt sich gerade noch rechtzeitig zurück. Mit einem Grinsen neigte er den Kopf. "Netter Versuch, Farf. Ich könnte glatt auf die Idee kommen, dass es dir gefällt, hier rumzusitzen." Die Sonnenbrille rutschte auf die Nase zurück. "Die Aussicht ist interessant", wurde dann knapp erwidert. Huh, interessant also. Früher hätte das bei Farfarello nur eines bedeuten können. Heutzutage - lohnte es sich, sich erst zu vergewissern. Statt mit dem inneren Auge sah er sich dieses Mal in der echten Außenwelt um und brauchte nicht lange, um den Priester zu entdecken, der gerade den lieben Gott einen guten Mann sein ließ und sich um sein leibliches Wohl kümmerte. Prompt knurrte sein Magen und hielt ihn davon ab, sich darüber Sorgen zu machen, dass der Ire womöglich diese alte Gewohnheit noch nicht abgelegt hatte. Farfarellos Zähne blitzten auf, als dieser auflachte. "Ich bin auch hungrig", wurde anschließend zugegeben. Eine Auskunft, die dafür sorgte, dass er sich aufrecht hinsetzte und streckte. "Dann lass uns eine Pause machen. Es ist schon längst Zeit für's Mittagessen. Und vielleicht ist unser werter Herr Saubermann nachher bereit, sich doch noch ein schmutziges Geheimnis entlocken zu lassen." Damit stand er auf, beobachtete zufrieden, wie Farf seinerseit in einer geschmeidigen Geste auf die Beine kam. Der Jüngere würde niemals das Raubtier verleugnen können, das in ihm wohnte. Ohne zu zögern schlug er einen Weg ein, der sie genau in die entgegengesetzte Richtung von dem Priester führte, schließlich musste er Farfarello nicht extra in Versuchung führen, unprofessionell zu werden. Bei diesem Gedanken warf er einen unauffälligen Seitenblick in Richtung des Iren. Farf würde garantiert sagen, dass Er es war, der ihn in Versuchung führte. Was er persönlich etwas unlogisch fand, denn was würde Farfarellos Gott schon daran liegen können, noch einen weiteren seiner Diener zu verlieren. Dann wiederum bestand immer die Chance, dass früher oder später einer dieser Priester Farf zurück auf den rechten Weg führen könnte… Seine Stirn legte sich flüchtig in Falten, als er merkte, dass er sich viel zu gut in Farfs Gedankengänge hineinversetzen konnte, doch er verscheuchte die Überlegung mit einem kühlen Grinsen. Farf gehörte zu ihnen, egal, ob es Gott gab oder nicht, der Ire würde nie wieder ein braver Sonntagsschüler sein. Eine Hand vergrub sich plötzlich in orangefarbenen Strähnen und zog nicht besonders sanft daran, was dafür sorgte, dass Farfarello seine ungeteilte Aufmerksamkeit erhielt. Begleitet von einem nicht minder unsanften Stoß in die Rippen. "Was sollte das denn?" "Du warst nicht mehr hier. Und jetzt bist du es wieder", lautete die unbeeindruckte Antwort, die ihn daran erinnerte, dass der Ire ja gar keine Schmerzen spürte. Grüne Augen wurden kurz zusammengekniffen, aber dann tat er es mit einem innerlichen Schulterzucken ab. Denn in diesem Moment hatte er ein Restaurant entdeckt, in dem nicht nur schnell bedient wurde, sondern wo das Essen auch gut war, wenn er so die Gedanken der bereits anwesenden Gäste berücksichtigte. Ohne Farfarellos Zustimmung abzuwarten, bog er in die entsprechende Richtung ab. Allmählich begannen sich nämlich Kopfschmerzen bei ihm zu melden und die hatten weniger mit dem ganzen Gebabbel um sie herum zu tun als vielmehr damit, dass sein Energiehaushalt langsam aber sicher einen Tiefpunkt erreichte. Dementsprechend schnell entschied er sich für ein Gericht, sobald sie erstmal saßen und ermutigte das Personal dazu, sie beide noch ein bisschen schneller zu bedienen als es hier ohnehin schon üblich schien. Ihn kümmerte der musternde Blick von Farfarello wenig, als der Ire seine Eile bemerkte. Schließlich waren dem seine Bedürfnisse nicht neu. Was wohl der Grund dafür war, dass er letztens Endes nur ein zufriedenes Grinsen erhielt. Nach einer ausgesprochen schnellen aber nichtsdestotrotz befriedigenden Mahlzeit fühlte er sich bedeutend besser, auch wenn er gegen das einsetzende Suppenkoma ankämpfen musste. Zum Glück würde das nicht lange vorhalten, denn der Metabolismus von Talenten arbeitete wirklich schnell. "Zurück an die Arbeit", erhob er sich daher, nachdem er bezahlt hatte. Mit echtem Geld sogar, denn das Essen war es wert gewesen. Farfarello tat es ihm gleich, streckte sich dann mit katzenhafter Geschmeidigkeit. Was dieses Mal Blicke anzog, die ganz und gar nichts mit der Tatsache zu tun hatten, dass der Ire selbst drinnen seine Sonnenbrille aufbehielt. Er grinste in der Gewissheit, dass die anderen nie mehr als diese paar Blicke auf Farf erhalten würden, senkte für einen Moment eine besitzergreifende Hand auf die Schulter des Jüngeren. Mit dem Gedanken daran, dass er später sehr viel mehr von dem Iren haben würde, war die Aussicht auf ein bisschen mehr Arbeit auch gar nicht so schlimm. Die warme Zufriedenheit, die ihn erfüllte, hielt nicht lange vor, nachdem er hinausgetreten war. Denn sein Blick fiel beinahe unmittelbar auf eine vertraute Gestalt, womit die Zufriedenheit erst Überraschung und dann Unglauben wich. Dass daneben jemand stand, den er noch nie gesehen hatte, machte das Ganze noch viel seltsamer. "Crawford?", hörte er sich selbst murmeln und als Farfarello das hörte, schien der Jüngere in angespannter Erwartung zu verharren. Eine minimale Veränderung der Haltung des Jüngeren verriet den Moment, da auch Farf Crawford erspähte und ihm somit bestätigte, dass er nicht unter Halluzinationen litt. Denn warum um alles in der Welt sollte Crawford plötzlich hierher gekommen sein? Und das auch noch ohne jede Vorwarnung? Misstrauen erwachte plötzlich in ihm und es hätte nicht Farfs leiser Worte bedurft, um sein Talent vorauszuschicken, bevor er auch nur einen Schritt in die Richtung des Älteren tat. "Irgendetwas stimmt mit ihm nicht", meinte der Ire. "Seine Haltung ist falsch." Seine Augen versuchten, das gleiche zu sehen wie Farfarello, doch er wurde dadurch abgelenkt, dass sein Talent den Verstand ihres Leaders berührte. Wie immer konnte er nichts lesen, aber das war auch nicht notwendig, um seinen Verdacht zu bestätigen. Denn dort, wo ihn schwarze Kälte umfangen sollte, war es das gut geschützte mentale Leuchten, wie er es von anderen Talenten kannte. Das da drüben war sonst wer, aber ganz sicher nicht Crawford. ~TBC~ Kapitel 13: "In dem Fall können wir wohl mitten in der Nacht mit ihrem Eintreffen rechnen" ------------------------------------------------------------------------------------------ "Crawford?" Erst Rans leise Stimme ließ ihn aufsehen und innerlich rief er sich selbst zur Ordnung, weil er für den Moment seine Umgebung völlig vergessen hatte. Seine Gedanken hatten bei Schuldig geweilt, doch es hatte nichts geholfen. Sein Talent hatte ihm nicht geholfen, diesen mysteriösen Anruf zu entschlüsseln. Und er konnte es Schuldig nicht einmal zum Vorwurf machen, schließlich befand sich der Telepath im Einsatz und damit stand es ihm zu, selbst zu entscheiden, ob eine Mitteilung über das Telefon sicher war. Auch wenn ihre Handys mit Sicherheitsprotokollen ausgestattet waren, hatte man nie die Garantie, dass sich ein Dritter nicht als technisch fortgeschrittener erweisen würde. Ran musterte ihn mit einem Hauch von Unsicherheit, als sich ihre Blicke begegneten. "Was wollte dieser Mann? Wird er Ärger bereiten?" Unwillkürlich zuckten seine Mundwinkel ein paar Millimeter nach oben, eine Reaktion, die von Ran mit Erleichterung aufgenommen wurde. "Er hatte es vielleicht vor, aber ich habe ihm schnell den Kopf zurechtgerückt." Er erhielt ein verstehendes Lächeln, dem Rothaarigen reichte seine Versicherung vollauf. Weswegen es nicht weiter verwunderlich war, dass Ran gleich zur nächsten Möglichkeit sprang. "Gab es eine schlechte… Nachricht?" Nur ein winziges Stocken verriet, dass Ran zuerst etwas anderes hatte sagen wollen, sich dann aber eines Besseren besann und sein Talent lieber nicht direkt ansprach. Wofür er ihm ein zufriedenes Nicken schenkte, bevor er antwortete. "Nicht so, wie du denkst. Schuldig hat angerufen. Anscheinend ist er über etwas Ungewöhnliches gestolpert." Wieder eine aufmerksame Musterung, bevor es dieses Mal Ran war, der nickte. Entweder hatte der Jüngere erkannt, dass er ihm nicht mehr erzählen konnte oder er hob sich weitere Fragen für später auf. Wenn sie wirklich unter sich waren. Egal was der Grund war, sie beide wandten sich den Resten ihrer Mahlzeit zu und kamen nicht mehr auf Schuldigs Anruf zurück. Er leerte seinen Teller beinahe mechanisch, ungestört von Ran, der ihn seinen eigenen Gedanken überließ. Obwohl das alles in allem wohl nicht die beste Lösung war, denn was konnte er schon anderes machen, als weiter zu rätseln? Und das ohne Aussicht auf eine Antwort, außer dem ganz logischen Schluss, dass Schuldig ein Doppelgänger von ihm über den Weg gelaufen sein musste. Was egal sein sollte, schließlich kam es immer mal vor, dass sich Leute ähnelten, die nichts miteinander zu tun hatten. Aber so etwas hätte Schuldig nicht so aus der Bahn geworfen, nicht wahr? Etwas frustriert verkrampften sich seine Hände zu fest um sein Besteck, bevor er die Reaktion bemerkte und prompt unterband. Doch das Stirnrunzeln, das ihm nicht bewusst wurde, blieb. Dieses Mal waren es keine Worte, die ihn zurückholten, sondern die flüchtige Berührung von Rans Hand, die Wärme an seinem Handgelenk zurückließ. Erst als sich der Jüngere seiner Aufmerksamkeit sicher war, machte dieser einen Vorschlag. "Würdest du heute noch mit mir trainieren? Ich meine, wenn wir zurück sind." Tut dir denn nicht schon alles weh?, wollte er im ersten Moment zurückgeben, aber dann verstand er. Und ein Funken Belustigung trat in braune Augen, mehr an sich selbst als an Ran gerichtet. Der Jüngere hatte nicht nur seine Stimmung aufgefangen, sondern sich auch gleich ein Gegenmittel überlegt. Und ja, es würde helfen, sich in dem von kleinauf vertrauten Kendo-Training verlieren zu können. Er könnte seine Gedanken darauf konzentrieren und anschließend sollte er den Kopf wieder freihaben. Unbewusst neigte er den Kopf leicht zur Seite. "Ich denke, das wird sich einrichten lassen." Ran senkte den Blick wieder zum Teller, ohne das Lächeln zu verbergen, das um seine Lippen spielte. Hm… Er wusste nicht, ob Ran ihn inzwischen einfach zu gut kannte oder ob dieser Ansatz eines Talents, den Schneider damals entdeckt hatte, auch nach Ayas Erwachen noch so arbeitete. Aber auf jeden Fall hatte er nichts gegen das Ergebnis einzuwenden. "Ist alles in Ordnung bei ihnen?", fragte Ran, kaum dass der Wagen angefahren war. Es folgte ein kurzes Auflachen, das nicht viel Fröhlichkeit in sich trug. "Ich wiederhole mich, was? Aber heute Morgen noch war diese Frage sehr einfach zu stellen gewesen. Jetzt bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich die Antwort wirklich hören möchte…" Als er jetzt einen Blick auf den Jüngeren warf, hatte der sich abgewendet, blickte aus dem Seitenfenster, als wäre etwas da draußen absolut faszinierend. Dieser Stimmungsumschwung überraschte ihn etwas, aber dann wiederum ging es ihm auch nicht anders, nicht wahr? Nur dass er dieser erzwungenen Untätigkeit nicht erlaubte, sich in Unsicherheit zu wandeln, sondern sich lieber abzureagieren versuchte. Wie Ran sehr wohl erkannt hatte, auch wenn der Jüngere es nicht schaffte, seine Emotionen auf die gleiche Weise zu steuern. Nur flüchtig legte er seine Hand auf Rans Oberschenkel, spürte daraufhin dessen Blick, während er selbst sich schon längst wieder auf die Straße konzentrierte. "Sie stecken nicht in unmittelbaren Schwierigkeiten", antwortete er ihm dann endlich. "Allerdings scheint die Situation das Potenzial zu haben, uns welche zu bereiten. Genug, dass Schuldig beschlossen hat, seinen Auftrag im Notfall ein anderes Mal zu Ende zu führen." Ran schluckte hörbar, denn der Jüngere hatte genug von ihrer Arbeit mitbekommen um zu wissen, dass es so etwas wie unerfüllte Aufträge nicht geben sollte. "Dann hoffe ich, dass sie ganz schnell zurückgekommen, egal, ob der Job erledigt ist oder nicht. Zusammen werdet ihr bestimmt eine Lösung finden, nicht wahr?" Vertrauen lag in Rans Stimme, in ihre Fähigkeiten und ganz insbesondere in seine. "Natürlich werden wir das", gab er ohne zu zögern zurück. Denn er zweifelte nicht daran. Schwarz hatte schon viel schlimmere Unwägbarkeiten überstanden als einen Doppelgänger. So seltsam dieser auch war. Er konnte regelrecht spüren, wie sich Ran ein wenig entspannte und bis sie ihr Haus erreichten, war der Jüngere über das momentane Stimmungstief hinweg. Was sich darin äußerte, dass er Ran vor sich wiederfand, bevor er einen Schritt aus der Garage machen konnte. Er erhielt ein Lächeln, während sich gleichzeitig eine Hand um sein Handgelenk schloss. So gesichert erhob sich der Rothaarige auf die Zehenspitzen und gleich darauf wurde er geküsst. Nur kurz fragte er sich, ob Ran immer noch auf der Suche nach einer Versicherung war, doch der Gedanke verlor sich schnell und dann wölbte er auch schon eine Hand um Rans Hinterkopf und machte sich an die Aufgabe, den Kuss zu erwidern, bis der Jüngere atemlos gegen ihn fiel. "Du bist also doch noch ein bisschen wacklig auf den Beinen", merkte er amüsiert an. "Bist du dir sicher, dass du noch gegen mich antreten willst?" Ran hob das Kinn an, während ein Zittern – oder vielleicht auch ein Schauer – dessen Körper durchlief. "Ich kann immer kämpfen", wurde ihm dann mit Nachdruck mitgeteilt. Selbstvertrauen lag in diesen Worten und wen sollte es wundern. Schließlich hatte Ran in seinem Club kaum einen Konkurrenten gehabt. Er ließ seine Hand schwer auf der Schulter des Jüngeren ruhen und als dieser unter dem Druck stabil blieb, nickte er langsam. "Gut, dann zeig mir was du kannst." Sie trainierten natürlich nicht mit den Katanas, das wäre nur eine Einladung zu unnötigen Unfällen gewesen, aber auch mit seinem Shinai hatte er Ran ein paar Mal hart getroffen, was zweifellos Spuren hinterlassen würde. Dem Jüngeren schien das egal, wenn er es überhaupt registrierte, so konzentriert wie er auf den Schlagabtausch war. Da er ihn schon häufiger hatte kämpfen sehen, war ihm klar, dass Rans Muskeln nicht besonders glücklich mit ihm waren, die Bewegungen des Rothaarigen gerieten so genau wie immer, doch auch langsamer als gewohnt. Es war nachdem Ran einen Schlag nicht parieren konnte, der sonst ein Kinderspiel für den Jüngeren gewesen wäre, dass er ihr Training stoppte. Der Blick der violetten Augen verriet ihm, dass Ran den Grund dafür sofort erkannt hatte und seine Entscheidung verstand, ohne damit wirklich einverstanden zu sein. Und da er selbst Gefallen an der Ablenkung gefunden hatte, ganz wie erwartet, machte er neuen Vorschlag. "Wie wäre es, wenn wir ohne Shinai weitermachen? Schuldig hat mir erzählt, dass du Fortschritte beim waffenlosen Kampf machst." Ein entwaffnendes Lächeln flog über Rans Gesicht, der ausgesprochenen Zustimmung hätte es da gar nicht mehr bedurft. Sie legten die Übungsmatten aus, machten dann erstmal eine Pause. Er selbst musste sich nur wieder hydrieren, Ran hingegen benötigte sie, um neue Kraft zu schöpfen. Andere hätten in diesem Moment vielleicht aufgegeben, es nicht geschafft, dieses Tief zu überwinden. Der Rothaarige jedoch zeigte Ausdauer oder vielleicht auch nur Sturheit genug, um ihm bald darauf ohne ein Zeichen von Schwäche gegenüberzustehen. Er hatte selten gegen jemand anderen als Schneider gekämpft, was auch der Grund war, warum er Schuldig Rans Training überließ. Der hatte auf Rosenkreuz selbst die Grundlagen gelernt und dort hatte man einige Erfahrung damit, Anfänger zu unterrichten. Tatsächlich hatte Ran die Unterweisungen ernst genommen, er erkannte die Formen wieder. Was natürlich auch hieß, dass er mühelos darauf reagieren konnte, aber gleichzeitig baute Ran die eine oder andere Überraschung ein, wo dieser anscheinend sein Kendotraining integriert hatte. Die Zeit verging wie im Fluge, während sie in einen gemeinsamen Rhythmus fielen, wirklich mehr Training als Kampf und allmählich begann auch er die Belastung zu spüren. Was hieß, dass es für Ran sehr viel schlimmer sein musste. Seine Vermutung fand Bestätigung, als der Jüngere nach einem Fehltritt regelrecht in sich zusammensackte, statt sich abfangen zu können. Und anschließend blieb Ran sitzen, mit geschlossen Augen nach Luft ringend. Wortlos setzte er sich neben ihn auf die Matte, umfing den Jüngeren, als dieser sich gegen ihn sinken ließ. Das Zittern erschöpfter Muskeln, für die bloßen Augen kaum sichtbar, aber auf diese Weise sehr gut zu spüren, ließ Ran nicht völlig zur Ruhe kommen, selbst nachdem sich dessen Atmung normalisiert hatte. Das nächste Mal würde er besser aufpassen, damit es Ran nicht wieder übertrieb. Es war kein Wunder, dass er später lange vor Ran aus dem Bad heraus war. Wenn es bei dem Jüngeren zu lange dauerte, würde er nachschauen müssen, ob Ran nicht in der Wanne eingeschlafen war… Ein Hauch von Amüsement stand in braunen Augen, als er die Küche betrat, doch der verschwand schnell wieder, als er Nagis fragendem Blick begegnete. "Keine Neuigkeiten", antwortete er, um dann seinerseits eine stumme Frage zu stellen. "Ich konnte auch nichts Handfestes finden", gab der Junge zurück. "Schuldig hat seine Kreditkarte nicht benutzt, aber zweifellos wird er den Flug bar bezahlen, wenn er befürchtet, verfolgt zu werden." So wie man es ihnen beigebracht hatte. Sie führten immer ausreichend Bargeld mit sich für Notfälle, auch wenn es selten zum Einsatz kam. In diesem Fall mochte es sinnlos sein, denn er zweifelte daran, dass die Begegnung zufälliger Natur gewesen war. Also mussten sie Schuldigs Reisen schon einer Weile gefolgt sein. Wahrscheinlich seit dem Start. Aber es konnte auch anders sein, weswegen der Telepath nicht auf diese Vorsichtsmaßnahme verzichten würde. Was es ihnen nicht gerade erleichterte herauszufinden, wann die beiden zurückkehren würden. Auf sein verstehendes Nicken hin sprach Nagi weiter. "Daher habe ich zunächst einmal die Direkt-Flüge ausgewertet, die in den nächsten vierundzwanzig Stunden hierher gehen." Wie er selbst ging Nagi davon aus, dass Schuldig nicht viel Energie in den Abschluss seines Auftrags stecken würde. Entweder er war sehr schnell erledigt oder wurde abgebrochen, beides würde Schuldig und Farfarello in Kürze zu ihnen zurückführen. "Ich habe ein paar Reservierungen gefunden, die auf zwei Männernamen lauten und zur gleichen Zeit gemacht wurden. Leider konnte ich nicht in allen Fällen herausfinden, inwieweit echte Personen hinter den Namen stecken. Und es besteht die Möglichkeit, dass sich Schuldig sogar eine echte Identität ausgeliehen hat." Mit einem schmalen Lächeln. "Aber dennoch denke ich, dass ich sie gefunden habe." Ihm wurde ein Ausdruck gereicht. Einer der Namen sagte ihm rein gar nichts, aber der andere… war Farfarellos echter Nachname. Und der stand ganz sicher nicht in dessen Ausweis, weswegen Schuldig ihn ohne Sicherheitsrisiko hätte verwenden können. "Du könntest Recht haben. In dem Fall können wir wohl mitten in der Nacht mit ihrem Eintreffen rechnen." Seine Augen hatten ganz automatisch nach den notwendigen Informationen gesucht. "Wollen wir auf sie warten?" Nagi schien die Aussicht auf eine Nachtschicht nicht viel auszumachen. Und warum auch. Morgen war Sonntag und der Telekinet hatte schon häufiger bis tief in die Nacht – oder früh in den neuen Tag hinein – vor seinem Computer gesessen. "Nun, du kannst gerne wachbleiben", rutschten seine Mundwinkel nach oben. "Ich jedoch habe vor, zumindest etwas Schlaf zu bekommen." Wachzubleiben würde die beiden auch nicht früher herbringen. Nagi zuckte nur mit den Schultern. "Ich werde es mir noch überlegen." In diesem Moment meldete sich der Backofen und der Jüngere machte sich daran, ihr Abendessen herauszuholen. "Auf jeden Fall haben wir so viel Auflauf, dass es auch für Schuldig und Farfarello reicht, falls sie tatsächlich mitten in der Nacht einfallen sollten und Heißhunger haben", wurde ungerührt angemerkt, als die große Pfanne nur von Nagis Talent gelenkt sicher auf dem Tisch abgestellt wurde. Seine Antwort darauf fiel überraschend ernst aus. "Ich denke, Schuldig wird dir dafür dankbar sein." Sie tauschten einen verstehenden Blick aus, genau wissend, dass der Telepath gar nicht anders konnte, als in so einer Sitation sein Talent zu überbeanspruchen. ~TBC~ Kapitel 14: "Und sah dieser Ausdruck nicht seltsam auf deinem Gesicht aus…" --------------------------------------------------------------------------- "Ich glaube, ich habe ihn noch nie so erschöpft gesehen…" Er folgte Nagis Blick zu Ran, dessen Gesicht beinahe schon Kontakt zum Teller gefunden hatte. Der wenigstens fast leer war. Weswegen es keine schwere Entscheidung war, den Rothaarigen sanft am Oberarm zu umfassen und wieder in eine aufrechte Position zu bringen. "Hoch mit dir. Es ist Zeit für dich, ins Bett zu kommen." Ran brauchte eindeutig zu lange, um seine Worte zu verarbeiten. Und selbst danach blinzelten ihn die violetten Augen ohne viel Ausdruck an, auch wenn ein Anflug von Stursinn nicht zu verleugnen war. Es war ausgesprochen leicht, ihn zu interpretieren, so selten er ihn auch bei Ran sah. "Ich komme gleich nach", versprach er dem Rothaarigen, unwillkürlich amüsiert. Wieder vergingen ein paar lange Sekunden, dann aber kam Ran langsam auf die Beine, schaffte es irgendwie seine Arme und Beine zu koordinieren und machte sich dann auf den langsamen Weg nach oben. Ihre Blicke waren beide der verschwindenden Gestalt gefolgt, aber sobald Ran aus der Tür hinaus war, richteten sich dunkelblaue Augen beinahe vorwurfsvoll auf ihn. "Du solltest mehr Rücksicht bei eurem Training nehmen. Du weißt, dass Talentlose weniger widerstandsfähig sind." Diesmal war es an ihm zu zwinkern. Denn natürlich _wusste_ er das, aber Rans Ausdauer hatte es ihn heute tatsächlich vergessen lassen. Die Erkenntnis wurde ihm geradewegs vom Gesicht abgelesen und während Schuldig an diesem Punkt wahrscheinlich gelacht hätte, schüttelte Nagi mit einem leichten Stirnrunzeln den Kopf. "Deine Gedanken waren woanders, was?" Der Blick wurde schärfer. "Oder auch so erfolgreich verdrängt, dass du andere Sachen auch gleich vergessen hast." Er hatte nicht vor zuzugeben, wie nah Nagi mit dieser Vermutung an der Wahrheit war. "Auf diese Weise wird er heute Nacht wenigstens richtig schlafen können", hielt er deswegen entgegen. Ein Argument, dem sich der Telekinet nicht entziehen konnte, wie ihm dessen Gesichtsausdruck verriet. Mit einem leichten Lächeln leerte er daher seinen Teller, bevor er sich ebenfalls erhob. "Du wirst das Wohnzimmer dann wohl für dich allein haben", meinte er zum Abschied. Dieser Blick von Nagi fiel ungewohnt aus, beinahe schief. So etwas hätte er von Schuldig erwartet, aber sicher nicht von dem Jungen. Nagi ließ sich von seiner Erwartungshaltung wenig beeindrucken, als dieser ihm antwortete. "Ich könnte jetzt sagen, dass ich wohl froh darüber sein sollte. Aber zum Glück ist Ran viel zu müde, als dass ich eure Aktivitäten von meinem Talent fernhalten müsste." Seine Mundwinkel kurvten in ein weiteres Lächeln, als er eine Hand ausstreckte und durch die braunen Haare wuschelte. Wenn sich ihr Telekinet plötzlich als aufmüpfiger Teenager gebärdete, konnte er selbst ihn auch wie das Kind behandeln, das Nagi genauso wenig wirklich gewesen war. Überraschenderweise – oder vielleicht doch nicht so überraschend – kam kein Wort des Protests über Nagis Lippen. Sie alle würden wohl erst wieder ganz zu sich selbst zurückfinden, sobald Schwarz wieder vereint war. Ein lautloses Seufzen entkam ihm, während seine Schritte den Weg zu seinem Zimmer auffraßen. Er konnte den morgigen Tag kaum erwarten, in der Hoffnung, dass Schuldig und Farfarello tatsächlich auftauchen würden. Aber bis dahin… er lächelte wieder, als er eintrat und Ran erspähte, der es sich bereits mitten auf dem Bett bequem gemacht hatte… bis dahin gab es etwas anderes, auf das er sich konzentrieren konnte. Seine Ankunft wurde sofort bemerkt, wie ihm das Violett verriet, das hinter halbgeschlossenen Lidern aufblitzte. Und dann wurde sein Lächeln erwidert, bevor sich der Jüngere streckte, ohne zu wissen, wie einladend diese so unschuldigen Bewegungen wirkten. Nur wenige Schritte und er saß auf der Bettkante, zeichnete nur mit der Fingerspitze Rans Arm nach, bis er den kurzen Ärmel des Shirts traf, das der Jüngere trug. "Möchtest du gleich schlafen?", erkundigte er sich, als Ran ihn müde anblinzelte. Der zunächst zustimmen wollte, bevor seine Frage richtig interpretiert wurde. Und so erhielt er als nächstes ein Kopfschütteln. "Gut", gab er zufrieden zurück. "Ich bin gleich wieder da." Für ihn war es zwar noch etwas zu früh, aber da er sowieso nur wenig Schlaf bekommen würde, falls Schuldig tatsächlich mitten in der Nacht auftauchte, war es ganz gut früh ins Bett zu kommen. Also verschwand er schnell im Bad und kehrte wenig später mit dem Massageöl und einem Handtuch zurück. Während Ran sich mit trägen Bewegungen auf dem Handtuch lang legte, wechselte er in seinen Schlafanzug und war sogar schneller als der Rothaarige, der nicht mehr viel Koordination aufbrachte. Amüsiert zog er das Handtuch noch zurecht, bevor er wieder auf dem Bett Platz nahm. Ran seufzte leise, als er das kühle Öl auf dessen Rücken tropfen ließ, erschauerte sanft. Hm… es war viel schwerer sich zurückhalten als damals, denn inzwischen wusste er, was er versäumte. Aber Ran, der unter seinen sicheren Berührungen beinahe dahinschmolz, war viel zu müde. Also konzentrierte er sich ganz darauf, die dieses Mal viel zu sehr beanspruchten Muskeln zu lockern, kümmerte sich besonders um die Beine. Ran gab immer wieder leise Laute von sich, doch sie wurden schwächer und verrieten ihm, dass der Jüngere immer weiter in Richtung Schlaf abdriftete. Weswegen er aufhorchte, als da plötzlich mehr Nachdruck in Rans Stimme lag, registrierte erst nachträglich, dass sein Name ausgesprochen worden war. Ran konnte kaum die Augen offen halten, doch der Blick des Rothaarigen sprach trotzdem Bände. Er nickte, während seine Mundwinkel nach oben kurvten. Leise räumte er auf, um sich dann ebenfalls hinzulegen. Ran erwartete ihn bereits, rückte zufrieden und ohne zu zögern an ihn heran, schloss endgültig die Augen. Und bekam wahrscheinlich gar nichts mehr von dem Kuss mit, den er ihm noch auf die Lippen drückte. Belustigung erfüllte ihn, da Ran seine Nähe nicht häufig mit dieser Selbstverständlichkeit einforderte. Doch es war ein gutes Zeichen, dass der Jüngere es tat, wenn er zu müde war, um sich mit irgendwelchen Unsicherheiten aufzuhalten. Ihn weckte eine Berührung, die sich als nicht-körperlich herausstellte, als er wach genug war, um sich in seinem Zimmer umzusehen. Außer ihm befand sich nur Ran hier und der schlief friedlich und ungestört, konnte es also nicht gewesen sein. Natürlich hielt er sich nicht lange mit Rätselraten auf, wenn die Lösung so einfach war. Und genauso leicht fiel es ihm auf den Grund für diese nächtliche Störung zu schließen. Ein Blick auf den Wecker verriet ihm, dass es später – oder auch früher – als erwartet war und er beschloss, sich gleich anzuziehen. Noch einmal schlafen zu gehen würde sich kaum lohnen. Unten erwartete ihn Nagi, leicht übernächtigt aber trotz mühelos noch auf den Beinen. "Sie sind gerade angekommen", wurde ihm mitgeteilt. Wenn das so war, hieß das, Nagi musste sie schon ein Stück draußen geortet haben. "Du hast nach ihnen Ausschau gehalten?" "Vielmehr nach möglichen Verfolgern. Aber außer ihnen konnte ich nichts spüren. Wenn da jemand ist, ist er für mein Talent entweder so tot wie das Mädchen von Schreiend oder er hat sich in der Nachbarschaft eingeschlichen, so dass ich ihn nicht von den Nachbarn unterscheiden kann." "Nun, wir gehen der Einfachheit erstmal davon aus, dass wirklich niemand da ist." Mit einem Anflug von Amüsement. Dem sich der Junge nicht so ganz anschließen mochte. Wahrscheinlich frustrierte ihn, dass er bisher viel zu wenig wusste, um die Bedrohung wirklich einschätzen zu können. Nagi war schon immer der Informationssammler in ihrem Team gewesen… Er wandte sich der Haustür zu, die in diesem Moment aufgeschlossen wurde und gleich darauf fand er sich in dem Blick grüner Augen gefangen, die so viel mehr zu sehen versuchten als nur sein Äußeres. Er schenkte dem Telepathen ein leichtes Lächeln, begleitet von einem Nicken, als Antwort auf die stumme Frage. Womit sich Schuldigs Aufmerksamkeit jetzt auf sein anderes Teammitglied richtete. Nagi hatte zwar gewartet, bis die beiden eintreten waren, blieb aber nicht, sobald er sich von ihrer Unversehrtheit überzeugt hatte. Und auch Schuldig konnte den scannenden Blick nicht verbergen, mit dem Nagis Gestalt von oben bis unten gemustert wurde, bevor der Junge in die Küche verschwand. Die beiden gaben selten zu, dass sie aufeinander aufpassten. Der Einzige, der noch nicht zufrieden war, war Farfarello, der aber sofort von Schuldig beruhigt wurde. "Hier ist rein gar nichts passiert. Ran schläft oben tief und fest." Das war genug, um Farfarello davon zu überzeugen, mit in die Küche zu kommen, wo das Essen dank Nagi bereits auf dem Tisch stand. Und wie erwartet ließ Schuldig sich sofort auf einen Stuhl fallen. Dennoch griff er nicht gleich nach der Gabel, wartete darauf, dass er sein Versprechen einlöste. Also nahm er neben dem Telepathen Platz, erlaubte ihm, seine Hand zu berühren. Und für einen Moment schien alle Energie aus Schuldig zu weichen, als dieser in sich zusammensackte. "Überzeugt, dass ich ich bin?", fragte er leise, nachdem eine Minute still verstrichen war. Grüne Augen wurden aufgeschlagen und ein vertrauter Hunger stand in ihnen, der schnell wieder verdrängt wurde. "Ja, bin ich", wurde ihm dann geantwortet, bevor Schuldig sich daran machte, eine ganz andere Art von Hunger zu stillen. "Nagi hat sich davon überzeugt, dass ihr nicht verfolgt worden seid", berichtete er, während Schuldig den Auflauf scheinbar inhalierte. "Auch ansonsten sind uns hier keine verdächtigen Personen aufgefallen." Schuldig nickte, fand Zeit für eine Antwort. "Mein Talent hat nach dieser seltsamen Begegnung auch nichts mehr aufgefangen. Aber da dieser Typ und sein Begleiter mir ganz sicher nicht zufällig über den Weg gelaufen sind, ist das kein besonders großer Trost." "Du glaubst, sie haben sich von Anfang an an euch gehängt." Es war keine Frage und brachte ihm dementsprechend nur ein knappes Nicken ein. "Warum kein Zufall?", hakte er nach, denn ganz ausschließen konnte er das nicht. Das Essen wurde weiter dezimiert. "Vielleicht, wenn er dir nur ähnlich gesehen hätte. Aber nein, vom Haarschnitt über die Brille bis zum Anzug war er ganz du. Ganz zu schweigen vom Gesicht. Es war frappierend." "Er war falsch", mischte sich Farfarello an dieser Stelle zum ersten Mal ein, das bernsteinfarbene Augen verengt. "Er sah aus wie du und gleichzeitig nicht. Es hat mir nicht gefallen. Und er wollte Schuldig zu sich locken." Vielleicht war es einer der seltenen Momente, da Farfarellos Talent angesprungen war, vielleicht auch purer Instinkt. Auf keinen Fall kam er gegen die Überzeugung an, die in der Stimme des Jüngeren lag. Mit dieser Auskunft schien Farfarellos Geduld erschöpft und ohne selbst etwas gegessen zu haben verschwand der Ire. Schuldig sah ihm mit einem langen Blick nach, zuckte schließlich mit den Schultern. "Er hat sich die ganze Zeit Sorgen gemacht, dass jemand bei euch anklopft. Sozusagen. Und natürlich ist Ran-chan der Einzige, der nicht auf sich selbst aufpassen kann." Grüne Augen verfolgten Farfarellos Weg, ungehindert von Wänden und Decke. Dann grinste Schuldig für einen Moment, wenn auch ohne viel Amüsement. "Ran wird sich ohne dich nicht einsam fühlen, großer Meister", wurde ihm dann mitgeteilt. Hm, in dem Fall würde Ran morgen früh eindeutig froh sein, dass er ihm so einfach eingeschlafen war. Denn so gut sich der Rothaarige mit Farfarello verstand, wollte dieser sicher nicht nackt mit ihm im Bett aufwachen. Schuldig grinste, etwas trocken vielleicht, aber die Emotion dahinter war diesmal echt genug. Offenbar war dem Jüngeren nur zu bewusst, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war. Der Moment der Ablenkung war aber schnell wieder vorbei und Schuldig wurde ernst, als er weitersprach. "Ich habe ihn berührt, nur auf der mentalen Ebene", wurde ihm gleich versichert. "Und er war zweifellos ein Talent. Mit guten Schilden. Aber hinter diesen Schilden gleißte Hitze." Hitze, keine Kälte. Schneller hätte sich dieser Fremde nicht verraten können… Sie tauschten ein schmales Lächeln aus. "Was hat er getan, als er merkte, dass ihr ihn durchschaut habt?" "Nun, er war enttäuscht." Schuldig stockte an dieser Stelle und musterte ihn scharf. "Und sah dieser Ausdruck nicht seltsam auf deinem Gesicht aus…" Ein kurzes, genauso scharfes Grinsen, gefolgt von einem Schulterzucken. "Aber er hat nichts weiter getan, genausowenig wie der andere Typ, nur etwas gesagt: 'Vielleicht nächstes Mal.' Und dann ist er gegangen." "Hast du versucht, sie aufzuhalten?" Diese Frage kam von Nagi, der bis zu diesem Moment nur stumm zugehört hatte. Und er konnte es vor seinem inneren Auge sehen, wie der Telekinet diese Männer mit dessen Talent eingeboxt hätte und sie anschließend dazu gebracht, ihm alles zu erzählen. Ihr Jüngster mochte keine Mysterien, vor allem nicht, wenn er seine Familie bedroht sah. Auch wenn Nagi es niemals so sagen würde. Schuldig schien auch zu verstehen und er zog Nagi nicht auf, schüttelte lediglich den Kopf. "Mein Talent ist nicht zu ihnen durchgedrungen. Nicht auf die Schnelle. Der zweite war sogar noch viel schwerer zu greifen." Der Telepath verzog kurz das Gesicht, ohne sich dessen anscheinend bewusst zu sein. "Und ein Angriff in aller Öffentlichkeit wäre nicht ratsam gewesen, nicht wahr? Vor allem, da ich davon ausgehe, dass sie nicht allein waren." Nagi zeigte eine ungewohnt frustrierte Miene. "Und was sollte das Ganze dann? Wenn sie euch zahlenmäßig überlegen waren, hätten sie auch Gewalt anwenden können. Und zwar, wenn es keine hinderlichen Zuschauer gegeben hätte." Schuldig schob den jetzt leeren Teller von sich und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. "Vielleicht wollten sie ja auch nur guten Tag sagen. Und nur mehr, wenn wir dumm genug gewesen wären, auf den Trick hereinzufallen." Dunkelblaue Augen verengten sich. "Wenn das so ist, wenn sie sich uns offenbaren wollten, dann müssen sie sich ihrer selbst sehr sicher sein", sprach Nagi aus, was Schuldig nur angedeutet hatte. Und das war kein schöner Gedanke. ~TBC~ Kapitel 15: "Vermissen Sie zufälligerweise welche?" --------------------------------------------------- Schuldig verschränkte die Arme vor der Brust und sah starr gegen die Wand. "Und sie scheinen auch allen Grund zu haben, selbstsicher zu sein. Schließlich haben sie ein sehr genaues Bild von dir und bis gestern hatten wir keine Ahnung davon, dass du irgendwann beobachtet wurdest." Nicht zwangsweise hier, aber es war davon auszugehen, nicht wahr? Seine Lippen pressten sich flüchtig zusammen. "Ich denke, weitere Diskussionen bringen nichts, solange wir nicht mehr Informationen haben. Und derzeit haben wir keine Chance, die zu erhalten." Keiner der beiden widersprach seinem Urteil, auch wenn sie damit nicht glücklich waren. Nagi so wie er selbst hatte gehofft, dass Schuldigs Rückkehr das Rätsel lösen würde und nicht nur noch mehr Fragen aufwerfen. Weswegen es ihn nicht wunderte, dass ihr Jüngster jetzt in einer abrupten Bewegung aufstand, der Stuhl blieb nur aufrecht, weil Nagis Talent ihn hielt. "Ich gehe jetzt schlafen." Er tauschte mit Schuldig einen grimmigen Blick aus, als Nagi danach ohne ein weiteres Wort verschwand und er selbst war es, der zuerst wieder etwas sagte. "Ich werde Herrn Schneider anrufen. Wenn hier irgendwelche Talente herumlaufen, weiß er vielleicht mehr." Der Telepath war bei dem Namen kaum merklich zusammengezuckt, nickte anschließend aber. "Ich muss zugeben, dass mir auch nichts Besseres einfällt." Ein Seufzen schloss sich dem an. "Allerdings habe ich das dumme Gefühl, dass nichts dabei rumkommen wird. Und am Ende sitzen wir immer noch mit leeren Händen da…" "Bis sie sich dazu herablassen, sich wieder bei uns zu melden", stimmte er zu. Schuldig verzog frustriert das Gesicht. "Wenn ihre Schilde bloß schwächer gewesen wären. Oder ich mehr Zeit gehabt hätte Dann wüssten wir jetzt wenigstens, was sie eigentlich von uns wollen." Er berührte flüchtig Schuldigs Hand und die Überraschung darüber ließ den Anderen verstummen. "Wir werden aufmerksamer sein müssen. Aber ansonsten-" "Kein Kopfzerbrechen mehr, schon klar." Mit einem gut eingetragenen Grinsen. Dann streckte sich Schuldig und dessen Miene wurde aufrichtiger. "Wenigstens gibt es von meinem eigentlichen Auftrag Positives zu berichten. Die Zielperson hat zwar eine tüchtige Migräne zurückbehalten, aber die wird sich wieder legen. Und du hast ein paar interessante Infos für deine schwarze Akte." Er zog eine Augenbraue hoch. "Ich will mich ganz sicher nicht über das Ergebnis beschweren, aber vergiss nicht, dass wir unsere Verbündeten normalerweise nicht so behandeln." Und jetzt kurvten seine Mundwinkel in ein schmales Lächeln. "Allerdings ist mir klar, dass du etwas Dampf ablassen musstest." Wieder ein Grinsen, bevor Schuldig in einer geschmeidigen Bewegung auf die Beine kam. "Du bekommst den Bericht und die Daten, wenn ich ausgeschlafen bin. Ich denke, dann hast du mehr vom Ergebnis." Obwohl es nicht als Frage formuliert war, wartete der Telepath sein minimales Nicken ab, bevor dieser weitersprach. Allerdings völlig weg vom Geschäftlichen. "Da dein Bett jetzt belegt ist, kann ich dir meins vielleicht anbieten?" Er stieß ein trockenes Schnauben aus. "Danke, aber nein danke. Ich bin früh schlafen gegangen und bleibe jetzt wach. Immerhin sollte es die perfekte Zeit sein, um in Deutschland anzurufen." "Großartig", konnte er Schuldig noch murmeln hören, bevor dieser sich nach oben verabschiedete. Er selbst blieb noch für einen Moment sitzen, ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. Doch es half nichts, da waren keine plötzlichen Erkenntnisse, die ihm weiterhelfen würden. Leise atmete er aus, erhob sich dann langsam, um in sein Büro zu gehen, wo er sein Handy vom Ladegerät nahm. Anschließend rang er für einen Moment mit sich, doch statt zu bleiben, ging er lieber ins Wohnzimmer, suchte sich einen Platz auf der leeren Couch. Dann erlaubte er sich keine weiteren Verzögerungen, auch wenn er die Augen schloss, als er Schneiders Nummer bestätigte. Er wurde nicht lange warten gelassen, der Deutsche nahm nach wenigen Sekunden ab. "Crawford, solltest du dich um diese Zeit nicht im Bett befinden?" Die vertraute Stimme jagte einen Schauer seinen Rücken herunter und seine freie Hand ballte sich zur Faust, als unerwartet Verlangen durch seinen Körper schoss. Oder vielleicht doch nicht so unerwartet, nicht wahr? Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, wenn er Ran nicht so einfach hätte einschlafen lassen, dann wäre dieses Problem jetzt zumindest um einiges leichter zu ertragen. Innerlich rief er sich selbst zur Ordnung, bevor die Pause vor seiner Antwort zu lang werden konnte und seine Stimme geriet… beinahe… gleichmäßig. "Schuldigs vorzeitige Rückkehr von seinem aktuellen Auftrag hat das verhindert." Schneider war natürlich bekannt, was genau Schuldigs Aufgabe war, weswegen die nächste Frage nicht überraschend kam. "Soll das heißen, beim einem der potenziellen Kontakte ergaben sich böse Überraschungen?" Etwas im Tonfall des anderen Mannes verriet, dass dieser Kontakt in einem solchen Fall unangenehme Konsequenzen befürchten durfte. Er schüttelte den Kopf, ohne dass Schneider es sehen konnte. "Böse Überraschung schon, bloß hat die nichts mit Schuldigs Auftrag zu tun gehabt." Eine minimale Pause. "Außer insofern, dass ihm zwei Talente über den Weg gelaufen ist. Vermissen Sie zufälligerweise welche?" Ein Hauch von Ironie lag in diesen Worten. "Du meinst also ausgebildete Talente, nicht wahr, und nicht nur welche im Allgemeinen?" Die Frage war rhetorischer Natur, weswegen er nicht darauf antwortete. Und wieder musste er erschaudern, nur das es dieses Mal an dem Frost lag, der in Schneiders Tonfall Einzug gehalten hatte. "Erzähl mir mehr." Was er sofort tat. Schneider mischte sich nicht ein Mal ein und er war sich nicht sicher, ob ihm die Stille von der anderen Seite wirklich gefiel. Denn sie ließ ihn die Antwort erahnen, die er schließlich erhalten würde. Am Ende verharrte er, jetzt selbst schweigend, während Schneider über die neuen Informationen nachdachte. Was ein weiteres schlechtes Zeichen war. Wie ihm kurz darauf bestätigt wurde. "Das Triumvirat hat alle Büros fest im Griff und nirgendwo wurde gemeldet, dass sich jemand in letzter Zeit versucht hat selbständig zu machen. Schon gar nicht eine Gruppe von Talenten. So etwas wäre sofort auf meinem Tisch gelandet. Und die Altfälle sind alle geschlossen." Was hieß, dass es jeweils bei einem Versuch geblieben war. Sein linker Mundwinkel zuckte flüchtig nach oben, bevor jeder Anflug von Humor aus ihm herausfloss. "Was ist, wenn es nicht gemeldet wurde, weil weit genug oben jemand eine Hand über sie hält?" Ein Gedanke, der ihm früher nie gekommen wäre. Aber der Führungswechsel hatte Staub aufgewirbelt. "Eine konkurrierende Faktion, die sich von uns lösen will?", übersetzte Schneider seine Frage. "Das ist… grundsätzlich möglich. Doch ich habe überall meine Leute. Und das sind wirklich _meine_. Ich glaube nicht, dass ihnen so etwas entgehen würde. Vor allem, da ihr euch nicht in unserem typischen Einsatzgebiet befindet. Um genau zu sein, seid ihr die Einzigen von uns, die sich derzeit in den USA aufhalten sollten." "Also unwahrscheinlich", fasste er zusammen. Was natürlich grundsätzlich gut war, schließlich wäre ein solcher Verlust von Kontrolle sehr unschön gewesen. Auf der anderen Seite hieß es natürlich, dass damit die letzte Möglichkeit ausgeschöpft war. Sie hatten es tatsächlich mit Unbekannten zu tun. "Sehr", wurde ihm zugestimmt, in seine Gedanken hinein. "Es sieht mir ganz danach aus, als haben die Ältesten zu lange gewartet und jemand anderer ist drüben bei euch nicht nur über Talente gestolpert, sondern hat diesen Fund auch zu nutzen gelernt." "Und wir sind bisher nicht über sie gestolpert, weil jeder in seinem Gebiet geblieben ist", fügte er langsam hinzu. "Aber dabei wird es nun nicht mehr bleiben, nicht wahr?" Schneider lachte auf. "Natürlich nicht. Ich werde mich ganz sicher nicht von möglichen Konkurrenten von unseren Expansionsplänen abhalten lassen. Früher oder später werden wir sie finden." Und nicht unterlegen sein, klang ganz deutlich durch. Er musste unwillkürlich lächeln, als eine gewisse Anspannung von ihm abfiel. Denn es war kaum vorstellbar, dass die Talente hier eine so lange Tradition wie Rosenkreuz hatten. Sonst hätten sie ihnen schon vorher begegnen müssen. Wenn sie sich also wirklich als Problem erweisen sollten, würden sie ausgeschaltet werden. "Hm, an unserer Überlegenheit solltest du wirklich nicht zweifeln", meinte Schneider amüsiert, als hätte der Telepath seine Gedanken gelesen. Vielleicht hatte er sich mit einem etwas zu lautem Ausatmen verraten. Sein Lächeln gewann an Ausdruck. "Ich werde es mir zu Herzen nehmen", gab er zurück. Schneider gab einen zufriedenen Laut von sich, wurde dann wieder ernster. "Ich möchte nicht, dass du von deinem eigentlichen Auftrag abgelenkt wirst. Von daher werde ich jemanden rüberschicken, der sich um diese neue Angelegenheit kümmert. Erwarte nicht, dass du kontaktierst wirst. Da ihr offensichtlich bereits unter Beobachtung steht, wäre das kontraproduktiv." "Ich verstehe." Es war die sinnvollste Lösung, also würde er kaum Einwände erheben. Doch als Schneider weitersprach, verlor er für einen Augenblick seine Gelassenheit. "Alles in allem habe ich dadurch wenigstens einen Grund, früher oder später auch mal rüberzukommen. Was würdest du davon halten, Crawford?" Mühsam überredete er seinen Herzschlag dazu, sich wieder zu normalisieren. "Sie sind uns immer willkommen", brachte er dann über die Lippen, ohne sich… all zu sehr… zu verraten. Der Deutsche lachte wieder. "Ausgezeichnet. Aber jetzt sollte ich mich wieder an meine Arbeit machen." Ein paar Sekunden tickten dahin, bevor Schneider sich endgültig verabschiedete. "Melde dich bald wieder. Und ich hätte nichts dagegen, wenn es keinen besonderen Grund dafür gibt." Dass er daraufhin nichts sagte, wurde ihm nicht übelgenommen, Schneider wusste es als Zustimmung zu deuten. Und dann war das Telefonat beendet, ließ ihn mit dem Gefühl zurück, als würde er in der Luft hängen. Zum Glück fand sich schnell Ablenkung in Gestalt von Ran, der – mal wieder abwartend im Türrahmen stand. Der Jüngere schien wirklich eine Antenne dafür zu haben, wann er mit Schneider telefonierte. Seine Mundwinkel kurvten nach oben, als er ihn näherwinkte und Ran zögerte nicht lange, der Einladung zu folgen. Gleich darauf hatte er einen schlafwarmen Körper neben sich, der schwer gegen ihn sank. Offenbar war der Jüngere noch nicht lange auf den Beinen… Er schlang einen Arm um ihn, beugte sich herunter und drückte einen Kuss auf Rans Lippen. In den prompt mehr Leben kam. Ah ja, das war schon besser. Er zog ihn auf seinen Schoß und war sehr erfolgreich darin, weitere Gedanken an Schneider in den Hintergrund zu drängen. Ran summte regelrecht gegen seine Lippen, begann dann unkoordiniert sein Hemd aufzuknöpfen. Er selbst brauchte dem Rothaarigen lediglich das Shirt über den Kopf zu ziehen, das danach auf dem Bodem landete. Nur für einen Moment verfolgte er den Fall, dann forderte Ran in einer ungewohnt herrschenden Geste seine Aufmerksamkeit zurück. Und dort blieb sie auch. Ausgesprochen wach saß ihm Ran später am Küchentisch gegenüber, die Haare noch feucht von der Dusche, und langte eifrig zu. Und inzwischen hatte er mehr Gelegenheit gehabt, ihn zu beobachten, so dass seine nächste Frage mehr Feststellung war als alles andere. "Der Muskelkater hält sich in Grenzen?" Ran lächelte, lief dann leicht rot an. "Alles dank deiner Massage gestern. Es tut mir Leid, dass ich einfach eingeschlafen bin." Seine Lippen zuckten und Amüsement blitzte in braunen Augen auf. "Mm, mir hat es auch etwas Leid getan…" Die Röte vertiefte sich, bevor Ran die Reaktion unter Kontrolle brachte und ihm ein Grinsen schenkte. "Noch einmal wird mir das bestimmt nicht passieren", wurde ihm dann versprochen. Er nahm es mit einem Nicken auf und für eine Weile beschäftigten sie sich wieder mit dem Frühstück, bevor Ran etwas zögernd seinen Blick suchte. "Frag nur", forderte er ihn auf. Er konnte sich bereits denken, worum es dem Jüngeren ging. "Wusste Herr Schneider, auf wen Schuldig und Farfarello da getroffen sind?" "Leider nicht. Aber uns wurde es auch abgenommen, es herauszufinden." Er hielt Rans Blick fest, jetzt ernst. "Und mach dir keine Sorgen. Unsere Leute werden diese Spaßvögel früher oder später finden. Und falls sie uns noch einmal zu nahe kommen, werden wir uns darum kümmern." "Genau das. Und wenn ich danach ein paar Erinnerungen von talentlosen Zeugen löschen muss, ist das auch egal. Nochmal lasse ich den Typen nicht entwischen." Rans Kopf fuhr herum, konnte so jetzt auch Schuldig sehen, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und dem Rothaarigen ein lässiges Grinsen schenkte. Und irgendwie schienen Schuldigs Worte noch überzeugender zu sein, denn Ran entspannte sich sofort. Er ignorierte den selbstzufriedenen Blick aus grünen Augen, musterte Schuldig eindringlich. "Warum bist du eigentlich schon wieder auf den Beinen?" In der kurzen Zeit konnte sich der Telepath gar nicht ausreichend erholt haben. Er erhielt eine wegwerfende Handbewegung. "Ich habe Farfs Gesellschaft vermisst. Und dann hat mich das Frühstück angelockt." Er hegte den Verdacht, dass das nicht die ganze Geschichte war. Da er aber Ran nicht in neue Verlegenheit stürzen wollte, beließ er es dabei und sprach etwas Unverfängliches an. "Du hast schon wieder Hunger?" Das bedurfte keiner Antwort, weil in diesem Moment Schuldigs Magen knurrte. So viele Jahre und der Telepath schaffte es immer noch ab und zu, seinen Energiebedarf zu unterschätzen… Oder er hatte sie inzwischen verbraucht. Braune Augen verengten sich und die Geste wurde problemlos interpretiert. >Ja, ich habe mich noch einmal gründlich umgesehen<, bekam er gleich darauf zu hören. >Und ich habe keinen Hinweis auf andere Talente gefunden.< Mit einem minimalen Nicken bestätigte er, dass er verstanden hatte, mit Rücksicht auf Ran sagte er aber nichts weiter dazu. "Nun, wir haben genug zu Essen da", reagierte er stattdessen nur auf das ursprüngliche Thema. "Und danach verschwindest du endgültig ins Bett." Schuldig reagierte mit einem spöttischen Salut. "Wird gemacht, großer Meister." ~TBC~ Kapitel 16: "Wie du siehst, hat Nagi vor, den Schiefen Turm von Pisa nachzubauen" --------------------------------------------------------------------------------- Schneider lachte, nachdem er dem Deutschen von seinen Plänen erzählt hatte. "Ich habe dir doch bereits gesagt, dass es mir egal ist. Du musst mich nicht um Erlaubnis bitten." Ja, natürlich erinnerte er sich noch an ihre Unterhaltung damals, aber es gab Dinge, da riskierte er lieber nichts. Und so nachsichtig Schneider bei ihm in der Regel war, würde er ganz sicher nichts tun, was nach einem Griff in Richtung Selbständigkeit aussehen könnte. Was er ganz ehrlich sagte. "Ich möchte mir in dieser Hinsicht keinen Ärger einhandeln. Also frage ich lieber einmal zu viel." Dieses Mal seufzte Schneider, klang aber immer noch belustigt, als er darauf antwortete. "Gut, dann gebe ich dir hiermit ganz offiziell die Erlaubnis. Und von mir aus kannst du auch geradewegs bei deinem alten Domizil vorbeischauen. Oder auch bei deinen alten Freunden." Etwas stockte in ihm, bevor er den Kopf schüttelte, auch wenn es der Andere nicht sehen konnte. Aber irgendwie schien Schneider seine Reaktion trotzdem mitbekommen zu haben. "Nein? Willst du tatsächlich dem Schicksal die Entscheidung überlassen?" Schneiders Stimme verlor an Amüsement, wurde gleichzeitig sanfter. "Ich muss zugeben, dass ich nicht unbedingt erwartet habe, dass du deinem früheren Leben ein wenig nachtrauerst. Und noch ungewohnter ist, dass du nicht selbst die Entscheidung treffen willst." "Ich-" Sein Protest erstarb, bevor er ausformuliert werden konnte. Denn er war sich über seine Motive selbst nicht ganz im Klaren, was auch der Grund für seine fehlende Entscheidungsfreudigkeit war. Schneider wartete ein paar lange Sekunden, interpretierte das Schweigen dann richtig. "Schon gut. Nur weil du ein Precog bist, musst du ja nicht immer für alles einen Plan haben, hm?" Und dann war der Deutsche so freundlich, nicht mehr auf diesen Punkt zurückzukommen. "Wie verkaufst du eigentlich den Anderen dieses Vorhaben?" Ein Hauch von Erleichterung kurvte seine Mundwinkel nach oben. "Ich werde ihnen die Wahrheit sagen. Dass ich ganz einfach mal ein bisschen von der Umgebung sehen will, in der ich aufgewachsen bin." "Hm, ich verstehe. Farfarello mag das egal sein, aber sowohl Ran als auch Schuldig würden sofort darauf anspringen. Und Nagi würde es zwar niemals zugeben, wäre aber zweifellos ebenso neugierig." "Genau das." Er war nicht weiter verwundert, dass Schneider die Reaktionen so gut einschätzen konnte, auch wenn er zu Nagi und Ran kaum Kontakt gehabt hatte. Dafür war der Deutsche schließlich Telepath. "In dem Fall wünsche ich euch viel Spaß bei eurem Ausflug." Eine kurze Pause folgte, bevor Schneider noch etwas hinzufügte. "Viel Erfolg wünsche ich dir besser nicht, schließlich bist du dir selbst nicht sicher, ob du den überhaupt haben willst…" "Ha…", atmete er dazu einen Laut, der vielleicht ein wenig Belustigung in sich trug. Schneider hatte es doch nicht bleiben lassen können. Er konnte das Lächeln vom anderen Ende der Verbindung regelrecht hören, doch dann wurde der Ältere ernst. "Wir haben bisher zwar keine weiteren Aktivitäten dieser geheimnisvollen Talente aufdecken können, vor allem nicht in eurer Nähe, aber ich möchte, dass du trotzdem weiterhin vorsichtig bleibst." "Natürlich, Herr Schneider", gab er ebenso ernst zurück. Inzwischen hatte er sich an die Situation fast gewöhnt, so wie der Rest von Schwarz, aber Gefallen hatten sie trotzdem nicht daran gefunden. Wenigstens deutete der Mangel an weiteren Kontaktaufnahmen darauf hin, dass sich die anderen doch nicht so überlegen fühlten. "Gut, und vergiss nicht mir Bescheid zu geben, egal, wie es ausgeht. Ich muss schließlich wissen, ob ich dich daran erinnern muss, dass es dir bei uns viel besser gefällt." Er zwinkerte, als er die Worte verdaute, verzog dann das Gesicht. "Das ist nicht lustig", teilte er dem Älteren schließlich ein bisschen unwirsch mit. Und Schneider hatte nichts Besseres zu tun, als wieder zu lachen. "Das sehe ich anders, Crawford. Also dann, bis bald." Damit wurde er ohne Chance auf eine weitere Erwiderung sitzen gelassen. Es war beinahe schon Tradition, dass er Ran erspähte, sobald er sich vom Anblick seines stummen Handy trennen konnte. Der Jüngere hatte gerötete Wangen und trotz der Kälte draußen war er leicht verschwitzt. "Wie ist die Schneeballschlacht ausgegangen?", erkundigte er sich, ohne seine Belustigung zu verbergen. Ran grinste, fasste seine Frage als Einladung auf hereinzukommen. Die beiden mitgeführten Tassen wurden auf dem Glastisch abgestellt, bevor sich der Rothaarige mit einem übertriebenen Laut der Erschöpfung neben ihm auf die Couch plumpsen ließ. "Da Nagi sein Talent nicht einsetzen durfte, würde ich auf unentschieden tippen. Nicht, dass wir alle Treffer haben zählen können, dazu waren es einfach zu viele." "Hm, das überrascht mich nicht. Überraschender finde ich vielmehr, dass du Nagi überhaupt überzeugen konntest, mitzumachen." Ein ausdrucksvolles Lächeln war die Antwort darauf. "Ich kann eben Überzeugungskraft entwickeln, wenn ich will", wurde voller Selbstsicherheit kundgetan, bevor ein Funken in violetten Augen aufblitzte. "Und das nächste Mal überrede ich dich auch!" "Wirst du das…" Er drückte einen Kuss auf die immer noch kalten Lippen, woraufhin Ran leise seufzte, dann beide Arme um ihn schlang, um den Kuss zu vertiefen. Anschließend war jeder Gedanke an künftige Schneeballschlachten vergessen und während der Jüngere zu Atem zu kommen versuchte, griff er nach der Tasse, die offensichtlich für ihn bestimmt war. Eine Augenbraue rutschte hoch, als er feststellte, dass sie Kakao statt des erwarteten Kaffees enthielt, doch nach einem ersten Schluck musste er zugeben, dass die Wahl gar nicht so schlecht gewesen war. Ran starrte ihn erwartungsvoll an, als sich ihre Blicke schließlich wieder begegneten. "Magst du ihn? Mama hat ihn früher immer für Aya und mich gemacht. Es ist ein bisschen Zimt und Honig dran." Die Informationen kamen ohne jedes Stocken oder Eintrüben der Stimmung. Was mehr der Grund für sein erneutes Lächeln war als Rans leichte Aufgedrehtheit an sich. "Mm, es ist eine interessante Mischung." Mit dieser Auskunft zufrieden griff Ran nun nach seiner eigenen Tasse, um ihn dann über deren Rand hinweg wieder zu mustern. "Was ist, Ran?" Der Jüngere zögerte nur für einen Moment, bevor er seine Frage stellte und damit eingestand, zumindest zum Ende hin das Telefonat mit Schneider belauscht zu haben. "Werden wir wirklich dorthin fahren, wo du aufgewachsen bist?" Seine Miene erstarrte für einen Atemzug, dann aber schüttelte er innerlich über sich selbst den Kopf und entspannte sich wieder. Denn für die Reise an sich hatte er sich doch längst entschieden, nicht wahr? "Nun, es wird wohl eher ein Flug statt einer Fahrt, aber ja, ich hatte so etwas vor." Rans Reaktion war subtil, sie lag in der leichten Bewegung, mit der sich der Jüngere näher zu ihm lehnte, dem Lächeln, das mehr in den violetten Augen stand als sich auf Rans Gesicht abzuzeichnen. "Ich würde mich freuen, deine Heimat kennenzulernen." Ein kurzer Seitenblick, wie um seinen Gesichtsausdruck abzuschätzen. "Du kannst mir zeigen, wo du früher reiten warst." "Solange du nicht von mir verlangst, Brauner mitzunehmen… Das sollte sich etwas schwierig gestalten." Ran setzte sich unwillkürlich etwas aufrechter hin. "Glaubst du, dein erstes Pferd ist noch dort?" Seine Stirn legte sich in leichte Falten, als sich weitere Erinnerungen in den Vordergrund drängten. Er schob sie beiseite und entschied sich bewusst dafür, mit seiner Antwort weitere Fragen aufzuwerfen. "Nun, rein vom Alter her wäre es möglich. Allerdings kann ich nicht sagen, ob Kathy den Besitz beisammen gehalten hat." Für ein paar lange Sekunden herrschte neben ihm nur Schweigen, als Ran sich offensichtlich den Kopf darüber zerbrach, ob er diesen Namen schon einmal gehört hatte. Am Ende blieb der Jüngere jedoch ergebnislos und suchte wieder seinen Blick. "Gehört sie zu deiner Familie?" Ein schmales Lächeln war seine erste Reaktion darauf. "Nun, 'nicht mehr' ist hier wohl der richtige Ausdruck. Sie war damals meine Verlobte und da ich keine weitere Familie hatte, habe ich ihr alles vermacht." Jedenfalls alles, was es offiziell noch gab. Ran hatte es die Sprache verschlagen, dessen Lippen formten lediglich stumm das Wort, um das sich alles drehte. Ihm entkam ein leises Auflachen, bevor er es zurückhalten konnte. Was die violetten Augen zurück zu ihm holte. "Du musst nicht befürchten, dass ich zur ihr zurückkehre, wenn sich aus irgendeinem Grund die Möglichkeit ergeben würde. Es war einfach so, dass es damals von mir erwartet wurde und Kathy war es nicht schwergefallen, Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser Lebensentwurf war aber in dem Moment vorbei, in dem Herr Schneider auf dem Plan auftauchte." In mehr als einer Hinsicht. Was er nicht aussprechen musste. Ran verstand auch so die Ebenen von Bedeutung. Was ihn nicht überraschte. Er hatte sowieso das dumme Gefühl, dass seine Beziehung zu Schneider etwas war, das Ran vor ihm verstanden hatte. Eine Hand hatte sich zu seinem Handgelenk geschlichen und es sanft umfasst, drückte jetzt etwas fester zu. "Und du vermisst es nicht?" Die Frage… war nicht wirklich eine. Denn unverändert ging Ran davon aus, dass es nur eine Person gab, zu der Crawford stets zurückkehren wollte. Mit Bravour ignorierte er die leise Stimme, die der Meinung war, dass Ran allen Grund für diese Annahme hatte. Sein Kopfschütteln nahm die Antwort vorweg. "Ich hätte niemals mein Talent wirklich verstanden, wenn ich nicht nach Rosenkreuz gegangen wäre. Und wer weiß, mit welchem Job ich mich jetzt Tag für Tag abgeben müsste." "Schwarz ist viel besser", schloss der Jüngere mit einem Lächeln, in dem Zufriedenheit lag. Denn Ran hatte sich damit arrangiert, was ihn seine Begegnung mit Schwarz gekostet hatte. Für den Rothaarigen zählte nur noch, dass er hier sein konnte. Ohne lange darüber nachzudenken, küsste er ihn ein weiteres Mal. Wenn er es so wie Ran halten könnte, wäre manches einfacher. Doch dann wäre er jetzt nicht hier, sondern in Deutschland, nicht wahr? Und er würde nicht nur Schwarz vermissen. Ein Anflug von Ironie zeigte sich in braunen Augen, als er sich wieder zurücklehnte, doch Ran bekam davon nichts mit. Der Rothaarige hatte genug damit zu tun, seine Tasse festzuhalten. Doch nachdem Ran sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, sowohl äußerlich als auch innerlich, erhielt er einen schiefen Blick zugeworfen, den sich der Japaner bei Schuldig abgeguckt haben musste. Der Deutsche war eindeutig ein schlechter Einfluss… Das Zucken seines linken Mundwinkels ließ den Blick noch etwas intensiver werden, bevor Ran mit dem Zeigefinger auf ihn deutete. "Wenn das nächste Mal das Getränk über deine helle Couch verteilt wird, kannst du dich nur bei dir selbst beschweren." Dem folgte überraschend ein Grinsen. "Und jetzt gehe ich den anderen erzählen, dass wir in den Weihnachtsferien verreisen." Damit wurde die Tasse abgestellt und der eben noch so sorgsam gerettete Inhalt schmählich vergessen. Für einen Moment sah er der verschwindenden Gestalt hinterher, schüttelte dann leicht den Kopf, ehe er noch etwas vom Kakao trank, bevor sich seine Tasse zu der von Ran gesellte. Er würde dem Rothaarigen lieber folgen. Wer wusste schon, was sich Schuldig sonst für Dinge ausmalen würde, die sich später nicht erfüllten. Und ein unnötig enttäuschter Schuldig war niemals eine gute Idee. Denn in der Regel ließ er dann bei anderen Dampf ab. Und er mochte die ruhige Nachbarschaft. Ran war nicht weit gekommen, als er in einen warmen Mantel gehüllt hinaus in die klare Kälte eines frostigen Tages trat. Die Sonne blendete regelrecht über den gefallenen Schnee hinweg, hatte aber keine Chance, ihn zu schmelzen. Die Schneeballschlacht hatte deutliche Spuren hinterlassen, dennoch war mehr als genug Schnee für das Projekt übrig, dem sich Nagi anscheinend als nächstes verschrieben hatte. Es war zweifellos der Anblick dieses… ambitionierten Gebildes, welches vor ihnen in die Höhe wuchs, das Ran vorerst ausgebremst hatte. "Was…?" Die unartikulierte Frage ließ Schuldig grinsen. "Wie du siehst, hat Nagi vor, den Schiefen Turm von Pisa nachzubauen." Nagi zeigte sich unbeeindruckt. "Er ist nicht schief. Und wenn dann ist es der Tokio Tower." Schuldig wurde ein Blick von oben herab zugeworfen, was bemerkenswert war, da der Junge bedeutend kleiner als der Deutsche war. "Ganz davon abgesehen trainiere ich lediglich mein Talent." "Na sicher doch", kam es gedehnt und betont ungläubig von Schuldig. Doch bevor Nagi etwas nachdrücklicher seine Meinung vertreten konnte, unterbrach die beiden ein überraschter Ausruf von Ran. Ihrer aller Blicke richteten sich auf den Rotschopf, dessen Haarfarbe jetzt nahezu unter Schnee begraben war, da Farfarello ihn geradewegs in die weiße, kalte Masse hineindrückte. Nachdem er Ran mit seinem Körpergewicht in einem plötzlichen Überfall zu Boden geworfen hatte. "Runter von mir, Farfarello!", protestierte Ran, versuchte vergebens, sich zu befreien. Der Ire grinste nur manisch und beugte sich ganz konträr nur noch tiefer über den Gleichaltrigen. "Und was ist, wenn ich nicht will?" Ran wurde für einen Moment sehr still, schien sich dann zu entspannen. "Dann werde ich dir nicht erzählen, was ich von Crawford erfahren habe." Ein bernsteinfarbenes Auge begegnete seinem amüsierten Blick, wanderte dann weiter zu Schuldig, der lediglich den Kopf schüttelte. "Keine Chance, er denkt nur daran, wie kalt der Schnee ist. Das Training zahlt sich eindeutig aus." Das mochte wahr sein oder nicht, jedenfalls schien der Telepath nicht vorzuhaben, tiefer zu graben. Woraufhin Farfarello regelrecht _schmollte_. Doch bevor der Ire eine Entscheidung traf, wurde ihm diese auch schon von Nagi abgenommen, als ihr Jüngster kurzerhand beide hochhob und auf die Beine stellte, ohne einen Finger dafür rühren zu müssen. Woraufhin Ran sich den Schnee abklopfte und dann keinen Grund mehr hatte, mit den Neuigkeiten hinterm Berg zu halten. ~TBC~ Kapitel 17: "Wir haben es doch nicht so sehr mit Traditionen, nicht wahr?" -------------------------------------------------------------------------- "Ehrlich gesagt habe ich die ganze Zeit erwartet, dass sich dieser Ausflug als Aprilscherz herausstellt." Schuldigs erste Worte, nachdem sie das Flugzeug verlassen hatten. Vielleicht waren diese Zweifel ja der Grund dafür gewesen, dass der Telepath während der Reise so ungewohnt ruhig geblieben war… Das Amüsement zeigte sich nur in den braunen Augen, als er seine Mundwinkel davon abhielt, nach oben zu kurven. "Wir haben Weihnachten", gab er trocken zurück. Woraufhin Schuldig nonchalant mit den Schultern zuckte. "Wir haben es doch nicht so sehr mit Traditionen, nicht wahr?" Was auch wieder wahr war. Dieses Mal war da ein winziges Lächeln. "Das ist für uns vielleicht ganz richtig, allerdings glaube ich nicht, dass Ran das genauso sieht", schränkte er dann ein. Ihn traf ein intensiver Blick aus grünen Augen. "Und ihn willst du natürlich nicht enttäuschen, was?" Wenn in den Worten alte Verbitterung enthalten war, dann in so geringem Umfang, dass man nichts heraushörte. Er stoppte für einen Moment und erwiderte Schuldigs Blick ausdruckslos. "Natürlich", stimmte er ihm ruhig zu. Nicht, um Schuldig zu ärgern, sondern weil es so war. Die Gesichtsmuskulatur des Jüngeren arbeitete, als dieser für einen Moment die Zähne zusammenbiss, doch der Rückfall in die schlechten alten Zeiten wurde rasch überwunden und es folgte ein Grinsen, das nur etwas schief ausfiel. "Nun, jedenfalls bin ich gespannt, wie du so aufgewachsen bist. Ich kann mich vage erinnern, dass du aus einer Familie mit Geld kommst, nicht wahr?" "Und was genau soll daran so interessant sein?" "Na ich wollte schon immer mal so ein richtig großes Anwesen sehen." Das Grinsen wurde breiter, als Schuldig gleichzeitig die Arme ausbreitete. Er stieß ein leises Schnauben aus. "Nimmst du tatsächlich an, dass wir so einfach dort auftauchen können?" "Es könnte ja klappen", kam es unbeeindruckt zurück. Dann verengten sich die grünen Augen. "Schließlich sollte es in der Familie geblieben sein, nicht wahr? Oder hast du nicht vor, alte Bekannte wiederzutreffen?" Ah, Schuldig hatte wohl ein bisschen bei Ran spioniert, denn er bezweifelte, dass der Rothaarige von sich aus etwas gesagt hatte. "Wärst du denn daran interessiert?" Das war ein Schuss unter die Gürtellinie, wie ihm sehr wohl bewusst war, doch im Moment wollte er nicht zugeben, dass er sich immer noch nicht entschieden hatte. Die Ablenkung funktionierte und Hände ballten sich zu Fäusten. "Du weißt ganz genau, dass es bei mir niemanden gibt, mit dem ich in Kontakt treten könnte. Ganz davon abgesehen, hätte ich auch keinerlei Grund, so etwas zu tun!", wurde zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorgezischt. Und dann war auch schon Farfarello heran, dem der Aufruhr nicht entgangen war und der daher Ran für den Augenblick stehen ließ, wo dieser nach ihrem Gepäck Ausschau hielt. "Schuldig." Eine Hand schloss sich fordernd und viel zu fest um den Unterarm des Orangehaarigen. Mehr war nicht erforderlich. Der Telepath vergaß seinen Unmut und wandte sich dessen Freund zu. "Hey, ich brauche keine blauen Flecken." Farfarello bleckte die Zähne, zufrieden damit, Schuldigs Aufmerksamkeit zu haben. "Es ist doch die Zeit, alles zu schmücken…" Schuldig verdrehte in Reaktion darauf die Augen. "Klar doch. Aber ich bin kein Weihnachtsbaum." Eine kurze Pause. "Und solltest du im Zusammenhang mit diesem Fest nicht sowieso darauf verzichten, irgendwelchen Traditionen zu folgen?" Urplötzlich war Farfarello ganz nah an Schuldig dran, löste zwar den Griff, dafür gruben sich dessen Zähne aber in Schuldigs Hals. So schnell, dass es niemandem auffiel. "Diese Tradition hat sowieso nichts mehr mit Ihm zu tun", wurde anschließend erklärt. Der Blick des Orangehaarigen fiel etwas glasig aus und Schuldig schien Schwierigkeiten zu haben, Worte zu formen. Weswegen er sich letztendlich auf ein abgehacktes Nicken beschränkte. Farfarello schien damit zufrieden und jetzt war er es, der sich dem bernsteinfarbenen Auge ausgesetzt sah. Anscheinend dachte der Ire darüber nach, ob noch weitere Maßnahmen durch ihn erforderlich waren, doch als der Blick des Jüngeren als nächsten an ihm vorbeiging, war die Entscheidung gefallen. Und er musste keine Racheaktionen befürchten. Er wandte sich ebenfalls Ran zu, dem die Zeit wohl zu lang geworden war, vor allem, da das Gepäcklaufband sich immer noch nicht rührte. Jedenfalls kam der Rothaarige geradewegs auf ihn zu und gleich darauf berührte eine Hand flüchtig die seine. Rans Worte waren jedoch an Farfarello gerichtet. "Du warst so plötzlich verschwunden. Ist etwas passiert?" Der Ire sah ganz so aus, als würde er sich gerne wieder an Ran hängen, doch in diesem Fall ging Schuldig vor. Weswegen der Rothaarige lediglich ein Grinsen statt Gesellschaft erhielt. "Nichts weiter. Crawford hatte bloß beschlossen, Schuldig zu ärgern. Und ich habe ihn daran erinnert, dass er sich nicht ärgern lassen muss." Bei dieser Auskunft lachte Ran überrascht auf, bevor dieser sowohl ihn als auch Schuldig musterte. Schließlich erschien ein feines Lächeln. "Ich will mal davon ausgehen, dass die Schuld nicht allein bei Crawford zu suchen ist." Das brachte ihm ein Schulterzucken ein, da Farfarello nicht ernsthaft widersprechen konnte. Schuldig hingegen verzog das Gesicht, beschloss dann anscheinend, das Thema endgültig hinter sich zu lassen. Was sich darin äußerte, dass er nun seinerseits nach Farfarellos Arm griff und den Iren mit sich zog. Sie beide verfolgten, wie Schuldig mit Farfarello im Schlepptau in Richtung Ausgang strebte und damit das Gepäck ihnen – und Nagi – überließ. "Du lässt dich doch normalerweise nicht auf Streitigkeiten mit Schuldig ein…" Leise, während die violetten Augen ihn wieder musterten. Dem folgte ein weiteres Lächeln, als der Jüngere irgendwie ohne jede Erklärung verstand. "Eigentlich kann es dir doch egal sein, oder? Wenn du jemanden wiedertriffst, dann musst du kein Urteil fürchten. Schließlich willst du nicht in dein altes Leben zurückkehren." Ran hatte damit vollkommen Recht und er selbst hatte sich das auch schon gesagt, doch diesen Hauch von Unsicherheit wurde er einfach nicht los. Er hatte sich damals nicht nur von diesem alten Leben verabschiedet, sondern auch von der Person, die er bis dahin gewesen war. Die Aussicht, dass jemand diese Person in ihm zu sehen versuchte, gefiel ihm nicht besonders. Und auf der anderen Seite hatte er sich wohl doch nicht völlig von seiner Vergangenheit gelöst, denn ein Teil von ihm wollte wissen, wie es Kathy und Stan ergangen war. Schließlich rang er sich ebenfalls ein Lächeln ab. "Ich fürchte es nicht. Ich mag es nur nicht, dass ich so gar nicht beeinflussen kann, wie dieser Ausflug ausgehen wird." Ein Zwinkern war die erste Reaktion darauf, bevor ein Leuchten in die violetten Augen trat. "Ich bin mir sicher, dass dir niemand die Kontrolle nehmen wird, egal, was letztendlich passiert." Ohne den geringsten Anflug eines Zweifels, gefolgt von einem Beinahe-Grinsen. "Aber der ganzen Sache aus dem Weg gehen wolltest du wohl nicht, was?" Davonlaufen? Ganz bestimmt nicht. Ein schmales Lächeln bahnte sich seinen Weg und sich ihrer Umgebung sehr bewusst, streckte er lediglich eine Hand aus, um strafend an einer roten Strähne zu ziehen. "Jetzt fängst du auch noch an…" Aber innerlich half es ein wenig, das klar ausgesprochen zu hören. Und mit mehr Ruhe ließ er die Zukunft auf sich zukommen. Zufrieden mit diesem Ergebnis berührte Ran wieder für einen Moment sein Handgelenk, dann begaben sie sich beide zu Nagi, der als Einziger pflichtbewusst beim Gepäckband verharrt und inzwischen auch schon einen ersten Koffer neben sich stehen hatte. Der Rest war schnell eingesammelt und dank Nagis unsichtbarer Unterstützung gelang der Transport problemlos, bis sie zum Rest ihrer Gruppe aufgeschlossen hatten. Schuldig wartete mit irgendeinem Fast Food in der Hand, wozu er nichts sagte, da der Orangehaarige deswegen zumindest bessere Laune zu haben schien. Farfarello hingegen hatte sich nicht verleiten lassen – der Ire ernährte sich in der Regel ausgesprochen gesund – sondern beobachtete interessiert eine Maschine, die unermüdlich irgendeine unidentifizierbare Masse umrührte. Ran ließ das Gepäck für einen Moment stehen und trat neben den Gleichaltrigen, sichtlich belustigt. "Ich glaube, so etwas wird Schuldig dir nicht kaufen. Der Mixer muss reichen." Der Telepath, der zugehört hatte, stieß ein Schnauben aus. "Wo sollte er so ein Monster auch hinstellen. Komm also gar nicht erst auf dumme Ideen!" Letzteres an Farfarello gerichtet. An dieser Stelle schien Nagi die Geduld auszugehen, denn ihr Jüngster ließ eine Tasche geradewegs auf Schuldigs Füße fallen. Und dessen Gesichtsausdruck nach zu urteilen verlieh er ihr auch noch mehr Gewicht als sie ohnehin schon hatte. "Genug um die Arbeit gedrückt. Ab jetzt kümmerst du dich um dein Zeug alleine. Ich bin nicht dein Packesel." Schuldig wusste es besser als sich mit Nagi anzulegen und die einzige Beschwerde über die Behandlung blieb ein schiefer Blick. Der Rest des Burgers verschwand mit wenigen Bissen in Schuldigs Magen und endlich konnten sie sich auf den Weg machen. Dieses Mal wartete kein Wagen auf sie, aber auf zwei Taxis verteilt fühlte sich der Weg zum Hotel gar nicht lang an. Schuldig sah direkt beeindruckt aus, als sie ihr Ziel erreichten. "Das ist ja ein richtiges Luxus-Domizil. Es sieht ganz so aus, als meintest du es ernst mit dem Urlaub." Im nächsten Moment richteten sich grüne Augen auf Ran, der überrascht erstarrte. Schuldig grinste jedoch nur breit. "Wir hätten dich wirklich eher aufgabeln sollen, vielleicht hätte Crawford dann früher einen Urlaub springen lassen." Der Rothaarige zwinkerte, suchte dann fragend seinen Blick. "Ihr habt wirklich noch _nie_ Urlaub gemacht?" Ran schien sich das gar nicht vorstellen zu können. Eine Reaktion, die ihm ein belustigtes Lächeln entlockte. "Nun, wir hatten natürlich auch freie Tage. Aber ich muss zugeben, dass wir nicht weggefahren sind." Denn so etwas taten Teams einfach nicht. Sie waren Arbeitskollegen, keine Freunde. Und schon gar keine Familie. Auch wenn Schwarz immer etwas aus dem Rahmen gefallen war. Eine Entwicklung, die sich weiter fortgesetzt hatte – und jetzt… fanden sie sich zusammen hier wieder. Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Schließlich hatten sie alle nach Freiheit gestrebt, ohne sie letztendlich zu erreichen. Und gleichzeitig waren sie jetzt dem sogenannten normalen Leben näher als je zuvor. Ran schien sich an das zu erinnern, was er ihm über ihre Ausbildung, ihren Job erzählt hatte und die Überraschung wich Verstehen. "Dann wird es wirklich höchste Zeit, nicht wahr?", kam es anschließend beinahe unbekümmert. Der Telepath griff diese Emotion gerne auf und grinste wieder, marschierte dann ohne weitere Verzögerungen auf den Eingang zu, der bereits vom Portier geöffnet wurde. "Setzt euch in Bewegung, sonst friert ihr hier draußen noch fest!" Eine Bemerkung, mit der Schuldig gar nicht so Unrecht hatte, der Wind umwehte sie tatsächlich mit eisiger Hartnäckigkeit und so folgten sie dem Orangehaarigen gerne. Nur Nagi schien von dem Wetter völlig unberührt, wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr Gepäck wurde von herbeieilendem Personal aufgenommen und an der Rezeption wurden sie nicht nur mit einem freundlichen Lächeln, sondern auch gleich mit Getränken empfangen. Schuldig schaffte es natürlich problemlos, alles anzunehmen, als wäre er nichts anderes gewohnt, Ran hingegen schien etwas peinlich berührte, lehnte höflich ab und machte sich so gut es ging unsichtbar. Mit ihren Zutrittskarten ausgestattet wurden sie zu ihren Zimmern geführt und erhielten noch eine kurze Einweisung, bevor sie schließlich sich selbst überlassen wurden. Schuldig hatte nichts bessers zu tun als hörbar auszuatmen. "Mensch, so wie die einen behandeln, fühlt man sich ja gleich etwas minderbemittelt. Wenn reiche Leute so etwas brauchen, will ich es gar nicht sein." Bei diesen Worten wurde er nicht besonders unauffällig beäugt. "Du musst gleich wieder übertreiben", gab er mit einem Kopfschütteln zurück. "Das Hotel will für das Geld, das sie nehmen, einfach einen entsprechenden Service bieten." "Na wenn du das sagst, muss es ja stimmen…" Gedehnt, bevor Schuldig die Hände hinterm Kopf verschränkte. "Ich werde jedenfalls erstmal die Kaffeemaschine ausprobieren, die hatten da einige interessant aussehende Pads herumliegen." Doch bevor der Orangehaarige seine Worte in die Tat umsetzte, suchte dessen Blick dieses Mal nach ihrem Jüngsten. "Aber sag mal, willst du Nagi-chan tatsächlich ganz allein lassen?" "Tu nicht so, als wäre ich ein kleines Kind", gab Nagi missmutig zurück, die Arme vor der Brust verschränkend. "Außerdem bin ich ganz sicher nicht dumm genug, mit euch ein Zimmer zu teilen." Und Ran und ihn wollte Nagi nicht stören. Ein Mundwinkel wollte nach oben kurven, aber er wurde von Schuldigs plötzlicher Bewegung abgelenkt. Der Orangehaarige endete hinter dem Telekineten und schlang beide Arme um ihn. "Aber Nagi, jemand muss doch aufpassen, dass du dich nicht die ganze Zeit im Zimmer vergräbst. Das wäre schließlich kein Urlaub." Und dann erinnerte Schuldig sie daran, dass er nicht nur ein Telepath war. Nagi hätte den Älteren problemlos abschütteln können, wenn er es gewollte hätte, doch in diesem Moment hatte der Telekinet vergessen, dass er solche Nähe nicht mochte, sank mit einem leisen Seufzen gegen Schuldig. An ihm selbst prallte der empathische Einfluss natürlich ab, aber Rans Reaktion zeigte ihm, dass Schuldig nicht nur Nagi beeinflusste. Was die Rückkopplung natürlich nur noch stärker machte. Seine Hand stützte den Rothaarigen, als der zu schwanken begann, aber trotzdem erlaubte er Schuldig für ein paar lange Sekunden fortzufahren. Dann jedoch reichte eine flüchtige Berührung bloßer Haut, um den Kreislauf zu unterbrechen und Schuldig schnappte hörbar nach Luft, während Nagi abrupt auf Abstand ging. ~TBC~ Kapitel 18: "Er hat positive Schwingungen verbreitet" ----------------------------------------------------- "Mach das nicht noch einmal!", wurde Schuldig kühl aufgefordert, während Nagi glättend durch seine Haare fuhr, ohne dass das nötig gewesen wäre. Der Orangehaarige brauchte einen Moment, um ganz zu sich zurückzufinden, grinste dann aber unbeeindruckt. "Du weißt, dass dein Protest reichlich spät kommt?" Eine gewisse Anzüglichkeit lag in den Worten, doch eher aus Gewohnheit. Der Telepath war nicht wirklich bei der Sache, wie die zu ihm herüberhuschenden grünen Augen verrieten. Er schenkte ihm lediglich ein schmales Lächeln. Schuldig sollte sich keine Hoffnungen machen, dass er ihm mehr Kontakt gestatten würde. Der Jüngere verstand die Botschaft problemlos, wandte sich abrupt wieder Nagi zu, der die Augen zusammengekniffen hatte und gar nicht amüsiert aussah. "Ich werde dich nicht noch einmal warnen." Dann schnappte sich der Telekinet sein Gepäck und wollte offensichtlich in sein Zimmer verschwinden. Wobei Schuldig sich ihm wagemutig in den Weg stellte. "Aber es bleibt dabei, dass du dich nicht nur aufs Zimmer verkriechen sollst. Ich werde sehen, was man hier so machen kann und dich dann nachher abholen." Nagi sagte nichts dazu und schob sich an Schuldig vorbei. Der das zuließ, denn dem Orangehaarigen war so wie auch ihm klar, dass keine Worte eben auch keine Ablehnung bedeuteten. Triumph stand in Schuldigs Blick, als der sich nun wieder ihm zuwandte. "Also dann, großer Meister. Ich melde mich natürlich auch bei euch. Bitte zwischenzeitlich keine andere Beschäftigung suchen." Letzteres sichtlich an Ran gerichtet, der immer noch sehr nah bei ihm stand. Doch die Anspielung war an Ran verschwendet, denn als Talentloser brauchte er am längsten, um Schuldigs Einfluss von zuvor abzuschütteln. Was dem Telepathen in diesem Moment auch klar wurde und nach einem kurzen Verdrehen der Augen verschwand Schuldig zusammen mit Farfarello. Womit er sich endlich um Ran kümmern konnte. Langsam wandte er sich zu ihm um, legte beide Hände auf die Schultern des Jüngeren. "Alles in Ordnung bei dir?" "Mhm…", kam ein bejahendes Summen, während immer noch ein abwesendes Lächeln auf Rans Gesicht lag. Belustigung ließ seine Mundwinkel nach oben kurven, bevor er seine rechte Hand weiter hob und sie an Rans Wange legte. Nun trat doch etwas mehr Aufmerksamkeit in die violetten Augen und den Rest erledigte der Kuss. Ran hatte sich gegen ihn gelehnt und zufrieden beide Arme um ihn geschlungen. "Was hatte Schuldig eigentlich getan?", wurde gegen sein Hemd gesprochen. "Nun, wenn ich es ganz profan ausdrücken soll: er hat positive Schwingungen verbreitet." Der Jüngere verschluckte sich beinahe an einem Auflachen und Rans Körper vibrierte gegen seinen. "Es hat sich gut angefühlt", wurde schließlich zugegeben, nachdem Ran sich wieder unter Kontrolle hatte. "Das war ja auch Ziel des Ganzen. Schuldig scheint dem Urlaub wirklich viel abzugewinnen und will die Freude teilen." Er musste zugeben, davon etwas überrascht worden zu sein, schließlich ging Schuldigs Spaß normalerweise auf Kosten anderer Leute. Aber er hatte ganz sicher nicht vor, sich über diesen Punkt zu beschweren. Allerdings… "Ganz davon abgesehen war es eine Gelegenheit, einen Punkt gegen Nagi zu erzielen, ohne zur Strafe hinterher seine Sachen von der Decke klauben zu müssen." Dieses Lächeln konnte er deutlich spüren. "Ja, Nagi mochte es auch." Dann löste sich Ran von ihm, suchte seinen Blick. "Meinst du, wir können essen gehen?" "Du befürchtest, Schuldig könnte zwischendurch auftauchen und vor einer verschlossenen Tür stehen?", stellte er eine amüsierte Gegenfrage. Was ihm ein Schulterzucken einbrachte. "Möglich wäre es. Und ich möchte nicht, dass er anfängt, seinen möglichen Unmut an anderen Hotelgästen auszulassen." Weniger, weil sich Ran Sorgen um diese Gäste machte, las er aus dem etwas schief geratenen Lächeln heraus. Vielmehr freute dieser sich nicht minder über diesen Urlaub und wollte keine Unruhe hineinbringen. "Die Anderen werden sicher auch Hunger haben. Wir werden sie einfach fragen, ob sie mitkommen und damit wäre dieses Problem gelöst." Er legte eine Kunstpause ein. "Es sei denn, du wolltest mit mir alleine essen gehen…" Eine Hand schloss sich um sein Handgelenk, eine vollkommen unbewusste Geste, während Ran auf seiner Unterlippe kaute. "Wenn du nichts dagegen hast?", kam es schließlich leise. "Ran…" Beinahe mit einem Seufzen. Der Rothaarige konnte diese Unsicherheit einfach nicht ablegen, obwohl er keinerlei Grund dafür hatte. Prompt hielt Röte in den Wangen des Jüngeren Einzug, denn dem es fiel nicht schwer zu deuten, was genau seine Reaktion zu bedeuten hatte. Und die Hand, die ihn immer noch hielt, schloss sich etwas fester. Dem folgte Entschlossenheit, als Ran seine Unsicherheit überwand und dieses Mal ging der Kuss von dem Japaner aus. Zufrieden damit zog er ihn wieder enger an sich heran, begann ihn dann zu einem der Betten zu drängen, ohne dass sie sich dafür trennen mussten. "Ihr wolltet mich schmählich im Stich lassen, oder was? Gibt's nicht! Ich habe den Flyer durchgesehen und das Hotel hier hat nicht nur einen simplen Pool, sondern eine ganze Badelandschaft. Und Ausreden gibt's auch nicht, denn einen Laden gibt es unten, wo wir uns Badehosen besorgen können." Rans Augen hatten sich geweitet, als Schuldig sich plötzlich vor ihnen aufbaute und ihnen den Weg versperrte, um in eine regelrechte Tirade auszubrechen. Und als Schuldig schließlich innehielt, um Luft zu holen, brach Ran in ein hilfloses Lachen aus. Sich um seine Mitte krümmend, hielt ihn nur noch Farfarello aufrecht, der nicht minder schnell als Schuldig gewesen war und mit einem Grinsen beide Arme um den Gleichaltrigen geschlungen hatte. "Jetzt hast du ihn kaputt gemacht." Die Beschwerde war nicht wirklich ernst gemeint und Ran lachte noch lauter, stand jetzt aber wenigstens wieder gerade. Farfarello grinste flüchtig, stützte das Kinn dann auf Rans Schulter ab und musterte von dort aus dessen Freund. "Übrigens glaube ich nicht, dass sie abhauen wollten. Immerhin sieht es ganz so aus, als wollten sie gerade zu uns", folgte eine unerwartet sachliche Feststellung, dafür, dass sie von dem Iren kam. Schuldig wirkte für einen Moment verblüfft, überwand dies aber rasch mit einem Schulterzucken. "Es hat ja nicht geschadet. Außerdem…" Die grünen Augen wurden zusammengekniffen und richteten sich auf ihn. Er hob ruhig eine Augenbraue. "Wie Farfarello ganz richtig festgestellt hat, hatten wir nicht vor, uns davonzuschleichen. Wir wollten lediglich essen gehen, schließlich ist es schon Mittag vorbei. Und dir vorher Bescheid geben." Seine Antwort brachte ihm erst Misstrauen und dann ein knappes Nicken ein. "Also gut. Aber wir essen hier im Restaurant." Womit sich die beiden ihnen wohl offiziell angeschlossen hatten. Er suchte nach Rans Blick und stellte eine stumme Frage, erhielt ein ebenso stummes Lächeln zurück. Anscheinend war es dem Rothaarigen inzwischen nicht mehr ganz so wichtig, mit ihm allein essen zu gehen. Also blieb nur noch, Nagi einzusammeln. Der Braunhaarige öffnete auf sein Klopfen hin, musterte die Versammlung vor seiner Tür. "Soll das heißen, Schuldig hat etwas gefunden, wohin er uns mitschleifen will?" Prompt verschränkte der Orangehaarige die Arme vor der Brust. "Red nicht so, als würde ich nicht direkt vor dir stehen. Außerdem geht es erstmal darum, uns die Mägen zu füllen." Nagi ließ sich nicht so einfach ablenken. "Erstmal?" "Jupp, und danach gehen wir schwimmen." Mit einem breiten Grinsen. Die Auskunft wurde mit einem Zwinkern aufgenommen, offenbar war das etwas, das Nagi nicht erwartet hatte. "Schwimmen", wurde tonlos wiederholt. "Mitten im Winter." "Dafür aber auch mitten im Hotel", grinste Schuldig immer noch. "Okay, die Mitte ist es nicht. Vielmehr ist es ganz oben. Dafür aber schön mit Glas überdacht." Nagi stieß ein tiefes Seufzen aus, sackte gleichzeitig etwas in sich zusammen. Und Schuldig wusste – so wie sie alle – dass Schuldig gewonnen hatte. "Du trauerst bereits deinem Laptop nach, nicht wahr?", wandte er sich amüsiert an ihren Jüngsten, der einen Liegestuhl neben ihm gefunden hatte und sich bisher eisern weigerte, ins Wasser zu gehen. Nagi quittierte seine Frage mit einem unwirschen Blick. "Damit könnte ich wenigstens etwas Sinnvolles machen", wurde dann erwidert. "Nun, Urlaub ist nicht unbedingt dafür gedacht, ihn mit etwas Sinnvollem zu verbringen." Er tat so, als müsste er über etwas nachdenken und legte seine Stirn gekonnt in Falten. "Mir ist so, als wäre sogar eher das Gegenteil der Fall. Es hat etwas mit Erholung oder so zu tun. Habe ich jedenfalls gehört." Der Jüngere schwieg zunächst ungläubig, bevor ihm ein widerwillig belustigtes Schnauben entkam. "Mir war nicht bewusst, dass du unter die Komiker gegangen bist, Crawford." Unwillkürlich streckte er eine Hand aus und wuschelte durch den braunen Haarschopf. Eine Geste, die er sich nicht häufig erlaubte, doch heute ließ Nagi sie sich gefallen. "Willst du nicht doch schwimmen gehen? Die anderen scheinen ihren Spaß zu haben." Sie beide blickten zu dem großen Becken hin, das aktuell durch große Wellen aufgewühlt wurde. Ran und Farfarello schwammen dagegen an, anscheinend in einen Wettkampf verwickelt, während Schuldig seiner Natur treu bleibend versuchte, sie zu sabotieren. Er sah genauer hin. Indem der Orangehaarige sie anscheinend mit Plastikbällen bombardierte, wo auch immer er die herhatte. "Garantiert aus dem Kinderbecken." Nagi hatte seinem Gedankengang folgen können, ohne dass er ausgesprochen werden musste und schien von Schuldigs Improvisationstalent nicht besonders beeindruckt. Ein Lächeln flog über sein Gesicht, als ihm ein Gedanke kam. "Hm, anzunehmen. Und ich denke, es würde nicht schaden, wenn du ihn etwas im Zaum hältst. Die Aufsicht scheint von Schuldigs Unsinn nicht besonders angetan." Für zwei, drei Sekunden richteten sich die dunkelblauen Augen auf ihn, doch als er das Misstrauen in ihnen mühelos an sich abgleiten ließ, nickte Nagi schließlich knapp. Vielleicht immer noch nicht völlig von seiner Aufrichtigkeit überzeugt, doch genauso wusste der Telekinet, dass er mit seiner Warnung vollkommen Recht hatte. Weswegen sich Nagi mit einer etwas sauren Miene auf den Weg machte, um Schuldig davon zu überzeugen, sich eine neue Beschäftigung zu suchen. Die einfachste Lösung wäre natürlich gewesen, sein Talent einzusetzen, doch es hätte schnell jemandem auffallen können, falls die Bälle plötzlich begonnen hätten, sich etwas… erratisch zu verhalten. Zufrieden mit sich selbst lehnte er sich wieder zurück und griff nach seiner Zeitung. Denn wenn ihr Jüngster erst einmal bei den anderen war, würden die ihn nicht so schnell wieder ziehen lassen. "Ich gratuliere", klang auf einmal eine belustigte Stimme neben ihm auf und auch wenn er es nicht zugeben würde, war er überrascht. Es zeigte sich natürlich nicht in seiner Reaktion, als er langsam die Zeitung wieder senkte und aufsah, um der Stimme ein Gesicht zuzuordnen. Fragend hob er eine Augenbraue, während er den Anblick des anderen Mannes in sich aufnahm. Älter als er selbst, anscheinend sogar älter als Schneider, doch… er wirkte nicht alt. Nicht mit dieser Haltung. Denn so entspannt sie auf den ersten Blick wirkte, so trügerisch war dieser Eindruck. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er darauf getippt, ein Talent vor sich zu haben. Doch auch wenn Schuldig anderweitig beschäftigt war, so behielt der Telepath stets ihre Umgebung im Auge und hatte den Mann bereits gecheckt und sein Okay gegeben. Dem Anderen schien seine Musterung nichts auszumachen und die stumme Frage wurde mit einem belustigten Funkeln in den grau-grünen Augen beantwortet. "Wie Sie Ihren Jungen zum Spielen geschickt haben, meine ich." Und das begleitende Lächeln enthielt all die Untertöne, die ihm verrieten, dass der Ältere viel mehr verstand, als ihm als Außenstehenden eigentlich hätte möglich sein sollen. Mehr noch, da er sich mit Nagi auf Japanisch unterhalten hatte. Aber angesprochen worden war er in seiner Muttersprache… Mit einem innerlichen Kopfschütteln schob er sein berufsbedingtes Misstrauen für den Moment beiseite. Es brachte nun wirklich nichts, paranoid zu werden. Vor allem nicht wegen eines Talentlosen. Es war recht einfach, ein erwiderndes Lächeln aufzusetzen. "Nun, es war erforderlich. Ohne etwas Überzeugungskraft ist er viel zu sehr ein Stubenhocker." Seine Antwort wurde als Anlass genommen, auf der freigewordenen Liege Platz zu nehmen. Die Arme wurden auf den Knien abgestützt und das Kinn ruhte gleich darauf auf den gefalteten Händen. Einen seltsamen Augenblick lang hatte er das Gefühl, dass der Andere neugierig war, doch einen Herzschlag später war nicht mehr als freundliche Neutralität zu erkennen. "Ich kann nicht behaupten, dass ich dieses Problem kenne, jedenfalls nicht mit Kindern… Doch einer meiner Mitarbeiter scheint das Wort Freizeit auch nicht besonders ernst zu nehmen. Liegt vielleicht an der Herkunft, er ist auch Japaner. Auch wenn man normalerweise nichts auf solche kulturellen Clichés geben soll, nicht wahr?" Er neigte zustimmend den Kopf. "Können Sie daher Japanisch?", erkundigte er sich dann. Normalerweise hielt er nicht viel davon, sich auf sinnlose Unterhaltungen einzulassen, doch er hatte eindeutig jemanden vor sich, der die Zeit wert war. Unternehmer und erfolgreich dabei, wie dessen Aufzug verriet, gebildet, selbstbewusst und auch noch im Training stehend. Man lief solchen Leuten nicht häufig über den Weg. Amüsement lag in dem Kopfschütteln des Älteren. "Ich habe ein paar geschäftliche Interessen dort, das war der Grund, die Grundlagen zu lernen. Aber ich muss zugeben, dass meine Kenntnisse dank meines Mitarbeiters vertieft worden sind. Allerdings benötige ich hier eher selten Japanisch, weswegen ich überrascht war, als ich Ihre Unterhaltung hörte. Was der Grund war, warum ich Sie so einfach angesprochen habe. Bitte entschuldigen Sie die Störung." Dieses Mal war es an ihm, den Kopf zu schütteln. "Sie haben nicht gestört", erwiderte er vollkommen aufrichtig. Und suchte unwillkürlich nach etwas, um die Unterhaltung fortzusetzen, als sich der Andere jetzt wieder erhob. "Machen Sie hier Urlaub?" Wieder erhielt er ein Lächeln. "Nein, leider nicht. Ich bin hier, um hoffentlich einen künftigen Geschäftspartner zu treffen. Aber es ist meine Gewohnheit, mir trotzdem anzusehen, was ein Hotel so zu bieten hat." Er nickte verstehend. Vielleicht ein wenig enttäuscht, aber das war ihm in diesem Moment gar nicht bewusst. "Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Vorhaben." Eine Verbeugung wurde angedeutet. "Vielen Dank. Und ich wünsche Ihnen gute Erholung." Erst als der Mann bereits verschwunden war, fiel ihm auf, dass dieser sich nicht vorgestellt hatte. ~TBC~ Kapitel 19: "Der Knabe sieht ja aus wie eine Mini-Version von dir!" ------------------------------------------------------------------- "Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich mitgekommen bin…" Das Grummeln kam von Nagi, der sich in der Rolle des Unbegeisterten zu gefallen schien. Seine Mundwinkel zuckten flüchtig nach oben. "Niemand hat dich gezwungen", machte er Nagi aufmerksam. "Gruppenzwang ist auch Zwang." Amüsement trat in braune Augen. "Das Argument glaubst du doch selbst nicht." Er legte eine kurze Kunstpause ein. "Übrigens scheinst du mir gesprächiger seit Start unseres Urlaubs – auch wenn es in der Regel nur ist, um sich zu beschweren." Das brachte ihm einen bösen Blick ein, doch er machte er sich nichts daraus. Es war direkt erfrischend, den sonst so ernsthaften Japaner mal aus der Rolle fallen zu sehen. Er stufte es als Zeichen ein, dass Nagi sich tatsächlich entspannte. Auf welche Weise sich das letztendlich äußerte, war ihm nun wirklich egal. Sein Blick schweifte weiter, zum Rest der Gruppe und die Belustigung vertiefte sich prompt. Natürlich, Schuldig war es mal wieder, der sich am Auffälligsten verhielt. Kein Shop den sie passierten, ließ der Orangehaarige aus, überall musste erkundet werden, was genau es zu kaufen gab. Aber gleichzeitig war Schuldig stets auf dem Sprung, ohne sich darum zu scheren, dass er immer wieder andere Einkaufslustige anrempelte. Als wäre seine Aufmerksamkeit bemerkt worden, kehrte der Orangehaarige für den Moment an seine Seite zurück. "Ihr Amis seid echt wahnsinnig. Ihr quetscht ja alle Läden hier zusammen. Was wird da aus den Innenstädten?" Nun, er hatte sich damals gefragt, was Schuldig zu der Erfahrung einer echten amerikanischen Shopping Mall sagen würde. Jetzt wusste er es… "Die wirst du hier nicht so finden, wie du es in Deutschland kennengelernt hast. Die Vorortsiedlungen haben normalerweise keinen richtigen Ortskern." "Ja, aber-" Schuldig unterbrach sich selbst und dessen Kopf bewegte sich langsam nach hinten, als sie eine grelle Reklame passierten. "Sag mal, habe ich das richtig gesehen, die haben sogar ein Kino hier drin?" "Und wahrscheinlich noch mehr. Und das ist noch gar nichts zur meistbesuchten Mall in Amerika. Dort gibt es sogar einen Vergnügungspark." Grüne Augen weiteten sich erst, wurden dann zusammengekniffen. "Du verarschst mich doch." Wieder huschte ein amüsiertes Lächeln über seine Lippen. "Wenn du mir nicht glaubst, lass dir von Nagi die entsprechenden Informationen heraussuchen." Der Telekinet wurde prompt beäugt, doch auf dessen abweisende Miene hin schüttelte Schuldig den Kopf. "Das lass ich mal lieber. Nagi-chan scheint jede Minute Urlaub gebrauchen zu können, die er abbekommt." Laut genug, um gehört – und ignoriert – zu werden. "Du solltest ihn besser nicht ärgern", ermahnte er Schuldig und meinte das nicht nur als Scherz. Doch da Mahnungen bei dem Orangehaarigen sowieso selten halfen, versuchte er es gleich anschließend mit Ablenkung. "Und möchtest du die Zeit hier nicht nutzen und nach ein paar Sachen für dich Ausschau halten?" Beinahe wäre Schuldig eine leichtfertige Antwort herausgerutscht, ohne Überlegung, dann jedoch stoppte der Jüngere abrupt und wieder fand er sich einem taxierenden Blick ausgesetzt. "Sag mal, soll das schon wieder so eine Anspielung sein?" Anscheinend war er nicht der Einzige, der an ihren damaligen Ausflug nach München zurückdenken musste. Er stritt natürlich alles ab, ohne seine Belustigung zu verbergen. Und gab damit die tatsächliche Antwort. Schuldig hatte dafür nur einen schiefen Blick übrig, sparte sich aber eine darüber hinaus gehende Beschwerde. "Jetzt aber mal ernsthaft. Willst du tatsächlich nur Window Shopping betreiben? Farfarello und Ran scheinen etwas begeisterter bei der Sache zu sein." Der Ire überraschenderweise mehr noch als Ran, doch der junge Japaner ließ sich bereitwillig mitziehen. "Mir sind einfach zu viele Leute hier. Die scheinen alle in letzter Minute noch Weihnachtsgeschenke kaufen zu wollen. Da kann man sich auf gar nichts richtig konzentrieren." Dies schien ernst gemeint. Und die Formulierung deutete darauf hin, dass es nicht unbedingt die physische Anwesenheit der ganzen Leute um sie herum war, die Schuldig störte. Dann wiederum… war die allein auch schon ablenkend genug, wie ihm in diesem Moment mal wieder bewiesen wurde, als jemand geradewegs in ihn hineinrannte. Das Gewicht hatte mehr Geschwindigkeit als Masse hinter sich, ein Kind noch, schwer zu entscheiden, ob der Junge bereits im Schulalter war. Doch diese Überlegung war es nicht, die ihn erstarren ließ. "Brad! Bradley, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht einfach davonlaufen darfst!" Die echauffierte Stimme, der Mutter offensichtlich, schnitt durch die Menge und durch seine erste sprachlose Reaktion. Doch sein Zusammenzucken, als er zum ersten Mal seit einer Ewigkeit seinen Namen hörte, auch wenn er nicht auf ihn gemünzt war, war noch schlimmer. Schuldig bemerkte nichts davon, war zu sehr auf den Jungen fixiert, der seinerseits den Deutschen anstarrte, unbekümmert der Tatsache, dass er sich unverändert an seinem Mantel festhielt. Nein, der Junge sah ihn nicht an und trotzdem konnte er dessen Gesicht gut erkennen. Zu gut. Etwas arbeitete in ihm, vielleicht Worte, die sich einfach nicht formen wollten. Und dann wurden sie auch schon durch Schuldig ausgesprochen, nachdem dieser überrascht aufgelacht hatte. "Siehst du das, Crawford? Der Knabe sieht ja aus wie eine Mini-Version von dir!" Ein erneutes Lachen folgte. Endlich gelang es ihm, die Bilder aus lange vergangenen Visionen von sich zu schieben und seine rechte Hand ballte sich unwillkürlich zu Faust, um zu verhindern, dass seine Finger zitterten. Er hatte sich gerade rechtzeitig wieder im Griff, um die Ankunft der Eltern mit unbewegter Miene aufzunehmen, auch wenn er innerlich alles andere als ruhig war. Ja, natürlich hatte er diese Begegnung dem Zufall überlassen wollen. Aber letztendlich hatte er nicht wirklich an einen – Erfolg? – geglaubt. Erst recht nicht heute. Wie hätte er auch ahnen können, dass er ihnen ausgerechnet in dieser Menschenmenge über den Weg laufen würde? "Da bist du ja, Brad. Lass den Mann gefälligst los und entschuldige dich." Der Junge wandte sich seiner Mutter zu, blinzelte, als er die Worte verarbeitete und grinste dann. "Guck mal, Mama, der da hat ganz seltsame Haare!" Ohne auch nur einer ihrer Aufforderungen Folge zu leisten. Vielleicht hätte er Schuldigs Gesichtsausdruck lustig gefunden, als ein Zeigefinger auf diesen gerichtet wurde, doch im Moment hatte er nicht viel Belustigung in sich übrig. Er musterte die bekannte und gleichzeitig unvertraute Gestalt der Frau, ebenso wie die des Mannes in ihrer Begleitung. Und jetzt wandte sich deren Aufmerksamkeit von ihrem Sohn ab und ihm zu. Anscheinend hatte er selbst sich auch nicht zu sehr verändert, denn es dauerte nicht lange, bis beiden die Gesichtszüge entgleisten. Was endlich dazu führte, dass seine Lippen in ein widerwilliges Lächeln kurvten. "Hallo Stan, Kathy. Lange nicht gesehen." Schuldig schien verwirrt, während Nagi ihn kalkulierend musterte, aber verstehen tat nur Ran. Der Rothaarige musste irgendwie etwas von dem Aufruhr bemerkt haben, ob nun dem offensichtlichen oder dem in seinem Inneren war da ganz egal. Und ganz schnell war Ran an seiner Seite, behielt von dort seine… alten Bekannten… im Auge. Stan war es, der sich als Erster von den beiden fasste. "Du bist es wirklich, Brad." Und dieses Mal war tatsächlich er selbst gemeint. Er schmeckte etwas Bitteres, als er den Vornamen ausgesprochen hörte, den er schon längst hinter sich gelassen hatte. Das war er nicht mehr und jetzt jemanden vor sich zu haben, der diese alte Persönlichkeit in ihm sah, war auf seltsame Weise unangenehm. Als wäre er doppelt vorhanden Dennoch erhielt er sein Lächeln aufrecht. "Ja, bin ich." Und irgendwie konnte er der ganzen Sache jetzt fast etwas Amüsement abringen. "Aber wir dachten, du wärst-" Ein kurzes Stocken, bevor die Aussage umformuliert wurde. "Wir dachten, du hättest damals in dem Auto gesessen." Er hätte den typischen Spruch an dieser Stelle bringen können, aber er war nicht Schuldig. Also neigte er lediglich den Kopf. "So sollte es auch aussehen", gab er dann zu. Dann wurde er dadurch abgelenkt, dass die Hand, die immer noch seinen Mantel hielt, daran zog. "Du heißt auch Brad?" Er hatte erfolgreich vermieden, den Jungen wieder anzusehen, doch nun blieb ihm nichts anderes übrig. Und jetzt war er nicht nur doppelt vorhanden, sondern dreifach. Jedenfalls war dieser Gedanke immer noch leichter zu ertragen als die andere Erinnerung. An seinen Bruder. Was diese Sichtweise mit sich brachte, das verdrängte er noch. Fast erfolgreich. Langsam ging er in die Hocke. "Hm, richtig. Allerdings ist es nicht nur eine Abkürzung." Der Junge lehnte sich in einer vertraulichen Geste zu ihm vor. "Das ist aber kein großer Unterschied. Mama nennt mich nur Bradley, wenn sie mit mir schimpft." "Ich verstehe", gab er ernsthaft zurück, ließ einen Seitenblick zu Kathy folgen. Die etwas länger als Stan gebraucht hatte, jetzt aber schien sie es endlich zu glauben. Bradley war seinem Blick gefolgt und schien unsicher, wie er die Miene seiner Mutter deuten sollte. Der Junge trat unwillkürlich einen Schritt auf sie zu, weswegen er selbst sich wieder aufrichtete. Und damit anscheinend die Starre löste, die Kathy gefangen gehalten hatte. Mit wenigen Schritten war sie bei ihm und umarmte ihn. Eine Geste, die er zu erwidern versuchte, aber wenn er ehrlich war, ließ er sie eher über sich ergehen. Endgültig davon überzeugt, dass er weder Einbildung noch ein Geist war, lief ein Schauer durch die junge Frau, mit der er einmal verlobt gewesen war. Und dieser Gedanke ließ ihn ausgerechnet zu Ran hinübersehen. Der weder einen Anflug von Eifersucht noch von Unsicherheit zeigte, auch wenn die geweiteten violetten Augen vielleicht so etwas vermuten lassen könnten. Nein, Rans Blick konnte sich nicht entscheiden, ob er lieber an ihm oder an Bradley hängen bleiben wollte und Unglauben wurde langsam aber sicher von Gewissheit abgelöst. Was das Verdrängen nahezu unmöglich machte, weswegen er sich einfach nicht erlaubte, weiter darüber nachzudenken. Etwas Aufschub bedeuteten Stans Worte, die vorsichtige Wärme in sich trugen. "Bist du länger hier? Kannst du vielleicht mit zu uns kommen? Es gibt da etwas, das du wissen solltest." Als täte er das nicht bereits… Er hielt ein unerfreutes Lächeln zurück, als er sah, wie Stans Blick zu dem Kind wanderte und dabei versuchte subtil zu sein. Wenigstens ein Gutes hatte das Ganze aber, da Kathy ihn endlich losließ, um den Worten ihres Mannes ein bekräftigendes Nicken hinzuzufügen. Und sie zog auch den Jungen mit sich zurück, dessen Hand sich nur unwillig von seinem Mantel trennte. Diesen Augenblick wählte Schuldig, um sich einzumischen. Der Orangehaarige hatte die Arme vor der Brust verschränkt und alle Heiterkeit verloren. "Crawford, was zum Teufel ist hier eigentlich los?" Um sie herum wogte unverändert der Strom der Einkaufslustigen, was ihm eine ausreichende Entschuldigung gab, knapp den Kopf zu schütteln. "Nicht hier." Schuldig erwiderte seinen Blick für ein, zwei Herzschläge mürrisch, sah dann aber etwas in den braunen Augen, was das dafür sorgte, dass er prompt etwas aufrechter stand. Von der eigenen Reaktion verärgert, gab der Jüngere schließlich ein ebenso knappes Nicken zurück, rief dann mühelos das gewohnte Grinsen auf sein Gesicht. "Was immer du sagst, großer Meister. Aber ich hoffe, dass du uns trotzdem noch deinen Freunden vorstellen wirst." Die Bezeichnung mochte einen Hauch von Spott enthalten, fiel aber gleichzeitig etwas nachdenklich aus. Und erklärte auch, warum der Telepath bisher nicht einfach dessen Talent eingesetzt hatte. Denn manche Talentlose vertrugen es nicht so gut, wenn man in ihren Köpfen herumstöberte. Bisher hatte das Schuldig nie zurückgehalten, doch das waren stets Fremde gewesen und niemand, der eventuell eine Bedeutung für Schuldigs Teamleader haben könnte. Sein nächstes Lächeln enthielt beinahe Humor, ein Signal für den Anderen, dass er Schuldigs Zurückhaltung zu schätzen wusste, gerade weil diese dem Telepathen sicher nicht leicht fiel. Stan war ihrem Austausch gefolgt, ohne den Subtext zu verstehen, setzte nun eine entschlossene Miene auf. "Natürlich können deine… Begleiter mitkommen. Du kannst sie schließlich nicht so sang- und klanglos stehen lassen." Hinter der Einladung steckte wenig verborgen dieselbe Neugier, die gerade Schuldig das Leben schwer machte. Er musterte sein Team, das sich jetzt vollzählig eingefunden hatte. Nicht weiter überraschend schien keiner von ihnen abgeneigt, die Einladung anzunehmen. Nach Ran brauchte er da gar nicht erst zu sehen, natürlich würde der jede Chance nutzen, mehr zu erfahren. Also neigte er erneut den Kopf. "Ich denke, wir haben die Zeit für einen Besuch übrig. Doch vorher haben wir alle wohl noch anderes zu erledigen. Wie wäre es, wenn wir uns später wieder treffen?" Denn er würde es zwar überstehen, wenn sich die drei ihnen anschließen würden, aber das hieß nicht, dass er es gern tun würde. Kathy lachte arglos. "Natürlich, das hatte ich beinahe vergessen. Und du wirst mich bestimmt nicht versetzen, nicht wahr?" Letzteres war nicht einmal halbwegs ernst gemeint. Auch wenn die Art, wie er damals aus ihrem Leben verschwunden war, sie vielleicht hätte misstrauischer machen sollen, schien sie ebenso wie Stan immer noch zu sehr der Person verhaftet, die er damals gewesen zu sein schien. "Das würde mir niemals einfallen", gab er mit einem Tonfall zurück, den er lange nicht benutzt hatte und der wiedererkannt wurde. Es geschah nicht, um sie zu manipulieren, denn er sagte die volle Wahrheit. Vielmehr war er für einen Augenblick in seine alte Rolle zurückgefallen. Und er wusste nicht wirklich, was er davon halten sollte. Kathy und Stan jedenfalls schien seine Reaktion zu beruhigen, denn beide lächelten jetzt. "Gut, in dem Fall sehen wir uns in drei Stunden beim Food Plaza. Länger hält Bradley sowieso nicht durch. Hier ist meine Handynummer, falls wir uns nicht finden sollten." Damit überreichte ihm Stan eine Visitenkarte, die aus der Brieftasche geholt worden war, drückte zum Abschied seine Schulter. "Wir sehen uns nachher." Trotz dieser Worte dauerte es dann noch ein paar lange Minuten, bis die drei tatsächlich verschwunden waren und im gleichen Moment wurde er ruhiger. Die Entscheidung war gefallen. Das war… beinahe gut. ~TBC~ Kapitel 20: "Du scheinst das gelassen aufzunehmen" -------------------------------------------------- "Verlobte? Du willst mich auf den Arm nehmen, oder?" Natürlich hatte Schuldig es keine Sekunde länger ausgehalten, nachdem Stan mit Kathy und dem Jungen verschwunden war. Der Telepath hatte sein Talent genutzt, um einen Flecken zu finden, der etwas bot, was als Privatsphäre durchgehen konnte. Und war dann in die entsprechende Richtung gestürmt, ohne sich zu vergewissern, ob sie ihm auch folgten. Was sie natürlich getan hatten und Schuldigs erste Frage hatte wenig überraschend seiner Beziehung zu den beiden gegolten. Seine Antwort schien bloß nicht auf viel Glauben zu stoßen. Ruhig begegnete er den funkelnden grünen Augen und erlaubte sich ein schmales Lächeln in Reaktion auf Schuldig Ausruf. In Schuldigs Gesicht begann es daraufhin zur arbeiten, beschäftigt damit, diese neue Information, die wohl oder übel als wahr eingestuft werden musste, in sein Bild von ihm zu integrieren. Womit er genug Zeit hatte, die Reaktionen seines restlichen Teams aufzunehmen. Zunächst Nagi, der sich größte Mühe gab, sein Gesicht in eine Maske zu verwandeln und gleichzeitig beinahe kindlichen Unglauben ausstrahlte. Es war selten genug, dass er ihren Jüngsten so erlebte, weswegen erneut ein Lächeln seine Lippen kurvte, dieses hier allerdings ließ er warm ausfallen. Der Telekinet kniff leicht die Augen zusammen, wandte sich dann halbwegs ab, nicht ohne ein leichte Schulterzucken anzudeuten. Was dann wohl heißen sollte, dass es Nagi alles in allem egal sein konnte. Farfarello schien mehr mit Schuldig als mit der Neuigkeit beschäftigt, was so typisch war, dass es seine Belustigung nur noch vertiefte. Vielleicht war das, die mögliche Reaktion von Schwarz, ein Grund gewesen, der ihn zurückgehalten hatte. Doch wie er jetzt erkennen konnte, wie er von Anfang an hätte wissen sollen, würde sich die Dynamik nicht ändern. Er stieß innerlich ein Schnauben aus. Und warum sollte es auch etwas ändern? Sie alle hatten ihr altes Leben zurückgelassen, als sie zu Rosenkreuz kamen. In der Vergangenheit mochte bei jedem von ihnen noch das eine oder andere überraschende Detail stecken, aber das würde niemals das Gerüst verändern, das sich in all den Jahren zwischen ihnen gebildet hatte. Mit dieser Selbstberuhigung, die nicht einmal ansatzweise hohl war, kehrte sein Blick zu Schuldig zurück. Der inzwischen überlegend den Kopf geneigt hatte. "Was hast du eigentlich mit einer Verlobten angefangen? Ich kann mich ja irren, aber alles in allem ist dein Kontakt zu Frauen doch normalerweise eher platonischer Natur." Noch bevor er auch nur in Gedanken eine Antwort formulieren konnte, gab Schuldig sich diese auch schon selbst. Und irgendwie entspannte sich der Orangehaarige, grinste ihn gleichzeitig an. "Total vergessen, aber du warst schon immer ein Musterknabe, was? Schon damals. Also hattest du dir natürlich die perfekte Freundin gesucht." Eine wegwerfende Handbewegung folgte, als Schuldigs Weltbild wieder in Ordnung war. Dann aber suchten die grünen Augen abrupt nach Ran, der unter der plötzlichen Aufmerksamkeit leicht zusammenzuckte. "Was mich jetzt mehr interessiert ist die Frage, warum Ran anscheinend bereits Bescheid wusste, ich aber nicht." Er legte eine Hand auf Rans Schulter, zog gleichzeitig eine Augenbraue hoch, unbeeindruckt. "Keine Sorge, er hat es auch erst vor ein paar Tagen erfahren. Und was den zweiten Teil angeht: Ich kann schlecht für dein Talent sprechen, nicht wahr? Anscheinend war Rans Training mit dir erfolgreicher als du angenommen hattest." Schuldig schien mit dieser Auskunft halbwegs zufrieden, denn der Orangehaarige wandte sich wieder ihm zu, mit einem erneuerten Grinsen. "Wie auch immer, ich kann es mir jetzt direkt vorstellen. Karriere mit der perfekten Ehefrau an der Seite, eine schöne Villa nebst obligatorischem Vierbeiner – wobei das bei dir wohl eher ein Pferd als ein Hund geworden wäre – und später zweieinhalb intelligente und wohlerzogene Kinder. Du hättest das glatt durchgezogen, was?" Dass er sich durch irgendetwas verraten haben musste, wurde deutlich, als Schuldig plötzlich erstarrte und sich die grünen Augen ungläubig weiteten. Und dieses Mal enthielt dieser Unglauben ganz andere Untertöne. Energie streifte seine Schilde entlang, als Schuldig mentalen Kontakt suchte, denn die nächste Frage war eine, die besser nicht laut gestellt wurde, auch wenn sie hier kein Unbefugter hören können sollte. Er ließ die Verbindung zu, denn sie hatte noch die nützliche Nebenwirkung, dass sich der Telepath automatisch entspannte, als kühle Stille dessen Verstand umhüllte. >Der Kleine, Bradley, er ist dein Sohn?< >Ich weiß es nicht mit absoluter Sicherheit, aber sowohl Aussehen als auch Name deuten darauf hin, nicht wahr?< Seine Erwiderung geriet trocken, ohne dass es ihn viel Mühe kostete. Nachdem er es laut ausgesprochen hatte, sozusagen, konnte er sich vor der Wahrheit nicht mehr länger verstecken, doch überraschenderweise schien es ihn nicht wirklich zu berühren. Nicht wie damals, als er von seinem Bruder erfahren hatte. Diese Erkenntnis krampfte seinen Magen zusammen, denn es gab schon einmal solche Situationen, über die er viel zu leicht hatte hinweggehen können. Er _wusste_, dass er auf bestimmter Ebene enttäuscht war, vielleicht auch etwas wütend. Aber er fühlte es nicht. >Du scheinst das gelassen aufzunehmen<, stellte auch Schuldig fest. >Obwohl du anscheinend bis zu der Begegnung vorhin nicht die leiseste Ahnung hattest…< >Der Junge gehört zu Stan und Kathy<, gab er nach einem Moment der Überlegung eine passende Antwort, auch wenn es nicht unbedingt der Grund für seinen Mangel an Reaktion sein musste. Schuldig akzeptierte es erstmal, bevor er spüren konnte, wie sich dessen Gedanken einem Gespräch zuwandten, das sie vor Jahren geführt hatte. Und die nächsten Worte waren von einem Gefühl der Übelkeit begleitet. >Wirst du Herrn Schneider davon berichten?< >Was lässt dich annehmen, dass er es nicht bereits weiß?< Nicht bitter, ganz und gar nicht. >Er hat mich damals persönlich rekrutiert und zweifellos eine ganze Weile noch ein Auge auf die hiesigen Entwicklungen gehabt, nur um sicher zu gehen, dass niemand etwas davon ahnte, dass ich noch am Leben war.< Das mentale Schnauben von Schuldig mochte sich merkwürdig anhören, doch es transportierte problemlos die Botschaft, dass ihm der Telepath in diesem Punkt ganz sicher nicht zu widersprechen gedachte. Dann zögerte Schuldig merklich, bevor schließlich doch die nächste Frage gestellt wurde. >Glaubst du, er hat auch ein Talent?< >Ich… ich bezweifle es. Es passiert zu selten, dass ein Talent vererbt wird. Außerdem – hast du etwas von ihm aufgefangen, dass darauf hindeuten würde?< Schuldigs Verneinung kam mit Erleichterung verratender Schnelligkeit. >Kein bisschen.< Es rief willkommene Belustigung in ihm wach. >In dem Fall wollen wir erst anfangen, uns darüber Gedanken zu machen, wenn es wirklich einen Anhaltspunkt gibt.< Ihm wurde nur zu gern zugestimmt und dann zog sich der Telepath wieder zurück. Auch wenn auf dieser Ebene sehr viel weniger Zeit verging als bei einer Unterhaltung in der physischen Welt, so wollten sie beide kein Risiko eingehen. Erst nachdem er sich wieder ganz auf das konzentrierte, was um ihn herum vor sich ging, merkte er, wie nahe Ran jetzt bei ihm stand. Auf dessen besorgten Blick reagierte er mit einem leichten Lächeln, was dem Japaner schon zu reichen schien. Sein Lächeln wurde erwidert, dann legten sich Finger an seinen Puls, nur eine sanfte Berührung. Anscheinend hatte es der Rothaarige nicht gewagt, solange dieser sich seiner Aufmerksamkeit nicht sicher war. Gewiss eine Lektion aus dem Training mit Schuldig. Niemand, der auf Rosenkreuz trainiert worden ist, ließ sich gerne überraschen. Und in der Regel blieb es nicht ungestraft. "Habt ihr es euch anders überlegt?", war es Nagi, der als Erster das Wort ergriff. Er schüttelte den Kopf. "Nein, es bleibt dabei. Wir werden die Einladung annehmen. Wenn du es wünschst, kannst du natürlich auch ins Hotel zurückkehren statt mitzukommen." Für diesen Vorschlag hatte Nagi nicht einmal ein Augenverdrehen übrig, was seine Mundwinkel erneut nach oben kurven ließ. "In diesem Fall sollten wir die verbleibende Zeit noch nutzen, nicht wahr?" Schuldig zwinkerte zunächt, zeigte dann ein breites Grinsen. "Ganz genau! Ich bin schließlich noch gar nicht zum Geldausgeben gekommen." Damit übernahm der Orangehaarige erneut die Führung. Anscheinend hatte er völlig vergessen, dass es ihm eigentlich viel zu voll für eine Einkaufstour war. Ein Hauch von Ironie durchzog ihn. Oder Schuldig hatte nach dem erstbesten Weg gegriffen, um sich etwas abzulenken. Jemand zupfte an seinem Ärmel und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Ran. Der einen leicht verlegenen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. "Hast du dich darüber mit Schuldig unterhalten? Ist Bradley… ist er wirklich-?" Er antwortete, bevor Ran die Frage zu Ende stellen konnte. "Ich kann dir nur sagen, was ich auch Schuldig gesagt habe. Ich _weiß_ es nicht, doch die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, nicht wahr?" Ein leichtes Nicken, bevor ein Lächeln über Rans Gesicht flog. "Du hast früher also wirklich so ausgesehen?" "Mm, ich denke schon. Auch wenn es eine Weile her ist, dass ich mich so im Spiegel gesehen habe… und Fotos von damals besitze ich nicht." Die Finger schlossen sich kurz um sein Handgelenk, bevor Ran den Kontakt wieder trennte, eingedenk der Tatsache, dass sie sich hier in aller Öffentlichkeit befanden. "Ich bin froh, dass er eine gute Familie zu haben scheint, auch wenn du nicht da warst." Das… war er auch, identifizierte er die Emotion, die sich bei diesen Worten in ihm meldete. Immer noch mit einer ungewohnten Distanz, aber dieses Mal war es leichter. Und so lächelte er. Rans Gestalt entspannte sich etwas, lehnte sich unbewusst in seine Richtung, bevor der Jüngere merkte, was er da tat, die Reaktion unter Kontrolle brachte und sie dann zu überspielen versuchte. "Meinst du, wir können ein Foto machen? Ich wette, Aya-chan würde ihn auch gerne mal sehen." Hm, irgendwie wurde er den Verdacht nicht los, dass Ran so ein Foto auch für sich selbst haben wollte. Doch wie auch immer, er musste ablehnen. "Wir vermeiden solche Dokumente, man weiß schließlich nie, wem sie in die Hände fallen könnten." Der Rothaarige zeigte flüchtige Enttäuschung, schien aber zu schnell zu verstehen, um weiter zu bitten. In dessen kleinen Gesten hielt sich lediglich die Aufgeregtheit, die Ran auch schon zuvor gezeigt hatte. Weswegen dieses Mal er selbst es war, der das Handgelenk des Anderen in einer besänftigen Geste umschloss. Es war sowieso jeder um sie herum zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf sie zu achten. In stiller Übereinstimmung wandten sie ihre Aufmerksamkeit Schuldig zu, der genug Ablenkung für sie alle mit sich brachte. Der Telepath hatte anscheinend beschlossen, dass ein eigener Kaufrausch das beste Mittel gegen die Hektik war, die die Leute hier verbreiteten, ganz zu schweigen davon ließ sich die Zeit bestens damit totschlagen. Rans strahlte fassungsloses Erstaunen aus, als dieser zusah, wie Schuldig nicht nur für sich selbst begann immer mehr Kleidungsstücke auszuwählen, sondern zunächst auch Farfarello und dann den Rothaarigen mit Vorschlägen beglückte. Bei Nagi versuchte er es genau einmal, zog sich auf den drohenden Blick aus dunkelblauen Augen hin aber schnell wieder zurück, nicht ohne ihrem Jüngsten ein Grinsen zuzuwerfen. Dann war da der Moment, wo sich Grün taxierend auf ihn selbst richtete, doch mit einem betonten Augenverdrehen wurde von dieser Möglichkeit abgelassen, noch bevor er eine Ablehnung formulieren konnte. Ran verwandelte einen Laut, der gefährlich nah an einem Kichern vorbeischrammte, hastig in ein Husten um, doch das Funkeln in den violetten Augen verriet ihn. Und als der Jüngere sich ertappt sah, wurde er offen angelächelt. "Ich glaube, Schuldig weiß zu genau, dass er deinen Geschmack nicht treffen kann. Dafür seid ihr in solchen Belangen zu unterschiedlich." "Was nichts Negatives sein muss", gab er scheinbar ernst, aber mit einem amüsierten Unterton, zurück. "Nein, natürlich nicht." Ein Grinsen folgte, bevor Ran einen Blick auf die Uhr warf, um dann wieder seinen Blick zu suchen. "Ich denke, es ist Zeit." Überraschung kämpfte mit etwas, das er nicht ganz identifizieren konnte. Nervosität vielleicht. Warum allerdings ausgerechnet Ran nervös sein sollte, wollte ihm nicht so ganz einleuchten. Nichtsdestotrotz schenkte er ihm ein beruhigendes Lächeln, bevor er mit einer knappen Kopfbewegung Schuldig zu sich rief. So beschäftigt der Telepath auch gewirkt hatte, so würde dieser ihn niemals wirklich aus den Augen verlieren. "Wir sollten die Sachen ins Auto schaffen, bevor wir uns mit Stans Familie treffen", teilte er dem Orangehaarigen mit, während braune Augen schon nach dem Jüngsten in der Runde suchten. "Nagi kann dir beim Transport helfen, damit der Weg nur ein Mal zurückgelegt werden muss." Der Telekinet schien von dem Auftrag nicht unbedingt begeistert, erlaubte seiner Meinung aber nicht, sich auf dessen Gesicht abzuzeichnen. Vielmehr erhielt er eine angedeutete Verbeugung von dem Japaner, der sich augenblicklich in Bewegung setzte. Schuldig tat es ihm gezwungenerweise nach, da sich die ganzen Tüten ebenfalls zu bewegen begannen und die Illusion aufrechterhalten werden musste, dass der Orangehaarige sie trug. Farfarello beobachtete das Manöver für einen Moment amüsiert, bevor der Ire ihn musterte und offenbar zu dem Ergebnis kam, dass ihnen unverändert keine Gefahr drohte. Wonach sich Farfarello natürlich dessen Freund anschloss. Denn das hatte sich nicht geändert, auch nachdem das Verhalten des Jüngeren sich gebessert hatte. Er wurde nicht gerne von Schuldig alleingelassen, auch wenn es nur ein paar Minuten sein würden. ~TBC~ Kapitel 21: "Arbeitest du für irgend so eine Buchstaben-Agentur, die es offiziell nicht gibt?" ---------------------------------------------------------------------------------------------- "Ich frage mich allmählich, wie du es auf der Schule ausgehalten hast. Wie es aussieht, warst du nämlich etwas sehr viel Besseres gewöhnt…" Schuldig sprach gedehnt, bevor ihm ein langer Blick zugeworfen wurde. "Ich kann doch davon ausgehen, dass du früher ähnlich luxuriös gewohnt hast wie dein Freund hier, oder?" Er musterte Stans Famliensitz, der sich gerade ihrem Blick eröffnet hatte und sein rechter Mundwinkel zuckte kurz nach oben. "So in etwa, ja. Aber es gab Dinge, die mir um einiges Wichtiger waren als das Geld." Alter Abscheu lag in seiner Stimme, jetzt noch weniger als früher konnte er verstehen, wieso es seinem Vater gereicht hatte, sich mehr oder weniger auf seinem Erbe auszuruhen. Der Telepath zuckte unwillkürlich zusammen, überspielte die Reaktion aber mit einem schnellen Grinsen. "Klar doch, du arbeitest ja lieber, statt von vorne bis hinten bedient zu werden." Schuldig streckte sich, verschränkte dann beide Hände hinterm Kopf. "Wie wär's, wenn du meinen Anteil etwas erhöhst, wenn dir das spartanische Leben ausreicht?" Er hielt ein Schnauben zurück, während seine Hände das Lenkrad wieder sanfter umfassten. "Ich denke nicht", erwiderte er schließlich trocken. Typisch Schuldig, es auf diese Tour zu versuchen. Der Orangehaarige schien von der Absage weder besonders überrascht noch enttäuscht, alles in allem schienen dessen Gedanken schon wieder weitergewandert zu sein. Anscheinend reichte ihm der Anblick von außen nicht mehr, jedenfalls sprang Schuldig aus dem Wagen, kaum dass er diesen zum Stehen gebracht hatte. Er selbst bewegte sich um einiges gemächlicher, so dass er schließlich als Letzter ausstieg. Erinnerungen wurden wach, als er sich langsam umsah, doch er schob sie rasch beiseite. Denn was sollte er mit ihnen anfangen? Schuldig hingegen wippte ungeduldig auf den Fußballen, als würde diesem ein Wiedersehen bevorstehen, dass er kaum erwarten konnte. "Was genau interessiert dich eigentlich so sehr an ihnen?", erkundigte er sich leise und erhielt dafür einen schiefen Blick. "Ich will die Chance nutzen, mehr über dich zu erfahren, was denkst du denn? Du bekommst ja nie den Mund auf." "Ja, ich wünschte auch, dass du etwas gesagt hättest", mischte sich plötzlich Stans Stimme ein. "Nur eine kurze Nachricht hätte gereicht." Braune Augen suchten kurz nach der Eingangstür, durch die Kathy gerade mit Bradley getreten war, bevor er sich auf den Blondhaarigen konzentrierte. "Es war mir nicht möglich. Niemand sollte auf die Idee kommen, nach mir zu suchen. Und du willst doch nicht etwa behaupten, dass du so einfach Ruhe gegeben hättest?" Stan verzog das Gesicht, schüttelte schließlich den Kopf, ohne dass es eine Kapitulation bedeutet hätte. "Wenn es nur um mich gehen würde… Aber wie konntest du Kathy so einfach allein zurücklassen?" "Du warst für sie da", gab er ruhig zurück. Offensichtlich, wenn man bedachte, dass die beiden jetzt verheiratet waren. "Ich hatte es dir versprochen…" Das klang bitter. Anscheinend war es Stan nicht leicht gefallen, die Beziehung zu Kathy zuzulassen, auch wenn sein Freund schon sehr lange mehr für sie empfunden hatte als er selbst. Nur dass Stan das nicht wissen konnte, nicht wahr? Die blauen Augen musterten ihn plötzlich scharf. "Wusstest du es damals, bevor du… verschwunden bist?" Verwirrt hielt er dem Blick stand, der Ausbruch war zu abrupt gekommen. "Was soll ich gewusst haben?" "Bradley", lautete die einzige knappe Antwort. Ah… aber hier konnte er aufrichtig sein. "Nein. Ich denke, es war nicht einmal Kathy bewusst, oder?", gab er leise zurück. Stan sackte in sich zusammen und schien damit für den Moment aufzugeben. "Warum bist du überhaupt zurückgekommen?" Eine Bedienstete hatte für Getränke und Snacks gesorgt, doch Stan schien daran nicht besonders interessiert. Er schwieg für einen Moment, beobachtete Ran, der von Bradley mit Beschlag belegt worden war. Die beiden spielten irgendetwas beim geschmückten Weihnachtsbaum. Anscheinend hatte Rans ungewohntes Aussehen zunächst das Interesse des Jungen geweckt, dann hatte sich die Erfahrung des Japaners mit einem jüngeren Geschwisterkind durchgesetzt. Beinahe abwesend registrierte er, dass er nicht den Wunsch hegte, mir Ran zu tauschen. Was nur konsistent mit seinem bisherigen Mangel an Reaktion war, nicht wahr? Das Stirnrunzeln verschwand so schnell wie es aufgetaucht war. Vielleicht sollte er froh sein darüber. Schließlich konnte er nicht plötzlich den Wunsch nach einer Familie verspüren, nicht in dieser Form. Und allein der Gedanke, hier immer mal wieder vorbeizuschauen um zu sehen, wie der Junge aufwuchs, war einfach lächerlich. Abrupt schob er die Überlegung beiseite. Die Bewegung, mit der er sich dann Stan zuwandte, fiel aber völlig ruhig aus. Wieder löste der Anblick seines Freundes ein seltsames Gefühl der Irrealität aus, als befände er sich in einem Traum von seiner Vergangenheit und nicht in der Gegenwart. Sein Schulterzucken geriet etwas knapp. "Ich denke, ich wollte einen Schlussstrich ziehen." Ganz sicher war er sich dessen immer noch nicht, aber die Antwort war das, was er am ehesten für die Wahrheit hielt . Die blauen Augen musterten ihn forschend. "Du hättest dich also gemeldet, selbst wenn wir uns nicht zufällig über den Weg gelaufen wären?" Besonders überzeugt klang Stan nicht. Und sein halbherziges Lächeln trug sicher nicht dazu bei, Überzeugungsarbeit zu leisten. "Das werden wir jetzt nicht mehr herausfinden, nicht wahr?" Der Kiefer des Anderen begann zu mahlen, bevor dieser heftig den Kopf schüttelte. "Dann hättest du deinen Sohn niemals kennengelernt!", kam es zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Bei meiner Arbeit ist das auch besser so." "Was, arbeitest du für irgend so eine Buchstaben-Agentur, die es offiziell nicht gibt?" Stan schien sich selbst nicht ganz sicher zu sein, ob er die Frage ernst meinte. Doch zumindest rief sie echte Belustigung in braune Augen. "Meine Arbeitgeber wissen ihre Anonymität zu schätzen, aber ich arbeite ganz sicher nicht für die Regierung." "Wenn du etwas anderes behauptet hättest, hätte ich dir auch geglaubt…", erhielt er eine leise Reaktion. "Aber… ich gehe davon aus, dass die nicht ganz so jung rekrutieren, was?" Irgendwie fand Stan ein Grinsen in sich, auch wenn es etwas schief ausfiel. "Ich meine, deine Kollegen sind ja jünger als selbst du damals." "Sie suchen ganz einfach nach Leuten mit besonderen Talenten. Das Alter ist da egal." Ohne dass Stan auch nur die geringste Chance hatte, diese Aussage wirklich zu verstehen, sagte er die volle Wahrheit. Der Andere lehnte sich mit einem Seufzen zurück. "Ich kann beinahe verstehen, warum du ihr Angebot angenommen hast. Das normale Leben schien nie wirklich was für dich zu sein, dafür warst du viel zu schlau. Aber wie du Kathy zurücklassen konntest…" Was sollte er darauf sagen? Ganz sicher würde er nicht ausgerechnet Stan gegenüber zugeben, wie leicht ihm das gefallen war. Also schwieg er. Was Stan zum Glück zu seinen Gunsten interpretierte, ihm einen beinahe mitleidigen Blick schenkte, um dann seinerseits Bradley zu beobachten. Und ein warmes Lächeln legte sich völlig unbewusst auf dessen Gesicht. "Du bist zufrieden mit deiner Familie?" Absichtlich schloss er den Jungen mit ein. Und der Andere lachte auf. "Das ist noch untertrieben." Dann wurde der Blick ernster. "Und was ist mit dir, bist du es?" Als wäre die Formulierung zu… persönlich… wurde gleich darauf noch etwas hinzugefügt. "Gefällt dir dein Job? Wenn du mir überhaupt etwas darüber erzählen darfst…" Seine Mundwinkel zuckten flüchtig nach oben. "Natürlich darf ich das nicht. Aber ich kann dir versichern, dass ich keinen Grund habe mich zu beschweren. Und ich bin weit rumgekommen, die letzten Jahre war ich sogar in Japan." Blaue Augen weiteten sich. "Ha, sag bloß, dass du in Tokio warst?" Es folgte eine wegwerfende Handbewegung. "Aber nein, das wäre ein zu großer Zufall." Wieder mit einem Lachen. Sein Interesse war geweckt und er neigte den Kopf leicht zur Seite. "Nun, Zufälle passieren", gab er eine Antwort, ohne sie aussprechen zu müssen. "Dann hätten wir uns dort schon über den Weg laufen können. Wir haben unseren Sommerurlaub in Japan verbracht." Etwas nagte an ihm, als er das hörte, ein Gedanke, der es nicht ganz schaffte, durchzubrechen. Irritiert schüttelte er das Gefühl ab, um sich wieder auf Stan zu konzentrieren, der jetzt davon erzählte, was sie alles während ihres Urlaubs erlebt hatten. Die Normalität dessen erinnerte ihn wieder daran, warum er so ein Leben niemals vermisst hatte und das ließ ihn mehr Ruhe finden, als er seit ihrem ersten Zusammentreffen an diesem Tag hatte aufbringen können. Er nickte an den richtigen Stellen, warf den einen oder anderen Kommentar ein, doch er begann sich bereits wieder zu distanzieren und dieses Mal ging es ganz allein von ihm aus. Irgendwann fand Schuldig zu ihm zurück, ließ sich neben der Couch auf den Boden plumpsen und wartete eine Gesprächspause ab. Eine Chance, die ihm Stan, der die Aktion verwundert beobachtet hatte, gerne gewährte. Schuldig grinste zu ihm hoch, deutete dann auf den riesigen Bildschirm in der Ecke des Wohnzimmers, die offensichtlich der medialen Unterhaltung diente. "So eine Konsole werde ich mir auch kaufen. Wie du siehst, ist Farf immer noch eifrig dabei." Er folgte der Geste und sah die Spielfigur des Iren in ein Szenario verwickelt, das geradewegs einem Horrorfilm entsprungen schien. Unwillkürlich entkam ihm ein Schnauben. "Du kannst mit deinem Geld natürlich machen, was du willst." Und sie hatten keinen Grund mehr, Farf von… negativen Einflüssen… fernzuhalten. Was er nicht laut aussprach, auch wenn sein Blick die Botschaft problemlos übermittelte. Stattdessen fuhr er völlig unverfänglich fort. "Auch wenn du aus dem Alter für so etwas heraus sein solltest." "Hey", mischte sich Stan an dieser Stelle ein. "So kann man das nun auch wieder nicht sagen. Oder glaubst du etwa, dieses Spiel habe ich für Brad gekauft?" Er zog eine Augenbraue hoch. "Nein, das wohl eher nicht. Ich bin sowieso überrascht, dass du noch nicht eingeschritten bist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Bilder für Kinder geeignet sind." Stan verzog das Gesicht. "Das klingt, als würdest du mir nicht zutrauen, dass ich ihn richtig erziehen kann. Dabei pass ich immer auf, dass er der Konsole nicht zu nahe kommt." Wieder ruhten die blauen Augen auf Bradley. "Und er ist viel zu sehr in sein Spiel versunken, um dafür Aufmerksamkeit übrig zu haben." Er folgte dem Blick des Anderen zu Ran und dem Jungen, die jetzt zu einem Memory-Spiel übergegangen waren. Der Rothaarige legte eine bemerkenswerte Geduld an den Tag, wenn es darum ging, Bradley beschäftigt zu halten. Und der Junge … war ebenfalls vollkommen normal. Er selbst hatte niemals im Wohnzimmer spielen dürfen, doch die Gestalt des Kleinen zeigte keinerlei Anspannung, Bradley war es offenbar gewohnt, hier zu sein. Genausowenig schien er sich unter Druck gesetzt zu fühlen, obwohl er sich unter ständiger Beobachtung seines… Vaters… befand. Er stockte nur kurz bei diesem Gedanken, doch das war Stan wirklich, in allem was zählte. Er wandte sich wieder seinem Freund zu und lächelte leicht, innerlich zufrieden. Nicht, dass er den beiden wirklich zugetraut hätte, ihr Kind so zu erziehen, wie er selbst es erlebt hatte. Aber es mit eigenen Augen zu sehen ging dennoch mit einer gewissen Erleichterung einher. "Natürlich wollte ich so etwas nicht unterstellen", erwiderte er dann endlich und richtete gleichzeitig sicherheitshalber eine mentale Warnung an Schuldig, da der Telepath sich gerne einen Spaß daraus machte, andere Leute auf die Palme zu bringen. Und hier hatte er gerade einen Angriffspunkt serviert bekommen. Schuldig hatte dafür nur einen Unschuldsblick übrig und bevor ein verbaler Protest folgen konnte, trat Kathy in Erscheinung, die seit ihrer Ankunft verschwunden war. "Das Abendessen ist gleich fertig. Ich hoffe, ihr seid alle hungrig", wurde ihnen mit einem Lächeln mitgeteilt, bevor sie sich ihrem Sohn zuwandte. "Und für dich heißt das Händewaschen gehen, Brad." Der Junge zog einen Flunsch und handelte noch ein paar Minuten heraus, danach aber rappelte er sich ohne weitere Ermahnungen hoch und rannte nach oben, um dem Wunsch seiner Mutter nachzukommen. "Ha, er spielt auch gerne den Musterknaben", grinste Schuldig. Er hob eine unbeeindruckte Augenbraue, während er innerlich feststellte, dass der Telepath die Neuigkeiten nicht nur bereits verarbeitet hatte, sondern sich auch schon darüber lustig machen konnte. Damit schien die Welt wieder zurechtgerückt. Schuldigs Grinsen wurde breiter, bevor er einen insolenten Salut erhielt. "Ich werde dann mal Farf holen. Du kannst in der Zwischenzeit Nagi einsammeln. Er hat sich in der Bibliothek verkrochen, falls du es noch nicht vermutet hast." Der Orangehaarige ließ seinen Worten unmittelbar Taten folgen und er sah sich gleich darauf Stans verwirrten Blick ausgesetzt. Was zum einen damit zu tun haben könnte, dass Schuldig in dessen Muttersprache zurückgefallen war, zum anderen aber zweifellos mit dem für sich selbst sprechenden Verhalten des Jüngeren. "Weißt du, so wirklich wirkt er nicht, als ob du sein Chef wärst", wurde auch prompt festgestellt. "Er hat eben seine eigene Art. Was ihn nicht daran hindert, seine Aufgaben zu erfüllen." Bevor Stans Fragen in gefährliches Territorium abschweifen konnten, führte er das Gespräch in eine andere Richtung. "War Kathy die ganze Zeit in der Küche und hat gekocht? Ich kann mich nicht erinnern, dass sie früher so etwas gemacht hat." "Stimmt, das hat sie erst später gelernt. Aber da wir heute überraschend so viele Gäste bekommen haben, wird sie wohl mehr die Aufsicht geführt haben, statt selbst zu kochen. Wenn wir Glück haben, hat sie sich aber um den Nachtisch gekümmert. Sie kann da wahre Wunder wirken." Wie sie später feststellten konnten, war das nicht übertrieben. ~TBC~ Kapitel 22: "Ich wollte dir lediglich genug Zeit geben, deinen Verstand einzuschalten, bevor du irgendetwas Dummes tust" ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ "Ich möchte dich heute nicht zum letzten Mal gesehen haben." Stan hatte sich gegen die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, und der Blick aus den blauen Augen war so viel ernsthafter, als er es von früher kannte. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, ließ er seine Lippen in ein leichtes Lächeln kurven. "Ich denke nicht, dass du viel dagegen machen kannst. Wir sind nur vorübergehend hier und ganz davon abgesehen will ich niemanden darauf aufmerksam machen, dass ich euch kenne." Damit verriet er keine Geheimnisse, so viel hatte sich der Andere schon selbst zusammenreimen können. Und dennoch schien Stan stur bleiben zu wollen. "Hat Brad es nicht verdient, irgendwann die Wahrheit zu erfahren? Und was soll er denken, wenn er dich nur ein Mal zu Gesicht bekommen hat, woran er sich dann wahrscheinlich nicht einmal mehr erinnern kann?" Er lauschte für einen Moment in sich hinein, doch nichts hinderte ihn daran, die nächsten Worte mit Gewissheit auszusprechen. "Er ist euer Sohn. Und falls ihr ihm wirklich einmal von mir erzählen wollt, dann hört mit der Geschichte vor dem heutigen Tag auf." Nun wurde auch seine Miene ernst. "Das ist nicht als Vorschlag gemeint, Stan. Mit meinem Besuch habt ihr mehr bekommen, als wir normalerweise zulassen. Aus guten Gründen." Damit war der Grundstein gelegt. Auch wenn er sich nicht darauf verlassen würde. Denn auch wenn er nicht unbedingt wollte, dass Schuldig in den Köpfen der beiden herumpfuschte, so war das hier eine Frage ihrer Sicherheit. Jetzt erhielt er ein Seufzen von Stan, der für einen Moment die Augen schloss. "Kommst du wenigstens noch zu unserem Silvesterball? Kathy hat heute kaum etwas von dir gehabt, weil sie sich zuerst um das Essen und dann um Brad gekümmert hat. Du bist ihr auch etwas Zeit schuldig." Das war… gut möglich. Allerdings fragte er sich, was ein einziger weiterer Besuch daran ändern sollte. Er zog eine Augenbraue hoch. "Und du meinst, als Gastgeberin wird sie dann mehr Gelegenheit haben, mit mir zu reden?" Stan hatte für diesen Einwand nur eine wegwerfende Handbewegung übrig und dessen Blick wurde wieder scharf. "Das ist nur eine Ausrede. Mehr Gelegenheit, als wenn sie dich gar nicht sehen würde, hätte sie schließlich auf jeden Fall." Mit einem leichten Nicken gab er sich geschlagen. "Ich werde dir nichts versprechen, außer, dass ich es ernsthaft in Erwägung ziehen werde. Unter der Bedingung, dass du niemandem sagst, wer ich bin." Das brachte ihm ein Lächeln ein. "Der Preis ist gering genug. Unterhalte dich mit deinen Kollegen einfach auf Deutsch oder Japanisch, dann wird niemand auch nur auf die Idee kommen, dich mit… dir… in Verbindung zu bringen. Falls mich jemand fragt, sage ich einfach, wir haben euch während des Urlaubs kennengelernt und eingeladen, da ihr zufällig zur richtigen Zeit hier wart." Das Ganze wurde ohne größe Verzögerung hervorgebracht und überrascht schüttelte er den Kopf. "Sag mal, seit wann kannst du so gut lügen?" In spielerischem Protest wurden beide Hände ausgestreckt. "Ich habe den ganzen Nachmittag darüber nachgedacht, welche Einwände du haben könntest und mir mögliche Lösungen überlegt. Mehr nicht." Womit bewiesen war, dass Stan wirklich verstanden hatte, allerdings seinen eigenen Kopf durchsetzen wollte. Und dieses letzte Mal war es noch möglich. Es würde Schuldig wenigstens den Job erleichtern, Stan und Kathy dauerhaft Versuche einer weiteren Kontaktaufnahme auszureden. Sozusagen. "Mm, in dem Fall frage ich lieber nicht, was du dir noch so alles ausgesponnen hast. Es könnte mein Bild von dir völlig auf den Kopf stellen." Dafür hatte Stan nur ein Schnauben übrig, begleitet von einem Blick, der auch ohne Worte auskam. Irgendwie fühlte er sich in diesem Moment an Schuldig erinnert und sein Freund hatte mit dem Deutschen normalerweise rein gar nichts gemeinsam. Es schien, als hätte Schuldig in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft bereits einen schlechten Einfluss ausgeübt. Der flüchtige Gedanke ging mit ebenso flüchtigem Amüsement einher, bevor er sie beide daran erinnerte, dass es Zeit war, Abschied zu nehmen. "Ich sollte die anderen nicht länger warten lassen." Stan stieß sich endlich von der Wand ab, gab ihm ein abgehacktes Nicken. "Ich vertraue darauf, dass du meine Einladung nicht ausschlägst", wurde dem hinzugefügt. "Ansonsten kann ich nämlich für nichts garantieren." Er zeigte nicht, dass er sich über diese kaum versteckte Drohung keinerlei Sorgen machte, denn sonst hätte Stan sich nur Gedanken darüber gemacht, woher seine Unbekümmertheit stammen könnte. Stattdessen zeigte er lediglich ein schmales Lächeln, wandte sich dann ohne weitere Worte zum Gehen. Kathy fing ihn ab, bevor er die Haustür erreichte, jetzt natürlich ohne Bradley, der schon tief und fest schlafen sollte. Anders als Stan bestand sie aber auf keine weiteren Besuche und verlor auch ansonsten keine Worte. Der flüchtige Kuss, der seine Lippen mit Wärme streifte und völlig unschuldig ausfiel, war beredt genug. Mit einem innerlichen Seufzen konnte er dann endlich die Tür hinter sich schließen und als erstes suchten braune Augen nach dem Mietwagen. Die anderen hatten sich schon hinein gesetzt, mit Ausnahme von Schuldig, der offensichtlich auf ihn gewartet hatte und ihn jetzt kurz beiseite nahm. "Ich habe ihn während unseres Besuchs beobachtet und mein erster Eindruck hat sich bestätigt. Ich glaube nicht, dass er ein Talent hat, da war nicht die geringste Unregelmäßigkeit in seinem Muster. Und auch bei Kindern, deren Talent noch nicht durchgebrochen ist, sind in der Regel zumindest solche Vorboten zu erkennen." Im Anschluss wurde er ungewohnt ernst und ohne Ungeduld gemustert. Anscheinend wollte Schuldig ihm genug Zeit geben, um sich zu überlegen, ob ihm das reichte. Aber es war noch gar nicht erforderlich, sich festzulegen, nicht wahr? "Ich gehe zwar davon aus, dass er mein Talent nicht geerbt hat, es wäre auch ein zu großer Zufall, wenn es ausgerechnet bei ihm anders sein sollte. Aber ich werde sicherheitshalber mit Herrn Schneider Rücksprache halten." Schuldig schaffte es mit Bravour, ein Zusammenzucken zu unterdrücken. "Du bist dir also sehr sicher, dass er Bescheid weiß." Sein Lächeln fiel völlig humorlos aus. "Das bin ich." Schuldigs Grinsen enthielt ebenfalls keine Belustigung. "Hast du ansonsten noch etwas für mich zu erledigen, bevor wir aufbrechen?" Grundsätzlich nicht, aber… "Haben sie vor, jemanden über mein Auftauchen zu informieren?" Der Andere schüttelte so schnell den Kopf, dass klar war, dass die Frage vorausgeahnt worden war. "Nicht ohne Not, nein." Eine kurze Pause. "Hast du tatsächlich vor, nochmal herzukommen?" "Es ist besser so, nicht wahr? Es hält Stan von Dummheiten ab und du wirst ausreichend Zeit haben, dafür zu sorgen, dass es sie künftig nicht auf die Idee kommen, nach mir zu suchen." Die Aussage schien Schuldig irgendwie zu erleichtern und er erhielt einen zweifingrigen Salut. "Wird erledigt, großer Meister." Es war spät, als sie wieder beim Hotel ankamen, die tiefschwarze Nacht nur aufgehellt durch die künstlichen Lichter der Stadt. Er würdigte den Portier, der ihnen die Tür öffnete, kaum eines Blickes und die anderen schienen auch nur noch ein Ziel zu kennen. Beinahe hätte sich ein Lächeln auf seine Lippen geschlichen, als er ihre müden Gesichter im Spiegel des Fahrstuhls musterte. Dieses eigentlich simple Treffen schien anstrengender gewesen zu sein als so mancher Auftrag, den sie sonst selbst um diese Zeit ohne Probleme hinter sich gebracht hatten. Oder vielleicht konnte er es auf den Ausflug ins Shopping-Center davor schieben… Mit einem Blick auf die Tüten, die sich in Schuldigs Händen befanden. Der Telepath schien seine Gedankengänge zu erraten, doch mehr als einen unwirschen Blick aus grünen Augen erhielt er nicht als Reaktion. Für alles andere schien Schuldig die Energie zu fehlen. Dieses Mal lächelte er wirklich und spürte gleich darauf, wie sich Finger um sein Handgelenk schlossen. Hm… ein Blick zur Seite zeigte ihm, dass Ran ebenfalls lächelte, seine Stimmung spiegelnd. Er nahm es zum Anlass, ihn zu sich heranzuziehen, als sie allein in ihrem Zimmer waren und Ran ließ sich nur zu gerne darauf ein, erhob sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Anschließend wurde er etwas atemlos aber nichtsdestotrotz zufrieden gemustert. "Was ist?", erkundigte er sich leise, strich eine rote Strähne zurück, die Ran ins Gesicht gefallen war. "Sie sind nicht deine Familie." Die scheinbar völlig zusammenhanglose Antwort ließ ihn für einen Moment stocken, doch dann verstand er und damit auch Rans Zufriedenheit. "Hast du ernsthaft befürchtet, ich könnte mich plötzlich dafür entscheiden, Schwarz hinter mir zu lassen und sesshaft zu werden?" Ein leichtes Schulterzucken, aber der Ausdruck in den violetten Augen sagte alles. Anscheinend fand Ran immer wieder neue Gründe für Unsicherheit. Dabei konnte der Rothaarige in anderen Situationen so souverän sein… Da er einsah, dass Worte an dieser Stelle nichts nützen würden, ließ er lieber Taten sprechen. Und Ran schien erst überrascht, war dann aber mit Feuereifer bei der Sache. Und jede Müdigkeit war vorerst vergessen. Später ließ er den Jüngeren schlafend im Bett zurück, während er selbst ins Bad verschwand, um eine Dusche zu nehmen. Das heiße Wasser verstärkte die Entspannung noch, addierte zur Ruhe, die ihn im Moment erfüllte. Erst als er sich wenig später auf der Couch niederließ, sein Handy in der Hand, beschleunigte sich sein Herzschlag für ein paar Sekunden, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. Leicht verärgert über sich selbst runzelte er die Stirn, doch auch diese Reaktion war nicht besser, weswegen sich seine Miene rasch wieder glättete. Letztendlich war sein Gesicht etwas starr, als er die vertraute Nummer wählte und er musste nur wenige Sekunden warten, bis Schneider abnahm. "Crawford. Du hast sie also getroffen, ja?" Ein Ruck ging durch ihn. Nur innerlich, doch dafür umso stärker empfunden. Und alles nur, weil er seinen Namen gehört hatte, gesprochen von Schneiders Stimme. Es erdete ihn in sich selbst, denn der Deutsche war damals dabei gewesen, als er beschlossen hatte, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Und so surreal es gewesen war, heute mit 'Brad' angesprochen worden zu sein, jetzt konnte er das ebenfalls hinter sich lassen. Erst als seine Überlegungen so weit gediehen waren, konnte er den Rest von Schneiders Begrüßung verarbeiten und sein Griff ums Handy verstärkte sich. "Sie wissen es bereits?" Ein Lachen drang an sein Ohr. "Jetzt ja. Es war nicht schwer zu erraten, warum sonst solltest du zu nachtschlafender Zeit anrufen. Nun, nachtschlafend für dich, jedenfalls." Ein Moment des Schweigens folgte. "Du solltest das nicht zur Gewohnheit werden lassen." "Dann geben Sie mir keinen Grund dafür", gab er etwas unwirsch zurück, daran erinnert, weswegen er mit diesem Anruf nicht hatte warten können. Wieder Schweigen und dann bildete er sich beinahe ein, den Deutschen vor seinem inneren Auge lächeln zu sehen. "Du willst dich beschweren?" Braune Augen verengten sich und Fingernägel stachen in nachgiebige Haut, als sich seine freie Hand zur Faust ballte. "Sie… Sie haben es schon wieder getan! Mich manipuliert." Er fühlte sich… betrogen? Dass ihm Schneider seinen Sohn verschwiegen hatte, konnte er verstehen. Denn was hätte ihm dieses Wissen gebracht, während die Ältesten noch an der Macht waren? Nichts als Ärger, so viel war sicher. Und als es nicht mehr nötig war, Stillschweigen zu wahren, war ihm die Möglichkeit gegeben worden, die Wahrheit zu erfahren. Doch zu merken, dass seine Reaktionen auf Bradley nicht wirklich _seine_ waren. Das war weniger leicht zu verkraften. Der Tonfall des Älteren war ernst, als dieser antwortete, das Amüsement von zuvor völlig verschwunden. "Ich wollte dir lediglich genug Zeit geben, deinen Verstand einzuschalten, bevor du irgendetwas Dummes tust. Das sollte dir klar sein. Ansonsten hätte ich ganz einfach verhindert, dass du sie wiedersiehst." Er atmete tief durch, als er die Wahrheit in diesen Worten vernahm. Ganz davon abgesehen, dass Schneider ihn sowieso nicht offen belügen würde, waren es auch keine Ausflüchte, keine verdrehten Ebenen von Bedeutung. Und auch wenn er es sich gerade nicht vorstellen konnte, gerade _weil_ Schneider ihn ruhiggestellt hatte, so war es gut möglich, dass seine erste Reaktion etwas extrem hätte ausfallen können. Er schloss die Augen und ein etwas verlorenes Lächeln begann seine Mundwinkel zu kurven. Wie es aussah, würde er niemals gegen den Älteren ankommen. Schneider war ihm stets unzählige Schritte voraus. Was die Frage aufwarf… "Wann eigentlich haben Sie es für erforderlich gehalten, diese… Sicherung… in meinem Kopf zu hinterlassen?" Er konnte hören, wie Schneider sich zurücklehnte und er wünschte sich, er könnte es auch sehen. Weil dann nicht die halbe Welt zwischen ihnen liegen würde. "Hast du die Verbindung noch nicht selbst hergestellt? Ich nehme an, dass dir dein Freund erzählt hat, dass sie in Japan waren. Und die Nähe schien gereicht zu haben, um dein Talent anspringen zu lasssen. Ich konnte es in deiner Erinnerung sehen, als wir im Japan-Büro über die Pläne für eine amerikanische Schule sprachen. Diesen einen Moment einer flüchtigen Vision, die du nie als solche identifiziert hast. Dir war wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass es da mehr gab, dass dich an deine alten Freunde hat denken lassen. Aber ich wusste, dass sie in Japan waren und deine Träume nicht nur von deinem Bruder handelten. Und ebenso wusste ich, dass dein Talent keine Ruhe geben würde, bis du Bradley tatsächlich treffen würdest…" Mit den letzten Worten war das Amüsement in Schneiders Stimme zurückgekehrt, warm. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, als er die Informationen zu verarbeiten versuchte. Und er konnte sich an das Gespräch erinnern, natürlich. Aber welche Vision Schneider gerade meinte… Und genauso hatte er in diesem Sommer viel zu häufig von seinem Bruder geträumt, wie er jedenfalls angenommen hatte. Er hatte keine Chance, jetzt noch zu unterscheiden, ob das Gesicht darin zum Teil tatsächlich Bradley gehört hatte. Mit einem Seufzen gab er vorerst auf, stellte die nächste Frage. "Und soll ich jetzt ewig mit dieser Sperre im Kopf herumlaufen?" "Hm, nein. Ich denke nicht. Es wäre eine gute Entschuldigung, dich jetzt schon besuchen zu kommen, nicht wahr?" ~TBC~ Kapitel 23: Kontrolle zu gewinnen, indem er sie an Schneider abgab… war auch keine Lösung" ------------------------------------------------------------------------------------------ Er verschluckte ein Auflachen. "Als ob Sie jemals eine Entschuldigung benötigen würden…", gab er dann zurück. Doch die Belustigung hielt nicht lange vor, als sein Verstand sich endlich an etwas festhalten konnte, was viel leichter zu verstehen war als die mysteriösen Worte zuvor. "Aber eine Entschuldigung, ob nun erforderlich oder nicht, war niemals das Problem, nicht wahr?" Er merkte erst jetzt, dass seine Finger einen nervösen Wirbel auf seinen Oberschenkel trommelten und er unterband die Geste rasch. "Wenn Sie einen Besuch ernsthaft in Erwägung ziehen", und Schneider würde diese Möglichkeit nicht im Scherz erwähnen, "dann haben Sie endlich die Aufräumarbeiten beendet?" Der Deutsche stieß ein amüsiertes Schnauben aus. "Soll das 'endlich' eine Form von Kritik darstellen?" Mit hochgezogener Augenbraue, dessen war er sich sicher. Er schaffte es, sein Lächeln aus dem gleichmütigen Tonfall herauszuhalten, als er antwortete. "Wie könnte ich das wagen? Ich muss zugeben, die Wortwahl ist ein rein subjektiver Ausrutscher gewesen." Was der vollen Wahrheit entsprach. Wo er ein Lachen erwartet hatte, schwieg der Ältere für einige Sekunden, die sich viel zu sehr in die Länge zu ziehen schienen. "Ja, ich konnte auch die etwas vorsichtiger agierenden Elemente identifizieren", wurde dann unvermutet auf seine ursprüngliche Frage geantwortet. "Sie mussten schließlich anfangen zu handeln, bevor sich das Fenster schließt und ich meine Machtposition völlig festigen kann." Er nickte unwillkürlich. "Was Sie natürlich nicht davon abgehalten hat, dies trotzdem zu tun." Himmel, Schneider hatte Jahre und Jahre für diesen Moment geplant, wie sollte da jemand mithalten können, der vom Tod der Ältesten völlig überrascht worden war? Nun lachte Schneider doch. "Nun, natürlich nicht." "In dem Fall sind Sie jederzeit hier willkommen." Allein der Gedanke ließ Hitze durch ihn fließen. Er würde seinen Körper wohl niemals davon überzeugen können, den Deutschen nicht zu vermissen. Finger fuhren durch schwarze Haare, bevor er ein erschöpftes Lächeln hinter seiner Hand verbarg, als er flüchtig an Ran denken musste. Anscheinend half auch diese Strategie nicht. "Hm, ich werde sehen, was sich einrichten lässt. Aber auch wenn wir bei diesem Punkt angelangt sind, nehme ich nicht an, dass du deswegen angerufen hast." Und auch nicht, um sich zu beschweren. So verrückt war er nicht. Das hatte nur dafür gesorgt, dass er nicht länger hatte warten wollen… Fügte er dann der Ehrlichkeit halber diesem Gedankengang hinzu. Die Ironie hielt sich nicht lange, als das Bild eines Kindes vor seinem inneren Auge auftauchte. Und er konnte sich nicht entscheiden, wen genau er da vor sich hatte. "Bradley, ist er…" Aus irgendeinem Grund konnte er nicht weitersprechen. Was Schneider nicht davon abhielt, ihn trotzdem zu verstehen. "Ein Talent? Ich habe ihn diskret testen lassen. Und soweit man das in seinem Alter bereits abschätzen kann, scheint er vollkommen normal zu sein." "Ich kann nicht behaupten, dass ich von dieser Nachricht enttäuscht wäre." Denn auch wenn Schneider jetzt das Sagen auf Rosenkreuz hatte, war er sich nicht sicher, ob jemandem die Ausbildung dort antun wollte, der… Familie… war. Was ihn allerdings daran hinderte, wirklich erleichtert zu sein, war ein Anflug von Misstrauen, der sich hartnäckig hielt. "Du musst dir keine Sorgen machen." Als hätte Schneider über die halbe Welt hinweg seine Gedanken gelesen. "Ich habe keinen Grund, dich anzulügen." Das… war wahr. Schneider hatte es nie nötig gehabt, zu lügen, der Ältere konnte ihn auch so ohne Schwierigkeiten manipulieren, an seinen Strippen ziehen, als wäre er eine Marionette. Aber wenn das hier der Fall wäre, hätte er keine so klare Aussage erhalten. Der Gedanke half ihm, sich wieder zu entspannen. Und wieder entging das Schneider nicht, der sich nicht mit weiteren Versicherungen aufhielt. "Wie sehen deine weiteren Pläne aus?" Ohne größere Schwierigkeiten konzentrierte er sich auf das neue Thema. "Nun, Stan hat mich zu ihrem Silvesterball eingeladen. Ich werde also mit Schuldigs Hilfe hinter mir aufräumen und dann verschwinden." Schneiders Schweigen daraufhin trug eine klare Frage in sich. Die, die ihm Schuldig schon gestellt hatte. Die er sich selbst schon gestellt hatte. Er fühlte sich plötzlich sehr müde, daran erinnert, warum er keine wirkliche Antwort darauf kannte. "Ich kann Ihnen schlecht sagen, ob das meine endgültige Entscheidung ist, wenn ich derzeit gar nicht frei entscheiden kann." Ohne auch nur zu versuchen, den Vorwurf aus seiner Stimme herauszuhalten. Denn auch wenn er verstehen konnte, warum Schneider so gehandelt hatte, hatte er gedacht, diese Zeiten wären vorbei. Und im Moment hatte er keine Lust auf den Teil von sich zu hören, der nicht nur verstand, sondern auch zustimmte. Eingedenk dessen, wie er früher einmal reagiert hatte, als es um seine Familie ging, wollte er nicht noch einmal so durch seine eigenen Emotionen kompromittiert werden. Doch Kontrolle zu gewinnen, indem er sie an Schneider abgab… war auch keine Lösung. Bloß dass Schneider das anders sehen würde, natürlich. Kurz schweiften seine Gedanken in gerade unerwünschte Bahnen ab, an solche Momente, da es ihm nicht besonders viel ausmachte, dem Deutschen die Kontrolle zu überlassen, da wurde er durch Schneiders Stimme gerettet, die ihn wieder in die Gegenwart zurückholte. "Gut, du wirst schließlich die Gelegenheit erhalten… unbeeinflusst… darüber nachzudenken. Und falls du ihn nicht aufgeben willst, werde ich ihnen persönlich einen entsprechenden Block verpassen, damit du ungehindert kommen und gehen kannst." So einfach konnte das sein. Egal, dass es allen Regeln widersprach. Und da sich die Möglichkeit nun vor ihm ausbreitete, hatte er plötzlich das unbestimmte Gefühl, dass er nicht nach ihr greifen werden würde. Schneider ließ ihm genug Zeit, diese Erkenntnis einsinken zu lassen, schien dann wieder zu lächeln. "Gehe so vor, wie du es geplant hast. Für den Moment ist es die beste Lösung. Und jetzt geh schlafen. Ich melde mich, wenn Herr Hoffmann die Reisepläne fertig hat. Auch wenn es etwas dauern könnte, du weißt ja, meine Zeit gehört nicht nur mir." Damit war nur noch Stille am anderen Ende und er trennte die Verbindung ebenfalls. Es war Schneider anscheinend Ernst mit dem Besuch. Er hoffte auf einmal, dass Hoffmann sich nicht zu viel Zeit lassen würde. Erst als er das Handy weglegte, fiel ihm der Schatten auf, der im Türrahmen stand und dort nichts zu suchen hatte. Wenn es nicht ausgerechnet Schneider gewesen wäre, der ihn so abgelenkt hatte, dass er seine Umgebung völlig vergaß, wäre er etwas verärgerter mit sich selbst gewesen. So aber… Er nickte Nagi zu, eine stumme Einladung, näher zu kommen. Und da es sich um den Jungen handelte, lohnte sich die Frage nicht, wie dieser eigentlich hereingekommen war. Nagi bewegte sich nur langsam, dafür aber zielsicher, trotz der unzureichenden Lichtverältnisse. Zum Schluss nahm der Jüngere ebenfalls auf der Couch Platz, die Beine angezogen und die Arme um die Knie geschlungen. "Solltest du nicht längst im Bett sein?", erkundigte er sich leise, als Nagi keine Anstalten zeigte, von sich aus zu sprechen. "Ich konnte nicht schlafen. Und da du auch noch wach warst…" Ein knappes Schulterzucken, bevor sich die dunkelblauen Augen verengten. "Du hast mit _ihm_ telefoniert." Keine Frage. "Du willst, dass Herr Schneider herkommt, oder?" Nagi schien davon nicht allzu viel zu halten, dabei hatte dieser niemals unter der Rigide des ehemaligen Direktors leben müssen. Wahrscheinlich hatte Schuldig abgefärbt… Amüsement zog unwillkürlich seine Mundwinkel nach oben, bevor er mehr auf Nagis Einstellung als auf dessen Frage antwortete. "Ich würde ja sagen, dass du zu jung bist, um das zu verstehen. Aber das bist du gar nicht, nicht wahr?" "Sehr witzig", vermeinte er ein Murmeln zu hören, aber er konnte sich nicht ganz sicher sein. Und mehr schien Nagi dazu auch nicht sagen zu wollen. Vielmehr kam der Jüngere endlich auf den Punkt zu sprechen, der diesen wohl erst herübergetrieben hatte. "Bleibt es dabei? Nur noch dieser Silvesterball und dann können wir das hier abhaken?" Es war nicht schwer herauszuhören, welche Antwort Nagi haben wollte. Wie Schneider es gesagt hatte. Nagi war interessiert gewesen. Hatte es gesehen und letztendlich geurteilt, dass keine Gefahr drohte. Der Telekinet hatte sich damals schnell und willig für Schwarz entschieden und ganz sicher keinen Grund gehabt, jemals dem was gewesen war nachzutrauern. Nachdenklich musterte er Nagi. In derselben Situation, mit der Möglichkeit, seine Vergangenheit wieder zu treffen, hätte der Jüngere wohl nicht danach gegriffen. "Höchstwahrscheinlich", erwiderte er schließlich langsam. Sein Blick wurde für einen Moment gehalten, dann nickte Nagi zufrieden. "Du bist nicht ernsthaft von einem anderen Ergebnis ausgegangen, hm?" Wieder ein knappes Schulterzucken. "Ich konnte es nicht ausschließen. Aber es hätte nicht zu dir gepasst. Das hier ist dein Leben, nicht… so etwas…" Mit einer Mischung aus Abfälligkeit und Unbewegtheit, mit der sich der Jüngere ausgesprochen wohl zu fühlen schien. Ja, Nagi schien diesen winzigen Anfall von Unsicherheit überwunden zu haben. Innerlich schüttelte er den Kopf. Da hatte er die ganze Zeit mit sich selbst um eine Entscheidung gekämpft und war nie auf die Idee gekommen, dass der Rest von Schwarz genauso beeinflusst werden würde. Was letztendlich ausgesprochen nachlässig von ihm gewesen war, wie er ganz sicher nicht laut zugeben würde. Nach außen hin zeigte er nur ein schmales Lächeln. "Dem kann ich nicht widersprechen. Und jetzt geh schlafen", wiederholte er dann den Ratschlag, den er gerade erst von Schneider zu hören bekommen hatte. Der Telekinet gab seine Haltung in einer geschmeidigen Bewegung auf und kam genauso mühelos auf die Beine, zweifellos unterstützt von dessen Talent, auch wenn ein unbeteiligter Dritter nicht den geringsten Verdacht geschöpft hätte. "Es sind noch ein paar Tage bis Silvester", wurde dann demonstrativ festgestellt. "Das habe ich nicht vergessen", gab er mit einer hochgezogenen Augenbraue zurück. "Aber vielleicht hast du vergessen, dass wir hier sind, um Urlaub zu machen." Ein schmales Lächeln löste seine Geste zuvor ab. "Nachdem Schuldig bereits Wünsche geäußert hat, wie wäre es, wenn wir mal etwas tun, das dir gefällt?" Nagi neigte den Kopf, als würde dieser nicht ganz verstehen. Was wirklich nicht so verwunderlich war, schließlich hatte der junge Japaner selten die Gelegenheit gehabt, seinen eigenen Wünschen nachzukommen. Dann aber wurde sein Lächeln erwidert und er erhielt ein abgehacktes Nicken. "Ich werde morgen früh sehen, was sich so finden lässt." Er blieb noch eine Weile sitzen, nachdem Nagi wieder in sein eigenes Zimmer verschwunden war, blickte in das ungewisse Dämmerlicht, in das der Raum gehüllt war, nur von ein paar Lampen draußen erhellt. Schließlich hielt er die Stille nicht mehr aus und kam ebenfalls auf die Beine, bedeutend langsamer als Nagi zuvor. Er fühlte sich… erschöpft. Emotional mehr als körperlich und war das nicht seltsam, wenn man bedachte, dass Schneider seine Emotionen so gut unter Kontrolle hielt? Langsam begab er sich zum Schlafzimmer, blieb im Türrahmen stehen, um von dort Rans Bett zu mustern. Was er nicht erwartet hatte war das Augenpaar, das seine Musterung erwiderte. "Ran, sag bloß, du kannst auch nicht schlafen." Seine trockene Stimme sorgte dafür, dass der Jüngere sich aufsetzte und durch die roten Haare strich. "Ich habe geschlafen, denke ich. Jedenfalls für eine Weile. Und dann… warst du nicht da…" Seine Mundwinkel kurvten leicht nach oben, bevor er die wenigen Meter hinter sich brachte, die ihn vom Bett getrennt hatten. Gleich darauf saß er neben Ran, der die Gelegenheit nutzte und Finger um sein Handgelenk schloss. Ein leichter Zug wurde ausgeübt, dem er nicht widerstand und über Rans Gesicht flog ein Lächeln, als er schließlich neben ihm zu liegen kam. Die Hand hielt ihn weiterhin fest, doch wenn er gehofft hatte, dass das Ran reichen würde, hatte er sich geirrt. Denn statt die Augen zu schließen und brav weiterzuschlafen, reichte die freie Hand nach seinem Schlafanzugoberteil, begann Knopf um Knopf zu lösen. Er erlaubte seinen Lidern, sich halb zu senken, was Ran tief einatmen ließ. "Wirklich?", fragte er dann gedehnt. Ein halb hitziger, halb unsicherer Blick traf ihn daraufhin und damit war es nicht schwer zu verstehen, was das Ganze sollte. Natürlich hatte Ran mitbekommen, dass er mit Schneider telefoniert hatte und nun wollte der Jüngere sich… seiner vergewissern. In braune Augen trat erwidernde Hitze, als er mühelos Rans Griff brach und sich auf ihn rollte. Praktischerweise war der Jüngere noch nackt, was Ran in diesem Moment auch einzufallen schien und prompt färbten sich dessen Wangen. Er presste sich etwas mehr gegen Ran und das schien dessen Anflug von Schüchternheit zu vertreiben, denn als nächstes wurden beide Arme um seinen Hals geschlungen. Rans Lippen waren warm, als sie nach seinen suchten, doch noch wärmer waren dessen Schenkel, die jetzt gegen seine Seite gepresst wurden. Er lächelte in ihren Kuss hinein, ließ seine Finger gleichzeitig über die Rippen des Jüngeren spielen. Der daraufhin gleichzeitig zurückzuweichen und sich näher an ihn zu pressen versuchte. Sein Lächeln wurde ausgeprägter. Rans Reaktionen machten es so einfach, sich in dem Jüngeren zu verlieren. Und genau das tat er dann auch. ~TBC~ Kapitel 24: "Ich muss zugeben, der Tanzunterricht war eine der seltsameren Erfahrungen dort" -------------------------------------------------------------------------------------------- "Brad. Ich hatte bereits zu zweifeln begonnen, dass du überhaupt auftauchst." Stan schien nach ihm Ausschau gehalten zu haben, ungeduldig, wenn man dessen Tonfall richtig interpretierte, und hatte die erste Gelegenheit genutzt, ihn beiseite zu ziehen. Immerhin waren sie in dieser Ecke unter sich, so dass niemand ihren Austausch belauschen konnte. Der Andere hatte trotz des Unmuts das Versprechen nicht vergessen, seine Anonymität zu wahren. Er erlaubte sich ein schmales Lächeln, löste die Hand, die sich um sein Revers geschlossen hatte. "Ich hatte nicht versprochen, gleich zum Beginn dieses Balls hier zu sein. Also hast du keinen Grund, mir Vorwürfe zu machen." Augenbrauen zogen sich zusammen, während ihn die blauen Augen darunter unamüsiert anblitzten. "Hast du denn wirklich kein Interesse an ihm?" Die Frage schien völlig zusammenhangslos gestellt, doch er verstand sie problemlos. Und auch das Wissen darum, dass Schneider tatsächlich seine Emotionen manipuliert hatte, änderte nichts an der Tatsache, dass seine Antwort in diesem Moment für den Geschmack seines Freundes viel zu zustimmend ausfallen würde. Deswegen wich er aus. "Meinst du nicht auch, dass es besser ist, wenn man uns nicht beide nebeneinander sieht? Es mag ja nicht jeder gleich Verdacht schöpfen, doch hier sind genug Gäste, dass irgendjemand den falschen _richtigen_ Gedanken haben könnte." Stans Gestalt schien in sich zusammenzufallen, als die Empörung sich in Luft auflöste und Verstehen wich. Und dessen nächste Worte fielen sehr leise aus. "Kathy hat ihn bereits ins Bett gebracht, aber sie wird sicher nichts dagegen haben, wenn du noch bei ihm reinschaust." Er nickte langsam. Weniger, weil er der Ansicht war, diesen Abschied zu benötigen. Eher sollte Stan sich dann besser fühlen. Und ganz vielleicht gab es da noch das Motiv, dass er es anderenfalls später einmal bereuen würde. Seine Zustimmung wurde mit einem Lächeln begrüßt, auch wenn dieses etwas schwach ausfiel. Und dann wandte sich Stan rasch ab und übernahm die Führung. Vielleicht befürchtete dieser, er würde es sich sonst anders überlegen. Ohne größere Hast folgte er seinem Freund, mit genügend Abstand, um es nicht offensichtlich zu machen. Bald erreichten sie den privaten Bereich, bis in den die Gäste nicht vorgedrungen waren, und jetzt erst verlangsamte Stan dessen Schritte, so dass er zu ihm aufschließen konnte. "Ich werde nicht warten können, es gibt einfach zu viele Leute, die ich noch begrüßen muss." Der Mund schief in Belustigung. "Aber ich nehme an, dass du den Weg zurück allein findest." "Das sollte mich vor keine größeren Probleme stellen." Ernsthaft genug, dass Stan ihm einen schnellen Blick zuwarf, dann mit einem unverständlichen Murmeln den Kopf schüttelte. Und dann hatten sie auch schon ihr Ziel erreicht. Stans Hand verharrte auf dem Türknauf, noch ohne die Tür zu öffnen. "Wenn du nicht mehr auftauchen solltest, werde ich einen Suchtrupp losschicken", wurde dann trocken gemeint. Bevor er sich eine passende Erwiderung zurechtlegen konnte, hatte Stan den Knauf umgedreht und die Tür lautlos aufgestoßen. Ihn traf ein langer Blick aus blauen Augen, dann ließ der Andere ihn allein zurück. Es dauerte einige schwerfällig vorübertickende Sekunden, bevor er den dunklen Raum betrat. Das fehlende Licht verhinderte, dass er sehr viel von der Ausstattung sehen konnte, doch aus dem Flur fiel genug davon herein, um problemlos den Weg zum Bett zu finden. Bradley schlief tatsächlich schon und unwillkürlich trat er noch ein Stück näher heran, auf der Suche nach einer Gefühlsregung. Und als diese kam, hatte sie einen ganz anderen Grund als erwartet. Der Junge lag auf dem Rücken, alle Viere von sich gestreckt. Nur der eine Arm war so angewinkelt, dass die linke Hand in der Nähe von Bradleys Mund lag. Ab und zu lief ein Zucken durch die Finger, als könnte sich der Junge nicht so recht entscheiden, ob er vielleicht daran lutschen wollte. Er sah so klein aus, viel zu verletzlich. Er atmete scharf ein, als das Bild überlagert wurde und das gleich doppelt. Und jetzt wusste er, wovon Schneider gesprochen hatte. Damals, als er Ran so liegen gesehen hatte, war für einen Moment sein Talent angesprungen und hatte ihm tatsächlich ein Kind gezeigt. Nur dass er es nicht wirklich für eine Vision gehalten hatte, sondern nur einen abschweifenden Gedanken. Ein freudloses Lächeln zog an seinen Lippen. Kein Wunder, dass Schneider leicht… nervös… geworden war. Sein Talent hatte wirklich vorhabt, ihn auf Bradleys Spur zu führen. Warum allerdings, konnte er sich im Moment nicht erklären. Oder doch. Ironie blitzte in braunen Augen auf. Er war ganz einfach emotional kompromittiert, wenn es um seine Familie ging. Und selbst sein nicht immer ganz zuverlässiges Talent war dadurch beeinflusst worden. Er musste Schneider für dessen Eingreifen also direkt dankbar sein. Kein angenehmer Gedanke. Und ein endgültiges Urteil würde er sich sowieso vorbehalten, bis er wieder völlig Herr seines eigenen Kopfes war. Seine Hand bewegte sich langsam, als sie sich nach Bradley ausstreckte, und dann ließ er sachte Finger durch die feinen, schwarzen Strähnen gleiten. Auch die Berührung änderte nichts an der innerlichen Distanz und mit einem Seufzen trat er schließlich wieder einen Schritt zurück. Es war Zeit, mit diesem Kapitel abzuschließen. Bradley hatte bis zu diesem Augenblick nicht zu ihm gehört und würde es auch in Zukunft nicht tun. Ohne einen Blick zurück verließ er das Zimmer. ****** "Du guckst wie ein Auto." Schuldigs Hand legte sich unter sein Kinn und sorgte dafür, dass er den Mund wieder schloss. Mühsam kämpfte er gegen die aufsteigende Röte an, als er dem belustigten Blick aus grünen Augen begegnete. Wenigstens hatte Schuldig auf Japanisch gesprochen, so dass niemand anderer den Kommentar verstanden hatte. Er zwinkerte, als ihm einfiel, dass er das eher Crawfords Vorgaben als Schuldigs Rücksichtnahme zu verdanken hatte, lächelte dann aber nichtsdestotrotz. "Du tust gerade so, als hättest du so etwas schon einmal gesehen." Seine weitschweifende Geste schloss nicht nur die vielen Leute ein, sondern auch den riesigen Saal, in dem sie sich befanden. Auch wenn er hier vor wenigen Tagen bereits einmal gewesen war, hätte er nicht erwartet, dass sich in diesem Anwesen so viel _Platz_ versteckte. Schuldig erwiderte seinen Blick unbeeindruckt. "Genau darum geht es ja wohl. Also gib wenigstens vor, als wäre das hier nichts Besonderes für dich." Eine Fingerspitze traf ihn mitten in der Stirn. Farfarello grinste zu diesen Worten, natürlich hatte der Ire keinerlei Schwierigkeiten damit, die Opulenz seiner Umgebung zu ignorieren und Nagi… der ließ sowieso alles an sich abprallen. Und schenkte ihnen beiden in diesem Moment einen missbilligenden Blick. Was sein Lächeln nur noch ausdrucksvoller werden ließ. Nagi sah es und stieß ein stummes Schnauben aus, bevor er davonspazierte. Anscheinend wollte er nicht mit ihnen assoziiert werden, solange sie sich seiner Meinung nach albern verhielten. "Ich werde mir ein Beispiel an Nagi nehmen, der scheint Indifferenz perfektioniert zu haben", wandte er sich wieder Schuldig zu und sein leichtfertiger Tonfall überraschte den Älteren sichtlich. Er war selbst auch etwas überrascht über sich, aber es hatte tatsächlich geholfen, sich in Erinnerung zu rufen, dass er mit Schwarz hier war. Die anderen Leute hier mochten reich sein und es gewohnt, dass man ihnen Respekt entgegen brachte, selbst wenn es nur erkaufter war. Doch sie könnten gegen keinen von Schwarz bestehen. Der Telepath hatte es sich nicht nehmen lassen, seinen Gedankengang zu verfolgen und grinste jetzt zufrieden. "Ganz genau, Ran-chan. Es gibt keinerlei Grund, beeindruckt zu sein." Es lohnte sich nicht, über die Anrede empört zu sein, damit würde er Schuldig nur in die Hände spielen. Also ignorierte er es, sah sich stattdessen wieder um und dieses Mal, ohne sich blenden zu lassen. Was übrig blieb war eine Ansammlung von Leuten, die Small Talk betrieben und aßen. "Jupp, ziemlich langweilig, was? Aber die Canapés sind ganz lecker." Schon wieder mit einem Grinsen, bevor Schuldig ihm tatsächlich ein paar… Canapés… hinhielt, woher auch immer er diese auf einmal genommen hatte. Er kostete vorsichtig davon, während der Ältere weitersprach. "Später kommt noch das Tanzen hinzu, sonst wäre es ja kein Ball. Aber das war es auch schon. Nun, das Feuerwerk zumindest sollte gut werden, immerhin hat der Typ mehr als genug Geld, das er in die Luft ballern kann." Wenig erfolgreich versuchte er, ein Auflachen zu unterdrücken, wurde zum Glück dadurch abgelenkt, dass Farfarello das Kinn auf seiner Schulter abstützte und einen Vorschlag machte. Wann genau der Ire hinter ihn getreten war, hatte er nicht mitbekommen, doch das wunderte ihn nicht wirklich. "Willst du nachher mit mir tanzen?" Da er immer noch Schuldig ansah, konnte genau beobachten, wie der erst eine Augenbraue hochzog, ihn dann mit einem nichts Gutes versprechenden Funkeln in den grünen Augen musterte. Hastig hob er beide Hände in einer unbewussten Geste der Abwehrt. "Ich kann nicht tanzen!", brach es leise aber nachdrücklich aus ihm heraus. "Und ganz bestimmt nicht so etwas Formales, wie hier Pflicht ist." Schuldig machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich kann dir ja die Grundlagen beibringen. Wäre nicht das erste Mal, dass ich dein Trainer bin, nicht wahr, Ran-chan?" Das Kichern des Iren direkt neben seinem Ohr ignorierte er, während er ernsthaft versuchte sich vorzustellen, wie Schuldig einen Walzer tanzte. Mit nicht unerwartet wenig Erfolg. Als Dank für dieses mentale Bild bekam er einen weiteren Stups gegen die Stirn. "Ich _kann_ tanzen. Wir haben das auf der Schule gelernt." Der Ältere neigte den Kopf ein wenig, als würde er einer Erinnerung nachhängen und setzte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck auf. "Ich muss zugeben, der Tanzunterricht war eine der seltsameren Erfahrungen dort. Was aber nichts daran ändert, dass sie wie in so vielem mit ihren Lehrmethoden erfolgreich waren." Nach dem, was er über Rosenkreuz gehört hatte, wunderte ihn das nicht wirklich. Doch seine Gedanken sprangen schon wieder weiter, landeten wie von allein bei Crawford. Und als wäre dieser dadurch herbeigerufen worden, klang plötzlich eine vertraute Stimme auf. "Nichtsdestotrotz meine ich mich zu erinnern, dass du diese Veranstaltungen nicht besonders ernst genommen hast. Von daher bitte ich davon abzusehen, Ran im Zweifel etwas Falsches beizubringen. Außerdem hast du jetzt etwas anderes zu tun." Er fuhr herum, ungehindert von Farfarello, der viel schneller als er selbst Crawfords Ankunft registriert und ihn bereits freigegeben hatte. Gleich darauf begegnete er braunen Augen, in den sichtlich Amüsement stand. Unwillkürlich lächelte er, stellte dann die Frage, die er zuvor hatte Schuldig stellen wollen. "Hast du dort auch tanzen gelernt?" "Hm, nein. Ich konnte das schon vorher. Warum, bist du tatsächlich auf Tanzstunden aus?" Hastig schüttelte er den Kopf. Das war einfach eine zu seltsame Vorstellung. Vor allem, da so viel Nähe zu Crawford ihn viel zu sehr ablenken würde. Wie es auch gerade wieder geschah. Mit einer merklichen Willensanstrengung hielt er sich davon ab, die Hand nach dem Älteren auszustrecken. Was Crawford nicht davon abhielt, die unterdrückte Geste zu bemerken. Das Amüsement vertiefte sich für einen Moment, dann bewegte sich der Amerikaner irgendwie so, dass es aussah, als wollte er sich lediglich ein Glas von einem vorbeigetragenen Tablett nehmen. Gleichzeitig reichte die andere Hand aber nach ihm und für einen flüchtigen Augenblick spürte er Wärme an seinem Handrücken. Er war dankbar dafür, auf der einen Seite, auf der anderen Seite allerdings war es keine große Hilfe. Da war Farfarello viel besser, der für eine echte Ablenkung sorgte, als dieser völlig unbekümmert nach seinem Handgelenk griff und ihn beiseite zog. Gerade rechtzeitig, um einem Mann Platz zu machen, der anscheinend ein Gespräch mit Crawford suchte. Ist er gefährlich?, war sein erster Gedanke, der gleich wieder verworfen wurde, denn Farfarello war die Ruhe selbst. Soweit man das von dem Iren jemals behaupten konnte. "Er ist Crawford durch den halben Saal gefolgt. Es scheint ihm also relativ wichtig zu sein, mehr zu erfahren. Crawford hat nicht vor, ihm mehr Gelegenheit dazu zu geben als die Höflichkeit gebietet." Die Erklärung kam von Nagi, der plötzlich wieder zurück war. Vielleicht, weil Schuldig… sich aus dem Staub gemacht hatte? Und woher wusste der Jüngere eigentlich so gut Bescheid? Ganz davon abgesehen: was konnte dieser Typ eigentlich von Crawford wollen? Seine Verwirrung wurde mit einem nachdrücklichen Blick quittiert. "Schuldig hat einen Job zu erledigen und kann uns daher für eine Weile nicht mehr auf die Nerven fallen. Der Herr dort hat vorhin gesehen, wie Crawford sich mit unserem werten Gastgeber unterhalten hat. Und da Crawford hier eindeutig ein neues Gesicht ist, will er nun zweifellos herausfinden, woher die beiden sich kennen. Vielleicht lässt sich daraus ja Kapital schlagen, egal, ob sozialer oder wirtschaftlicher Natur. Und natürlich habe ich alles genau im Auge behalten, so wie die anderen auch. Sonst noch irgendwelche Fragen?" Wortlos schüttelte er den Kopf, etwas überwältigt. Und dann konnte er nicht anders als zu lachen. Farfarello grinste daraufhin und selbst Nagis Mundwinkel kurvten kaum merklich nach oben. ~TBC~ Kapitel 25: "Will dir wieder jemand an die Wäsche?" --------------------------------------------------- "Ich hatte nicht erwartet, dass wir uns noch einmal begegnen." Er seufzte innerlich, denn irgendwie hatte er gehofft, jetzt seine Ruhe zu haben, nachdem er eine besonders hartnäckige Dame endlich losgeworden war. Nach außen hin spiegelte sich nichts von dieser Überlegung wider, vor allem nicht auf seinem Gesicht, das ein höfliches Lächeln zeigte, als er sich dem Neuankömmling zuwandte. Braune Augen weiteten sich kaum merklich, als er den anderen wiedererkannte, doch er verbarg diese unwillkürliche Reaktion, indem er leicht den Kopf in Erwiderung neigte. "Das ist wirklich ein interessanter Zufall…" Aus mehr als einem Grund antwortete er auf Japanisch, ließ den Satz in einer stummen Frage ausklingen. Der ältere Mann hatte keine Schwierigkeiten damit, ihm in der gleichen Sprache zu antworten. "Mein Name ist Richard Walter." Ihm wurde eine Hand hingehalten und ohne zu zögern ergriff er sie. "Crawford. Erfreut, dieses Mal wirklich Ihre Bekanntschaft zu machen." Das begleitende Lächeln war echter als das zuvor und seine Worte beinahe aufrichtig gemeint. Denn wenn er mit seiner damaligen Einschätzung richtig gelegen hatte, hatte er hier jemanden vor sich, der für sein Geld arbeitete. Was mehr war als man von den meisten behaupten konnte, die heute bereits das Gespräch mit ihm gesucht hatten. In den blauen Augen seines Gegenübers blitzte Amüsement auf, das von Verstehen getragen wurde. "Es scheint so, als würden Sie einen gewissen Unterhaltungswert während des bisherigen Small Talks vermissen." Wieder neigte er den Kopf, dieses Mal als Eingeständnis, ohne es aussprechen zu müssen. "Ich nehme an, dass es Ihnen nicht anders geht." Denn sonst hätte Herr Walter sicher nicht so leicht erkennen können, was gerade in ihm vorging. Er erntete keinen Widerspruch, was nur eine andere Form von Zustimmung war. "Ich muss zugeben, dass Ihre Person zumindest etwas unerwartete Abwechslung mit sich gebracht hat. Bei Veranstaltungen wie dieser hier begegnet man häufig denselben vertrauten Gesichtern. Wozu Sie ganz sicher nicht zählen. Kein Wunder, dass ich zuvor keine Chance hatte, bis zu Ihnen vorzudringen." Der Kopf wurde leicht zur Seite geneigt. "Was aber nicht heißt, dass nicht auch ein paar Informationen bis zur mir vorgedrungen sind." Wieder mit einem Lächeln. "Sie haben also unseren Gastgeber in Japan kennengelernt?" "Ich habe dort gearbeitet, während er mit seiner Familie seinen Urlaub dort verbracht hat. Die Einladung habe ich aber nur der Tatsache zu verdanken, dass wir uns vor ein paar Tagen in der Mall über den Weg gelaufen sind. Ansonsten haben wir nichts weiter miteinander zu tun." Es fiel ihm nicht schwer, die reine Wahrheit zu sagen und das Wichtige gleichzeitig zu verschweigen. "Ah, ich hatte mich für einen Moment schon gefragt, ob Sie vielleicht seinetwegen Ihren Urlaub hier verbringen." Der Ältere bemerkte zum Glück nicht, wie er für einen Moment erstarrte, sondern sprach unmittelbar weiter. "Werden Sie nach Ihrem Urlaub nach Japan zurückkehren? Vielleicht lohnt es sich, in Kontakt zu bleiben. Es ist schließlich nicht so einfach, dort Geschäfte zu machen. Und vielleicht können wir uns mal gegenseitig helfen." Das Angebot fiel nicht völlig aus dem Rahmen, aber ungewöhnlich war es schon. Auf der anderen Seite… vielleicht war er Herrn Walter ganz einfach auf den ersten Blick so sympathisch gewesen, wie es umgekehrt der Fall war. So etwas passierte nicht häufig, aber es kam vor. "Mm, die Idee wäre grundsätzlich nicht schlecht, allerdings habe ich beschlossen, vorläufig hier in den USA zu bleiben." Aus irgendeinem Grund geriet der Blick der grau-grünen Augen für einen Moment besonders durchdringend, dann aber fand Herr Walter zu einem Lächeln zurück. "In dem Fall… falls Sie einen neuen Job suchen, können Sie sich gerne bei mir melden", kam die überraschende Erwiderung, bevor ihm der Ältere eine Visitenkarte überreichte. Mit einer hochrutschenden Augenbraue nahm er sie an. "Verteilen Sie Jobangebote häufiger, obwohl Sie gar nicht wissen, was Ihr Gegenüber bisher geleistet hat?" Der Andere ließ sich von seiner leicht ironischen Frage nicht irritieren. "Nicht häufig, aber gelegentlich. Und bisher hat mich meine Menschenkenntnis nicht im Stich gelassen." Mit einem feinen Lächeln, hinter dem noch etwas zu stehen schien, das er nicht entziffern konnte. In dieser Situation wäre Schuldig ganz nützlich gewesen – doch der hatte gerade Wichtigeres zu tun. Also deutete er lediglich eine leichte Verbeugung an. "Vielen Dank für Ihr Vertrauen. Ich werde Ihr Angebot im Hinterkopf behalten." Während dieser Auskunft war er sehr genau beobachtet worden, anscheinend wollte Herr Walter wissen, wie ernst er das meinte, was ein Hinweis darauf war, dass dieser ihm das Angebot nicht nur aus einer Laune heraus unterbreitet hatte. Eine Vermutung, die noch dadurch bestärkt wurde, dass der Ältere ihm anschließend höflich aber dennoch zielgenau Fragen zu seinen bisherigen Tätigkeiten zu stellen begann. Er hielt seine Anworten oberflächlich, ohne dass das offensichtlich wurde, hielt sich dabei an die offizielle Geschichte. Auch in solchen Fällen half es, dass sie tatsächlich echte Verträge mit den jeweiligen Büros hatten. Herr Walter gab sich zum Glück bald zufrieden oder er war ganz einfach wohlerzogen genug, um zu wissen, wann man bei solchen Anlässen seinen Gesprächspartner wieder freigeben sollte. Jedenfalls dauerte es nicht mehr lange, bis sie sich voneinander verabschiedeten. Anschließend schien schon wieder jemand in den Startlöchern zu stehen, um ein Gespräch mit ihm zu suchen, doch dieses Mal ließ er sich nicht darauf ein, wobei half, dass Schuldig im rechten Moment auftauchte und eine bequeme Entschuldigung für seinen schnellen Abschied bot. Der Deutsche empfing ihm mit einem Grinsen, das für dessen Verhältnisse als subtil eingeordnet werden konnte. "Was findest du so amüsant?", erkundigte er sich, während sie auf Ran und den Rest von Schwarz zusteuerten. Grüne Augen blitzten kurz zu ihm herüber. "Ich habe dich noch nie mit einem deutschen Akzent sprechen hören", wurde dann erklärt. Er unterdrückte ein leises Schnauben. "Es ist immer wieder faszinierend, worin du Humor finden kannst." "Ha, ha." Schuldig wurde etwas ernster. "Ist diesem Typen eigentlich nichts aufgefallen? Der hat dich damals im Hotel gehört." "Das war der Grund, warum ich mich mit ihm auf Japanisch unterhalten habe. Ganz davon abgesehen, dass ich mehr Neugierige abschrecken wollte…" Er verdrehte _nicht_ die Augen, bevor er eine Gegenfrage stellte. "Du warst bereits zurück?" Der Telepath zuckte mit den Schultern. "Nur zum Ende hin. Es war nicht schwer, ihn wiederzuerkennen. Er hat einen sehr disziplinierten Verstand." Das wunderte ihn nicht wirklich, was sein leichtes Nicken widerspiegelte. "Falls du die Gelegenheit hast, versuche heute noch mehr über ihn in Erfahrung zu bringen." "Natürlich, Boss", kam es automatisch, bevor ihm ein langer Blick zugeworfen wurde. "Gibt es einen Grund für Misstrauen?" "Nein, das nicht. Er hatte nur ungewöhnlich viel Interesse an mir. Also kann es nicht schaden, auch etwas Interesse an ihm zu zeigen." Schuldig setzte daraufhin ein Grinsen auf, das nichts Gutes versprach. "Will dir wieder jemand an die Wäsche?" Wurde dann gefragt, zweifellos absichtlich so getimt, dass Ran ihn hören konnte. Prompt richteten sich violette Augen auf ihn und in Rans Blick konnte er eine Mischung von Unsicherheit und Besitzanspruch lesen. Nun, letzteres zumindest war ein Fortschritt nicht wahr? Er schüttelte leicht den Kopf in Richtung des Rotschopfs, sah Schuldig dann strafend an. "Versuch deinen fragwürdigen Humor bitte besser unter Kontrolle zu halten." Als Dank erhielt er einen unschuldigen Gesichtsausdruck zurück, aber gut dahinter verborgen brannte etwas anderes, das ihn daran erinnerte, dass Schuldig nie aufgehört hatte, ein gewisses Interesse an ihm zu zeigen. "Ich kann mich noch erinnern, wie du mir früher mal erzählt hast, dass du bei solchen Veranstaltungen warst. Und du sowohl von Männlein als auch von Weiblein Angebote bekommen hast. Außerdem kannst du nicht abstreiten, dass sich heute viele Leute um deine Aufmerksamkeit bemüht haben." Ran fand sich auf einmal an seiner Seite ein, ein Streifen von Wärme, so nahe stand er. "Du klingst so, als würdest du auch mehr Aufmerksamkeit haben wollen." Schuldig stutzte, schüttelte dann mit einem schiefen Grinsen den Kopf. "Von diesen Normalos hier? Nein, danke. Mit denen soll sich lieber Crawford langweilen." Kaum dass es ausgesprochen war, weiteten sich die grünen Augen kaum merklich. Und er musste wieder ein Schnauben zurückhalten. Anscheinend hatte Ran nicht nur verstanden, woher Schuldigs Tirade gekommen war, sondern hatte ihm auch mühelos vor Augen geführt, wieso diese vollkommen unnötig war. Farfarello lachte auf, zog gleichzeitig an den orangefarbenen Strähnen, um Schuldig von weiteren Dummheiten abzuhalten. Was nicht unbedingt der… wirksamste… Weg war, doch der Telepath wandte sich daraufhin seinem Freund zu und damit war das Ziel erreicht. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende geführt, musste ihm Schuldig das Gegenteil beweisen, denn der Orangehaarige streckte mit einem Mal einen Finger aus und deutete auf Ran, der unverändert neben ihm stand. "Wenn die nicht annehmen würden, dass du kaum Englisch kannst, wärst du auch schon überfallen worden. Nicht nur eine der Anwesenden hier hat innerlich angemerkt, dass du auf exotische Weise schön aussiehst." Dieses Mal war es nicht nur Farfarello, der das lustig fand, auch Nagi wirkte sichtlich amüsiert. Ran hingegen wurde erst blass dann rot, bevor ihn ein hilfesuchender Blick traf. Worauf er nur mit einem angedeuteten Schulterzucken reagierte. Schließlich war Ran alt genug, um mit Schuldigs Art von Scherzen klarzukommen. Die wortlose Antwort wurde sehr wohl verstanden, denn der Rothaarige verschränkte prompt die Arme vor der Brust, schenkte erst ihm einen unamüsierten Blick, bevor Schuldig mit einem sauren Funkeln bedacht wurde. Der hob in gespielter Abwehr beide Hände. "Ich kann ja nun wirklich nichts für die Gedanken anderer Leute." "Das vielleicht nicht", gab Ran ohne zu zögern zurück. "Allerdings kannst du etwas dafür, wenn sie ohne Not ausgesprochen werden." Da hatte er ihn. Doch Schuldig hatte für dieses Argument nur ein weiteres Grinsen übrig. "Hab dich nicht so, Ran-chan." Und ohne ihm eine Chance zum Widerspruch zu lassen, wurde Ran gepackt und hinter Schuldig hergeschleift. Oder zumindest wäre es so geschehen, wenn dieser nicht freiwillig gefolgt wäre. Ihm war bereits klar, was Schuldig aufgefallen war, nämlich, dass der Uhrzeiger sich Mitternacht näherte. Also nickte er den anderen knapp zu, woraufhin sie sich den beiden anschlossen. Wobei Farfarello natürlich nichts Besseres zu tun hatte, als sie mit ein paar schnellen Schritten einzuholen und sich seinerseits an Ran zu hängen. "Du weißt, dass Ran Recht hatte. Schuldig könnte tatsächlich mal lernen, seinen Mund zu halten." Nagi lief seelenruhig neben ihm her. "Ich denke, das ist niemanden von uns neu." Seine Mundwinkel kurvten leicht nach oben. "Allerdings muss ich in diesem Fall an Schuldigs Lernfähigkeit zweifeln." "Lernwilligkeit meinst du wohl." Der Jüngere wirkte auf einmal ausgesprochen amüsiert. "Sieh mich als berichtigt an." Weitere Worte waren an dieser Stelle beim besten Willen nicht nötig, weswegen sie den Rest des Weges schweigend zurücklegten. Es war eine für die Jahreszeit angenehm laue Nacht, deren Luft sie umfing, als sie nach draußen traten. Was auch gut so war, denn selbst das schönste Feuerwerk verlor an Anziehungskraft, wenn man mehr mit erfrierenden Gliedmaßen als allem anderen beschäftigt war. "Wollt ihr dort Wurzeln schlagen?" Die Frage kam von Schuldig, der mit den anderen bereits einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen hatte. Nagi seufzte tief und gekonnt, bevor dieser nach einem kurzen Blickkontakt mit ihm die Stufen der weitgeschwungenen Treppe hinunterschritt. Er schloss sich ihm ohne zu zögern an, während braune Augen sich zum ersten Mal die Zeit nahmen, etwas mehr von seiner Umgebung aufzunehmen. Trotz der Tatsache, dass es Nacht war, erleuchteten die großzügig verteilten Laternen den Garten ausreichend, um zu sehen, wie gepflegt dieser war. Bei ihrem ersten Besuch hier hatte er nicht darauf geachtet, seine Gedanken waren da anderweitig beschäftigt, doch nun schaffte es der Anblick, wieder Erinnerungen wachzurufen. Es war damals ganz sicher kein bewusster Teil seiner Entscheidung gewesen, doch wahrscheinlich hatte er auch dem hier entkommen wollen. Dieser perfekten Fassade seiner Kindheit. Ein Stück Selbsterkenntnis, das er verarbeitete und dann ruhen ließ. Denn alles andere wäre auch kontraproduktiv gewesen… Mit einem trockenen Lächeln kam er neben Ran zu stehen, der seine Freiheit zurückerlangt zu haben zu schien. Und die neu gewonnene Freiheit wurde gleich dazu genutzt, sein Handgelenk mit einem eisernen Griff zu umschließen. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah er nach unten, suchte dann Rans Blick. "Trennungsängste?" Überraschenderweise wurde Ran weder verlegen noch unsicher, sondern zog seinerseits eine Augenbraue hoch. "Ich gehe lieber auf Nummer sicher. Jetzt hat Schuldig wenigstens keine Chance, mich wieder zu verschleppen." Der Orangehaarige hatte natürlich gelauscht und verschränkte in gespielter Empörung die Arme vor der Brust. "Da will man jemandem einen Gefallen tun und erntet nichts als Klagen." "Was daran liegen könnte, dass deine Art von Gefallen in der Regel nur deinem Amüsement dienen und die glücklichen Empfänger sich selten besonders glücklich darüber fühlen." Nagis kühle Stimme schnitt wie ein Eiszapfen in Schuldigs Herz – wenn man dessen theatralischen Reaktion Glauben schenken wollte. Selbst Farfarello hatte für diese schauspielerische Leistung nur ein Schnauben übrig. Für ein paar Sekunden noch tat der Deutsche beleidigt, dann aber grinste er und deutete nach oben. "Ich habe uns den besten Platz ausgesucht, jedenfalls wenn man der Meinung der Experten glauben darf, die für den Aufbau zuständig waren." Und als wäre sie dem Fingerzeig gefolgt, erklomm die erste Rakete den Himmel. Das neue Jahr hatte begonnen. Er lächelte flüchtig, bevor er sich zu Ran herunterlehnte und ihn küsste. ~TBC~ Kapitel 26: "Du hast also einen Spielkameraden gefunden" -------------------------------------------------------- "Herr Schneider?" Es geschah selten genug, dass ihn der Deutsche anrief, so dass echte Überraschung in seiner Stimme durchklang, bevor er sie unter Kontrolle bringen konnte. Im nächsten Moment schloss er die Augen und lehnte sich zurück, auf den feinen Spott des Älteren wartend, der Folge seiner Reaktion sein sollte. Doch Schneider blieb besorgniserregend ernst. "Crawford. Ich habe dem Team drüben die Kontaktaufnahme mit euch erlaubt." Seine Augen flogen wieder auf, als er sich automatisch sehr aufrecht hinsetzte. "Welche Probleme gibt es?" Im Stillen verarbeitete er die neue Information, dass Schneider nicht nur eine oder zwei Personen rübergeschickt hatte, um zunächst einmal zu ermitteln. "Sie haben ein Paar wilder Talente entdeckt. Und die sind auf dem besten Wege, von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden." Also keine Spur zu ihren geheimnisvollen Verfolgern damals… Er kämpfte die leichte Enttäuschung nieder, konzentrierte sich lieber auf das, was er gerade erfahren hatte. Und runzelte die Stirn. "Sollten… Ihre Leute… nicht mit so etwas klarkommen?" Wenn es nur zwei Talente waren und Schneider ein Team hier hatte, sollte Schwarz' Unterstützung redundant sein. Womit eine Kontaktaufnahme nicht angeraten war. Ganz wie Schneider es damals gesagt hatte. "Hm, davon sollte man ausgehen… Leider haben sich die beiden aber als schwer zu fassen erwiesen. Sie können anscheinend ohne größere Probleme sehr viele Menschen auf einmal beeinflussen und nutzen dies, um ihren Verfolgern Hindernisse in den Weg zu legen. Lebende." Und solange sie auf mögliche Zeugen aufpassen mussten, wäre das ein wirksames Abwehrmittel. Wie Schuldig selbst hatte erfahren müssen. "Ich verstehe." "Ich weiß." Und endlich schlich sich ein Hauch von Amüsement in Schneiders Stimme. "Die gute Nachricht ist, dass sie keine Anzeichen dafür finden konnten, dass immer noch jemand hinter euch her ist. Was natürlich auch der Grund dafür ist, dass sie bisher erfolglos bei ihrer Suche waren." Er nickte unwillkürlich, auch wenn Schneider das nicht sehen konnte. "Ich nehme an, diese Entwicklung wird Ihren Besuch weiter hinauszögern." Seine Stimme blieb fast ausdruckslos. Der Andere schwieg für einen Moment, schien dann zu einer Entscheidung zu gelangen. "Nur minimal. Ich gehe davon aus, dass ihr zusammen das aktuelle Problem schnell lösen könnt." Wieder vergingen ein paar Sekunden, bevor Schneider weitersprach. "Crawford, ich habe nicht vor, dich unnötig warten zu lassen. Ungeachtet dessen denke ich immer noch, dass es nichts an deiner Einstellung ändern wird, wenn ich die Blockade löse. Nachdem du jetzt Gelegenheit hattest, über alles in Ruhe nachzudenken." Ihm war bewusst, dass Schneider höchstwahrscheinlich Recht hatte. Was nichts daran änderte, dass er wieder ganz und gar Herr seiner selbst sein wollte. Es musste nicht ausgesprochen werden, Schneider verstand es auch so, seufzte schließlich leise. "Ich warte auf euren Bericht. Je schneller ihr einen Erfolg meldet, desto eher kannst du mit meinem Besuch rechnen." Zuletzt schlich sich beinahe Humor in die Stimme des Älteren. Und dann legte Schneider auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Ha… nun, wenigstens sollte für ausreichend Ablenkung gesorgt sein, bis Schneider endlich herkam. Ein ironisches Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, als er einen Blick auf die Uhr warf. Beinahe Zeit fürs Abendessen. Er musste die anderen also nicht zusammenrufen, sie würden sowieso gleich Gelegenheit haben, die Neuigkeiten zu hören. Die Entscheidung war kaum getroffen, als der Türknauf sich bewegte und gleich darauf die Tür sanft aufgestoßen wurde. Es war Ran, der beinahe auf Zehenspitzen das Zimmer betrat. Der Rothaarige lächelte, als seine Aufmerksamkeit bemerkt wurde, dann huschten die violetten Augen suchend über seinen Schreibtisch hinweg. "Bist du fertig? Nagi hat gesagt, dass das Essen gekommen ist." Rasch ordnete er die Unterlagen, mit denen er sich vor Schneiders Anruf beschäftigt hatte, erhob sich dann. Woraufhin Rans Lächeln ausgesprägter wurde. Der Jüngere wartete, bis er neben ihm stand und flüchtig tastete eine Hand über seinen Arm, eine stumme Versicherung, bevor Ran vorausging. Nagi war gerade dabei, Steak und Backkartoffeln zu verteilen, von Schuldig und Farfarello fehlte jedoch jede Spur. "Sie wissen Bescheid", meinte der Telekinet auf seinen fragenden Blick hin, deutete mit der inzwischen wieder freien Hand nach unten. "Farfarello wollte vorher noch sein Training zu Ende bringen, aber es sollte nicht mehr lange dauern." "Gut. Es hat sich nämlich ein Auftrag ergeben." Ran erstarrte kurz, als dieser das hörte, setzte sich dann aber endgültig hin. Nagi hingegen zeigte lediglich leichtes Interesse. "Ich hätte nichts dagegen, wenn ich endlich mal wieder vernünftige Arbeit habe. Immer nur die Schule ist auf Dauer sehr eintönig. Und die Kurze Recherche in Sachen Herrn Walter hatte nicht viel Abwechslung gebracht." Das war wahr. Amüsement trat in braune Augen. Herrn Walters Systeme hatten sich als unerwartet harte Nuss erwiesen, anscheinend waren dort ein paar ausgesprochen fähige Leute für die Datensicherheit verantwortlich. Da allerdings weder Schuldigs Scan damals auf dem Silvesterball noch Nagi bei seinen Standardüberprüfungen etwas Verdächtiges entdeckt hatten, waren weitere Nachforschungen nicht erforderlich gewesen. Mm… was aber nicht unbedingt hieß, dass Nagi aufgegeben hatte. Der Jüngere wusste eine Herausforderung schließlich zu schätzen. Er suchte Nagis Blick. "Ich will hoffen, dass du ihm keine Scherereien bereitest. Es gibt schließlich keinen Grund dazu." Der unschuldige Gesichtsausdruck des Jüngeren fiel viel zu sehr aus dem Rahmen, um glaubwürdig zu sein. Und Rans Prusten nach zur urteilen, war dieser genau der gleichen Ansicht. Seine Mundwinkel kurvten unwillkürlich nach oben, bevor er sie wieder unter Kontrolle brachte. "Nagi." Nur der Name, mit einer leisen Mahnung. Woraufhin der Telekinet – beinahe – die Augen verdrehte. "Ich versuche ja gar nicht mehr, ihn zu hacken." Eine kurze Pause. "Jedenfalls nicht ernsthaft." Und jetzt schlich sich ein Hauch echter Begeisterung in Nagis Stimme. "Auf seiner Seite hat jemand gleich beim ersten Versuch meine Anwesenheit bemerkt. Und beim nächsten Mal hat er mir ein Hintertürchen offengelassen. Wie sich herausstellte, nur um zu sehen, ob ich es finde. Denn was es zu finden gab, war nicht weiter echt. Nur ein abgeschotteter Datenraum mit sinnlosen Informationen." Nagi klang ganz und gar nicht verstimmt darüber. "Seitdem schaue ich regelmäßig vorbei und es gilt immer wieder einen neuen Weg zu finden." "Du hast also einen Spielkameraden gefunden", fasste er zusammen, nicht sicher, ob er wirklich so amüsiert darüber war, wie er gerade klang. Was Nagi nicht nur merkte, sondern auch richtig interpretierte. Und im nächsten Moment wurde der junge Telekinet ernst. "Ich habe aufgepasst. Er hat nicht ein Mal versucht, mir zurück zu folgen. Und auch ansonsten gab es keine Attacken." Nagi lehnte sich zurück. "Selbst wenn, wären sie ins Leere gelaufen." Das absolute Selbstvertrauen, mit dem Nagi das sagte, ließ ihn nicken. Schließlich sorgte der Junge schon seit Jahren für ihre Datensicherheit und hatte noch nicht ein einziges Mal in dieser Aufgabe versagt. Mit dieser Bestätigung verlor Nagi die unterschwellige Anspannung, die ihn für einen Moment ergriffen hatte und fand jetzt ebenfalls einen Platz. Kaum dass er saß, trafen auch Schuldig und Farfarello ein, wobei nur letzterer so aussah, als wäre er mit Training beschäftigt gewesen. Sein prüfender Blick wurde von Schuldig aufgefangen, der mit den Schultern zuckte und dann ein lässiges Grinsen zeigte. "Farf wollte seine Zielgenauigkeit trainieren, dafür brauchte er keinen Gegner." Die grünen Augen schweiften weiter, zu den gefüllten Tellern und das Grinsen wurde breiter. "Hunger habe ich aber trotzdem." Nagis Schnauben war so leise, dass es in dem Geräusch unterging, mit dem die Stühle zurückgezogen wurden. Doch auch wenn der Telekinet für einen Moment seine einleitenden Worte von zuvor vergessen zu haben schien, so gab einen hier, der sich nicht so einfach ablenken ließ. "Was ist das für ein Auftrag?" Rans leise Frage sorgte dafür, dass Schuldigs Besteck verharrte, wo es gerade dabei gewesen war, das Steak zu zerschneiden. Und prompt richteten sich die grünen Augen wieder auf ihn. "Ein Auftrag?" Das Echo zu Rans Worten ließ ein humorloses Lächeln an seinen Mundwinkeln ziehen. "Es scheinen wilde Talente aufgetaucht zu sein", verkündete er dann. Während Ran dieser Auskunft relativ ratlos gegenüberstand, hoben sich Schuldigs Augenbrauen. "Sicher? Das ist ausgesprochen selten, nicht wahr?" "Hm, ja. Normalerweise sterben sie ohne Ausbildung oder ihre Fähigkeiten bleiben zu unausgeprägt, um aufzufallen. Wenn es anders wäre, hätten wir unsere Existenz nicht so lange geheimhalten können." "Waren es dieselben, die Schuldig und Farfarello bereits über den Weg gelaufen sind?" Die Vermutung kam von Nagi und wurde von dem Telepathen sofort mit einem Kopfschütteln verneint. "Was uns über den Weg gelaufen ist, war alles andere als wild. Sie waren zwar nicht auf Rosenkreuz ausgebildet worden, doch unter Kontrolle hatten sie ihre Talente. Sie waren trainiert." "Nun, vielleicht sind das die neu aufgetauchten auch. Wie sollen Talentlose das schon unterscheiden… Und selbst wenn es nicht dieselben sind, könnten sie immer noch zur gleichen Gruppe gehören." Das Argument war gut, hatte aber einen Haken, da Nagi eine bestimmte Information fehlte. "Das wäre eine Möglichkeit, wenn es nicht jemand von uns gewesen wäre, dem sie aufgefallen sind." Schuldig horchte auf. "Wer von uns sollte-" Der Orangehaarige verstummte abrupt. "Ah…" Dieses Grinsen wirkte, als wäre es leicht… verrutscht. "Dann war Herrn Schneiders Mann doch noch für etwas nützlich, wenn er schon nicht herausgefunden hat, wer da so unbedingt unsere Bekanntschaft machen wollte." "Warum eigentlich nimmst du automatisch an, dass er keine Frau hergeschickt hat?", erkundigte sich eine belustigte Stimme. "Wenn du solche diskriminierenden Tendenzen zeigst, kann Julia dir das schnell übelnehmen." Nagi war genauso wenig überrascht wie er selbst, doch Schuldig hatte anscheinend nicht bemerkt, dass jemand ihr Haus betreten hatte. Und zuckte flüchtig zusammen. Im nächsten Moment war die bekannte Stimme verarbeitet worden und grüne Augen verengten sich. "Du!" Die wenig eloquente Begrüßung vertiefte Stephans Belustigung nur. "Hallo Schuldig, lange nicht gesehen." Ihr Telepath wandte den Blick wieder seinem Teller zu. "Nicht lange genug", wurde dann gemurmelt. Anschließend tat Schuldig so, als wäre Stephan Luft für ihn. Er nickte seinem ehemaligen Zimmergenossen zu. "Herr Schneider hat also Ex auf unsere Unbekannten angesetzt." Mehr Feststellung als Frage. "Es sind noch _mehr_ von seiner Sorte hier?" Sie beide beschlossen, Schuldigs Mangel an Begeisterung zu überhören. Stephan lehnte sich lässig gegen den Türrahmen. "Er war der Ansicht, dass wir dir beste Wahl für diesen Job sind. Egal, was wir vorfinden würden." Natürlich. Immerhin waren Ex dafür da, abtrünnige Talente aufzuspüren. Und da war es gleichgültig, ob sie dem eisernen Griff von SZ entflohen waren oder tatsächlich einer bisher unbekannten Gruppe angehörten. Sein schmales Lächeln spiegelte dieses Urteil wider und wurde von dem Tracer aufgenommen. Schuldig hingegen blieb unfreundlich. Vielleicht war es nur ein Überbleibsel der Vergangenheit, in der der Telepath als jüngerer Schüler nie eine Chance gegen Stephan gehabt hatte. Es wäre kleinlich, aber bei Schuldig nicht unmöglich. Andererseits könnte es aber auch an Stephans Job liegen. Wenn nicht alles so gelaufen wäre, wie es schließlich gekommen war… dann hätte Stephan jetzt hinter ihnen her sein können. "Wenn ihr so toll seid, warum seid ihr dann so erfolglos?", warf der Orangehaarige ein. Stephan ließ sich von den Anfeindungen nicht beeindrucken. "Uns fehlt immer noch ein Anknüpfungspunkt, um die Spur aufzunehmen. Sie waren schlau genug, nicht wieder in eurer Nähe aufzutauschen. Also wenden wir unsere üblichen Suchroutinen an. Die zwar Geduld erfordern, aber früher oder später immer zum Erfolg geführt haben. Und auch wenn uns noch nicht die richtigen ins Netz gegangen sind, so sind wir immerhin auf diese Zwillinge gestoßen." Stephan war unerwartet freizügig mit Informationen. Dann wiederum verriet er nicht genug, um wirklich ihre Methoden nachvollziehen zu können. Doch eines immerhin ließ sich aus den Ausführungen herauslesen: Die inhärente Schwäche ihrer Vorgehensweise lag darin, dass sich jemand wie ein Talent verhalten musste. Bei ehemaligen Rosenkreuz-Schülern konnte man das als gegeben annehmen. Die Abgänger waren viel zu stolz auf ihre Fähigkeiten, fühlten sich den Talentlosen viel zu überlegen, um ihre Fähigkeiten nicht anzuwenden. Wer auch immer Schuldig und Farfarello gegenüber gestanden hatte, schien besonnener zu sein. Und das war wahrscheinlich mit ein Grund, warum Schneider inzwischen davon überzeugt war, dass er es mit niemanden aus den eigenen Reihen zu tun hatte. "Zwillinge?", hakte er nach, ohne auch nur anzudeuten, in welche Richtungen seine Überlegungen gewandert waren. Stephan zuckte mit den Schultern. "Ich habe keine Bilder. Wenn sie in der Nähe von Kameras waren, haben ihre Talente für eine Störung gesorgt, die alle Aufzeichnungen zunichte machten. Doch Sven konnte aus den Köpfen von Zeugen ein paar Informationen gewinnen. Nicht viel, aber unsere Ziele sehen sich anscheinend so frappierend ähnlich, dass es hängen geblieben ist. Auch wenn die wilden Talente ihr bestes gaben, solche Erinnerungen zu verhindern." Nicht nur er selbst wusste zu interpretieren, was genau diese Information noch preisgab. Schuldig schaffte es ebenfalls problemlos. Was er nicht schaffte, war, seinen Mund zu halten. "Du willst mir erzählen, dass ihr einen Telepathen in eurem Team habt, einen _Ex_, der es nicht schafft, mit zwei unausgebildeten Wilden klarzukommen?" Hohn sprach aus der Stimme des Orangehaarigen. Er warf ihm einen überraschten Blick zu. Denn auch wenn Schuldig nie gut auf Stephan zu sprechen gewesen war, so sollte dieser vernünftig genug sein, es sich nicht mit den Ex zu verscherzen. Doch Schuldig war anscheinend eine Laus über die Leber gelaufen und jetzt wollte er seinen Missmut verbreiten. Stephan schien ebenfalls zu diesem Schluss gelangt zu sein und schenkte Schuldig ein kühles Lächeln. "Wenn du meinst, dass du Grund für eine Beschwerde hast, kannst du dich gerne mit Sven messen. Wir werden sehen, ob du danach immer noch an seinen Fähigkeiten zweifelst." Schuldigs mürrisches Schweigen daraufhin war ausgesprochen beredt. ~TBC~ Kapitel 27: "Erst reagieren, dann prüfen, wen du erwischt hast" --------------------------------------------------------------- Ihm war klar, dass Schuldigs Einwurf nicht besonders höflich gewesen war, doch er hätte gerne eine Antwort gehört. Die dieser fremde Mann allerdings nicht für erforderlich zu halten schien. Stattdessen erhielt Schuldig eine Verwarnung, auch wenn sie etwas anders formuliert war, und das war es dann. Unterm Tisch ballte sich seine Hand zur Faust und er konnte spüren, wie seine Fingernägel in seine Haut schnitten. Er zweifelte nicht an Schwarz' Fähigkeiten, doch diese Zwillinge klangen gefährlich. Also beschloss er, die offensichtliche Frage zu stellen. "Wenn es Telepathen sind. Und Sie haben bereits einen in Ihrem Team, der besser ist als Schuldig. Wofür benötigen Sie dann Schwarz?" Der Braunhaarige wandte sich ihm zu, als würde er erst in diesem Moment wahrgenommen werden, doch etwas sagte ihm, dass das nur Show war. Dieser Mann war wie Crawford in diesem Aspekt. Sich seiner Umgebung sehr genau bewusst. Und es war sicher kein Zufall, dass die Unterhaltung auf Englisch geführt worden war. Die hellen blauen Augen musterten ihn für einen Moment, bevor der Ältere eine Verbeugung andeutete. Entweder ironisch oder… in Rücksichtnahme auf seine Herkunft, wie ihm aufging, als der Mann sprach. "Wir sind uns noch nicht vorgestellt worden. Mein Name ist Stephan Monreau. Ich kenne Crawford und Schuldig noch von der Schule." Er erhob sich und erwiderte die Verbeugung. "Ran Fujimiya." Er passte sich an die westliche Reihenfolge an. "Aber ich nehme an, das wissen Sie bereits." Belustigung blitzte in den blauen Augen auf, bevor er ein anerkennendes Nicken erhielt. "Ich muss zugeben, dass ich bereits von dir gehört habe." Dann wurde der Mann ernster. "Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Er hat lediglich gemeint, dass Schuldig und Crawford dabei nützlich sein könnten, die beiden festzusetzen. Und hinzugefügt, dass Crawford den Grund dafür kennen sollte." Letzteres mit einem Seitenblick zu dem Amerikaner hin. Er folgte dem Blick und sie beide wurden mit einem schmalen Lächeln, allerdings mit keiner Antwort, bedacht. Woraufhin sich die Aufmerksamkeit des Anderen wieder auf ihn richtete. "Wie du siehst, wirst du dich hinsichtlich einer Antwort wohl noch gedulden müssen." Das musste er tatsächlich, denn Crawford sah nicht so aus, als wollte er vor diesem Stephan zugeben, was so besonders an ihm und Schuldig sein sollte. Denn er war sich sicher, dass es hier nicht nur darum ging, dass die zwei ganz im Allgemeinen gute Arbeit leisteten. "Ihr habt die Zwillinge unter Beobachtung?" Crawfords ruhige Stimme klang auf und mit einem innerlichen Seufzen ließ er sich wieder auf seinen Platz sinken. Denn bereits jetzt war ihm klar, dass Crawford sich längst entschieden hatte. Dem Lächeln des anderen Mannes nach zu urteilen, als dieser nickte, war der ganz der gleichen Ansicht. "Sven hat aus der Ferne ein Auge auf sie. Er ist von uns allen am besten dafür geeignet." "Und der Rest deines Teams? Julia...?" "Jäger. Julia Jäger, Empathin. Und Markus Jung gehört zu den Pyros. Die beiden haben mich begleitet. Allerdings hielten wir es für weniger auffällig, wenn nur ich bei euch vorbeischaue. Sie sind bereits länger im Geschäft als ich, von daher solltest du keine Einwände betreffs ihrer Kompetenz haben." Letzteres eindeutig ein Seitenhieb in Schuldigs Richtung. Im Gegensatz zu Schuldig schien Crawford amüsiert. "Das sollte bei euch Ex generell kein Problem sein, nicht wahr?" Auf die rhetorische Frage wurde keine Antwort abgewartet. "Ich möchte, dass wir so schnell wie möglich aufbrechen. Je eher wir die beiden Talente unter Kontrolle gebracht haben, desto besser. Nagi wird uns begleiten, seine Unterstützung könnte sich als hilfreich erweisen." Crawfords Blick richtete sich abrupt auf Farfarello. "Du kannst in der Zwischenzeit ein Auge auf Ran haben." Auf der einen Seite war er nicht begeistert, dass ein Babysitter für ihn als erforderlich befunden wurde. Schließlich würde er nur zur Schule gehen. Auf der anderen Seite allerdings hatte er nicht vergessen, dass da draußen immer noch diese geheimnisvollen Leute herumliefen, denen Schuldig und Farfarello begegnet waren. Weswegen er sich letztendlich für ein Nicken in die Richtung des Iren entschied, der daraufhin grinste. Wie es aussah, hatte Farfarello kein Problem damit, zurückgelassen zu werden. Anders als Schuldig, der zwar nicht laut protestierte, jedoch in einer abgehackten Bewegung aufstand und ohne sich zu verabschieden die Küche verließ. Das Essen blieb nicht einmal zur Hälfte verzehrt zurück. Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, wandte er sich vom Anblick der Tür ab, durch die Schuldig verschwunden war, und stattdessen Crawford zu. Unwillkürlich musste er lächeln und der Ältere erwiderte das Lächeln, auch wenn es nur in dessen Blick stand. "Wie wäre es, wenn du ihm sein Essen bringst? Mit leerem Magen hat er nachher nur noch schlechtere Laune." Er nickte sein Einverständnis, doch seine Mundwinkel rutschten gleichzeitig nach unten. Immerhin war es nicht schwer zu durchschauen, dass Crawford ihn mit diesem Manöver loswerden wollte. Der Schwarzhaarige zog eine Augenbraue hoch, als sein Mienenspiel interpretiert wurde. Dem folgte ein echtes Lächeln, bevor ein Finger sein Kinn anhob und er geküsst wurde. Seine Ohren glühten, als er schließlich aufstand und es dauerte einen Moment, bevor er sich daran erinnerte, was er gerade hatte tun wollen. Crawford hatte ihn noch nie vor einem Fremden geküsst! Aber… alles in allem war das gar nicht so schlimm, sondern erfüllte seinen Magen mit einem heißen Glühen. Bevor er sich auf den Weg machen konnte, schloss Farfarello sich ihm an und sie überließen die Küche den anderen, damit sie ihre Pläne schmieden konnten. Neben einer Kommode, auf der er für den Moment die Teller abstellen konnte, hielt er inne, wandte sich dann langsam Farfarello zu. "Warum bist du eigentlich nicht sauer, dass du bei dem Job nicht dabei sein darfst?" Im Gegensatz zu Schuldig, steckte hinter der Frage. Der Ire tat es ihm nach, zuckte dann nachlässig mit den Schultern. "Was sollten mich schon ein paar Kinder interessieren, die anderen mit ihrem Talent das Leben ab und zu schwer machen? Und Schuldig hat schon häufig genug ohne mich Aufträge erledigt." Ein Grinsen schloss sich dem an und das bernsteinfarbene Auge blitzte kurz in seine Richtung. "Er scheint ganz einfach schlecht auf diesen Stephan zu sprechen zu sein, meinst du nicht auch?" Er lachte auf, bevor er es zurückhalten konnte. Doch die Belustigung floss aus ihm heraus, als Schuldig sich ihnen plötzlich in den Weg stellte. So unerwartet wie ein Schatten, der sich auf einmal von der Wand löste. Während er zwinkerte, in der Hoffnung, wenigstens in seiner Erinnerung die Bewegung zu finden, schien Farfarello nicht überrascht. Grüne Augen streiften über den Iren hinweg, fanden ihn und verengten sich. "Ich will ja sehen, ob du das immer noch so witzig findest, wenn Stephan sich wieder Crawford an den Hals wirft." Schuldigs unerklärliches Erscheinen war vergessen, als er dessen Worte verarbeitete und er fühlte sich… seltsam. Erst als sich Farfarellos Hand um seine schloss, merkte er, dass sich seine Hände wieder zu Fäusten geballt hatten und dieses Mal blieb Blut zurück, als er sie willentlich wieder entspannte. "Willst du Ihm helfen?", wurde Schuldig vorwurfsvoll gefragt und aus irgendeinem Grund zuckte der Deutsche zusammen, während Ernüchterung über dessen Züge spielte. Farfarello hatte sich aber bereits wieder abgewandt und sein Blick löste sich ebenfalls von Schuldig, als der Ire die Hand, die immer noch gehalten wurde, nach oben führte und das Blut wegleckte. Die Art der Ablenkung mochte etwas ausgefallen sein, doch er nahm sie gerne an. "Muss das sein?" Er versuchte, seine Hand aus Farfarellos Griff zu lösen, war gegen den Gleichaltrigen aber chancenlos. Ein Punkt, den der Ire sofort aufgriff. Mit einem Grinsen. "Du brauchst mehr Training." Ein Ruck folgte und er fand sich gegen Farfarello gepresst wieder, Rücken gegen Brust und Schuldig zugewandt. Der schien sein Gleichgewicht wiedergefunden zu haben und hatte für ihn nur ein spöttisches Lächeln übrig. "Hast du tatsächlich so schnell vergessen, was ich dir beigebracht habe?" Nein, das hatte er nicht. Aber der Gedanke, einen dieser Tricks gegen Farfarello anzuwenden, war ihm gar nicht erst gekommen. Nicht außerhalb einer Trainingssituation. Die Erkenntnis wurde ihm geradewegs vom Gesicht abgelesen – oder vielleicht hatte der Telepath ganz einfach sein Talent eingesetzt – und jetzt grinste auch Schuldig. "Du bist noch nicht so weit, was? Erst reagieren, dann prüfen, wen du erwischt hast." Das war gefährlich, aber natürlich weniger für den, der reagierte. Und so hatten sie es Schwarz beigebracht, wie er aus eigener Erfahrung wusste. Er verspürte abrupt das Verlangen, seine Handgelenke zu reiben, ohne dem nachgeben zu können. Farfarello stützte das Kinn auf seiner Schulter ab. "Wie könnten jetzt trainieren. Die anderen sind sowieso beschäftigt." Bevor er etwas sagen konnte, knurrte sein Magen und übernahm es so zu antworten. Doch ehe er rot werden konnte, stimmte Schuldigs Magen mit ein. Was dafür sorgte, dass der Orangehaarige eine wegwerfende Handbewegung machte. "Nicht jetzt, zuerst wird zu Ende gegessen." Damit schnappte sich der Ältere seinen Teller und machte sich auf den Weg in den Keller. Farfarello gab ein zustimmendes Brummen von sich, genau neben seinem Ohr, dann ließ der Ire ihn frei. "Komm", wurde er als nächstes aufgefordert und dann schlossen sie sich beide Schuldig an. Sie ließen sich in dem großen Trainingsraum auf eine der Matten sinken und für den Moment vergaß er seinen Hunger, als ihm das Gestell ins Auge fiel, das zuvor als Farfarellos Zielscheibe gedient haben musste. Es waren lauter kleine Kreise darauf gezeichnet, mit Kreide, wie es aussah, und in jedem dieser Kreise steckte ein Messer. "Falls du hoffst, das nachzuahmen, wirst du sehr viel Training benötigen…" Er stieß ein Schnauben aus. "Ich bin nicht so größenwahnsinnig", gab er zurück, seine Aufmerksamkeit zurück auf Schuldig. Mit leichter Überraschung registrierte er, dass Schuldigs Teller sich in der kurzen Zeit auffällig geleert hatte. Noch während sein Magen erneut seinen Unmut bekundete, äußerte sich Farfarello zu Schuldigs Kommentar. "Vielleicht können wir dich ja überraschen, wenn ihr wieder zurück seid." Er konzentrierte sich lieber auf seinen Teller als darüber nachzudenken, was es für ihn bedeuten würde, sollte Farfarello diesen Plan tatsächlich in die Tat umsetzen. Schuldig hingegen zog eine skeptische Augenbraue hoch. "Ich will ja Ran nicht ein gewisses Talent absprechen, aber du scheinst zu vergessen, dass du ihn nicht von morgens bis abends malträtieren kannst. Immerhin muss er zur Schule gehen." Violette Augen weiteten sich, als ihm ein noch viel schlimmerer Gedanke kam. "Und du kannst auf gar keinen Fall mitkommen, um in den Pausen mit mir zu üben!" Er konnte sich bildlich vorstellen, wie alle vor dem Iren Reißaus nehmen würden und am Ende wäre er ganz allein auf dem verlassenen Gelände. Schuldig grinste amüsiert, gleichzeitig gruben sich dessen Finger in Farfarellos bleiches Haar. "Hör auf ihn, denn letzteres darfst du wirklich nicht. Du würdest ansonsten nur Crawford Scherereien bereiten und der wäre alles andere als angetan davon." Es dauerte einen Moment, aber dann nickte der Andere bedächtig. Als nächstes richtete sich ein bernsteinfarbenes Auge auf ihn, bannte ihn. "Ich werde trotzdem genug Zeit haben, dir ein paar Tricks zu zeigen." Nun war es an ihm zu nicken, mit gut verborgener Erleichterung. Denn etwas Training nahm er gerne auf sich, solange Farfarello nicht auf dumme Ideen kam. Und auch wenn er immer noch sein Katana bevorzugte, wenn es um scharfe Klingen ging, hatte sich zumindest ein Teil von Farfarellos Begeisterung für Messer auch auf ihn übertragen. Plötzlich war Schuldigs freie Hand in seinem Haar und jetzt wurden sie beide getätschelt wie gehorsame Haustiere. "Ihr beide kommt schon klar." Er musterte Schuldig. Das war schon etwas seltsam, aber vielleicht sollten sie einfach nur aufgezogen werden. Im Moment war es alles andere als einfach, die Stimmung des Älteren zu deuten. Farfarello jedenfalls sagte nichts dazu, wandte nur den Kopf, um nicht besonders sanft in den so unvorsichtig präsentierten Unterarm zu beißen. Wenig überraschend wurde er Schuldigs Hand schnell los, als der sich völlig auf seinen Freund konzentrierte. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er zusah, wie der Ältere sich auf Farfarello stürzte, in dem Versuch, ihn niederzuringen. Jetzt hatte er wenigstens die Chance, in Ruhe aufzuessen. Aber auch nicht viel mehr. Kurz nachdem sein Teller geleert und beiseite gestellt war, ließ sich Farfarello neben ihm auf den Boden plumpsen. Und trotz des Impromptu-Kampfs mit Schuldig schien der Andere kein bisschen außer Atem zu sein. "Ich hab es hier", wurde ihm unvermittelt mitgeteilt und die Worte wurden begleitet vom Ausstrecken einer Hand. Violette Augen senkten sich und er zwinkerte, als er erkannte, was genau Farfarello da hielt. Ein Lächeln zog unwillkürlich an seinen Mundwinkeln, als seine Finger sich um geschmeidiges Leder schlossen, vertraut in Form und Gewicht. "Das sollte eigentlich unter meinem Kopfkissen sein." Farfarello entblößte die Zähne in einem unbekümmerten Grinsen. "Dort sollst du es später auch wieder hinpacken, aber jetzt brauchst du es zum Trainieren." Wie sollte er dieser Logik widersprechen? Und der Ire würde es sowieso nicht einsehen, wenn er ihm zu erklären versuchte, dass dieser nicht einfach ohne nachzufragen an seine Sachen gehen sollte. Mit gewohnter Vorsicht zog er das Messer heraus, konnte gleich sehen, dass Farfarello die Klinge poliert hatte. Nun, das war doch immerhin ein Ausgleich, nicht wahr? Violette Augen wurden wieder gehoben und er fand den Blick des Gleichaltrigen. "Dann lass uns anfangen." ~TBC~ Kapitel 28: "Hast du dich wieder abgeregt?" ------------------------------------------- "Ein Talentloser also. Und Schuldig hatte keine Einwände?" Stephan stand gegen die Haustür gelehnt und musterte ihn leicht amüsiert. Er nahm den Wunsch zur Kenntnis, noch einen Moment zu verweilen, und lehnte sich seinerseits gegen die kühle Hauswand. "Glaubst du wirklich, dass ich mir von Schuldig eine Erlaubnis einhole, bevor ich mit jemandem ins Bett gehe?" Mit hochgezogener Augenbraue. Dem anderen entkam ein Auflachen. "Nein, das bestimmt nicht. Doch Schuldig kennt Mittel und Wege, um seinen Unmut zu äußern." Wie auch schon Stephan erfahren hatte, auch wenn Schuldig dabei ausgesprochen erfolglos gewesen war. Sein knappes Nicken gestand dem anderen diesen Punkt zu, dann kurvten seine Mundwinkel nach oben. "Ich denke, Farfarello ist viel zu sehr an Ran interessiert, als dass sich Schuldig wirklich ihm gegenüber etwas herauszunehmen wagen würde." Er war sich ziemlich sicher, dass Schuldig nicht ohne jeden Versuch ausgekommen war, doch er hatte ihn nicht erwischt. Was hieß, dass Ran nicht allzu sehr traumatisiert worden war. Dieser Gedanke rief echte Belustigung in braune Augen, bevor er weitersprach. "Ganz davon abgesehen hat sich Schuldig recht schnell an ihn gewöhnt." So wie er selbst auch, wie er zugeben musste. Er hatte nicht vor, genauer zu ergründen, wie ihm seine Emotionen da davongelaufen waren. Schneider hatte ihm schließlich mehr als deutlich vor Augen geführt, dass das nicht seine Stärke war. Also ließ er einfach das Ergebnis zählen und mit dem konnte er leben. Stephan stieß sich von der Tür ab, um sich vor ihm aufzubauen. Soweit man das sagen konnte, schließlich war der Andere nicht nur kleiner, sondern auch schmaler gebaut. Die Farbe der hellblauen Augen war kaum zu erkennen, zu wenig Licht spendete die Lampe. Und die Sonne hatte sich schon vor einer Weile verabschiedet. "Hättest du nicht früher entdecken können, dass ein Sexleben ganz entspannend ist? Ich hätte wirklich gerne das Bett mit dir geteilt – und nicht um zu schlafen." Die Worte wurden von einem halbherzigen Lächeln begleitet, sowie von warmen Fingerspitzen, die von seiner Schulter seinen Arm entlang nach unten strichen. "Und Alexander hätte keine Einwände gehabt?" Belustigt gab er die Frage zurück. Stephan seufzte übertrieben laut. "Gewiss nicht, solange wir ihn nicht außen vor gelassen hätten." Dieses Mal war er es, der auflachte. Das wurde ja immer besser… "Nichts gegen dich", erwiderte er schließlich. "Aber ich bin ganz zufrieden damit, wie es gelaufen ist." "Ich habe so etwas schon geahnt." Ein Moment des Schweigens, bevor der Andere wieder zu einem richtigen Lächeln fand. "Mir bleibt mal wieder nur ein Abschiedskuss." Und ohne sein Einverständnis abzuwarten, lehnte Stephan sich vor, bis dessen Lippen seine berührten. Er wehrte ihn nicht ab, aber genauso wenig verschwendete er viel Energie darauf, den Kuss zu erwidern. Weswegen er nicht lange warten musste, bis der Ex aufgab. "Dann tob dich eben mit deinem Ran aus", wurde zum Abschied gesagt. "Aber vergiss nicht, rechtzeitig schlafen zu gehen. Immerhin wollen wir morgen früh los." Eine Hand wurde in einem letzten Gruß gehoben, bevor Stephan sich abwandte. "Bis gleich." Und damit verschwand der Andere endgültig. Er stieß ein leises Schnauben aus, begab sich dann nach drinnen. Für einen Moment verharrte er, lauschend, und konnte so schnell einordnen, dass Nagi inzwischen oben in dessen Zimmer war, zweifelsohne, um noch ein paar letzte Nachforschungen zu betreiben. Die anderen drei waren immer noch im Keller, schienen jedes Interesse an dem überraschenden Besuch des Ex verloren zu haben. Seine Finger trommelten flüchtig gegen das Treppengeländer, bevor er sich entschied und auf den Weg nach unten machte. Schnell konnte er Worte des Ansporns ausmachen, von Farfarello kommend, während Schuldig sich auf den einen oder anderen sarkastischen Kommentar beschränkte, um Ran zu ermutigen. Egal, welcher Methode es letztendlich zu verdanken war, sein erster Blick in den Trainingsraum hinein verriet ihm, dass Ran sich auf jeden Fall wieder verbessert hatte. Das zeigte nicht nur der zufriedene Gesichtsausdruck des Rothaarigen, sondern auch die Parade von Zielscheiben, in denen die Messer noch zu vibrieren schienen. Schuldig grinste. "Alle getroffen, nicht schlecht. Das nächste Mal versuchst du es mal mit nur einer Scheibe. Und machst einen Smiley." "Noch mehr Wünsche?", zeigte sich Ran von dem Vorschlag unbeeindruckt. "Übrigens glaube ich nicht, dass selbst du das hinbekommen würdest. Farfarello, ja. Du nicht." Es war sein leises Auflachen, das die Blicke aller auf ihn zog. Und Schuldig überwand die Überraschung als erster, vergrub eine Hand in roten Haaren. Halb, um strafend daran zu ziehen, halb, um durch sie zu wuscheln. "Du hast ihn gut erzogen", erhielt er dann ein Lob. Eine Reaktion, die nur von dem Telepathen kommen konnte… Er hob eine stumme Augenbraue in dessen Richtung, bevor seine Aufmerksamkeit zu Ran weiterwanderte. Violette Augen weiteten sich kaum merklich. Als nächstes befreite Ran sich unverhofft geschickt von Schuldig und kam an seine Seite. Was ihm einen sehr viel besseren Blick auf dessen Aufzug ermöglichte. Und ohne sein bewusstes Zutun legte sich seine Stirn in Falten. Anscheinend war dem Wurftraining ein mehr… handgreifliches… Training vorangegangen. Doch das war nicht alles, denn das Hemd, das der Jüngere trug, wies kleine Schnitte auf, wo eine Klinge sich im Stoff verfangen haben musste. Es würde ihn nicht wundern, wenn diese Klinge auch in der Haut darunter ihre Spuren hinterlassen hatte. "Ich habe aufgepasst, dass Farf es nicht übertreibt", meldete sich Schuldig bereits zu Wort, ohne eine Aufforderung benötigt zu haben. Ein Zeichen für so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Und kein Wunder, wenn man bedachte, wie das Training der beiden mal geendet hatte. Nicht ohne Grund hatte er es _Schuldig_ übertragen, sich um Rans Ausbildung zu kümmern, auch wenn Farfarello begabter war. Für einen Moment reagierte er gar nicht, dann entschied er sich für ein knappes Nicken. Immerhin musste er Schuldig zugute halten, dass der dieses Mal die beiden nicht aus den Augen gelassen hatte. Sein Zugeständnis schien das Selbstvertrauen des Telepathen sofort wiederherzustellen, denn als nächstes war da schon wieder ein insoletens Grinsen. "Du hast nicht gesagt, dass du dir als einziger das Recht herausnimmst, Ran zu mehr Achtsamkeit anzuhalten." Auf diese Art? Das sollte sich von allein verstehen. Eine Botschaft, die sein unamüsierter Blick problemlos vermittelte. Woraufhin Schuldig das Gesicht verzog, gefolgt von einer wegwerfenden Handbewegung. "Nacht, großer Meister. Ich sollte für morgen besser ausgeschlafen sein, nicht wahr?" Damit wurde Farfarello am Arm gepackt und Schuldig verließ den Raum, den Iren hinter sich her zerrend. Rans Blick folgte ihnen, leicht verwirrt, dann fanden die violetten Augen wieder zurück zu ihm. "Das war etwas abrupt…" Unwillkürlich kurvten seine Mundwinkel nach oben. "Vielleicht wollte er vermeiden, dass ich es ihm mit gleicher Münze heimzahle. Oder er hatte ganz einfach keine Lust aufzuräumen." "Er war es doch gar nicht", wandte Ran ein, eine Antwort, die sich gleich auf beide Punkte bezog. "Er hatte die Verantwortung." Amüsement in braunen Augen. Ran stutzte, grinste dann, den Kopf schüttelnd. Doch die Belustigung hielt nicht lange vor und beinahe unbewusst schlich sich eine Hand zu seinem Hemd, schloss sich dort um den feinen Stoff. "Ihr müsst morgen schon weg, ja?" Es lag nicht besonders viel Ausdruck in der Stimme des Jüngeren. "Du musst das so sehen: auf diese Weise sind wir umso schneller wieder zurück." Er verbat seinen Gedanken, diese Richtung weiterzuverfolgen. Und ihn daran zu erinnern, dass Schneiders Besuch damit in greifbare Nähe rücken würde. Das hellte Rans Miene auf, auch wenn dieser sich nur widerwillig überzeugen ließ. "Willst du auch früh schlafen gehen?" Die Frage klang beinahe unschuldig, doch die sich leicht rötenden Wangen verrieten ihn. Er ließ das Wissen darum in sein nächstes Lächeln einfließen, bevor er antwortete, indem er Ran küsste. Er erwachte als erster, wie ihm die im Haus herrschende Stille verriet. Vorsichtig setzte er sich auf, darauf bedacht, Ran nicht zu wecken. Der Jüngere schlief auf dem Bauch, rote Haare verbargen das Gesicht fast vollständig. Dafür aber behinderte nichts den Blick auf die bloßen Arme. Er hatte sich bereits am Abend zuvor davon vergewissert, dass Farfarello es nicht beim Training übertrieben hatte, dennoch tastete sein Blick wie aus eigenem Willen wieder über die feinen Schnitte hinweg, die aussahen, als hätte sich ein kleines Kind mit einem Rotstift auf Rans Haut ausgetobt. Aber auch nicht mehr. Nirgendwo entdeckte er verdächtige Schwellungen, die auf eine beginnende Entzündung hinweisen konnten. Zufrieden strich er ein paar der roten Strähnen zurück, ließ seine Fingerspitzen dann flüchtig an Rans Hals verweilen, um den ruhigen Puls zu spüren. Erst danach verließ er das Bett, nahezu ohne jede Erschütterung, und der Jüngere deutete nicht mit dem geringsten Zucken an, dass er gestört worden wäre. Sein Weg führte ihn zunächst in die Küche, wo er den Kaffee aufsetzte, dann verschwand er ins Badezimmer. Als er es schließlich wieder verließ, war er nicht mehr der Einzige, der aus dem Bett gefunden hatte. Wo er allerdings Nagi erwartet hatte, war es Schuldig, der sich bereits in der Küche herumtrieb. "Hast du dich wieder abgeregt?" Schuldigs Gestalt erstarrte für einen Moment, dann fuhren die Hände des Jüngeren fort, Zucker und etwas Milch in den Kaffee zu geben. Die Finger um die warme Tasse gewickelt, wandte sich Schuldig schließlich zu ihm um, die grünen Augen beinahe unter halbgesenkten Lidern verborgen. "Was ließ dich annehmen, dass ich mich aufgeregt habe?", wurde er gedehnt gefragt. Unbeeindruckt erwiderte er Schuldigs Blick. "Es könnte dein Abgang gestern gewesen sein. Oder auch deine verbalen Ausfälle." Ein sehr vorsichtiger Schluck wurde von dem heißen Getränk genommen und die Sekunden verflossen nur zäh in der Zwischenzeit. Dann aber ließ sich Schuldig dazu herab, ihm wieder dessen Aufmerksamkeit zu schenken und nun stand ein vertrautes Grinsen in das Gesicht des Jüngeren geschrieben. Was hieß, das es nicht besonders echt war. "Stephan hat sich bei uns nicht mehr einzumischen, also behalte ich mir das Recht vor, so mit ihm zu reden, wie es mir gefällt." Eine Augenbraue wanderte nach oben. "So ganz stimmt das nicht. Immerhin ist er auf Herrn Schneiders Befehl hier." Prompt verzog Schuldig das Gesicht, weigerte sich aber wie erwartet auf sein Argument einzugehen. "Gut", verbuchte er den Punkt für sich. "Und reiß dich bitte zusammen während des Auftrags. Vergiss nicht, dass alle von ihnen Ex sind und sie haben sehr viel Übung darin, mit widerspenstigen Talenten umzugehen. Stephan mag dir einiges durchgehen lassen, weil er dich kennt." Oder weil er _mich_ kennt, sprach er nicht aus. "Aber ich will ernsthaft bezweifeln, dass die anderen genauso nachsichtig sind." Wieder antwortete Schuldig nicht, doch etwas arbeitete in dessen Miene und der Ausdruck in den grünen Augen wechselte, versicherte ihm, dass der Telepath seine Warnung ernst – genug – nahm. Er ließ den Anderen allein, bevor dieser beginnen konnte, aus einer reinen Trotzreaktion heraus Widerstand aufzubauen und seine Schritte führten ihn wieder die Treppe hinauf. Vor Schuldigs Zimmer hielt er inne, warf einen Blick hinein. Der von einem bernsteinfarbenen Auge erwidert wurde. Ein schmales Lächeln kurvte seine Mundwinkel. "Ich nehme an, dass du mit uns frühstücken willst?" Mit einem wortlosen Nicken als Antwort ging er und sein nächstes Ziel war Nagi. Dieser war inzwischen auch wach, saß bereits vor dem Computer und tippte mit einer Geschwindigkeit auf der Tastatur, bei der mitzuhalten nicht nur ihm schwerfallen würde. Hm… Er lehnte sich gegen den Türrahmen, wartete darauf, dass Nagis Aufmerksamkeit vom Monitor weg hin zu ihm wanderte. Was ein paar Minuten dauerte. "Was hält dich um diese Zeit bereits so beschäftigt?", erkundigte er sich leise, als die Finger schließlich zur Ruhe kamen und sich dunkelblaue Augen auf ihn richteten. "Bist du wieder dabei, mit deinem neuen Freund zu spielen?" Letzteres mit einem Anflug Amüsement, das aber durch die sehr reale Möglichkeit in Schach gehalten wurde, dass der Gegenpart Nagis Interesse früher oder später ausnutzen könnte. "Wir spielen nicht", wandte Nagi fast augenblicklich ein, aber dem anderen Punkt wurde nicht widersprochen. "Ich bin mir nicht sicher, ob das besser ist", gab er leise zu bedenken und ließ Nagi damit allein. Der Junge war mehr als intelligent genug, um seine Bedenken zu verstehen. Und hoffentlich kam Nagi zur Besinnung, bevor er ernsthaft durchgreifen musste. Er zögerte kurz, nachdem er die Zimmertür geschlossen hatte, ging dann aber nicht weiter. Stattdessen kehrte er um und in die Küche zurück. Schuldig hatte es tatsächlich über sich gebracht, den Tisch zu decken, erwartete ihn mit der inzwischen neu gefüllten Kaffeetasse in der Hand. Die grünen Augen musterten ihn für einen Moment, bevor ein Grinsen auf dem Gesicht des Jüngeren erschien. "Du hast Ran nicht geweckt? Er wird bestimmt sauer, wenn er diese Gelegenheit für ein letztes gemeinsames Frühstück verpasst." "Du lässt es so klingen, als wären wir nicht spätestens in ein paar Tagen zurück", erwiderte er ruhig, während er ebenfalls Platz nahm. "Ganz davon abgesehen wird Farfaello dafür sorgen, dass Ran rechtzeitig erscheint." Erst war da Verblüffung, dann lachte Schuldig auf. "Du wolltest ihm nicht die Gelegenheit geben, dich von deinen Pflichten abzulenken, was? Du bist immer noch so ein Musterknabe…" Letzteres mit einem gespielt enttäuschten Kopfschütteln. Er widersprach Schuldigs Vermutung nicht. Denn er hatte keinen Grund dazu. ~TBC~ Kapitel 29: "Wir sind mehr als die Summe unserer Teile" ------------------------------------------------------- Der Flughafen umfing sie mit gewohnter Geschäftigkeit und ein kurzer Blick zu Schuldig hin ließ ihn die flüchtige Grimasse erhaschen, die der Telepath schnitt. Theoretisch könnte sich Schuldig stärker abschirmen, doch keiner von ihnen hatte vergessen, dass es da immer noch das ungelöste Rätsel ihrer geheimnisvollen Verfolger gab. Seine Aufmerksamkeit wurde bemerkt und mit einem etwas grimmigen Nicken bedacht, dann konzentrierte sich Schuldig wieder auf ihre Umgebung. Und konnte ihm so eine Vorwarnung geben, bevor sich drei Personen aus der Menge herausschälten. Trotz fehlender Senorität hatte Stephan die Führung übernommen, zweifellos, weil dieser ihnen als Einziger bekannt war. Er wusste diese Umsicht zu schätzen, was sich in dem leichten Lächeln zeigte, mit dem er den Ex begrüßte. "Stephan, du hattest anscheinend keine Schwierigkeiten, uns zu finden." "Nun, ich wusste, von welchem Gate ihr abfliegt. Ich habe nur den wahrscheinlichsten Weg berücksichtigen müssen." "Statt ganz einfach beim Gate zu warten?" Die wegwerfende Handbewegung erinnerte ihn an Schuldig. Und möglicherweise… absichtlich. Es würde ihn nicht wundern, wenn dieses möglichst frühe Zusammentreffen einen Nadelstich in Schuldigs Richtung darstellen sollte. Als Revanche für dessen Verhalten am Abend zuvor. Aussprechen tat Stephan natürlich etwas anderes. "Das wäre doch viel zu einfach gewesen, nicht wahr?" Bevor er mehr tun konnte als ihm einen ironischen Blick dafür zuzuwerfen, beschloss der Ex, seine Begleiter vorzustellen. "Das sind Herr Jung und Frau Jäger. Ich habe euch gestern bereits von ihnen erzählt." Eine subtile Erinnerung, dass sie bereits wussten, mit was für Talenten sie es zu tun hatten, so dass es nicht in aller Öffentlichkeit ausgesprochen werden musste. Die hellblauen Augen richteten sich nun auf die beiden und dann wurde Schwarz – minus Farfarello, natürlich – vorgestellt. Die Begrüßung von Frau Jäger fiel sehr zurückhaltend aus, obwohl dieser Eindruck auch täuschen konnte. Irgendwie hatte er ein seltsames Gefühl, beinahe, als würde er doppelt sehen. Nur dass es rein gar nichts mit seinen Augen zu tun hatte. Er gab es auf, den Eindruck näher identifizieren zu wollen, als Herr Jung zu ihm trat und ihm die Hand anbot. "Herr Crawford, ich habe schon einiges von Ihnen gehört. Und freue mich über die Gelegenheit, mit Ihrem Team zusammenzuarbeiten." Das war vollkommen aufrichtig gemeint, wie es schien. Weswegen er unwillkürlich wieder lächelte. "Nun, ich muss zugeben nichts dagegen zu haben, auch mal einen Einblick in die Arbeitsweise Ihrer Division zu erhalten." Der Ältere stutzte, bevor sich dessen Lächeln vertiefte. "Das hat noch niemand zu uns gesagt." "Was daran liegen könnte, dass Sie normalerweise mit keinen Nicht-Ex zusammenarbeiten. Wenn also bisher ein Talent Ihre Arbeitsweise kennengelernt hat, war das für diese Person wohl eher keine angenehme Erfahrung." Seine Reaktion kam völlig gleichmütig, nur in braunen Augen stand ein Anflug von Amüsement. Und jetzt lachte Herr Jung auf. "Das kann ich kaum bestreiten, was?" Die Belustigung, die er jetzt spürte, kam nicht – nur – von dem anderen Mann und unwillkürlich schweifte sein Blick für einen Moment zu Frau Jäger ab. Deren Miene unverändert regungslos wirkte. Doch jetzt rief er sich in Erinnerung, dass sie Empathin war und sein Instinkt ihn höchstwahrscheinlich nicht getäuscht hatte. Er verschob weitere Überlegungen auf später, da Stephan in diesem Moment die Führung übernommen und sich in Bewegung gesetzt hatte. Den Rest der Zeit verbrachten sie mit unverfänglichem Small Talk, in dem sich nur die eine oder andere nützliche Information verbarg. Schließlich befanden sie sich hier in aller Öffentlichkeit und man wusste nie, was ein Neugieriger aufschnappen konnte. Dankbarerweise hatte ihr Flug keine Verspätung, denn Schuldig sah bereits so aus, als würde er nach etwas mit mehr Unterhaltungswert suchen und während des Flugs an sich hielt sich der Telepath sowieso zurück. In diesem Punkt zumindest war Schuldig vernünftig. Und er schien eine anderweitige Beschäftigung zu haben, wie ihm klar wurde, als er angesprochen wurde, sobald sie ihr Ziel erreicht hatten. "Sie ist irgendwie merkwürdig." Er vergewisserte sich, dass sie im Moment unter sich waren. Stephan hatte das Handy am Ohr, wahrscheinlich in ein Gespräch mit dem Telepathen verwickelt, der zurückgeblieben war, während die anderen beiden Ex wahrscheinlich aus Gewohnheit heraus ihre Umgebung checkten. Und zwar um einiges gründlicher, als er selbst es normalerweise tat. "Inwiefern?" Wer gemeint war, war nicht weiter schwer zu erraten. Immerhin gab es in ihrer Gruppe nur eine Frau. Schuldig antwortete ungewohnt abgehackt. "Wenn sie redet. Wenn man sie nicht ansieht, ist alles normal. Doch sonst… ihre Miene hat sich nicht ein Mal verändert und wenn ich genau aufpasse, gilt das Gleiche auch für ihre Stimme. Es passt einfach nicht zusammen. Und ehrlich gesagt bekomme ich eine Gänsehaut davon." Diese Zusammenfassung half ihm schließlich, seine eigenen Eindrücke einzuordnen und auch zu verstehen. "Sie muss eine ausgesprochen starke Empathin sein. Deswegen benötigt sie nicht die üblichen Wege, um ihre Emotionen zu übertragen. Vielleicht wäre das für Talentlose sogar zu viel. Du passt aber viel zu gut auf, als dass sie bei dir so einfach damit durchkommen könnte. Außer natürlich durch deine Schilde, denn ansonsten käme ja gar nichts bei dir an, nicht wahr?" Letzteres mit sichtlichem Humor. Grüne Augen wurden zusammengekniffen, doch Schuldig schien zu entscheiden, dass ihm die Erklärung den leichten Spott wert war. Doch eines konnte sich der Andere nicht verkneifen. "Da du das Rätsel gelöst hast, bist du sicher auch nicht ganz unbetroffen, was?" "Hm, ich merke, wie sie… bei mir anklopft. Was aber nicht heißt, dass ich sie auch hereinlasse." Schuldig hielt gerade so ein Verdrehen der Augen zurück und murmelte etwas, das verdächtig wie 'du hast einfach zu viel Übung wegen Herrn Schneider' klang. "Hat Schuldig wieder etwas zum Meckern gefunden?" Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er musste nicht einmal ein winziges Zusammenzucken unterdrücken. Denn das war ein Punkt, bei dem er tatsächlich inzwischen Übung hatte, auch wenn es Ran zu verdanken war und nicht Schneider. Er wandte sich Stephan zu, der sein Telefonat offensichtlich beendet hatte, und seine Mundwinkel hoben sich leicht. "Nicht direkt. Er hat lediglich Frau Jägers Begabung bewundert." "Ah, Julia. Nun, du kannst zufrieden mit Schuldigs Fähigkeiten sein, wenn er ihren Trick bemerkt hat. Das gelingt nicht jedem von uns." Ein unauffälliger Blick in Richtung des Telepathen verriet ihm, dass Schuldig nichts gegen das Lob hatte, allerdings schien dieser wenig begeistert von der Tatsache, dass die Hand des Ex immer noch auf seiner Schulter ruhte. Bevor der Orangehaarige allerdings auf dumme Ideen kommen konnte, zog Stephan die Hand nach einem kurzen Druck zurück und dessen Miene verriet, dass der Ex sich wieder dem Grund ihres Hierseins zugewandt hatte. "Sven hat die beiden nicht aus den Augen verloren. Es ist ein Stück bis zu dem Teil der Stadt, wo sie sich gerade aufhalten. Aber mit etwas Glück können wir unseren Auftrag heute noch zu Ende bringen." Das klang besser als er befürchtet hatte. Er nickte verstehend, befahl Schuldig und Nagi dann mit einer knappen Kopfbewegung, ihnen zu folgen. Der Telekinet hatte sich die ganze Zeit in der Nähe gehalten, aber keinen Grund gesehen, sich in die Unterhaltung mit Schuldig einzumischen. Anscheinend war Nagi an den Ex nicht besonders interessiert, was daran liegen konnte, dass der junge Japaner außerhalb von Rosenkreuz und den Legenden der Schule aufgewachsen war. Wenig überraschend übernahm Stephan wieder die Führung, auch wenn er der Jüngste unter den Ex war. Fraglos war der Tracer als Bindeglied zwischen ihren beiden Teams vorgesehen, eine Idee, die wunderbar funktionierte, solange man Schuldigs Animositäten ignorierte. Doch selbst diese waren letzten Endes egal, denn wenn es um den Job ging, war Schuldig professionell. Weswegen der Telepath auch klaglos den Kontakt hielt, als sie sich auf zwei Mietwagen verteilten, obwohl es Stephan war, der die Richtungsanweisungen gab. Der Tracer behielt mit seiner Vorhersage Recht, die Fahrt zog sich tatsächlich in die Länge. Und so nutzte er die Zeit, um sich innerlich auf die bevorstehende Konfrontation einzustellen. Sie würden gegen telepathische Zwillinge antreten müssen, etwas, womit nicht nur Schwarz keine Erfahrung hatte, selbst Rosenkreuz war so eine Konstellation noch nicht untergekommen. Stephan hatte ihm berichtet, dass die alten Akten durchgegangen worden waren, doch das Ergebnis wich nicht von dem ab, was sozusagen zum Allgemeinwissen auf der Schule gehörte: Unter Zwillingen gab es so gut wie nie Talente und wenn, besaß in der Regel nur einer unter ihnen eine Begabung. Es waren nicht nur die Gene, die über ein Talent entschieden, denn sonst hätte Rosenkreuz mit der Nachwuchssuche nicht so viel Arbeit. Und Zwillinge, zumindest eineiige, müssten immer beide dasselbe Talent haben. Nein, so einfach war es nicht. Als wüsste die Natur, dass zu viele Talente an einem Ort schneller auffallen und gefährdet sein würden. Jedenfalls lautete so die gängige Theorie. Nicht, dass ihre Wissenschaftler der Lösung des Rätsels in den letzten Jahrzehnten sehr viel näher gekommen waren, trotz der Fortschritte, die auf dem Gebiet der Genetik gemacht wurden. Der letzte Gedanke war von Ironie gefärbt, doch er drängte dies schnell beiseite. Stattdessen began er lieber mögliche Szenarien durchzugehen, um bestmöglich auf die Situation vorbereitet zu sein, der sie nachher gegenüberstehen würden. Allerdings hatte ihn keine seiner Überlegungen auf die Wirklichkeit vorbereiten können. Sie hatten sich verteilt, näherten sich ihren Zielpersonen, die unbesorgt durch eine Einkaufsstraße schlenderten, jeder mit einem Eis in der Hand. Sie sahen beinahe wie die unschuldigen Kinder aus, die sie zu sein vorgaben, doch sein geübtes Auge erkannte an ihren wachsamen Blicken, dass mehr in ihnen steckte. Schuldig klopfte bei ihm an und meldete ihm, dass jeder sich in der vorgesehenen Position befand, in einem weiten Kreis um die Zwillinge. Bis auf den Telepathen, der sich ganz in seiner Nähe befand. Falls alle Stricke reißen sollten… So etwas wie Belustigung glitt kurz durch ihn hindurch, doch er beachtete die Emotion nicht weiter. Denn ihre Anwesenheit blieb nicht länger unbemerkt. Die beiden schienen für einen Moment mitten im Schritt zu erstarren, bevor sie sich einmal um sich selbst drehten. Und er bildete sich nicht nur ein, dass die Zwillinge genau orten konnten, wo sich jeder einzelne von ihnen befand. Er selbst eingeschlossen. Ihm blieb nicht viel Zeit, beeindruckt zu sein, denn die zwei legten es darauf an, ihm zu beweisen, dass sie tatsächlich andere Leute beeinflussen können. Plötzlich richteten sich alle Blicke der Passanten in einer konzertierten Bewegung auf sie. Anspannung hing in der Luft, vibrierte, bis etwas nachgab und sich alle auf einmal zu bewegen begannen. Wie ein explodierender Stern, wenn dies in Zeitlupe geschehen würde. Und das war im Moment wohl ihr einziger Vorteil. Er tat einen Schritt nach vorne, einen weiteren, ungeachtet der vielen Menschen, die in seine Richtung strebten. Und damit zog er die Aufmerksamkeit der Zwillinge ganz auf sich. "Diesmal seid ihr mehr, ja? Aber das wird euch nicht helfen. Wir sind mehr als die Summe unserer Teile." Er konnte es mehr von ihren Lippen ablesen als es tatsächlich zu hören und als die beiden grinsten, lag beinahe Übermut in diesem Ausdruck. Sie fühlten sich tatsächlich nicht gefährdet… Ihre Hände berührten sich, Handfläche an Handfläche und mehr Konzentration schien die zwei plötzlich zu umgeben. Die Bewegungen der kontrollierten Menschen wurden flüssiger, gewannen an Geschwindigkeit und jetzt schienen sie alle möglichen Gegenstände als Waffen bereitzuhalten. Ob Taschen, Gehstöcke oder Steine, die vom Boden aufgelesen wurden. Niemand war zuvor auf die Idee gekommen, dass Talente auf diese Weise kooperieren konnten. Nicht, weil es nicht versucht worden war. Sondern weil alle Erfahrung sie das Gegenteil gelehrt hatte. Aber hier war es anders, wenn die Zwillinge in einem Recht hatten, dann darin, dass sich die Kräfte nicht nur addierten. Sie multiplizierten, potenzierten sich. Genährt durch die Energie anderer? Dieser Gedanke ließ ihn kurz stocken, denn er war nicht von ihm selbst gekommen, sondern ein Einwurf von Schuldig, dessen Talent irgendetwas Seltsames registriert hatte. Noch seltsamer als das, was ihnen bereits ihre Augen verrieten. Wenn der Telepath mit seiner Vermutung richtig lag, half es alles nichts, wenn sie selbst sich zurückhielten und versuchten, die Talentlosen zu schonen. Denn die Zwillinge schienen keine Hemmungen zu kennen, wenn es um ihre Sicherheit ging. Und sollten sie dafür tatsächlich irgendwie die Energie dieser Leute nutzen, statt sie nur zu beeinflussen, würden sie es im besten Fall bald mit mit massenhaften Ohnmachtsanfällen zu tun haben. Und im schlechtesten mit einer Spanne, die von Koma bis zum Tod reichte. So viel zu ihrem Ansinnen, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Die Ex gaben ihr bestes, zu den beiden vorzudringen, unterstützt von Nagi, dessen Talent zum einen versuchte, die Zwillinge an Ort und Stelle festzuhalten und zugleich, die Talentlosen so sanft wie möglich aus dem Weg zu schieben. Doch es waren einfach zu viele und es wurden immer mehr, denn der Einfluss der beiden Telepathen schien immer weitere Kreise zu ziehen und mehr und mehr Menschen in ihren Bann zu locken. Alles wäre sehr viel einfacher gewesen, wenn Nagi sie einfach ausschalten würde, aber das könnte schiefgehen. Vor allem jetzt, nachdem er gesehen hatte, was sie wirklich konnten, wollten sie sie lebendig haben. Selbst Schneider würde nicht so einfach darüber hinweggehen, wenn er so eine Ressource einfach verschwenden würde. Also blieb nur ein Weg. ~TBC~ Kapitel 30: "Als würde man versuchen, einen glitschigen Fisch zu halten" ------------------------------------------------------------------------ Auf seine Aufforderung hin stellte Schuldig für ihn Kontakt mit dem anderen Telepathen her, der inzwischen für die Ex die allgemeine Koordination übernommen hatte. Herr Rieger hätte theoretisch auch selbst zu ihm eine Verbindung halten können, doch in der Praxis hatte sich bei einem Versuch vor dem Start ihres Einsatzes erwiesen, dass seine Schilde für den fremden Telepathen schwierig zu handhaben waren. Schuldig hatte sehr zufrieden mit dieser Feststellung gewirkt und auch er selbst musste zugeben, dass er keinem anderen Zugang zu seinem Verstand erlauben wollte, wenn es nicht unbedingt sein musste. Er schob diesen Gedanken rasch beiseite, konzentrierte sich stattdessen darauf, seinen Plan zu vermitteln. Die anderen stimmten wie zu erwarten gewesen war zu, immerhin hatte niemand eine bessere Idee, und dann dauerte es nur wenige Sekunden, bis sich die Ex zurückzogen. Die darauf folgende Verwirrung ließ sowohl die Zwillinge als auch die beeinflusste Menschenmenge kurz innehalten, was Nagi die Gelegenheit gab, ihm und Schuldig den Weg zu ihren Zielpersonen freizuräumen. Sie hatten sich bereits in Bewegung gesetzt, bevor der neue Fokus des Telekineten ersichtlich wurde und damit gelang es ihnen, zu den beiden vorzudringen. Gleichzeitig griff Schuldigs Talent nach seinem und dieses Mal war es mehr als der oberflächliche Kontakt, den sie zur Übermittlung von Informationen benötigten. Prompt bildete sich eine parataube Blase um sie herum. Nicht so groß, wie sie damals dank Schneiders Unterstützung gewesen war, weswegen sie auch so nahe an die Zwillinge herankommen mussten, doch es war genug. Die Interferenzen beraubten die beiden ihres Kontakts zu den Talentlosen und gleichzeitig hatten sie keine Möglichkeit, an ihn oder Schuldig heranzukommen. Was der Telepath mit einem gehässigen Grinsen ausnutzte. Schuldig bewegte sich schneller, als es seine Augen erfassen konnten und im nächsten Augenblick sanken die Zwillinge zu Boden. Ihr letzter Befehl wirkte noch nach, weswegen sie sich wieder, immer noch, wenig koordinierten Angriffen ausgesetzt sahen, doch das hielt nicht lange vor, als Schuldig und Herr Rieger daran arbeiteten, den Einfluss der beiden zu neutralisieren. Und kaum hatte Schuldig die entsprechenden Kapazitäten dafür frei, wob dieser einen mentalen Schirm um die Zwillinge, so dass niemand sie als interessant befand, auch wenn sie dort am Boden lagen. Mit solchen Tricks hatte der Orangehaarige dank Farfarello mehr als genug Erfahrung. "Gut gemacht", lobte er Schuldig, wo es diesem zustand und erhielt ein breites Grinsen zurück, das zur Abwechslung mal vollkommen echt schien. "Die beiden sind mir wirklich auf den Sack gegangen. Ich hoffe, sie wachen mit ordentlichen Kopfschmerzen auf." "Nach dem Schlag zweifellos", gab er trocken zurück. Schuldig zuckte daraufhin mit den Schultern. "Wenn ich mein Talent hätte nutzen können, hätte ich das Ergebnis sicherstellen können…" Das kannst du im Zweifelsfall ja noch nachholen, sprach er lieber nicht aus. Schließlich wollte er Schuldig nicht zu Dummheiten anstiften. Humor blitzte kurz in braunen Augen auf, doch das blieb ungesehen, da er sich in diesem Moment Stephan zuwandte, der sich inzwischen mit Frau Jäger und Herrn Jung zu ihnen vorgearbeitet hatte. "Das Ende war ausgesprochen antiklimaktisch", wurde er mit einem Lächeln begrüßt. Er hob eine Augenbraue in Reaktion darauf. "Aber genau so sollte es doch sein, wenn man es mit unausgebildeten Talenten zu tun hat, nicht wahr? Es ist schon beinahe lächerlich, was für schwere Geschütze wir gegen die beiden aufgefahren haben. Oder hast du schon mal gehört, dass gleich sieben Talente für so einen Auftrag zuständig sind, unter denen sich auch noch vier Ex befinden?" Stephan lachte auf, den Kopf schüttelnd. "Stimmt natürlich. Das klingt nach Overkill. Allerdings…", die hellen, blauen Augen schweiften kurz nach unten zu den Zwillingen ab, "die zwei stachen eindeutig aus der üblichen Masse heraus. Sie waren den Einsatz also wert." "Hoffentlich", nickte er. "Wenn sie noch nicht zu alt sind…" "Hm." Das folgende Lächeln geriet etwas bösartig. "Im Zweifelsfall werden sie die besten Screamer, die wir jemals hatten." Das erinnerte ihn daran, wie sein eigenes Talent mal durch so ein umfunktioniertes Talent beeinflusst worden war. "Warum habt ihr es eigentlich nicht mit einem Screamer versucht?" "Hatten wir, nur ohne Erfolg. Es war ein klarer Sieg für die Zwillinge, ohne dass sie es überhaupt gemerkt haben. Statt ihre Impulse zu stören, kam es zu einer Rückkopplung. Der Screamer hat es nicht überstanden." Als Schuldig dies hörte, tat er nicht länger so, als wäre Stephan mehr oder weniger Luft für ihn. "Und warum habt ihr es nicht für nötig gehalten, uns zu warnen?" Stephan sprach zwar zu ihm, Schuldig ignorierend, aber immerhin antwortete er. "Er war der festen Überzeugung, dass euer Trick anders funktioniert und keine Gefahr für euch besteht." Ein leichtes Schulterzucken. "Ich hatte beim besten Willen nicht vor, an dieser Einschätzung zu zweifeln." Das… würde er selbst auch nicht, musste er im Stillen zugeben. Bevor er sich entsprechend äußern konnte, wurde Stephans Blick plötzlich abwesend. Und als der Fokus zurückkehrte, mischte sich Härte mit Zufriedenheit in dem Blau. "Unser Einsatz war in mehr als einer Hinsicht erfolgreich. Sven hat einen Neugierigen geortet und konnte ihn im Schutze der allgemeinen Verwirrung unbemerkt überwältigen." Ein Lächeln zuckte für einen Moment in ein Grinsen. "Ein weiteres Talent. Und nach dem, was er auffangen konnte, scheint er zu der Gruppe zu gehören, hinter der wir die ganze Zeit her waren." "Was für ein glücklicher Zufall." Es mochte etwas Ironie in seinem Tonfall liegen, aber das diente nur dazu, seine Überraschung zu überspielen. Nachdem ihre Suche so lange vergeblich gewesen war, fiel ihnen das erste Glied der Kette, das sie hoffentlich bis zu ihrem endgültigen Ziel führen würde, mehr oder weniger in den Schoß. Aber… letztendlich war es ganz logisch, nicht wahr? Wenn es tatsächlich jemanden gab, der Talente für seine eigenen Zwecke rekrutierte, musste er bei seiner Suche so oder so ähnlich wie Rosenkreuz vorgehen. Und damit mussten die Zwillinge auch auf deren Radar aufgetaucht sein. "Wir hätten es mit einem Köder versuchen können", führte er seine Gedanken zum offensichtlichen Schluss. Stephan zwinkerte langsam, nickte dann. "Ja…", kam es gedehnt zurück. "Auf diese Idee waren wir tatsächlich nicht gekommen. Wir müssen uns wohl damit trösten, dass uns so ein Fall das erste Mal untergekommen ist. Und für das nächste Mal können wir jetzt eine SOP entwickeln." "Viel Spaß beim Überwinden der Bürokratie." Unwillkürlich belustigt. Denn er hatte während seiner Tätigkeit für Schneider in der Schule mitbekommen, wie schnell gute Ideen in dieser Mühle zermahlen werden konnten. Stephan schien auch nicht ganz unerfahren, wie dessen flüchtige Grimasse verriet. Dann aber hellte sich dessen Gesicht wieder auf. "Notfalls werde ich dich bitten, ein gutes Wort beim Chef einzulegen." "Sehr witzig…" Er verdrehte _nicht_ die Augen. Und letztendlich hatte Stephan Recht. Da Schneider jetzt in der Hierarchie ganz oben stand und das sowohl für Eszett als auch für Rosenkreuz, könnte er diese Abkürzung nutzen. Schneider hätte wahrscheinlich nicht mal was dagegen. Das allerdings würde er Stephan nicht auf die Nase binden, sonst würde der aus diesem halben Scherz noch Ernst machen. Der Andere grinste auf seine Reaktion hin, wurde dann aber schnell wieder geschäftlich. "Wir werden uns um die Zwillinge kümmern und uns dann wieder unserem eigentlichen Job hier zuwenden. Jetzt hoffentlich mit mehr Aussicht auf Erfolg. Danke auf jeden Fall für eure Unterstützung." Er nickte, nun mit einem leichten Lächeln. "Es hat uns weder besonders viel Zeit noch Mühe gekostet. Wenn das immer so ist, helfen wir gerne wieder." Er gab sich keinerlei Mühe, den Humor aus seiner Stimme herauszuhalten. Stephan verdrehte tatsächlich die Augen und sparte sich eine Antwort darauf. Stattdessen drang der Ex überraschend in seinen persönlichen Raum ein und küsste ihn. Vorgeblich zum Abschied, aber es würde ihn nicht wundern, wenn auch diese Geste gegen Schuldig gerichtet war. Dessen Miene sich auch prompt verdüsterte, aber anders als damals in Deutschland hielt sich der Orangehaarige dieses Mal unter Kontrolle. "Ich will ihn sehen, bevor wir gehen", wurde zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorgequetscht, während Schuldig sich alle Mühe gab so zu tun, als ob er nichts gesehen hätte. Nicht, dass es einen von ihnen täuschen konnte, wie ihm Stephans zufriedenes Lächeln verriet. Er seufzte innerlich, sparte es sich aber, etwas dazu zu sagen. Die beiden würden diese Art von Kampf sowieso nicht aufgeben. Also konzentrierte er sich auf den Wunsch, den Schuldig geäußert hatte. Und der äußerst ernst gemeint war. "Wir hätten noch mehr als genug Zeit, da dieser Auftrag so schnell abgeschlossen werden konnte. Passt es von eurer Seite?" Stephan verzichtete auf Sticheleien in Schuldigs Richtung, nickte nachdenklich. "Vielleicht erkennt er ihn ja wieder, dann hätten wir schon mal eine unmittelbare Bestätigung." Hinter ihm entspannte sich Schuldig kaum merklich, es war weniger aus dessen Haltung abzulesen, als vielmehr aus dem flüchtigen telepathischen Kontakt, der unwillkürlich gegen seine Schilde brandete. Sie sammelten Nagi ein, der Frau Jäger geholfen hatte, die Zwillinge zum wartenden Wagen zu schaffen, um ihr drittes Opfer hatte sich Herr Rieger anscheinend alleine gekümmert. Nicht nur das, ohne weitere Zeit zu verschwenden, hatte der andere Telepath sich bereits auf den Weg gemacht. Und dann galt es auch für sie erst einmal, von dem Ort des Zwischenfalls wegzukommen, bevor einer der Talentlosen noch auf die Idee kam, aus irgendeinem Grund die Polizei zu benötigen. Schuldig saß neben ihm auf dem Beifahrersitz, Finger trommelten ungeduldig gegen die Scheibe. Er verzichtete darauf, ihn zu ermahnen, denn ein Teil von ihm war nicht weniger ungeduldig zu erfahren, ob sie tatsächlich eine Spur gefunden hatten. Glücklicherweise dauerte die Fahrt nicht lange. Natürlich hatten die Ex bereits ein Quartier vorbereitet, in dem die Zwillinge zwischenzeitlich sicher untergebracht werden konnten und die beiden hatten ihnen – unwissentlich – den Gefallen getan, heute ganz in der Nähe aufzutauchen. Dank Nagis und Schuldigs Hilfe waren die Zwillinge rasch und ohne Zwischenfälle nach drinnen geschafft, wonach Schuldig sich nicht länger zurückhalten ließ. Ihr unverhoffter Gefangener wurde von Herrn Rieger bewacht und war unverändert bewusstlos. Was es Schuldig sehr einfach machte, den Anderen genau zu mustern. Auch wenn das letztendlich nicht nötig war, wie ihm das triumphierende Grinsen verriet, das über das Gesicht des Telepathen flog, kaum dass er einen Blick auf ihren Gefangenen geworfen hatte. "Er ist es, ohne Zweifel." Den Worten folgte eine Grimasse. "Und auch wenn er bewusstlos ist, fühlt sich sein Verstand genauso seltsam an wie damals bei unserer ersten Begegnung. Als würde man versuchen, einen glitschigen Fisch zu halten." Ein kaum merklicher Schauer durchlief den Orangehaarigen und gleichzeitig trat Schuldig einen Schritt zurück. Ein unwillkürliches Zeichen des Widerwillens, dessen sich der Telepath anscheinend nicht einmal voll bewusst war. "Mir geht es nicht besser", meinte Herr Rieger dazu, die Stimme sorgfältig ruhig gehalten. Doch dessen Blick verriet den gleichen Widerwillen wie bei Schuldig, wie er interessiert registrierte. Anscheinend waren die Rosenkreuz-Abgänger durch ihre Ausbildung… voreingenommen, hatten eine gewisse Erwartungshaltung zu bilden gelernt. Und wenn sie das nicht vorfanden, erwies sich der mentale Kontakt auf einer bestimmten Ebene als unangenehm. Wie ein schlechter Geschmack im Mund. Flüchtig zuckte Belustigung durch ihn, als er diesen Vergleich zog, doch dann wurde er durch Herrn Jungs Frage abgelenkt. "Wirst du trotzdem durch seine Schilde kommen?" Der andere Telepath zuckte mit den Schultern, während Schuldig ganz so aussah, als wäre er bereits mit einem entsprechenden Versuch beschäftigt. "Das wird sich zeigen." Herr Rieger war unverändert ruhig und umso überraschender wirkte das plötzliche Lächeln, das nicht einmal versuchte, eine gewisse Häme zu verbergen. "Aber selbst wenn ich scheitern sollte, gibt es da noch die gute, altmodische Variante. Ich zweifle in dieser Hinsicht nicht an unseren Fähigkeiten." Die anderen Ex spiegelten das Lächeln für einen Moment, genauso wie Schuldig, dessen Fuß frustriert mit dem Bett kollidierte, auf dem der Mann fixiert worden war. "Würde ihm auf jeden Fall recht geschehen", kam dann ein Knurren von dem Orangehaarigen. Er tauschte einen beredten Blick mit Stephan aus, bevor er selbst Herrn Riegers Aussage kommentierte. "Daran zweifle ich ebenfalls nicht, aber es kann seine Aussagen unzuverlässig machen. Und es war schon schwer genug, diese Chance zu bekommen." Der Telepath verlor sein Lächeln wieder, anders als Schuldig hatte der Ältere aber kein Problem damit, sich einem vernünftigen Argument anzuschließen. Weswegen er ein knappes Nicken erhielt, bevor er sich wieder Stephan zuwandte. Der ebenfalls nickte. "Ich werde dich auf dem Laufenden halten. Und jetzt bringt euch Julia am besten zum Hotel, damit ihr morgen in Ruhe zurückfliegen könnt. Es sei denn, du möchtest noch etwas länger hier bleiben." Eine offene Einladung lag in diesen Worten, die nicht nur dazu gedacht war, Schuldig zu ärgern. Er schüttelte amüsiert den Kopf. Stephan konnte es einfach nicht lassen. "Vielen Dank, aber nein danke." Nicht zuletzt hatte er Ran versprochen, schnell wieder zurück zu sein. Stephan reagierte mit einem unbekümmerten Schulterzucken. "In dem Fall wünsche ich euch einen schönen Aufenthalt und angenehmen Flug. Und mir bleibt ja die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen." Daraufhin verabschiedeten sie sich wirklich, allen voran Schuldig, der einfach nur noch von Stephan wegkommen wollte. Er selbst folgte etwas gemächlicher, mit Nagi an seiner Seite. "Wie steht es mit dir, hat dein Talent Probleme mit ihm?" Dunkelblaue Augen suchten kurz seinen Blick, bevor sich Nagis Aufmerksamkeit auf ihre Umgebung konzentrierte. Der Telekinet war besonders vorsichtig, da sich nicht ausschließen ließ, dass sich irgendwo noch jemand von dieser Truppe im Hintergrund hielt. "Ich merke keinen Unterschied. Aber ich habe auch ein aktives Talent, nicht wahr?" Letzteres mit einem schmalen Lächeln. "Ich bin nicht darauf angewiesen, zu ihm durchzudringen." Schuldig hatte das natürlich gehört und stoppte jetzt abrupt. "Mit etwas mehr Zeit würde ich schon was aus ihm herausholen. Auch wenn es keinen Spaß machen würde." Weder er noch Nagi widersprachen dieser Einschätzung. Egal, wie ihre persönliche Meinung aussah, Schuldig würde kaum die Gelegenheit erhalten, den Beweis anzutreten. Und keiner von ihnen hatte vor, die Laune des Telepathen noch schlechter werden zu lassen. Sie würden schließlich mit ihm zusammen reisen. ~TBC~ Kapitel 31: Verrätst du mir, was damals mit deinem Auge geschehen ist?" ----------------------------------------------------------------------- Farfarello war bereits bei der Tür, um das Wohnzimmer zu verlassen, als er selbst es gerade einmal geschafft hatte, überrascht den Kopf zu wenden. Der Ire war ohne Übergang aufgesprungen und selbst in diesem Moment war ihm noch nicht klar, was der Grund dafür sein konnte. Was seinen Körper nicht daran hinderte, mit einem Adrenalinstoß zu reagieren und sein Herz begann wie verrückt gegen seine Rippen zu pochen. Zu seinem Glück hielt Farfarello in diesem Augenblick inne und wandte sich mit einem Grinsen zu ihm um. "Sie sind zurück." Die Erleichterung sorgte dafür, dass sein Kopf für einen Moment schwamm, doch er brachte die Reaktion schnell genug unter Kontrolle, dass seine Stimme bei der nächsten Frage fast normal klang. "Woher weißt du das?" Er hatte rein gar nichts gehört und die Dunkelheit war nicht durch Autoscheinwerfer aufgehellt worden. "Bist du neuerdings unter die Telepathen gegangen?" Das Grinsen wurde ausdrucksvoller – oder jedenfalls waren jetzt mehr Zähne im Spiel – bevor der Ire antwortete. "Ich brauche das Talent nicht, da Schuldig es hat." Das bernsteinfarbene Auge wurde leicht zusammengekniffen und Farfarello neigte den Kopf leicht zur Seite, wie ein Raubtier, das Witterung aufgenommen hatte. "Er scheint schlechte Laune zu haben." Er nahm sich die Warnung zu Herzen, ohne dass sie ausdrücklich ausgesprochen werden musste. Und es wurde ihm auch sehr leicht gemacht, Schuldig aus dem Weg zu gehen. Denn Farfarello packte ihn, kaum dass dieser durch die Haustür getreten war und zog ihn mit sich in Richtung Keller. Zum Trainingsraum vermutlich. Nagi quittierte die Aktion mit einem Schulterzucken, bevor er eine leise Begrüßung erhielt. Als nächstes machte sich der Telekinet auch schon auf den Weg nach oben, so dass er ganz allein mit Crawford zurückblieb. "Was ist mit Schuldig, ist etwas mit eurem Auftrag schiefgelaufen?", erkundigte er sich leise, darauf vertrauend, dass der Telepath gerade Besseres zu tun hatte als auf ihn zu lauschen. Und sein Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich wieder, obwohl alle offensichtlich unbeschadet zurückgekehrt waren. "Nein, nicht direkt", gab der Schwarzhaarige mit der für ihn so typischen Ruhe zurück. Nur in den braunen Augen verriet ein winziger Funken, dass sich Crawford über irgendetwas amüsierte. "Wir waren sogar unerwartet schnell fertig. Allerdings ist Schuldig gestern auf Schilde gestoßen, gegen die sein Talent ganz und gar nicht ankam. Wie du dir vorstellen kannst, hat er das nicht gut aufgenommen." Das konnte er sich wirklich ohne Probleme vorstellen, allerdings… "Es sollte doch nicht zum ersten Mal geschehen sein, oder? Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass er stärker ist als Herr Schneider." Es fiel ihm schwer zu glauben, dass _irgendwer_ stärker sein sollte als der Deutsche, wenn er ehrlich war. Der Gedanke wurde ihm geradewegs vom Gesicht abgelesen und nun äußerte sich die Belustigung offen in einem Lächeln. Wohingegen in Crawfords Blick jetzt ein neuer Ausdruck stand. Den er nach einem Moment sogar einordnen konnte. Oh, vielleicht hätte er Herrn Schneider nicht erwähnen sollen. Er tat alles, um seine Miene unter Kontrolle zu halten, damit er nicht auch noch diesen Gedanken so einfach verriet. Und es schien zu funktionieren. "Mm, das ist Schuldig natürlich nicht", wurde seine Vermutung bestätigt. "Aber ansonsten hat er seinen Codenamen wirklich verdient, soweit ich weiß, ist er abgesehen von Herrn Schneider noch nie von jemandem vollkommen geblockt worden. Und garantiert hat er genau diese Erkenntnis gehabt, was es sicher für ihn nur noch schlimmer machte. Nicht, dass das unbedingt logisch ist, aber das ist nun mal Schuldig für dich." Unwillkürlich lachte er auf, verlor aber gleich darauf den erforderlichen Atem dafür, da Crawford ihn unerwartet näher an sich heranzog und ihn küsste. Nachdem er wieder halbwegs klar denken konnte, kam ihm ein vager Verdacht, was der Grund für diesen Überfall sein konnte, doch er beschloss, sich nicht darum zu scheren. Herr Schneider war weit weg und er hatte nicht vor, diese Chance verstreichen zu lassen. Das Lächeln des Amerikaners erhielt eine andere Qualität. Anscheinend war diese Überlegung nicht privat geblieben und Crawford hatte nichts gegen seine Pläne einzuwenden. ****** Er fand sich übergangslos im Freien wieder und als er diese Feststellung traf, wurde ihm bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wo er zuvor gewesen war. Neugierig blickte er sich um, aber mehr als wiesenbedeckte Hügel konnte er nicht entdecken. Weswegen er zusammenzuckte, als plötzlich eine Stimme hinter ihm aufklang – wo eine Sekunde zuvor niemand gestanden hatte. Er fuhr herum, einen Fluch zwischen den Zähnen zerbeißend, bloß um als nächstes zu grinsen. "Farf!" Der Kopf wurde zur Seite geneigt und zwei bernsteinfarbene Augen blinzelten ihn an. "Farf? Wer ist das?" Sein Grinsen wurde breiter. Nicht, weil er diesen scheinbaren Erinnerungsverlust so lustig fand, sondern weil er jetzt endlich einen Kontext hatte und sich seinerseits erinnerte. Hier war er schon einmal gewesen, in diesem Traum, nur dass das Wetter damals um einiges schlechter gewesen war. Und Farf hatte da nicht wie ein kleiner, perfekter Sonntagsschüler ausgesehen. Sogar eine Bibel presste der Junge gegen seine Brust. Wieder blickte er sich um, konnte jedoch nichts Interessantes entdecken. Ein stinknormaler Traum, wie es aussah. Und damit ausgesprochen ungewöhnlich für den Iren. Er zuckte innerlich mit den Schultern. Vielleicht kam die Action ja noch. Bisher hatte ihn Farf in dieser Hinsicht nie enttäuscht. "Wo willst du denn hin?", erkundigte er sich schließlich bei dem Jungen und dieses Mal schaffte er es, ein weiteres Grinsen zurückzuhalten. Als er damals von Crawford Farfs Akte zu lesen bekommen hatte, war sicher auch ein Bild aus dessen Zeit vor dem Tod der Familie dabeigewesen, doch wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht mehr daran erinnern. "Ich bin auf dem Weg zur Kirche. Meine Eltern und meine Schwester sind schon da. Ich hatte meine Bibel vergessen und musste noch einmal zurücklaufen." Die Erklärung kam bereitwillig und völlig arglos. Wenn der Junge als Kind tatsächlich so drauf gewesen war, konnte man wohl froh sein, dass er so lange überlebt hatte und nicht abgeschleppt worden war… Innerlich verzog er das Gesicht, Farf jedoch zeigte er nur ein Lächeln, das sogar halbwegs echt aussah. "Na dann mal los mit dir. Sonst kommst du noch zu spät." Der Junge nickte, schenkte ihm in Erwiderung ein sonniges Lächeln und begann dann loszulaufen. Er sah ihm nach, bis er merkte, dass sich etwas änderte. Die Welt um ihn schien zu zerlaufen, wie bei einem Bild, das nass geworden war. Die Farbe rann herunter und heraus, verschwand einfach. Und dann ein Flackern, hell, dunkel, hell, dunkel… Nachdem für einen Augenblick alles verschwunden war, kehrte die Umgebung zurück. Er hatte seine Position nicht gewechselt, dafür stellte sich das Flackern jetzt als Gewitter heraus, das über ihm in den Wolken tobte. Und Farf war zurück. Nicht älter, doch vollkommen anders. Nicht nur blutbefleckt, das wäre eine klare Untertreibung gewesen. Es war nicht weiter schwer zu erraten, was geschehen war. Die Frage blieb nur, wie viel hiervon Traum und wie viel Erinnerung war. Für einen Moment riss er sich vom Anblick des Iren los, starrte wieder hinauf in den Himmel, doch entgegen seiner Erwartung regnete es immer noch nicht. Sein Blick ging zurück zu dem Jungen, der ihn anders als zuvor nicht mehr wahrzunehmen schien. Die bernsteinfarbenen Augen blickten ins Leere, weite Pupillen und die flache Atmung unterstrichen den Schockzustand, in dem sich der Jüngere befand. Er trat näher an ihn heran und merkte da erst, dass Farf leise etwas vor sich hin murmelte. "Ich will das nicht sehen, ich will das nicht sehen, ich…" Immer wieder das Gleiche. Dieses Mal verzog er wirklich das Gesicht. Wie es aussah, hatte der Junge das Geschehene in diesem Moment noch nicht verdrängt. Die Überlegung wurde nebensächlich, als Farf eine Hand hob und damit das Messer, das die Finger umklammert hielten. Und zum ersten Mal, seit er in diesem Traum gelandet war, wollte sich sein Magen heben. Denn von einem Augenblick auf den nächsten wusste er, was nun geschehen würde. Er wollte sich abwenden, hatte aber die Kontrolle über seine Gestalt in diesem Traum verloren. Und dann traf die Klinge auch schon auf das linke Auge. Zu seinem Glück – und wahrscheinlich auch Farfs damals – hatte der Junge zu dieser Zeit noch keine Probleme mit dem Schmerzempfinden. Der Junge schrie auf, sank in die Knie, während das Messer ihm entglitt. Er schrie und schrie und schrie und es wurde unerträglich. Bis sich das Gewitter endlich an seine Aufgabe erinnerte und die Schreie in lautem Donnergrollen ertränkt wurden, so wie sie selbst in dem einsetzenden Regen. Und das Wasser mischte sich mit dem Blut, wurde rot, rot, rot, überall um sie herum, bis es Blut zu regnen schien. Er konnte es schmecken und riechen, es verdrängte allen Sauerstoff, bis er zu ersticken glaubte. Und dann- Er setzte sich nach Luft schnappend auf, vergrub das Gesicht in beiden Händen. Was für ein verfluchter Traum… Immer noch blitzten vereinzelte Bilder davon in seinem Kopf auf und nachdem mehr seiner Sinne erwacht waren, wurde ihm klar, dass er tatsächlich Blut schmeckte, wo die Verletzung seiner Lippe aufgerissen war. Na großartig… Er wischte darüber, bevor er den Kopf zur Seite wandte. Farf hatte bei weitem nicht so unruhig geschlafen wie er selbst, weswegen er sich auf einmal nicht mehr so sicher war, dass er tatsächlich in einem Traum des Iren gelandet war. Vielleicht hatte er sich das alles selbst zurechtgesponnen. Ein bernsteinfarbenes Auge beobachtete ihn, während sein Herzschlag wieder ruhiger wurde, dann entblößte Farf die Zähne in einem Lächeln. "Du blutest." "Ach nee…" Natürlich würde so etwas dem Jüngeren nicht entgehen. Und Farf war auch noch für die Verletzung verantwortlich. Nicht dass er vorhatte, sich darüber zu beschweren, dass der Ire ihm die Gelegenheit gegeben hatte, sich in einem Impromptu-Training abzureagieren. Also grinste er zurück. "Kann dir doch egal sein, nicht wahr? Ich saue ja nicht dein Kopfkissen ein." Farf verdrehte nur das Auge dazu, musterte ihn dann neugierig. "Was war los?", kam dann die Frage, die er die ganze Zeit erwartet hatte. Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Schräger Traum." Und nun war es an ihm, seinerseits den Anderen zu mustern. "War es deiner?" "Kann mich nicht erinnern." Das Schulterzucken lag ganz in den Worten, dann machte der Ire es sich wieder bequem und sah ganz so aus, als würde er jeden Moment wieder einschlafen. Was er ausnutzte, um seine Neugier zu befriedigen. "Verrätst du mir, was damals mit deinem Auge geschehen ist?" Er erhielt ein Blinzeln und der sichbare Mundwinkel ging nach oben. "Das fragst du nach all diesen Jahren ausgerechnet jetzt?" Farf klang völlig gleichmütig. "Ich war mir nie sicher, ob du es überhaupt noch weißt." Das, und er wollte keine schlafenden Hunde wecken. Doch inzwischen war die Wahrheit heraus und es gab keinen Grund mehr, besondere Vorsicht walten zu lassen. Farf gab ein vages Brummen von sich. "Nun, es ist ziemlich verschwommen. Aber damals habe ich das letzte Mal auf Ihn gehört. Ich habe es nachgelesen, später. Hatte nicht mehr gewusst, in welchem Zusammenhang wir das in der Sonntagsschule behandelt hatten. War völlig falsch." Farfs Worte wurden leiser, als dieser in den Schlaf zurücksank. "Doch umso besser, nicht wahr? Schließlich war es sowieso falsch, auf Ihn hören zu wollen." Er wartete, ob noch etwas folgen würde, doch der Ire war tatsächlich wieder eingeschlafen. Etwas, das ihm nicht so einfach gelingen würde. Also stemmte er sich hoch und verließ das Bett. Er brauchte eh eine Dusche, so durchgeschwitzt wie er war. Nachdem er das hinter sich gebracht hatte, trugen ihn seine Füße zur Küche. Er war sich selbst nicht sicher, warum eigentlich. Als er dort jedoch Crawford vorfand, war er ganz zufrieden damit. "Du bist schon auf den Beinen, großer Meister?" Er ließ sich auf den Küchenstuhl fallen, bevor er registrierte, dass Crawford bereits Kaffee aufgesetzt hatte. Und dann hatte er keinen Bock mehr, wieder aufzustehen. "Sollte ich diese Frage nicht vielmehr an dich richten?" Eine Augenbraue wanderte in die Höhe. "Ich bin nicht freiwillig aus dem Bett gefallen", gab er mürrisch zurück. Zum Glück hielt sich Crawford nicht lange mit seinem Amüsement auf, sondern füllte eine Tasse und stellte sie vor ihm auf dem Tisch ab, bevor der Ältere ihm gegenüber Platz nahm. "Ich habe mit Herrn Schneider telefoniert. Er wird in Kürze rüberkommen und sein Glück mit unserem Findling versuchen", wurde dann endlich auf seine Begrüßung geantwortet. "Herr Rieger ist erfolglos geblieben. Und da sie mit den alternativen Methoden bisher nicht übertreiben wollten, haben die leider nichts gebracht." "Und Herr Rieger ist so toll, dass es gleich Herr Schneider als nächster versuchen muss?" "Er ist ein Ex", kam es unbeeindruckt zurück. Und leider war das wirklich ein Argument. Hastig suchte er nach etwas, um diese neue Information vorläufig zu verdrängen. Und vielleicht hatte er ja Glück und musste Herrn Schneider gar nicht treffen. Vorerst aber erzählte er Crawford einfach von dem Traum und Farfs Worten. Wieder trat Amüsement in braune Augen. "Es ist interessant, dass Farfarello anscheinend auf einer gewissen Ebene bewusst war, dass er etwas getan hatte und gleichzeitig verdrängen konnte, was geschehen war. Und er hat Recht, was er damals als Kind gelernt hatte, hatte rein gar nichts mit seiner Tat zu tun. In der Bergpredigt ging es in diesem Zusammenhang um Ehebruch." Er wusste nicht, was er in diesem Moment unglaublicher fand. "Woher weißt du so etwas? Und die schreiben in der Bibel, dass man sich das Auge ausstechen soll?" Crawfords Belustigung vertiefte sich. "Anders als du anscheinend habe ich auch die Sonntagsschule besuchen müssen. Und ein Messer war nicht im Spiel, man sollte sich das Auge herausreißen." Daraufhin schwieg er lieber und beugte sich über seinen Kaffee. Irgendwie war das alles zu bizarr. Er hätte trotz allem einfach weiterschlafen sollen. ~TBC~ Kapitel 32: "Ich muss unter einem Anfall geistiger Umnachtung gelitten haben, als ich dich gehen ließ" ------------------------------------------------------------------------------------------------------ Energie berührte ihn, prickelte in seinem Verstand in einem leisen Gruß. Ohne Worte, doch die Botschaft wurde trotzdem vermittelt. Unwillkürlich hob er den Kopf, blickte nach oben, wo ihn lediglich die Decke des Flughafengebäudes erwartete. Natürlich, was auch sonst. Ein schmales Lächeln spielte über seine Lippen, als er sich gegen die Wand zurücklehnte und die Augen schloss. Er konnte spüren, wie der Kontakt mit jeder Minute stärker wurde, er Schneiders Präsenz immer mehr gewahr wurde. Und es war irgendwie seltsam, denn auch wenn Schneider ein Telepath war, so hatte sich diese Art von Verbindung zwischen ihnen stets in engen Grenzen gehalten. Nicht, dass er vorhatte, sich darüber zu beschweren. Es sollte ihm schwerfallen zu leugnen, dass er den Deutschen vermisst hatte. Und diese Berührung, selbst wenn sie nur mentaler Natur war, war eine Erleichterung. Er brachte nicht einmal die Entschlossenheit auf, etwas Widerstand aufzubauen, obwohl Schneider diesen eigentlich verdient hatte. Vielleicht war das eine Nebenwirkung des Blocks, doch dann konnte er sowieso nichts daran ändern, nicht wahr? Seine mäandernden Gedanken lenkten ihn so sehr ab, dass er kaum mitbekam, dass das Flugzeug gelandet war. Doch die physische Anwesenheit des Deutschen ließ sich nicht ignorieren, als dieser in den allgemein zugänglichen Bereich trat. Die anderen Wartenden wichen ihm in einer rein unterbewussten Reaktion aus und da sich das Kribbeln der Energie nicht verstärkt hatte, war es allein die Persönlichkeit des Älteren, die hier am Wirken war. Amüsement trat in braune Augen und half ihm dabei, seinen Herzschlag etwas zu beruhigen. Und dann stand Schneider auch schon vor ihm. "Hast du mich vermisst, Crawford?" Die Worte echoten in seiner Erinnerung und da er schon einmal darauf geantwortet hatte, beließ er es dieses Mal bei einem Nicken. Eisblaue Augen bohrten sich in seine, als wollte Schneider etwas herausfinden, ohne dessen Talent dafür einzusetzen. Wahrscheinlich, wie sauer er noch auf den Älteren war. Und was der Deutsche vorfand, schien ihm zu gefallen. Ein Lächeln kurvte dessen Lippen, bevor abrupt Bewegung in Schneider kam. Er musste zuvor unwillkürlich einen Schritt nach vorne getan haben, auf Schneider zu, denn ansonsten hätte er nicht so wirkungsvoll gegen die Wand geschoben werden können. Kurz blitzte die Befürchtung auf, dass sein Kopf ihm das übelnehmen könnte, doch es war Schneiders Hand, gegen die er prallte. Und dann war sowieso jeder Gedanke wie hinweggefegt, als er geküsst wurde. "Ich muss unter einem Anfall geistiger Umnachtung gelitten haben, als ich dich gehen ließ", wurde ihm ins Ohr geflüstert, als er anschließend mehr an dem Älteren hing als selbst zu stehen. Ein Schauer durchlief ihn, als er das hörte und sich bewusst machte, wie einfach Schneider es sich anders überlegen konnte. Und in diesem Moment, völlig eingenommen von dem älteren Mann, auf jeder Ebene, war nicht einmal ein Anklang von Widerwillen in ihm. Verdammt… Er ließ seine Stirn gegen Schneiders Schulter fallen. Es würde ihm wohl niemals gelingen, ganz von Schneider loszukommen. "Ich kann nichts Schlimmes daran finden", wurde auf diesen unausgesprochenen Gedanken geantwortet und kurz presste sich Schneider eng an ihn, ließ scheinbar jeden einzelnen Nervenstrang in seinem Körper aufbrennen. Leiser Schmerz ging damit einher, so vertraut, dass ihn seine Reaktion darauf nicht weiter verwunderte. Eisern rief er sich daher in Erinnerung, wo genau sie sich befanden, doch es half nicht viel. "Ich habe Ihr Zimmer in einem Hotel gebucht, das gleich hier beim Flughafen ist, Herr Schneider." Die bekannte Stimme bedeutete seine Rettung, denn sie erlaubte ihm, seinen Kopf etwas zu klären. In eisblauen Augen stand für einen Sekundenbruchteil etwas, das ihn beinahe zurückzucken ließ, doch dann hatte auch Schneider sich unter Kontrolle und wandte sich zu Herrn Hoffmann um. "Ausgezeichnete Wahl. Ich nehme an, mein Gepäck ist bereits auf dem Weg dorthin?" "Natürlich, Herr Schneider." Der Deutsche nickte daraufhin knapp und dann fand er sich wieder Schneiders Blick ausgesetzt. Aber wenigstens war da auch ein Lächeln. "Begleitest du mich, Crawford?" "Deswegen bin ich hier", gab er ohne zu zögern zurück und verstand erst in diesem Moment, wie wahr diese Antwort war. Er hatte sich vielleicht vormachen können, dass er endlich den Block loswerden wollte, um eine endgültige Entscheidung hinsichtlich Bradley treffen zu können. Doch jetzt, da sich hungrige Energie um ihn wand, wollte er ganz einfach nur noch mehr davon. Eine Hand wurde gegen seinen Oberarm gelegt, erdete ihn, und ebenso hieß er den etwas zu festen Griff willkommen, der folgte. >Nur noch ein bisschen Geduld.< Diese Worte waren nur für ihn bestimmt, weswegen Schneider sich nicht die Mühe machte, sie laut auszusprechen. Und sie waren der Grund, weshalb es vollkommen egal war, dass der Ältere sich daraufhin abwandte und davonschritt, zweifellos geradewegs zum Hotel. Als Telepath hatte Schneider sicher keine Orientierungsschwierigkeiten, es musste hier genug Leute geben, die genau wussten, wo sich sein Ziel befand. Er selbst konnte nicht sofort folgen, er musste seine Nerven erst dazu überreden, wieder Impulse an seine Beine weiterzuleiten. Was Herrn Hoffmann die Gelegenheit gab, ihm ein leichtes Lächeln zu schenken. "Ich bin wirklich froh, dass er Sie endlich wieder hat." Ihm kam plötzlich der Verdacht, dass der andere Mann als Einziger schon damals von seiner Beziehung zu Schneider gewusst hatte. Er hatte nicht viel Gelegenheit, sich einen Eindruck von Schneiders Suite zu verschaffen. Denn kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, wurde er gegen die Wand gepresst – wieder. Und wieder sorgte Schneiders Hand dafür, dass sein Kopf abgepolstert wurde. Finger gruben sich in schwarze Strähnen, während seine eigenen Finger versuchten, das Jackett des Älteren zurückzustreifen. Schneider reagierte für einen Moment völlig konträr, nahm ihn gefangen zwischen der Wand und dem sehr soliden Körper des Älteren. Doch dann schien auch der Deutsche einzusehen, dass etwas mehr Hautkontakt von Nöten war und trat einen Schritt zurück. Der unerwartete Blickkontakt ließ sie beide pausieren, ihm wurde heiß und er spürte, wie ihm Schweiß auf die Stirn trat. Dann kam in derselben Sekunde Bewegung in sie beide. Stoff glitt über Stoff, fiel zu Boden, Knöpfe wurden gelöst und noch mehr Freiheit gewonnen. Schneider war zurück, küsste ihn hart und ausdauernd und irgendwie schien er wegzutreten, denn als seine Beine gegen das Bett stießen, hatte er keine Ahnung, wie er dorthin gelangt war. Genauso wenig konnte er zusammenbekommen, wie genau sie die restlichen Sachen losgeworden waren, doch das war sowieso egal. Das Ergebnis zählte. Und er hätte beinahe gelächelt, als ihm durch den Kopf schoss, wie vertraut diese Reaktion war. Doch Schneider ließ ihm keine Zeit dazu. Die Matratze federte unter ihrer beider Gewicht und endlich rastete etwas an der richtigen Stelle ein, als der Deutsche auf ihm lag und er ihn mit jeder Faser seines Körpers spüren konnte. "Ich habe Sie vermisst…", murmelte er heiser, denn irgendwie schien das Nicken von zuvor nicht mehr ausreichend zu sein. Und dieses Mal erhielt er sogar das gleiche Eingeständnis zurück. "Ich dich auch. Und im Augenblick bin ich nicht geneigt, dich wieder gehen zu lassen." Schneider blickte auf ihn herab und da war nicht einmal ein Hauch von Humor in den eisblauen Augen, der auf einen Scherz hätte hindeuten können. Sein Kopf schwamm ein wenig, trotzdem hatte er noch genug seines Verstands beisammen, um zu wissen, dass er protestieren sollte. Doch dann schloss sich Schneiders Hand um seine Erektion und gleichzeitig gruben sich dessen Zähne in seine Schulter. Die Kombination der Impulse ließ weiße Sternchen vor seinen Augen tanzen und unwillkürlich hob sich sein Becken. Oder versuchte es jedenfalls, doch das Gewicht des Älteren war unerbittlich. Genau wie dessen Berührungen, die zwischen viel zu intensiv und federleicht wechselten, ihn immer wieder von Neuem überraschten. Er driftete ab, gebadet in Energie, die sich ganz nach Schneider anfühlte, doch er wurde regelmäßig zurückgeholt durch den scharf aufblitzenden Schmerz, der mit Schneiders Zähnen einherging. Es schien, als wollte ihn der Deutsche in den Wahnsinn treiben, seine Finger zitterten, als er Schneiders Gesicht einfing, um ihn in einen Kuss zu ziehen. Leider hielt er nicht lange durch, er bekam kaum noch Luft, weil sein Atem viel zu flach ging. Und da half es gar nichts, als er plötzlich mit kühlem Gel bedeckte Finger spürte, die ihn vorbereiteten. Wenigstens war endlich Erlösung in Sicht und er protestierte nicht, als Schneider sich aufsetzte, denn gleich darauf wurde er auf dessen Schoß gezogen. Und dann musste er keine Geduld mehr aufbringen. Mit einem Seufzen ließ er seinen Kopf auf Schneiders Schulter fallen und schaffte es, etwas ruhiger zu werden, während der Deutsche genau darauf wartete. Der Grund dafür und für diesen Positionswechsel erschloss sich ihm, als schließlich Hände sanft sein Gesicht einrahmten und bevor er ganz erfassen konnte, was gerade geschah, ruhte seine Stirn an der des Älteren. Ab diesem Moment konnte er nicht mehr auseinanderhalten, wo er selbst aufhörte und wo Schneider anfing, doch es kümmerte ihn nicht weiter. Jede Berührung steigerte, potenzierte sich, bis das Knäuel zu dicht geworden war, zu viel Masse aufgebaut hatte, und alles zu explodieren schien. "Crawford…" Er erwachte zu einer leisen Stimme und schweren Gliedern, wie sie nur befriedigender Sex produzieren konnte. Und immer noch schienen Nachbeben durch seinen Körper zu laufen, kleine Schocks, die Lichtpunkte in seinem Blickfeld aufleuchten ließen. Es dauerte etwas, aber dann endlich gelang es ihm, sich auf die über ihm lehnende Gestalt zu fokussieren und unwillkürlich lächelte er. "Da bist du ja wieder", wurde er amüsiert begrüßt. "Sie sollten von dieser Reaktion nicht überrascht sein, Sie haben sie schließlich herausgefordert", gab er zurück, zufrieden damit, dass sein Verstand wieder mit ihm zusammenarbeiten wollte. Schneider ließ sich neben ihn fallen und gleich darauf wurden ihm verschwitzte, schwarze Strähnen aus der Stirn gestrichen. "Ich konnte nicht anders…", wurde schließlich zugegeben. Er gab ein leises Brummen zurück, weil es viel zu einfach war, zu verstehen. Und selbst jetzt gelang es ihm nicht, echten Widerstand oder Empörung zusammenzuraffen. Amüsement trat in die eisblauen Augen, doch seine Aufmerksamkeit blieb an den geweiteten Pupillen hängen. Was bemerkt wurde und gleich darauf wurde das Amüsement durch Hitze abgelöst. "Ich hoffe, du hast Bescheid gesagt, dass du heute nicht zurückkommst." Kurz blieb ihm die Luft weg, als er gleichzeitig regelrecht in Energie gebadet wurde und dann konnte er nur ansatzweise nicken, denn Schneider hatte sich wieder vorgelehnt und dessen Mund heftete sich heiß auf seinen. Und sein Körper begann tatsächlich schon wieder zu reagieren. Ein Laut zwischen Lachen und Aufkeuchen entkam ihm und dann rollte er sie herum, so dass er auf dem Deutschen zu liegen kam. Schneider ließ es zu, nutzte die Gelegenheit, weitere Spuren auf seinem Rücken zu hinterlassen, während dessen Lippen seiner Kieferlinie folgten. Er wurde schnell viel zu sehr abgelenkt, um selbst viel zu tun und ehe er es sich versah, blickte er wieder hinauf in eisblaue Augen. Ein Handabdruck brannte sich in seinen Oberarm, er war immer noch viel zu sensibilisiert und zuckte beinahe zusammen, als die andere Hand sehr viel weiter unten tätig wurde. Seine Reaktion wurde unmittelbar registriert und mit einem Lächeln bedacht, bevor der Ältere beschloss, ihnen beiden noch etwas mehr Zeit zu geben. Die sich mit weiteren Küssen sehr angenehm verbringen ließ. Erst später, im Whirlpool, der zur Suite gehörte, klärte sich sein Verstand wieder völlig, dafür schien sein Körper allerdings nicht mehr bereit, heute auch nur noch einen Finger zu rühren. "Ich bin mehr k.o. als nach einem unserer Trainingskämpfe…" Schneider schaffte es irgendwie, wenn schon nicht topfit auszusehen, so wenigstens bei weitem nicht so kraftlos wie er selbst sich gerade fühlte. Und auf seine Bemerkung hin erhielt er ein belustigtes Lächeln. "Ich hoffe, dass der Weg dahin zumindest angenehmer war." Ein Auflachen traf ihn, so unerwartet wie ein Schluckauf. "Hm, ja…", erwiderte er, sobald er sich wieder unter Kontrolle hatte, sank noch etwas tiefer ins Wasser hinein. Schneider musterte ihn, ernster werdend. "Möchtest du es heute noch erledigen oder bis morgen warten?" Die Frage erinnerte ihn daran, warum er eigentlich Schneider hierhaben wollte, ganz abgesehen von dem rein… emotionalen… Aspekt und er biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe. Die davon nicht besonders angetan war. Er zwinkerte, tastete dann mit vorsichtigen Fingern darüber hinweg. Es war wohl besser, wenn er heute keinen anderen Leuten mehr unter die Augen kam, ging es ihm daraufhin trocken durch den Kopf. Doch die Ablenkung hielt nicht lange vor und er suchte den Blick des Älteren, der absolut ruhig abgewartet hatte. Und nicht besonders überrascht wirkte, als er den Kopf schüttelte. "Selbst wenn Sie heute die Sperre lösen, würde das nicht wirklich etwas bringen." Dafür hatte er einfach keine Kraft mehr übrig. Und er musste wieder etwas Abstand zu Schneider gewinnen, denn wie sollte er sonst auch nur hoffen können, eine unbeeinflusste Entscheidung zu treffen… Er schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln und als er sie wieder aufschlug, war Schneider sehr viel näher. "Ich verspreche dir, dass ich mich zurückzuhalten wissen werde", wurde ihm versichert. Der Ältere hatte offensichtlich seinen Gedankengang mitverfolgt. Seine Mundwinkel zuckten ohne sein bewusstes Zutun nach oben. "Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das ausreichen wird…", gestand er ein, ließ dann seine Augen wieder zufallen. Ganz bewusst entschloss er sich dafür, für diesen Abend nicht mehr darüber nachzudenken. Essen, schlafen und dann war morgen ein neuer Tag. ~TBC~ Kapitel 33: "Ich kann mehr an meinen Bruder glauben als an Bradley" ------------------------------------------------------------------- "Bitte erwarte dir nicht zu viel davon", warnte Schneider ihn, der neben ihm auf der Couch Platz genommen hatte, deren Leder sich kühl anfühlte, wo seine Hände sich gegen das schwarze Material pressten. Es war der Versuch, seine Finger vom Zittern abzuhalten, doch das half nicht viel, wenn er stattdessen das Beben durch seinen gesamten Körper laufen spürte. "Es ist so unwirklich", meinte er auf die Mahnung hin, suchte nach dem Blick eisblauer Augen. Der Ältere runzelte flüchtig die Stirn. "So wie ich dich kenne, kann es sehr gut sein, dass der Wegfall der Blockade keinen großen Unterschied macht. Du hast dich schon so lange dagegen gewehrt, so etwas wie Familie anzuerkennen, dass du dich selbst konditioniert hast." Er presste die Lippen zusammen, auf der Suche nach dem Argument, das zu dem gefühlten Widerspruch gehörte, der unmittelbar in ihm aufstieg. Und dann fand er es. "Was ist mit meinem Bruder?" Es fiel ihm schwer, die Frage herauszubringen, denn damit gingen Bilder einher, die er jetzt nicht mehr mit absoluter Gewissheit einordnen konnte. Eine Hand wurde ausgestreckt und Fingerspitzen glitten flüchtig durch schwarze Strähnen. "Er war niemals wirklich genug für dich." Jetzt wurde die Hand gehoben, in einer stummen Aufforderung, Schneider aussprechen zu lassen. "Natürlich will ich nicht anzweifeln, dass du etwas empfunden hast, sobald du von seiner potenziellen Existenz wusstest. Doch dir wurde keine Gelegenheit gegeben, eine Bindung aufzubauen. Visionen sind dafür nicht ausreichend." Bitterkeit zeichnete für einen Moment Linien auf sein Gesicht, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. "Wofür haben Sie sich dann erst die Mühe gemacht, mir einen Block zu verpassen?" Nun war es mehr als eine flüchtige Berührung, sein Gesicht wurde von zwei Händen eingerahmt und Schneider hielt seinen Blick gefangen. "Weil ich niemals behaupten würde, jede deiner Handlungen vorhersagen zu können. Egal, wie gut ich dich kenne. So berechenbar bist du nicht." Es war kein großer Trost, aber zumindest war es einer. Und irgendwie schafften es die Worte, seine Nervosität zu bannen. Denn jetzt musste er Gewissheit haben. Nicht wegen Bradley, sondern allein um sich selbst zu kennen. Schneider musterte ihn noch für ein paar Sekunden, nickte dann zustimmend. Die rechte Hand rutschte zu seiner Stirn und er schluckte, als er unwillkürlich an den Tag zurückdenken musste, als der Ältere dies bei Schuldig getan hatte. Doch heute ging es nicht darum, etwas wegzuschließen, im Gegenteil. Und… er hatte genug Vertrauen in Schneider, um ihm das zu glauben. Zeitgleich mit dem Deutschen schloss er seine Augen und dann war da etwas, das sich durch seinen Verstand wand. Energie, die vertraut sein sollte, aber das Gefühl war ein ganz anderes als wenn es zu einem ähnlichen Kontakt kam, wenn sie miteinander schliefen. Schneider gab einen Laut der Beruhigung von sich und mit einem Mal wurde ihm klar, dass der Ältere ihm hier entgegen kam, ihn spüren ließ, wie er arbeitete. Denn normalerweise wäre Schneider viel zu gut, um sein Opfer etwas merken zu lassen. Es erleichterte ihm, sich zu entspannen, wo er sonst fieberhaft nach einem Zugriff gesucht hätte, der nicht nachvollziehbar war. Und Schneider arbeitete mit der gewohnten Effizienz. Er konnte am Ende nicht sagen, wie viel Zeit genau verstrichen war, doch es sollte ihn wundern, wenn es mehr als ein paar Minuten waren. Selbst das wäre noch sehr viel für den Deutschen. Der lehnte sich nun etwas zurück, mit einem leichten Lächeln. "Ich hätte es schneller erledigen können, da ich allerdings die Möglichkeit hatte, langsam und gründlich vorzugehen, habe ich diese natürlich genutzt. Vor allem, da mir diese beim Setzen der Blockade gefehlt hatte." Er nickte, etwas abwesend, da sein Verstand gerade damit beschäftigt war, alles noch einmal durchzugehen. Von seinem ersten Wiedersehen mit Stan bis zu dem Moment, da er in Bradleys Zimmer stand, der Junge schlafend in dessen Bett. Sein Magen krampfte sich zusammen und sein Oberkörper schien wie zugeschnürt, als das Bild kristallklar in seiner Erinnerung aufstieg. Und Schneider hielt es dort, wurde ihm einen Augenblick später bewusst. Mit einem scharfen Einatmen saugte er Sauerstoff in seine Lungen, als er auf der mentalen Ebene landete, in einem begehbaren, berührbaren, Foto. Behutsam setzte er sich auf die Bettkante, blickte auf den Jungen herunter, der sein Sohn war und bekam darüber den Moment nicht mit, da Schneider neben ihm in die Szene hineinflackerte. >Mir war nicht klar, dass so etwas möglich ist.< Er klang immer noch atemlos, selbst in seinem Kopf. Eine warme Hand legte sich in seinen Nacken und irgendwoher kam eine leise Anleitung, die ihm half, seine Atmung zu normalisieren. >Ist es normalerweise nicht, das Gedächtnis wäre schnell überfordert, wenn es die dafür notwendigen Informationen abspeichern müsste. Doch ich habe es zu einer Funktion des Blocks gemacht. Bewusst hast du es nicht wahrgenommen, doch die Details sind mit abgelegt worden.< Eine kurze Pause. >Jetzt, nachdem ich darauf zugegriffen habe, wird es von deinem Gehirn normal verarbeitet. Dir werden als nur normale Erinnerungen bleiben.< Er würde diese Klarheit vermissen, glaubte er für einen Moment. Aber nachdem er das Bild länger auf sich hatte einwirken lassen, wurde ihm bewusst, dass er sich nur etwas vormachte. >Es ist so echt wie es nur sein kann…< Wie um es sich selbst zu beweisen, glitten seine Fingerspitzen durch die weichen, schwarzen Haare. >Aber?<, legte Schneider den Finger natürlich sofort auf den wunden Punkt. >Bringen Sie mich zurück<, bat er und kümmerte sich nicht darum, dass ihm das als Schwäche ausgelegt werden könnte. Schneider zögerte nicht lange und gleich darauf fand er sich auf der Couch wieder, zwinkerte den Anblick des Kinderzimmers weg, der für ein paar viel zu lange Sekunden noch die Wirklichkeit überlagerte. Erst dann schloss er die Augen und damit alles andere aus, tastete erneut nach den Erinnerungen, ohne dass etwas seine Emotionen beeinflusste. Doch wie beim ersten Mal blieb das Ergebnis das Gleiche. Womit er endlich Schneiders Frage beantwortete. "Er ist nicht echt für mich. Ich kann mehr an meinen Bruder glauben als an Bradley." Die Erkenntnis ging mit einer gewissen Resignation einher. Es wäre so einfach gewesen, sich einzureden, dass Schneider gelogen hatte. Dass dessen Block noch immer vorhanden war. Doch Schneider hatte ihn noch nie angelogen und er würde nicht heute anfangen, so zu denken. Mit einem Seufzen ließ er seinen Kopf zurück gegen die Lehne fallen und das Lächeln, das seine Mundwinkel nach oben zog, trug keinen Humor in sich. "Sie hätten sich die Mühe sparen können. Ich bin nicht verlockt, mein bisheriges Leben über den Haufen zu werfen, nur um bei ihm sein zu können." "Da bin ich mir nicht so sicher", klang zu seiner Überraschung Schneiders Stimme auf und unwillkürlich wandte er ihm das Gesicht zu. "Du hattest sehr viel Zeit, alles zu verarbeiten. Ohne diese Gelegenheit… wie gesagt, ich bin der Meinung, dass du dich mit einiger Überlegung für uns entschieden hättest. Ich will nur nicht spekulieren, was du bis dahin getan hättest." "Vielleicht einen neuen Job angenommen", rutschte es ihm heraus und er musste auflachen, als eisblaue Augen daraufhin zusammengekniffen wurden. Auch wenn unverändert der Humor fehlte. "Herr Walter", erklärte er dann. "Auf Stans Silvesterparty. Aus irgendeinem Grund schien er recht angetan von mir." Schneider sah ihn für einen Moment sehr intensiv an, bevor ein Lächeln folgte, das sichtlich Amüsement in sich trug. "Er scheint gute Menschenkenntnis zu besitzen. Wenn er darin so gut ist wie als Geschäftsmann, wundert es mich überhaupt nicht, dass er versucht hat, dich abzuwerben." "Sie haben ihn auch überprüft?", rutschte ihm eine Augenbraue hoch. Natürlich hatte er selbst Nagi einen entsprechenden Auftrag gegeben, Vorsicht ist immer besser als Nachsicht, doch Schneider… "Ihr seid euch zweimal begegnet. Einmal ist Zufall. Zweimal könnte Planung sein." "Woher zum Teufel wissen Sie das?" Es war keine Empörung, nur simple Überraschung. "Nagi hat unsere Ressourcen genutzt, um ihn zu überprüfen. Und natürlich geantwortet, als ich nach dem Grund fragte." Natürlich. Und es war nicht so ungewöhnlich, dass der Telekinet es erforderlich gefunden hätte, ihm so etwas mitzuteilen. "Haben Sie mehr herausgefunden als er?" Schneider schüttelte den Kopf. "Herr Walter schein ein glückliches Händchen zu haben, aber es gibt nicht einmal Gerüchte, dass er in dunkle Machenschaften verstrickt ist. Obwohl es genug Neider gibt. Ich habe mir aus reiner Neugier ein paar seiner Transaktionen näher angeschaut und er ist wirklich gut." Ein Lob aus dem Mund es Älteren wollte schon etwas heißen. "Haben Sie vor, die Firma künftig mit ihm zusammenarbeiten zu lassen?" Die Antwort kam so schnell, dass Schneider auf jeden Fall über diese Möglichkeit schon nachgedacht haben musste. "Es ist eine Idee für die Zukunft, aber unsere wirtschaftlichen Interessen haben sich bisher auf andere Regionen konzentriert, nicht auf die USA. Daher sind wir bisher auch nicht über ihn gestolpert. Trotz seiner deutschen Herkunft hat Herr Walter sich nämlich vor allem auf die Vereinigten Staaten beschränkt." "Es hätte zumindest ein gewisse Ironie, wenn er letztendlich für uns arbeiten würde", meinte er dazu nach einem Moment der Überlegung. Doch der Anklang von Belustigung hielt nicht lange vor, als er sich schließlich eingestand, dass er sich nicht länger vom eigentlichen Thema ablenken konnte. Schneider schien das ohne Probleme zu erkennen und er erhielt ein leichtes Nicken, was er als Aufforderung deutete, weiterzusprechen. "Ich glaube, ich bin Ihnen Dank schuldig." Nachdem er wieder manipuliert worden war, war das etwas, das er ungern zugab. Doch alles andere wäre nur Selbstbetrug gewesen. Allein die Vorstellung, die Kontrolle zu verlieren, bereitete ihm Unbehagen. Und die möglichen Folgen wären unabsehbar gewesen. Ohne es zu merken, hatte er den Blick gesenkt, doch eine Bewegung aus den Augenwinkeln fing seine Aufmerksamkeit ein und zu seiner Überraschung stellte er fest, dass Schneider sich so nahe zu ihm herübergelehnt hatte, dass er dessen Atem spüren konnte. "Meine Hilfe war nicht uneigennützig, von daher musst du mir nicht danken." Der folgende Kuss war nicht mehr als eine flüchtige Berührung seiner Lippen, die nach dem Kontakt zu kribbeln begannen. Und zu seinem kaum eingestandenen Bedauern blieb der Ältere professionell und ging danach wieder auf Abstand. "Und so froh ich bin zu hören, dass du nicht vorhast, dein Leben aufzugeben…" Was sehr wohl wörtlich gemeint sein konnte, fügte er im Stillen für sich selbst hinzu. Denn egal, welche Sonderbehandlung ihm Schneider zukommen ließ, er konnte sich nicht vorstellen, dass der Deutsche ihm einen Versuch durchgehen lassen konnte, sich selbständig zu machen. Der Deutsche hatte für einen Moment gestockt, kommentierte seinen Gedankengang aber nicht, sondern fuhr fort, als wäre nichts geschehen. "…hast du mir noch nicht mitgeteilt, wie du künftig mit Bradley umgehen willst. Ich habe dir schon gesagt, dass ich dir Besuche ermöglichen könnte, ohne dass sich Probleme daraus ergeben. Und ich habe es ernst gemeint." Seine Finger verschränkten sich ineinander und für ein paar lange Sekunden blickte er ins Leere. Doch wie Schneider gesagt hatte, er hatte bereits genug Zeit zum Nachdenken gehabt und sah seine Einstellung nicht geändert. "Er ist jetzt noch jung genug, um keine Fragen zu stellen. Aber später würde ihm unsere Ähnlichkeit auffallen. Und ich will nicht zwischen ihn und seine Eltern kommen." Er suchte Schneiders Blick. "Und nein, auch wenn sie genau solche Fragen höchstwahrscheinlich ohne Nebenwirkungen verhindern könnten, bleibt ein Restrisiko. Ohne Zwang will ich das nicht eingehen." Schneider neigte verstehend Kopf. "Also kein Kontakt. Willst du regelmäßige Reports haben?" Er… wollte sie, ja. Er wollte sicherstellen, dass es Bradley gut ging. Das war schließlich der Grund, warum er ihn bei Stan und Kathy ließ. Doch wenn Schneider solche regelmäßigen Reports für ihn erstellen lassen würde, könnten diese früher oder später in die falschen Hände fallen. Und ganz sicher wollte er Bradley nicht gegen sich benutzt sehen. "Ich würde es begrüßen, wenn Sie davon absehen. Auch für Ihre eigene Verwendung. Mir reicht es, wenn Nagi ein Auge auf ihn hat." Eisblaue Augen verengten sich leicht, als Schneider das Für und Wider abwägte, seine Interessen gegen die von Rosenkreuz oder sogar SZ. Dann wurde der Blick des Älteren sehr scharf. "Gut, unter einer Bedingung. Du wirst mich unmittelbar einschalten, wenn du Handlungsbedarf siehst. Oder auch nur Zweifel hast." "Natürlich, Herr Schneider." Das war mehr als er hätte er erwarten dürfen und Erleichterung überfiel ihn überraschend, machte ihm klar, dass Bradley ihm wirklich bei weitem nicht gleichgültig war, auch wenn seine Gefühle in Verbindung mit dem Jungen nicht die eines Vaters waren. Schneiders Züge wurden weicher. "So etwas geschieht nicht automatisch, das ist ganz sicher kein Defizit bei dir. Und du kannst auch aus der Ferne viel für ihn tun." Jetzt schlich sich leiser Humor in die Stimme des Älteren. "Wenn du ein schlechtes Gewissen hast, bezahl ihm von mir aus das Studium. Geld genug hast du ja." Für ein paar lange Sekunden verstand er absolut nicht, dann aber musste er aufpassen, dass ihm nicht die Kinnlade herunterklappte. "Sie wissen davon?" "Dass du damals Vorsorge getroffen hast?" Schneider lächelte. "Es ist mir nicht entgangen. Dafür, dass du nicht ausgebildet warst, fand ich deine Herangehensweise ausgesprochen lobenswert. Andere hätten nur an die Rache gedacht, aber nicht daran, dass etwas schiefgehen könnte und sie sich später auf der Flucht befinden könnten." Die eisblauen Augen musterten ihn mit einem Ausdruck der Zufriedenheit. Er konnte dazu nur den Kopf schütteln. ~TBC~ Kapitel 34: "Du kannst mir gerne deine Geheimnisse aufzählen und ich kann dir sagen, ob ich sie bereits kannte" --------------------------------------------------------------------------------------------------------------- "Gibt es eigentlich _irgendetwas_, das ich vor Ihnen verbergen kann?", fragte er schließlich und seine Stimme war tonlos, weil er selbst nicht wusste, was er von der neuen Enthüllung hielt. Schneider jedenfalls hatte keine solchen Probleme, sondern war deutlich amüsiert. "Das kann ich schlecht beurteilen, nicht wahr? Aber du kannst mir gerne deine Geheimnisse aufzählen und ich kann dir sagen, ob ich sie bereits kannte." Die Absurdität dieses Vorschlags ließ ihn erst zwinkern, dann unfreiwillig auflachen. Und dann schüttelte er wieder den Kopf. "Wissen Sie, was das wirklich Schlimme ist? Ich glaube, ich habe überhaupt gar keine Geheimnisse mehr…" Der Deutsche neigte den Kopf leicht zur Seite, lächelte dann. "Nun, ich kann nicht behaupten, dass ich das ebenfalls schlimm finde." "Natürlich nicht." Ihm fielen für einen Moment die Augen zu und mit leichter Verwunderung spürte er, dass plötzlich Ruhe über ihn kam. Erst hatte er Schneider im Verdacht, doch im nächsten Moment schloss er dies aus. Denn wenn Schneider eingriff, dann wusste man das nicht. Also suchte er bei sich selbst und es dauerte nicht lange, bis er verstand. Es tat gut, das Kapitel Bradley endlich abschließen zu können und die Zweifel hinter sich zu lassen. Und auch wenn seine Entscheidung später Anlass für Gewissensbisse geben könnte, kannte er sich gut genug, um zu wissen, dass dies unwahrscheinlich war. Nachdem dieser Gedankengang zu Ende geführt war, gab er seinem Verstand vorläufig frei, denn gerade drängte nichts. Schneiders Treffen mit den Ex und ihrem Gefangenen war erst für den Abend vorgesehen, auf diese Weise war sichergestellt, dass sich der Deutsche ausreichend akklimatisiert hatte und perfekt arbeiten konnte. Und da der Herr Rieger bisher nichts aus dem anderen Mann hatte herausholen können, gab es nichts, was sie vorher besprechen müssten. Also hatten sie Zeit. Er entspannte sich weiter, öffnete schließlich die Augen und musste den Kopf nur leicht wenden, um Schneiders Blick zu begegnen. Der Deutsche schien nicht weniger ruhig als er selbst, da gab es nur ein winziges Lächeln, das dessen Mundwinkel umspielte. Er erwiderte es unwillkürlich. Und nachdem er nun nicht mehr abgelenkt war, meldete sich sein Körper zurück. Woran Schneider in diesem Fall wohl nicht unschuldig war, denn die Male, die der Ältere in der vergangenen Nacht auf ihm hinterlassen hatte, begannen aufzuglühen, wie von unsichtbarer Hand berührt. Was ihm etwas in Erinnerung rief, das er wieder verdrängt hatte, obwohl es seine Zukunft genauso beeinflussen konnte, wie es Bradley hätte tun können. Seine Hand streckte sich wie aus eigenem Willen aus und seine Fingerspitzen kamen an Schneiders Kiefer zu ruhen, während er darüber nachdachte, ob er die Frage stellen wollte. Eisblaue Augen wurden dunkler und die Kieferlinie trat deutlicher hervor, bevor der Deutsche ihm die Entscheidung abnahm. "Ich habe es ernst gemeint. Ich weiß aber noch nicht, wie wichtig mir meine eigenen Wünsche sind." Die Worte vibrierten gegen seine Fingerspitzen und in ihm nach und trotz dem, was sie für ihn bedeuten konnten, wollte er den Kontakt nicht aufgeben. Seine Finger wanderten ein paar Zentimeter weiter, bis er Schneiders Unterlippe berühren konnte. "Warum haben Sie mich dann erst gehen lassen?" "Weil mir noch nicht klar war, was es für einen Unterschied macht, dass du endlich Bescheid wusstest. Damals hatte ich nicht regelmäßig deine Anrufe, die mich daran erinnert haben, dass ich dich lieber an meiner Seite habe als einen halben Globus entfernt." Oh… vielleicht lag genau darin auch sein Mangel an Protest begründet… Ein Funke blitzte in Schneiders Augen auf, der seine einzige Vorwarnung war, bevor plötzlich Bewegung in Deutschen kam. Seine Handgelenke wurden gepackt, erst das eine, das sich in so bequemer Reichweite befand, dann das andere und einen Moment später fand er sich auf dem Rücken wieder, mit Schneider über sich. Für den Bruchteil einer Sekunde schoss ihm der widersinnige Gedanke durch den Kopf, dass er auf einmal Rans Faszination mit dieser Art von Fixierung verstehen konnte, dann war es nur noch Schneider, der seine Gedanken einnahm, als der Ältere ihn küsste. "Wenn Sie vorhaben, meinen Verstand auszuschalten, dann haben Sie eine ausgesprochen wirkungsvolle Methode gewählt…", murmelte er, nachdem er wieder den Atem dafür hatte. Sie lagen jetzt ausgestreckt auf der Couch, Schneider über ihm und seine inzwischen wieder befreite Hand spielte mit sandblonden Strähnen. Der Deutsche hatte sich auf beiden Unterarmen aufgestützt und nahm sein Tun mit leichter Belustigung auf, stoppte ihn aber nicht. "Das würde mir niemals einfallen. Schließlich magst du es ja nicht, beeinflusst zu werden." Er schenkte dem Älteren einen schiefen Blick. "Wer tut das schon", erwiderte er dann. Schneider fuhr fort, als ob er nichts gesagt hätte. "Aber du kannst gerne noch einmal darüber nachdenken, ob du unbedingt Teil des hiesigen Triumvirats werden willst." Unwillkürlich runzelte er die Stirn. "Das war doch Ihre Idee." Dann verschwand das Stirnrunzeln wie weggewischt, als Schneider etwas mehr Gewicht auf ihn verlagerte und zwar sehr gezielt. Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht aufzustöhnen, konnte aber nicht verhindert, dass ihm kurz die Augen zufielen. "Das ist nur eine Ausrede. Du weißt, warum ich das getan habe." Ja, natürlich wusste er das. Aber ungeachtet seiner ersten Reaktion damals, war es eine faszinierende Aufgabe. Er könnte einen Teil der Zukunft von SZ formen helfen, indem er bei der Ausbildung der Talente half. "Crawford." Die leise Warnung in Schneiders Stimme ließ ihn die Augen wieder aufschlagen und als sein Blick Eisblau begegnete, musste unwillkürlich schlucken. "Das ist schon wieder eine Ausrede und das hast du nicht nötig. Genauso gut könntest du auf Rosenkreuz arbeiten, wenn du diese Aufgabe auf einmal so interessant findest." Endlich schaffte er es, sich von Schneiders Blick loszureißen und wandte den Kopf zur Seite. "Ich weiß nicht, ob ich es aushalten würde", antwortete er dann endlich ohne alle Ausflüchte, auch wenn es nicht wirklich eine Antwort war. "Sie können nicht plötzlich von mir verlangen, dass ich so eine Entscheidung treffe." Was Schneider allerdings tun konnte, war, selbst eine Entscheidung zu treffen. Schließlich würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als einem Befehl des Deutschen zu folgen. Schneider setzte sich plötzlich auf und ihm wurde kalt, als die Körperwärme des Älteren damit verschwand, obwohl seine Sachen vollkommen ausreichen sollten, um ihn warm zu halten. "Ich habe dir meine Gründe damals genannt. Und sie haben nicht an Gültigkeit verloren. Es ist also nicht meine Entscheidung." Die Stimme des Deutschen geriet viel zu kühl, als hätte er dessen Geduld mit seiner letzten Überlegung überstrapaziert. Er atmete tief dich durch, setzte sich dann ebenfalls auf. "Sie haben Recht." Eine Entschuldigung, die nicht weiter ausgeführt werden musste. "Aber was ich gesagt habe, stimmt nichtsdestotrotz." "Dann nimm dir die Zeit, die du brauchst. Ich möchte sowieso, dass du deine aktuelle Aufgabe weiterführst. Du bist bisher schneller vorangekommen als ich erwartet hatte und viele kennen dich inzwischen als Ansprechpartner. Es wäre dumm, dich als Kontaktperson auszutauschen." Die sachlich vorgebrachten Worte beruhigten etwas in ihm und machten ihm noch mehr bewusst, wie kindisch er reagiert hatte. Doch eine weitere Entschuldigung wäre redundant gewesen, also nickte er einfach nur. Was endlich ein Lächeln auf Schneiders Lippen zurückholte. "Du warst in solchen Dingen noch nie besonders rational. Aber in diesem Fall will ich gar keine Rationalität von dir, nicht wahr?" Letzteres mit einem Anklang von Ironie, die auch gegen den Deutschen selbst gerichtet war. Er musterte Schneider, die sandblonden Strähnen, die dank ihm ihren perfekten Sitz verloren hatten. Und nachdem ihm für die Entscheidung Aufschub gewährt worden war, er sie einfach wegschieben konnte, bis er nicht mehr zurückscheute, wenn er auch nur versuchte, darüber nachzudenken, kehrte die Hitze zurück. Es war schon immer so gewesen, sein Körper wollte Schneider nahe sein. Es war zum Verrücktwerden. Er bewegte sich, bevor ihm überhaupt bewusst war, was er vorhatte, drückte Schneider zurück, der so gar nicht überrascht schien. Und dieses Mal war er es, der den Kuss initiierte. Allerdings begnügten sich seine Finger nicht damit, sich in den Haaren des Älteren zu vergraben, sondern wanderten nach unten, um den Gürtel zu lösen. Ihm wurde noch heißer, als seine Hand ihr Ziel fand und Schneider daraufhin in seine Unterlippe biss. Das war sehr viel besser, hierbei gab es keine Unwägbarkeiten, kein Zögern. Für einen Moment vertiefte er den Kuss, dann folgte sein Mund dem Weg, den seine Hand genommen hatte. "Ich nehme an, dass du mitkommen möchtest", eröffnete Schneider das Gespräch, nachdem ihnen das Mittagessen serviert worden war. Seine Hände verharrten für einen Moment über Messer und Gabel und ein ironisches Lächeln zog an seinen Mundwinkeln. "Natürlich möchte ich das." Er hatte so lange auf Schneider verzichten müssen, dass er ganz sicher nicht früher als erforderlich von ihm Abschied nehmen wollte. "Und es wäre eine gute Entschuldigung, warum Sie hier einen Zwischenstopp eingelegt haben, nicht wahr?" Schneider stockte, bevor Amüsement in den eisblauen Augen aufblitzte. "Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig, von daher benötige ich keine Entschuldigung. Aber du kannst gerne bei dieser Geschichte bleiben, wenn du deine Privatangelegenheiten nicht vor den Ex auszubreiten wünschst." Das klang danach, als wäre es Schneider egal. Aber das wusste er bereits, schließlich hatte ihn der Ältere damals im Turm geküsst, ungeachtet dessen, wer gerade zuschauen mochte. Er nahm ein paar erste Bissen vom Fischfilet, um seine Gedanken zu sammeln. Zugegeben, er war stets auf seine Privatsphäre bedacht gewesen, auch wenn es ihm mehr darum gegangen war, dass er nicht der Grund für Gerede über den Direktor sein wollte. Heutzutage jedoch… stand Schneider so weit oben, dass niemand es wagen würde, darüber zu reden. Selbst wenn Schneider beschließen würde, Sex mit ihm vor Zeugen zu haben. Energie prickelte über ihn hinweg, die Belustigung in sich trug. Sie lenkte seinen Blick zurück auf Schneider, der leicht den Kopf schüttelte. "Du magst mit der Annahme Recht haben, aber ich gehöre nicht zu den Exhibitionisten. Von daher werden wir diese Theorie kaum testen können." "Das hatte ich auch nicht vor", gab er unbeeindruckt zurück. "Hm, und ansonsten?" Schneider musterte ihn beinahe erwartungsvoll und das löste unwillkürlich die Frage aus, warum der Ältere so daran interessiert war. Der Ältere lehnte sich zurück. "Nun, das ist ganz einfach. Wenn du öffentlich Anspruch auf mich erhebst, ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Es erhöht die Chance, dass du dich für eine Rückkehr entscheidest." Er musste aufpassen, sich nicht an dem Weißwein zu verschlucken und stellte das Glas hastig zurück. "Und das sagen Sie mir auch noch so offen?" Das Amüsement war nicht ganz verschwunden, doch so wie bereits zuvor an diesem Tag geschehen, war da auch eine andere Emotion in Schneider. "Du bist intelligent genug, um in Kürze selbst darauf gekommen zu sein." Und nun änderte sich die Haltung des Deutschen völlig, als dieser sich vorbeugte, das Kinn auf einer Hand abstützend. "Weißt du, in diesem Punkt bist du Ran recht ähnlich. Nur wo es bei ihm Unsicherheit ist, ist es bei dir die Befürchtung, dass ich darauf aus bin, dich völlig zu kontrollieren. Dabei habe ich von Anfang an an dir geschätzt, dass du deinen eigenen Kopf hast. Und diesen nur soweit beeinflusst, wie es für meine Pläne erforderlich war." Eine kurze Pause, dann ein Lächeln. "Und ja, ich habe Ran absichtlich ins Gespräch gebracht, weil du ihn anscheinend bisher in deine Überlegungen gar nicht einbezogen hast." Er saß da wie von kaltem Wasser übergossen. Und dann ertappte er sich dabei, genau das zu denken, was der Ältere ihm gerade vorgehalten hatte: Wenn Schneider ihn hier gerade zu manipulieren versuchte, war das eine sehr seltsame Vorgehensweise. Er rief sich selbst zur Ordnung, zwang sich bewusst dazu, sich wieder auf sein Mahl zu konzentrieren. Und Schneider wartete geduldig darauf, dass er wieder Blickkontakt suchte. Erst dann sprach der ältere Mann weiter. "Du solltest dir nicht so viel daraus machen, jeder hat so seine Komplexe. Aber es sollte dir bewusst sein." Das war es schon vorher gewesen, er wusste, dass es ihm schwerfiel, Kontrolle aufzugeben. Doch es war ihm noch nie so vor Augen geführt worden. Er aß weiter, obwohl er nicht mehr besonders viel Appetit hatte. An seinem Hunger zumindest hatte sich nichts geändert. "Ich denke schon wieder darüber nach, was sie damit erreichen wollen", meinte er irgendwann leise, über sich selbst verärgert. "Und du kommst stets zu dem Schluss, dass es genau das ist, was ich gesagt habe, nicht wahr?" Die Belustigung war verstärkt zurück. "Ich hätte diese Methode früher probieren sollen." Er fand das nicht halb so lustig wie anscheinend der Ältere, doch seine Mundwinkel zuckten wie aus eigenem Antrieb nach oben. "Lass es dir durch den Kopf gehen. Wie ich heute schon sagte, du hast Zeit. Freunde dich mit dem Gedanken an, dass ich dich in meiner Nähe haben will, ohne dass ich darauf aus sein muss, jeden deiner Schritte zu lenken." Und dann lag plötzlich Schneiders Hand auf seiner, drückte für einen Moment zu und unterstrich auf rein mentaler Ebene, dass der Deutsche es völlig aufrichtig meinte. Er blinzelte, schüttelte innerlich den Kopf. Es sah ganz so aus, als hätte Schneider einen ganz neuen Weg gefunden, ihn in den Wahnsinn zu treiben. ~TBC~ Kapitel 35: "Gehörst du nicht zu meinen Leuten?" ------------------------------------------------ "Du hast doch genug Sachen gepackt, oder?", erkundigte sich Schneider, als sie zurück in dessen Suite waren und die eisblauen Augen musterten ihn einmal von oben bis unten, bevor der ältere Mann weitersprach. "Du kannst anderenfalls gerne etwas von mir abhaben." Er erschauerte unwillkürlich unter Schneiders Blick. Er konnte sich gut vorstellen, dass der Ältere nichts dagegen hätte, die psychologische Komponente war so simpel wie effektiv. Allerdings hatte er nicht vor, eine darüber hinaus gehende Reaktion zu zeigen, weswegen seine Stimme so gleichmäßig wie immer war, als er antwortete. "Da ich gehofft hatte, dass ich mitkommen kann, habe ich ausreichend Kleidung dabei." Schneider schien die Information mit Gleichmut aufzunehmen, trat gleichzeitig aber auf ihn zu. Und ohne den Grund dafür zu kennen, wich er langsam zurück, bis eine Wand ihn stoppte. Erst als ihm Schneiders Lächeln bewusst wurde, wurde ihm auch bewusst, wie lächerlich seine Reaktion war, weswegen er sich straffte und auch nicht rührte, als eine Hand nach ihm reichte. "Seit wann tust du so, als wollte ich dir etwas antun?", wurde er amüsiert gefragt, während seine Krawatte gelöst wurde, gefolgt von den oberen Knöpfen seines Hemdes. "Müssen wir nicht langsam los?", beschloss er, die Frage zu ignorieren. Schneider an sich konnte er allerdings nicht ignorieren, vor allem, als dessen Hand über die Erhebung seines Schlüsselbeins strich. "Die Zeit reicht noch", wurde beinahe abwesend erwidert, während Finger herunterglitten, bis sie sein Brustbein fanden. Er verspürte den Impuls, Schneider zu stoppen, doch er tat es natürlich nicht. Auch wenn er die Augen schloss, als er plötzlich ahnte, worauf Schneider hinauswollte. Aber das konnte nicht wahr sein, es war absurd. Bevor er sich entscheiden konnte, was er von dieser seltsamen Idee hielt, lagen plötzlich Schneiders Lippen auf seinen. Er kam nicht dazu, den Kuss zu erwidern, da der Deutsche viel zu schnell wieder zurücktrat. Und als er die Augen wieder aufschlug, lächelte Schneider noch immer. "Es dauert nur einen Moment", wurde ihm mitgeteilt und Schneider holte aus dessen Jackett eine kleine Schachtel, in der sich ein ganz ähnlicher Anhänger befand wie der, den er damals für so kurze Zeit getragen hatte. Oder war es sogar derselbe? Irgendwie fiel es ihm plötzlich schwer zu atmen und seine Brust fühlte sich an wie zugeschnürt. "Es wird Zeit, dass er wieder seine Funktion erfüllt, nicht wahr?", wurde der Anhänger an seiner Kette hochgehalten. Er schluckte unwillkürlich und sein Mund wurde trocken, als aus einer absurden Vermutung so etwas wie Gewissheit wurde. "Sie wollen _mir_ die Codes geben?", vergewisserte er sich trotzdem und erntete für seinen Unglauben Belustigung. "Wem sonst?" Wieder ein Lächeln, bevor ihm die Kette umgelegt wurde. "Jemandem vom Triumvirat oder von den Büros. Jemandem von Ihren Leuten", hielt er entgegen. "Gehörst du nicht zu meinen Leuten?" Eine Hand schloss sich um seinen Arm, dann wurde er zur Couch geleitet, wo sie beide Platz nahmen. Schneider musterte ihn und wurde etwas ernster. "Nachdem ich jetzt meine Position gesichert habe, muss ich jemandem Zugriff für den Notfall gewähren. Und du hast die Fähigkeiten, um für einen sauberen Übergang zu sorgen. Während es gleichzeitig keinen Grund gibt, dich von der Liste der Kanditaten zu streichen. So sehr du nach Kontrolle strebst, weiß ich, dass du keinerlei Interesse an meinem Job hast. Und genauso wenig hast du Ambitionen, mich aus welchem Grund auch immer sonst stürzen zu wollen. Von daher wird es mir doch gestattet sein, als letzten Punkt ganz einfach auf meine persönlichen Präferenzen abzustellen." Letzteres wieder sichtlich amüsiert. "Das ist nicht lustig…" "Das ist deine Meinung. Und jetzt entspanne dich, ich muss ihn auf dich einstellen." "Und wie genau soll ich das hinbekommen?" Sein Herz schlug immer noch viel zu schnell und die Erinnerung an die Möglichkeit, dass Schneider etwas zustoßen konnte, was den Einsatz des Codegebers erst nötig machen würde, hatte das Blut aus seinem Gesicht weichen lassen. "Ah… du weißt doch, dass ich auf mich aufpassen kann…" Finger strichen durch schwarze Strähnen und Schneider schaffte es, immer noch zu lächeln. Und der nächste Kuss ließ ihn tatsächlich ruhiger werden. "Siehst du, geht doch." Dann kam die Hand zum zweiten Mal an diesem Tage auf seiner Stirn zu ruhen, während Schneiders andere Hand sich wieder um den Anhänger schloss. Energie begann durch ihn zu kreisen, tastete ihn ab und dann wurde sein Muster irgendwie dem Anhänger eingeprägt. Er hatte damals nicht verstanden, wie das funktionierte und tat es jetzt ebenso wenig, doch er zweifelte nicht daran, dass es das tun würde. Irgendwann war er in sich zusammengesackt unter der mentalen Wärme und so dauerte es einen Moment, wieder zu sich selbst zurückzufinden, als Schneider seinen Namen sagte. "Schon fertig", wurde ihm dann leise mitgeteilt. "Ich habe dir doch gesagt, dass es nicht lange dauern würde." Es war immer noch, als wäre sein Kopf mit Watte ausgestopft statt mit einem Gehirn ausgestattet zu sein und gedankenlos reichte er nach dem Älteren, um ihn wieder näher an sich heranzuziehen. Schneider folgte dem Zug willig und Zufriedenheit schien in den eisblauen Augen zu liegen, bevor sie geschlossen wurden und er erneut einen Kuss erhielt. Dieser hier war jedoch viel intensiver, schien ihn fast zu verbrennen. Aber gleichzeitig verbrannte er auch die Schleier und als der Deutsche sich schließlich zurücklehnte, fühlte sich sein Kopf viel klarer an. Er tastete unwillkürlich nach dem Anhänger, doch es stellte sich nicht als Traum heraus, seine Hand schloss sich um das von seinem Körper angewärmte Metall. "Pass gut auf dich auf. Natürlich werde ich nur meinen engsten Mitarbeitern verraten, wer der Träger ist und es kann ihn sowie niemand anderer als du nutzen – und zwar nur freiwillig. Aber trotzdem…" Schneider verstummte für einen Moment, bevor sich dessen Hand um seine schloss. "Einem sensiblen Talent könnte auffallen, dass deine Signatur jetzt noch eine zweite Quelle hat." Und dann war da wieder Energie, die ihm erlaubte, etwas Vertrautes von dem Anhänger ausgehen zu fühlen. Er hätte es niemals zuordnen können, wenn er nicht gewusst hätte, was es war. So aber… Der Deutsche lachte leise. "Hm, ja, das bist du." "Ich habe schon immer gut auf mich aufgepasst", gab er endlich zurück und suchte nach Schneiders Blick. "Vielen Dank für Ihr Vertrauen." In mehr als einer Hinsicht. Denn er hatte nichts dagegen, dass dieser Anhänger ein gewisses Gefahrenpotenzial in sich barg. Er kannte seine Fähigkeiten und die von Schwarz. Und ihm gefiel, dass Schneider es nicht für nötig befand, ihn in Watte zu packen. "Natürlich nicht", wurde ihm zugestimmt. "Dazu bist du zu gut." Es folgte ein Blick zur Uhr, dann ein Seufzen. "Jetzt ist es tatsächlich Zeit, aufzubrechen. Herr Hoffmann wird jeden Moment auftauchen und mich höflich daran erinnern." Letzteres mit leichter Belustigung. Er musste zugeben, dass er den anderen Mann zwischenzeitlich vollkommen vergessen hatte. Und jetzt erst ging ihm durch den Kopf, dass es doch etwas seltsam war, dass Hoffmann immer noch für Schneider arbeitete. "Wäre es nicht sinnvoller gewesen, ihn dem Triumvirat zu überlassen? Immerhin kennt er sich bestens mit der Schule aus." "Hm, das stimmt. Deswegen arbeitet er auch als Verbindungsperson für uns. Aber es wäre eine Verschwendung seiner Talente, es nur dabei zu belassen. Er hat früher schon für Büros von uns gearbeitet, auch für mich im japanischen, als ich es aufgebaut habe. Von daher ist er auch bestens dafür geeignet, mir dabei Arbeit abzunehmen." "Und es gibt keine Widerstände?" Unwillkürlich neugierig. "Er gehört doch nicht zu uns, oder?" "Nicht als Talent, nein. Aber ansonsten voll und ganz. Wir haben damals seinen Bruder gerettet und seitdem setzt er seine nicht unbeträchtlichen Fähigkeiten für uns ein. Und natürlich gibt es keine Widerstände. Schließlich habe ich die Leiter sorgfältig ausgewählt, schon vor langer Zeit, auch wenn sie teilweise erst jetzt diese Positionen einnehmen konnten. Und sie kennen Hoffmann natürlich auch." Es war genug, um beinahe… eifersüchtig zu werden. Jedenfalls schien die Emotion, die er gerade verspürte, in diese Richtung zu laufen. Er zwinkerte, von sich selbst überrascht, bevor er sich wieder auf Schneider konzentrierte, der aufgelacht hatte. "Nun, ich bin mir sicher, dass du mindestens genauso gute Arbeit für mich leisten würdest, wenn du dich nur dazu durchringen könntest, es auch zu tun." Amüsement glomm in den eisblauen Augen auf. "Und wenn es dir eher um einen anderen Punkt ging, kann ich dich auch beruhigen. Herr Hoffmann hat eine langjährige Freundin unten in der Stadt und keinerlei Zweifel hinsichtlich seiner Präferenzen." Er hätte am liebsten gesagt, dass ihn das nicht interessierte, doch das konnte er nicht ohne zu lügen. Was ihm Schneider geradewegs vom Gesicht ablas und mit einem Lächeln quittierte. Dann lehnte sich der Ältere zu ihm vor, griff nach seiner Krawatte, als wollte er sie wieder festbinden. Zuvor wurde er mit Hilfe des Streifens aus Seide noch näher herangezogen und als nächsten spürte er, wie Schneider ihn nicht nur küsste, heißer Atem gegen seinen Hals, sondern auch dessen Zähne zum Einsatz brachte. Der aufblitzende Schmerz jagte Energie durch seinen Körper und er holte zischend Luft, als er auf den vertrauten Auslöser zu reagieren begann. Seine Hände waren in Schneiders Weste gekrallt, als er sich wieder unter Kontrolle hatte und er konnte einen vorwurfsvollen Blick in Richtung des Älteren nicht zurückhalten. "Sie haben doch gesagt, dass wir losmüssen…" Und gerade wollte er alles andere als das tun. Was hieß, dass es dem Telepathen nicht sehr viel anders ging. Der strich über die neuen Spuren, ließ ihn erschauern, bevor ihm dieses Mal wirklich Krawatte und Hemd gerichtet wurden. "Ich wollte nur deine Gedanken ganz zu mir zurückholen", wurde dann unbekümmert erwidert. Das hatte Schneider zweifellos geschafft, aber er wünschte sich, der Deutsche hätte einen anderen Weg gewählt. "Wirklich?" Mundwinkel kurvten nach oben und bevor Schneider ihn freigab, brannte sich eine Hand heiß ihn seinen Nacken und er wurde in einen richtigen Kuss gezogen. "Verdammt!", fluchte er leise, als er endlich auf die Idee kam, den älteren Mann zurückzuschieben und dieses Mal stand er hastig auf, bevor Schneider ihn noch weiter ablenken konnte. Aus sicherer Entfernung funkelte er Schneider wenig amüsiert an. Der erwiderte seinen Blick ohne Schuldbewusstsein. "Ich sehe schon dem heutigen Abend entgegen", wurde ihm scheinbar zusammenhanglos mitgeteilt, doch die Hitze, die immer noch durch ihn kreiste, ließ ihn die Worte problemlos übersetzen. Und sein Körper konnte Schneider nur zustimmen. Bevor er diesen Gedanken durch eine äußerliche Regung verraten konnte, wurde er durch ein Klopfen an der Tür gerettet und ohne abzuwarten, ob Schneider eventuell darauf reagieren wollte, öffnete er selbst. Natürlich war es Hoffmann, der vor ihm stand und der Ältere schien nur für einen Sekundenbruchteil überrascht, ihn zu sehen. "Guten Tag, Herr Crawford", wurde er dann mit einem Neigen des Kopfes gegrüßt, auch wenn die blauen Augen auffällig schnell zu seinem Gesicht zurückkehrten und dort anscheinend an seinen Lippen hängenbleiben wollten, bevor Hoffmann sich selbst zur Ordnung rief. "Würden Sie Herrn Schneider bitte ausrichten, dass wir in einer halben Stunde aufbrechen müssen?" "Natürlich, Herr Hoffmann." Unwillkürlich kehrten seine Gedanken zu dem zurück, was ihm Schneider über den anderen Mann erzählt hatte und er musste zugeben, dass er den Älteren wohl unterschätzt hatte. Der ahnte natürlich nichts von seinen Überlegungen und lächelte jetzt. "Vielen Dank." Eine kurze Pause, aber Hoffmann wandte sich nicht gleich wieder zum Gehen. "Darf ich?", wurde er stattdessen gefragt. Sein etwas verständnisloses Nicken wurde kaum abgewartet, bevor Hoffmann auch schon nach seinem Kragen reichte und ihn zurechtzog. Erst danach verabschiedete sich der Ältere. Er selbst… brauchte einen Moment, bevor er daran dachte, wieder die Tür zu schließen. Sich gegen das stabile Holz lehnend, wandte er sich um und sein Blick suchte nach Schneider. "Sie haben ihn gehört, nicht wahr?" Der Deutsche hatte sich ebenfalls erhoben und nickte mit einem amüsierten Lächeln. "Ich werde noch schnell die letzten Sachen zusammenpacken." Damit verschwand Schneider ins Schlafzimmer der Suite. Er sackte ein wenig in sich zusammen, als er allein war und ließ ein paar lange Sekunden verstreichen, um sich zu sammeln. Dann machte er sich auf den Weg ins Bad und trat dort geradewegs vor den Spiegel. Er musterte sich selbst und schaffte es gerade so, nicht das Gesicht zu verziehen. Hoffmann war nicht überrascht gewesen, ihn zu sehen, sondern darüber, wie er aussah. Mit einem selbstironischen Lächeln schüttelte er schließlich den Kopf, drehte dann den Wasserhahn auf. Mit beiden Händen sammelte er das kalte Wasser, benetzte sein Gesicht damit, wieder und wieder. Erst als er sich wieder halbwegs normal fühlte, tastete er nach dem Handtuch. Als er das nächste Mal in den Spiegel blickte, machte er Hoffmanns Arbeit für einen Moment rückgängig, als er seinen Kragen nur ein paar Millimeter nach unten zog. Und tatsächlich wurde sofort das Mal sichtbar. Er war nicht überrascht, als hinter ihm eine zweite Person auftauchte. "Sind Sie nicht etwas zu alt für solche Spiele?" "Hm, anscheinend nicht." Amüsement in eisblauen Augen. Eine Hand schlich sich vor seinen Bauch und er wurde gegen Schneider gezogen, der unverändert im Spiegel seinen Blick festhielt. "Wenn ich dich schon nur für ein paar Tage zurückhabe, sollst du wenigstens ganz und gar mir gehören." Darauf wusste er nichts zu erwidern. ~TBC~ Kapitel 36: "Ist es jetzt ein Tabu, Ihren Namen auszusprechen?" --------------------------------------------------------------- Kaum hatten sie den allgemein zugänglichen Bereich des Flughafens betreten, kam auch schon eine bekannte Gestalt auf sie zugelaufen. Helle, blaue Augen streiften ihn für einen Moment, doch natürlich wandte sich Stephan zunächst mit einer Verbeugung an Schneider. "Vielen Dank, dass Sie es einrichten konnten herzukommen. Wir sind bisher leider nicht weitergekommen, auch wenn Herr Rieger ständig an ihm arbeitet." Kurz sah der Ex so aus, als wollte er noch mehr sagen, hob sich dies dann aber lieber für einen späteren Zeitpunkt auf. Wenn sie sich nicht mehr in aller Öffentlichkeit befanden. Stattdessen wandte sich Stephan der Ex an dessen Seite zu. "Frau Jäger kann ihnen unterwegs einen Überblick über die Verfassung unseres Gastes geben." Die Empathin trat einen Schritt nach vorne und deutete ebenfalls eine Verbeugung an. "Willkommen. Wir sind mit zwei Wagen hier, dann kann Ihr Gepäck gleich ins Hotel gebracht werden." Er brauchte einen Moment, um zu identifizieren, was genau ihm an der Begrüßung der beiden seltsam vorgekommen war, doch dann war es ganz einfach. Sie hatten Schneider nicht namentlich angesprochen. Soll das heißen, diese Tradition war tatsächlich fortgesetzt worden? Aber anders als die Ältesten hatte Schneider keinen Titel. Wie bitte sehr unterhielten sich die Leute dann über den Telepathen? Plötzlich ruhten amüsierte eisblaue Augen auf ihm und zu seiner Überraschung klang eine mentale Stimme in seinem Kopf auf. >Hm, manchmal bezeichnen sie mich als Chef oder Ähnliches. In der Regel aber bin ich ganz einfach 'Er', großgeschrieben natürlich.< Er konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel zuckten. >Ich glaube, Farfarello hätte viel Freude an dieser Information.< Der ältere Mann neigte den Kopf. >Nun, sie unterliegt kaum der Geheimhaltung. Du kannst es ihm also gerne mitteilen.< Er nickte, womit wohl endgültig der Austausch zwischen ihnen verraten wurde. Stephan konnte einen neugierigen Blick nicht verbergen, aber natürlich kam von dem Ex kein Kommentar. Schneider wandte sich wieder Frau Jäger zu, als wäre nichts gewesen. "Sehr gut, dann führen Sie uns bitte." Dann in seine Richtung: "Du fährst bei mir mit, Crawford." Kurz ruhte eine warme Hand auf seiner Schulter. "Natürlich, Herr Schneider", antwortete er automatisch und war beinahe belustigt darüber, dass beide Ex prompt zusammenzuckten. Mit einem Kopfschütteln schloss er sich dem Deutschen an, während es Stephan und Hoffmann überlassen blieb, sich um das Gepäck zu kümmern. "Sagen Sie mal, ist es jetzt ein Tabu, Ihren Namen auszusprechen?", erkundigte er sich leise genug, dass Frau Jäger es nicht hören würde. Schneider zuckte amüsiert mit den Schultern. "Kein von mir vorgegebenes. Sie haben es sich selbst auferlegt. Wie du vorhin meintest, es scheint Tradition zu sein und zwar eine, bei der keiner auf die Idee kam, dass man sie auch aufgeben könnte. Und ein paar Leute sind ja vernünftig genug, sich diesem Theater nicht anzuschließen." "Hm, Herr Hoffmann zum Beispiel, wie?" Schneiders Schritt stockte kaum merklich, nur für einen Moment. "Crawford, schon wieder er? Willst du vielleicht doch schon jetzt für mich arbeiten?" Der Deutsche hätte amüsiert klingen können, doch der Unterton vermittelte etwas völlig anderes. Er wusste selbst nicht genau, warum ihm diese Frage herausgerutscht war und weigerte sich, auf die Gegenfrage zu antworten. Oder auch nur darüber nachzudenken. Denn seit er wieder in Schneiders Gegenwart war, waren sowohl seine Reaktionen als auch seine Emotionen nicht mehr völlig unter Kontrolle und er würde sich nicht damit auseinandersetzen, solange schon die Basis fragwürdig war. Mit so einem Ausgangspunkt wäre das Ergebnis erst recht kompromittiert. Schneider hatte anscheinend zu Belustigung zurückgefunden, denn der Deutsche hatte nichts Besseres zu tun als zu lachen. "Schon gut, ich will ja nicht drängen. Oder zumindest habe ich dir versprochen, es nicht zu tun." Wieder lag für eine Sekunde eine Hand auf seiner Schulter und dieses Mal, da sie nicht von den Ex beobachtet wurden, ging ein Energiestoß damit einher, der die Andenken aufflammen ließ, die Schneider auf ihm hinterlassen hatte. Er biss flüchtig die Zähne zusammen und verbat seinem Körper, darauf zu reagieren. "Das fällt auch unter drängen", beschwerte er sich dann und ignorierte das Stolpern in seinen Worten. "Nein, das fällt unter Sex. Und über den hast du dich bisher nie beschwert", widersprach Schneider ihm unbekümmert. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und in den eisblauen Augen stand sichtlich ein Lachen. Er selbst fand das nicht halb so lustig, allerdings konnte er Schneider an dieser Stelle auch nicht widersprechen, weswegen er es vorzog, gar nichts zu sagen und seinen Blick auf Frau Jägers Rücken zu richten, die zum Glück nichts von ihrem Wortwechsel mitbekommen hatte. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie Schneider amüsiert lächelte, aber der Deutsche verzichtete auf weitere Versuche, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und dann erreichten sie endlich den Wagen. Die Empathin begann zu berichten, kaum dass sie losgefahren waren. "Wie Herr Monreau bereits vorhin meinte, haben wir seine Schilde nicht knacken können. Wir kennen noch nicht einmal seinen Namen, obwohl man meinen sollte, dass er zumindest diesen preisgeben könnte, um uns wohlgesinnter zu stimmen." "Es sei denn natürlich, er kann genau das nicht tun, weil es keine strikte Trennung zwischen seiner Tätigkeit als Talent und seinem normalen Leben gibt. Und seinen Arbeitgeber zu erfahren ist genau das, was wir wollen, nicht wahr?", gab er an dieser Stelle zu bedenken. "Und selbst wenn das nicht der Grund ist, hat er vielleicht eine Familie, die es zu schützen gilt." Das war ein Punkt, an den die Ex normalerweise nicht denken mussten, wenn sie es mit Talenten zu tun hatten. Aber er selbst konnte gar nicht anders, als sich darüber Gedanken zu machen. Schließlich war Bradley nicht so schnell vergessen, nur weil er beschlossen hatte, das Leben des Jungen nicht weiter durcheinander zu bringen. Frau Jäger schien über seine Worte nachzudenken, nickte dann langsam. "Das könnte tatsächlich sein." Und natürlich dachte sie gleich weiter. "In dem Fall hätten wir einen guten Ansatzpunkt ihn zu weiterer Kooperation zu überreden, sobald wir seinen Namen haben. Und das ist das, was man immer am leichtesten aus jemandem herausbekommt. Selbst wenn er ihn nicht laut sagt, wird das am leichtesten durch seine Schilde schlüpfen." >Sie hat Recht.< Dieses Mal war er nicht ganz so überrascht, dass Schneider auf diese Weise mit ihm kommunizierte. Anscheinend befand der Telepath es nicht mehr für erforderlich, diese Grenze zwischen ihnen weiterhin zu ziehen. Trotzdem blickte er den älteren Mann automatisch an, als hätte ihn dieser laut angesprochen. >Der eigene Name ist so fest mit der Persönlichkeit verbunden, mit dem, was man nicht nur für sich selbst hält, sondern auch nach außen projiziert, dass früher oder später eigentlich jeder seinen Namen aussendet. Selbst jemand, der darauf trainiert ist, Schilde aufrechtzuerhalten. Es ist ein Weg, seinen Platz im Universum kundzutun.< Manchmal wünschte er sich wirklich, ebenfalls ein Telepath zu sein. Denn davon hatte er keine Ahnung gehabt und auch wenn er sich den Grund dafür nicht erklären konnte, war das etwas, was er gerne schon früher gewusst hätte. Schneider schien mal wieder amüsiert. >Das ist ganz einfach. Auch wenn es ein völlig grundlegender Punkt ist, hilft er, Menschen besser zu verstehen.< Und Verstehen erleichtert Kontrolle, konnte er die Erklärung dann ohne Probleme selbst zu Ende führen. Woraufhin der Deutsche leicht den Kopf neigte. Dann aber konzentrierte sich Schneider auf Frau Jäger. "Wie weit sind Sie mit alternativen Methoden gegangen?" Die Empathin antwortete nicht gleich, als müsste sie erst die Tatsache verdauen, so plötzlich von Schneider angesprochen worden zu sein. Doch als sie es schließlich tat, war ihrer Stimme nichts anzumerken. "Nur bis Stufe drei. Mehr um ihn weiter zu zermürben als alles andere. Wir wussten ja, dass Sie kommen. Von daher war es nicht erforderlich, jetzt schon zu härteren Mitteln zu greifen. Schließlich besteht da die Gefahr, dass die Aussagen unzuverlässig werden. Und er könnte Verletzungen davontragen, die eine weitergehende telepathische Befragung unmöglich machen." "Verstehe." Schneider nickte zufrieden. Dann schien er irgendwie… entspannter zu werden. Er runzelte die Stirn, als er das bemerkte, weil er keine Idee hatte, was der Grund dafür war. Dann jedoch sprach Schneider wieder und dieses Mal war die Frage weniger professioneller Natur. "Sehen Sie bereits dem Ende dieses Jobs entgegen?" Nachdem sie die erste Überraschung überwunden hatte, antwortete Frau Jäger bereitwillig. "Das kann ich gar nicht so genau sagen. Es ist ganz angenehm, mal in einem größeren Team zu arbeiten. Allerdings muss ich zugeben, dass es trotz der anderen Aufgaben, die wir nebenbei erledigen konnten, etwas eintönig wurde. Wenn wir sonst jemand verfolgen, geht er uns früher ins Netz." "Weil sie andere Methoden anwenden…" Sein Kommentar war so leise, dass er nicht sicher war, ob Frau Jäger ihn verstanden hatte, doch Schneider hatte es auf jeden Fall, wie ihm die Tatsache verriet, dass sich eisblaue Augen auf ihn richteten. Die stumme Aufforderung darin ließ ihn die Frage laut stellen, die ihm gerade durch den Kopf geschossen war. "Dass sie nicht wie uns sind, ist doch ziemlich sicher, oder? Aber haben Sie eine Idee, wie groß deren Operation sein könnte?" "Hm, unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass Konkurrenten selten mehr als eine Handvoll Talente hatten. Ihnen fehlte einfach die Infrastruktur, um etwas Größeres aufzubauen. Und früher oder später haben sie sich verraten, so dass wir sie ausschalten konnten, bevor sie ausreichend Zeit hatten, um groß zu werden. Natürlich gibt es da noch die vereinzelten Talente, die es schaffen, ohne Hilfe zu überleben und ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Ich glaube, von denen laufen einige in der Welt herum, ohne dass wir von ihnen wissen. Es kommt darauf an, wie vorsichtig sie sind." Das konnte er sich gut vorstellen. Einiges der Arroganz, die die meisten Talente an den Tag legten, wurde ihnen schließlich erst auf Rosenkreuz beigebracht. Aber dass es tatsächlich schon andere Organisationen gegeben haben sollte… Frau Jäger schien nicht überrascht, dies zu hören, aber er selbst hatte das bisher nie auch nur in Erwägung gezogen. "Können wir aus den bisherigen Erfahrungen vielleicht Nutzen ziehen?", stellte er schließlich die an dieser Stelle logische Frage. Schneider schien aus irgendeinem Grund amüsiert. "Das möchte ich eher bezweifeln. Bei den alten Fällen handelte es sich durchweg um Leute, die Talente erforschen wollten. Sie waren darauf aus, Kinder in die Hände zu kommen, weil die leichter einzufangen und zu kontrollieren sind. Die Art, wie die beiden an Schuldig herangetreten sind, lässt mich eher vermuten, dass sie euch rekrutieren wollten, nicht untersuchen." Er zwinkerte. Das… klang richtig. Und war so absurd, dass er das bei den möglichen Motiven ganz sicher nicht berücksichtigt hatte. Immerhin erklärte es, warum sie so offen vorgegangen waren. Doch… "Warum haben sie sich ausgerechnet an Schuldig gewandt?" "Nun, das ist noch ein Punkt, der darauf hinweist, dass es nicht allzu viele Leute sein dürften. Sie waren zu vorsichtig, um mit euch Kontakt aufzunehmen, während ihr alle zusammen wart. Und Crawford, von dort aus sollte es recht einfach sein, nicht wahr?" Wieder Amüsement, das sich in einem schmalen Lächeln äußerte. "Sie kennen wohl kaum eure Talente. Und haben dich als gefährlichsten von allen eingestuft. Von daher haben sie die Gelegenheit beim Schopf gepackt, als Schuldig und Farfarello sich von euch getrennt hatten." Das mochte alles ganz plausibel sein und er hatte auch keine bessere Idee, nicht nach all den Monaten, in denen er darüber hatte nachdenken können. "Es stört mich bei alledem, dass sie überhaupt wussten, dass wir Talente sind…", sprach er es schließlich aus. Da war plötzlich Wärme und als er nach unten blickte, lag Schneiders Hand auf seiner. Die sich in seinen Oberschenkel gekrallt hatte, wie er jetzt erst feststellte. Mit einer willentlichen Anstrengung lockerte er seine Finger, woraufhin Schneiders Hand wieder zurückgezogen wurde. Er vermisste die Wärme. Der Deutsche versuchte ihn mit einem weiteren Lächeln abzulenken. "Dann ist es doch gut, dass wir bald alle Antworten haben werden, nicht wahr?" Und seine Mundwinkel zuckten erwidernd nach oben. "Natürlich, Herr Schneider." Bei aller Frustration hatte er das tatsächlich aus den Augen verloren. Mit einem Anklang von Belustigung schüttelte er schließlich über sich selbst den Kopf und sprach lieber über das weiter, was Schneider zuvor ausgeführt hatte. "Haben Sie persönlich Erfahrungen mit solchen anderen Gruppen gehabt?" "Zufälligerweise ja. Es war in meinem Abschlussjahr, als wir eine Forschungseinrichtung ausgehoben haben. Sie hatten einige Schüler als Testauftrag mitgenommen, unter anderem auch mich. Es war geradezu lächerlich einfach, sie zu überwältigen. Sie hatten fast nur Ärzte und Wissenschaftler auf dem Gelände. Das einzige, worin sie wirklich gut gewesen waren, war die Datensicherheit. Es kann natürlich auch sein, dass die entsprechenden Informationen nie in irgendwelche Systeme geraten waren. Jedenfalls haben wir nicht herausgefunden, wer die Einrichtung letztendlich finanziert hat. Die Angestellten dort wussten auch nichts und einige waren sogar ausgesprochen kooperativ, als sie verstanden, was wir waren. Das waren die, die mit Leib und Seele Wissenschaftler waren und die haben uns regelrecht bekniet, sie weiter arbeiten zu lassen." Seine Augenbrauen waren nach oben gerutscht, als er das hörte. "Und, wurde es genehmigt?" "Wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllten, natürlich. Was allerdings nicht so einfach ist." Mehr führte Schneider zu diesem Punkt nicht aus und er hakte auch nicht nach. Er konnte sich glücklich schätzen, überhaupt so viel zu erfahren. "Für den Rest wurde ein Unglück in der Einrichtung arrangiert", schloss Schneider und hier musste nicht mehr gesagt werden, den Grund verstand er auch so: Damit sich niemand wunderte, wohin die ganzen Leute verschwunden waren. Denn natürlich waren keine Zeugen in die Freiheit entlassen worden. Und genauso wenig hätten sie das Wissen um Talente einfach löschen können. Das wäre eine zu auffällige Häufung von plötzlich auftretender Amnesie gewesen. Er lehnte sich zurück, um die neuen Informationen zu verdauen. ~TBC~ Kapitel 37: "Du solltest es dir besser zweimal überlegen, bevor du wieder dein Glück bei Herrn Crawford versuchst" ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Nachdem er seine Gedanken etwas geordnet hatte, kurvten seine Mundwinkel wie aus eigenem Willen nach oben. Es entbehrte nicht in einer gewissen Ironie, dass er seit dem gestrigen Tag mehr als genug Zeit gehabt hatte, Schneider um mehr Informationen zu bitten, aber erst jetzt kurz vor dem Ziel überhaupt erst auf die Idee gekommen war, dies zu tun. >Wir waren beide etwas abgelenkt<, sprach Schneider in seinem Kopf hinein und der Ältere schien ebenfalls amüsiert. Kurz suchte er den Blick des Deutschen. >Machen Sie das jetzt häufiger, dass Sie einfach auf meine Gedanken antworten?<, ließ er es dieses Mal nicht so einfach durchgehen. Nun äußerte sich das Amüsement auch nach außen hin, als Schneider lächelte. >Natürlich. Solange du keine Schilde gegen mich aufbaust, fasse ich das als Einladung auf. Oder darf ich das nicht?< Er hatte das dumme Gefühl, aufgezogen zu werden und das war auch etwas Neues. Jedenfalls in dieser Form. Beinahe hastig schon wandte er seine Überlegungen wieder der Aufgabe zu, die Schneider bevorstand. Aber keinem von ihnen entging, dass er nicht widersprach. "Meinen Sie, dass die Gruppe so klein ist, dass Frau Jägers Team ausreicht, um sie auszuschalten?" Sogar für ihn selbst klang die Frage merkwürdig nach dem Austausch zuvor, doch Schneider tat ihm den Gefallen, sich nichts anmerken zu lassen. Und die Empathin sollte es sowieso für eine ganz normale Fortsetzung ihres Gesprächs halten. Für einen Moment schien Schneider in Gedanken versunken, dann jedoch schüttelte der Ältere den Kopf. Allerdings nicht in Verneinung, wie bei dessen nächsten Worten klar wurde. "Ich kann es wirklich nicht sagen. Aber letztendlich ist das egal." "Weil Sie bereits vorgesorgt haben und im Bedarfsfall noch mehr Leute einfliegen?" Es war die logische Schlussfolgerung und trotzdem schien sie Schneider wieder zu belustigen. "Mm, das auch. Doch meine Aufpasser sollten mehr als ausreichen." "Ihre… Aufpasser?" Es dauerte einen Moment, doch dann verstand er. Und Schneiders Worte bestätigten seine Vermutung. "Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich alleine mit Herrn Hoffmann hier bin? Selbst wenn ich es so wollte, wäre das ein Punkt, der nicht allein meiner Entscheidung unterliegt." "Ich verstehe", erwiderte er laut, während ihn innerlich etwas ganz anderes beschäftigte. >Ist es in diesem Fall nicht sowieso illusorisch davon auszugehen, dass unsere Beziehung unverändert unter uns bleibt?< Völlig neutral, denn in diesem Augenblick war er sich selbst nicht sicher, was er davon hielt. Schneiders Haltung änderte sich auf subtile Weise, die ihm verriet, dass der Ältere die nächsten Worte sehr ernst meinte. >Nein, ist es nicht. Ich würde dir die Entscheidung nicht so einfach ohne Vorwarnung aus den Händen nehmen. Ich kann vielleicht nicht verhindern, dass die Leute auf mich aufpassen, aber sie reden nicht. Das kann ich dir garantieren.< Er spürte, wie er sich unwillkürlich entspannte und das leichte Neigen seines Kopfes wurde als die Entschuldigung aufgefasst, als die es gemeint war. Schneider zeigte ein schmales Lächeln und er wusste nicht, ob dessen nächste Worte als eine Art Bestrafung dienen sollten, denn der Ältere schien viel zu viel Gefallen daran zu finden. >Wenn es dir um diesen Punkt gehst, solltest du dir viel eher Gedanken um Frau Jäger machen. Oder hast du vielleicht schon vergessen, dass sie Empathin ist?< Amüsement trat jetzt in die eisblauen Augen, während Schneider genau mitbekam, wie er innerlich über sich selbst fluchte. Denn normalerweise wäre auch eine Empathin bei seinen Schilden kein Problem, doch wie Schneider ihn freundlicherweise erst vor wenigen Minuten aufmerksam gemacht hatte, waren diese gerade nicht die zuverlässigsten. Es mochte Jahre her sein, dass er es gewohnt war, sich in Schneiders Gegenwart nicht so sehr abzukapseln, doch die Gewohnheit schien sich ohne Probleme wieder durchzusetzen. Der Deutsche ließ ihm viel Zeit, sich über seine Unvorsichtigkeit zu ärgen, bevor dieser wieder etwas sagte. >Natürlich ist das kein Problem. Ich kann dafür sorgen, dass sie gleich wieder vergisst, was sie aufgefangen hat. Du musst es mir nur sagen.< Er erstarrte und brachte nicht einmal die Kraft auf, sauer zu sein, weil Schneider nicht eher etwas gesagt hatte. Denn wo er erwartet hatte, sofort zuzustimmen, schien ein Teil von ihm zu zögern. Schneider zog eine Augenbraue hoch, er war sich nur nicht so sicher, ob die Geste lediglich eine stumme Frage oder echte Überraschung ausdrückte. Auf jeden Fall lockte sie bei ihm ein selbstironisches Lächeln hervor und bevor er es sich anders überlegen konnte, blieb er bei seiner ersten Reaktion, auch wenn sie nicht so ausgefallen war, wie er erwartet hatte, und schüttelte leichte den Kopf. >Ah… du willst es also tatsächlich darauf ankommen lassen… Nun, ich habe natürlich nichts dagegen.< Die Worte ging mit dem unbestimmten Eindruck her, dass Schneider ihn küssen wollte, doch der Ältere rührte sich nicht vom Fleck. Was nichts daran änderte, dass seine Lippen zu kribbeln begannen. Das war der Grund, warum er ganz glücklich damit war, als Frau Jäger ihnen verkündete, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Mit einem innerlichen Seufzen stieg er aus und hielt die Tür offen, bis auch Schneider den Wagen verlassen hatte, während sein Blick über das Haus schweifte. Es war dasselbe wie letztes Mal, anscheinend hatten es die Ex nicht für erforderlich gehalten, ihren Standort zu wechseln. Frau Jäger war seinem Blick gefolgt und hatte ihn richtig interpretiert. "Da es keine Hinweise gab, dass jemand unsere Anwesenheit bemerkt hatte, war das die beste Entscheidung. Immerhin hatten wir bereits einen Raum für die vorübergehende Unterbringung der Zwillinge vorbereitet, den wir jetzt für den Telepathen nutzen." Kurz war er versucht zu fragen, wie genau sie die Zwillinge unauffällig nach Deutschland geschafft hatten, doch er hielt sich zurück, da er sowieso keine Antwort erhalten hätte. Stattdessen nickte er nur und dann gingen sie alle hinein. Herr Jung kam ihnen sofort entgegen und schien erleichtert, Schneider zu sehen. Zuerst befürchtete er, dass irgendetwas passiert war, doch als der Pyro den älteren Mann völlig ruhig begrüßte wurde ihm der wirkliche Grund dafür klar. Schließlich war Schneider hier, da die Ex den Job nicht hatten allein erledigen können. Da hätte es ausgesprochen schlecht ausgesehen, wenn dem Deutschen auf dem Weg hierher etwas zugestoßen wäre. Hm, er musste zugeben, dass er selbst solche Befürchtungen nicht gehegt hatte… >Du bist in diesem Fall auch etwas rationaler, Crawford. Und ich bin froh, dass du nicht nur meine Position in mir siehst.< Er schenkte dem Älteren ein trockenes Lächeln und beließ es bei dieser Form der Reaktion. Was Schneider nicht weiter zu stören schien, der ihm ein amüsiertes Lächeln zurückgab. Dann wurde der andere Mann aber sachlich und wandte sich an die Ex. "Bitte geben Sie Herrn Rieger Bescheid, dass er herauskommen kann. Ich möchte mir den Telepathen ungestört ansehen." Die beiden bestätigten den Befehl, dann richteten sich die eisblauen Augen auf ihn. "Ich werde dir später die Chance geben, ihn dir persönlich anzusehen. Wann genau muss ich erst noch einschätzen. Die Abschirmung sollte keinen Einfluss auf dein Talent haben, deshalb bleib trotzdem in der Nähe. Vielleicht können wir auch über diesen Weg mehr erfahren. "Natürlich, Herr Schneider", erwiderte er förmlich. Der Ältere lächelte flüchtig, wandte sich dann unmittelbar seiner Aufgabe zu und verschwand in den Raum, den Herr Rieger zwischenzeitlich verlassen hatte. Die drei Ex schienen sich über etwas auszutauschen, während er selbst sich einen Stuhl aus der Küche holte und dann neben der Tür Platz nahm, um geduldig zu warten. Die anderen kümmerten sich um ihre eigenen Belange, so dass seine Ruhe erst durchbrochen wurde, als die Haustür aufgeschlossen wurde und Stephan zurückkehrte. Etwas, das nicht nur er selbst gehört hatte, denn Frau Jäger kam aus einem der anderen Zimmer und ihr Ziel schien, den Tracer abzufangen. Kurz rang sein Pflichtbewusstsein mit seiner Neugier, doch dann machte er sich bewusst, dass die paar Meter für sein Talent keinen großen Unterschied bedeuten würden. Weswegen er aufstand und sich lautlos den beiden näherte, innehaltend, bevor sie auf ihn aufmerksam werden konnten. "Stephan, du solltest es dir besser zweimal überlegen, bevor du wieder dein Glück bei Herrn Crawford versuchst", eröffnete Frau Jäger, bevor Stephan mehr als ein paar Schritte hereingekommen war. Der bis zu diesem Moment ausgesprochen selbstzufrieden gewirkt hatte. Der Tracer warf der anderen Ex einen schiefen Blick zu. "Bitte sei so nett und behalte dein Talent bei dir. Und was ich mit Crawford mache oder nicht, ist immer noch unsere Sache." Dem schloss sich ein Grinsen an. "Wenigstens habe ich bessere Chancen ihn zu überzeugen, wenn dieser Japaner nicht gleich nebenan ist." Frau Jägers Miene blieb unbewegt und trotzdem hatte er den Eindruck, dass sie lachte. "Es ist nun wirklich nicht so, als ob ich dir nachspionieren würde. Du bist selbst schuld, wenn du so stark sendest, dass ich gar nicht anders kann, als etwas aufzufangen." Kastanienbraune Haare wurden zurückgestrichen, bevor die Empathin weitersprach. "Übrigens hätte ich keine Warnung für erforderlich gehalten, wenn es nur um diesen Talentlosen ginge. Aber es ist eindeutig gesünder für dich, wenn du Ihm nicht ins Gehege kommst." Nachdem der bisherige Wortwechsel für leichte Belustigung gesorgt hatte, musste er jetzt bei Stephans entgleisenden Gesichtszügen ein Auflachen unterdrücken. Diesem ersten Impuls schloss sich ein trockenes Lächeln an. Damit wäre dieser Punkt wohl endgültig gegenstandslos. Und er musste feststellen, dass es ihn nicht wirklich störte. Er nahm sich die Zeit, seine Reaktionen genauer zu betrachten und sein Lächeln wurde selbstironisch. Anscheinend gefiel es dem Teil von ihm, der ihm auch schon zuvor dazwischengefunkt hatte, dass er einen gewissen Besitzanspruch auf den Deutschen erheben konnte. Und zwar außerhalb seines unmittelbaren Kreises. Als wäre plötzlich sein innerer Teenager erwacht. Nur dass er sich als Teenager nie so verhalten hatte. Stephan hatte zwischenzeitlich seine Fassung zurückgewonnen. "Du nimmst mich auf den Arm." Frau Jäger verschränkte die Arme vor der Brust, eine Augenbraue hochziehend. "Ich bin nicht wahnsinnig genug, so etwas zu tun, wenn es um Ihn geht", wurde der Anschuldigung entgegengehalten. "Also finde dich damit ab. Hat wenigstens den netten Nebeneffekt, dass Alexander dich nicht durch die Mangel drehen muss, weil er leer ausgegangen ist." Und dieses Mal lachte die Frau wirklich. Bevor sie ging, tätschelte sie noch übertrieben mitleidig Stephans Schulter. Ihm selbst wurde ein schmales Lächeln zugeworfen, als sie ihn passierte. Er erwiderte es, bevor er sich weiter Stephan näherte. Der Franzose blieb mit einer ungewohnt perplexen Miene zurück und brauchte einige Zeit, bevor seine Anwesenheit bemerkt wurde, obwohl er jetzt fast unmittelbar vor ihm stand. Die hellen, blauen Augen musterten ihn intensiv. "Sag mir, dass Julia sich nur einen ausgesprochen schlechten Scherz mit mir erlaubt hat." Seine Mundwinkel kurvten nach oben, als er langsam mit den Schultern zuckte. "Das kann ich leider nicht." Stephan zuckte nur minimal zusammen, als dieser das hörte. Und dieses Mal war er es, der einen schiefen Blick erntete. "Du siehst nicht so aus, als würde dir _irgendetwas_ leidtun." Sein Lächeln wurde ausgesprägter und echtes Amüsement blitzte in braunen Augen auf. Und er wusste selbst nicht genau, was ihn ritt, als er als nächstes seinen Kragen etwas nach unten zog. Der Tracer schüttelte den Kopf, lehnte sich die Augen schließend gegen die Wand hinter sich. "Es wäre wohl zu viel verlangt zu hoffen, dass Herr Rodriguez dir über den Weg gelaufen ist…", wurde dann gemurmelt. Es dauerte einen Moment, aber dann schien Stephan ein ganz anderer Gedanke zu kommen und zum ersten Mal sah er den Anderen wirklich aus dem Gleichgewicht geraten. "Verdammt, das läuft schon eine Weile so, nicht wahr? Deswegen hast du alle immer abblitzen lassen. Er hätte uns sonst auseinandergenommen…" Stephan war wirklich schnell, das musste er ihm lassen, doch der Ex übertrieb es eindeutig. "Dass ich die anderen habe 'abblitzen' lassen, liegt daran, dass ich wählerisch bin", stellte er belustigt klar. "Und da du Herrn Rodriguez angesprochen hast: das sollte Beweis genug sein, dass Herr Schneider mir in diesen Belangen keine Vorschriften gemacht hat." Stephan schien ihm gar nicht richtig zuzuhören. "Ich habe nie auch nur das Geringste geahnt…" Wieder wurde er intensiv gemustert, doch dieses Mal schien es professioneller Natur zu sein. "Ich frage mich, was du sonst noch alles verbirgst hinter deiner Fassade des perfekten Musterknaben." Bevor er darauf reagieren konnte verlor Stephan seinen Ernst und grinste unverhofft. "Zum Glück muss ich mir den Kopf nicht darüber zerbrechen, da du dank Ihm ja keine Dummheiten planen kannst." Es war die Ironie hinter dieser Aussage, die Stephan natürlich nicht bewusst war, die ihn auflachen ließ. Und natürlich wurde seine Reaktion missverstanden. "Ja, lach du nur. Mir ist schon klar, dass das nur berufliche Paranoia ist. Du bist wirklich ein Musterknabe, keiner könnte das so konsequent nur vorspielen." Stephan stieß sich von der Wand ab und baute sich vor ihm auf. "Jetzt muss ich wirklich alle Hoffnung aufgeben… Kann ich wenigstens einen Kuss haben? Da Er mich dafür bisher nicht abgeschossen hat, sollte ich es auch dieses Mal überleben." "Ich hatte keine Ahnung, dass du so theatralisch sein kannst", gab er mit einem Kopfschütteln zurück. Dann aber erfüllte er Stephan dessen Wunsch. ~TBC~ Kapitel 38: "Hast du keine Angst, dass er dich tatsächlich mal grillt, wenn du ihn so aufziehst?" ------------------------------------------------------------------------------------------------- "Das ist nicht fair…" Er hatte nicht unbedingt erwartet, eine Beschwerde zu hören, nachdem er zurückgetreten war, doch es ließ ihn lediglich lächeln. Stephan sah es und zog prompt einen Flunsch. "Ich finde das nicht besonders lustig." Dieses Verhalten war so ungewohnt, dass er nicht anders konnte, als wieder aufzulachen. "Dann benimm dich nicht wie ein kleines Kind, das die gewünschten Bonbons nicht erhalten hat." Der Tracer stutzte, grinste dann plötzlich. Was irgendwie auch keine Verbesserung war. Sein misstrauischer Blick wurde problemlos ignoriert. "Wenn du Lutscher gesagt hättest, wäre der Vergleich treffender gewesen", wurde ihm dann mitgeteilt. Er musterte den Anderen ein wenig ungläubig, aber er hatte sich nicht verhört. Mit Mühe hielt er sich davon ab, die Augen zu verdrehen. "Ich wünschte, Alexander wäre hier. Dann würdest du dir solche dummen Sprüche vielleicht sparen." Stephans Hand legte sich flach gegen seine Weste. "Ganz genau, dann wäre ich nämlich ausgelastet. Aber da wir euretwegen hier festsitzen, habe ich kaum die Chance, ihn zu treffen." Unbeeindruckt zog er eine Augenbraue hoch. "Du kannst mich nicht davon überzeugen, dass du sonst mehr Chancen hast. Soweit ich weiß ist Zwielicht immer noch in Deutschland stationiert und du bist als Ex viel zu gut, als dass sie dir Aufträge dort zuteilen würden." Bester Beweis Stephans Anwesenheit hier. Was diesem auch auffiel, weshalb er nur ein weiteres Grinsen statt eines Widerspruchs erhielt. Dann aber schien Stephan wieder einzufallen, warum sie überhaupt hier standen und die hellblauen Augen sahen sich beinahe mit so etwas wie Vorsicht um. "Er hat sich nicht zufällig um der nächsten Ecke versteckt und wartet darauf, mir jetzt den Hals umzudrehen?", wurde er gefragt und es schien nicht einmal als Scherz gemeint zu sein. Sein Ausatmen schaffte es knapp, kein Seufzen zu sein. "Herr Schneider macht das, wozu er hergekommen ist. Und ich will dich ja nicht beleidigen, aber ich bezweifle, dass er dich auch nur als die geringste Bedrohung ansehen würde." Stephan schien über seine Worte amüsiert statt sie ihm übelzunehmen und verlor gleichzeitig die Nervosität, die den Ex zuvor überfallen hatte. "Was für eine Art, einem Mann sein Selbstvertrauen zu nehmen." "Genau so siehst du aus", erwiderte er trocken. Und bevor Stephan noch mehr Albernheiten einfallen konnten, kehrte er zu seinem Stuhl zurück. Es dauerte nicht lange, bis der Tracer zu ihm aufschloss und er wurde mit einem seltsamen Blick gemustert. "Macht es dir Spaß, hier herumzusitzen?" "Mein Talent arbeitet bei physischer Nähe besser", gab er sachlich zurück, nicht willens, sich aufziehen zu lassen. Woraufhin Stephan ebenfalls umschaltete. "Ich verstehe. Aber meinst du wirklich, dass du unbedingt genau neben der Tür bleiben musst? Komm doch mit ins Wohnzimmer, dort ist es viel bequemer." Er zögerte, aber nur für einen Moment. Denn es wäre wirklich ausreichend und Stephan hatte genug Verstand besessen, ihn nicht in dessen Zimmer einzuladen. Der Raum war verlasssen, wie er feststellte, kaum dass er eingetreten war. Was nicht Grund genug war, seine Entscheidung zu überdenken. Nichtsdestotrotz ließ er sich in einen der Sessel sinken, statt die Couch zu wählen. Ein Statement, das mühelos verstanden wurde. Doch Stephan verzog nur flüchtig das Gesicht, bevor dieser beschloss, es mit Humor zu nehmen. "Du tust so, als würde ich über dich herfallen, wenn du mir zu nahe kommst." "Ich will dich nur nicht in Versuchung führen", gab er ungerührt zurück. Und seit wann hatte Stephan begonnen, sich wie Schuldig in dessen schlimmsten Jahren zu benehmen? Der Andere sah ihn etwas argwöhnisch an, als hätte der diesen Gedanken irgendwie aufgefangen, schaltete aber auf ein völlig anderes Thema um. "Ich wette, du hast Hunger. Wie wäre es, wenn ich Pizza bestelle? Die haben hier wirklich Wahnsinnsdinger und laut Alex kommst du ja nicht selbst auf die Idee, so etwas zu essen." Und schon wieder eine Erinnerung an den Telepathen. Nun trat Belustigung in braune Augen. "Glaubst du tatsächlich, das ist immer noch der Fall mit Schuldig im Hause?" "Hm, wohl eher nicht", wurde ihm zugestanden. "Aber meine Frage ist damit immer noch beantwortet." Er schüttelte leicht den Kopf. "Wenn du dir was bestellst, werde ich gerne mitessen. Aber richtig zu Abend essen werde ich nachher mit Herrn Schneider." Der Telepath würde auf jeden Fall seinen Energiehaushalt auffüllen müssen. Stephan entkam ein seltsamer Laut, der nicht ganz ein Wort war, dann aber fasste sich der Braunhaarige wieder. "Natürlich, ich hätte es mir denken können. Dann bekommst du eben von mir ein Stück ab. Ich frage mal die anderen, ob sie auch etwas haben wollen." Damit verschwand der Franzose aus dem Zimmer und verschaffte ihm damit die Gelegenheit, sich etwas genauer umzusehen. Das Haus war bei weitem nicht so groß wie das, das Schwarz zur Verfügung stand, doch das war auch verständlich, schließlich würden sich die Ex viel kürzer hier aufhalten. Genug Zimmer schien es aber zu geben und was er davon bisher gesehen hatte, war geschmackvoll eingerichtet. Besser als er erwartet hatte, wenn er ehrlich war. Nicht steril, sondern eingelebt. Und da sein Interesse geweckt war, sprach er Stephan darauf an, als dieser ins Wohnzimmer zurückkehrte. Der ließ sich auf die Couch fallen und schenkte ihm ein schmales Lächeln. "Oh, das liegt daran, dass hier normalerweise auch eine Familie wohnt. Allerdings musste der Vater aus beruflichen Gründen für ein Jahr weg und hat den ganzen Anhang mitgenommen." "Und sie waren so freundlich, euch das Haus zwischenzeitlich zu überlassen?" "Mit Svens Unterstützung ging das ganz einfach. Und wir werden natürlich dafür sorgen, dass es später wieder genauso aussieht wie sie es verlassen haben." "Aber ist das alles nicht etwas umständlich?", runzelte er die Stirn. Stephan zuckte mit den Schultern. "Es war eine Notlösung. Wir hatten sonst auf die Schnelle nichts Passendes gefunden. Ein Apartment wäre leichter gewesen, doch da gibt es viel mehr neugierige Nachbarn. Vor allem, da ja ein paar Umbauarbeiten erforderlich waren." Seine Mundwinkel zuckten unwillkürlich nach oben. "Also ich verstehe es schon, aber ziemlich frech finde ich es trotzdem." Und Stephan lachte auf. "Da kann ich dir kaum widersprechen. Aber ganz abgesehen davon, dass wir sowieso kein schlechtes Gewissen entwickeln würden, schädigen wir ja auch niemanden. Und während wir hier sind, schauen zumindest keine Einbrecher vorbei." Das Augenzwinkern lag ganz in der Stimme des Ex. "Jetzt machst du also auch noch auf guter Samariter", gab er belustigt zurück. "Vielleicht, aber das macht das Argument nicht ungültig." Dann griff Stephan nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein, der von der Größe her eher mit einer Kinoleinwand verwandt zu sein schien. Anschließend klopfte Stephan neben sich auf die Couch. "Nun komm schon her. Ich sehe dich auch so schon selten genug." Er hätte erwidern können, dass Stephan ihn auch im Sessel gut sehen konnte, aber das wäre nur ein Ausweichmanöver gewesen. "Du hast die Überraschung wirklich schnell überwunden", stellte er fest, während er der Einladung folgte. Das Lächeln, mit dem Stephan ihm entgegen gesehen hatte, verrutschte sichtlich, bevor der Andere einmal tief durchatmete. "Bitte erinnere mich nicht daran. Ich habe mich gerade aufs Verdrängen verlegt." "Hm", brummte er amüsiert. "Und wie erfolgreich ist diese Methode so?" Ein säuerlicher Blick war die Antwort darauf, bevor der Tracer ihn bei der Krawatte packte und näher zog. "Ich bin jetzt wirklich froh, dass du für mein Talent keine lesbaren Spuren hinterlässt…", wurde ihm mit gesenkter Stimme mitgeteilt. Er dachte für einen Moment darüber nach, dann zuckten seine Mundwinkel. "Ich auch", gab er schließlich zurück. Stephan stutzte, grinste dann. "Ich hätte wissen sollen, dass du tatsächlich schüchtern bist." "Ich weiß lediglich, was Privatsphäre bedeutet", stellte er klar, unbeeindruckt. "Etwas, was dir irgendwie entfallen zu sein scheint." Die Hand löste sich von seiner Krawatte und strich über seine Weste. "Das ist es nicht. Nur leider hatten wir alle in letzter Zeit nicht freinehmen können und ich muss zugeben, dass es allmählich frustrierend wird." Er fing die Hand ab, bevor sie sich noch weitere Freiheiten herausnehmen konnte. Vielleicht sollte er Stephan noch mal an Schneider erinnern… Aber vielleicht reichte es, ihn auf andere Gedanken zu bringen. "Und von den anderen drei hat keiner das gleiche Problem und hilft dir aus?", erkundigte er sich daher, mit einem leicht ironischen Unterton. "Julia meinte, ich wäre ihr zu jung und Sven bin ich zu männlich." Ein Schnauben entkam ihm, bevor er es zurückhalten konnte, doch dann bemühte er sich wieder um eine ernstere Miene. "Das lässt immer noch Herrn Jung übrig." Stephan konnte dessen Belustigung nicht ganz verbergen, als der einen belehrenden Zeigefinger hob. "Grundsätzlich vielleicht. Aber er ist ein Pyro. So heiß will ich es nun auch wieder nicht haben." "Du bist unmöglich", meinte er dazu nur. "Den Grund würde ich dir vielleicht abnehmen, wenn Herr Jung nicht ausgerechnet ein Ex wäre." "Vielen Dank für Ihr Vertrauen, Herr Crawford." Der Pyro lehnte am Türrahmen und bedachte von dort aus Stephan mit einem nachsichtigen Lächeln. Der grinste ohne Schuldbewusstsein zurück, bevor er wieder etwas sagte. "Okay, okay. Ich gebe es ja schon zu. Markus ist ganz einfach nicht mein Typ." Und dann lachte Stephan, als der Andere eine kleine Flamme in seine Richtung schnippste, sie erst erlöschen ließ, als sie nur noch Zentimeter von dem Tracer entfernt war. "Du kleiner Stinkstiefel", wurde der zunächst wortlosen Erwiderung dann noch hinzugefügt. "Der Fall liegt genau andersherum, wie du sehr wohl weißt." Trotz dieser Worte schien der Ältere amüsiert, hob dann kurz die Hand. "Bis später, ich hole mir kurz was zum Essen." Und damit verschwand Herr Jung. Langsam wandte er seinen Kopf wieder Stephan zu. "Sag mal, hast du keine Angst, dass er dich tatsächlich mal grillt, wenn du ihn so aufziehst?" Von dem Ex kam nur eine wegwerfende Handbewegung. "Ach was. Dazu ist er viel zu diszipliniert. Aber du siehst doch jetzt sicherlich ein, wie dringend ich etwas Gesellschaft benötige, nicht wahr?" Er zog eine Augenbraue hoch. "Vorhin bist du noch halb in Panik geraten beim Gedanken an Herrn Schneider. Und jetzt ist dir das plötzlich egal?" Stephan erschauerte nur ein wenig und dessen unbeeindruckte Miene war beinahe überzeugend. "Ich habe nur darüber nachgedacht, was du gesagt hast. Und ich möchte _wirklich_ mal mit dir schlafen." Nun, offener ging es wirklich nicht. Unwillkürlich lächelte er, schüttelte aber gleichzeitig den Kopf. "Danke, aber _ich_ bin ausgelastet", erwiderte er schließlich. Stephan seufzte. "Ich wusste irgendwie, dass du so etwas sagen würdest." Dann schien alle Kraft aus dem Tracer zu weichen und er sank zurück gegen die Lehne der Couch. Für ein paar lange Minuten schwiegen sie beide, während auf dem Fernseher irgendein Actionfilm flimmerte, dann wandte er sich ein weiteres Mal Stephan zu. "Versuchst du eigentlich mich aufzuziehen?" Und damit meinte er nicht nur ihren letzten Wortwechsel. In den hellen blauen Augen schimmerte Belustigung, als sie auf ihn gerichtet wurden. Und trotzdem verging eine ganze Weile, bevor Stephan antwortete, das Lächeln etwas schief sitzend. "Da bin ich mir selbst nicht so sicher." "Hm…" Er beließ es dabei. Und bei einem Lächeln. Der Film lief schon eine Weile und die Pizzaschachtel war leer, als die Tür zu dem Raum geöffnet wurde, in den Schneider verschwunden war. Nicht, dass er es gehört hätte, doch er spürte es, als ihn keine künstliche Barriere mehr von dem Telepathen trennte. Er war auf den Beinen, noch ehe er eine bewusste Entscheidung darüber fällen konnte und sein Blick streifte nur flüchtig Stephan dabei. Der reagierte genau entgegengesetzt, war für einen Moment regelrecht erstarrt. Doch als sich ihre Blicke trafen, schien das Stephan wieder aufzutauen und er erhielt etwas zugeworfen, das mehr Grimasse als Lächeln war. Es sorgte dafür, dass ihn flüchtig Belustigung streifte, so dass sein erwiderndes Lächeln ausgesprochen echt ausfiel, doch für mehr nahm er sich keine Zeit. Seine Füße strebten von ganz allein aus dem Wohnzimmer heraus und so traf er auf Schneider, bevor dieser die Tür wieder hinter sich schließen konnte. Der Deutsche verharrte für einen Moment, öffnete die Tür dann wieder weiter, statt sie zuzuziehen. "Du wirst im Moment nicht mit ihm reden können, aber einen Blick kannst du trotzdem gerne auf ihn werfen." Ungeduld wand sich prompt um ihn, obwohl er keinen Grund hatte anzunehmen, dass der andere Mann ihm etwas verraten hätte, selbst wenn dieser angesprechbar gewesen wäre. Sein Blick suchte nach dem eisblauer Augen und er glaubte einen Anklang von Amüsement zu erkennen. Er wusste nur nicht so ganz, worauf es sich bezog. Und er hatte keine Lust, darüber nachzudenken. "Konnten Sie etwas von ihm erfahren?", erkundigte er sich daher, während er sich an dem Älteren vorbei den Raum betrat. Mit weniger Abstand, als ihm eigentlich möglich gewesen wäre, so dass Körperwärme sich mit Körperwärme mischte. "Nein, noch nicht", gab Schneider bereitwillig zurück und folgte ihm. "Aber das war heute Abend auch nicht unbedingt mein Ziel, auch wenn es einiges erleichtert hätte." Und jetzt wurde die Tür geschlossen, bloß von innen. Als Schneider als nächstes weitersprach, war es zu einem völlig anderem Thema und das Amüsement war jetzt deutlich in dessen Stimme. "Du hast dich also entschieden…" Wieder suchte er Schneiders Blick und es brauchte nicht lange, um den Kommentar zu verstehen. Er stieß ein leises Schnauben aus. "Mir ist klar geworden, dass auch das nur eine unnötige Tradition war", sagte er, was ihm als erstes durch den Kopf schoss. Und während er das tat, wurde ihm klar, dass es wirklich so war. Schneider stutzte kurz, lachte dann auf. "Ausgezeichnet, Crawford." ~TBC~ Kapitel 39: "Ich bin viel zu gut trainiert, um mir meine Finger am Kiefer eines anderen zu brechen" --------------------------------------------------------------------------------------------------- Er sah sich mit einer gewissen Neugier um und musste dann verhindern, dass seine Mundwinkel nach oben kurvten. Wenn der Telepath auf Rosenkreuz aufgewachsen wäre, hätte er mit dieser Art von Zelle zweifelsfrei auch mal Bekanntschaft gemacht. Doch gerade sah es nicht so aus, als könnte der Mann irgendetwas tun. Denn er war ohnmächtig und der Grund dafür erschloss sich ihm schnell, als er die rote Schwellung in dessen Gesicht sah. Er zwinkerte. So etwas hätte er von Schneider nun wirklich nicht erwartet. "Sie haben ihn geschlagen?", wandte er sich dem älteren Mann zu und gab sich keine Mühe, die Verwunderung aus seiner Stimme herauszuhalten. Schneider trat neben ihn und musterte von dort aus den anderen Telepathen. "Nun, ja. Irgendwie musste ich ihn schließlich schlafen schicken. Und um meine Arbeit nicht zu beeinflussen, wollte ich keine Medikamente riskieren." Natürlich, die übliche Methode stand Schneider in diesem Fall ja nicht zur Verfügung, sonst hätten sie ihn hier gar nicht erst benötigt… Er nickte unwillkürlich und griff aus einem Impuls heraus nach der rechten Hand, um sie zu mustern. Was Schneider ein leises Lachen entlockte, mehr Vibrieren gegen seine Seite als Laut. "Mach dir keine Sorgen. Ich bin viel zu gut trainiert, um mir meine Finger am Kiefer eines anderen zu brechen." Ein winziges Lächeln spielte um seine Lippen, als er dies hörte, aber er sagte nichts dazu. "Was haben Sie mit ihm gemacht?", erkundigte er sich stattdessen. Und der Deutsche antwortete ihm bereitwillig. "Zunächst habe ich mich natürlich davon überzeugt, ob seine Schilde tatsächlich so gut sind, wie Herr Rieger meinte. Und sie sind es. Ein Teil unserer Schwierigkeiten kann einfach von der ungewohnten Konfiguration herrühren, doch da Herr Rieger jetzt schon einige Zeit hatte, sich damit auseinanderzusetzen und nicht weitergekommen ist, habe ich nicht vor, es auf diesem Wege zu versuchen." Er runzelte flüchtig die Stirn, als irgendetwas an Schneiders Worten eine Erinnerung wachrufen wollte, doch der Eindruck verschwand wieder, sobald der Ältere weitersprach. "Ich habe ihm so etwas wie einen telepathischen Virus verpasst. Ein mentales Programm, das sich innerhalb seiner Schilde repliziert und dabei das grundlegende Muster korrumpiert. Da ich kaum Angriffspunkte hatte, wird es eine Weile dauern, bis eine ausreichende Schwächung eintritt. Doch es hat den Vorteil, dass ich den Prozess einmal angestoßen nicht mehr aufrechterhalten muss." Schneider beendete dessen Ausführungen mit einem kühlen, zufriedenen Lächeln. Und es war kein Wunder, er hatte noch nie etwas von dieser Methode gehört. Die vielleicht nicht die schnellste sein mochte, doch ausgesprochen effektiv, wenn das Ergebnis hielt, was Schneider sich davon versprach. Sein Gedankengang blieb nicht unbemerkt, wie ihm das sich vertiefende Lächeln verriet. "Du hast noch nichts davon gehört, da ich es mir ausgedacht habe und nicht vorhabe, es zu Allgemeinwissen werden zu lassen. Von daher muss ich dich bitten, diese Information gut unter Verschluss zu halten." "Natürlich, Herr Schneider", erwiderte er automatisch. Dann erlaubte er sich ein Lächeln. "Ich gratuliere Ihnen dazu. Aber wieso-?" Er unterbrach sich selbst, als er allein auf die Antwort kam. "Ganz genau." Schneider wirkte irgendwie zufrieden damit, dass er die Frage nicht hatte stellen müssen. "Es kann viel zu leicht für irgendwelche Dummheiten missbraucht werden. Und da wir so gut wie nie auf Telepathen treffen, deren wir Schilde wir nicht mit den normalen Methoden überwinden können, werde ich diese Waffe nicht unnötig aus der Hand geben." Weil die Telepathen normalerweise auf Rosenkreuz ausgebildet wurden. Und wer lehrte, wie etwas zu bauen war, wusste in der Regel auch, wie man es wieder einreißen konnte. Womit sich natürlich eine ganz andere Frage stellte und er hielt sie nicht zurück. Schließlich konnte Schneider eine Antwort verweigern und falls nicht – hier drinnen würde es niemand außer ihm hören können. "Warum haben Sie sich erst die Mühe gemacht, so etwas zu entwickeln, wenn die Chance verschwindend gering ist, es zu benötigen?" Denn er konnte sich nicht vorstellen, dass das einfach gewesen war, sonst hätte es sicher schon jemand anderer getan. Weswegen er auch nicht wirklich glauben konnte, dass Schneider es sich nur für diesen Telepathen vor ihnen ausgedacht hatte. Er musterte den Gefangenen, als könnte er irgendwie äußerlich erkennen, was genau Schneider getan hatte. Doch natürlich hatte er keinen Erfolg damit. "Hm, damit hast du Recht", meinte der andere Mann mit stillem Amüsement, ließ ihn aber nicht lange zappeln. "Vorhin hattest du es beinahe. Doch ich war so unfair, dich davon abzulenken. Du erinnerst dich vielleicht, dass wir nicht zum ersten Mal auf ein Talent treffen, das mir widerstehen kann. Ich hatte nicht vor, noch einmal in so eine Situation zu geraten." Und das war alles, was er benötigt hatte. "Die Frau damals im Japan-Büro, natürlich." Sein Blick suchte wieder den Älteren. Eines musste man Schneider lassen, er tat alles, um nicht zu verlieren. Wie schon einige am eigenen Leib hatten erfahren müssen. Er erhielt ein ausgesprochen selbstzufriedenes Lächeln, als seine Aufmerksamkeit bemerkt wurde und er konnte nicht anders als es zu erwidern. Immerhin hatte der Deutsche allen Grund, mit sich zufrieden zu sein. Denn… er würde Erfolg haben, rutschte in diesem Moment eine Erinnerung an etwas an ihren Platz, das bisher nicht geschehen war. Das Lächeln wurde ausdrucksvoller und seine Hand schien sich von allein zu bewegen, als sie sich hob, um das Lächeln nachzuzeichnen. Schneider schien etwas überrascht von der Geste, ließ ihn aber gewähren. So dass er seine Hand weiterwandern ließ, hin zu den sandblonden Haaren, mit der festen Absicht, den Älteren zu küssen. Doch als er Schneiders Wange streifte, hielt er inne, denn diese fühlte sich regelrecht klamm an. Braune Augen verengten sich, während er einen Schritt zurücktrat und Schneider dieses Mal wirklich musterte. Es war nicht schwer, die Linien der Erschöpfung zu entdecken und es hätte ihm schon eher klarwerden sollen, statt sich hier lange Geschichten anzuhören. Schneider schien schon wieder belustigt, schüttelte leicht den Kopf. "Ich gebe zu, dass ich hungrig bin. Doch du tust gleich so, als wäre ich kurz vorm Umfallen." Er ließ sich von den Worten nicht beeindrucken. "Sie können genauso schlimm wie Schuldig sein." Der wusste manchmal auch nicht, wann man aufhören sollte. "Ich nehme an, dass Sie für heute nichts mehr hier tun können, also werden wir jetzt für etwas zu essen sorgen." Schneider quittierte seine Entscheidung mit einem Auflachen, fügte sich aber ohne Widerspruch. Einen Augenblick nachdem sie den Raum verlassen hatten, war Herr Rieger bei ihnen, so dass Schneider ein paar letzte Anweisungen loswerden konnte, ohne dass es ihren Abschied lange hinauszögerte. "Der Mann ist derzeit bewusstlos. Lassen Sie ihn in Ruhe, bis ich wieder zurückkehre. Sie können ihm gerne etwas zu essen und zu trinken zur Verfügung stellen, ansonsten beschränken Sie aber jeden Kontakt auf das Minimum. Ich möchte nicht, dass er irgendwie beeinflusst wird. Demnach auch keine weitere Arbeit an seinen Schilden, das könnte meine Bemühungen zunichte machen. Ich werde morgen zurückkehren und dann sollte er soweit sein, uns seine Geheimnisse zu verraten." Letzteres mit einem schmalen Lächeln. "Verstanden", deutete Herr Rieger eine Verbeugung an. Und anders als er selbst erlaubte sich der Ältere keine Nachfragen, auch wenn er dessen Neugier direkt zu spüren glaubte. Dann gab es nichts mehr, was sie länger aufhalten würde, insbesondere schien Stephan nicht vorzuhaben, Schneider unter die Augen zu treten. Frau Jäger erbot sich daher, sie zum Hotel zu fahren, doch der Deutsche lehnte höflich ab. Den Grund dafür erfuhr er, als sie sich zusammen vor dem Haus wiederfanden. "Herr Hoffmann hat sich nützlich gemacht und mir die Adresse für ein gutes Restaurant geschickt. Er scheint genauso wie du darauf aus zu sein, meinen Energiepegel oben zu halten." Er hob eine unbeeindruckte Augenbraue. "Und warum genau können wir nicht einfach im Hotel essen?" Das hätte immerhin den Vorteil, dass es dann nur wenige Meter bis zur Suite wären und Schneider unmittelbar schlafen gehen könnte. "Crawford, ich sollte wohl am besten einschätzen können, ob ich Ruhe benötige. Und anscheinend hat Herr Hoffmann inzwischen das Hotelessen probiert und ist der Meinung, dass man besseres haben kann." Schneider wirkte eher belustigt als genervt, als ihm das erläutert wurde, griff dann nach seinem Handgelenk und zog ihn näher an sich heran. Und dann wurde er geküsst. Am Ende war er es, der von dem anderen gehalten wurde, zu sehr damit beschäftigt, zu Atem zu kommen. "Das musste nun wirklich nicht sein", meinte er leise, nachdem er wieder in der Lage dazu war. "Ich dachte, das würde dich am schnellsten überzeugen", wurde ohne Reue erwidert und dann setzte sich Schneider in Bewegung, so dass er ihm gezwungenerweise folgen musste. Erst nachdem sie etwas Abstand zu dem Haus gewonnen hatten, stoppte Schneider wieder und rief ihnen ein Taxi. Zweifelsohne stammte die Nummer auch von Herrn Hoffmann. Schneider warf ihm einen prüfenden Blick zu, bevor dessen Mundwinkel kaum merklich zuckten. Und erst da fiel ihm auf, von welcher Unterströmung sein letzter Gedanke begleitet worden war. Mit Mühe hielt er die Hitze aus seinen Wangen, die in ihm aufsteigen wollte, erwiderte Schneiders Blick etwas unwirsch. Mehr verärgert mit sich selbst als alles andere, doch das würde er ganz sicher nicht zugeben. Jetzt weiteten sich die Mundwinkel in ein vollwertiges Lächeln, doch Schneider tat ihm den Gefallen, ihn nicht darauf anzusprechen und dann kam zu seinem Glück auch schon das Taxi, das anscheinend ganz in ihrer Nähe gewesen war. Bei dem Restaurant handelte es sich um einen Italiener, was ihn unwillkürlich mit Belustigung erfüllte. Woraufhin er kurz den Blick eisblauer Augen auf sich ruhen spürte. Doch erst nachdem sie zu ihren Plätzen geführt worden waren und der Kellner davongeeilt war, neigte Schneider fragend den Kopf. Er hob kurz den Blick von seiner Karte und in seinem Lächeln lag immer noch Amüsement. "Es ist nur so, dass Stephan vorhin für sich Pizza bestellt hatte. Und jetzt landen wir ausgerechnet bei einem Italiener…" Die Belustigung spiegelte sich in Schneiders Miene, als dieser den Kopf schüttelte. "Der wäre sicher beleidigt, wenn er diesen Vergleich hören würde. Ganz davon abgesehen sind wir nicht hier, um Pizza zu essen, wenn sie die überhaupt auf der Speisekarte haben." "Haben sie nicht", gab er zu. "Dafür einige andere interessante Sachen." Es lief darauf hinaus, dass Schneider ihn die Speisen auswählen ließ, selbst aber den Wein zu den verschiedenen Gängen bestellte. Und da das Restaurant darauf bedacht war, jedem seiner Gäste ausreichend Privatsphäre zu bieten, hatte Schneider keine Probleme damit, ihn auf den neuesten Stand zu bringen. Nachdem sie am Tag zuvor eher persönliche Themen am Wickel gehabt hatten… Nachdenklich tauchte er Weißbrot in das Olivenöl, während er etwas von der Antipasti-Platte auswählte. "Sagen Sie, warum arbeiten Sie eigentlich noch von der Schule aus?" Anders als die Ältesten, deren Aufenthaltsort niemand gekannt hatte. Und damit auch nicht auf dumme Ideen hatte kommen können. "Nun, ein ziemlich offensichtlicher Grund sollte dir schon klargeworden sein." "Natürlich, sonst hätten Sie mir schwerlich von den neuesten Entwicklungen auf Rosenkreuz berichten können", gab er zu. Und es hatte Änderungen gegeben, auch wenn das nie Schneiders Hauptziel gewesen war. "Aber ist das nur für die Übergangszeit, bis sich alles eingeschliffen hat?" Schneider legte für den Moment die Gabel aus der Hand, stützte das Kinn auf seiner Hand ab und musterte ihn überlegend. "Willst du mich jetzt plötzlich in Watte packen und von dort weghaben?" "Nein!", wehrte er automatisch ab, runzelte dann aber die Stirn, weil das nicht besonders überzeugend geklungen hatte. Und dann dachte er noch einmal darüber nach, wonach er dem älteren Mann ein schwaches Lächeln schenkte. "Vielleicht bin ich einfach nur der Ansicht, dass die Methode der Ältesten so dumm nicht war." Eine Augenbraue wanderte nach oben. "Solange man vom Ergebnis absieht, nicht wahr?" "Das zählt nicht, schließlich gibt es nicht nochmal jemanden wie Sie." "Hm, ich fühle mich geschmeichelt, Crawford." Aus irgendeinem Grund entfachte Schneiders Lächeln Hitze in ihm, weswegen er froh war, als der Deutsche weitersprach. "Aber du scheinst zu vergessen, dass du wahrscheinlich auch Erfolg gehabt hättest." Das hätte er früher vielleicht einmal geglaubt, doch heute wusste er, wie sehr Schneider ihn beschützt hatte. Weswegen er jetzt nur den Kopf schüttelte. Schneider benötigte keine Worte, um ihn zu verstehen und Amüsement trat in die eisblauen Augen. Der Ältere nahm ein paar Bissen von seiner Pasta, gab sich aber nicht so einfach geschlagen. "In dem Fall kann ich dir auch ganz einfach dein eigenes Argument entgegengehalten. Denn es sollte mir nicht schwerfallen, auf mich selbst aufzupassen, wenn du mich für so konkurrenzlos hältst." Und bevor er darauf etwas erwidern konnte, wurde Schneider ernster. "Ich bin der Ansicht, dass es die beste Strategie ist, einen steten Kontakt zum Nachwuchs zu haben. So kann ich Fehlentwicklungen schnell entgegensteuern und habe die größte Chance zu merken, wenn jemand etwas zu sehr von seinem eigenen Talent beeindruckt ist und Pläne zu schmieden beginnt." Das war… überzeugender. Und nicht nur eine Beschwichtigung. Selbst wenn er nicht sagen konnte, woher seine Argumentationsfreudigkeit plötzlich gekommen war, musste er zugeben, dass Schneider als Telepath tatsächlich ausgesprochen erfolgreich sein sollte mit dieser Methode. Er hatte damals im Japan-Büro schließlich selbst Zeuge sein können, wie gut der Ältere sein Talent für solche Aufgaben einsetzen konnte. Und mit einem – wenn auch etwas widerwillig ausfallenden – Nicken gab er Schneider Recht. Der daraufhin wieder lächelte. "Weißt du Crawford, trotz aller logischen Argumente, habe ich einen ganz einfachen Grund für meine Entscheidung dauerhaft von der Schule aus zu arbeiten. Ich habe ganz einfach nicht vor, mich so weit von unserer eigentlichen Arbeit zu entfernen wie die Ältesten. Sie schienen völlig vergessen zu haben, woher sie kamen." Und das ließ auch ihn lächeln. ~TBC~ Kapitel 40: "Wenn du häufiger bei mir bist, werden wir das sicher herausfinden" ------------------------------------------------------------------------------- Sie waren beim Rinderfilet angelangt, als Schneider seine Ausführungen zu den Neuzugängen auf Rosenkreuz abschloss. "Am interessantesten von allen bleibt allerdings dieses Mädchen, das ihr uns verschafft habt. Auch wenn sie kein richtiges Talent aufweist, haben wir andererseits auch noch kein anderes Talent gefunden, dass sie aktiv beeinflussen kann, wenn sie es nicht will." "Hm, ich kann mich erinnern, dass Nagi seine Probleme mit ihr hatte. Doch Schuldig konnte sie ausschalten." Er runzelte flüchtig die Stirn, doch als er sich wieder seinem Essen zuwandte, war das vergessen. Es war wirklich lange her, dass er so etwas Gutes serviert bekommen hatte und das galt für alle bisherigen Gänge. "Ja, die Trüffelsauce ist ausgezeichnet", wurde zunächst sein nicht ausgesprochener Gedanke kommentiert, bevor sich Schneider seiner Frage zuwandte. "Und Nanami hat einiges dazugelernt, seit sie bei uns ist. Das heißt, nachdem wir ihre Persönlichkeitsstörung unter Kontrolle gebracht hatten." Der Deutsche verzog das Gesicht, ein wirklich ungewohnter Anblick. Aber dann wiederum nicht verwunderlich, wenn er bedachte, wie seltsam sich das Mädchen verhalten hatte, wenn es nicht gerade für Schreiend darum ging, Schwarz auszuschalten. Und bis sie sie in der Anstalt hatten, gab es Phasen, in denen das Mädchen völlig zu vergessen schien, wer sie waren und sich ziemlich hirnlos aufführte, aufgedreht wie eine Dreijährige mit Zuckerschock. Schneider verfolgte ohne Probleme seine Gedanken und zeigte nun ein Lächeln, das etwas seltsam ausfiel. "Mental war sie die meiste Zeit tatsächlich auf dieses Alter beschränkt, in Wirklichkeit ist sie jedoch älter als Nagi. Im selben Alter wie der junge Takatori." Ihm rutschte eine Augenbraue hoch. "Das war ihr nun wirklich nicht anzumerken." Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass Schneider einen Namen genannt hatte und er verstand etwas besser. "Schuldig meinte, er hätte nicht viel in ihrem Kopf vorgefunden. Sie hat sich also wieder erinnert?" "An ihre Vergangenheit, ja. Aber wir haben dafür gesorgt, dass dafür alles nach dem Persönlichkeitsbruch verschwindet. Was sie gelernt hat in der Zeit danach ist immer noch da und daher für uns nützlich, doch es wäre kontraproduktiv gewesen, wenn sie noch Schreiend und vor allem diesem Takatori nachtrauern würde." "Was ist mit ihr überhaupt passiert?" Sie hatten schon einige Talente auf Rosenkreuz gehabt, die aufgrund der Erfahrungen mit ihren Fähigkeiten einen… Knacks weghatten. Doch das Mädchen sollte diese Probleme nicht gehabt haben. Die eisblauen Augen wurden kühl, als Schneider ihm antwortete. "Nein, es hatte rein gar nichts mit so etwas zu tun, ganz im Gegenteil. Es war ein viel zu alltägliches Problem. Nanami hatte anscheinend eine sehr glückliche Kindheit, ihr Vater hat ihr jeden Wunsch erfüllt. Von daher war es für sie umso schwerer zu verkraften, als er... etwas zu liebevoll wurde." Dieses Mal war es an ihm, das Gesicht zu verziehen. Er hatte nie verstehen können, warum jemand so etwas tat und innerhalb der eigenen Familie… Natürlich hatte Nanami das verdrängt und war in ihrem Kopf in eine bessere Zeit zurückgereist. "Und jetzt weiß sie das auch wieder?" "Ja und sie hält uns für ihre Retter. Weswegen sie gerne mit uns zusammenarbeitet. Durch ihre Arbeit mit Schreiend ist sie an Labore gewöhnt und sie macht sich bei unseren Wissenschaftlern nützlich, während diese gleichzeitig Nutzen aus ihrer Fähigkeit ziehen." Er unterdrückte ein Schnauben, als er das hörte. Es war so typisch für Rosenkreuz, auf diese Weise Nutzen aus einer persönlichen Tragödie zu ziehen, doch zugleich konnte er nicht abstreiten, dass das Mädchen jetzt besser dran war. Weswegen er dies zugunsten der anderen Information beiseite schob. "Funktioniert ihre Gabe so wie ein Screamer?" Schneider schüttelte den Kopf. "Es gibt zwar Ähnlichkeiten, doch bei ihr funktioniert es umfassender. Sie kann nicht nur die eher mentalen Talente wie Telepathen und Empathen zuverlässig blocken, sondern auch die Kineten, solange die sie direkt beeinflussen wollen. Unsere Wissenschaftler meinen, dass die Screamer unmittelbar auf die zuständigen Bereiche im Gehirn einwirken, aber nur, solange sie verwandt genug sind. Daher können wir schlecht voraussagen, bei wem genau Screamer anschlagen." Schneider stützte wieder das Kinn auf einer Hand ab und schenkte ihm ein schmales Lächeln. "Bei dir zum Beispiel waren wir erfolgreich, während andere Precogs von einem Screamer völlig unbeeinflusst blieben." Das ließ ihn zwinkern, weil er bisher noch nie etwas davon gehört hatte. Und dann hielt er sich mit Mühe davon ab, die Augen zu verdrehen. "Natürlich verraten Sie das normalerweise niemandem, nicht wahr?" "Need-to-know", wurde ihm bestätigt. Und er hätte schwören können, dass der Deutsche kurz grinste. "Und warum genau scheine ich in letzter Zeit so viel mehr wissen zu müssen als früher?", gab er etwas trocken zurück. "Hm, nicht so sehr müssen als vielmehr können", wurde er korrigiert. Immer noch mit Belustigung in den eisblauen Augen. Was ihn kaum hörbar seufzen ließ. "Sie sind sich meiner sehr sicher, was?" "Aus gutem Grund, wie ich meine." Und ohne sich vorher umsehen zu müssen, um sicherzugehen, dass es keine Zeugen gab, griff Schneider nach seiner Hand, um einen Kuss auf seine Fingerspitzen zu platzieren. Es war, als wäre ein Feuer entfacht worden, dass sich von seinen Fingern ausgehend seinen Arm entlangwand und dann in einem plötzlichen Schub seinen gesamten Körper erfasste. Scharf einatmend fielen ihm für einen Moment die Augen zu und er spürte einfach nur den Empfindungen noch. Doch dann fiel ihm wieder ein, wo sie sich befanden und er schüttelte den Einfluss so gut es ging ab, blitzte dann Schneider an. "Sie mussten nicht auch noch den Beweis dafür antreten", machte er den Deutschen wenig amüsiert aufmerksam. Der lediglich lächelte und dann dorthin blickte, wo seine Hand immer noch in Schneiders ruhte. Da er sie nicht zurückgezogen hatte. Mit einem Seufzen gab er sich geschlagen und holte dann endlich nach, was er versäumt hatte. Und bevor Schneider ihn weiter aufziehen konnte, lenkte er das Gespräch auf das ursprüngliche Thema zurück. "Wie funktioniert dann das Talent – oder von mir aus auch Nicht-Talent – des Mädchens?" Für ein paar lange Sekunden ruhten die eisblauen Augen auf ihm, als müsste Schneider erst entscheiden, ob er ihn so einfach davonkommen lassen sollte, doch dann griff der Ältere zu seiner Erleichterung wieder zum Besteck, um weiterzuessen. Er folgte mit einem leichten Lächeln dem Beispiel des anderen Mannes und stellte innerlich fest, dass es auch schade gewesen wäre, das Essen kalt werden zu lassen. Von Schneider ging ein Hauch von Amüsement aus, bevor dieser auf seine Frage einging. "Nanami kann irgendwie ein Feld aufbauen, das die Manipulation anderer Talente unterbricht." Er nickte verstehend. "Deswegen meinten Sie aber auch, dass es sich um eine direkte Beeinflussung handeln muss, nicht wahr? Wenn außerhalb des Feldes zum Beispiel ein Telekinet etwas auf sie herunterfallen lassen würde, könnte sie nichts dagegen tun, oder?" Schneiders Mundwinkel kurvten nach oben. "Außer natürlich zur Seite zu treten, ja." Er lächelte unwillkürlich ebenfalls, schüttelte belustigt den Kopf. Und dann kam ihm ein anderer Gedanke. "Aber das heißt doch, dass mein Talent vor ihr sicher ist." Schneider neigte den Kopf leicht zur Seite. "Größtenteils. Ihr Radius beträgt maximal einen Meter, außerhalb davon kann sie dich nicht stören. Damit könntest du problemlos Visionen haben, die auch sie einbeziehen. Nicht, dass du ein besonderes Interesse daran haben solltest." Er stieß ein Schnauben aus. "Ja, mir wäre es auch lieber, wenn es andersherum wäre. Wir haben immerhin um einiges mehr Screamer." "Noch", gab sich Schneider geheimnisvoll und tat dann plötzlich so, als wäre der Teller vor ihm das Interessanteste auf der Welt. Sein Stirnrunzeln blieb daher unbemerkt, aber er hatte nicht vor, zu schnell einzuknicken und machte sich selbst daran, seinen Teller zu leeren. Leider beanspruchte diese Aufgabe nicht allzu viel Zeit, so dass er sich kurz darauf dabei ertappte, Schneider zu mustern. Denn natürlich wollte er wissen, was diese Bemerkung zu bedeuten hatte. Und Schneider wollte ihn nur auf die Folter spannen, sonst hätte der gar nicht erst davon angefangen. Schließlich hatte er genug davon ignoriert zu werden und auch wenn es kindisch sein mochte, stieß seine Schuhspitze gegen Schneiders Schienbein. Immerhin war der Deutsche auch nicht viel besser. Der jetzt endlich seinen Blick erwiderte und die Frechheit besaß zu grinsen. "Willst du jetzt auch ein paar Spuren auf mir hinterlassen?" Das kam aus heiterem Himmel, genauso wie seine Reaktion darauf, und dieser Hitzeschub schien ohne jeden Einfluss von Schneiders Talent auszukommen. Er biss sich innen auf die Lippe und schaffte es so, völlig gleichmäßig zu antworten. "Vielleicht möchte ich das ja." Braune Augen verengten sich leicht. "Doch zunächst möchte ich wissen, was Sie mit 'noch' meinten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf einmal in der Lage sind, Leute mit dieser Art des Talents so einfach zu entdecken. Schließlich ist es etwas, das sich nur im Zusammenwirken mit anderen Talenten zeigt." Schneider hatte gelächelt, als der seine erste Antwort hörte, wurde dann aber endlich etwas ernster. "Hm, da sie uns tatsächlich nur zufällig in die Hände gefallen ist, arbeiten wir an einer technischen Lösung. Mit einem entsprechenden Radius könnte so ein Null-Feld-Generator sowohl für die Suchteams als auch für die Ex ein wichtiges Hilfsmittel werden." "Null-Feld-Generator?" "So haben unsere Wissenschaftler das Gerät getauft. Auch wenn sie es noch nicht einmal im Prototyp-Stadium haben." "Ist das so…", hörte er sich selbst murmeln und wurde für einen Moment dadurch abgelenkt, dass Schneider einen Kellner herbeiwinkte. Gleich darauf hatten sie ihren Nachtisch vor sich stehen, ein Stück Tiramisu, das beinahe eine eigenständige Mahlzeit darstellte. Er beäugte das Ungetüm, etwas unsicher, ob sein Magen dabei mitspielen würde. Dann aber schweifte sein Blick weiter zu Schneider und er nickte innerlich. Der Telepath konnte die Kalorien auf jeden Fall gebrauchen und notfalls konnte Schneider auch seinen Anteil aufessen. "Meinst du nicht, dass ich mehr als genug Erfahrung habe, um meinen Energiehaushalt selbst zu steuern? Und nein, ich habe gerade nicht mein Talent einsetzen müssen, um genau zu wissen, was du denkst." Mit sanfter Ironie. Er gab sich unbeeindruckt, schließlich machte es keinen Unterschied. Schneider schien sich heutzutage kaum noch aus seinem Kopf herauszuhalten, was brachte es da schon, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten... Also richtete er ganz einfach die Zacken seiner Kuchengabel auf den Älteren und schenkte ihm einen auffordernden Blick. "Beweisen Sie es mir." Der andere Mann schien für einen Augenblick aufrichtig verblüfft, folgte seiner Aufforderung dann aber ohne Widerspruch. Auf einer anderen Ebene jedoch wurde er für ein paar endlose Sekunden regelrecht in Energie gebadet, wonach er eine Weile brauchte, bis er wieder gleichmäßig atmete. Schneider wartete ab, bis er wieder die Welt um sich herum wahrnehmen konnte, bevor dieser eine weitere Frage stellte. "Und, willst du mich immer noch unmittelbar schlafen schicken, sobald wir mit dem Essen fertig sind?" Mit einer Unschuldsmiene, die er noch nie zuvor bei Schneider gesehen, geschweige denn ihm zugetraut hätte. Was sollte er dazu bitte schön sagen, während seine Erektion gegen die jetzt sehr viel unbequemere Hose presste? Sein Schweigen war beredt genug und Schneider lächelte schon wieder. "Komm, iss auf, Crawford. Ich möchte auch ins Bett kommen. Und genauso wenig wie du zum Schlafen." Das erinnerte ihn daran, dass tatsächlich das Tiramisu immer noch unangerührt vor ihm stand, während Schneider schon ein ganzes Stück vorangekommen war. Er nahm einen ersten Bissen, bevor er sich wieder dem Älteren zuwandte. "Können Sie mich nicht ein Mal gewinnen lassen?" Schneider sah ihn an, eher nachdenklich als amüsiert, zuckte schließlich mit den Schultern. "Da bin ich mir selbst nicht so sicher. Aber wenn du häufiger bei mir bist, werden wir das sicher herausfinden." Da Schneider das ernst gemeint zu haben schien, aß er ruhig weiter, während die Worte aus irgendeinem Grund weiter durch seinen Kopf kreisten. Bis er endlich darauf kam, was ihn hatte stutzen lassen. Schneider hatte 'wenn' gesagt und nicht 'falls'. Für einen Moment wollte er schon wieder anfangen, an dem Älteren zu zweifeln. Doch nachdem ihm erst vor so kurzer Zeit vor Augen geführt worden war, dass hier seine eigene Art von Schwäche am Werk war, hatte er nicht vor, sich das durchgehen zu lassen. Und da er auch aus einem ganz anderen Grund Ablenkung benötigte, wandte er sich innerlich wieder ihrem ursprünglichen Thema zu. Und war selbst überrascht von dem Gedanken, der ihm gleich darauf durch den Kopf schoss. Was ihn nicht daran hinderte ihn auszusprechen. "Zero." Er spürte den Blick eisblauer Augen, bevor er ihn erwiderte und dieses Mal zuckte er mit den Schultern. "Es ist mir gerade eingefallen", erwiderte auf Schneiders stumme Frage. "Wegen dieses Geräts. Sie könnten ihre Art des Talents Zero nennen. Auch wenn sie vielleicht die einzige dieser Art unter unserer Schirmherrschaft bleiben wird, werden sich unsere Bürokraten bestimmt freuen, wenn sie das Mädchen fein säuberlich in eine Schublade stecken können." "Hm, und ich dachte, dein Gehirn hätte im Moment nicht ausreichend Sauerstoff übrig, um noch denken zu können." Schneider schien sich einen Spaß daraus zu machen, ihn als erstes aufzuziehen und lenkte seine Gedanken damit natürlich genau dorthin zurück, wo er sie gerade nicht haben wollte. Auf seinen gar nicht amüsierten Blick daraufhin gab der Ältere aber nach und nickte. "Deine Idee gefällt mir. Ich werde dafür sorgen, dass sie umgesetzt wird." Belustigung erfüllte ihn plötzlich. Es musste in solchen Fällen ausgesprochen nützlich sein, Schneider zu sein. ~TBC~ Kapitel 41: "Das. Und aus Eigennutz." ------------------------------------- Sie riefen das Taxi nicht direkt zum Restaurant, denn sie beide brauchten nach dem umfangreichen Mahl etwas Bewegung. Es waren noch verhältnismäßig viele Leute unterwegs, die Geschäfte und andere Restaurants in der Umgebung frequentierten, wobei half, dass es sich um einen angenehm lauen Abend handelte. Sehr lange liefen sie nur, wohin sie ihre Beine trugen, ohne eine Unterhaltung zu benötigen. Er beobachtete einfach nur die Menschen um sie herum und wie sie ihrem ach so normalen Leben nachgingen. Es war ein wenig seltsam, rein gar nichts zu tun, kein wirkliches Ziel zu haben, ging es ihm schließlich müßig durch den Kopf. Das letzte Mal… war bei ihrem Winterurlaub und er konnte gut darauf verzichten, wieder so eine Überraschung zu erleben. Schneider an seiner Seite lachte leise. "Deine Ausflüge mit Ran zählen wohl nicht, hm?" Seine Lippen pressten sich flüchtig zusammen. "Das ist nicht ganz vergleichbar. Auch wenn die Clubanlage groß ist, sind wir in der Regel unter uns, wenn wir ausreiten." Für ein paar Schritte blieb er stumm, musterte dann Schneider, ohne dass dieser seinen Blick erwiderte. "Haben Sie Ran absichtlich erwähnt?" "Jedenfalls nicht zufällig", wurde zugegeben. "Schließlich hast du ihn im Moment anscheinend völlig verdrängt. Obwohl du das nicht ewig tun kannst. Anders als bei Bradley." Er atmete tief durch, bevor er sich ein trockenes Lächeln erlaubte. Schneider nahm in letzter Zeit wirklich kein Blatt vor den Mund. "Sie wissen, dass Ran bis heute nicht versteht, warum Sie mich überhaupt haben gehen lassen?" Oder warum er gehen wollte, fügte er nicht laut hinzu. Und nun huschten die eisblauen Augen doch für einen Moment zu ihm herüber. "Ich dachte es mir. Deswegen ist er auch so unsicher." Dieses Mal war er es, der nach vorne sah. Und er antwortete auf die Bemerkung, ohne es wirklich zu tun. "Aus heutiger Sicht wäre es… bedeutend leichter, ihn zurückzulassen als Sie." Er hatte nicht vor, sich selbst zu belügen. Und bei Schneider war es ihm sowieso nie gelungen. Er mochte den Japaner, das würde er nicht abstreiten, aber Schneider war etwas völlig anderes. "Doch das stand schon damals außer Frage, nicht wahr?" Der Tonfall des Älteren war beinahe sanft. "Die Frage war und bleibt, ob du endlich aufhören kannst, mich zu fürchten." Natürlich wollte er sich gegen diese Unterstellung wehren, denn er fürchtete sich nicht vor Schneider. Aber dann wiederum war es das, was der Ältere tun konnte, was ihn zurückgehalten hatte. Und das war irgendwie das Gleiche, nicht wahr? Auch wenn er es nie so bezeichnet hatte. "Sie drängen schon wieder", wich er aus. Frustriert mit Schneider oder auch mit sich selbst, er konnte es nicht genau sagen. Der Deutsche klang sehr unbeeindruckt mit ihm, als dieser nach einer langen Pause etwas sagte. "Da du bereits bewiesen hast, wie gut du bestimmte Dinge abschotten kannst, werde ich dich dazu zwingen, darüber nachzudenken." "Natürlich nur, um mir zu helfen." Sein Tonfall geriet sehr nichtssagend. "Das. Und aus Eigennutz." Schneider ahmte seinen Tonfall perfekt nach. Woraufhin er den Kopf dem Deutschen zuwandte und dem Blick eisblauer Augen begegnete. In denen statt des erwarteten Amüsements Hitze stand. Oh… Das war sehr viel besser und machte es leicht, ihrer beider Frustration für den Moment hinter sich zu lassen. Erwidernde Hitze stieg in ihm auf und von einer Sekunde auf die andere bedauerte er, dass sie nicht gleich ins Hotel gefahren waren. Aber dann wiederum… wäre er wahrscheinlich tatsächlich gleich eingeschlafen, so voll wie sein Magen gewesen war. Inzwischen hatte sich dieses Problem aber gelegt, so dass es keinen Grund mehr gab, sich länger hier aufzuhalten. Schneiders Körper schaffte es, für die nächsten Sekunden in vollkommener Stille zu verharren, dann bogen sich die Mundwinkel des Deutschen kaum merklich nach oben. Anscheinend stimmte Schneider mit seinen Gedanken überein, so dass es ihn nicht wunderte, als dieser als nächstes nach dem Handy griff. Aus irgendeinem Grund schlug sein Herz immer noch zu schnell, als sie bereits im Taxi saßen und seine rechte Hand hatte sich aus eigenem Willen zur Faust geballt. Fingernägel schnitten in nachgiebiges Fleisch, während er versuchte, die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Natürlich machte Schneider ihm das nicht leicht, denn kaum hatten sie Platz genommen, war seine andere Hand von der des Älteren umschlossen worden. Und in unregelmäßigen Abständen schien sich Hitze nach ihm auszustrecken, kleine Flammen, die über seine Haut züngelten. Es war direkt eine Erleichterung, den Wagen schließlich verlassen zu können, denn der Kontrast der inzwischen abgekühlten Luft draußen kühlte auch ihn selbst etwas ab. Im wahrsten Sinne des Wortes. Schneider warf ihm einen prüfenden Blick zu, der vielleicht mit einem Anklang von Amüsement einherging. Er konnte es nicht genau sagen, denn er befand es als sicherer, den Blick nicht zu erwidern. Und gleich darauf wurde der Deutsche dadurch von ihm abgelenkt, dass Herr Hoffmann auf ihn zukam, zweifellos durch das Talent des Älteren über ihre Ankunft informiert. "Die Karte zu Ihrer Suite, Herr Schneider. Ich habe mir erlaubt, das Frühstück für neun Uhr auf Ihr Zimmer zu bestellen. Ich hoffe, Sie sind mit der Zeit einverstanden?" "Natürlich, Herr Hoffmann. Immerhin ist es heute recht spät geworden." Nun waren es gleich zwei Augenpaare, die auf ihm ruhten. Und da er Schneider immer noch so gut es ging ignorierte, nickte er Herrn Hoffmann zu. Der eine Verbeugung andeutete und immer noch so zufrieden mit seiner Anwesenheit wirkte wie bei ihrer Begegnung am Tag zuvor. "Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe, Herr Crawford." Ohne jede Anzüglichkeit. Weswegen er den Gruß entsprechend erwiderte, bevor er sich Schneider anschloss, der offensichtlich nicht vorhatte, noch länger abzuwarten. Den Fahrstuhl hatten sie für sich allein, nicht, dass Schneider das ausnutzen würde. Der Ältere hatte sich gegen eine der verspiegelten Wände gelehnt und behielt ihn von dort aus im Auge. Er selbst hatte – in einem Anfall von Widerstand? – die gegenüberliegende Seite gewählt. Und auch wenn er wusste, welche Botschaft er damit sendete, hatten sich seine Arme vor der Brust verschränkt. Den anderen Mann schien das nur wieder zu amüsieren, ganz davon abgesehen, dass dieser ausgesprochen unfair zu Werke ging. Denn schon wieder prickelte Energie über ihn hinweg, versuchte, einen Schauer nach dem nächsten auszulösen. Ihm war nicht so ganz klar, was Schneider damit beabsichtigte, es fiel ihm schon so schwer genug, den erforderlichen Abstand zu wahren. Und natürlich ließ ihn diese Art von Beeinflussung konträr reagieren, wie er im Moment bewies. Schneider lächelte schon wieder, dieses Mal eindeutig amüsiert, was nur dafür sorgte, dass er für den Moment die Augen schloss und den Kopf nach hinten gegen die Wand fallen ließ. Er konnte wirklich nicht gewinnen, gefangen wie er war, zwischen Schneider und seinen eigenen Reaktionen. Ein Finger stupste ihn an, als sich die Fahrstuhltür öffnete und dann übernahm der Ältere auch schon wieder die Führung, im Vertrauen darauf, dass er folgen würde. Und was sollte er auch anderes tun – sich bei Herrn Hoffmann einquartieren? Er stieß innerlich ein Schnauben aus und da er es geschafft hatte, sich für den Moment erfolgreich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu halten, bekam er darüber kaum mit, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Erst das Geräusch der Tür, die hinter ihm ins Schloss fiel, ließ ihn aufmerken und er brauchte einen Moment, um herauszufinden, woher die leichte Überraschung kam, die ihn plötzlich erfüllte. Doch nur den Grund zu kennen , änderte nichts an dem Umstand und die Überraschung wurde kurz darauf durch Ungeduld abgelöst. Er hatte keine Lust, sich auf weitere Spielchen mit Schneider einzulassen, dazu sagte ihm sein Körper viel zu deutlich, was er jetzt wollte. Von daher war er es dieses Mal, der nach dem Älteren griff und es hatte etwas Befriedigendes, ihn mit seinem Körpergewicht gegen die Wand zu drängen. Schneider zeigte nicht den geringsten Widerstand, da war lediglich immer noch dieses verdammte Lächeln. Was er zum Anlass nahm, es wegzuküssen. >Du bist heute sehr forsch, hm?<, wanden sich Worte durch seinen Verstand, die keinen Ursprung in seinen eigenen Gedanken hatten. Und nicht unerwartet waren sie durch Amüsement gefärbt. >Das ist alles nur Ihre Schuld<, gab er zurück und selbst in seinem Kopf klang seine Stimme atemlos. Schneider lachte, wenn auch nur auf der mentalen Ebene, ließ sich dann bereitwillig in Richtung des einen Bettes drängen. Er besaß genug Koordination, um den Älteren von Jackett und Weste zu befreien, wandte sich dessen Gürtel zu, gerade, als sie vor ihrem Ziel stoppten. "Wenn Sie ein Telekinet wären, würde das alles viel schneller gehen…", murmelte er kaum verständlich und dieses Mal nicht nur in seinem Kopf, weil sie für den Moment den Kuss unterbrochen hatten, um wieder zu Atem zu kommen. Was Schneider wieder auflachen ließ, rau. "Du musst mir verzeihen, dass ich lieber mein Talent behalte, wie es ist." Endlich war auch die Hose nicht länger im Weg und etwas Druck reichte, damit der ältere Mann sich zurückfallen ließ. Er folgte ihm unmittelbar nach, platzierte sich über dessen Hüfte, um die Knöpfe des Hemds zu lösen. Und da er inzwischen daran erinnert worden war, fiel sein Blick natürlich auf die Stelle, wo früher immer der Anhänger auf Schneiders Brust geruht hatte. Er strich über die erhitzte Haut und stellte zu seiner Verwunderung fest, dass seine Finger zitterten. Für einen Moment war er versucht, nach der damit einhergehenden Emotion zu greifen , aber dann schob er sie rasch beiseite. Er wollte sich lieber nicht damit auseinandersetzen, wenn er doch den eindeutigen Beweis unter sich hatte, dass es Schneider gut ging. Der hatte seine kurze Abwesenheit genutzt und seine Krawatte gelöst, war gerade dabei, sich seiner Weste zuzuwenden. Er hielt sehr still, als kurz darauf sein eigenes Hemd geöffnet wurde und prompt die Kette hervorrutschte, an deren Ende ein kaum merkliches Gewicht hing. Schneider griff danach und dessen Pupillen schienen sich zu weiten, als der Kontakt hergestellt wurde. Und auch wenn er selbst nichts spürte, ließ ihn allein diese Reaktion tief einatmen. Ohne sein bewusstes Zutun hatten sich seine Finger in Schneiders Muskeln gekrallt und als dieser daraufhin lediglich die Lider auf Halbmast sinken ließ, beugte er sich gleich darauf herunter, platzierte einen Kuss auf die Stelle, wo Hals auf Schulter traf. Um dann seine Zähne folgen zu lassen. Beim nächsten Atemzug glaubte er in Flammen zu stehen, doch es waren nur bestimmte Stellen, die aufbrannten. Als hätte Schneider nicht nur rein physische Spuren auf ihm hinterlassen, sondern auch auch Überbleibsel von dessen Energie, die nun reagierte. Das ließ ihn an dessen Frage denken – und ja, vielleicht wollte er wirklich seine eigenen Spuren hinterlassen. Er hielt sich nicht lange mit der Vermutung auf, sondern machte sich lieber daran, sie zu überprüfen, während Schneiders Hände unter sein Hemd rutschten, noch mehr Hitze mit sich brachten. Schweiß trat ihm auf die Stirn und irgendwie schaffte er es, seine Sachen loszuwerden, Stück für Stück, ohne den Kontakt zu dem Deutschen aufgeben zu müssen. Schneider ließ ihm lange Zeit seinen Willen, beinahe zu lange, denn auch wenn er es weiter hinauszögern wollte, so hielt er es irgendwann einfach nicht mehr aus. Dafür hatte ihn der Deutsche an diesem Tag zu häufig an die Grenzen seiner Willenskraft gebracht. Wenig verwunderlich wurde dieser Gedanke aufgefangen und eisblaue Augen blitzten auf, bevor Schneider sie beide herumrollte. Er hob eine Hand, strich durch verschwitzte, sandblonde Strähnen und ein Lächeln glitt über seine Lippen, gefangen in diesem Augenblick. Sein Kopf schien völlig leer, während der Körper des Älteren auf ihn herunterpresste. Und dann weitete sich das Lächeln. Er ließ seine Finger weiterstreifen, über die Stellen hinwegtasten, an denen seine Zähne leichte Schwellungen hinterlassen hatten. "Ich würde das niemand anderem gestatten", wurde ihm leise versichert, heißer Atem, der ihn streifte. "Aber waren wir nicht gerade bei etwas anderem?" Eine Hand tastete seine Seite entlang, glitt dann weiter, um seine Erektion zu finden. Ihm fielen die Augen zu und als er sie endlich wieder öffnen konnte, war Schneiders Gesicht ihm sehr nahe. Er wurde geküsst und dann war es es völlig unmöglich, sich auf eine Sache zu konzentrieren, als der Ältere nicht nur seinen Mund für sich in Anspruch nahm. Es ließ ihn nur noch daran denken, dass er mehr davon haben wollte, Schneider näher bekommen, und seine Hände hatten Schwierigkeiten, Halt zu finden. Er hatte heute schon lange genug warten müssen und jetzt wollte er es absolut nicht mehr, während Schneider sich viel zu viel Zeit ließ. Mit Mühe schaffte er es, einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen und dieses Mal war es seine Hand, die Hitze fand, dem Älteren ein scharfes Ausatmen entlockte. Eisblaue Augen fanden seine und seine wortlose Drohung wurde mit einem unerwartet heftigen Lächeln erwidert. Dann endlich schien Schneider zu entscheiden, dass er ausreichend vorbereitet war und wieder fielen ihm die Augen zu, spürte er nur noch, wie Schneider in ihn hineinglitt. Blind zog er ihn in einen weiteren Kuss, bevor er sich ganz den vertrauten Bewegungen ergab. ~TBC~ Kapitel 42: "Früher hatten Sie mir auch noch nicht vorgemacht, was möglich ist, wenn man nur hartnäckig genug ist" ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Er war sich nicht ganz sicher, was ihn geweckt hatte, doch plötzlich lag er mit aufgeschlagenen Augen da und lauschte auf die ruhigen Atemzüge neben sich. Für einen Moment versuchte er, einfach die Augen zu schließen und weiterzuschlafen, doch als das nicht gelang, schob er vorsichtig den Arm beiseite, der ihn gefangen hielt, kam dann mit genauso viel Vorsicht auf die Beine. Ein Augenblick der Überlegung führte ihn ins Bad, doch anschließend war er noch munterer er zuvor. Er fröstelte, als er wieder verharrte, was dazu führte, dass er nach etwas zum Anziehen griff. Und wenig später trat er an das bodentiefe Fenster heran. Ein leichter Luftzug zupfte am Stoff des Hemdes, doch jetzt war ihm nicht mehr kalt. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Nacht gewöhnt und so eröffneten sich ihm die verirrten Lichter der schlafenden Stadt, breiteten sich zu seinen Füßen aus. Selbst die eifrigsten Frühaufsteher waren um diese Zeit noch nicht auf den Beinen, so dass die Ruhe der Nacht kaum gestört wurde. Es hatte beinahe etwas Meditatives, so hinauszusehen, doch seine Gedanken ließen sich nicht so leicht beruhigen. Nicht mehr lange und das Geheimnis um die anderen Talente würde geklärt sein und dann sollte es keine Ablenkungen mehr geben. Nichts, was ihn davon abhalten sollte, seine Aufgabe zu vollenden. Das geeignete Objekt hatte er schon vor einer Weile gefunden, eine Anlage, die bereits als Internat gedient hatte. Abgelegen genug, um die erforderliche Isolation ihrer Einrichtungen zu erlauben und mit der Möglichkeit der Erweiterung. Derzeit erfolgten noch letzte Sanierungsarbeiten und die wenigen ausstehenden Genehmigungen sollten kein Problem darstellen. Im Zweifelsfall würden sie dafür sorgen. Seine Mundwinkel hoben sich bei diesem Gedanken um ein paar Millimeter, doch gleich darauf glätteten sich seine Züge wieder. Unbemerkt und nur als leichter Schatten im Fenster erkennbar. Die Analysen wurden natürlich zentral durch Rosenkreuz durchgeführt und die Ergebnisse der Ex waren zweifellos ebenfalls mit einbezogen worden. Schneider hatte ihm nicht verraten, wie viele potenzielle Kanditaten bereits ermittelt worden waren, doch er zweifelte nicht daran, dass die Suchteams genug finden würden, um nach dem Sommer in das erste Jahr zu starten. Ganz davon abgesehen, dass auch ein paar ältere Schüler von Rosenkreuz hierher wechseln sollten, um die Traditionen weitergeben zu können. Es war ein Anfang, die Herausforderung lag womöglich weniger in der Führung der Schule als vielmehr darin, weitere Beziehungen hier aufzubauen. Um die Abgänger später leichter in den richtigen Positionen unterbringen zu können. Eine Aufgabe, die im Wesentlichen auch das hiesige Triumvirat mittragen würde, auch wenn in manchen Fällen ihre bereits bestehenden Netzwerke hilfreich sein würden. Nichts, was so schnell langweilig werden würde. Und Schwarz könnte immer noch für ihn arbeiten, er müsste ihren Status nur anpassen. Spezialisten statt Field-Team, es würde sie sicher nicht stören. Und für Ran würde sich auch eine Aufgabe finden lassen, der Rotschopf war nicht dumm. Es wäre… eine einfache Lösung. Er hätte beinahe geseufzt, wurde aber dadurch abgelenkt, dass sich hinter ihm etwas bewegte. Er verzichtete darauf, sich umzudrehen und ein paar Herzschläge später schlangen sich zwei Arme um ihn. Sein Körper lehnte sich von ganz allein zurück und das leise Ausatmen, das damit einherging, hatte nichts mit einem Seufzen zu tun. Schneider blieb für ein paar lange Minuten stumm, erlaubte seinen Gedanken, weiter den bisherigen Pfaden zu folgen. Doch er kam zu keinen neuen Erkenntnissen und dass Schneider jetzt bei ihm war, verstärkte nur noch das Problem. "Ich habe dir doch gesagt, dass du noch Zeit hast, nicht wahr?", meinte der Ältere schließlich leise. "Warum stehst du also mitten in der Nacht hier und versuchst, eine Entscheidung zu treffen?" Unverändert blickte er nach draußen und nur ab und zu versuchten sich seine verräterischen Augen auf die vage Spiegelung zu fokussieren, die Gestalt des anderen Mannes. "Es gefällt mir nicht, so in der Luft zu hängen." Das hatte er schon einmal gehabt und die Erfahrung bot sich nicht dazu an, sie zu wiederholen. Die Umarmung verstärkte sich für einen Moment und er konnte spüren, wie ein Vibrieren durch Schneider lief. Anscheinend war der Ältere mal wieder belustigt, während er selbst der Situation nicht besonders viel Amüsement abgewinnen konnte. "Aber dir ist bewusst, dass sich für den Moment sowieso nichts ändern würde, egal wie du dich entscheidest? Und genauso gut könntest du deine Meinung zwischenzeitlich wieder ändern…" Nun wurde der Deutsche ernster. "Dein Stolz könnte dich dann davon abhalten, die Entscheidung zu revidieren. Alles in allem sehe ich keine Vorteile, wenn du jetzt etwas erzwingst." Nun hielt er es doch nicht mehr aus und wandte sich um, wollte etwas erwidern. Doch aus irgendeinem Grund blieb sein Blick an einer Haarsträhne hängen, die Schneider ins Gesicht gefallen war und genauso unerwartet war die Wärme, die sich in seinem Unterleib zu kräuseln schien. Seine Hand fand von ganz allein zu Schneiders Gesicht, strich die Strähne beiseite. Und dann ertappte er sich auch schon dabei, sich vorzulehnen. Dem Kuss fehlte es an Dringlichkeit und trotzdem wurde ihm immer wärmer. Nur mit Mühe schaffte er es, sich wieder von dem Älteren zu trennen, doch seine Hände blieben, wo sie waren, ruhten auf nackter Haut. Anders als er selbst trug Schneider kein Hemd. Gar nichts, um genau zu sein. Er runzelte die Stirn und nutzte dann ihren Kontakt aus, um Schneider in Richtung Bett zu schieben. "Sie werden noch krank." Sie hatten schließlich keinen Hochsommer. Der Deutsche nahm ihn nicht besonders ernst, folgte der Aufforderung aber. "Du hast mich doch warm gehalten, nicht wahr?" Er weigerte sich, darauf etwas zu erwidern, sein Ziel hatte er bereits erreicht. Und bevor Schneider auf dumme Ideen kommen konnte, streifte er schnell Hemd und Shorts ab und ließ sich zusammen mit dem Älteren auf das Bett fallen. Schneider war für einen Moment fast verblüfft, lächelte dann aber und zog die Decke über sie, bevor die Hände nach ihm griffen und er sich in einen weiteren Kuss verwickelt fand. Dieser endete aber in etwas sehr Simplem und die Energie, die er spürte, war einfach nur warm, einlullend. "Du solltest jetzt weiterschlafen…" Kaum mehr als ein Flüstern, das warmen Atem gegen seine Lippen stoßen ließ. Die Suggestion schien nicht nur in den Worten zu liegen und sein Verstand wollte für ein paar Sekunden gegen die Beeinflussung aufbegehren, doch das wäre unsinnig gewesen, schließlich hatte Schneider Recht. Also ließ er zu, dass sein Atem ruhiger wurde, seine Lider schwerer. Aber es blieb ein gewisse Anspannung übrig, die sich erst verflüchtigte, als Schneider ihn an sich heranzog und die Wärme nicht mehr nur von der Decke stammte, sondern auch vom Körper des Älteren. Als er das nächste Mal aufwachte, war der Morgen heran, und es wunderte ihn nicht besonders, dass neben ihm das Bett leer war und sich nicht einmal mehr warm anfühlte. Er ließ seine Augen wieder zufallen, vergrub das Gesicht lethargisch im Kopfkissen. Es war eine Dummheit gewesen mitten in der Nacht aufzustehen. Auch wenn er sich antrainiert hatte, unter Schlafmangel zu funktionieren, hatte er in letzter Zeit nicht mehr darauf zurückfallen müssen. Und das rächte sich jetzt. Ein leises Lachen ließ ihn aufhorchen und als sich noch dazu die Matratze unter einem Gewicht etwas senkte, wandte er den Kopf zur Seite. "Guten Morgen, Crawford." Die eisblauen Augen blitzten amüsiert und viel zu wach. "Vielleicht möchtest du allmählich aufstehen, das Frühstück wird gleich gebracht." "Und wenn ich das nicht möchte?", gab er zurück, ohne über seine Worte nachzudenken. Der Deutsche lächelte. "In dem Fall kannst du im Bett frühstücken." Das war zu einfach gewesen, musste er zugeben und seine Mundwinkel zuckten unwillkürlich. "Natürlich." Dann stemmte er sich hoch, auch wenn sich seine Muskeln nur widerwillig dazu überreden ließen, zu kooperieren. Schneider beobachtete seinen langsamen Fortschritt mit einer hochgezogenen Augenbraue. "Ich glaube, das nächste Mal hole ich dich gleich ins Bett zurück." Er gab ihm einen unbeeindruckten Blick zurück. "Ich habe nicht vor, dies zu wiederholen." "Willst du stattdessen am Tag weitergrübeln?" Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. "Dann auch nicht. Und im Übrigen haben Sie mich doch zuerst gedrängt, schnell eine Entscheidung zu treffen, oder? Woher der plötzliche Sinneswandel?" Jetzt war er endlich wach genug, um den Widerspruch zu sehen, der ihm in der Nacht völlig entgangen war. Schneider lehnte sich vor und küsste ihn, bevor er wieder ein Lächeln erhielt. "Mir geht es eher darum, die Richtung deiner Entscheidung zu beeinflussen, statt den Zeitpunkt", wurde dann klargestellt. Er hielt sich gerade so davon ab, die Augen zu verdrehen. Diese neue Ehrlichkeit war wirklich gewöhnungsbedürftig und ab und zu hatte er das dumme Gefühl, dass der ältere Mann innerlich über ihn lachte. Das war auch eine neue Erfahrung. "Solange du so paranoid hinsichtlich meiner Motive bist, werde ich es mir nicht nehmen lassen, mich über dich lustig zu machen", wurde ihm trocken erklärt, bevor Schneider auf die Beine kam. Für einen Moment blickte er nur auf die Hand, die ihm dann hingehalten wurde, doch dann ergriff er sie. Dankbarerweise sparte sich der Ältere weitere Spielchen, so dass er gleich darauf die Badezimmertür hinter sich schließen konnte. Der großzügige Raum schaffte es nicht, seine Aufmerksamkeit gefangen zu nehmen, er steuerte geradewegs die Dusche an. Das heiße Wasser konnte er jetzt gebrauchen. Es sollte ihm helfen, seine Gedanken zu ordnen. Und vielleicht konnte er seinen Verstand endlich dazu überreden, nicht mehr automatisch so zu reagieren, wie Schneider ihm vorgeworfen hatte. Auch wenn jeder Vorwurf in dessen Stimme gefehlt hatte… Ein ironisches Lächeln zog an seinen Mundwinkeln, als er sein Gesicht dem Wasserstrahl entgegenhielt. Vielleicht war das auch ein Punkt, in dem er sich einfach die erforderliche Zeit nehmen sollte. Als er aus dem Bad zurückkehrte, war der Tisch bereits gedeckt, und auch wenn es nach dem gestrigen Mahl unmöglich scheinen sollte, war er tatsächlich hungrig. Dankbar nahm er die Tasse Kaffee entgegen, die Schneider ihm reichte und trank vorsichtig einen ersten Schluck. Allein der Geschmack sorgte dafür, dass er sich munterer fühlte und er merkte erst, dass er zufrieden lächelte, als Schneider sein Lächeln erwiderte. Dann aber schüttelte der Ältere leicht den Kopf. "Lass das lieber", wurde er aufgefordert. Was ihn überrascht innehalten ließ, denn er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was Schneider meinen könnte. Der sandte sein Talent nach ihm aus, ein warmes Kribbeln und noch mehr, das dahinter lag. Ein hitziges Schwelen, das ganz auf ihn bezogen war. Seltsamerweise ließ es ihm das Blut in die Wangen steigen, doch er kämpfte die Reaktion nieder. Schneider hatte den Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt, das Kinn auf der Handfläche. "Ich würde dich gerne wieder zurück ins Bett nehmen", wurde ihm erklärt, ohne viel zu erklären. "Aber mir ist klar, dass jetzt nicht die beste Zeit dafür ist." Er begegnete nur für einen Moment dem Blick eisblauer Augen, wandte sich dann lieber seinem Frühstück zu. Denn die offenen Worte hatten dafür gesorgt, dass seine eigenen Gedanken in die gleiche Richtung zu wandern begannen. Und allmählich wurde das lächerlich. "Hm, es könnte daran liegen, dass wir uns so selten sehen, nicht wahr? Allerdings möchte ich nicht dafür garantieren." Nun hob er doch wieder den Blick, kommunizierte ein stummes 'sehr witzig'. Was ihm ein amüsiertes Lächeln und keinerlei Schuldbewusstsein einbrachte. Doch wenigstens tat es ihm der Deutsche dann nach und der Rest des Frühstücks verging ohne weitere unnötige Einwürfe. Und danach sorgte er dafür, dass sie sich beide auf die Arbeit konzentrierten. "Glauben Sie, dass Ihr… Virus… ausreichend Zeit hatte zu arbeiten?" Schneider, der gerade dabei gewesen war, die Tür zu öffnen, hielt inne. "Es sollte. Ich hätte nahezu Gewissheit, wenn es sich um mir bekannte Schilde handelt würde – allerdings hätten wir in diesem Fall gar nicht erst zu diesem Mittel greifen müssen, nicht wahr?" Ein schmales Lächeln, bevor der Deutsche ernster wurde. "Doch selbst wenn ich auch jetzt noch nicht seine Schilde einreißen kann, sollten sie instabil genug sein, um seinen Namen zu erfahren. Und wie du selbst schon festgestellt hast, sollte das genug sein. Es ist direkt bewundernswert, dass er so lange durchgehalten hat." Er neigte den Kopf leicht zur Seite, während sich seine Augen verengten. "Sie haben vor, von ihm zu lernen, nicht wahr?" "Was sonst? Alles andere wäre nur Verschwendung. Und selbst wenn sich seine Methode nicht dazu eignet, als Standard an der Schule gelehrt zu werden, hindert es uns nicht daran, sie in besonderen Fällen zusätzlich zu lehren." Er nickte langsam. "In dem Fall sollten Sie aber sorgfältig wählen", warf er dann leise ein. Schneider schien belustigt. "Du hast dir doch früher nicht so große Sorgen um mich gemacht, Crawford." "Früher hatten Sie mir auch noch nicht vorgemacht, was möglich ist, wenn man nur hartnäckig genug ist." Sein Tonfall geriet ausgesprochen trocken, während er den Gedanken von sich schob, dass das nicht der einzige Grund war. Die Belustigung vertiefte sich. "Von dir kommend ist das ausgesprochen ironisch." Und damit wandte sich Schneider wieder der Tür zu. Und sie machten sich auf den Weg. ~TBC~ Kapitel 43: "Sie wollen, dass ich mir die Visitenkarte zunutze mache, die ich immer noch habe?" ----------------------------------------------------------------------------------------------- "Gestern hat er sich nicht mehr gerührt. Aber heute Morgen war er wieder auf den Beinen, weswegen wir ihm Frühstück gebracht und ihn dann wieder in Ruhe gelassen haben." Schneider nickte verstehend. "Und konnten Sie in der Zeit schon etwas auffangen?" Herr Rieger schüttelte den Kopf. "Es ist nicht so, als wäre nichts durchgekommen, allerdings war es zu zerhackt, um es in der Kürze der Zeit verstehen zu können. Und ich wollte Ihnen nicht ins Handwerk pfuschen, weswegen ich den Kontakt mit ihm so weit wie möglich eingeschränkt habe." "Gut", meinte Schneider, lächelte dann. "Auf jeden Fall sieht es ganz so aus, als hätte mein Versuch Erfolg gezeitigt, wir sollten also in Kürze mehr wissen." Der andere Telepath nickte, trat anschließend beiseite, um Schneider den Weg in das Zimmer freizumachen. "Ich werde hier warten." Eine Augenbraue ging nach oben, doch Schneider kommentierte die offensichtliche Besorgnis um sein Wohlergehen nicht, sondern befahl ihm mit einer knappen Geste, ihm zu folgen. Der Unbekannte – noch – saß drinnen auf dessen Bett, das Gesicht in beiden Händen vergraben. Als ihr Eintreten gehört wurde, blickte der Mann allerdings auf und erlaubte ihnen so, dessen blasse Gesichtsfarbe zu sehen, ebenso wie den Schweiß, der ihm auf die Stirn getreten war. Es war Schneider, der unmittelbar fixiert wurde. Er selbst schien für den Anderen hingegen völlig uninteressant. "Was haben Sie mit mir gemacht?" Die Anschuldigung hätte wutentbrannt ausfallen können, wenn sich der Andere nicht zu schwach dafür gefühlt hätte. So klang dessen Stimme einfach nur heiser und erschöpft. Der Deutsche zeigte sich unbeeindruckt und schenkte dem anderen Telepathen ein kühles Lächeln. "Nicht viel, ich habe lediglich dafür gesorgt, dass Sie endlich mit uns kooperieren, auch wenn es unfreiwillig ist. Mr. Franklin." Der Nachsatz kam nach einer wohlüberlegten Pause und Schneiders Lächeln hatte sich vertieft. Er hielt den Ruck unter Kontrolle, der durch ihn gehen wollte. Schneider hatte es tatsächlich geschafft. Und so zufrieden wie der Ältere gerade aussah, war der Name nicht das Einzige, was durch die Schilde des Anderen drang. Wenn dessen Schilde diesen Namen überhaupt noch verdienten. Franklin hatte eine Reaktion nicht unterdrücken können, hatte jetzt alle Farbe aus dem Gesicht verloren und war in sich zusammengesackt. "Wollen Sie mir den Rest erzählen oder soll ich es mir aus Ihrem Kopf holen?" Schneider klang nun beinahe liebenswürdig, was kein gutes Zeichen schien. Und eine Antwort wurde gar nicht erst abgewartet. Als wäre sich der Deutsche bereits sicher, wie sie ausfallen würde, wandte sich Schneider ihm zu. "Crawford, du schreibst das Wichtigste kurz mit und gibst es dann weiter." "Natürlich, Herr Schneider." Nagi würde zweifellos schnell noch mehr Informationen herausfinden können, sobald der Japaner erstmal eine Ausgangsbasis hatte. Und dann- Sein Gedankengang wurde dadurch unterbrochen, dass Franklin auf die Füße sprang und ihn anstarrte. "Sie sind Crawford!" Der andere Mann biss die Zähne zusammen, schüttelte dann den Kopf, als wollte er etwas abschütteln. "Nun ja", gab er ruhig zurück, ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen. "Aber das sollte für Sie nichts Neues sein. Denn mein Gesicht schienen Sie ja bereits zu kennen." Immerhin hatte der Partner des Telepathen damals sein Gesicht getragen, als sie Schuldig über den Weg gelaufen waren. Franklin schien ihm nicht zugehört zu haben, sondern sprach weiter, ohne auf seine Worte zu reagieren. "Sie haben sie umgebracht, Sie haben Toshiko getötet!" Der Mann versuchte, sich auf ihn zu stürzen, doch Schneider hielt ihn mühelos zurück, drückte ihn zurück aufs Bett. "Lassen Sie besser diese Dummheiten", wurde Franklin dann gewarnt, tonlos jetzt. Er selbst war damit beschäftigt, sich daran zu erinnern, warum ihm der Name bekannt vorkam. Und da sich die Zahl der Personen in Grenzen hielt, bei der er persönlich hatte Hand anlegen müssen, wurde er schnell fündig. Aber konnte das wirklich sein? Sein Blick richtete sich auf Schneider, der unverändert auf Franklin konzentriert war. Doch seine Aufmerksamkeit wurde bemerkt und kurz darauf richteten sich eisblaue Augen auf ihn. "Es scheint so, als wäre tatsächlich unsere Mitarbeiterin aus dem Japan-Büro gemeint. Nur dass sie, wie wir damals schon vermutet hatten, niemals wirklich zu uns gehört hat." Schneider zeigte ein schmales Lächeln, er war sich nur nicht ganz sicher, was es hervorgerufen hatte. Ohne weiter auf diese neuen Erkenntnisse einzugehen, begann Schneider ihm dann ein paar knappe Fakten zu nennen, die sich der Ältere geradewegs aus dem Kopf des anderen Telepathen geholt haben musste. Anscheinend war es ihm jetzt nur noch umso wichtiger, endlich herauszufinden, wer eigentlich hinter diesen fremden Talenten steckte. Und genau zu diesem Punkt schien der Deutsche noch nicht vorgestoßen zu sein, egal, wie sehr Franklins Schilde bereit korrumpiert waren. Er notierte sich die Informationen rasch und nach einem rückversichernden Blick auf den anderen Mann, der inzwischen wieder alle Energie verloren zu haben schien und nicht einmal im Ansatz wie eine Bedrohung wirkte, verließ er den Raum. Herr Rieger wartete unverändert draußen, schien überrascht, ihn so schnell wiederzusehen. "Benötigen Sie Unterstützung?", wurde er sofort gefragt. "Nicht nötig. Herrn Schneiders Methode war ausgesprochen erfolgreich und ich habe ein paar Daten, die ich Nagi weitergeben kann. Dann werden wir ja sehen, wer von beiden schneller ist." Der Ältere erlaubte sich einen Anklang von Belustigung. "Das ist ein Punkt, bei dem ich lieber nicht wetten möchte." Verständlich, wie er fand und mit einem Neigen des Kopfes bekundete. Anschließend zog er sich ins Wohnzimmer zurück und rief Nagi an, der sich sofort an die Arbeit machte und versprach zurückzurufen, wenn sich etwas ergeben sollte. Als er sein Handy wieder weglegte, hatte er Gesellschaft bekommen. Stephan musterte ihn für einen Moment, lächelte dann. "Das Rätsel steht also kurz davor, gelöst zu werden?" "Davon gehe ich aus. Ich bezweifle, dass dieser Telepath Herrn Schneider täuschen kann und selbst wenn es ihm noch für eine Weile gelingen sollte, weitere Informationen zurückzuhalten, werden wir eben über Nagi mehr erfahren." "Wir könnten ansonsten auch Julia fragen, sie ist ziemlich gut mit solchen Sachen." "Lass uns einfach-" Er wurde dadurch unterbrochen, dass sein Handy sich meldete und beinahe hastig nahm er ab. "Du kennst ihn bereits", meinte Nagi übergangslos und völlig unverständlich. "Ihn?" "Den Chef von diesem Franklin. Kaum hatte ich die Daten eingegeben, erhielt ich einen Hinweis auf eine frühere Suche von mir. Und auch wenn ich noch nicht prüfen konnte, ob es sich nicht einfach nur um eine zufällige Übereinstimmung handelt, wäre das ein zu großer Zufall, als dass ich daran glauben könnte." Er atmete hörbar aus. "Das ist alles sehr interessant", gab er dann trocken zurück, "aber ich hätte gerne einen Namen." "Natürlich, Crawford. Es handelt sich um Herrn Walter, den Mann, der dich anwerben wollte." Es verschlug ihm die Sprache, auch wenn er es später nicht zugeben würde. Und seine Gedanken weilten ganz woanders, während er sich bei Nagi bedankte und ihn bat, sich wieder zu melden, wenn er zu neuen Erkenntnissen gelangen sollte. Herr Walter, wirklich? Das sollte weit hergeholt sein, doch dann wiederum war es plausibler, wenn die beiden Ereignisse tatsächlich in Zusammenhang standen. Wenn Herr Walter wusste, wer er war, wurde dessen Angebot sehr viel verständlicher. Eine Hand legte sich auf seinen Unterarm und holte ihn zurück. Stephan sah ihn fragend an. "Hat er wirklich so schnell etwas herausgefunden?" Er nickte automatisch, während er sich erhob. "Natürlich noch unbestätigt, doch es würde mich wundern, wenn er falsch liegt." Und es sollte jetzt sehr einfach sein, herauszufinden, ob sie richtig lagen. Der Tracer sah zwar neugierig aus, hielt ihn aber nicht zurück, als er das Zimmer verließ. Und Herr Rieger warf ihm zwar einen verwunderten Blick zu, als er ihn passierte, verzichtete jedoch auf Fragen. Mit einem Blick erfasste er, dass sich an der Situation nicht viel geändert hatte. Franklin saß unverändert auf dem Bett und schien weiterhin Widerstand zu leisten, so gut es ihm möglich war. Schneider machte das nicht viel aus. Der Deutsche stand jetzt gegen die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete von dort aus den anderen Telepathen. >Haben Sie schon mehr herausgefunden?<, erkundigte er sich wortlos. Eisblaue Augen richteten sich auf ihn und die Mundwinkel des Älteren kurvten leicht nach oben. >Nicht viel. Anscheinend hat ihn mein erster Durchbruch seine letzten Kräfte mobilisieren lassen. Es wird nicht lange vorhalten, weshalb ich lieber abwarte. So ist die Gefahr geringer, dass er geschädigt wird.< >Ich denke, Ihr Warten ist beendet.< Schneider zog eine Augenbraue hoch, las dann aber schon, was geschehen war. Das Lächeln vertiefte sich, bevor ein knappes Nicken in Franklins Richtung erfolgte. >Gut, versuch dein Glück.< Er erwiderte das Lächeln, bevor er sich dem anderen Mann zuwandte. Und seine Gegenwart wurde wieder zur Kenntnis genommen, auch wenn es nur als düsteres Glühen im Blick des Telepathen war. "Mr. Franklin, haben Sie von dem Angebot gewusst, das mir Herr Walter gemacht hat? Wenn alles etwas anders gelaufen wäre, könnten wir jetzt Kollegen sein." Der Andere zuckte zusammen und verlor das bisschen an Farbe, das zwischenzeitlich in dessen Gesicht zurückgekehrt war. Und Franklins Empörung überwand dessen Loyalität. "Ihnen? Obwohl er wusste, was Sie Toshiko angetan haben?" Er antwortete nicht auf die sowieso nur rhetorisch gemeinte Frage, erlaubte sich lediglich ein schmales Lächeln. "Vielen Dank für die Bestätigung." Der Blick wurde hastig abgewandt, doch im Moment schien der Ausrutscher Franklin nicht wirklich leidzutun. Was sich später ändern mochte, doch dann war es sowieso zu spät. Ohne ihn anzusehen oder auf seine Bemerkung einzugehen, sprach der Mann weiter. "Warum mussten Sie Toshiko töten? Sie hat doch rein gar nichts getan, nur Ihre Gruppe beobachtet." Schneider hatte sich von der Wand wegbewegt, auf den anderen Mann zu, der gar nicht anders konnte, als die Annäherung zu beobachten, argwöhnisch und nicht nur ein kleines bisschen vorsichtig. "Sie sollten wissen, dass Sie Crawford zu Unrecht beschuldigt haben…" Die ruhige Anmerkung schien Franklins Argwohn nicht zu besänftigen und eine Grimasse huschte über dessen Gesicht. "Sie können mir viel erzählen. Das heißt noch lange nicht, dass ich Ihnen glaube." "Sie sind doch Telepath, Sie sollten beurteilen können, ob eine Erinnerung echt ist, nicht wahr? Ich gebe zu, dass Crawford auf diese Frau geschossen hat, doch es war keine schwere Verletzung, sie sollte nur aufgehalten werden. Getötet wurde sie durch eine Giftkapsel." Und bevor Franklin weiter protestieren konnte, schien Schneider ihm die versprochene Erinnerung zu senden. Der andere Telepath erstarrte regelrecht, schien völlig in sich selbst versunken, als die Bilder hin und her gewendet wurden, nach einer Lüge abgesucht. Doch Schneider hatte es nicht nötig zu lügen, wie er sehr wohl wusste. Und Franklin kam zum selben Ergebnis. "Aber warum…", flüsterte der Mann. Schneider hatte die Stirn gerunzelt. "Es könnte damit zu tun haben, dass sie uns nicht einfach nur beobachtet hat. Sie hatte eine Waffe in unser Büro geschmuggelt und ich nehme an, dass sie das nicht aus Spaß getan hatte." Franklin schüttelte den Kopf und Leugnen mischte sich mit Unglauben in dieser Geste. "Das war nicht ihr Auftrag. Herr Walter hätte so etwas niemals befohlen." Er klang sich sehr sicher und dann war es da, früher als erwartet. Das Bedauern. Was ihn wieder das Wort ergreifen ließ. "Vergessen Sie nicht, es war nur noch eine Bestätigung. Sie hatten letztendlich keine Chance. Und Herr Walter wird das sicher abschätzen können." Der Eindruck, den er von dem Mann gewonnen hatte, mochte nur auf zwei Begegnungen basieren, doch er glaubte nicht, dass er trog. Dass Franklins Miene sich daraufhin etwas entspannte, schien das zu bestätigen. Und das wiederum bedeutete, dass die Gruppe von Talenten ihnen keine großen Schwierigkeiten bereiten sollte. Sie waren viel zu… brav… dazu. Sein Blick suchte unwillkürlich den von Schneider, der auf diesen Gedanken hin zustimmend nickte. Dem folgte ein schmales Lächeln. >Es könnte hilfreich sein, mit Herrn Walter zu reden, bevor wie zuschlagen. Was mir nicht gefällt ist die Sache mit Japan. Franklin hat uns nichts vorgespielt, er ist aufrichtig davon überzeugt, dass diese Toshiko uns einfach nur beobachten sollte. Mit welchem Ziel, ist selbst ihm nicht klar. Doch ein möglicher Anschlag scheint ihm völlig unverständlich. Genauso wie die Tatsache, dass sie sich selbst getötet hat.< >Mit ihm reden, hm?< Ohne es zu merken, begann er ebenfalls zu lächeln. >Sie wollen, dass ich mir die Visitenkarte zunutze mache, die ich immer noch habe?< Ein Mundwinkel zuckte. >Sollte ich mir Sorgen machen, weil du sie nicht weggeworfen hast?< >Diese Entscheidung überlasse ich ganz Ihnen<, gab er ungerührt zurück, bevor er ernster wurde. >Was machen wir mit ihm?< >Ich denke, wir geben ihn Herrn Walter zurück. Als Geste des guten Willens.< Er ertappte sich dabei, mit den Fingern gegen seinen Oberschenkel zu trommeln. >Sie haben tatsächlich vor, ihn letztendlich für sich arbeiten zu lassen…<, stellte er schließlich fest. Schneider… erwiderte einfach nur seinen Blick aber sagte nichts zu seiner Vermutung. ~TBC~ Kapitel 44: "Fühlen Sie sich eigentlich nie schlecht, weil Sie alles und jeden für Ihre Zwecke einzuspannen versuchen?" ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Er war ein wenig überrascht, als Herr Walter selbst auf seinen Anruf reagierte, statt dass eine Sekretärin vorgeschaltet war. Aber er hielt sich nicht lange mit seiner Verwunderung auf, schließlich bedeutete dies ein Problem weniger. "Guten Tag, Herr Walter. Hier Crawford. Ich hoffe, ich störe Sie nicht." Er sprach anfangs auf Japanisch, um es dem Mann leichter zu machen, ihn einzuordnen, wechselte dann unmittelbar zu Deutsch. Was immerhin Herrn Walters Muttersprache war. Und es gab keinen Grund mehr, ihm etwas vorzuspielen. Am anderen Ende herrschte für ein paar lange Sekunden Schweigen, bevor der Deutsche reagierte. Und dieser schaffte es nicht, die Überraschung aus seiner Stimme herauszuhalten. "Herr Crawford… Nein, Sie stören nicht. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht mehr erwartet hatte, von Ihnen zu hören." Er legte seinerseits eine kurze Pause ein, tauschte einen kurzen Blick mit Schneider aus, der das Gespräch problemlos mitverfolgen konnte. Auch ohne auf Lautsprecher zu schalten. In den eisblauen Augen stand Amüsement, als Schneider seine gewählte Antwort las, bevor er sie gab. "Nun, es wäre wahrscheinlich auch nicht geschehen. Wenn mich nicht Herr Franklin davon überzeugt hätte, dass wir uns doch einmal unterhalten sollten." Dieses Schweigen hatte eine ganz andere Qualität, aber trotzdem schaffte es Herr Walter, ihn aus dem Konzept zu bringen, als dieser plötzlich auflachte. Aber es steckte nicht viel Humor darin. "Nachdem Sie mein persönliches Angebot ausgeschlagen haben, bin ich etwas überrascht, dass ausgerechnet Herr Franklin uns doch noch zusammenführt. Und es freut mich endlich zu hören, wo er abgeblieben ist. Ich hoffe, es geht ihm gut?" Letzteres in einem sehr neutralen Tonfall. Schneider nickte, weswegen er es unwillkürlich ebenfalls tat, auch wenn Herr Walter das nicht sehen konnte. "Natürlich. Er wird mich sicher gerne zu einem Treffen mit Ihnen begleiten. Wenn Sie es kurzfristig einrichten können? Wir sind unverändert in der Stadt, in die ihn sein letzter Auftrag geführt hat." "Ich verstehe." Er konnte hören, wie Herr Walter im Hintergrund ein paar Worte mit einem unbekannten Gesprächspartner austauschte, dann hatte er auch schon die Aufmerksamkeit des Älteren zurück. "Ich könnte mit dem Flieger heute Abend dort sein. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich jemanden mitbringe?" Er brauchte Schneiders Zustimmung nicht abzuwarten, schließlich würde es ihnen nicht schwerfallen, auch einen Begleiter zu überwachen. Selbst wenn es sich um ein Talent handeln sollte. "Das ist kein Problem. Ich möchte nur betonen, dass es mir wirklich wichtig ist, dass Sie persönlich anwesend sind." Herr Walter brauchte einen Moment, um zu verstehen, worauf er hinauswollte. Doch dann bildete er sich ein, dessen Lächeln direkt vor sich zu sehen. "Dessen können Sie sich sicher sein. Die Fähigkeiten meines Mitarbeiters sind eng begrenzt und es sollte ihm schwerfallen, mich zu vertreten." Er zwinkerte, übersetzte dann die Worte des Anderen. Anscheinend konnte dieser… Gestaltwandler… nicht jedermann nachahmen. Und wenn der Mann ausgerechnet ihm ähnlich genug sah, um dank seines Talents Schuldig täuschen zu können, sollte es für ihn tatsächlich schwierig sein, als Herr Walter aufzutreten. Schneider dachte genauso, wie ihm ein kurzer Austausch bestätigte, doch auch wenn sie zum selben Schluss gekommen war, hieß das nicht, dass sie Herrn Walters Wort ohne weiteres glauben würden. Doch ein Telepath am Flughafen würde völlig ausreichen, um die Zweifel zu beseitigen. "Ich verstehe", erwiderte er daher. "In dem Fall werde ich Sie in Kürze noch einmal anrufen. Dann können Sie mir mitteilen, wann genau Sie hier eintreffen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie abgeholt werden." Herr Walter hätte ablehnen können, denn auf diese Weise würden sie alle Karten in der Hand haben. Doch dem Deutschen schien sein Mitarbeiter nicht gleichgültig zu sein. Und es würde ihn nicht wundern, wenn Herr Walter bereits erkannt hatte, dass dieser letztendlich keine Wahl hatte. Sie hatten ihn identifiziert und wenn der Ältere nicht sein bisheriges Leben hinter sich lassen wollte, mussten sie zu einer Einigung gelangen. "Natürlich, Herr Crawford." Nach nur einem minimalen Zögern. Und dann verabschiedete sich der Ältere leise. Er legte sein Handy beiseite, suchte dann wieder Schneiders Blick. "Das war… einfach." Der Deutsche schien amüsiert. "Was hast du erwartet? Er steht unter Zugzwang, wie du schon selbst festgestellt hast." Seine Hand bewegte sich von allein, in einer suchenden Geste. "Aber nachdem wir so viel Arbeit investiert haben, scheint sich alles so einfach in Wohlgefallen aufzulösen…" Ein Mundwinkel zuckte nach oben, bevor seine Hand eingefangen und gedrückt wurde. "Du willst mir nicht ernsthaft erzählen, dass es dir anders lieber wäre?" Dann wurde die Miene des Älteren ernst. "Und vergiss nicht, dass mit dem Vorfall im Japan-Büro irgendetwas faul zu sein scheint. Es ist schon… unangenehm… genug, dass diese Frau sich damals so bei uns einschleichen konnte. Solange ich von einem Einzelfall ausgehen konnte, war das nicht weiter wesentlich. Doch jetzt kann es sehr wohl sein, dass sie dort noch mehr Leute haben. Und vielleicht sogar welche, die Herr Walter nicht mehr so ganz unter Kontrolle hat. Es ist natürlich möglich, dass Herr Walter Herrn Franklin einfach über ein paar Sachen im Dunkeln gelassen hat, aber…" Ja, aber… Franklin schien sich seiner Einschätzung sehr sicher zu sein und so etwas kam nicht von ungefähr. Er nickte. "Also sollte ich nicht zu früh enttäuscht sein, dass alles so einfach seine Auflösung findet…", meinte er dann mit leiser Selbstironie. Und Schneider erlaubte sich ein amüsiertes Lächeln, das sich wieder verlor, als sich seine Gedanken dem bevorstehenden Treffen zuwandten. "Wir werden Herrn Rieger vorschicken, um die beiden abzuholen, nicht wahr?" Auf diese Weise konnte der Telepath sicherstellen, dass Herr Walter nicht irgendwelche Dummheiten plante. "Hm, ja. Und die anderen Ex werden sich im Hintergrund halten. Sicherheitshalber." "Was ist mit Ihnen?" Eine Augenbraue rutschte nach oben. "Schon wieder, Crawford?" Er weigerte sich, darauf einzugehen, presste lediglich flüchtig die Lippen zusammen und hielt Schneiders Blick fest, bis der mit einem amüsierten Seufzen nachgab. "Keine Sorge, ich werde mich ebenfalls im Hintergrund halten. Auch während deines Gesprächs mit Herrn Walter. Was aber nicht heißt, dass ich außer Reichweite bin. Auf diese Weise haben wir auch noch meine Leute vor Ort. Was kann da noch schiefgehen…" Ihm entkam unwillkürlich ein leises Schnauben. "Das mussten Sie jetzt sagen, ja? Ein Glück, dass ich nicht abergläubisch bin." "Natürlich, das will ich mir auch verbeten haben." Immer noch amüsiert. Unbeeindruckt sah er den Älteren an, bevor er sich vergewisserte: "Sie versprechen, dass Sie es sich nicht plötzlich anders überlegen?" Natürlich hatte er sich vorgenommen, nicht mehr so misstrauisch zu sein. Doch in diesem Fall spielte etwas anderes hinein. Schneider lehnte sich zurück, schüttelte leicht den Kopf. "Crawford, du solltest mir zutrauen, mich um meine Sicherheit kümmern zu können. Aber wenn du darauf bestehst, verspreche ich es dir. Außergewöhnliche Umstände ausgenommen, natürlich." Zuletzt war der Deutsche ernst geworden und jetzt erst wurde ihm bewusst, dass Schneider ihn seinerseits sozusagen an die vorderste Front ließ. "Vielleicht habe ich ganz einfach mehr Vertrauen in unser aller Talente", merkte der Ältere zu diesem Gedanken an, bevor dessen Mundwinkel wieder nach oben kurvten. "Und ganz besonders in mein eigenes." Das in diesem Fall wirklich nützlicher war als seins, wie er zugeben musste. Da dieses bisher rein gar nichts zum Ausgang beizutragen hatte. Was er alles in allem eher positiv als negativ wertete. "Hm, du solltest die beste Wahl sein, auch wenn Herr Walter wohl auch mit jedem anderen von uns gesprochen hätte. Gezwungenermaßen. Aber mit etwas Kooperation von seiner Seite sind die Chancen größer, dass wir seine Leute in Zukunft auch für uns nutzen können." "Nur die Talente, nicht seine Beziehungen?" Immerhin wollten sie hier nicht nur eine Schule aufbauen. SZ war schon immer sehr viel größer gewesen, hatte ganz andere Pläne. Die Talente waren nur ein Mittel zum Zweck. Schneiders Regime… würde daran wohl nichts Grundsätzliches ändern. Das Leben wäre schließlich sehr langweilig ohne eine vernünftige Aufgabe. Schneiders Lächeln wurde ausgeprägter. "Ich gebe zu, die sind auch ganz interessant." "Fühlen Sie sich eigentlich nie schlecht, weil Sie alles und jeden für Ihre Zwecke einzuspannen versuchen?" Dieses Mal war er es, der belustigt lächelte. "Ich setze einfach nur um, was mir beigebracht wurde. Und solange ich damit durchkomme, beweist es nur, dass ich im Recht bin." Ungerührt. Und bevor er irgendetwas darauf erwidern konnte, lehnte Schneider sich vor, um ihn zu küssen. Was seine Gedanken vollkommen entgleisen ließ. "Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Moment dafür", meinte er, nachdem er wieder in der Lage dazu war. Und missachtete ohne Probleme, dass er viel zu leicht auf den Kuss eingegangen war. Schneider ignorierte seinen verspäteten Widerspruch ganz einfach. "Herr Walter sollte jetzt genug Zeit gehabt haben, meinst du nicht auch? Ruf ihn wieder an. Danach können wir Herrn Rieger und die anderen Ex informieren." "Und dann?", konnte er es nicht lassen, trocken zu fragen. Schließlich schien der Ältere gerade so schön in Schwung zu sein. Der schenkte ihm ein belustigtes Lächeln, ohne sich beleidigt zu fühlen. "Danach können wir versuchen, noch mehr von Herrn Franklin zu erfahren. Damit nutzen wir die Zeit wenigstens sinnvoll." Dem konnte er kaum widersprechen. Er hätte gar nicht erst versuchen sollen, Schneider aufzuziehen. Im Moment wusste er nicht einmal zu sagen, was ihn überhaupt geritten hatte. "Du musst noch ein bisschen üben. Aber es ist ein Anfang." Die Antwort auf seinen unausgesprochenen Gedanken war nicht wirklich eine. Was aber deutlich war, war die Zufriedenheit des älteren Mannes. Er hielt ein Seufzen zurück, griff dann nach dem Handy. Das würde ihn wenigstens auf andere Gedanken bringen. Herr Rieger musste überzeugt gewesen sein, dass Herr Walter nichts Schlechtes im Schilde führte, denn der Telepath hatte ihn und dessen Begleiter unmittelbar zu dem Restaurant gebracht, wie ihm ein Blick auf die Uhr verriet, als er sie hereinkommen sah. Er erhob sich, als die drei zu seinem Tisch geführt wurden und auch wenn Herrn Walters Miene leicht angespannt war, verriet sonst nichts, dass das hier mehr als ein gewöhnliches Geschäftsessen werden sollte. Als nächstes streifte sein Blick den anderen Mann. Der war nicht weniger gut gekleidet als der Deutsche, doch gleichzeitig wirkte er… rauer. Es gelang ihm nicht, den Eindruck an etwas Bestimmten festzumachen. Vielleicht lag es ganz einfach an der Haltung oder dem Blick, der das ganze Restaurant einzufangen versuchte, bevor dieser sehr abrupt auf ihm zu ruhen kam. Ungerührt schenkte er ihm ein begrüßendes Lächeln, das etwas echter wurde, als er sich danach Herrn Walter zuwandte. Der anscheinend einen Moment brauchte, um sich zu einer Reaktion durchzuringen, dann aber auch lächelte. "Guten Abend, Herr Crawford." "Guten Abend, nehmen Sie doch Platz. Ich hoffe, die Speisen hier werden Ihnen zusagen." Das Lächeln geriet etwas schief, bevor der ältere Mann und dessen Begleiter seiner Einladung folgten. Und Herr Rieger setzte sich auf den letzten noch freien Stuhl neben ihm. Zu seiner leichten Überraschung war es Herr Walter, der als erster das Wort ergriff. Bevor das zwischen sie gefallene Schweigen unangenehm werden konnte. "Ich hatte nicht erwartet, dass wir uns in einem Restaurant treffen. Und dass wir uns auf diese Weise wiedersehen, hat etwas… Surreales." Er konnte dem nur zustimmen, wenn auch aus einem völlig anderen Grund. Denn die flüchtige telepathische Berührung, mit der Schneider ihm in diesem Moment versicherte, dass der Deutsche trotz seiner physischen Abwesenheit sehr wohl anwesend war, hatte seine Gedanken flüchtig abschweifen lassen. In Richtung des Abends zuvor, der auf einmal sehr weit entfernt schien. Und statt Schneider nun Herrn Walter vor sich haben, war wirklich… surreal. Hastig rief er sich selbst zur Ordnung und schickte einen unamüsierten Gedanken in Richtung des Telepathen. Die Belustigung, die ihn gleich darauf streifte, sagte ihm, dass er verstanden worden war. Und brachte ihm einen seltsamen Blick von Herrn Rieger ein. Beides ignorierend, antwortete er endlich auf Herrn Walters Bemerkung. "Ich muss zugeben, dass ich nicht wirklich mit einem Wiedersehen gerechnet habe." Auch wenn er nichts dagegen hatte, wie er innerlich hinzufügte. Wenn nicht ausgerechnet die Umstände gewesen wären… Herr Walter war immerhin ein interessanter Gesprächspartner. "Nun, Sie waren es, der uns hierher gebracht hat, nicht wahr?" Die Stimme von Herrn Walters Begleiter klang zu scharf, um als höflich durchgehen zu können. "Patrick." Eine leise Mahnung, die es dennoch schaffte, den Anderen kalt zu stoppen. Und dann richteten sich grau-grüne Augen wieder auf ihn. "Herr Crawford, darf ich Ihnen meinen Assistenten Patrick Long vorstellen?" Er neigte den Kopf und erhielt ein widerwilliges Nicken zurück. Dann erlaubte er sich ein schmales Lächeln, auch wenn es an Herrn Walter gerichtet war. "Er hat in diesem Punkt allerdings Recht. Und wir hätten wirklich gerne ein paar Informationen von Ihnen. Zuallererst, warum genau Sie es für erforderlich befunden haben, Schuldig anzusprechen." Schneider mochte sich das auch direkt aus dem Kopf des anderen Mannes holen können, doch das wäre unhöflich gewesen. Und da der Telepath anscheinend wirklich vorhatte, Herrn Walter künftig für sich einzuspannen, war zunächst einmal Rücksichtnahme angesagt. Herr Walter lehnte sich zurück und er brauchte einen Moment, um den aufblitzenden Ausdruck zu identifizieren. "Ob Sie es glauben oder nicht, das habe ich Ihnen bereits verraten." Die Selbstironie war nun auch in dessen Tonfall zu erkennen. Der Deutsche setzte dazu an, weiterzusprechen, wurde aber durch das Erscheinen der Bedienung gestoppt. Und dieses Mal war er es, der ein schmales Lächeln erhielt, bevor sie sich alle auf den Mann konzentrierten, um zu erfahren, was an diesem Abend empfehlenswert war. ~TBC~ Kapitel 45: "Alles in allem war es eine Reihe seltsamer Zufälle, die meine Aufmerksamkeit darauf lenkte, dass es überhaupt Leute wie Sie gibt" ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Erst als sie wieder unter sich waren, warf er dem anderen Mann einen auffordernden Blick zu und Herr Walter hatte kein Problem damit, ihn korrekt zu interpretieren. Für einen Moment schien der Ältere sich nicht entscheiden zu können, ob er sich ein weiteres Lächeln abringen konnte, schließlich beließ es Herr Walter aber bei einem kaum wahrnehmbaren Seufzen. "Wie schon gesagt, Sie kennen die Wahrheit bereits. Ich wollte Sie für die Idee gewinnen, künftig für mich zu arbeiten." Er wusste nicht, ob er das so ganz glauben konnte und stellte daher die erste Frage, die ihm durch den Kopf schoss. "Warum sind Ihre Leute nicht direkt zu mir gekommen und warum haben Sie ausgerechnet Herrn Franklin mitgeschickt, wenn der so schlecht auf mich zu sprechen war?" Herr Walter musterte ihn für einen langen Augenblick, antwortete dann aber, zuerst auf den zweiten Teil. Und den grau-grünen Augen schien sogar der leiseste Anflug von Humor zu stehen. "Er ist einer meiner besten Telepathen und ist mit den entsprechenden Schilden ausgestattet. Wir wollten versuchen, mehr über Ihre Gruppe zu erfahren und gleichzeitig verhindern, dass Sie den Spieß umdrehen. Natürlich habe ich unterlassen, ihm zu verraten, dass mein Ziel war, Sie zu rekrutieren. Falls es sich als machbar erweisen sollte, heißt das. Herr Franklin stand unter dem Eindruck, dass es lediglich um Sicherheitsbedenken ging." Wieder wurde er gemustert, doch jetzt war da nur noch Ernst. "Und warum wir es zuerst bei Ihren Kollegen versucht haben? Nun, es schien das geringste Risiko, so vorzugehen. Immerhin wussten wir, dass Sie Ihre Gruppe leiten." Er tauschte unwillkürlich einen Blick mit Herrn Rieger aus, der knapp nickte. Anscheinend war Herr Walter aufrichtig mit ihnen. Dem entging die Geste nicht und bevor er eine weitere Frage stellen konnte, sprach der Deutsche wieder. "Reicht das erstmal, um Herrn Franklin zurück zu bekommen?" Herr Walter blieb unbeirrbar höflich, Herr Long hingegen runzelte finster die Stirn und schien sich nicht besonders wohl zu fühlen mit seiner aktuellen Hilflosigkeit. Seine Augen verengten sich kurz, als er dem Blick von Herrn Walters Begleiter begegnete, doch er erlaubte seiner Miene nicht, auf die stille Herausforderung in dessen Blick zu reagieren. Stattdessen konzentrierte er sich wieder auf Herrn Walter. "Sie müssen verstehen, dass das im Moment noch nicht möglich ist, aber Herr Franklin wird zu Ihnen stoßen, wenn wir uns heute voneinander verabschieden." Es hätte vielleicht ein 'falls' sein können, doch nachdem Herr Walter bisher so offen gewesen war, würde dieser sich sicher nicht plötzlich querstellen. Und damit würden sie das zusätzliche Druckmittel nicht mehr benötigen. Etwas flackerte in den grau-grünen Augen, Besorgnis womöglich, er konnte es nicht so schnell identifizieren. Und das war etwas, wo er Abhilfe schaffen konnte. Zumindest für den Moment. Er holte sein Handy hervor und wählte Stephans Nummer, sprach kurz mit dem Tracer. Und dann reichte er das Handy an Herrn Walter weiter. Dieser zögerte nicht lange das Angebot anzunehmen und vergewisserte sich nicht nur, dass er wirklich Herrn Franklin am Apparat hatte, sondern auch, dass dieser im Moment ausreichend freien Willen besaß, um ihm ein paar Fragen zu beantworten. "Überzeugt?", erkundigte er sich, als er sein Handy wieder weggesteckte. "Für den Augenblick, gewiss." Und Herr Walter erlaubte sich einen Hauch von Ironie in seine Worte zu legen. Er konnte es ihm nicht wirklich verübeln, aber nur weil er Herrn Walters Reaktion verstehen konnte, hieß das noch lange nicht, dass er seinen Vorteil jetzt schon aus der Hand geben würde. Und ein paar Fragen waren unverändert offen. Herrn Walters Miene hatte etwas Resigniertes, als dieser sich nun zurücklehnte und ihn mit einem Nicken dazu aufforderte, genau diese Fragen zu stellen. Es war schon etwas seltsam, dass der Ältere ihn so gut lesen konnte, doch er schob diesen Gedanken schnell wieder beiseite. Immerhin gab er sich auch nicht besonders viel Mühe, seine Überlegungen zu verbergen. Dann galt es erst einmal abzuwarten, bis ihre Getränke verteilt waren, doch anschließend hielt ihn nichts weiter zurück. "Wir haben bereits von Herrn Franklin erfahren, dass eine Ihrer Mitarbeiterinnen mir in Japan persönlich begegnet ist. Was wir jetzt gerne wissen möchten, ist, warum sie überhaupt dort war, in unserem Büro. Und warum sind Sie auf die Idee gekommen mich anzusprechen, wenn Sie bereits wussten, dass ich für jemand anderen arbeite?" Herrn Walter schienen die Frage nicht besonders zu überraschen und kurz zuckten sogar dessen Mundwinkel. "Ich würde an dieser Stelle ja anmerken, dass ich mich allmählich wie in einem Verhör fühle – aber das wäre unnötig, nicht wahr? Schließlich bin ich genau deswegen hier." Er hatte nicht den Eindruck, dass der Ältere ihn ablenken wollte, sondern die Bemerkung ganz einfach der ungewöhnlichen Situation geschuldet war. Weswegen er sich ein leichtes Lächeln erlaubte, ohne die Ironie zurückzuhalten. "Ich hoffe, dass zumindest das Ambiente angenehmer ist, als man es sonst unter solchen Umständen erwarten könnte." Herr Long verzog das Gesicht, doch Herr Walter lächelte ebenfalls, wenn auch etwas widerwillig. "Das kann ich nicht abstreiten." Eine kurze Pause, die Herr Walter nutzte, um einen Schluck von dessen Wasser zu nehmen. "Dann sollte ich wohl besser auf Ihre Fragen eingehen, bevor Sie das Ganze woanders hin verlegen…" Ein weiterer Schluck und dann blieben die grau-grünen Augen fest auf ihn gerichtet. "Ich denke, Ihre zweite Frage ist schneller zu beantworten. Wir waren ganz einfach – fälschlicherweise – davon ausgegangen, dass Sie Ihre Zusammenarbeit mit dem Büro beendet hätten. Es war erst Anfang des Jahres, dass wir von unseren Leuten aus Japan die Information erhielten, dass das nicht der Fall ist. Weswegen ich Sie auch nicht noch einmal kontaktiert habe." Er nickte verstehend und nur innerlich seufzte er, während er irgendwo im Hintergrund ein Lachen zu vernehmen glaubte. Die ganze Arbeit, die sie sich gemacht hatten, um den Grund für das geheimnisvolle Zusammentreffen mit Schuldig herauszufinden. Ihre Befürchtungen, dass jemand sie beobachtete. Und dann steckte nur ein ganz simples Jobangebot dahinter… Es wäre beinahe nicht mehr als eine Ressourcenverschwendung, aber- >Ja, genau<, mischte sich Schneider an dieser Stelle ein. >Ohne das Ganze wüssten wir nicht, dass wir in Japan unter Beobachtung stehen. Und die Zwillinge hätten wir wahrscheinlich auch nicht in die Hände bekommen. Alles in allem finde ich, hat sich der Aufwand bereits gelohnt.< Herr Walter bekam von diesem Moment der Ablenkung nichts mit, sondern fuhr fort, nachdem dieser seine Gedanken kurz gesammelt hatte. "Was Japan angeht… muss ich wohl etwas weiter ausholen." Herr Long verschränkte die Arme vor der Brust und zog mit dieser Geste für einen Augenblick die Aufmerksamkeit des Deutschen auf sich. Was der andere Mann dafür nutzte, seinen Widerspruch auch laut zu äußern. "Willst du das wirklich tun?" "Ob ich es will, spielt hier überhaupt keine Rolle, Patrick." Herr Walter blieb ruhig, auch wenn da eine Unterströmung von Frust wahrzunehmen war. Und gerade das war es wahrscheinlich, was Herrn Long wieder in Schweigen verfallen ließ, wenn auch mit zusammengepressten Lippen. Die grau-grünen Augen kehrten zu ihm zurück und noch bevor der Ältere etwas sagen konnte, setzte er sich unwillkürlich aufrechter hin. Es war eine Reaktion auf die mentale Berührung von Schneider, ein Aufgepasst, das ganz ohne Worte auskam. Anscheinend hatte der Telepath bereits einen Teil von dem aufgefangen, was Herr Walter zu berichten hatte und die Information hatte echte Überraschung ausgelöst. "Frau Kato war dort, um ein Auge auf Herrn Schneider zu haben. Ganz einfach weil er unser einziger Anhaltspunkt war, was die Aktivitäten Ihrer Gruppe angeht." Er zwinkerte, nun ebenfalls überrascht. Natürlich war Schneider der Leiter des Japan-Büros gewesen und war in dieser Funktion auch in der Geschäftswelt bekannt gewesen. Aber wie ein Außenstehender auf die Idee kommen konnte, es mit einem Talent zu tun zu haben, war ihm vollkommen unklar. Umso interessierter lauschte er in der Folge den weiteren Ausführungen von Herrn Walter, der gar nicht erst versuchte, ihn auf die Folter zu spannen. "Alles in allem war es eine Reihe seltsamer Zufälle, die meine Aufmerksamkeit darauf lenkte, dass es überhaupt Leute wie Sie gibt. Und natürlich… das Interesse meines Vaters an etwas ungewöhnlichen Forschungsfeldern…" Herr Walter verzog flüchtig das Gesicht, schien dann innerlich etwas abzuschütteln. "Er war immer auf der Suche nach zukunftsträchtigen Investitionsmöglichkeiten und als eine Gruppe von Wissenschaftlern mit einer Idee an ihn herantrat, für die andere sie nur ausgelacht hätten, ging er das Risiko ein. Da abzusehen war, dass einige Methoden der Forscher eher fragwürdiger Natur sein würden, vor allem da Kinder involviert waren", an dieser Stelle wurde klar, warum der andere Mann zuvor wenig Begeisterung gezeigt hatte, "hielt sich mein Vater als Geldgeber natürlich im Hintergrund. Die Forschergruppe hatte bald Erfolg bei ihrer Suche nach Kindern mit besonderen Fähigkeiten und mit den Jahren wurden sie größer. Bis das Institut anscheinend die Aufmerksamkeit der falschen Leute auf sich zog." Ein vielsagender Blick in seine Richtung folgte, was er mit einem schmalen Lächeln quittierte. Und nichts an seiner ansonsten unbewegten Miene verriet, wie seine Gedanken rasten, als eine Verbindung hergestellt wurde, an die er noch nicht so ganz zu glauben vermochte. Seltsame Zufälle, wirklich… "Ich hatte zu der Zeit hier in Amerika studiert und keine Ahnung von diesen Vorgängen", zog Herrn Walters Stimme wieder seine Aufmerksamkeit auf sich. "Auch nachdem das Institut ausgeschaltet worden war, erfuhr ich nichts. Mein Vater begann mich lediglich in seine offiziellen Geschäfte einzubinden und ich war dabei, eine Niederlassung hier aufzubauen, als er starb." Eine kurze Pause folgte, bevor der Ältere weitersprach. "Es hätte alles ganz einfach so weitergehen können, ich hatte ausreichend Erfahrung gesammelt, um die Geschäfte nicht nur weiterzuführen, sondern auch ausbauen zu können. Vielleicht wäre die Geschichte, auf die Sie gestoßen sind, als Sie Erkundigungen über mich eingezogen haben, die einzige und volle Wahrheit geblieben." Eine gewisse Ironie lag in diesen letzten Worten, doch Herr Walter hielt sich nicht lange damit auf. "Aber es kam anders, da eines Tages einer der Wissenschaftler in meinem Büro auftauchte und um ein Gespräch bat." Eine Bewegung lenkte seine Aufmerksamkeit für einen Moment von Herrn Walter weg, hin zu Herrn Long, der seltsamerweise zur Seite geblickt hatte, ins Restaurant hinein, als würde dort plötzlich etwas sehr Interessantes passieren. Der Deutsche folgte seinem Blick, runzelte die Stirn, bevor dieser eine Hand auf den Unterarm seines Assistenten legte. Und diese Geste war genug, um Herrn Long zurückzuholen, von wohin auch immer dessen Gedanken abgedriftet waren. Bevor er auf die Idee kommen konnte, nachzuhaken, was da gerade geschehen war, schob sich Schneiders Stimme in seine Gedanken. >Es sieht ganz so aus, als hätte dieser Wissenschaftler nicht mehr lange gelebt, nach diesem Gespräch. Herr Walter war von dessen Ideen wenig begeistert und noch weniger von manchen der Unterlagen, die der Mann dabei hatte. Als dieser drohte, sich einen anderen Geldgeber zu suchen, beschloss Herr Long die Sache in die Hand zu nehmen und dies zu verhindern.< Schneider schwieg für ein paar lange Sekunden. >Die beiden haben nie darüber geredet, doch Herr Walter ahnt natürlich, was geschehen ist.< Hm… das hätte er keinen von beiden zugetraut. Herrn Long nicht die Tat und Herrn Walter nicht, dass dieser so einfach darüber hinwegging. Aber alles in allem… schien es jetzt wahrscheinlicher, dass Herr Walter künftig für sie tätig werden konnte. Ohne dass es zu viele Widerstände geben sollte. Denn auch wenn Schneider zweifellos dafür sorgen konnte, dass dieser seinen Willen bekam, machte es ein etwas flexibleres Gewissen Herrn Walter sicher leichter. >Ist dir wichtig, was er davon hält?< Der Telepath klang aufrichtig interessiert. Und er ertappte sich dabei, wieder Herrn Walter zu mustern, bevor er innerlich nickte. Das war es ihm tatsächlich. Er konnte Herrn Walters Arbeit respektieren und damit wünschte er ihm natürlich nicht den Kontrollverlust, dem dieser jetzt entgegensah. Dem anderen Mann war seine Musterung nicht entgangen und Herr Walter wollte gerade den Mund öffnen, um etwas zu sagen, als es mal wieder der Kellner war, der sie alle schweigen ließ. Nachdem vor jedem von ihnen ein Teller stand, schloss Herr Walter für einen Moment die Augen und dessen Gesicht nahm flüchtig einen verloren wirkenden Ausdruck an. Als hätte ihn die Normalität, die für die paar Minuten über sie hereingebrochen war, aus dem Gleichgewicht gebracht. Das Essen wurde gemustert, als würde es Antworten auf ungestellte Fragen in sich bergen, aber das tat es natürlich nicht. Wahrscheinlich waren sie alle froh, als Herr Rieger das Schweigen brach und einen guten Appetit wünschte, jedenfalls spürte er selbst, wie seine Lippen in ein leichtes Lächeln kurvten, auch wenn er in dieser Situation wohl genauso wenig Humor fand wie Herr Walter. Dessen grau-grüne Augen hatten sich wieder auf ihn gerichtet und statt Herrn Rieger zu antworten, waren die nächsten Worte an ihn gerichtet. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich Hunger habe." "Es macht nichts besser, wenn Sie nicht essen", gab er zurück, vollkommen logisch, auch wenn das in dieser Situation nicht unbedingt hilfreich war. Zumindest schien Herr Walter seiner Antwort ein wenig Belustigung abringen zu können, bevor dieser den Kopf senkte und sich daran machte, den Teller zu leeren. Mit mehr Pflichtbewusstsein als Begeisterung, aber selbst er hatte den Eindruck, als wäre die Mahlzeit seltsam fade, wie musste es da erst Herrn Walter gehen. >Du solltest es mit dem Mitgefühl nicht übertreiben. Du kennst ihn doch kaum.< Schneiders Bemerkung war nicht weniger logisch als seine eigene zuvor. Und sie war nicht wirklich hilfreicher. ~TBC~ Kapitel 46: "Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt…" ------------------------------------------------------------- >Gibt es etwas Bestimmtes, das ich ihn fragen soll?< Sein Teller war fast geleert, als er sich an Schneider wandte. Sie alle hatten sich mehr um ihr Essen als um ihre Unterhaltung gekümmert, anscheinend wollten ihre Gäste nicht die letzten Reste ihres Appetits verlieren, und er hatte keinen Grund gesehen, auf sofortige Antworten zu bestehen. Er würde sie auch so erhalten, das war ihm auch ohne jede Versicherung seines Talents klar. Statt auf diesen Gedankengang einzugehen und damit wieder darauf, dass er zu viel Rücksicht in Herrn Walters Fall nahm, reagierte Schneider nur auf die bewusst übermittelten Worte. >Ich denke, du benötigst meine Hilfe dabei nicht.< Humor unterlegte die Antwort. >Mach einfach so weiter wie bisher. Falls ich merke, dass Herr Walter etwas zurückzuhalten versucht, werde ich dich informieren.< Er nickte unwillkürlich, nur innerlich, doch irgendetwas schien ihn trotzdem zu verraten. Denn im selben Moment konnte er spüren, wie sich Herrn Walters Blick auf ihn richtete. Er hob die Augen vom Anblick seines Tellers und hielt dem Blick des älteren Mannes stand, ohne eine Regung zu zeigen. Bis der Deutsche zu einer Entscheidung gelangte und den eigenen Teller von sich schob. "Es ist wohl Zeit, die Geschichte zu einem Ende bringen…“ Leise genug, dass es auch ein Selbstgespräch hätte sein können. Nichtsdestotrotz neigte er den Kopf, nur ein paar Millimeter, doch dies schien Herrn Walter zu genügen. Der Fokus der grau-grünen Augen verschob sich für einen Moment, schien die Vergangenheit statt ihn zu sehen. Und als Herr Walter wieder zu sprechen anfing, ließ ihn das beinahe zusammenzucken, obwohl die Worte vollkommen sanft gesprochen waren. "Dieser… Wissenschaftler… hatte Unterlagen dabei, die zeigten, woran er mit seinen Kollegen gearbeitet hatte. Mehr als genug für mich, um zu sehen, warum mein Vater daran interessiert gewesen war. Doch die Art, wie sie es getan hatten…" Herr Walter verstummte und dessen Blick wurde auf einmal sehr scharf. "Ich hatte nicht vor, mich an so etwas zu beteiligen." Dieses Mal war sein Nicken nicht nur innerlich, denn aus irgendeinem Grund schien dieser Punkt dem Anderen wichtig zu sein. Und die Geste reichte tatsächlich aus, um Herrn Walter weitersprechen zu lassen. "Natürlich war ich daran interessiert zu erfahren, was eigentlich mit der Einrichtung geschehen war und der Mann erzählte mir das Wenige, das er wusste. Anscheinend war das Institut durch Ihre Leute eingenommen worden und danach hat er nie wieder etwas von ihnen gehört. Die Rettung des Wissenschaftlers war, dass er gerade ein Feldexperiment vorgenommen hatte. Er stand dabei mit Kollegen aus dem Institut in Kontakt und das entsprechende Video, als deren Labor gestürmt wurde, blieb auf seinem Laptop erhalten." Herr Rieger neben ihm versteifte sich leicht und auch er selbst spürte, wie er für einen Moment die Zähne zusammenbiss. Denn sie ahnten bereits, was als nächstes kommen würde. Immerhin hatte Herr Walter zuvor schon angedeutet, dass Schneider ursprünglich der Grund gewesen war, weshalb sie überhaupt auf das Büro gekommen waren. Und keinem von ihnen gefiel es, dass es irgendwo Material gab, anhand dessen man Schneider identifizieren konnte. Herr Walter zögerte kurz, als dieser ihre Reaktion sah, fuhr dann jedoch fort, ohne eine weitere Aufforderung zu benötigen. "Ich habe das Video gesehen. Viel konnte man nicht erkennen. Nur zwei junge Männer, bewaffnet. Und einer von Ihnen war Herr Schneider, wie ich später erfahren habe." Es war Herr Rieger, der sich vorbeugte, Gesichtsausdruck kühl und die Worte im Gegensatz ungewohnt hitzig. "Wie konnten Sie ihn identifizieren?" Herr Long lehnte sich unwillkürlich ebenfalls vor, als wollte er sich irgendwie in eine Position zwischen die beiden Männer bringen. Was aufgrund des Tisches nicht mit viel Erfolg gekrönt war. Doch gleich darauf legte sich eine Hand auf dessen Unterarm, forderte auf diese stille Art und Weise Zurückhaltung ein. Und Herr Walter erhielt sie. So etwas wie ein Lächeln zupfte an den Mundwinkeln des Älteren, aber er hätte das Talent eines Empathen benötigt, um beurteilen zu können, ob zumindest etwas Belustigung daran beteiligt war. Und die Stimme des anderen Mannes verriet auch nicht mehr, völlig ruhig gehalten, als Herr Walter wieder das Wort ergriff. "Es war reiner Zufall. Ich war aus geschäftlichen Gründen in Deutschland und hatte die Einladung zu einem Silvesterball angenommen." Schweigen, nur für ein paar kurze Sekunden, bevor ihn der Blick grau-grüner Augen regelrecht durchbohrte, während Herr Rieger weiter ignoriert wurde. "Ich weiß bis heute nicht, warum ich mir so sicher war, aber ich erkannte ihn sofort." Er musste zugeben, dass er das nicht besonders verwunderlich fand. Er kannte Schneiders Präsenz nur aus persönlichem Erleben, doch wenn man die Umstände damals bedachte, hatte der Deutsche sicher auch auf dem Video Eindruck hinterlassen. Herr Walter schien sein Verständnis wahrzunehmen, nickte leicht, bevor dieser fortfuhr. "Ich habe nicht gewagt, ihn anzusprechen, doch es war nicht schwer herauszufinden, dass er eine japanische Gesellschaft vertrat. Von dort war es dann einfach, das… Büro… zu finden." Zuletzt griff der Ältere seine Wortwahl auf, verriet ihm so, dass Herr Walter auch selbst Informationen sammelte. Doch das störte ihn nicht weiter. Ihre internen Bezeichnungen würden Herrn Walter nichts nutzen und selbst wenn dieser irgendetwas Wichtiges mitbekommen sollte, so hatten sie gleich zwei Telepathen bei der Hand, die solche Patzer wieder ausbügeln konnten. Er lehnte sich zurück, betrachtete das gesamte Bild, das Herrn Walters Erklärungen vor ihm ausgebreitet hatte. Auch wenn die Geschichte nicht sehr wahrscheinlich klang, so war sie sehr wohl möglich. Und sie war wahr, sonst hätte Schneider schon längst Einwände erhoben, selbst wenn Herrn Rieger etwas entgangen sein sollte. Womit nur noch ein Puzzlestück fehlte. "Warum hatten Sie überhaupt ein Interesse daran, noch mehr zu erfahren? Sie hatten das Angebot des Wissenschaftlers schließlich ausgeschlagen, nicht wahr?" Nicht, dass Herr Walter es dabei hatte bewenden lassen – wie offensichtlich war. Was dem Deutschen in diesem Moment ebenfalls durch den Kopf zu gehen schien. "Genau, ich hatte es ausgeschlagen, aber die Idee an sich blieb." Wieder Schweigen und dieses Mal war es nicht nur da, um Gedanken zu sammeln. Herr Walter schien tatsächlich nicht fortfahren zu wollen. Was lächerlich war, wenn man bedachte, wie bereitwillig er bis zu diesem Moment Auskunft gegeben hatte. Und ganz davon abgesehen musste inzwischen eingesunken sein, dass sie alle Informationen auch auf anderem Wege erhalten konnten. Schweigend musterte er den älteren Mann, der mit sich selbst rang, und nur seine leicht gehobene Augenbraue erinnerte Herrn Walter an diese Tatsachen. Er konnte nicht sagen, ob es das war, was Herrn Walter seufzen ließ. Aber die neue Haltung des Älteren nahm bereits dessen Entscheidung vorweg. Herrn Walters Gestalt war in sich zusammengesunken, als hätte er mit diesem Ausatmen jeglichen Halt verloren und dessen Stimme war tonlos, der Kiefer verkrampft. "Wie schon erwähnt, überlebte der Wissenschaftler, weil er ein Experiment außerhalb des Insituts durchführte. Und mit ihm die Empathin, die bei ihm war." Er zwinkerte langsam, überwand in diesem Moment seine Überraschung. Denn obwohl er sich das hätte denken können, hatte er es einfach nicht getan. "Sie… blieb bei mir." Es war eindeutig, dass in dieser Pause sehr viel ausgelassen wurde, doch was als nächstes kam machte mehr unnötig. Der Wandel in Herrn Walters Miene war so abrupt wie eindrucksvoll, als sich dessen Gedanken voll auf diese Frau konzentrierten. "Ich musste sicherstellen, dass ihr keine Gefahr von Ihrer Organisation droht. Deswegen habe ich ein Auge auf Herrn Schneider behalten." "Sie haben sie geheiratet, die Empathin?" Die grau-grünen Augen hatten für einen langen Moment auf dem Ring geruht, den Herr Walter trug, so dass die Frage fast schon eine Feststellung war. Und dieses Mal lächelte der Deutsche uneingeschränkt. "Habe ich. Und ihr Beispiel hatte mich davon überzeugt, wie hilfreich Mitarbeiter mit solchen Begabungen wären. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt…" Mit einem angedeuteten Schulterzucken. Und was für eine… Er schüttelte leicht den Kopf, nicht ungläubig, denn alles passte zusammen. Aber es waren schon sehr viele Wege, die sich hatten kreuzen müssen, um zu diesem Ende zu führen. "Ich halte es ja immer noch für deine größte Leistung, dass ihr nicht einen einzigen Ehekrach hattet, wenn man bedenkt, was sie kann." Herr Long wirkte jetzt ebenfalls vollkommen anders, schien es sogar zu schaffen, für den Moment die Umstände der beiden zu vergessen. "Das hält mich eben ehrlich", erwiderte Herr Walter, mit belustigtem Unterton. "Als hättest du das nötig, du betest sie ja förmlich an…" Ein leises Grummeln war die Reaktion darauf, das zu viel amüsierte Wärme in sich trug, um negativ gemeint sein zu können. Dazu schwieg der andere Mann, doch er hatte es auch nicht nötig, etwas zu sagen. Und für eine Weile hielt sich das entspannte Schweigen, als wären sie nur hier, um ein Abendessen zu genießen. Er hielt es nicht für erforderlich, es zu stören, Herr Walter hatte sich diese Pause verdient. Auch wenn er dessen inneren Aufruhr nur ahnen konnte, vor allem, als die Sprache schließlich auf dessen Frau kam, zweifelte er für keinen Moment daran, dass es dem Deutschen schwergefallen sein musste, sich so zu beherrschen. >Sie ist es, was ihn so schnell hat kooperieren lassen<, schob sich Schneiders Stimme wieder zwischen seine Gedanken, während er den funkelnden Wein in seinem Glas betrachtete, dann einen kleinen Schluck davon nahm. Und der Geschmack schien ihm den Telepathen noch viel näher zu bringen, so dass er schließlich nicht sagen konnte, was genau die Ursache für die Wärme war, die sich in seinem Magen zusammenrollte. Er seufzte leise, nur in seinem Kopf, und konnte aus Schneiders Richtung ein Zögern spüren, bevor dieser Energie durch ihn schickte, die der Wärme ein Kribbeln hinzufügte. Er erlaubte sich ein paar lange Sekunden, während derer er sich einfach nur in diesen Pool hineinfallen ließ, ohne über irgendetwas nachzudenken. Aber ein Teil von ihm vergaß nicht, wo er sich befand und begann sich mit den Worten auseinanderzusetzen, mit denen Schneider sich kurz zuvor bei ihm gemeldet hatte. Und schließlich kommentierte er sie. >Herr Walter hofft, dass wir sie in Ruhe lassen, wenn er mit uns kooperiert?< >Und seine Hoffnung ist nicht fehlgeleitet, wenn auch aus anderen Gründen, als er annimmt. Als Talent spielt sie für uns schließlich keine Rolle. Wir haben mehr als genug Empathen und sie ist viel zu alt, um noch ausgebildet werden zu können.< Die folgende Pause trug Amüsement in sich. >Doch das kann ihm egal sein, solange das Ergebnis stimmt, nicht wahr? Und da er kooperiert hat, haben wir keinen Grund, sie als Druckmittel zu benutzen.< Er lächelte unwillkürlich. >Darf ich ihm das sagen – dass er keinen Grund zur Sorge mehr hat?< >Hm, mach das ruhig. Vielleicht gibt er sich dann auch Mühe, wenn es darum geht, das Verhalten von Frau Kato zu verstehen.< Zum Ende hin klang Schneider irgendwie abgelenkt, doch als der Ältere nichts weiter sagte, schüttelte er den Eindruck mit einem Schulterzucken ab. Schließlich waren da immer noch ihre… Gäste, um die er sich kümmern musste. Als sich seine Aufmerksamkeit wieder der äußeren Welt zuwandte, fand er sich dem Blick grau-grüner Augen ausgesetzt. Und jetzt stand eine neue Anspannung darin. Anscheinend hatte Herr Walter nicht nur seine Abwesenheit mitbekommen, sondern auch die Ursache dafür erraten. Was nicht weiter verwunderlich war, auch wenn er es mit einem Talentlosen zu tun hatte. Schließlich hatte der Deutsche jahrelange Erfahrung. Sein Lächeln, das fast wieder abgeklungen war, gewann kurz an Ausdruck, eine stumme Versicherung, bevor er noch Worte folgen ließ. "Wir haben ausreichend Leute. Wir werden ganz sicher nicht versuchen, Ihre Frau zu rekrutieren." Oder etwas anderes, brauchte er nicht hinzufügen, es wurde auch so verstanden. Die Anspannung verschwand, doch Herr Walter blieb wachsam. "Heißt das, unsere Wege können sich jetzt wieder trennen? Vorzugsweise, nachdem Herr Franklin zu uns zurückgefunden hat." Er neigte leicht den Kopf. "Es gibt da noch einen Punkt, den wir vorher klären müssten. Ganz davon abgesehen, wäre es vielleicht für uns alle von Vorteil, wenn der Abschied nicht von Dauer sein wird." Herr Long runzelte die Stirn, hielt aber den Mund, als keine Drohung aus seinen Worten herausgelesen wurde. Herrn Walters Miene hingegen blieb regungslos, als der Ältere das Angebot aufnahm, ohne bereits ein Urteil darüber zu fällen. Lieber konzentrierte sich der Deutsche erst einmal auf den ersten Teil seiner Aussage. "Mir fällt beim besten Willen nichts ein, das wir noch zu klären hätten…" "Das liegt daran, dass sie noch nicht alle Informationen hatten. Herr Franklin hatte uns bereits gesagt, dass Frau Kato lediglich den Auftrag hatte, das Büro zu beobachten. Und Ihre Aussagen haben dies bisher bestätigt…" Er hielt kurz inne, um Herrn Walter die Gelegenheit zu geben, zu reagieren. Und dieser tat es auch, mit einem verwunderten Nicken. "Ja, genau so ist es auch. Wir hatten ganz sicher nicht vor, uns mit Ihnen anzulegen. Schließlich habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie gefährlich Ihre Organisation sein kann." Dieses Mal war er es, der nickte. "In dem Fall wird es Sie sicher ebenfalls überraschen zu hören, dass Frau Kato nicht einfach nur gestorben ist, weil wir sie erwischt haben. Um genau zu sein, waren wir es nicht einmal, die sie getötet haben." Beide Männer hatten sich unwillkürlich vorgelehnt, doch seine Aufmerksamkeit schweifte kurz zu Herrn Rieger ab, der ihm deutete, dass keiner von ihnen nur etwas vorspielte. Er fuhr ohne zu stocken fort. "Sie hatte eine Waffe in unser Büro geschmuggelt. Und nachdem wir sie entdeckt hatten, hat sie sich selbst getötet, bevor wir sie befragen konnten." Die Blässe, die in Herrn Walters Gesicht Einzug hielt, war absolut echt. Doch hinter dessen Stirn konnte er direkt erahnen, wie die Gedanken des Älteren rasten. Und der Schluss, zu dem sie kamen, schien dem Deutschen ganz und gar nicht zu gefallen. ~TBC~ Kapitel 47: "Die letzten Tage hatten ihre Höhen und Tiefen" ----------------------------------------------------------- "Parks." Es war nicht Herr Walter, der den Namen aussprach, sondern Herr Long, doch der Deutsche schien der gleichen Ansicht zu sein, wie dessen grimmiges Nicken zeigte. "Er arbeitet für mich in Japan. Und war für Frau Kato verantwortlich. Wenn Sie von den eigentlichen Anweisungen abgewichen ist, dann auf seine Veranlassung hin." Herr Walter blickte an ihm vorbei ins Leere. Er runzelte die Stirn. "Sie scheinen sich Ihrer Sache sehr sicher zu sein. Ist Herr Parks schon vorher auffällig geworden?" Und wenn es so war, wieso arbeitete dieser Mann für Herrn Walter? Der Deutsche schüttelte den Kopf. "Nein, ich hatte bisher keinen Anlass, an ihm zu zweifeln. Und ich bin mir meiner so sicher, weil ich Frau Kato so gut kenne. Sie ist absolut zuverlässig, genauso wie Herr Franklin. Sie würde nicht auf eigene Faust handeln. Wenn sie allerdings dachte, dass sie unverändert für uns tätig ist… würde sie vielleicht auch zu solchen Extremen gehen, wie Sie sie beschrieben haben." Sein Blick wechselte zwischen den beiden Männern, doch bei keinem konnte er auch nur einen Anklang von Zweifel entdecken. Es würde ihnen also nichts anderes übrig bleiben, als in Japan weiterzuforschen, was genau dieser Parks vorhatte. Und bis dahin… Braune Augen fokussierten sich auf Herrn Walter. "Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie alles unterlassen, um ihn irgendwie misstrauisch zu machen." Die Kiefermuskulatur des Älteren arbeitete für einen Moment, bevor er ein abgehacktes Nicken erhielt. "Es widerstrebt mir, ihm weiter freie Hand zu lassen. Aber seinen normalen Job erledigt er ohne Beanstandungen, so dass ich keinen Grund habe, aus einem anderen Grund einzugreifen." Dem folgte ein schmales Lächeln, das ganz aus zusammengepressten Lippen bestand. "Außerdem war das eben kein Vorschlag von Ihnen, wie wir beide genau wissen." Er schwieg dazu, denn ein Widerspruch an dieser Stelle wäre eine glatte Lüge gewesen. Und bevor er etwas anderes sagen konnte, klang eine unerwartete Stimme auf. Unerwartet, da es nicht nur in seinem Kopf geschah. "Sie können sich darauf verlassen, dass wir schnell die Wahrheit herausfinden werden. Und danach können Sie wieder frei handeln." Herr Rieger hatte sich halb erhoben, bevor Schneider den ersten Satz beenden konnte, und zum Schluss schirmte der Telepath den älteren Mann ab. Er konnte den Impuls sehr gut verstehen, obwohl er sich sicher war, dass weder Herr Walter noch Herr Long irgendwelche Dummheiten versuchen würden. Seine Augenbrauen näherten sich einander an, als er den Blick eisblauer Augen suchte. Noch nicht ganz ein Stirnrunzeln, doch ausreichend, um seine Meinung kundzutun. Schneider schenkte ihm unbeeindrucktes Lächeln, bevor dieser Herrn Rieger dazu aufforderte, wieder Platz zu nehmen. Natürlich gehorchte der Ex, wenn auch nur widerwillig, wonach sich Schneider ihren Gästen zuwandte. "Guten Abend, Herr Walter. Es freut mich, dass wir uns heute endlich offiziell begegnen." Er lauschte auf die Worte, konnte aber keinerlei Ironie heraushören. Schneider schien es ehrlich zu meinen – und alles in allem sollte er davon nicht überrascht sein, nicht wahr? Anscheinend hatte der Deutsche nicht vor, länger als unbedingt erforderlich zu warten, bevor dieser auf eine künftige Kooperation mit Herrn Walter hinarbeitete. Dieser stand jetzt ebenfalls auf, ergriff ohne merkliches Zögern die Hand, die Schneider ihm angeboten hatte. "Guten Abend, Herr Schneider." Die grau-grünen Augen musterten sein Gegenüber, als wollte er herausfinden, wie vertrauenswürdig Schneider war. Doch irgendwie bezweifelte er, dass dieser flüchtige Kontakt Herrn Walter mehr helfen konnte als das, was dieser in den Jahren bisher herausgefunden hatte. Zu dieser Erkenntnis schien in diesem Moment auch Herr Walter zu gelangen, jedenfalls versuchte dieser nicht mehr, Schneider mit seinem Blick zu durchdringen. Stattdessen wurde Schneiders Lächeln schwach erwidert. "Ich bin ein wenig überrascht, dass Sie sich überhaupt auf diese Begegnung eingelassen haben", wurde dann der Begrüßung hinzugefügt. Diesen Worten konnte er sich nur anschließen, auch wenn er es lediglich stumm tat. Er wurde auch so verstanden, wie ihm die eisblauen Augen bestätigten, die kurz zu ihm herüber huschten. Und das Amüsement in Schneiders Erwiderung war dementsprechend an ihn adressiert, auch wenn dessen Blick zu Herrn Walter zurückgekehrt war. "Sie können sich sicher sein, dass ich hiermit keinerlei Risiko eingehe. Wir hatten ausreichend Zeit zu prüfen, dass Sie keine Überraschungen geplant haben." Herr Walter nickte verstehend, während er selbst zwar auch verstand, aber trotzdem nicht viel Gefallen an Schneiders Entscheidung fand. Genauso wenig wie Herr Rieger, der angespannt an seiner Seite saß. Eine Hand kam auf seiner Schulter zu ruhen, eine ebenso stumme Erwiderung, und mit einem innerlichen Seufzen zwang er sich selbst zur Ruhe. Denn Schneider hatte Recht, hier gab es keine dunklen Pläne, die eine Bedrohung darstellen konnten. Und sonst machte er sich schließlich auch keine Sorgen, dass Schneider etwas zustoßen konnte. Oder jedenfalls keine offensichtlichen. Er zwinkerte, als er bei dieser Erkenntnis angelangte, schüttelte schließlich innerlich den Kopf über sich selbst. Und dann zwang er seine Aufmerksamkeit wieder nach außen, wo Schneider inzwischen ernster geworden war. "Herr Franklin wird in Kürze hier eintreffen, allerdings muss ich gestehen, dass wir dafür einen anderen Mitarbeiter… für einige Zeit für uns beanspruchen müssen." Er setzte sich unwillkürlich aufrechter hin, gar nicht amüsiert über diese unerwartete Entwicklung. Und das, nachdem Schneider gerade eben noch darauf beharrt hatte, dass alles in bester Ordnung war. Der Druck der Hand verstärkte sich prompt und auch wenn Schneider Herrn Walter nicht aus den Augen ließ, hatte der Telepath kein Problem damit, sich gleichzeitig an ihn zu wenden. >Meine Aussagen sind unverändert wahr. Wir sind nur auf diese eine Person gestoßen, ein Talentloser. Und er war wirklich auf sich allein gestellt.< Herr Walter war nicht aufgefallen, dass Schneiders Aufmerksamkeit für einen Moment abgeschweift war, runzelte verwirrt die Stirn. "Ich weiß nicht, wen Sie meinen. Meines Wissens ist außer Herrn Franklin niemand von meinen Mitarbeitern hier, zumindest nicht auf meinen direkten Auftrag hin." Die grau-grünen Augen suchten nach Herrn Long, der aber ebenfalls den Kopf schüttelte. "Ich weiß", gab Schneider ruhig zurück. "Wir waren es auch nicht, hinter denen Herr Waters her war. Der Mann wollte lediglich herausfinden, warum Sie so überraschend abgereist sind. Uns interessiert mehr, dass dieser Herr Parks auch hier seine Hände im Spiel zu haben scheint." Das wollte Schneider in der kurzen Zeit herausgefunden haben? Er hob eine zweifelnde Augenbraue, unbemerkt von allen außer Herrn Rieger, der einen schnellen Blick mit ihm austauschte, dann knapp mit den Schultern zuckte. Und zum Schluss erhielt er ein flüchtiges Grinsen zugeworfen. Natürlich. Schneider würde kaum lügen, aber selbst wenn er nur die vageste Verbindung gefunden hatte, würde das schon reichen, um seinen Worten Überzeugung zu verleihen. Und es würde zweifellos helfen, wie Herrn Walters Reaktion zeigte. Dessen Miene wechselte von Verwirrung zu Ausdruckslosigkeit, bevor Schneider ein kaum merkliches Nicken erhielt. "In dem Fall möchte ich Sie lediglich bitten, Vorsicht walten zu lassen, solange Sie nicht ganz sicher sind." Schneiders Mundwinkel kurvten nach oben, doch der Telepath erwiderte nicht gleich etwas, da er anscheinend endlich jemanden auf seine Anwesenheit aufmerksam hatte werden lassen. Und in der Folge hatten sie gleich darauf einen weiteren Stuhl an ihrem Tisch, ebenso wie Nachtisch für jeden, auch wenn Schneider noch gar nicht bestellt hatte. Nachdem ihre Weingläser wieder gefüllt waren, zog sich der dienstbare Geist so unauffällig zurück, wie er erschienen war und Herr Walter erhielt seine Antwort. "Das sollte uns nicht schwerfallen, immerhin kann er uns anders als Herr Franklin keine Hindernisse in den Weg legen." Herrn Walters Finger trommelten kurz auf die Tischplatte, bevor dieser in einer sehr bewussten Geste nach dem Dessertlöffel griff. Dann erst erlaubte auch er sich ein schmales Lächeln. "Ich bezweifle, dass er das selbst dann könnte, wenn er ähnlich begabt wäre wie Herr Franklin", wurde unerwartet offen zugegeben. "Schließlich hat Herr Franklin von Frau Kato gelernt und er war der Einzige, der sie auch nur ansatzweise nachahmen konnte. Sie hatte übrigens ansonsten keine zusätzlichen Fähigkeiten, nur ihre besonderen Schilde. Weswegen ich sie auch gefragt hatte, ob sie die Aufgabe in Japan übernehmen würde." "Hm…" Schneider lehnte sich vor und auch wenn er es nicht sehen konnte, ahnte er, dass der Ausdruck der eisblauen Augen in diesem Moment nicht besonders vertrauenserweckend war. "Und warum genau verraten Sie mir das so bereitwillig?" Immerhin war das das erste Mal, dass Herr Walter von sich aus Informationen lieferte. Der zeigte wieder ein Lächeln, so schmal wie das zuvor. "Weil ich ebenfalls keine besonderen Fähigkeiten habe und Ihnen möglichst keinen Grund geben möchte, sich in meinem Kopf herumzutreiben. Außerdem hoffe ich, dass Sie meine anderen Mitarbeiter in Ruhe lassen." Herr Long unterdrückte mit Mühe ein Zusammenzucken, während er selbst ein Auflachen zurückhalten musste. Er bezweifelte, dass normalerweise jemand Schneider gegenüber so wenig ein Blatt vor den Mund nahm, schon gar nicht seit letztem Sommer. Schneiders Aufmerksamkeit richtete sich kurz auf ihn, begleitet von dem Eindruck trockener Belustigung. Doch sein Gedanke wurde nicht kommentiert, wahrscheinlich, weil der Ältere dem kaum widersprechen konnte. "Da Sie uns so entgegengekommen sind, werde ich mich zurückzuhalten wissen", wurde Herrn Walter dann mitgeteilt. "Ganz davon abgesehen ist mir daran gelegen, dass Sie auch künftig mit uns kooperieren." Anscheinend hatte Schneider beschlossen, mit Offenheit auf Offenheit zu reagieren und schaffte es damit, Herrn Walter zu überraschen. Allerdings nicht für lange, denn der ältere Mann reimte sich schnell zusammen, worauf das hinauslief. Und gleich darauf fand er sich dem Blick grau-grüner Augen ausgesetzt. "Deswegen sind Sie hier, nicht wahr, Herr Crawford? Sie wollen Ihre Geschäftstätigkeiten ausweiten." Da Schneider ihn nicht zurückhielt, neigte er bestätigend den Kopf. Grau-grüne Augen verengten sich überlegend, bevor der Ausdruck durch ein Lächeln abgelöst wurde, das dieses Mal aufrichtig gemeint schien. "In dem Fall wird Ihnen meine Visitenkarte hoffentlich bei anderer Gelegenheit noch nützlich sein." Eine kurze Pause. "Und ohne dass Ihr Anruf wieder so eine Überraschung mit sich bringt." Mit einer Geste, die eher die aktuelle Situation umreißen sollte, als die Lokalität. Er erwiderte das Lächeln, in Reaktion auf die vorsichtige Zustimmung zu Schneiders Vorschlag, den diese Worte bedeuteten. "Ich gehe nicht davon aus, dass diese Umstände sich wiederholen werden." Herr Walter stieß daraufhin ein leises Schnauben aus, wurde aber abgelenkt, bevor etwas zu seiner Wortwahl angemerkt werden konnte. Der Ältere wandte sich dem Mann zu, der zielstrebig auf ihren Tisch zueilte, erhob sich sobald der Andere erkannt wurde. "Herr Franklin, ist alles in Ordnung?" Der Blick des Telepathen zuckte über Schneider hinweg, als würde er es nicht aushalten, länger dort zu verweilen, ruhte dann kurz auf ihm. Und erst zum Schluss galt die volle Aufmerksamkeit Herrn Walter. "Die letzten Tage hatten ihre Höhen und Tiefen, aber es hat sich ja alles zum Guten gewendet." Wieder ein Blick in die Runde. "Jedenfalls hoffe ich das." Herr Walter nickte knapp, der Blick der grau-grünen Augen etwas düster, bevor der Ältere offensichtlich beschloss, an einen positiven Ausgang zu glauben. Es war nicht verwunderlich, dass Herr Walter dem Frieden noch nicht so ganz traute, doch zugleich musste ihm bewusst sein, dass er nichts ändern konnte. Was sich beengend anfühlen musste, aber er selbst hatte auch gelernt, dass man bestimmte Dinge einfach akzeptieren musste. Und ebenso, dass Schneider sein Wort wert war. Er wurde davon überrascht, dass Herr Walter kurz Blickkontakt zu ihm suchte und bevor er darauf reagieren konnte, hatte der andere Mann anscheinend etwas bei ihm gelesen, das fast Überzeugung in dessen Antwort legte. "Wir konnten uns einigen. Und ein paar Missverständnisse bei dieser Gelegenheit ausräumen." Dieses Mal hatte die Düsterheit einen völlig anderen Grund und wurde von Herrn Franklin gespiegelt. "Sie wissen also nicht, was in Japan geschehen ist." Der Deutsche schüttelte den Kopf. "Nein. Aber wir werden es herausfinden. Oder besser gesagt, werden sie es tun." Der Kopf wurde in Schneiders Richtung geneigt, der daraufhin ein schmales Lächeln zeigte. "Ich bin mir sicher, dass uns Herr Parks alle Fragen beantworten wird. Und sollte er sich als der falsche Ansprechpartner erweisen, werden wir zweifellos nicht lange brauchen, um den richtigen zu finden." Herr Franklin schien Schneider nicht mehr zugehört zu haben, sobald der Name gefallen war. Der Telepath hatte anscheinend die gleichen Schlüsse gezogen wie die beiden anderen Männer vor ihm. Hände ballten sich zu Fäusten und er konnte den gleichen Aufruhr erkennen, den der Ältere ihm gegenüber gezeigt hatte, als dieser ihn noch für den Schuldigen gehalten hatte. Gleich darauf hatte er den Eindruck, als würde Elektrizität über ihn hinweg spielen, kurz davor, Kontakt zu ihm herzustellen. Er kämpfte gegen die Gänsehaut an, die die feinen Härchen auf seinen Armen aufstellen wollte und brauchte deswegen einen Moment, um zu erkennen, dass Herr Walter und dessen Assistent blass geworden waren. Keine Einbildung also, analysierte er automatisch und im nächsten Augenblick richteten sich braune Augen auf Herrn Franklin, in dem er die Quelle der Energie vermutete. Zu Recht. Aber er wird sich gleich wieder unter Kontrolle haben.< Erst als Schneiders Stimme in seinem Kopf aufklang, bemerkte er auch den physischen Kontakt, den dessen Hand zu seinem Unterarm hergestellt hatte. Und dankend neigte er den Kopf, denn zweifellos hatte er es dem Deutschen zu verdanken, dass er nicht mehr abbekommen hatte. "Ich werde ihm den Hals umdrehen…", knirschte Herr Franklin jetzt, verlieh den Emotionen Worte und gewann so an Kontrolle über sein Talent. Da weder Herr Walter noch Herr Long in diesem Moment dazu in der Lage waren, war es Schneider, der darauf antwortete. Mit kaum verborgenen Amüsement. "Solange Sie damit warten, bis wir mit ihm fertig sind, können Sie das gerne tun." ~TBC~ Kapitel 48: "Es spricht doch nur für dich, wenn du nach Herausforderungen suchst" --------------------------------------------------------------------------------- Selbst als sie zurück im Hotelzimmer waren, fiel es ihm schwer, seine gewohnte Ruhe zu finden und mit einem leichten Stirnrunzeln ließ er sich auf die Couch sinken. Die Brille in der rechten Hand haltend, rieb er sich über die Augen, lehnte sich dann erst zurück. Und ließ die Augen vorläufig geschlossen, auch als er spürte, dass Schneider neben ihm Platz nahm. "Was ist, Crawford?" Die Brille wurde ihm aus der Hand genommen und er konnte hören, wie sie auf dem Tisch abgelegt wurde. "Nichts weiter…", gab er leise zurück. Schneider schien ihm das nicht abzunehmen. "Du wirkst irgendwie enttäuscht", wurde ihm gleich darauf mitgeteilt. Und... er konnte nicht wirklich widersprechen. Schließlich seufzte er und nun suchte er doch noch den Blick des Deutschen. "Es ist nur, wie ich schon gesagt hatte. Es ist alles so simpel. Nur ein Geschäftsmann, der ein Händchen dafür hatte, ein paar Talente für seine Zwecke einzusetzen. Es gleicht einfach nicht die Monate aus, die wir in der Annahme verbracht haben, dass jemand hinter uns her ist." Eisblaue Augen musterten ihn für einen Moment, dann zuckten Schneiders Mundwinkel amüsiert nach oben. "Ich gewinne allmählich den Eindruck, dass du den Druck vermisst, unter den dich deine Pläne damals gesetzt haben. Und jetzt nach einem neuen Gegenspieler suchst." Er schüttelte beinahe automatisch den Kopf, bevor er die Geste stoppte, als ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, dass Schneider vielleicht doch nicht so ganz Unrecht hatte. Der Ältere lachte auf. "Mach dir nichts daraus. Es spricht doch nur für dich, wenn du nach Herausforderungen suchst." Wieder eine kurze Musterung. "Solange du nicht ausgerechnet auf die Idee kommst, mir diesen Part zu geben." Da immer noch Amüsement in Schneiders Stimme lag, befand er diese Bemerkung keiner Antwort wert und der Deutsche erwartete auch keine, sondern sprach gleich weiter. "Willst du dich vielleicht um den Mann in Japan kümmern, falls wir ihn nicht unmittelbar festsetzen können? Immerhin bist du jetzt nicht mehr mit dem Job an Nagis Schule beschäftigt und hast das Wichtigste für unsere Schwesterschule hier in die Wege geleitet. Und die Details übernehmen sowieso unsere Experten." Das Angebot überraschte ihn, doch wenigstens gelang es ihm dieses Mal, Schneider nicht gleich wieder irgendwelche verborgenen Absichten zu unterstellen. Was vielleicht dadurch unterstützt wurde, dass er ihm in Japan auch nicht näher sein würde als hier. "Es wäre eine Abwechslung", gab er schließlich zu. "Allerdings kann ich mir nicht wirklich vorstellen, dass dieser Parks uns viel entgegenzusetzen hat. Bisher hat ihn anscheinend nur geschützt, dass wir keine Ahnung hatten, dass überhaupt jemand an uns ein unübliches Interesse zeigt." Auch wenn seine Antwort ohne Zögern kam, wünschte sich ein Teil von ihm gleichzeitig, dass der Fall doch interessanter ausfallen würde. Was wohl Schneiders Vermutung unterlegte. Er verzog unwillkürlich das Gesicht. "Aber du langweilst dich hoffentlich nicht hier." Er stieß ein leises Schnauben aus. "Dazu habe ich trotz allem zu viel zu tun. Es ist einfach nur die Art der Aufgabe." Kurz schwieg er, sprach dann aber weiter und das leichte Lächeln, das sich auf seine Lippen geschlichen hatte, war nicht erzwungen. "Vielleicht schulde ich Ihnen wirklich Dank dafür, dass Sie mich nach Rosenkreuz geholt haben. Ein normaler Job hätte eine viel zu geringe Herausforderung für mich bedeutet." Schneiders Miene war zunächst ernst, als wollte der Deutsche sichergehen, dass ihn der Gedanke an das Schicksal seines Bruders nicht doch anders urteilen lassen würde. Aber seine Gedanken gingen nicht einmal annähernd in diese Richtung. Sie waren durch die an… Bradley… abgelöst worden, sobald er von ihm erfahren hatte. Und mit diesem Punkt hatte er vorläufig abgeschlossen. Vor einer scheinbaren Ewigkeit. Als hätten sich die Stunden zu Tagen oder gar Wochen transformiert und die gefühlte Distanz war in diesem Fall realer als die Wirklichkeit. Es dauerte nicht lange, dann zeigte Schneider ein erwiderndes Lächeln. "Auch hier hat mich reiner Eigennutz handeln lassen." Und das war die reine Wahrheit, was sein Lächeln nicht davon abhielt, sich für einen Moment zu vertiefen. Das hielt allerdings nicht lange vor, weil ihn diese Aussage an etwas anderes denken ließ. "Warum konnten Sie es nicht lassen, persönlich im Restaurant aufzutauchen?" Eine Augenbraue rutschte in die Höhe. "Deine Gedanken laufen manchmal seltsame Kurven", wurde angemerkt, bevor Schneider ihm belustigt antwortete. "Ich habe es jedenfalls nicht getan, weil ich etwas Unterhaltung benötigt habe. Ich wollte ganz einfach sichergehen, dass mir kein Detail entgeht, als es schließlich um das Japan-Büro ging. Immerhin war das der Punkt, der uns am Wichtigsten war." Dieses Mal war er es, der Augenbraue hochzog, ein wortloser Hinweis, dass er nicht ganz zu glauben vermochte, dass das der einzige Beweggrund gewesen war. Doch er beharrte nicht darauf, etwas anderes interessierte ihn nämlich mehr. "Sie haben keinen anderen Hinweis gefunden?" "Nein, Parks ist tatsächlich unsere einzige Spur." Er bekam kaum mit, dass Schneider nach seiner Hand griff und dessen Daumen über seinem Puls zu kreisen begann. "Herr Walter ist so ehrlich, das man sich unwillkürlich fragt, wie er als Geschäftsmann so viel Erfolg haben kann." Mundwinkel zuckten kurz in die Höhe. "Und auch wenn Herr Long sich eher die Hände schmutzig macht, dann nur für Herrn Walter." "Er ist also loyal." "Mehr als das. Er verdankt Herrn Walter sein Leben. Das ist für ihn Antrieb genug, sich an den anderen Mann zu binden." Schneider schwieg für einen Moment und das führte dazu, dass er endlich bewusst die Berührung wahrnahm. Wärme, die sich von seiner Hand ausgehend weiter durch seinen Körper auszubreiten schien. Konzentration ging verloren, so dass er ein paar Sekunden brauchte, um die Worte zu verarbeiten, als der Deutsche auf einmal weitersprach. "Um uns abzusichern, werden wir natürlich Herrn Walters andere Mitarbeiter in der Führungsebene checken. Doch da er eine gute Menschenkenntnis zu besitzen scheint, sollte es jemandem in seiner Nähe schwerfallen, ihn auf Dauer zu täuschen. Ganz zu schweigen davon, dass die Gefahr bestünde, seiner Ehefrau über den Weg zu laufen und sich dabei zu verraten." Er nickte langsam, zustimmend, während sein Blick unverändert an dem sich gleichmäßig bewegendem Daumen hing. Und dann sagte Schneider nichts mehr, stattdessen konnte er regelrecht spüren, wie die eisblauen Augen auf ihm ruhten. Im nächsten Augenblick lehnte sich der Ältere vor und küsste ihn. Er kam ihm entgegen, weil ihm die Hitze des Kusses, des anderen Körpers, endlich erlaubte, alle Überlegungen aufzugeben. Und auch wenn es nicht Ruhe war, die er fand, so waren die neuen Emotionen eindeutig willkommen. Schneider biss in seine Unterlippe und erinnerte ihn daran, dass diese bereits am Abend zuvor in Mitleidenschaft gezogen worden war, doch er registrierte den leisen Schmerz kaum, dazu war die Hitze zu überwältigend, die durch seinen Körper schoss. Seine Hand verkrampfte sich in Schneiders Nacken und halb zog er ihn, halb wurde er von dem Älteren nach hinten gedrückt. Und gleich darauf spürte er das Gewicht des Deutschen über sich. Ein Bein schob sich zwischen seine und Hüftknochen schabten an Hüftknochen entlang, bevor ihre Körper richtig zusammenpassten. Für ein paar lange Atemzüge, die warm seine Lippen streiften, verharrten sie beide, zufrieden mit der Tatsache, dass im Moment kein Blatt mehr zwischen sie passen würde, doch es reichte nicht für lange. Er selbst war es, der dieses Mal Druck ausübte und Schneider folgte ohne zu zögern, küsste ihn wieder, bis er vergaß, wer er war und wo er sich befand. Ein Problem, das der Ältere nicht zu haben schien, denn auf einmal stand Schneider und lachte auf, als er nur verständnislos zu ihm hochblinzelte. "Komm, Crawford", wurde ihm eine Hand hingehalten. "Das Bett ist um einiges bequemer." Nach einem Moment, den er dazu brauchte, seinen Körper zu koordinieren, ergriff er die Hand des Älteren und fiel natürlich prompt gegen ihn. Er hielt sich nicht lange damit auf, sich über seine Ungeschicklichkeit zu ärgern, sondern schickte seine Finger auf die Suche nach den Knöpfen von Schneiders Weste. "Wie lange bleiben Sie?", murmelte er kaum vernehmlich, voll und ganz auf seine Aufgabe konzentriert. Und darauf, sich nicht von Schneiders Mund ablenken zu lassen. "Das musst du Herrn Hoffmann fragen." Gegen seinen Hals gesprochen. "Ich wette, er hat schon längst berücksichtigt, dass es für mich hier nichts mehr zu tun gibt. Ich werde noch ein paar Leute treffen, aber dafür werde ich auch herumreisen müssen." Er runzelte die Stirn, doch er konnte schlecht verlangen, dass Schneider länger in seiner Nähe bleiben sollte. Wenn dann musste es anders herum geschehen und der Ältere hatte ihm bereits angeboten, dass er nach Deutschland zurückkehren konnte. Für einen Augenblick schien es sehr einfach, eine Entscheidung zu treffen, doch er würde dies nicht ausgerechnet dann tun, wenn er nicht klar denken konnte. Und dann verschwand der Gedanke sowieso, als sein Ziel erreicht war. Seine Hand schob sich unter die Weste, unter das Hemd, traf auf nackte, erhitzte Haut. Unwillkürlich krümmten sich seine Finger, bis seine Nägel in Schneiders Körper bissen und der Deutsche atmete scharf ein, bevor ein Beben ein lautloses Lachen verriet. "Hm, willst du noch mehr Spuren hinterlassen?" Schneiders Stimme klang rau, ließ ihn unwillkürlich erschauern. Und dann konnte er nicht anders, als die Sachen zurückzustreifen, denn er hatte es tatsächlich vergessen und wollte es nun mit eigenen Augen sehen. Ihm wurde noch wärmer, als er die Stellen wiederfand. Vielleicht hatte er heimlich erwartet, dass alles verschwunden sein würde, doch das war nicht der Fall und so tastete er kurz darauf über die geröteten Erhebungen, die leichten Schatten. Schneider hatte sich nicht beschwert, als er die Male hinterlassen hatte und genauso wenig tat der Ältere es jetzt, da er sie nicht mehr länger nur mit den Fingern nachzeichnete. Eisblaue Augen beobachteten ihn unter halbgeschlossenen Lidern hervor, als er den Deutschen aufs Bett zurück drückte, aber immer noch wurde ihm sein Willen gelassen. Nur flüchtig hielt er sich mit dem Gedanken auf, ob Schneider genau wusste, was gerade in ihm vorging und es deshalb tat, oder ob dem Älteren ganz einfach gefiel, dass er mehr Initiative als normalerweise zeigte. Es war letztendlich egal, solange er tun konnte, was er wollte. Und Schneider war selbst schuld, hatte es selbst gesagt. Also war es nicht kindisch so etwas zu tun. Vor allem, wenn es ihn von der Tatsache ablenkte, dass Schneider in Kürze wieder abreisen würde. Alles um ihn herum weißte aus, es blieben nur noch Schneider und er selbst übrig. Und vielleicht noch die Energie, die über ihn prickelte, ein ständiger Ansturm, der seine Finger erbeben ließ. Die Hitze nahm zu, mischte sich zwischen ihnen, ohne von irgendwelcher Kleidung gehindert zu werden. Die war schon längst verschwunden und so gab es nichts mehr, das er ausziehen konnte, um Abkühlung zu finden. Er hörte Schneider zischend Luft holen, als seine Lippen die Quelle der größten Hitze fand und er musste die Augen schließen, versuchte, mit den Resten seines Verstands rückwärts zu zählen, um nicht darauf zu reagieren. Es war viel zu schwer und er hatte keine Ahnung, wie es Schneider gelang, sich in solchen Fällen so viel Zeit mit ihm zu lassen. Schließlich hatte er etwas Kontrolle zurück und sein Mund senkte sich über Schneiders Erektion, während sich seine Finger in dessen Hüfte krallten. Es würde seine Fingerabdrücke hinterlassen, wenigstens für ein paar Tage und diese Gewissheit ließ etwas in ihm mit Zufriedenheit summen. "Himmel, Crawford." Oder vielleicht nicht nur in seinem Inneren, wie er nach einen Moment des Nachdenkens und mit noch mehr Zufriedenheit feststellte. Dann hatte er keine Lust mehr, seinen Kopf zu bemühen, konzentrierte sich lieber ganz auf Schneider. Und so dauerte es einen Moment, bis er die Tatsache verarbeitete, als Bewegung in den Deutschen kam und dieser sie beide herum rollte. Das Lächeln des Älteren wirkte etwas angestrengt, als dieser auf ihn herabblickte, doch in den eisblauen Augen stand neben der Hitze echter Humor. "Heute willst wohl du mich in den Wahnsinn treiben, hm?" Eine kurze Pause, in der Finger über seine Lippen strichen, bevor ein Kuss darauf gedrückt wurde. "Aber du solltest darüber nicht vergessen, dass ich meine Energie noch für etwas benötige." Der Mund wurde ihm mit einem weiteren Kuss verschlossen, bevor er etwas erwidern konnte, dabei hatte er gar nicht vor, zu widersprechen. Und auch anschließend hatte er keinen Grund, sich zu beschweren, denn Schneider schien nicht darauf aus, ihn lange zu quälen. Das immerhin hatte er erreicht. Und vielleicht nicht nur das, wie er feststellte, als sein verschwimmender Blick sich auf die roten Male richtete, die sich selbst von der im Moment erhitzten Haut ohne Probleme abhoben. "Ich würde auch ohne sie an dich denken", wurde ihm ins Ohr geflüstert, lenkte ihn von dem kühlen Gel ab, das einen Schock durch seinen Körper senden wollte. Sein Lächeln war genauso unscharf wie sein Blick in diesem Moment, doch es wurde richtig interpretiert und erwidert, bevor er endlich bekam, was er wollte. Und dann fielen ihm die Augen zu, als sich alles in ihm zu einem Punkt zu konzentrieren schien, der schließlich explodierte. ~TBC~ Kapitel 49: "Ich kann wohl froh sein, dass er dem Ding nicht seine Signatur eingeprägt hat" ------------------------------------------------------------------------------------------- "Es scheint so, als würdest du wirklich etwas Abwechslung bekommen. Wenn du es möchtest." Schneider empfing ihn mit einer undurchdringlichen Miene, als er das Bad verließ, war gerade dabei, ihnen Kaffee einzugießen. Er runzelte die Stirn, ließ seinen Blick unwillkürlich über den jetzt gedeckten Tisch schweifen, bevor er sich ebenfalls einen Platz suchte. "Wie meinen Sie das?", erkundigte er sich, während er mit einem dankenden Nicken die gefüllte Tasse entgegennahm. Der Kaffee hatte genau die richtige Temperatur, um einen tiefen Schluck davon zu nehmen und Schneider hatte es mühelos geschafft, die richtige Menge an Zucker und Milch hinzuzufügen. Ein leises Lachen machte ihm bewusst, dass er die Augen geschlossen hatte, und als er nach dem Blick eisblauer Augen suchte, war die Undurchdringlichkeit von Amüsement abgelöst worden. "Habe ich dich gestern zu lange wachgehalten?" Er zwinkerte, dann entkam ihm ein belustigtes Schnauben. "Ich kann mich kaum beschweren, wenn ich es war, der sich die meiste Zeit genommen hatte, nicht wahr?" Schneiders Lächeln vertiefte sich, dann lehnte sich der Ältere unerwartet zu ihm herüber, um ihn zu küssen. Zu überrascht, um darauf zu reagieren, sah er den Deutschen einfach nur an, der wieder amüsiert lächelte, dann aber sichtlich beschloss, zum ursprünglichen Thema zurückzukehren. Und das Amüsement verschwand wieder. "Herr Hoffmann war vorhin hier. Er ist informiert worden, dass Parks sich unserem Zugriff entzogen hat." Er stellte seine Tasse ab, ohne es wirklich zu registrierten. "Das… klingt unwahrscheinlich." Alle Vorteile sollten bei ihrem Team gelegen haben. Braune Augen wurden zusammengekniffen. "Ist er gewarnt worden?" Schneider reagierte mit einem Schulterzucken. "Wer weiß, vielleicht ist noch jemandem Herrn Walters plötzliche Abreise seltsam vorgekommen. Der Mann, den wir gestern geschnappt hatten, war es jedenfalls nicht." Dazu konnte er nur den Kopf schütteln. "Nicht, dass ich mich darüber beschweren möchte, aber in dem Fall sieht es ganz so aus, als hätte Parks sich nicht den intelligentesten Helfer ausgesucht." "Nun, entkommen ist er trotzdem", wurde er trocken erinnert. "Und du hast mir noch nicht geantwortet." "Es war wirklich Ihr Ernst?" Schneider stockte sichtlich, bevor sich der Ältere wieder näher lehnte. Dieses Mal aber nicht wegen eines Kusses, nicht bei diesem Ausdruck in den eisblauen Augen. "Wann eigentlich hörst du endlich auf, mich in Frage zu stellen, Crawford?" So formuliert merkte er erst, wie unmöglich seine Frage gewesen war und ohne sein bewusstes Zutun bewegte sich sein Körper zurück, um etwas mehr Abstand zwischen sie zu bringen. Seine Entschuldigung sprach er nicht aus, Schneider konnte sie auch so lesen. Doch er entspannte sich erst wieder, als auch der Deutsche es tat. "Ich habe bisher nicht ernsthaft darüber nachgedacht", gab er dann endlich leise zurück. Denn wie hätte er auf die Idee kommen können, dass dieser Parks ihnen entwischen könnte? Und das schien nicht nur ein vorübergehendes Hindernis zu sein, sonst hätten sie es nicht für erforderlich gehalten, Schneider zu informieren. Vielmehr musste Parks verschwunden sein, ohne eine Spur zurückzulassen. "Ein Tracer…", sprach er den Gedanken aus, der ihm im selben Moment durch den Kopf schoss. Er hob den Blick von seinem Teller, begegnete gleich darauf dem vom Schneider, der nachdenklich nickte. "Soweit ich weiß, haben wir derzeit keinen in Japan. Es wäre also einen Versuch wert." Ein schmales Lächeln folgte. "Heißt das, du willst Herrn Monreau schicken und lieber hierbleiben?" Er schüttelte den Kopf. "Nicht unbedingt. Das soll nur heißen, dass es sinnvoll wäre, einen Tracer einzusetzen, wenn wir keine anderweitigen Spuren haben." Er schwieg für einen Moment. "Und dann bleibt die Frage, ob es genauso sinnvoll ist, dass ausgerechnet ich mich um den Fall kümmere, wenn wir ausreichend qualifizierte Leute in Japan haben sollten. Egal, ob ich nun die Zeit dafür habe oder nicht." Der rein rationale Ansatz sorgte wenigstens dafür, dass er nicht einfach aus einer Laune heraus nach dem Angebot griff. "Warum solltest du nicht?", fragte Schneider mit hochgezogener Augenbraue und bewies damit, dass der Ältere mal wieder seine Überlegungen mitverfolgte. "Es ist ja nicht so, als wüsste ich im Moment jemanden, der geeigneter wäre." Und ab diesem Punkt sah Schneider keinen Grund mehr dafür, nicht einfach nach eigenem Belieben zu entscheiden. Das hatte er ja bereits erfahren. In einer unbewussten Geste suchte seine Hand nach dem Anhänger, der immer noch ungewohnt gegen seine warme Haut ruhte. Er erhielt ein verschmitztes Lächeln. "Du hast mir kein Argument geliefert, das dagegen spricht, Crawford." Was natürlich wahr war. Er nickte in Richtung seines Tellers, wo er gerade dabei war, sein Brötchen zuzubereiten. Erst danach suchte er wieder nach Schneiders Blick. "Wie viel Zeit geben Sie mir, mich zu entscheiden? Ich müsste vorher mit dem Rest von Schwarz reden." "Morgen Abend", wurde ohne große Verzögerung geantwortet, als hätte Schneider diese Frage schon die ganze Zeit erwartet. "Bis dahin hat sich geklärt, ob sie Parks auf dem schnellen Wege doch noch erwischen. Und wenn nicht, muss jemand für den Auftrag eingesetzt werden." Schneiders Blick wurde auf einmal schärfer und im nächsten Moment schloss sich dessen Hand um seinen Kiefer, so dass er sehr still hielt. "Denk gut darüber nach, Crawford. Es kann dir einen Vorgeschmack darauf geben, was du künftig für mich erledigen kannst. Auch wenn ich dich grundsätzlich bei mir in Deutschland haben will, habe ich weiterhin nicht vor, dich anzuketten." Er atmete scharf ein und wusste selbst nicht genau, ob die Worte der Grund dafür waren oder die plötzliche Nähe des Älteren. Aber zumindest bestand nicht geringste Zweifel daran, wie Ernst Schneider diese Aussage meinte. Und mit ebenso übergangsloser Plötzlichkeit wollte er es. Ohne dass sein Gehirn vernebelt war, weil gerade ein Kuss oder gar Sex hinter ihnen lag. Wieder atmete er ein, so tief es ihm möglich war, drängte den Impuls zurück, alle Bedenken einfach über Bord zu werfen. Schneider zog sich langsam zurück, zeigte jetzt einen Ausdruck, der mit Zufriedenheit verwandt zu sein schien. "Vergiss dein Frühstück nicht. Du wirst im Flugzeug kaum etwas genauso Gutes in den Magen bekommen." Beinahe mechanisch war er der Aufforderung gefolgt und hatte die ersten Bissen genommen, bevor er plötzlich stoppte. Dieses Mal blieb seine Augen mit voller Absicht auf sein Essen gerichtet. "Herr Hoffmann hat nicht nur Neuigkeiten aus Japan gebracht." Keine Frage. Aus dem Augenwinkel konnte er den Deutschen nicken sehen, auch wenn es nicht ausreichte, um dessen Miene zu erkennen. "Unsere Flüge sind gebucht. Du wirst zum Mittagessen zurück bei Schwarz sein." Schneiders Stimme verriet ihm auch nichts, weswegen er es schließlich nicht mehr aushielt und den Kopf zur Seite wandte. Aber es änderte nichts. Und er wusste nicht einmal, wonach er überhaupt suchte. Der Ältere erwiderte seinen Blick nachdenklich, bis schließlich ein winziges Lächeln dessen Mundwinkel nach oben kurvte. "Ich werde in Kürze in Japan zu tun haben. Falls du dich für den Job entscheidest, werden wir uns wahrscheinlich dort wiedersehen." Wieder lehnte sich Schneider etwas näher, dieses Mal aber in einer beinahe nachlässigen Geste. "Und ja, ich hoffe, dass dich diese Information in deiner Entscheidung beeinflusst." Er sagte lieber nichts dazu. Er versuchte, nicht einmal etwas zu denken. Schuldigs orangefarbene Mähne machte es sehr einfach, den Jüngeren zu finden, auch wenn der Telepath zum Warten einen Ort gewählt hatte, der etwas abseits gelegen war. Er stockte für einen Moment, vergewisserte sich, dass Schuldig nicht irgendwelchen Unsinn vorhatte. Aber nein, da war nirgendwo ein Riesenschild in der Nähe und auch ansonsten schien Schuldig nicht mehr als sein übliches Grinsen dabeizuhaben. Nach dieser Versicherung lenkten ihn seine Schritte auch schon in Richtung des Telepathen und erst als er ihn fast erreicht hatte, wurde ihm bewusst, dass der Andere nicht allein hier war. Grüne Augen folgten seinem Blick und das Grinsen wurde ausgeprägter. "Ran-chan hat es sich natürlich nicht nehmen lassen, mich zu begleiten. Und Farf hatte ebenso wenig Lust, zurückzubleiben. Nur unser Stubenhocker fand die Aussicht, dich abzuholen, nicht besonders interessant." Seine Mundwinkel zuckten wie aus eigenem Willen nach oben, als er beobachtete, wie Ran versuchte, den Iren von der Maschine wegzuzerren, die dieser schon bei ihrer Ankunft damals so interessant gefunden hatte. "Ich glaube, Farf hat noch nicht ganz aufgegeben", kommentierte Schuldig, doch im nächsten Moment wurde dessen Gestalt ungewohnt steif und die grünen Augen richteten sich wieder auf ihn. Er reagierte auf die Musterung mit einer hochgezogenen Augenbraue, zuerst ohne Idee, was den Telepathen so reagieren ließ. Doch dann stieg eine Vermutung hoch und er schaffte es dieses Mal, seine Hand davon abzuhalten, sich zu bewegen. "Was hat Herr Schneider mit dir angestellt?", wurde er misstrauisch gefragt und Schuldigs Blick geriet sehr kühl dabei. Ihm gefiel gar nicht, wohin seine Gedanken bei dieser Formulierung automatisch wandern wollten , also hielt er sie eisern unter Kontrolle, während er nach außen hin lediglich ein Schulterzucken andeutete. "Es wäre hilfreich, wenn du ein bisschen spezifischer bist." Der Telepath war gar nicht amüsiert und die grünen Augen verengten sich noch weiter. "Deine Signatur ist seltsam. Als hätte sie ein Echo. Also, was hat er angestellt? Du kannst mir nicht erzählen, dass das von allein passiert ist." Und somit wurde seine Vermutung bestätigt. Er erlaubte sich ein schmales Lächeln. "Das hat nichts mit mir direkt zu tun, sondern hiermit." Damit holte er kurz die Kette hervor. Er hatte sowieso keine Chance, diese auf Dauer vor Schuldig zu verbergen, dazu wäre der Telepath viel zu neugierig gewesen. "Er hat den Anhänger irgendwie auf mich eingestellt. Auch wenn ich nicht behaupten möchte, zu wissen, wie das funktioniert." Humor blitzte kurz in braunen Augen auf und er war sogar echt. Schuldigs Hand näherte sich dem Anhänger, bis dessen Fingerspitzen ihn fast berührten, doch dann stoppte er. "Stimmt, es kommt davon." Die Gestalt des Jüngeren entspannte sich wieder und zurück blieb nur die übliche Vorsicht. "Keine Ahnung, was das soll. Aber ich kann wohl froh sein, dass er dem Ding nicht seine Signatur eingeprägt hat." Zu dem Grund schwieg er natürlich, denn er sah keine Veranlassung, ihn zu verraten. Je weniger Leute davon wusste, desto besser. Und dadurch, dass er so bereitwillig geantwortet hatte, schien Schuldig auch kein weiteres Geheimnis mehr zu vermuten, das es zu ergründen galt. Zufrieden damit ließ er den Anhänger wieder verschwinden und nichts verriet mehr dessen Vorhandensein, als Ran es schließlich schaffte, mit Farfarello im Schlepptau zu ihnen vorzustoßen. Der Ire hängte sich an Schuldig, so dass Ran nicht lange zögerte, vor ihn zu treten. "Bleibst du?", wurde er begrüßt und die violetten Augen schienen sich im Gedankenlesen zu versuchen. Wieder zuckten seine Mundwinkel und er konnte sich selbst nicht so ganz den Grund dafür erklären. Vielleicht lag es daran, dass Rans Unsicherheit sich dieses Mal in einem beinahe herausfordernden Unterton äußerte. Rans Blick schweifte kurz zu dem Lächeln ab und schien etwas anderes herauszulesen. Eine Hand langte nach seinem Handgelenk und erst als der Rothaarige seinen Puls spüren konnte, schien er wieder Ruhe zu finden. Dennoch war das erwidernde Lächeln nicht ganz echt. Was Ran aber nicht davon abhielt, sich auf die Zehenspitzen zu erheben. Er kam der stummen Aufforderung nach und küsste ihn, im Moment interessierte sich sowieso niemand für sie und Schuldig hatte natürlich einen Platz zum Warten gesucht, der von sich aus ausreichend Schutz bot. Anschließend wurde er immer noch erwartungsvoll angesehen und das erinnerte ihn daran, dass Ran eine Frage gestellt hatte. "Das weiß ich noch nicht", gab er schließlich zu. "Es gibt da vielleicht einen Auftrag in Japan, um den ich mich kümmern muss." Bei seinen ersten Worten schien ein Schatten über das Gesicht des Jüngeren zu fliegen, doch dieser wurde schnell durch Verwirrung abgelöst, als er seinen Satz beendete. Offensichtlich hatte Ran etwas anderes erwartet – und er war nicht wirklich verwundert darüber. Ganz davon abgesehen war seine Antwort… beinahe eine Beschwichtigung gewesen, eine Ausrede. Bis er selbst wusste, wie die Wahrheit aussah. Ran schien nichts von dieser Überlegung aufzufangen, denn das neue Lächeln war sehr viel aufrichtiger. "Du kannst Yun-kun ein Geschenk von mir mitbringen, falls du wirklich hinfliegst." "Du fragst nicht mal, ob du mitkommen kannst?", gab er etwas überrascht zurück, denn wenn er ehrlich war, hatte er genau so etwas erwartet. "Ich… müsste dann meine Tante und meinen Onkel besuchen, nicht wahr?" Ran blickte an ihm vorbei, ins Leere. "Alles andere wäre nicht richtig. Aber… ich möchte es nicht." Letzteres so leise, dass er ihn kaum verstand. Doch als sich die violetten Augen wieder auf ihn richteten, verstand er auf diesem Wege sehr gut. Der Jüngere hatte sich schon damals viel zu sehr von seiner Ersatzfamilie gelöst. Woran Schuldigs Eingreifen zugegeben nicht ganz unschuldig war. Doch das Ergebnis wirkte immer noch, die Bindung fehlte. Und auch wenn Ran inzwischen seine Rache gehabt hatte, wollte er ganz sicher nicht an das erinnert werden, was damals geschehen war. "Das ist in Ordnung", antwortete er ebenso leise. Nicht nur, weil Ran das hören wollte. Sondern weil er wirklich dieser Meinung war. Er selbst hatte auch so einen Schlussstrich gezogen, nicht wahr? Und niemand zwang einen, auf ewig mit der Vergangenheit zu leben. Man konnte sich ständig neu erfinden. Ran lächelte wieder. ~TBC~ Kapitel 50: "Einer meiner besseren Einfälle" -------------------------------------------- "Hast du die Schule geschwänzt, um das in der kurzen Zeit hinzubekommen?" Crawford klang belustigt, als dieser das fragte, so dass er sich ein Lächeln erlaubte, in dem sich Stolz mit Zufriedenheit mischte. Aber bevor er antworten konnte, übernahm das Schuldig für ihn. "Nein, das hat Ran-chan nun doch nicht über sich gebracht. Dafür hat er aber ansonsten jede freie Minute mit Farf verbracht." Der Ire, der die Messer aus der Zielscheibe gezogen und zu ihm zurückgebracht hatte, grinste dazu. Dann landeten die Klingen vor ihm auf dem Boden, so dass sich die von ihrer Last befreiten Arme um ihn schlingen konnten. "Er klingt, als wäre er eifersüchtig", wurde ihm ins Ohr geflüstert. Was den Telepathen nicht davon abhielt, den Iren trotzdem zu verstehen. Schuldig schnitt eine Grimasse, sah ansonsten aber ausgesprochen unbeeindruckt drein. Crawford hingegen lächelte jetzt amüsiert. "Wenn ich mir das Ergebnis so betrachte, hast du keinen Grund zur Eifersucht. Schließlich scheinen die beiden alle Zeit aufs Training verwendet zu haben." "Sehr witzig." Noch unbeeindruckter, wenn das überhaupt möglich war. Trotzdem war er sich sicher, dass Schuldig sich keinerlei Sorgen machte. Immerhin sollte dem Älteren bewusst sein, dass er sich nur für Crawford interessierte. Dieser Gedanke ließ seinen Blick kurz zu dem Amerikaner abschweifen und durch seine Finger lief ein Kribbeln, als sie sich nach Crawford ausstrecken wollten. Hastig schüttelte er den Wunsch ab, bückte sich nach den Messern, um sich abzulenken. Was gleichzeitig den positiven Effekt hatte, dass Farfarello ihn wieder freiließ. Denn auch wenn der Ire gerne an ihm hing, im wahrsten Sinne des Wortes, so mochte dieser auch seine Messer. Weswegen ihm sofort geholfen wurde. Anschließend konnte es der Gleichaltrige natürlich nicht lassen, selbst zu werfen und auch wenn er selbst Fortschritte gemacht hatte, beneidete er Farfarello um dessen mühelose Präzision. Crawford war näher an ihn herangetreten, lautlos, wie er es von den Schwarz-Mitgliedern gewohnt war, doch er war nicht überrascht, als plötzlich eine leise Stimme aufklang. "Was ist mit deinem Nahkampftraining, hast du da auch so große Fortschritte gemacht?" Er ließ einen schnellen Blick zu dem Älteren hochblitzen. "Du verlangst nicht viel, was?", erwiderte er dann leichtfertig. Sein Magen flatterte leicht dabei, aber es fühlte sich mehr wie Euphorie als wie Nervosität an. Er war viel zu froh, Crawford wieder zurückzuhaben, als dass er jetzt Vorsicht walten lassen konnte. Die Belustigung in braunen Augen ließ ihn als nächstes grinsen, bevor er den Kopf schüttelte. "Ich habe mir Mühe gegeben, doch Schuldig besiegt mich genauso leicht wie immer." Der Telepath, der zuletzt Farfarello beobachtet hatte, hob jetzt eine Hand, um durch seine roten Haare zu wuscheln. "Das wird schon noch, Ran-chan", wurde er dann in einem gespielt aufmunternden Ton getröstet. Er ging das Risiko ein, Schuldig ganz einfach zu ignorieren und diesen Mal hielt er seine Hand nicht zurück. Gleich darauf pulste der gewohnte gleichmäßige Herzschlag des Amerikaners gegen seine Fingerspitzen und er hatte nichts mehr, das ihn ablenken konnte. Der Ausflug hier zum Trainingsraum war ein spontaner Entschluss gewesen, ganz einfach, weil er Crawford ansonsten umarmt und nicht mehr losgelassen hätte. Doch jetzt war dieser Impuls zurück und stärker als zuvor. Er musste den Älteren etwas zu lange angestarrt haben, denn Crawfords Mundwinkel kurvten wieder nach oben. Doch der Amerikaner war nicht Schuldig, so dass er nicht aufgezogen wurde, sondern Hilfe bekam. "Lass uns später etwas mit dem Katana trainieren. Dann können wir sehen, ob dein Training auch darauf positive Auswirkungen hatte." Er nickte bereits, bevor Crawford ganz zu Ende sprechen konnte und es war egal, dass sich das Amüsement des Älteren daraufhin vertiefte. "Gut, das wäre dann abgemacht. Aber zuerst kommt das Mittagessen dran und dann muss ich mit Schuldig noch etwas besprechen." ****** Schuldig stützte das Kinn auf beiden Händen auf und grinste ihn über den Küchentisch hinweg an. "Ist es wirklich so wichtig, dass der arme Ran sich noch länger gedulden muss?" "Seit wann nimmst du denn so viel Rücksicht auf ihn?", stellte er gedehnt eine Gegenfrage. Der Orangehaarige grinste nur noch breiter. "Das ist reine Selbstverteidigung. Schließlich musste ich es die letzten Tage mit ihm aushalten, während er kaum an etwas anderes als an dich gedacht hat." Eine kurze Pause. "Mit Ausnahme der Trainingssessions mit Farf natürlich. Der hat es geschafft, Ran beschäftigt zu halten." Er stieß ein leises Schnauben aus. "Ich gewinne allmählich den Eindruck, dass du Ran absichtlich an Farfarello abgeschoben hast." Er erhielt ein ungerührtes Nicken. "Einer meiner besseren Einfälle", lobte sich der Jüngere dann selbst. "Und Farf hat jetzt hoffentlich vorläufig wieder genug mit Ran gespielt, damit ich für eine Weile meine Ruhe habe." Letzteres wurde von einem Verdrehen der grünen Augen begleitet. Dieses Mal hielt er sein Amüsement zurück. So ganz gefiel Schuldig wohl immer noch nicht das Interesse, das Farf an dem Rothaarigen zeigte… Er hielt sich nicht lange mit diesem Gedanken auf, vor allem, da er zugleich daran erinnert wurde, warum sie hier zusammensaßen. Seine Miene wurde von ganz allein ernster und er konnte genau den Moment erkennen, in dem dies auch Schuldig auffiel. Der Telepath setzte sich prompt aufrechter hin und runzelte die Stirn. "Ist irgendetwas schiefgelaufen? Nagi meinte, ihr wisst jetzt, dass dieser Herr Walter hinter alldem steckt. Und ehrlich gesagt kam der mir nicht besonders gefährlich vor. Auch wenn ich ihm wohl gratulieren muss, weil er nie an die Talente gedacht hat, wenn er in meiner Nähe war." "Er scheint sehr diszipliniert", stimmte er zu. "Und da du nicht wirklich danach gesucht hast, wundert es mich nicht, dass du nichts gefunden hast. Aber nein, mit Herrn Walter hatten wir keine Schwierigkeiten, im Gegenteil, er hat uns bereitwillig Auskunft gegeben." Schuldigs Blick drückte Unglauben aus. "Einfach so?" Er musste unwillkürlich lächeln. "Nein, das nicht. Wir hatten seinen Mitarbeiter in der Hand. Und Herr Walter ist nicht nur diszipliniert, sondern auch mit einem Gewissen gesegnet." Schuldig lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. "Wie dumm für ihn. Aber was ist dann das Problem?" "Es hat sich herausgestellt, dass einer von Herrn Walters Mitarbeitern zu viel Eigenständigkeit zeigt. Er scheint irgendetwas im Japan-Büro vorzuhaben. Und obwohl wir schnell gehandelt haben, ist er unseren Leuten in Japan entkommen." Schuldig verarbeitete die Informationen schnell und dessen Blick war voll kühler Distanz, als dieser wieder etwas sagte. "Da ich ihnen keine Unfähigkeit andichten will, ist wohl davon auszugehen, dass dieser Typ uns tatsächlich gewisse Schwierigkeiten bereiten könnte." Sein langsames Nicken war genug, um Schuldig das Gesicht verziehen zu lassen. "Darf ich raten: Herr Schneider will dich darauf ansetzen." Dieses Mal wurde seine Reaktion gar nicht erst abgewartet. "Aber mal ehrlich, dein Talent ist nun wirklich nicht das beste für solche Aufgabe, oder?" Er schenkte dem Anderen ein schmales Lächeln. "Dann wiederum hatten wir die typischen Talente in dem Team, das ihn hatte festsetzen sollen. Ohne viel Erfolg damit zu haben." "Hm…" Schuldigs Brummen klang nicht ganz überzeugt, doch der Telepath fand gleich darauf ebenfalls zu einem Lächeln, das sein eigenes exakt widerspiegelte. Was auf Schuldigs Gesicht ausgesprochen merkwürdig aussah. "Ich wette, Herr Schneider will dich ganz einfach in der Verantwortung sehen und alle anderen Argumente sind da egal. Da zahlt es sich aus, dass du immer den Musterknaben für ihn gegeben hast." Nicht ganz – aber nah dran, wie er innerlich zugeben musste. Schuldig schien im Moment zum Glück nicht auf die Idee zu kommen, dass auch seine Beziehung zu Schneider bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt hatte und er war ganz zufrieden damit. Immerhin wusste er selbst noch nicht einmal, was er wirklich davon hielt… Bevor seine Überlegungen in eine gerade gar nicht nützliche Richtung abdriften konnten, sprach Schuldig auch schon weiter. "Steht es bereits fest, dass du rüberfliegst?" Jetzt wieder zurück im Planungsmodus. "Es wird sich bis morgen Abend entscheiden. Wenn sie den Mann bis dahin nicht haben, scheint es sich wirklich um einen etwas schwieriger gelagerten Fall zu handeln." Schuldig nickte langsam. "Okay, aber was genau musst du nun mit mir allein besprechen?" Seine Mundwinkel kurvten nur minimal nach oben. "Es ist kein Befehl, ich könnte auch hierbleiben." Sein Gegenüber zog eine Augenbraue hoch. "Keine gute Idee, wenn der Boss eindeutig darauf aus ist, dich den Job erledigen zu lassen." Er zuckte dazu nur mit den Schultern. Denn so viel war ihm klar, in dieser Hinsicht musste er sich wirklich keine Sorgen machen. "Bevor ich zusage, will ich von dir hören, dass du in der Zeit hier alles unter Kontrolle behalten kannst. Einen Vorgeschmack hast du ja in den letzten Tagen bereits bekommen." Schuldig lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinterm Kopf. "Das wird kein Problem sein. Nagi kann sehr gut auf sich selbst aufpassen und Ran ist viel zu gut erzogen, um Schwierigkeiten zu machen. Ich hoffe nur, Farf kann ihn bei Laune halten. Ich habe keine Lust, mich mit Ran-chans Depressionen herumzuschlagen, weil du schon wieder weg bist." Er… verspürte den Anklang eines schlechten Gewissens, doch es war nicht genug, um seine Entscheidung beeinflussen zu können. Von der er in diesem Moment feststellte, dass sie bereits gefallen war. Ein Einwand von Schuldig hätte ein Hindernis bedeutet, so aber… sah er einer neuen Herausforderung entgegen, genauso wie der Möglichkeit, Schneider in Kürze wiederzusehen. Er ertappte sich dabei, sich zu wünschen, dass das Team in Japan erfolglos bleiben würde. Ob Schuldig diesen Gedanken auffing oder einfach nur riet, konnte er nicht sagen, auf jeden Fall grinste der Orangehaarige gleich darauf wieder. "Dir wird der ganze Papierkram also endlich auch mal zu viel. Ich hoffe, du nimmst das zum Anlass, mal wieder ein paar interessantere Aufgaben für mich und Farf zu finden." Jetzt verzog Schuldig kurz das Gesicht. "Auch wenn wir damit bis zu deiner Rückkehr warten müssen…" Braune Augen verengten sich leicht, als er sich vollkommen auf Schuldig konzentrierte. Beide Hände ineinander verschränkt lehnte er sich etwas vor. "Langweilst du dich hier?" Es stand kein Urteil in seinen Worten. Schuldig zuckte lediglich mit den Schultern, ließ der Geste eine wegwerfende Handbewegung folgen. "Ach was, es lässt sich aushalten. Der Job für den Koala hatte schließlich auch nicht allzu viele Höhepunkte." Das nächste Grinsen trug echte Erwartung in sich. "Und wir werden hier ja nicht mehr lange herumhängen. Sobald die Schule anläuft, hast du genug Leute, die die Fußarbeit für dich erledigen. Du lässt uns dann doch als Spezialisten arbeiten, oder?" Nun waren es grüne Augen, die sich verengten, und er konnte nicht beurteilen, ob das aufblitzende Misstrauen nur gespielt war. "Die Alternative wäre schließlich, das Team aufzufüllen. Und ich kann dir versprechen, dass ich mir keinen anderen Teamleader vor die Nase setzen lassen werde." Und sie wussten beiden, dass Schuldig diese Aufgabe nicht selbst übertragen bekommen würde. Der Telepath konnte die benötigte Disziplin aufbringen, wenn er es wollte. Doch es war ganz einfach so, dass das Schuldig in der Regel zu anstrengend war. Er lehnte sich langsam wieder zurück. Natürlich hatte er vorgehabt, die drei künftig bei der Schule zu behalten und von dort aus einzusetzen, statt ein neues Team zu bilden oder sie gar aufzuteilen. Für einen Moment drohten seine Gedanken eine unerwünschte Schleife zu drehen. Aber er konnte beinahe Schneiders Worte hören und auch in diesem Fall hätte der Ältere Recht. Er brauchte keine weiteren Ausreden. Wenn die drei an der amerikanischen Schule als Spezialisten arbeiten konnten, konnten sie es genauso gut auf Rosenkreuz. Schuldig mochte vielleicht eingeschränkte Begeisterung zeigen, bei der Aussicht, Schneider wieder näher zu sein. Aber er kannte den Jüngeren gut genug, um sicher zu sein, dass Schuldig es in Kauf nehmen würde. "Du musst dir darüber keine Sorgen machte", antwortete er daher problemlos. Denn es war die Wahrheit, egal, wie die Zukunft aussehen würde. "Gut so. Nachdem wir das geklärt haben, kannst du endlich zu Ran-chan gehen, nicht wahr?" "Irgendwie bekomme ich allmählich das Gefühl, dass du mich loswerden willst…", erlaubte er sich einen Anflug von Humor. "Könnte daran liegen, dass ich das will", grinste Schuldig zurück. "Immerhin habe ich dann Farf mal wieder für mich. Von dieser Idee muss ich mich ja höchstwahrscheinlich in Kürze wieder verabschieden, wenn du tatsächlich nach Japan abhaust." Das Grinsen verschwand bei den nächsten Worten wieder und ein Finger zeigte auf ihn. "Ganz davon abgesehen, läufst du immer noch mit einem Abbild deiner Signatur herum. Ich habe keine Ahnung, wofür du diesen komischen Anhänger brauchst. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du darüber nachdenken würdest, ihn wieder loszuwerden. Es ist nämlich ziemlich nervtötend, auf mentaler Ebene einen Ghosting-Effekt zu haben." Ein Lächeln zog seine Mundwinkel nach oben. "Ich denke, in dem Fall musst du einfach wieder lernen, dein Talent bei dir zu behalten. So wie du es eigentlich schon immer hättest tun sollen." "Irgendwie habe ich gewusst, dass du das sagen würdest." Mit einem sauren Gesichtsausdruck, zu dem der Tonfall nicht ganz passen wollte. Schwungvoll kam Schuldig auf die Beine, umrundete den Tisch um neben ihm zu einem abrupten Stopp zu kommen. Orangefarbene Haare streiften ihn, als sich der Jüngere zu ihm herunter lehnte. "Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich jemals ganz aufgeben werden, oder?" Und damit verschwand Schuldig aus der Küche. Er zwinkerte. Er musste zugeben, dass er das tatsächlich geglaubt hatte, nachdem sich Schuldig in letzter Zeit nicht einmal andeutungsweise irgendwelche Freiheiten herausgenommen hatte. Aber es gab anscheinend Dinge, die sich einfach nicht änderten. ~TBC~ Kapitel 51: "Es hat etwas mit Herrn Schneider zu tun. Er hat es sich anders überlegt" ------------------------------------------------------------------------------------- Ran legte das Katana ausgesprochen vorsichtig beiseite, bevor er sich einfach auf die Matte plumpsen ließ. Den Kopf gesenkt, versuchte der Rothaarige zu Atem zu kommen, während Schweiß langsam zu Boden tropfte. Sein Lächeln blieb daher unbemerkt, doch der Anflug von Humor gewann eine selbstironische Note, als er sich eingestand, ebenfalls erschöpft zu sein. Langsam räumte er sein eigenes Katana beiseite, griff stattdessen nach den bereitliegenden Handtüchern und Wasserflaschen. Nachdem er sich das Gesicht abgewischt hatte, hielt er eine der gekühlten Flaschen gegen seine Stirn und seufzte zufrieden. Er konnte sich nicht erinnern, dass Ran bei einem Training zuvor so viel Ausdauer gezeigt hatte. Anscheinend war auch das ein Resultat der Übungen mit Farfarello. Der Ire hatte sich schon immer schwer damit getan, die eigenen Grenzen zu erkennen und Ran hatte sich das wohl bei ihm abgeschaut. Etwas, das der Japaner sich besser wieder abgewöhnen sollte. Er ließ das zweite Handtuch über Rans Nacken fallen, der daraufhin aufsah und ihm ein dankbares Lächeln schenkte. Als das Wasser erspäht wurde, gewann das Lächeln an Ausdruck und im nächsten Augenblick war er nicht nur die Flasche los, sondern Ran hatte sie in ein paar hastigen Schlucken zur Hälfte geleert. Bedeutend zurückhaltender nahm er selbst auch ein paar Schlucke, bevor er sich neben Ran niederließ. "Du solltest dich etwas mehr zurückhalten", mahnte er leise. "Das Training ist nicht dafür da, dich völlig kaputtzumachen." Er legte eine kurze Pause ein, um sicherzugehen, dass der Jüngere ihm auch zuhörte. "Außerdem hast du es dann nicht nötig, so schnell Flüssigkeit in dich hineinzuschütten. Das ist nämlich auch nicht besonders gesund", fügte er dann hinzu. Violette Augen musterten ihn kurz, dann war Ran überzeugt, dass er es zwar ernst meinte, aber nicht sauer war, weswegen er gleich darauf ein weiteres Lächeln erhielt. "Wenn du häufiger mit mir trainieren würdest, hätte ich vielleicht nicht das Bedürfnis, jede Minute so gut ich kann auszunutzen", erlaubte sich Ran einzuwenden. Seine Mundwinkel kurvten aus eigenem Antrieb nach oben. "Aber das Training mit Schuldig – und selbst das mit Farfarello – ist viel sinnvoller. Schließlich läufst du nicht ständig mit einem Katana herum. Oder auch nur mit einem Shinai." Ran sah nicht besonders überzeugt aus, stellte die Flasche für den Moment beiseite, um sich mit dem Handtuch übers Gesicht zu fahren. Als er wieder angesehen wurde, hatte er irgendwie den Eindruck, dass ihm der Jüngere am liebsten die Zunge rausgestreckt hätte oder sonst eine kindische Geste gezeigt, um den nachfolgenden Worten mehr Nachdruck zu verleihen. "Du weißt ganz genau, dass mir das völlig egal ist." Da er dem schlecht widersprechen konnte, nickte er langsam, woraufhin Ran das Thema sichtlich ad acta legte, sich stattdessen zu ihm vorlehnte. "Wenn du vorhin mit Schuldig geredet hast, heißt das, dass du wirklich gleich wieder abreisen musst?" Rans Gesichtsausdruck war so neutral, dass er schon wieder verräterisch war. "Nach aktuellem Stand sieht es ganz so aus", gab er nach nur minimalem Zögern zurück. Zwar bestand die Chance, dass sie Parks noch kurzfristig einfangen würden, doch er hielt es nicht für besonders wahrscheinlich. Und er wollte Ran keine falschen Hoffnungen machen. Der biss sich jetzt auf die Unterlippe. "Was ist mit den Anderen?", wurde dann nachgehakt. "Sie bleiben hier. Du musst dir keine Sorgen machen, dass du ganz allein zurückbleibst." Sein Versuch von Humor wurde aufgegriffen, auch wenn Ran sich etwas schwertat damit. "Wenn dann wäre ich mitgekommen. Ich hätte mich bei Stan einquartieren können, der würde sich über einen Besuch garantiert freuen." Dass da noch ein Onkel und eine Tante waren, zu denen Ran hätte gehen können, wurde nicht einmal angedeutet. "Es wird sich bestimmt noch eine andere Gelegenheit ergeben", versicherte er Ran mit einem leichten Lächeln, das sich aber nicht lange hielt. Schließlich gab es da noch einen ganz anderen Punkt zu klären. Und es jetzt anzusprechen würde nicht nur Ran mehr Zeit geben. Es würde ihn automatisch dazu zwingen, selbst darüber nachzudenken. Etwas, das er gerne von sich schob, wie Schneider schon festgestellt hatte. Ran bemerkte den Wandel in seiner Miene und dessen Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten, wo sie immer noch das Handtuch hielten. Doch es wurde nichts weiter gesagt, sondern mehr oder wenig geduldig abgewartet, was noch kommen würde. Nur der Schatten, der in den violetten Augen Einzug gehalten hatte, verriet den Jüngeren. "Das Schuljahr hier ist fast vorüber. Und wie es aussieht, solltest du den Abschluss schaffen", leitete er langsam ein und der Schatten zog sich zu Gunsten von Verwirrung zurück. Er sprach weiter, als hätte er es nicht bemerkt. "Hast du schon darüber nachgedacht, was du danach machen möchtest?" Ran schwieg sehr lange und er konnte regelrecht sehen, welche Gedanken dem Rothaarigen durch den Kopf gingen, denn sie spiegelten sich auf dessen Gesicht wider. Um schließlich bei Entschlossenheit zu enden. "Das ist mir egal, wenn ich bei euch bleiben kann." Und das kam nicht wirklich unerwartet, wie er zugeben musste. "Das ist kein Plan", erwiderte er dennoch, ruhig. "Du bist nicht auf den Kopf gefallen, du solltest studieren gehen." Der Rothaarige reagierte nicht auf das, was er sagte, sondern ganz auf das, was dahinter steckte. "Es ist kein Zufall, dass du ausgerechnet heute danach fragst, nicht wahr?" Eine Hand löste sich von dem Stoff, tastete nach seinem Handgelenk, um sich darum zu schließen. "Es hat etwas mit Herrn Schneider zu tun. Er hat es sich anders überlegt." Keine Frage. Und keine Überraschung. "Es ist meine Entscheidung", stellte er klar. "Und sie ist noch nicht gefallen." Rans Blick war wieder dunkler geworden und eine seltsame Distanz stand plötzlich darin. "Aber es ist Herr Schneider. Es war nur eine Frage der Zeit. Und da du jetzt ernsthaft darüber nachdenkst, wirst du am Ende ja sagen." So knapp die Aussagen ausfielen, so sicher schien sich Ran seiner Sache zu sein. Weil dieser anders als er selbst es schon längst getan hätte. Sein Gedankengang wurde unterbrochen, als sich Rans Griff verstärkte. "Willst du, dass ich verschwinde, will er es?" Die innerliche Distanz wurde größer. Und das gefiel ihm nicht. Denn in dieser Beziehung hatte er noch nie gerne mit anderen gespielt. Also lehnte er sich vor und küsste Ran, der nur für einen winzigen Moment wie erstarrt war, dann gegen ihn fiel. Nachdem sie sich wieder voneinander getrennt hatten, kurvte unwillkürlich ein Lächeln seine Mundwinkel, er wusste nur nicht so ganz, ob es überhaupt an Ran gerichtet war. "Ich muss zugeben, dass Herr Schneider unter keinerlei Anfällen von Unsicherheit leidet. Er würde nicht verlangen, dass du gehst." Rans Stirn ruhte an seiner Schulter. "Ich glaube, das hätte ich auch nicht ausgehalten", wurde dann absolut sachlich festgestellt. "Du solltest dich nicht so sehr von uns abhängig machen", mahnte er leise. "Aber hoffentlich wird sich in Zukunft von ganz allein die Möglichkeit ergeben, dass du mehr Abstand gewinnst." Etwas blitzte in den violetten Augen auf. "Vielleicht will ich das gar nicht." Natürlich. Doch es blieb abzuwarten. Vielleicht würde Ran es schaffen, zu einem normalen Leben zurückzufinden. Ein Studium konnte da hilfreich sein. Und wenn nicht… dann konnten sie sich Rans Loyalität sicher sein. Und mit dessen Schwester hatten sie ein ausreichendes Druckmittel in der Hand, dass die Voraussetzungen erfüllt waren, ihn nahe der Schule einzusetzen und nicht nur in einem entfernten Zweig von SZ. Er könnte mit beiden Varianten leben, weswegen er auf Rans Ausbruch nur mit einem Lächeln reagierte. "Komm, wir sollten duschen gehen und uns umziehen, bevor wir uns noch verkühlen." Ein Stirnrunzeln war die erste Reaktion darauf, doch dann gab der Jüngere nach. Und versuchte zumindest, auf die Beine zu kommen. Rans Gesichtsausdruck, als dieser wieder auf dem Hosenboden landete, ließ ihn beinahe auflachen. Was ihm angesehen wurde. Violette Augen verengten sich, dann aber erhielt er ein flüchtiges Grinsen und der ernste Unterton ihrer Unterhaltung zuvor schien vergessen. "Mach es besser", wurde er aufgefordert. Er zog eine Augenbraue hoch, bevor er aufstand. Die Bewegung mochte mehr Kontrolle als sonst erfordern, doch das war ihm nicht anzumerken. Als nächstes hielt er Ran eine Hand hin, die zunächst beäugt wurde, als wäre das Angebot nicht ernst gemeint, dann aber griff der Jüngere danach. Der Schwung oder auch die zittrigen Beine sorgten dafür, dass Ran gleich darauf gegen ihn lehnte und dessen leise Frage verdrängte den Humor wieder, machte klar, dass sich der Rothaarige nicht so einfach ablenken ließ. "Ich müsste auch studieren, wenn ich für euch arbeiten will, nicht wahr?" "Hm", gab er mit einem Brummen zurück. "Wir rekrutieren Externe in der Regel nur, wenn sie uns nützlich sind. Deine Herkunft allein wäre für das Japan-Geschäft schon mal hilfreich. Aber natürlich benötigst du die entsprechende Ausbildung." Ran suchte seinen Blick, unter halb geschlossenen Lidern hervor. "Und Deutsch sollte ich auch lernen, was? Ein Studium in Deutschland wäre da hilfreich." Wie es aussah, hatte sich Ran schon längst zusammengereimt, was seine Entscheidung bedeuten würde. Und hatte seine Mahnung so ausgelegt, wie es ihm gefiel. Der Gedanke ließ seine Mundwinkel zucken und von Ran kam darauf ein Laut, der beinahe nach Zufriedenheit klang. Und er selbst war es auch. Unverändert war er sich nicht sicher, was die beste Lösung für den Jüngeren war. Aber auf diese Weise hätte Ran ein klares Ziel, würde nicht versuchen, die ganze Zeit bei ihm zu bleiben. Außerdem… war auch Aya in Deutschland. Wenn es eine Chance gab, dass Ran sich wieder dem zuwandte, was als Normalität durchging, dann über dessen Schwester. Es war schon seltsam, dass sich der Gedanke an Rans Zukunft nicht als Hindernis herausgestellt hatte, sondern Schneider sogar in die Hände spielte. Er zögerte innerlich. Oder er legte sich ganz einfach alles so zurecht, wie ein Teil von ihm es von Anfang an hatte haben wollen. Damit es keinen Grund gab, Schneiders Angebot auszuschlagen. Ein Anflug selbstbezogener Ironie glitt durch braune Augen, unbemerkt von Ran, der sich wieder ganz gegen ihn gelehnt hatte. "Komm", murmelte er, seine Überlegungen beiseite schiebend. Mal wieder. Weil es im Moment am einfachsten so war. Ran benötigte ein paar Sekunden, um zu reagieren, löste sich mit leichtem Widerwillen von ihm. Für einen Moment wurde er dann noch gemustert und es so aus, als wollte der Rothaarige eine Frage stellen, doch der Mund wurde wieder geschlossen, ohne dass ein Wort gefallen war. Als er das Bad verließ, fühlte er sich um einiges besser. Es hatte gut getan, seine Muskeln mal wieder richtig zu beanspruchen und bei dieser Feststellung drifteten seine Gedanken wieder in eine ganz bestimmte Richtung ab. Als hätten sie einen neues Schwerkraftzentrum gefunden, dem sie sich nicht entziehen konnten. Also erlaubte er sich festzustellen, dass er zurück auf Rosenkreuz ohne Probleme sein Training mit Schneider wieder aufnehmen könnte, hakte den Punkt damit aber ab. Vor seinen Schrank tretend, trocknete er sich die Haare, musterte für einen Augenblick den Inhalt, bevor er nach Hemd und Hose griff. Weste und Krawatte blieben zurück, schließlich war es bald schon Abend und er hatte nicht vor, noch zu arbeiten. Da Ran sich noch nicht eingefunden hatte, als er angezogen war, verließ er sein Zimmer in Richtung Nagi. Wie erwartet fand er ihren Jüngsten vor dem Computer vor und wenig überraschend schien Nagi nach einer elektronischen Spur von Parks zu suchen. "Woher weißt du das eigentlich schon? Ich habe noch nicht einmal einen Bericht geschrieben." Nagi wandte sich erst zu ihm um, als er sprach, auch wenn der Jüngere sein Eintreffen garantiert schon früher wahrgenommen hatte. Dunkelblaue Augen hefteten sich auf ihn und dann erhielt er ein schmales Lächeln. "Herr Schneider hat mich angerufen. Er meinte, ich wäre der Beste für diese Aufgabe, der gleichzeitig Japanisch kann. Und sie gehen davon aus, dass Parks sich noch in Japan befindet." Natürlich. Wenn er selbst so etwas wie einen Heimvorteil hatte, dann traf das auf Nagi erst recht zu. Dann kam ihm ein anderer Gedanke. "Hat er dich gefragt, ob du von Japan aus daran arbeiten willst?" Das Lächeln wurde deutlicher, bevor Nagis Miene die gewohnte Neutralität zurückgewann. "Er hat die Möglichkeit angedeutet. Mit dem Hinweis, dass du wahrscheinlich auch dort sein wirst." Die Augen verengten sich leicht. "Bist du es?" Unwillkürlich stieg Belustigung in ihm auf. "Ist das denn von Belang für dich?" Nagi verschränkte die Arme vor der Brust, antwortete aber. "Wenn du rüberfliegst, werde ich natürlich mitkommen. Ich kann dich schließlich nicht nur mit lauter Unbekannten zusammenarbeiten lassen." "Unbekannt vielleicht. Aber immerhin haben wir alle das gleiche Training." "Manche mehr, manche weniger", erinnerte Nagi ihn daran, dass er nicht so lange wie ein typischer Schüler auf Rosenkreuz gewesen war. Und Nagi war überhaupt nicht dort gewesen. Wie immer war der Telekinet nicht auf den Kopf gefallen. Er gestand ihm den Punkt mit einem angedeuteten Schulterzucken zu. "Wenn sie ihn nicht bis morgen haben – und vielleicht schaffen sie es dank dir sogar – dann werde ich die Leitung übernehmen." Nagi nickte langsam. "In dem Fall werde ich schon mal zwei Tickets buchen. Der Typ hat sich bisher nämlich als ausgesprochen schwer greifbar erwiesen." Und wenn Nagi das sagte, bedeutete das etwas. Dieses Mal war er selbst es, der nickte. ~TBC~ Kapitel 52: "Übrigens wäre es sehr freundlich, wenn du deine Pläne auch mit uns teilen würdest" ----------------------------------------------------------------------------------------------- "Bist du noch wach?" Ran saß gegen seine Seite gelehnt, in ein Buch vertieft. Von dem in den letzten Minuten keine Seite mehr umgeblättert worden war. Auf seine Frage hin setzte Ran sich auf und streckte sich, wonach er ein schiefes Lächeln erhielt. "Eingeschlafen bin ich noch nicht", wurde ihm versichert. "Aber ich kann mich nicht mehr konzentrieren." "Das ist ja auch kein Wunder. Immerhin ist Deutsch eine vollkommen neue Sprache für dich. Du gehst an die Sache heran, als wolltest du Deutsch an einem Abend lernen." Seine Mundwinkel kurvten nach oben, bevor er nach dem Buch griff, das widerstandslos aus Rans Hand glitt, und langsam hindurch blätterte. Das Buch stellte sich als eine recht ausführliche Einführung in die Sprache heraus und zwar für Japaner. "Wo hast du das eigentlich her?" Da er selbst für Rans Ausstattung gesorgt hatte, war er sich ziemlich sicher, dass so etwas nicht dabei gewesen war. "Schuldig hat es mir gegeben. Er hat mitbekommen, dass ich jetzt Deutsch lernen will. Und er hat mir einen Boost verpasst, so wie damals mit Englisch am Flughafen. Frag mich aber nicht, warum er so ein Buch hat." Ran verstummte kurz, grinste dann. "Vielleicht hatte er es als Geschenk auf Vorrat besorgt. Aya lernt schließlich auch Deutsch, da war es nicht abwegig anzunehmen, dass ich es früher oder später ebenfalls versuche." "Hm, sehr gut möglich", gestand er zu, bevor er das Buch zuklappte und beiseite legte. So dass Ran es nicht ohne Weiteres erreichen konnte. "Ich bin zugegeben etwas überrascht, dass Schuldig so schnell gehandelt hat. Auf der anderen Seite hat er wahrscheinlich aber nichts dagegen, wenn du erst mal ein neues Hobby hast und er Farfarello wieder mehr für sich hat." Amüsement blitzte in braunen Augen auf. Ran, der sein Manöver sehr genau verfolgt hatte, wenn auch ohne Protest, suchte jetzt wieder seinen Blick. "Es war ja nicht nur meine Idee. Farf wollte auch trainieren." "Du muss dich nicht verteidigen." Wieder belustigt. "Ich weiß, dass Farfarello seinen eigenen Kopf hat. Und wenn es Schuldig wirklich zu viel geworden wäre, hätte er schon einen Weg gefunden, seinen Unmut deutlich zu machen." Der Rothaarige stutzte, schüttelte dann lächelnd den Kopf. "Natürlich hätte er das…" Damit schien das Thema für Ran abgeschlossen, denn eine Hand wurde in Richtung Tisch ausgestreckt. Nicht nach dem Buch, sondern nach der Fernbedienung, die dort lag. "Da ich nicht mehr lernen darf, wie wäre es hiermit?" "Wenn du magst." Er legte seine Zeitung endgültig beiseite, während Ran nach etwas Passendem im Programm suchte. Für einen Moment beobachtete er das, legte dann eine Hand auf die des Jüngeren. "Wenn du nichts findest, können wir auch eine DVD schauen. Unten sind mehr als genug und bei der Gelegenheit können wir uns gleich noch etwas zum Essen holen. "Wir essen nicht mit den Anderen?" Nicht abgeneigt, doch Ran wollte nicht die gewohnten Abläufe stören, nur um dessen eigenen Wünschen nachzukommen. "Nagi ist sowieso beschäftigt." Dazu benötigte er keine Unterstützung seines Talents. Wenn der Junge sich erst mal an etwas festgebissen hatte, bekam ihn so schnell niemand vom Computer weg. Und dass der Auftrag direkt von Schneider gekommen war… nun, das würde Nagi nur noch mehr anspornen. "Und wie ich schon sagte, Schuldig hat ganz sicher nichts gegen etwas Zeit allein mit Farfarello einzuwenden." Dieses Mal lächelte Ran nur, lehnte sich dann überraschend zu ihm vor und da war nur ein winziges Zögern, bevor er geküsst wurde. Ehe er dazu kam, wirklich darauf zu reagieren, war Ran bereits auf den Beinen. "Ich gehe nachsehen, was es gibt. Du suchst den Film aus." Das Neigen seines Kopfs wurde kaum abgewartet, dann war der Rothaarige auch schon aus dem Zimmer verschwunden. Etwas verblüfft sah er ihm nach, bevor er innerlich den Kopf schüttelte. Wie es aussah, hatte Ran noch etwas Energie in sich gefunden. Oder war bereits übermüdet und deswegen aufgedreht. Wie ein kleines Kind. Seine Mundwinkel zuckten kurz nach oben, dann machte er sich selbst auf den Weg nach unten. Aus der Küche drangen ein elektrisches Summen und Stimmen zu ihm vor, doch er ignorierte sie, lenkte seine Schritte zum Wohnzimmer. Wo Schuldig es sich auf der Couch bequem gemacht hatte und durch die Sender zappte. Grüne Augen richteten sich auf ihn, kaum dass er den Raum betreten hatte und Schuldig winkte ihm träge zu. "Nabend großer Meister." "Schuldig", nickte er ihm zu. "Solltest du nicht lieber ein Auge auf Farfarello haben?" Der Telepath schaffte es irgendwie, noch weiter in die Couch zurückzusinken. "Nein danke. Wie du hören kannst, hat er den Mixer am Wickel. Und auch wenn ich zugeben muss, dass das Endprodukt in letzter Zeit wirklich genießbar ist, verzichte ich lieber darauf, die Entstehung zu verfolgen." Amüsement rührte sich in ihm, doch seine Miene spiegelte nichts davon wider, als er zu dem Regal hinüberging, in dem sich Reihen von DVDs befanden. "Es sieht ganz so aus, als würde Nagi mich begleiten", teilte er Schuldig mit, während seine Fingerspitze wenige Millimeter von den Titeln entfernt den Rücken der Hüllen folgte. Schuldig erstarrte für einen Moment, er spürte es, auch wenn er es nicht sah, doch in dessen Antwort steckte nichts von dieser Reaktion. "Schön für ihn. Nachdem du jetzt für Arbeit für ihn gesorgt hast, vergiss nicht, dass ich auch auf etwas Abwechslung warte." "Hm", gab er einen Laut der Zustimmung zurück, fand dann den Film, nach dem er gesucht hatte und zog ihn hervor. Als nächstes wandte er sich zu Schuldig um, der ihn immer noch beobachtete. "Mach keine Dummheiten mit Ran, während ich weg bin." Schuldig tat so, als müsste er über seine Worte nachdenken, bevor dieser eine Frage stellte. "Warum eigentlich fragst du mich erst, ob ich klarkomme, wenn wir vier wieder von dir im Stich gelassen werden, doch ich bekomme eine Warnung zu hören, wenn unser Kreis um eine Person schrumpft?" "Nun, du musst zugeben, dass Nagi ein gewisses ausgleichendes Element darstellt", gab er trocken zurück. "Außerdem bist du auf die Idee gekommen, ihm ein Buch in die Hand zu drücken, damit er Deutsch lernen kann, während er kaum noch einen klaren Gedanken fassen kann." "Ja~", erwiderte Schuldig gedehnt. "Aber das war reine Selbstverteidigung. Vorher sind seine Gedanken die ganze Zeit im Kreis gerannt. Was ja wohl deine Schuld war. Ich habe ihm bloß etwas gegeben, woran er sich festhalten kann." Nun wurden die grünen Augen zusammengekniffen. "Übrigens wäre es sehr freundlich, wenn du deine Pläne auch mit uns teilen würdest." Sein Lächeln daraufhin geriet etwas halbherzig. "Das werde ich tun. Sobald es _Pläne_ sind." Der Jüngere ließ die Worte zwischen ihnen stehen, für eine lange Minute, bevor dieser schließlich nickte. "Meinetwegen." Es folgte eine wegwerfende Handbewegung. "Und jetzt solltest du besser zu Ran, bevor er sich noch von Farf einspannen lässt." Er erwiderte nichts darauf, setzte sich allerdings in Bewegung. Und als er Schuldig passierte, griff dieser nach seinem Handgelenk. Er ließ es zu, erwiderte ruhig den Blick des Telepathen, der für einen Moment verschwamm, als das Talent des Jüngeren verstummte. "Denkst du _ernsthaft_ darüber nach, nach Deutschland zurückzugehen?" Anscheinend war die Sache Schuldig doch nicht so egal, wie dieser eben noch getan hatte. Was eine sehr viel glaubhaftere Reaktion war. Er presste flüchtig die Lippen zusammen. "Sonst hätte ich nicht mit Ran darüber gesprochen", gab er dann zurück. Schuldig nickte nur. "Mir ist es egal, dass wir dadurch wieder näher an Herrn Schneider dran sind. Ich habe nicht vor, ohne dich woanders weiterzumachen." Dieses Lächeln fiel ihm nicht schwer. "Das habe ich mir bereits gedacht." Und es benötigte keines großen Rucks, um sich daraufhin aus Schuldigs Griff zu befreien und seinen Weg fortzusetzen. In seinem Rücken spürte er immer noch den Blick des Orangehaarigen, doch er wurde nicht mehr zurückgehalten. Er lehnte sich gegen den Türrahmen, blickte von dort aus in die Küche hinein. Und tatsächlich fütterte Farfarello gerade den Mixer mit irgendwelchen Zutaten, die er nicht identifizieren konnte – oder wollte. Ran hingegen… stand am Herd, beschäftigt mit einer Pfanne. Als hätte der Rothaarige seinen Blick bemerkt, drehte Ran sich auf einmal zu ihm um und winkte ihn näher, eine Aufforderung, der er sofort folgte. Spätestens in diesem Moment sollte Farfarello seine Anwesenheit bemerken, doch der Ire schien nicht daran interessiert, darauf zu reagieren. Womit er wenigstens nicht befürchten musste, auf eine Kostprobe eingeladen zu werden. Der Gedanke rief flüchtiges Amüsement in braune Augen und Ran schien es nicht nur zu erkennen, sondern auch richtig zu deuten. "Du musst zugeben, dass er auch schon einige richtig gute Sachen zusammengemixt hat." Zustimmend neigte er den Kopf. "Das will ich nicht bestreiten. Auf der anderen Seite hat er aber noch nicht zweimal das gleiche Ergebnis gehabt und die meisten davon waren… eher fragwürdiger Natur." Ran grinste, wandte sich dann wieder der Pfanne zu, bevor etwas anbrennen konnte. Er trat näher an ihn heran, so dass er über Rans Schulter blicken konnte. "Irgendwie habe ich nicht in Erinnerung, dass ich dich zum Essenmachen losgeschickt hätte." Der Jüngere lehnte sich kaum merklich zurück, gegen ihn. "Ich mache ja auch nur etwas warm. Schuldig hatte Chinesisch bestellt und es war noch mehr als genug für uns beide übrig." "Hm, dann will ich nur hoffen, dass er sich nichts für einen Mitternachtssnack aufheben wollte." Ran tat seine Bedenken mit einem unbekümmerten Schulterzucken ab, was dann wohl hieß, dass Schuldig gefragt worden war und Ran seinen Segen erteilt hatte. Nun, das war ein gutes Zeichen. Seine Mundwinkel zuckten kurz nach oben, bevor er zur Seite trat und Teller sowie Gläser für sie aus dem Schrank holte. Während Ran den Inhalt der Pfanne auf die Teller verteilte, öffnete er den Kühlschrank, griff nach einem Moment der Überlegung nach einem der Saftkartons. Damit und mit den Gläsern machte er sich anschließend auf den Weg nach oben, immer noch unbeachtet von Farfarello, auch wenn er kurz darauf hören konnte, wie der Ire mit Ran noch ein paar Worte wechselte, bevor der Rothaarige ihm folgte. "Sag mal, weißt du, warum Farfarello mich ignoriert hat?", erkundigte er sich, während er die DVD einlegte. Als er Ran auflachen hörte, wandte er sich zu ihm um. Violette Augen erwiderten seinen Blick voller Unschuld. "Er hatte mich gefragt, ob ich später noch mit ihm trainieren würde. Aber dieses Angebot musste ich dankend ablehnen. Ich kann schließlich froh sein, dass mich meine Beine wieder ohne zu zittern tragen." "Und ich habe natürlich die Schuld bekommen…" Ran wartete, bis er neben ihm saß, lehnte sich dann gegen ihn, den Teller problemlos auf dem Schoß balancierend. "Ich habe ihm daraufhin auch gesagt, dass ich sowieso einen Film mit dir sehen will, doch das schien ihm egal." "Weil das Ergebnis dasselbe ist." Amüsiert griff er nach seinem eigenen Teller. Wie es aussah, hatte sich Farfarello in den wenigen Tagen seiner Abwesenheit daran gewöhnt, jederzeit Zugriff auf Ran zu haben. Und es würde ihn nicht wundern, wenn der Rothaarige gerne auf diese Ablenkung eingegangen war. Er warf einen kurzen Blick auf Ran, der davon nichts mitbekam, schob den Gedanken dann beiseite. Es hatte nicht viel Sinn, deswegen ein schlechtes Gewissen zu entwickeln. Vor allem, da er die mit Schneider verbrachte Zeit ganz sicher nicht bereute. Rans Gewicht gegen seine Seite wurde spürbarer und holte seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Zu seinem Essen und dem Film, der gerade startete. Und natürlich zu Ran selbst. Der zufrieden lächelte, als er einen Arm um ihn schlang. Die Teller und Gläser waren schon lange leer und Rans Kopf ruhte inzwischen nicht mehr gegen seine Schulter, sondern in seinem Schoß. Der Jüngere hatte diesen Platz wie selbstverständlich gewählt, ohne dass er das geringste Zögern bemerkt hätte. Seine Finger spielten wie aus eigenem Willen durch die roten Strähnen, verirrten sich ab und zu, um Rans Züge nachzuzeichnen. Und so merkte er es schnell, als Ran Augen anscheinend lieber geschlossen blieben, statt weiter das Geschehen auf dem Fernseher zu verfolgen. "Wenn du schlafen willst, ist das Bett bequemer", machte er ihn leise aufmerksam. Für ein paar Sekunden schien Ran nicht zu atmen, dann aber drehte sich der Jüngere auf den Rücken und sah zu ihm hoch. "Kommst du auch?" Und unter seinen Fingerspitzen erwärmten sich Rans Wangen. Er ließ seine Fingerspitzen weitergleiten, über Rans Lippen, der daraufhin trocken schluckte. Seine Mundwinkel kurvten nach oben. "Bist du dir sicher, dass das deinem Bedürfnis nach Schlaf zuträglich sein würde?" Noch mehr Wärme, aber Ran ignorierte das mit Bravour. "Das ist mir egal." Er tat so, als würde er ernsthaft über diese Erwiderung nachdenken, bevor er die nächste Frage stellte. "Und der Film?" Der Anflug von Verlegenheit verschwand, als Ran grinste. "Das ist eine DVD. Wir können den Film jederzeit zu Ende gucken." "Das klingt nach einem guten Argument." Und als er sich herunterbeugte, kam Ran ihm entgegen, so dass er ihn küssen konnte. ~TBC~ Kapitel 53: "Es ist ihm jetzt wirklich ernst damit, dich zurückzubekommen" -------------------------------------------------------------------------- Ran saß auf seinem Schoß, Stirn gegen seine Schulter gelehnt, ganz darauf konzentriert, die Knöpfe seines Hemds zu öffnen. Langsam, als könnte jede zu hastige Bewegung etwas beschädigen. Als der Anhänger der Kette freigelegt wurde, hielt der Rothaarige kurz inne, um dann danach zu greifen. Mit einem kurzen Blick zu ihm, wie um sich seiner Zustimmung zu versichern. "Hat Herr Schneider ihn dir geschenkt?", wurde er leise gefragt, während ein Daumen über die kaum wahrnehmbaren Erhebungen in dem unvertrauten Metall strich. Es fiel ihm nicht schwer die Assoziation zu verstehen, die Ran gerade hatte. Weswegen er seine Antwort bewusst leichtfertig ausfallen ließ. "Hm, hat er. Aber es ist eher eine Leihgabe als ein Geschenk." Als Ran dieses Mal seinen Blick suchte, wirkte das Violett nachgedunkelt. "Ich weiß nicht, ob ich das besser finde", wurde offen zugegeben. Und er hätte Ran – vielleicht – mit der Aussage beruhigen können, dass dieser Anhänger nicht so sehr sentimentalen Wert hatte als vielmehr einen sehr ernsten Hintergrund. Doch das war unmöglich. Ran hatte keine Schilde, keine echten. Und so würde die Information früher oder später Schuldig bekannt werden, was die Regeln nicht zuließen. Selbst wenn er vage bleiben würde. Denn wo Ran keine Chance hatte, die Realität hinter diesem Anhänger zu verstehen, sah das bei einem Talent, vor allem einem Telepathen, ganz anders aus. Also sagte er gar nichts und Ran runzelte flüchtig die Stirn, als dieser irgendetwas aus seinem Blick ablas. Dem folgte ein halbherziges Lächeln, bevor ohne jede Vorwarnung ein Kuss auf seine Lippen gepresst wurde. Er ließ ihm die Initiative und half schließlich den suchenden Fingern, sein Hemd erst ganz öffnen, um ihn dann daraus zu befreien. Und dieses Mal atmete Ran laut aus. "Deswegen also… er hat dich mehr vermisst als damals. Es ist ihm jetzt wirklich ernst damit, dich zurückzubekommen." Das… sollte nicht so einfach sein, aber letztendlich hatte Ran den Punkt genau getroffen. Sein Eingeständnis lag ganz allein im Kurven seiner Mundwinkel, was der Jüngere sofort registrierte. Ganz und gar nicht überrascht. Ein paar endlose Sekunden tickten dahin, dann fand Ran zu einem eigenen Lächeln. "Ich habe trotzdem nicht vor, einfach aufzugeben." "Was du heute schon zu Genüge bewiesen hast." Er ließ seine Finger durch rote Strähnen gleiten, bis sie in Rans Nacken zur Ruhe kamen. Das zumindest reichte aus, um Ran weitere Gedanken an Schneider beiseiteschieben zu lassen. Violette Augen wurden fast vollständig geschlossen, bevor sich der Jüngere ihm wieder entgegenlehnte, einen weiteren Kuss fordernd. Und dieses Mal gab es keine Unterbrechungen mehr. Es fiel ihm ausgesprochen leicht, sich darauf einzulassen. Er erwachte zur gewohnten Zeit, ohne einen Wecker dafür zu benötigen. Und auch wenn der Tag zuvor auch ihn einiges an Energie gekostet hatte, verzichtete er darauf, sich noch einmal umzudrehen. Vorsichtig setzte er sich auf, sich aus Rans halber Umarmung befreiend, ohne dass der Jüngere aufwachte. Rahn wählte ersatzweise einfach das Kopfkissen, vergrub das Gesicht darin und schlief in aller Seelenruhe weiter. Ein amüsiertes Lächeln zuckte über seine Lippen, als er das sah, doch dann ließ er sich nicht weiter aufhalten. Sein erster Gang führte ihn geradewegs unter die Dusche, wo das Wasser die Spuren auf seinem Körper flüchtig aufbrennen ließ. Immer noch die von Schneider. Denn entgegen seiner Erwartungen hatte Ran sie in Ruhe gelassen. Was vielleicht bedeutete, dass sich der Jüngere mit dem letztendlichen Ergebnis schon abgefunden hatte, auch wenn Ran trotz allem nicht zurückgelassen werden wollte. Er hielt das Gesicht dem warmen Wasser entgegen und stellte mit leichter Überraschung fest, dass er völlig ruhig war. Vielleicht hatte auch er selbst sich… nicht abgefunden, das wäre falsch. Aber möglicherweise mit sich selbst geeinigt. Wenn auch sein Verstand es bisher nicht lassen konnte, immer wieder Vor- und Nachteile abzuwägen, so schienen seine Emotionen dieses Problem nicht mehr zu haben. Dieses Mal lächelte er über sich selbst, auch wenn es trocken ausfiel, beendete dann mit effizienten Bewegungen seine Dusche. Als er wenig später an Nagis Zimmer vorbeikam, ließen ihn leise Geräusche stoppen. Ein Stirnrunzeln kam und ging schnell wieder, bevor er die Tür öffnete. Und seine Vermutung bestätigt fand. "Hast du überhaupt geschlafen?" "Natürlich. Ich bin erst vor kurzem aufgestanden." Ohne das Tippen auch nur für eine Sekunde zu unterbrechen. "Hm…" Das mochte die Wahrheit sein, wie Nagi sie sah. Doch ihm war zu bewusst, wie leicht der Jüngere die Zeit bei der Arbeit am Computer vergaß, um ihm so einfach zu glauben. Auf der anderen Seite war Nagi nun wirklich vernünftig genug, um auf sich selbst aufzupassen. Dennoch… "Ich erwarte, dass du in einer halben Stunde zum Frühstück runterkommst. Und gib den Anderen Bescheid." Letzteres würde dafür sorgen, dass Nagi sich tatsächlich daran hielt. Dieses Mal hielt Nagi doch inne, drehte sich kurz zu ihm um. Und schien belustigt. "Natürlich, Crawford. Schließlich benötigst du mich einsatzfähig, nicht wahr?" Seine Mundwinkel kurvten unwillkürlich nach oben. "Das kann ich schlecht leugnen." Im nächsten Moment wurde er wieder ernster. "Es gab bisher keine Neuigkeiten, oder?" "Nein. Wir alle sind bisher erfolglos geblieben. Ich werde nachher packen." Wieder dem Monitor zugewandt. Und das war wohl alles, was es dazu zu sagen gab. Mit einem Nicken, das nicht gesehen aber zweifellos durch den Telekineten wahrgenommen wurde, wandte er sich ab und setzte seinen Weg in Richtung Küche fort. Die Kaffeemaschine einzuschalten geschah geradezu automatisch, anschließend kümmerte er sich um das Tischdecken. Wonach immer noch Zeit blieb, so dass er nicht länger zögerte und sich in sein Arbeitszimmer begab, dort nach dem Telefon griff. "Guten Morgen, Herr Schneider." "Mm, bei dir bestimmt, Crawford", wurde amüsiert erwidert, was ihn daran erinnerte, dass er gar nicht wusste, wo genau Schneider sich im Augenblick aufhielt. Doch da er den Deutschen offensichtlich nicht beim Schlafen gestört hatte, erlaubte er sich ein Lächeln und ließ es in den nächsten Worten mitschwingen. "Zumindest habe ich keinen Grund, mich über ihn zu beschweren." Eine kurze Pause, bevor der Humor verschwand. "Wenn man mal von der Tatsache absieht, dass Parks immer noch auf freiem Fuß ist." Schneider antwortete nicht gleich, als er es aber tat, geschah es mit entwaffnender Aufrichtigkeit. "Da ich nicht an deinem Erfolg zweifle, habe ich alles in allem nichts dagegen, dass das Team in Japan diese Schwierigkeiten hat. Und Nagi scheint seinen bisherigen Misserfolg auch nicht allzu schwer zu nehmen." Hatte der Jüngere schon wieder mit Schneider kommuniziert? Aber dann wiederum war Nagi nie auf der Schule gewesen, hatte nie die Hemmschwelle aufgebaut, die er jetzt bei den Abgängern beobachten konnte, bestes Beispiel Stephan und dessen temporäres Team. Mit einem Funken von Ironie schob er die Überlegung beiseite und auf diese Entfernung hatte Schneider keine Chance, sie aufzufangen. "Womöglich gefällt ihm die Aussicht, Japan wiederzusehen", stimmte er zu. Denn Nagi hatte wirklich einen kaum frustrierten Eindruck gemacht, obwohl dieser sich sonst schnell beim Ehrgeiz packen ließ, wenn es um solche Recherchen ging. "Du hast dich also entschieden, den Auftrag anzunehmen." Der plötzliche Themenwechsel ließ ihn innehalten, bis er sich bewusst machte, dass es nicht wirklich einer war. Und Schneider hatte natürlich Recht. Als hätte der Ältere diese stumme Zustimmung gehört, sprach dieser weiter. "Hast du in der anderen Sache auch schon eine Entscheidung getroffen?" Er hielt das Seufzen zurück, das ihm unwillkürlich entkommen wollte. "Keine Entscheidung, nein." "Aber?", wurde sofort nachgehakt und ihn wunderte nicht das Amüsement, das sich wieder in Schneiders Stimme geschlichen hatte. Denn irgendetwas an seiner Reaktion schien dem Deutschen gereicht zu haben, um sich seiner mal wieder viel zu sicher zu sein. Dennoch antwortete er, beinahe bereitwillig. "Ran denkt darüber nach, in Deutschland zu studieren. Und Schuldig scheint der Gedanke, von dort aus zu arbeiten, nicht besonders viel auszumachen." Die Worte schafften es, ihm selbst vor Augen zu führen, dass er ziemlich genau auf ein bestimmtes Ziel zusteuerte. Hatte er sich vielleicht doch schon entschieden und wollte es bloß nicht zugeben? Nachdem er vor wenigen Tagen noch behauptet hatte, dass er sehr viel mehr Zeit dafür benötigen würde? Vielleicht hatte er sich ganz einfach von Anfang an selbst etwas vorgemacht, in diesen Belangen wäre es ja nicht das erste Mal. Ein selbstironisches Lächeln zog an seinen Mundwinkeln und vertiefte sich noch, als er Schneiders Antwort hörte. "Gut." Eindeutig zufrieden. "Natürlich würden Sie so etwas sagen", gab er trocken zurück. Schneider lachte auf, kam dann aber auf das Geschäftliche zurück. "Da du dir nun doch nicht bis heute Abend Zeit gelassen hast, würde es mir entgegenkommen, wenn du bald aufbrichst. Ich möchte nicht riskieren, dass Parks sich in der Zwischenzeit absetzt." "Wenn er das nicht bereits getan hat…" "Es wäre möglich", gab Schneider zu. "Doch seine Papiere hat er bisher nicht eingesetzt und es dauert etwas, sich neue zu besorgen. Wir haben auch ein Auge auf die besten Ansprechpartner in solchen Dingen und bisher ist Parks dort nicht aufgelaufen." "Also schätzt er unsere Fähigkeiten recht hoch ein und ist entsprechend vorsichtig – oder er unterschätzt sie und hält es daher nicht für erforderlich, auf Dauer abzutauchen. Und wenn er inzwischen weiß, dass Herr Walter ihm auf die Spur gekommen ist, will er uns vielleicht ganz einfach abschütteln, um dann dort mit seinen Plänen weiterzumachen, wo er aufgehört hat. Zu seiner alten Karriere kann er ja nicht mehr zurückkehren." "Ich würde eher auf die zweite Möglichkeit tippen, sonst hätte er sich sicher gar nicht erst mit uns angelegt. Also finde ihn, bevor er zur Besinnung kommt. Ich möchte ein paar Antworten haben." Letzteres mit flacher Stimme, die mühelos transportierte, dass Schneider in diesem Fall keinen Spaß verstand. Er setzte sich unwillkürlich etwas aufrechter hin, bevor er die Reaktion bemerkte und sich wieder in seinem Bürosessel zurücklehnte. "Wir werden den nächsten Flug nehmen", bestätigte er dann, auch wenn er für einen Augenblick Erschöpfung verspürte, ganz einfach, da er erst am gestrigen Tag zurückgekehrt war. Aber das würde er nicht offen zugeben. Vor allem nicht gegenüber Schneider, der sehr viel mehr unterwegs gewesen war. Trotzdem schien er sich irgendwie verraten zu haben, es muss in seinem Tonfall gelegen haben. "Natürlich. Und ruh dich während des Flugs aus, der wird lang genug." Er verzog das Gesicht, sicher in der Gewissheit, dass der Deutsche davon nun wirklich nichts mitbekommen würde. "Ich glaube, das wird das Problem eher größer machen als es zu lösen." "Dann musst du dich wohl mit dem Gedanken trösten, dass du in Japan ausreichend Gelegenheit haben wirst, festen Boden unter den Füßen zu spüren. Falls du schnell Erfolg hast, spricht nichts dagegen, dass du trotzdem etwas länger bleibst. Es sei denn, du überlegst es dir anders und bleibst lieber gleich hier…" Das befand er keiner Antwort wert, denn so etwas würde ihm niemals einfallen. Schneider ließ ihm auch gar keine Gelegenheit, etwas dazu zu sagen, sondern sprach unmittelbar weiter, scheinbar das Thema wechselnd. Doch es war nur eine logische Fortsetzung, wenn man in diesem Fall die geschäftlichen Interessen außen vor ließ. "Ich werde in ein paar Tagen ebenfalls im dortigen Büro eintreffen." Die Bestätigung ließ Hitze in ihm aufsteigen und im Stillen räumte er ein, dass dieser Punkt seine Entscheidung wahrscheinlich um einiges leichter gemacht hatte. Und nun war er zufrieden zu hören, dass sich an dem Plan nichts geändert hatte. Er lächelte leicht und griff dann auf Schneiders Antwort wenige Minuten zuvor zurück. "Gut." Schneiders erwiderndes Lächeln lag ganz in der Pause, die sich zwischen ihnen ausdehnte, bevor der Ältere wieder etwas sagte. "Ich muss jetzt zurück an die Arbeit. Nagi wird zweifellos dafür sorgen, dass ich die Details eurer Reisepläne in Kürze erhalte." "Zweifellos", gestand er zu und dann wartete er darauf, dass der Deutsche auflegte. Der es mit dem Versprechen tat, alles für seine Ankunft vorbereiten zu lassen und Stephan vorzuwarnen. Anschließend blieb er noch für ein paar lange Sekunden sitzen, bis er sich sicher war, dass seine Miene keine Spuren mehr von dem geführten Telefongespräch trug. Erst dann kehrte er in die Küche zurück, wo sich inzwischen Nagi eingefunden hatte. "Die Anderen?", erkundigte er sich, während er den Korb mit den Brötchen aus der Luft griff und auf dem Tisch abstellte. "Sollten jeden Moment runterkommen. Und falls sie es nicht tun, liegt es nicht an mangelndem Einsatz meinerseits." Letzteres mit einem feinen Lächeln. Hm, er fragte lieber nicht nach. Dann konnte sich nachher niemand bei ihm beschweren. Da kam es ihm gerade recht, dass er eine legitime Ablenkung hatte. "Ich habe mit Herrn Schneider gesprochen. Wir werden heute so schnell wie möglich aufbrechen." Ein Zwinkern, dann hatte sich Nagi auch schon darauf eingestellt. "In dem Fall werde ich gleich den Flug am Nachmittag buchen. Es ist zwar kein Direktflug, aber immer noch die schnellste Verbindung. Vorhin waren für den ersten Teil nur noch wenige Plätze frei." Sein Nicken wurde kaum abgewartet, da verschwand der Jüngere auch schon nach oben. Er selbst zog sich einen Stuhl zurück und begann sich Kaffee einzuschenken. Wenigstens mussten sie nicht hetzen, sondern hatte noch genug Zeit für ein ruhiges Frühstück. ~TBC~ Kapitel 54: "Weißt du, das hier hätte die perfekte Gelegenheit sein können, mal etwas Zeit mit dir zu verbringen" ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Er war nicht besonders überrascht, Stephan zu sehen, als er sich mit Nagi dem Gate näherte, wo ihr Flug abgehen würde. Der Braunhaarige stand gegen die Wand gelehnt, von der er sich sofort abstieß, um ihnen entgegenzukommen. "So schnell sieht man sich wieder", wurde er mit einem Lächeln begrüßt. "Du hast es also rechtzeitig bis hierher geschafft…" Das Lächeln blieb, doch der Ausdruck in den hellen, blauen Augen wurde ernst. "Nun, ich stand ja auch auf Abruf bereit. Er hatte sich anscheinend dafür entschieden, mich auf jeden Fall auf den Auftrag anzusetzen. Hier werde ich schließlich nicht mehr gebraucht und in Japan haben sie derzeit keinen Tracer. Ganz abgesehen davon, dass wenige die Kombination aus meiner Erfahrung und der Stärke meines Talents aufweisen können." "Eingebildet bist du aber gar nicht", gab er trocken zurück, während er seine Schritte zur Schleuse lenkte, die in Kürze geöffnet werden würde. "Das ist nur gesundes Selbstvertrauen", gab Stephan unbekümmert zurück, bevor dieser endlich auch Nagi mit einem Nicken begrüßte. Der Telepath gab die Begrüßung mit einem ebenso wortlosen Nicken zurück, während seine Gedanken unwillkürlich zurück zu Rosenkreuz wanderten und dem… Hochmut…, den die Schüler dort demonstriert hatten. Diese Art von Selbstvertrauen war nicht ganz so gesund, wie Stephan gerade behauptet hatte, doch der Franzose hatte tatsächlich genug Erfahrung gesammelt, um dessen Leistungen einschätzen zu können, statt sich nur auf Überheblichkeit zu stützen. Weswegen nun ein Lächeln seine Mundwinkel kurvte. "Du wirst ja genug Gelegenheit haben, auch mir zu beweisen, was du kannst." Der Schritt des Gleichaltrigen stockte, bevor dieser ein Schnauben ausstieß. "Das heißt dann wohl, dass du von meiner Leistung hier nicht besonders beeindruckt warst." "Was daran liegen könnte, dass mehr Zufall als alles andere zu unserem Erfolg geführt hat." "Ich wünschte wirklich, ich könnte das abstreiten. Aber wenn du fair bist, musst du uns zugestehen, dass wir keine Spur aufnehmen konnten, wo es keine gab." Mit dem Neigen seines Kopfs gestand er Stephan diesen Punkt tatsächlich zu. Und dann waren sie zu beschäftigt damit, zu ihren Plätzen zu finden, um das Thema weiterzuverfolgen. Ganz davon abgesehen, dass sie zu viele Zeugen hätten und keinen Telepathen, der sie davon überzeugen könnte, nichts gehört zu haben. Nagi holte Kopfhörer hervor, kaum dass dieser sich gesetzt hatte, schloss die Augen und damit die Außenwelt aus. Der Telekinet tat es sicherheitshalber, um sich ganz und gar auf sein Talent zu konzentrieren. Denn auch wenn Nagi bisher keine Probleme mit Kontrollverlusten gehabt hatte, war das bei Telekineten nicht unbekannt und niemand von ihnen wollte einen Unfall riskieren. Stephan wartete, bis er selbst es sich auf dem Fensterplatz bequem gemacht hatte, bevor sich der Braunhaarige neben ihm niederließ. Kurz streckte sich der Tracer zufrieden, dann suchte der Blick des Ex nach ihm und ein Grinsen zog an Stephans Mundwinkeln. Er hielt sich gerade so davon ab, die Augen zu verdrehen. "Ist das dein Ernst, willst du tatsächlich auf mich aufpassen?" Der Andere hob einen mahnenden Zeigefinger. "Und hast du ernsthaft etwas anderes erwartet? Ich jedenfalls habe keine Lust, es Ihm erklären zu müssen, wenn dir etwas zustoßen sollte. Und sei es auch nur, dass eine Flugbegleiterin aus Versehen heißen Kaffee über dich verschüttet." "Sehr witzig", gab er zurück, innerlich den Kopf schüttelnd. Dann überließ er Stephan sich selbst und dessen gewählter Rolle und holte die Unterlagen aus seiner Tasche, die Nagi ihm vor ihrer Abreise zusammengestellt hatte. Es konnte nicht schaden, sich noch etwas vorzubereiten. Viel zu viele Stunden und einen Flugzeugwechsel später betrat er den allgemein zugänglichen Bereich des japanischen Flughafens, wo bereits ein Fahrer auf sie wartete. Er wurde mit einer Verbeugung von dem japanischen Mann begrüßt. "Guten Abend, Herr Crawford. Herr Jansen lässt ausrichten, dass er Sie morgen früh erwartet. Ich werde Sie zum Hotel bringen und morgen rechtzeitig zur Verfügung stehen, um Sie zum Büro zu fahren." "Vielen Dank", erwiderte er die Verbeugung knapp, ganz froh über diese Auskunft. Denn auch wenn es am Ausgangspunkt ihrer Reise helllichter Tag war und er ebenso hellwach sein sollte, so war er es nach diesem langen Flug ganz sicher nicht, auch wenn er etwas Schlaf gefunden hatte. Und so kam es ihm entgegen, dass er hier ohne schlechtes Gewissen ins Bett fallen konnte. Das hieß, nachdem sie erst mal die Stunde Fahrt hinter sich gebracht hatten, die noch auf sie wartete. Er wandte sich zu seinen beiden Begleitern um, die nicht so aussahen, als würden sie gegen die Pläne Einspruch erheben wollen, so dass sie sich gleich darauf auf den Weg zur wartenden Limousine machten. Stephan stocke nur kurz, als sie den Wagen erreichten, sagte erst etwas, als sie – vom Fahrer getrennt durch die abgedunkelte Scheibe – wieder unter sich waren. "Vielleicht hätte ich doch nicht unter die Ex gehen sollen. So komfortabel bin ich sonst nicht unterwegs." Ein verschmitztes Lächeln folgte. "Aber Alex hat mir ja schon erzählt, dass du bei Reisen gerne auf etwas Bequemlichkeit achtest." "Natürlich, das hätte dir schon der Flug verraten sollen", gab er ungerührt zurück, bevor es zu seiner leichten Überraschung Nagi war, der etwas sagte. "Ich möchte wetten, dass für den Wagen hier aber wieder Herr Schneider gesorgt hat." Stephan stutzte, als brauchte er einen Moment, um den Namen des Deutschen richtig zuzuordnen. Wie es aussah, waren die Leute tatsächlich nicht mehr daran gewöhnt, Schneiders Namen zu hören. Und ganz sicher hätte Stephan es nicht von Nagi erwartet. Dann aber verstand der Tracer nicht nur, von wem Nagi redete, sondern erinnerte sich auch daran, was der Grund für diese Vorzugsbehandlung war. Prompt verzog Stephan das Gesicht und sah ihn schief an, Nagi ignorierend. "Weißt du, das hier hätte die perfekte Gelegenheit sein können, mal etwas Zeit mit dir zu verbringen." Mehr musste nicht gesagt werden, damit er genau verstand, worauf Stephan hinaus wollte. Mitleidslos zuckte er mit den Schultern. "Wir sind zum Arbeiten hier." Stephan verdrehte daraufhin nur die Augen, eine völlig ungewohnte Geste bei dem Franzosen. Sie ließ seine Mundwinkel in ein amüsiertes Lächeln kurven. "Willkommen in Japan, Herr Crawford. Ich hoffe, Sie sind gut untergebracht worden." "Natürlich, Herr Jansen. Es gibt keinen Grund zur Klage, wir sind alle gut erholt. Weswegen wir uns jetzt auch gerne an den Fall machen würden." Er ließ sich in den angebotenen Sessel sinken, während Nagi und Stephan stehen blieben, jeweils hinter seiner Schulter. Der Leiter des Büros musterte die beiden kurz, begrüßte sie dann ebenfalls, bevor sich Herrn Jansens Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete. "Wir haben Ihnen ein paar Büros hier einrichten lassen. Nutzen Sie sie als Basis, wie es Ihnen beliebt. Sollten Sie zusätzliche Ausrüstung oder Leute benötigen, geben Sie mir einfach Bescheid. Vorerst steht Ihnen das Team zur Verfügung, dass ich bereits auf Parks angesetzt hatte." Eine kurze Pause, begleitet von einem flüchtigen Zucken der Mundwinkel. "Die Teamleaderin weiß, dass Sie das Kommando haben. Ich erwarte keine Schwierigkeiten in der Hinsicht." "Danke sehr", neigte er den Kopf. "Ich gehe davon aus, dass sich zwischenzeitlich keine neuen Entwicklungen ergeben haben?" Herr Jansen lehnte sich zurück, mit einem lautlosen Seufzen. "Leider nicht. Parks entzieht sich unverändert unserem Zugriff. Aber nichtsdestotrotz gehen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass er Japan nicht verlassen hat." Es folgte noch eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Maßnahmen, die er im Wesentlichen bereits aus dem Bericht kannte. Anschließend ließ es sich Herr Jansen nicht nehmen, sie persönlich zu ihren Räumlichkeiten zu begleiten. "Darf ich Ihnen Frau Reiß vorstellen, sie ist die Anführerin von Dolch. Und das hier ist Herr Crawford. Er übernimmt ab jetzt die Leitung für die Suche nach Parks." Dunkle Haare waren in einem Pferdeschwanz zurückgenommen, ließen das schmale Gesicht voll zur Geltung kommen. Die braunen Augen wirkten beinahe etwas zu groß, aber er wurde von dem Eindruck sofort durch den Anflug von Energie abgelenkt, die gegen seine Schilde brandete, als er die angebotene Hand zur Begrüßung ergriff. Er zog eine stumme Augenbraue hoch und erhielt ein Lächeln, das keine Entschuldigung in sich trug. Doch die Energie zumindest zog sich zurück. "Ich nehme an, Sie sind auf den aktuellen Stand gebracht worden. Wo wollen Sie also starten?" Ohne auch nur ein Wort über den telepathischen Vorstoß zu verlieren. "In seinem Büro", beschloss er, es vorerst ebenfalls unerwähnt zu lassen. Wenn sie ihn nur hatte einschätzen wollen, dann war es nachvollziehbar. Noch einmal würde er es ihr aber nicht durchgehen lassen. Seine Hand ruhte für einen Moment auf Nagis Schulter. "Da Parks Systeme bereits hier sind, kannst du hier bleiben. Melde dich, falls du etwas findest. Oder mehr Ausrüstung benötigst." Nagi beäugte die technische Ausstattung, schien aber zunächst keine Klagen zu haben. Was zwar nicht laut gesagt wurde, doch das knappe Nicken war beredt genug. Genauso wie die Tatsache, dass Nagi geradewegs zu einem der Plätze ging und den Rechner dort hochfahren ließ. "Das wäre also geklärt…", merkte Frau Reiß trocken an, winkte dann den Rest ihres Teams näher. "Da du der Technik-Freak von uns bist, wirst du dem Jungen einen Überblick darüber geben, was du bisher gemacht hast, John." Der andere Mann nickte genauso knapp wie Nagi zuvor, bei ihm schien es aber eher an einer gewissen Trägheit als an dem Wunsch nach Effizienz zu liegen, gesellte sich dann zu dem Telekineten. "Marek, Ina, ihr begleitet uns." Mit einem schnellen Blick in seine Richtung, um sich zu vergewissern, dass er keine Einwände hatte. Nach dieser Aufgabenverteilung wurden sie ihm offiziell vorgestellt, auch wenn er die Zusammensetzung von Dolch bereits aus den Unterlagen kannte, und er nickte innerlich zufrieden. Ein Teleporter und eine Telekinetin. Zusammen mit dem Talent von Frau Reiß eine schlagkräftige Gruppe. Da war es kein Wunder, dass das Offensivteam auch einen Heiler verkraftete. Als nächstes erwiderte er den Gefallen und stellte Stephan vor, was sofort für blasse Gesichter sorgte. Ex waren unter den Talenten normalerweise nicht besonders wohlgelitten. Was dem Tracer allerdings rein gar nichts ausmachte, wie ihm das kaum merkliche Kurven von dessen Mundwinkeln verriet. Zum Glück hatten die drei auf der Fahrt zu Parks Bürogebäude ausreichend Zeit, sich von der bösen Überraschung zu erholen, so dass sie am Ziel angekommen zur erwarteten Professionalität zurückfanden. Eine Änderung, die von Stephan still amüsiert verfolgt wurde. Natürlich war der Tracer nicht so unverschämt, dies offen zu zeigen, sie sollten schließlich alle noch zusammenarbeiten, doch die Seitenblicke, die ihm ab und zu zugeworfen wurden, waren beredt genug. Er verbat sich eine Reaktion darauf, aus denselben Gründen, schüttelte nur leicht den Kopf in Stephans Richtung, als sie schließlich ausstiegen. Und schenkte seine Aufmerksamkeit dann der Anführerin von Dolch. "Seine Mitarbeiter haben wir bereits… befragt, doch sie scheinen allesamt keine Ahnung zu haben, was Parks im Schilde führt", erläuterte Frau Reiß, als sie sich dem Eingang näherten. "Aufgrund Ihrer Ankunft haben wir dafür gesorgt, dass sie heute nicht hier sind, aber ansonsten haben wir sie weitermachen lassen wie bisher. In der Hoffnung, dass Parks dann eher mit einem von ihnen Kontakt aufnehmen wird." Er nickte verstehend, während er anerkennend verfolgte, wie die Telekinetin ihnen mühelos die Tür öffnete, ohne dass dafür Schlüssel oder auch nur Hände benutzt werden mussten. Frau Hael bemerkte seine Aufmerksamkeit und sandte ein flüchtiges Lächeln in seine Richtung, bevor die Frau die Führung übernahm und eintrat. Denn auch wenn niemand hier sein sollte, versicherte sie sich erst einmal, dass es wirklich so war. Nachdem auch noch Frau Reiß die Freigabe erteilt hatte, begab sich Stephan noch vor ihm nach drinnen, Miene regungslos, dieses Mal jedoch vor Konzentration. Und der Blick, der vorher kurz zu ihm abschweifte, hatte auch nur mit der Arbeit zu tun. Eine stumme Bitte, ihn im Zweifelsfall zurückzuholen. Mikroausdrücke flackerten ab und zu über Stephans Gesicht, zu schnell wieder verschwunden, um gedeutet zu werden, aber das blieb die einzige Reaktion, während sich der Tracer durch die Räume arbeitete. Die Rechte – ohne Handschuh – beständig in Bewegung, stetig auf der Suche nach einem neuen Ziel. Zum Schluss blieb nur noch ein Raum übrig, bei dem es sich zweifellos um das Büro von Parks handelte. Er brauchte einen Moment um zu verstehen, warum sich sein Magen leicht hob, als er das Büro betrat, doch letztendlich lag seine Kindheit nicht weit genug zurück. Nein, sie war nicht weit genug entfernt, um den Erinnerungen die Genauigkeit zu rauben, um nicht die Verbindung herzustellen. Parks wollte mit diesem Büro genauso Eindruck schinden wie sein Vater damals mit dessen Arbeitszimmer. Nur das der Mann eindeutig übertrieben hatte. Mit dieser Feststellung fand er seine Ruhe zurück und hatte schließlich nur noch ein verächtliches Kurven der Mundwinkel für den Raum übrig, bevor er sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe konzentrierte. Nämlich Stephan im Auge zu behalten. ~TBC~ Kapitel 55: "Ich glaube, er wollte uns testen" ---------------------------------------------- Stephans bisher vollkommen gleichmäßiges Vorgehen schien auf ein Hindernis zu stoßen, denn der Tracer stockte, schüttelte den Kopf, als wollte er etwas vertreiben, bevor er fortfuhr. Doch dem neuen Anlauf war nicht mehr Erfolg beschieden und schließlich verzog Stephan das Gesicht zu einer Grimasse, bevor die Hand an der Hose abgewischt wurde. "Dieser Kerl ist widerlich", wurde gemurmelt, mehr zu sich selbst, doch er konnte es trotzdem verstehen. Und nach dem, was er von der Einrichtung gesehen hatte, war er nicht besonders überrascht. Weswegen er nur stumm eine Augenbraue hob. Stephan registrierte es, schien aber nicht bereit, gleich zu reden. Stattdessen kam der Franzose näher und sparte sich, um Erlaubnis zu bitte, bevor eine Hand auf den Ärmel seines Jacketts gelegt wurde. Gleich darauf fielen dem Tracer für einen Moment die Augen zu und dieser atmete tief durch. "Besser?", erkundigte er sich, mir nur einer Spur von Ironie. Belustigung blitzte in blauen Augen auf. "Sehr viel besser. Zum Glück bist du unverändert ein weißes Blatt für mein Talent. Das ist ausgesprochen erholsam. Ich wette, ein Telepath hätte auch viel Freude an dir." Der Andere stockte, bevor ein Grinsen über dessen Gesicht flog. "Ah, deswegen war Schuldig so hartnäckig hinter dir her." Mit Mühe hielt er sich davon ab, die Augen zu verdrehen und verzichtete darauf, zu widersprechen. Schließlich hatte Stephan ganz Recht, auch wenn dieser nicht ahnen konnte, dass im Falle von Schuldig sein Talent besonders effektiv war. "Parks", erinnerte er ihn knapp und trocken an den Grund ihres Hierseins und Stephans Grinsen verschwand, als wäre es nie dagewesen. "Er ist ein selbstgefälliges Arschloch mit Allmachtsphantasien. Ausgesprochen eingenommen von sich selbst. Und er will das, was Herr Walter hat. Nur viel größer. Natürlich mit sich selbst an der Spitze." Der Anfang dieser so ungewohnten Art einer Tirade hatte seine Mundwinkel nach oben locken wollen, schließlich hatte man so etwas schon über so manches Talent sagen können. Doch zum Ende hin löste sich der aufgeflackerte Humor wieder auf, bevor er sich voll entwickeln konnte. Konkurrenz duldeten sie nicht. Vor allem nicht auf der Stufe, wie sie Parks anscheinend vorschwebte. "Er will unsere Leute abwerben für seine eigenen Zwecke?", vermutete er und Stephan zuckte mit den Schultern. "Nach dem zu urteilen, was ich sehen konnte, ja. Das und noch mehr. Ich denke, er will am liebsten das ganze Büro übernehmen." Frau Reiß, die ihrem Austausch gelauscht hatte, stieß ein scharfes Lachen aus. "Der Typ hat einen Knacks weg, wenn er tatsächlich glaubt, so etwas umsetzen zu können." "Oh, daran besteht keinerlei Zweifel." Wieder rieb die Hand gegen die Hose, vollkommen unbewusst, dann schien der Tracer sich daran zu erinnern, dass er den Handschuh noch nicht wieder übergezogen hatte und holte dies schleunigst nach. "Aber er ist nicht nur von sich selbst überzeugt, sondern überzeugt auch die Leute um sich herum." "Ein Talent?", hakte er nach, die natürliche Vermutung an dieser Stelle. Doch Stephan schüttelte langsam den Kopf. "Also wenn, dann arbeitet er vollkommen anders, als ich es kenne. Sein Einfluss ist sehr gleichmäßig und wirkt anscheinend auch mühelos auf wenige Leute gleichzeitig in relativ kurzer Zeit. Als wäre es Charisma, das die Leute in den Bann zieht." Wieder verzog der Andere das Gesicht. "Aber er ist es nicht, charismatisch, jedenfalls nicht in den Auszügen, die mir mein Talent gezeigt hat." "Wir können nicht ausschließen, dass er ein Telepath ist. Doch ich muss zugeben, dass ich Schwierigkeiten hätte, mehrere auf einmal von meinen _Ideen_ zu überzeugen", warf an dieser Stelle Frau Reiß ein, die Stephans Ausführungen interessiert gefolgt war. Er nickte verstehend, musste innerlich zugeben, dass bisher auch nicht davon gehört hatte, dass ein Talent so etwas wie Parks konnte. "Wenn wir ihn erst mal in der Hand haben, werden wir schon herausfinden, was dahintersteckt", meinte er daher nur und erhielt von den anderen beiden Zustimmung. Wie er selbst sahen sie ein, dass alles Herumrätseln nichts helfen würde. Weswegen er sich auf das besann, was half. "Wann war Parks das letzte Mal hier?", wandte er sich wieder an den Tracer. "Ich muss zugeben, das kann ich noch nicht sagen. Dazu habe ich mich zu sehr darauf konzentriert, so viele Informationen wie möglich zu erhalten." Stephan musterte darauf dessen Hand, als müsste er genau überlegen, ob er sich das noch einmal antun wollte. Doch letztendlich bestand darüber keine Frage. Mit einem kaum hörbaren Seufzen wurde der Stoff wieder abgestreift und als Stephan dieses Mal seine Runde durch das Büro absolvierte, geschah dies sehr viel flüchtiger, bis sich der Tracer schließlich mit einem Stirnrunzeln auf den Schreibtisch konzentrierte. Dort verharrte Stephan für ein paar sich sehr lang dahinziehende Minuten, bevor der Fokus der blauen Augen in die Gegenwart zurückkehrte. "Gestern." Er brauchte überraschend lange, um dieses einzige Wort zu verarbeiten, ganz einfach, weil diese Aussage einfach nicht passen sollte. Und so war es Frau Reiß, die zuerst etwas sagte. "Was meinen Sie mit 'gestern'? Gestern stand Parks Büro schon längst unter unserer Überwachung und niemand hat sein Erscheinen gemeldet." Ja, das war genau das, was auch ihn hatte stutzen lassen. Aber vielleicht… "In welcher Form erfolgt die Überwachung eigentlich? Kameras oder persönlich?" "Wir haben vier Mann vor Ort. In der Kürze der Zeit konnten wir nicht alles fest verkabeln und Sie wissen, was wir von drahtloser Übertragung halten, wenn es nicht unbedingt sein muss. Zur Sicherheit sind die Kräfte vor Ort natürlich mit mobilen Kameras ausgestattet. Die Aufnahmen dienen aber lediglich der Auswertung von Auffälligkeiten." "Die es nicht gegeben zu haben schien", meinte er verstehend. "Wenn wir aber berücksichtigen, dass Parks ein Talent haben könnte, das wir nicht einschätzen können…" Er ließ seine Worte ausklingen, ohne den Satz zu beenden. Und das musste er auch nicht, er erntete trotzdem ein schiefes Lächeln, das nichts mit Humor zu tun hatte. "Ich werde veranlassen, dass das gesamte Material geprüft wird. Und dass die Leute zur Überwachung hier ab jetzt die besten Schilde besitzen, die wir auftreiben können." "Tun Sie das. Auch wenn ich zu bezweifeln wage, dass Parks nochmal zurückkehrt. Wenn er von hier etwas haben wollte oder einfach nur etwas überprüfen, dann konnte er das gestern erledigen. Und wenn unsere Leute tatsächlich beeinflusst wurden, ist es wahrscheinlich, dass er sich ihrer Anwesenheit bewusst war. Selbst wenn er so größenwahnsinnig ist, wie unser werter Tracer annimmt", Stephan deutete an dieser Stelle eine Verbeugung an", wird er wohl nicht dumm genug sein, sich noch mal blicken zu lassen." "Das wäre auch zu einfach", seufzte Frau Reiß, verließ dann den Raum, nach ihrem Handy greifend. Anscheinend wollte sie auch das gerade im Einsatz befindliche Team informieren. Er selbst wandte sich wieder Stephan zu, der die eben gezeigte ironische Belustigung schon wieder hinter sich gelassen hatte und seinen Blick ernst erwiderte. "Ich konnte leider nicht viel von dem sehen, was er vorhat. Irgendetwas mit Computern." "War er deswegen zurückgekommen, wollte er seinen eigenen Rechner holen?" Stephan nickte langsam. "Das oder ihn zumindest zerstören." Ein schmales Lächeln kurvte seine Lippen. "In dem Fall wird Nagis Arbeit hoffentlich von Erfolg gekrönt sein." Dann schüttelte er den Kopf. "Trotzdem, wenn es Parks nur darum ging, hätte er sicher auch jemand anderen davon überzeugen können, das zu erledigen." "Hm, im wahrsten Sinne des Wortes…" Stephan schaffte es, nur einen Anflug von Sarkasmus in diese Erwiderung zu legen. Nach einem Moment des Nachdenkens, Hand wieder auf dem Schreibtisch, wurde noch etwas hinzugefügt. "Ich glaube, er wollte uns testen. Herausfinden, ob wir ihn bemerken. Wobei er sich aber auch schon vor seinem Erfolg ziemlich sicher war. Ich sagte es bereits, er ist ausgesprochen überzeugt von sich selbst." "Nun, in dem Fall hoffe ich ganz einfach, dass diese Überheblichkeit umso schneller zu unserem Erfolg führen wird." Trocken, was Stephan flüchtig grinsen ließ. Dann ging der Blick der blauen Augen an ihm vorbei, zu Frau Reiß, die zurückgekehrt war, und so wandte er sich ihr ebenfalls zu. Die Telepathin deutete ein Schulterzucken an. "Ich konnte bei unseren Leuten keinen Einfluss feststellen, aber ich wusste auch nicht, wonach ich suchen soll. Vielleicht habe ich mehr Erfolg, sobald ich zumindest einen zeitlichen Anhaltspunkt habe." Ah, das war also der Grund, warum sie gegangen war. Gut mitgedacht. "Dann sieht es ganz so aus, als müssten wir uns jetzt in Geduld üben. Bis die Aufnahmen etwas ergeben. Oder Nagi Erfolg hat. Was auch immer zuerst passiert." Kaum länger als ein Zwinkern schloss er die Augen und als er sie wieder öffnete, war da eine neue Erinnerung. "Ich gehe allerdings davon aus, dass uns der Weg über Nagi weiter bringen wird", fügte er daher mit einem feinen Lächeln hinzu. Frau Reiß nickte dazu. "Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich Herrn Zeder hier lassen. Er hat nicht nur gute Schilde, sondern könnte sich auf die geringste Warnung hin sofort absetzen und uns informieren." "Machen Sie es so", stimmte er zu, schließlich würden sie den Teleporter erst dann benötigen, wenn sie eine echte Spur hatten und sich daran machten Parks festzusetzen. Die Anführerin von Dolch verschwendete keine Zeit und so blieb er wieder allein mit Stephan in dem Büro zurück. Der anders als Frau Reiß die Chance gehabt hatte, die Arbeit seines Talents zu erkennen und ihn erwartungsvoll ansah, vollkommen entspannt gegen den Schreibtisch lehnend. "Darf ich davon ausgehen, dass du bereits eine Bestätigung für Nagis Erfolg hast?" "Nun, im Moment kann ich das nicht abstreiten. Aber du weißt ja, dass die Zukunft nicht feststeht." "Für euch Precogs aber häufig genug", ließ sich Stephan seine Zufriedenheit nicht nehmen. "Nachdem Parks unsere Leute so zum Narren gehalten hat, wird es wirklich Zeit, dass wir ihn einfangen. Bevor seine Vernunft seine Eitelkeit besiegt und er sich Verstärkung sucht. Ich will nicht, dass noch mehr Leute von unserer Existenz erfahren, bei denen dieses Wissen nichts zu suchen hat." Letzteres grimmig. Und er konnte sich dem nur anschließen. Ein anderer würde vielleicht nicht so lange stillhalten wie Parks und in aller Ruhe geheime Pläne schmieden. Talente waren den Talentlosen zweifellos überlegen, aber das galt nur, solange sie im Verborgenen arbeiten konnten. "Das wird schon werden", erwiderte er schließlich, was Stephan ein trockenes Schnauben ausstoßen ließ. Doch der Tracer sagte nichts mehr, sondern folgte ihm nach draußen. Dort lasen sie Frau Reiß und die Telekinetin auf, machten sich anschließend auf den Weg zurück ins Büro. Nagi schien sich nicht vom Fleck gerührt zu haben, seit sie ihn verlassen hatten, während Herr Malcom eindeutig dabei war, die Aufnahmen zu sichten. Der Anschein von Trägheit war bei dem Heiler völlig verschwunden, er arbeitete sich zügig durch die Dateien. Da sein Talent allerdings der Meinung war, dass Nagi ihnen eher weiterhelfen würde, trat er zunächst neben den jungen Telekineten, der auf seine Ankunft mit einem kaum merklichen Neigen des Kopfes reagierte. Und normalerweise sollte das nichts Ungewöhnliches sein, Nagi kommunizierte schon so nicht viel und wenn dieser vor einem Computer saß wurde es noch sehr viel schlimmer. Doch irgendetwas an Nagis Miene verriet ihm, dass dieses Mal mehr dahinter steckte. Dass es etwas gab, das Nagi nur widerwillig berichten wollte. "Nagi?" Nur der Name als Frage, aber es genügte, um dem Jüngeren klarzumachen, dass dessen Zögern letztendlich auch nichts ändern würde. Für einen langen Atemzug wurde Nagi völlig still, die Fingerspitzen schwebten über der Tastatur, während die dunkelblauen Augen starr auf den Monitor gerichtet waren. Dann atmete der Jüngere langsam aus, sackte leicht in sich zusammen. Und tippte weiter, während er endlich mit den Neuigkeiten herausrückte. "Du hattest Recht mit deiner Warnung. Ich dachte, ich hätte ausreichend Vorkehrungen getroffen, aber mein System drüben ist kompromittiert worden. Ich konnte es erst von hier aus feststellen." Er brauchte einen Moment, um die Worte zuzuordnen, erinnerte sich dann aber. Daran, dass Nagi während seiner Recherchen zu Herrn Walter mit einem Unbekannten in Kontakt gestanden hatte, der offenbar für den Deutschen arbeitete. Seine Miene blieb ausdruckslos, als er die Neuigkeiten verarbeitete, doch er konnte nicht verhindern, dass sich seine Lippen kurz zusammenpressten. Immerhin war das ein Punkt, in dem er sich auf Nagi verlassen musste und zu hören, dass der Junge das Vertrauen dieses Mal nicht verdient hatte, war… unangenehm. Nagi musste die minimale Reaktion bemerkt haben, auch wenn dessen Blick sich nicht vom Monitor wegbewegt hatte, und sprach beinahe hastig weiter. "Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass kein Zugriff auf meine anderen Daten möglich war. Nur das, was mit Herrn Walter zu tun hatte. Und das Ganze hat auch einen positiven Effekt für uns. Es sind Spuren zurückgeblieben, denen ich jetzt folgen kann. Und auch wenn ich noch nicht fertig bin, kann ich schon sagen, dass das Ziel hier in Japan sein muss. Ich gehe daher davon aus, dass jemand hier in Parks Auftrag gehandelt hat. Womit zumindest ein Rätsel gelöst scheint. Du erinnerst dich? Herr Walter hatte uns gesagt, dass er niemanden auf uns angesetzt hatte und sich nicht erklären konnte, mit wem ich da Kontakt hatte." Das hatte Herr Walter tatsächlich. Natürlich hatten sie ihm nicht verraten, dass der Kontakt nur durch Nagis Versuche, sich bei ihm einzuhacken, zustande gekommen waren. Aber das war ja auch nicht erforderlich gewesen, um diesen Punkt zu klären, nicht wahr? Nagi lächelte flüchtig, als hätte dieser seinen Gedankengang erraten. "Er ist wirklich gut. Ich hätte ihn gerne im wirklichen Leben kennengelernt…" Im nächsten Moment wurde Nagi wieder ernst. "Nun, das werde ich jetzt wohl auch. Ich vermute, dass Parks eigentlich Herrn Walter im Auge behalten wollte und da war es natürlich leichter, jemand internen zu nehmen, also einen von Herrn Walters Mitarbeitern. Und durch meine Angriffe auf Herrn Walters Systeme habe ich dessen Aufmerksamkeit auf mich gezogen." Eine kurze Pause folgte, bevor Nagi etwas frustriert mit den Schultern zuckte. "Ich kann nur absolut nicht sagen, ob der anhaltende Kontakt nur dazu dienen sollte einen potenziellen Konkurrenten im Auge zu behalten. Oder ob er irgendwie herausgefunden hat, wer wir wirklich sind. Noch nicht." Das klang ganz so, als hätte Nagi sich in der kurzen Zeit schon einige Gedanken darüber gemacht und war auf dem besten Wege, den Fehler auszubügeln. Und so vielleicht sogar eine weitere Spur zu Parks finden. Ganz langsam begannen seine Mundwinkel nach oben zu kurven, doch seine Stimme blieb völlig ernst, als er schließlich antwortete. "Da du nicht davon ausgehen kannst, dass die Sache immer so ein glimpfliches Ende nimmt, geh in Zukunft nicht mehr solche Risiken ein. Es gibt immer jemanden, der das kleine bisschen mehr kann, das dich in Schwierigkeiten bringt." Nagis Stirn legte sich kurz in Falten, doch dann sah der Jüngere ein, dass er an dieser Stelle schlecht widersprechen konnte. Und gleich darauf erhielt er die erwartete Zustimmung. "Natürlich, Crawford." ~TBC~ Kapitel 56: "Es scheint, als wollte der Junge sein schlechtes Gewissen beruhigen und hat die Nacht durchgemacht" ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------- "Das klingt ganz so, als wäre zumindest ein Anfang gemacht." Herr Jansen, der interessiert seinen Ausführungen gelauscht hatte, lehnte sich jetzt zufrieden zurück. "Auch wenn es schöner gewesen wäre, wenn uns bereits die Videos weitergeholfen hätten." "Ja, anscheinend müssen wir Parks zugestehen, dass er mit ausreichender Vorsicht an die Sache heranging, Anfälle von Größenwahnsinn hin oder her. Dass die Beobachter gerade dann vom Eingang wegschwenkten, als Parks offensichtlich eintraf und ging, sollte Beweis genug sein, dass der Mann irgendein Talent besitzt. Und es gut genug gebrauchen kann, um unsere Leute zu beeinflussen – oder wenigstens einen Teil von ihnen." Letzteres mit einem schmalen Lächeln. "Zumindest gehe ich davon aus, dass die Qualität ihrer Schilde bei der Auswahl für diese Aufgabe keine Rolle gespielt hat." Herr Jansen spiegelte seine Mimik, schüttelte leicht den Kopf. "Das nun wirklich nicht. Schließlich hatten wir keine Ahnung, dass wir es mit einem Talent zu tun hatten. Vielleicht ist es daher auch nur Unachtsamkeit gewesen sein, die Parks seinen Erfolg ermöglicht hat und wenn unsere Leute vorgewarnt gewesen wären, wäre das Ergebnis anders ausgefallen. Es ist müßig, darüber zu spekulieren. Hauptsache, wir haben für die Zukunft daraus gelernt." Es hätte nicht der leicht gehobenen Augenbraue bedurft, um die Aufforderung hinter diesen Worten zu verstehen. Und so neigte er den Kopf, nur in den braunen Augen ein Anflug von Amüsement. "Gewiss doch, Herr Jansen." Schließlich hatte er nicht vor, sich in dieser Hinsicht eine Blöße zu geben. Dieses Lächeln hatte eine andere Note, offensichtlich wusste Herr Jansen genau, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war, dann wurde der Ältere wieder geschäftlich. "Ich nehme an, dass Sie zunächst abwarten, ob Naoes Nachforschungen zu einem Ergebnis führen?" "Da es gerade keine anderen Anhaltspunkte gibt und ich davon ausgehe, dass das Warten nicht erfolglos bleiben wird…" Er ließ den Satz langsam ausklingen und Herr Jansen war nicht besonders überrascht von seiner Zuversicht, sondern lächelte wieder. "In dem Fall habe ich hier ein paar Unterlagen für Sie. Herr Schneider wünscht, dass Sie sie durchgehen, wenn Sie dafür Zeit finden." Ah, es gab also doch noch ein paar Leute, die den ehemaligen Direktor beim Namen nannten. Dann wiederum hatte sein Gegenüber direkt eine entsprechende Aufforderung erhalten, nicht wahr? Und das tat Schneider sicher nur seinen Vertrauten gegenüber. Der Gedanke führte dazu, dass er die nächste Frage stellte, wo er sich sonst zurückgehalten hätte. "Hat er schon sagen können, wann er herkommt?" Ein Stift vibrierte kaum merklich, wurde von dem Telekineten aber schnell wieder zum Stillstand gebracht. Doch diese Reaktion hatte nichts mit der… Nervosität… gemein, die Herr Jansen damals gezeigt hatte. Und es gab auch keinen Grund mehr dafür. Nein, stattdessen stand da ein Anflug von Amüsement in den Augen des älteren Mannes. "Ich denke, da habe ich gute Nachrichten für Sie. Herr Schneider sollte bereits morgen hier eintreffen." Er konnte nicht verhindern, dass ein Lächeln über sein Gesicht flog und alles in allem war es auch egal. Schließlich verriet er mit dieser Reaktion keine Geheimnisse. Und dieses Mal war er es, der sich zurücklehnte. "Das ist früher als erwartet", gab er zu. Aber er hatte nichts dagegen. Ein Wiedersehen würde ihm dabei helfen, seine Entscheidung einer letzten Prüfung zu unterziehen. Auch wenn sie im Prinzip gefallen war, wie er innerlich zugeben musste. In einer unwissentlichen Spiegelung seines Gedankenverlaufs nickte Herr Jansen jetzt in Richtung der Unterlagen. "Haben Sie vor, in Zukunft wieder von hier aus zu arbeiten?" Der Leiter klang nicht so, als ob er Angst um seinen Job hätte, es schwang lediglich offene Neugier in der Frage mit. "Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass Herrn Schneiders Pläne in diese Richtung gehen. Wenn ich einen neuen Einsatzort bekomme, dann sicher sehr viel näher bei Herrn Schneider." Es einem Dritten gegenüber auszusprechen ließ es irgendwie wirklicher werden als bei seinen bisherigen Gesprächen mit Schwarz oder Ran. Er lauschte in sich hinein und stellte fest, dass er sich im Moment in keinerlei Zwiespalt befand. Keine leise Stimme meldete Zweifel oder Bedenken an. Eine Feststellung, die dafür sorgte, dass sich sein Körper mehr in den bequemen Sessel hinein entspannte. Herr Jansen neigte den Kopf, überlegend, bevor Verstehen in dessen Blick trat. "Sie wollen zur Schule zurück, um direkt für ihn zu arbeiten. Und da Sie einige Jahre hier zugebracht haben, wäre es natürlich nur logisch, Sie künftig als Verbindungsmann für das Japan-Büro einzusetzen." Herr Jansen lachte unwillkürlich auf. "Frau Bremer wird das gerne hören. Sie hatte schon die Vermutung aufgestellt, dass Herr Schneider hier auch eine dreigeteilte Führung einführen will." "Nun, das ist ja nicht erforderlich, immerhin haben Sie durch den Vertreter der Talentlosen schon so etwas wie einen dritten Kopf." "Hm, das hatte ich ihr auch gesagt", wurde ihm zugestimmt. Dann kam Herr Jansen auf die Unterlagen zurück. "Es geht um eine geplante Erweiterung. Der Business Case ist meiner Meinung nach gut unterlegt. Wenn Sie Fragen zu einzelnen Zahlen haben, können Sie sich direkt an mich wenden." Jetzt erst griff er nach den Unterlagen, blätterte hindurch, um einen ersten Überblick zu gewinnen. Und auch wenn Schneider mit ihm nicht darüber gesprochen hatte, wuchs die Gewissheit, dass Herr Jansen mit dessen Vermutung richtig gelegen hatte. Warum sonst sollte er sich mit so etwas auseinandersetzen… Für einen Moment wunderte er sich etwas über Schneiders Vorgehensweise, es war noch nie die Art des Älteren gewesen, ihm einfach so irgendwelche Aufgaben zuzuschanzen, ohne vorher mit ihm darüber zu reden. Aber dann musste er ein ironisches Schnauben zurückhalten. Denn immerhin hatte der Deutsche bereits bewiesen, dass dieser sehr viel tun würde, um ihn nach Deutschland zurückzuholen. Und ihm seine künftige Arbeit dort schmackhaft zu machen, war kein dummer Zug. Schließlich war Schneider bewusst, wie sehr es verabscheute, untätig zu sein. Anscheinend war der Ältere sich seiner Entscheidung noch nicht sicher, beendete er seine Überlegungen schließlich mit einem Anflug von Zufriedenheit, der sich für einen Moment auch auf seinem Gesicht abzeichnete. Was von Herrn Jansen nicht ganz korrekt interpretiert wurde. "Sie sehen viel zu erfreut darüber aus, noch mehr Arbeit aufgehalst zu bekommen, als Sie mit der Suche nach Parks sowieso schon haben…", wurde mit einem belustigten Unterton angemerkt. Ein Mundwinkel zuckte kurz nach oben. "Aber wie Sie vorhin erst festgestellt haben, gibt es im Moment nicht viel, das ich in der Angelegenheit tun kann." "Na dann wünsche Ihnen viel Spaß hiermit." Herrn Jansens Augenbrauen rutschten nur leicht in die Höhe, als dieser das sagte, so dass es ihm nicht schwerfiel zu ignorieren, dass er aufgezogen wurde. Nach ein paar Worten des Abschieds kehrte er zu dem Büro zurück, in dem Nagi unverändert fleißig arbeitete. Immerhin hatte der Jüngere inzwischen gegessen, wie ihm ein leerer Teller verriet, der völlig vergessen am Rand des Schreibtischs stand. Von Dolch war niemand mehr da, nachdem die Idee mit den Aufnahmen zu keinem Erfolg geführt hatte, hatte es nicht mehr viel zu tun gegeben. Natürlich hatte Frau Reiß problemlos das Zeitfenster ermitteln können, doch selbst damit war ihr Scan der Beobachter ohne Ergebnis geblieben. Für sie sah es so aus, als wären sie von selbst auf die Idee gekommen, die Kamera zu bewegen. Er schob den Gedanken beiseite, überlegte stattdessen für einen Moment, ob er Nagi schlafen schicken sollte. Doch der Telekinet würde sowieso keine Ruhe finden und alles in allem konnten sie sich vielleicht weitere Verzögerungen nicht leisten. Und Hilfe würde Nagi nicht annehmen, denn das würde heißen, jemanden Zugriff auf seine behüteten Daten zu erlauben. Etwas, was auch er selbst nur im Notfall zulassen würde. Sie mochten alle für dieselbe Organisation arbeiten, doch das hieß noch lange nicht, dass er jedem so einfach vertrauen würde. Mit diesem Stück Selbsterkenntnis suchte er sich einen der freien Plätze aus, ließ sich in den überraschend bequemen Bürosessel sinken. Und bald darauf war er so sehr in die Unterlagen vertieft, dass er gar nicht mitbekam, wie ihm jemand Tee und ebenfalls etwas zu essen brachte. Er schloss die Augen und hielt sein Gesicht dem warmen Strahl der Dusche entgegen, genoss die Entspannung, die damit einherging. Seine Nacht war kurz ausgefallen, aber sie hatte gereicht, um neue Energie zu schöpfen. Und den Rest würde ein starker Kaffee ausgleichen. Ebendieser wurde ihm aufs Zimmer geliefert, kaum dass er angezogen war. Er ließ den Hotelangestellten herein, auch wenn er kein Frühstück bestellt hatte. Er glaubte der Versicherung des Mannes, dass das gleich bei der Reservierung so angegeben worden war. Auch wenn es sehr ansprechend aussah, ließ er sich nicht viel Zeit mit dem Frühstück. Denn seine Gedanken schweiften unwillkürlich zu Nagi ab, der noch nicht einmal mit zurück zum Hotel gekommen war, als er selbst schließlich Feierabend gemacht hatte. Unten angekommen wartete bereits ein Wagen auf ihn und er verzichtete darauf zu fragen, wie lange der Fahrer hier bereits gestanden hatte. Wenn Herr Jansen ihm diesen Service zur Verfügung stellen wollte, würde er sich sicher nicht darüber beschweren. Ein Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln, als er einstieg und die Wagentür hinter ihm zugeschlagen wurde. Und es wurde für einen Augenblick ausgeprägter, da sich in diesem Moment sein Handy mit einem ausgesprochen vertrauten Klingelton meldete. "Guten Morgen, Herr Schneider. Etwas mehr Zeit sollten Sie mir schon zugestehen." Der Deutsche zögerte nicht lange mit einer Antwort. "Wofür? Parks oder das neue Projekt?" Er stieß ein leises Schnauben aus. "Beides, denke ich. Vor allem, da ich von der zweiten Aufgabe bis gestern Abend nicht die geringste Ahnung hatte." "Was dich nicht aufhalten sollte, ich habe da vollstes Vertrauen in dich." Es hätte Ironie sein können, doch Schneider klang einfach nur amüsiert. Und meinte jedes Wort. "Vielen Dank." Er selbst erlaubte sich, etwas Ironie in seine Antwort zu legen. "Ganz davon abgesehen freut es mich zu hören, dass Sie Expansionspläne verfolgen." Denn es bedeutete, dass Schneider davon überzeugt war, seine Machtposition konsolidiert zu haben. Und der Deutsche gab sich normalerweise keiner Selbsttäuschung hin. Irgendwie schaffte es diese Überlegung, geradewegs übers Telefon transportiert zu werden, obwohl Schneider gerade weder seine Miene noch seine Gedanken lesen konnte. "Natürlich. Ansonsten hätte ich dich nicht nach Japan zurückgerufen." Er zwinkerte unbewusst. "Sie wollten mich aus dem Weg haben?" Dieses Mal war es an Schneider, ein Schnauben auszustoßen. "Nein, das ganz bestimmt nicht. Ich habe dir nur den gewünschten Freiraum gelassen. Allerdings hielt ich es für besser, Schwarz nicht länger in Japan zu belassen. Immerhin hatte es ein paar Zeugen dafür gegeben, dass du mir nicht egal bist. Und ich wollte niemanden erst auf die Idee kommen lassen, den Vorfall um den Turm näher zu untersuchen und dich als Schwachpunkt auszuwählen." Es gefiel ihm nicht besonders, so etwas zu hören, doch er konnte schlecht abstreiten, dass Schneider Recht hatte. "In dem Fall freut es mich zu hören, dass Sie solche Vorsichtsmaßnahmen nicht mehr für erforderlich halten", erwiderte er daher schließlich trocken. Schneider lachte leise. "Lass dich nicht in deinem Stolz angreifen, selbst du musst zugeben, dass Schwarz sich gegen einen ernsthaften Angriff nicht hätte wehren können. Ihr seid letztendlich nur vier Personen." Und wer auch immer hinter Schneiders Job her gewesen wäre, hätte mehr Rückhalt gehabt. "Das müssen Sie mir nicht erzählen, ich konnte mir so etwas bereits denken." "Manchmal ist es aber besser, es auch ausgesprochen zu hören", gab Schneider ruhig zurück und beraubte ihn damit jeder Erwiderung. Weswegen es ihm sehr gelegen kam, dass sein Handy in diesem Augenblick einen weiteren Anruf meldete. Ein schneller Blick verriet, dass Nagi ihn zu erreichen versuchte. "Ich habe zwar gesagt, dass Sie mir mehr Zeit lassen sollten, aber es sieht ganz so aus, als gäbe es im Fall Parks Neuigkeiten." Der Deutsche stellte sich sofort um. "Jetzt? Es scheint, als wollte der Junge sein schlechtes Gewissen beruhigen und hat die Nacht durchgemacht." Ihn wunderte nicht, dass Schneider seinen Bericht bereits gelesen hatte. "Ich denke, damit haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Und natürlich habe ich ihn nicht davon abgehalten." Der Ältere gab ein zustimmendes Brummen von sich und vor seinem inneren Auge konnte er Schneider nicken sehen. "Gut, dann lass ihn mit den guten Nachrichten nicht länger warten." Eine kurze Pause. "Und pass bei dem Einsatz auf dich auf. Ich will nicht in Japan eintreffen, nur um zu hören, dass dich Parks mit dessen Talent überrascht hat." "Wir sind vorgewarnt, es sollte ihm schwerfallen, das zu tun. Und dann können wir endlich herausfinden, wie genau er es geschafft hat, unsere Leute zu beeinflussen." "Ja, das interessiert mich auch." Gedehnt, und er fragte sich, ob Schneider durch den Kopf ging, dass sie dieses Rätsel schon viel früher hätten lösen können. Wenn Frau Kato sich damals nicht selbst getötet hätte. Wenn sie misstrauischer gewesen wären und den Fall weiterverfolgt hätten. Aber solche Gedanken waren jetzt gegenstandslos und zu diesem Ergebnis kam anscheinend auch Schneider. "Viel Erfolg, Crawford. Und bis bald." "Bis bald", schloss er und lauschte nur noch für eine verschwendete Sekunde auf die tote Verbindung, bevor er Nagis Anruf entgegennahm. ~TBC~ Kapitel 57: "Du kannst von mir nicht verlangen, dass ich mein Unterbewusstsein kontrolliere" -------------------------------------------------------------------------------------------- "Da gewinnt man doch den Glauben an unsere Organisation zurück, nicht wahr?" Frau Reiß war ebenso zufrieden mit den aktuellen Entwicklungen wie er selbst. Er erwiderte ihr Lächeln, bevor sich seine Miene glättete, als er sich voll und ganz auf das vor ihnen liegende Gebäude konzentrierte, das sie dank Nagis Arbeit gefunden hatten. Die Telepathin folgte seinem Blick. "Es halten sich nur fünf Personen dort auf, wir sind ihnen also nicht nur aufgrund unserer Talente sondern auch personell überlegen. Kein Grund, auf Verstärkung zu warten. Und wer weiß, wenn Parks unter ihnen ist und uns bemerkt, schafft er es vielleicht, sich davonzuschleichen." "Hm, mir wäre es lieber, wenn wir uns vorher sicher sein könnten, ob er wirklich dort ist. Damit wir uns auf ihn konzentrieren können. Denn genauso gut könnte uns Parks entwischen, wenn wir uns zu lange mit den falschen Leuten aufhalten. Vor allem, wenn sie so loyal sind – ob freiwillig oder nicht – wie die anderen, auf die wir bisher gestoßen sind." Er hielt kurz inne, sprach aber weiter, bevor Frau Reiß einen Einwand erheben konnte. "Aber ich stimme Ihnen zu, das von Ihnen genannte Risiko scheint mir größer. Und alle Verstärkung wird uns wohl nicht dabei helfen ihn ohne direkten Kontakt zu identifizieren, wenn Sie es nicht geschafft haben." Nun runzelte die Frau die Stirn. "Ich habe noch nicht erlebt, dass so viele auf einmal so sehr auf ihre Tätigkeit konzentriert sind. Normalerweise lenken sie sich gegenseitig ausreichend ab, dass der eine oder andere interessante Gedanke entkommt. So aber müsste ich tiefer scannen und das würde garantiert dazu führen, dass ein Talent mich bemerkt." Und sie waren sich schließlich schon sicher, dass Parks zu den Talenten zu zählen war. Sein knappes Nicken blieb seine einzige Reaktion, denn weitere Verzögerungen würden ihnen auch nicht weiterhelfen. "Gut, verteilen Sie die Aufgaben in Ihrem Team, wie Sie es für richtig halten." Es wäre widersinnig, wenn er versuchen würde, in die eingespielten Abläufe einzugreifen. "Unser Ziel ist in erster Linie Parks. Wir haben dank Herrn Walter zwar ein Foto von ihm, müssen aber die Möglichkeit berücksichtigen, dass er sein Aussehen geändert hat. Denn was wir aus den Köpfen seiner Mitarbeiter geholt haben, kann sehr wohl manipuliert sein. Wir wissen schließlich nicht, wo seine Einflussmöglichkeiten anfangen oder aufhören." Letzteres mit leichter Ironie. "Wir sollten am Verhalten der anderen Leute merken, wer Parks ist. Und ansonsten gibt es genug Merkmale, die sich nicht so einfach ändern lassen. Keine Sorge, wir sind keine Anfänger und wir haben in den letzten Tagen nichts anderes getan, als uns mit Parks auseinanderzusetzen." Und daher war Frau Reiß jetzt auch um einiges ungeduldiger als er selbst. Nur noch ein Grund mehr, nicht mehr zu zögern, denn wer ungeduldig war, machte schneller Fehler. Dann lieber eine rasche und kontrollierte Durchführung. "Gut", meinte er daher. "Ich werde mit Nagi zusammenbleiben und die Rückendeckung übernehmen. Ich gehe davon aus, dass ich der beste Schütze unter uns bin." Die Telepathin widersprach ihm in diesem Punkt nicht, den scharfen Blick erhielt er aus einem anderen Grund zugeworfen. "Bitte trennen Sie sich wirklich nicht von Herrn Naoe. Ich musste Herrn Jansen versprechen, dass Sie keinen Kratzer abbekommen." Er zog eine Augenbraue hoch. "Sind Sie sich sicher, dass Sie mir das verraten sollten?" Der Telepathin zuckte unbekümmert mit den Schultern. "Hauptsache das Ergebnis stimmt, nicht wahr?" Und dann wandte sie sich dem Rest von Dolch zu, um die Einsatzbefehle zu geben. Er lauschte mit einem Ohr darauf, während er einen langen Blick mit Nagi austauschte. Der Jüngere nickte schließlich knapp und bekundete damit, dass er weder Fragen noch Einwände hatte. Die Waffe war ein vertrautes Gewicht in seiner Hand und verlieh ihm die Gewissheit, dass er sich damit auch durchsetzen würde, falls Parks Leute sich als etwas zu vorbereitet erweisen sollten. Gemeinsam mit Nagi folgte er Dolch und der Rest lief dann sehr schnell ab, so wie es bei solchen Einsätzen meistens der Fall war. Oder jedenfalls schien es anfangs so, als sie ohne Probleme immer weiter ins Innere des Gebäudes vordrangen und dabei nur einer Frau begegneten, die sofort ausgeschaltet wurde. Mittels Würgegriff, der nach wenigen Sekunden zur Bewusstlosigkeit führte. Solange sie die Wahl hatten, würden sie Parks Mitarbeiter natürlich am Leben lassen. Sollte der Mann nicht selbst hier sein, würden sie auf diese Weise wenigstens neue Informationsquellen haben. Doch von einem Moment auf den nächsten war alles anders. Und sein Talent ließ die entsprechende Erinnerung nur eine Sekunde vorher einrasten. "Falle!", stieß er scharf hervor und dieses eine Wort reichte vollkommen aus. Vor ihm flirrte die Luft, als Nagi ein telekinetisches Feld aufbaute, an dem gleich darauf etwas abprallte. Keine Kugel, dazu war es zu groß, und als sich feiner Nebel verbreitete, wurde klar, dass sie ebenfalls jemand lebend haben wollte. Zweifellos mit demselben Hintergedanken, den er selbst gerade gehabt hatte. Natürlich taten sie ihren Gegnern nicht den Gefallen, so lange zu warten, bis das Gas wirkte und sie verteilten sich in alle Richtungen. Nur dass Nagi weiter an seiner Seite blieb. "Es sind viel mehr Personen hier, als wir angenommen hatten", teilte ihm der Telekinet mit. "Sie mussten sich völlig ruhig verhalten haben, deshalb sind sie mir nicht früher aufgefallen." Das war jetzt eindeutig vorbei. Und nachdem der erste Versuch misslungen war, sie zu überwältigen, kam jetzt auch scharfe Munition zum Einsatz, wie ihm das Loch verriet, dass sich plötzlich in die Wand nicht weit von ihm entfernt bohrte. Womit er auch keinen Grund mehr sah, sich zurückzuhalten. Die Wagemutigen, die bereits aus ihrer Deckung hervorgekommen waren, wurden nun durch seine Kugeln begrüßt und dagegen halfen auch keine schusssicheren Westen. Und dann half auch keine Deckung mehr, denn Nagi hatte die Atempause genutzt, die er ihm verschafft hatte, um mittels seines Talents die Positionen der anderen zu orten. Er widmete dem Trümmerwerk, das Nagi hinterließ, kaum eines Blickes, er konnte sich auf den Jüngeren verlassen. Jetzt ging es darum, Parks zu finden, bevor dieser ihnen wieder entwischen konnte. Und auch wenn dieser überraschende Angriff äußerst unwillkommen war, hatte er wenigstens ein Gutes: sie konnten sich nun sicher sein, dass das fremde Talent hier irgendwo war. "An vorderster Front wird er sich nicht aufhalten, aber du wirst mehr Sorgfalt walten lassen müssen, bis wir an den Bewaffneten vorbei sind." Nagi nickte verstehend, blieb aber auf ihre Umgebung konzentriert, so wie sein sollte. Und mit dessen Talent gab es keine echten Hindernisse, was die Talentlosen aber nicht zu entmutigen schien. Jeder vernünftige Mensch hätte längst aufgegeben, doch er bezweifelte, dass ihre Gegner gerade mit viel Vernunft ausgestattet waren. Der Gedanke verschwand wie weggewischt, als etwas seine Schilde berührte, einen seltsamen Eindruck hinterließ. Wie altes Öl, das sich klebrig an ihn heftete. Es war ein widerwärtiges Gefühl und er konzentrierte sich bewusst darauf, seine Schilde zu verstärken, etwas, worauf er nur selten zurückfiel – oder zurückfallen musste. Wenigstens wirkte es, aber er hatte nicht viel Gelegenheit sich darüber zu freuen, denn im nächsten Augenblick erstarrte Nagi an seiner Seite, der Blick glasig. Und da ihm bereits klar war, wer daran schuld war, drehte er die Waffe rasch in der Hand, um sie dann Nagi über den Schädel zu ziehen. Nicht auszudenken, was passieren würde, sollte Parks den Jüngeren nicht nur stoppen, sondern auch kontrollieren können. Er fing den zusammensackenden Körper auf und zog ihn in ein Büro, das sie gerade passierten. Es ging ihm zwar gegen den Strich, sich verstecken zu müssen, aber er konnte Nagi schlecht allein lassen. Und da sie die meisten Gegner bereits überwunden zu haben schienen, bestand die Chance, dass so schnell niemand über sie stolpern würde. Sollte Dolch den Rest übernehmen. Etwas, was er ihnen gleich darauf über ihre Funkverbindung mitteilte. Frau Reiß bestätigte knapp, anscheinend etwas beschäftigter als sie es zuletzt gewesen war und dann dauerte es nicht mehr lange, bis ihre Stimme klar und von Triumph gefärbt zurück kam. "Wir haben ihn geschnappt. Er war abgelenkt und Marek hat sich hinter ihn teleportieren können, ohne bemerkt zu werden. Wir kommen Sie abholen, ein paar seiner Leute treiben sich noch hier herum und wir müssen ja nichts riskieren." Sein Blick wollte sich nicht fokussieren, als er die Augen aufschlug und sein Kopf schwamm nicht minder. Es war der Geruch, der ihm verriet, wo er sich befand, doch er konnte sich absolut nicht erklären, wie er im Krankenhaus gelandet war. Er schloss seine Augen wieder, in der Hoffnung, sich so besser konzentrieren zu können, atmete tief durch. Oder versuchte es jedenfalls, denn ein dumpfes Ziehen lief prompt durch seinen Körper, ließ seinen Atem stocken. "Ruhig", wurde eine Hand auf seine Stirn gelegt und mit der Berührung ging das Prickeln vertrauter Energie einher. "Die Heilung hat deinen Körper viel Kraft gekostet und ich gehe davon aus, dass er den Schock noch nicht ganz überwunden hat." Die Stimme war genauso vertraut und er zwang seine Lider wieder, sich zu öffnen. "Herr Schneider?" Die Worte waren mehr Krächzen als alles andere und als kurz darauf ein Strohhalm an seine Lippen gehalten wurde, nutzte er dankbar die Chance. Kühles Wasser rann seine Kehle herunter, verlieh seinen nächsten Worten mehr Geschmeidigkeit. "Was ist passiert?" Ein leises Knarren, als sich der Deutsche anscheinend näher über ihn lehnte und endlich fokussierte sich sein Blick und Schneiders Gesicht schälte sich aus dem ungewissen Wabern heraus. "Du bist angeschossen worden. Ich muss zugeben, dass ich mir meine Ankunft hier anders vorgestellt hatte." Angeschossen… Erinnerter Schmerz flammte auf, aber mehr war da immer noch nicht. Seine Hand fuhr unwillkürlich zu seiner Brust, eine Bewegung, die unerwartet langsam ausfiel und viel zu viel Mühe kostete. Er fühlte sich schwach wie ein neugeborenes Baby. "Crawford, ich habe dir doch gesagt, dass du erst wieder Kraft schöpfen musst." Seine Hand wurde umfangen und zurück an seine Seite geführt, wo sie ruhen blieb, immer noch von Schneiders Hand umschlossen. "Ich habe Bescheid gegeben, dass du aufgewacht bist. In Kürze sollte dir Essen gebracht werden und dann wirst du wohl oder übel noch etwas schlafen müssen, bis dein Energiehaushalt sich normalisiert hat." Unwillkürlich musste er an Schuldig denken, als er das hörte, schließlich hatte der Telepath schon häufiger mit solchen Problemen zu kämpfen gehabt. Wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Mit stumpfem Humor stellte er fest, dass er auf diese Erfahrung gut und gerne hätte verzichten können. Schneider lachte leise auf. "Stimmt, es fühlt sich so ähnlich an. Auch wenn es nicht dein Talent war, das die Energie verbraucht hat. Der Einsatz eines Heilers kostet den Körper eben auch etwas, man merkt es normalerweise nur nicht so sehr. Bei dir allerdings hat die Kugel nicht nur ein Loch durch dich gebohrt, sondern auch deine Lunge erwischt. Ein Flügel war in sich zusammengefallen. Alles in allem hast du ein paar Leute beschäftigt gehalten, bis du wiederhergestellt warst." Nach den letzten Worten hatte Schneider alles Amüsement verloren. "Mir hat das Messer schon gereicht, das du damals abbekommen hast. Dieses Mal war es eine Kugel. Wenn das so weitergeht, überlebst du das nächste Mal nicht." Er verzog das Gesicht, denn was sollte er darauf erwidern? Schneider wusste genauso gut wie er selbst, dass man bei solchen Einsätzen nicht alle Unwägbarkeiten ausschalten konnte. Dann verengten sich braune Augen, als ihm ein anderer Gedanke kam. "Ich werde mich nicht in Watte packen lassen." Schneiders Mundwinkel zuckten unwillkürlich nach oben, dann lehnte sich der Ältere so nahe, dass sein Blick sich aus einem anderen Grund als zuvor nicht mehr fokussieren konnte. "Ich weiß. Was mich nicht davon abhalten wird, dir möglichst viele Aufgaben zu geben, die dich nicht von mir wegführen werden. Aus mehr als einem Grund." Und ein Protest wurde ihm unmöglich gemacht, da er als nächstes geküsst wurde. Viel zu schnell ging ihm der Sauerstoff aus, aber da er es schon mal geschafft hatte, eine Hand zu heben, die Finger in Schneiders Rücken gekrallt, hatte er nicht vor, so schnell wieder loszulassen. Der Ältere atmete gegen seine Lippen, die Pupillen geweitet, und Energie streifte ungezügelt über ihn hinweg. Damit einher ging genug von Schneiders Gedanken und Emotionen, dass er ihn am liebsten ganz auf sich heruntergezogen – oder weggestoßen hätte. Denn egal ob es Schneider bewusst war oder nicht, ein Teil des Deutschen wollte ihn sehr wohl in Watte packen, ihn irgendwo wegsperren, wo er ihn sicher und für sich haben würde. Da sie in diesem Moment viel zu eng miteinander verbunden waren, konnte dem Telepathen gar nicht entgehen, was er gerade dachte und das Lächeln kehrte zurück. "Du kannst von mir nicht verlangen, dass ich mein Unterbewusstsein kontrolliere, niemand kann das. Und dass ich dich haben will, sollte für dich nun wirklich keine Neuigkeit sein." Er wurde einer Reaktion dadurch enthoben, dass es an der Tür klopfte. Schneider zögerte nur einen Moment, richtete sich dann auf und selbst wenn er es gewollt hätte, hatte er nicht die Kraft, ihn zurückzuhalten. Seine Hand rutschte an seine Seite zurück und mit Mühe wandte er den Kopf, um den älteren Mann auf dem Weg zur Tür zu verfolgen. Der seinen Blick zu spüren schien, sich zu ihm umwandte, bevor er öffnete. "Es sieht ganz so aus, als würdest du jetzt endlich was in den Magen bekommen." Und als hätte der Gedanke einige Zeit benötigt, um bis zu seinem Magen vorzudringen, knurrte der in diesem Moment. ~TBC~ Kapitel 58: "Wir haben uns bereits darauf geeinigt, dass du vor morgen früh nichts damit zu tun haben wirst" ------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Dieses Mal geriet das Aufwachen um einiges einfacher, stellte er müßig fest, als er die Augen aufschlug und sich sein Blick ohne Verzögerung auf die weiße Decke fokussierte. Als nächstes wandte er den Kopf zur Seite und tatsächlich hatte er sich nicht getäuscht, Schneider war wirklich hier. Wieder oder immer noch. Der Ältere legte die Unterlagen beiseite, in denen er bis zu diesem Moment gelesen haben musste, und reagierte auf seine Aufmerksamkeit mit einem Lächeln. "Wieder", wurde auf seine stumme Überlegung hin erwidert. "Du hast über zwölf Stunden geschlafen. Mehr als genug Zeit für mich, ein paar Dinge im Büro zu erledigen." Eine Hand wurde ausgestreckt, griff nach der Fernbedienung, die das Kopfteil seines Betts ankippte, so dass er gleich darauf mehr oder weniger saß. Er rieb sich über die Augen und stellte nebenbei fest, dass ihm seine Gliedmaßen wieder willig zu gehorchen schienen, streckte sich dann. Anschließend erwiderte er Schneiders Lächeln, auch wenn es etwas schief ausfiel. "Immerhin scheint es sich gelohnt zu haben, auch wenn ich von so viel Zeitverschwendung nicht besonders viel halte." Der Deutsche schüttelte belustigt im Kopf. "Du solltest lieber froh sein, dass du so schnell wieder auf den Beinen bist. Dein Metabolismus hat schneller gearbeitet, als der Heiler vermutet hatte. Er dachte, du würdest nach der Mahlzeit bis morgen früh durchschlafen. Deshalb haben sie dich auch schon an den Tropf hängen wollen, damit du ausreichend Flüssigkeit erhältst." "Aber-?", hakte er nach, mit einem Blick auf seine Arme, in denen keine Kanüle steckte. "Ich kenne doch deinen Sturkopf. Du würdest es gar nicht aushalten, so lange zu schlafen. Von daher habe ich gesagt, dass sie bis heute Abend warten sollen. Immerhin reagieren wir Talente auf eine solche Intrusion etwas allergisch, wir sind viel zu gut trainiert, um damit ungestört weiterschlafen zu können. Und du solltest dich ja erholen." Schneider warf einen schnellen Blick auf die Uhr. "Du hast die Schonfrist um eine Stunde unterschritten." Dieses Lächeln war aufrichtiger. "Vielen Dank." Denn er konnte er sich wirklich Besseres vorstellen, als von einer Kanüle durchbohrt zu werden. Als nächste versuchte er, selbständig zu sitzen und als das gelang, schob er die Beine über den Rand des Bettes. "Toilette?", wurde er mit nur knapp zurückgehaltenem Amüsement gefragt. "Das, und eine Dusche", stellte er klar. Statt ihm zu sagen, dass das viel zu gefährlich wäre, nickte der Ältere nur und erhob sich. Ihm wurde die Gelegenheit gegeben, allein aufzustehen. Erst als ihm für einen Moment schwarz vor Augen wurde, griff eine Hand nach seinem Oberarm und stützte ihn, bis er sich wieder stabilisiert hatte. Er runzelte die Stirn, wurde von Schneider wieder mit einem Lächeln bedacht. "Vergiss nicht, dass du die letzten vierundzwanzig Stunden überwiegend liegend zugebracht hast. Selbst du kannst da nicht von einer Sekunde zur nächsten wieder perfekt funktionieren." Trockenes Amüsement zog an seinen Mundwinkeln. "Ich kann es zumindest versuchen, nicht wahr?" Und damit setzte er sich mit vorsichtigen Schritten in Bewegung, ohne dass ihn sein Körper noch einmal im Stich ließ. Nichtsdestotrotz war er froh, dass es nur wenige Meter bis zur Tür zum Badezimmer waren und gleich darauf stellte er fest, dass ihn seine Erinnerung nicht getrogen hatte. Wie damals, als er wegen Nagi hier gewesen war, ließ die Badezimmerausstattung keine Wünsche offen. "Hm, es ist wirklich nicht schlecht ", stimmte Schneider seinem Gedanken zu bevor er scharf aus eisblauen Augen gemustert wurde. Ein Check, der mit einem zufriedenen Nicken beendet wurde. "Ich werde einen Arzt rufen, damit du entlassen werden kannst." "Sie meinen, dass sie mich heute noch rauslassen?" "Gewiss, ich werde immerhin versprechen, dass ich ein Auge auf dich haben werde." Und bevor er sagen konnte, dass Schneider in diesem Fall genug Gelegenheit haben würde, ihn über die neuesten Entwicklungen zu informieren, sprach der Deutsche auch schon weiter. "Außerdem werde ich versprechen, dass du bis morgen die Finger von der Arbeit lassen wirst. Mindestens." Dieses Mal hatte sein Stirnrunzeln einen anderen Grund, doch Schneider zog lediglich eine unbeeindruckte Augenbraue hoch. "Du kannst mir glauben, dass ich dir damit schon entgegenkomme. Sie würden sicher mehrere Tage Ruhe von dir verlangen." Was sollte er dazu noch sagen? Ein Widerspruch und Schneider würde ihm beweisen, wie Recht dieser hatte, das verriet ihm der Funke in den eisblauen Augen. Also verkniff er sich jeglichen Protest und gestand Schneider wortlos den Sieg zu. Etwas, das mit einem schmalen Lächeln quittiert wurde. Er stand bereits einige lange Minuten unter der Dusche, ließ einfach nur das heiße Wasser auf sich herabströmen, als die Tür zum Badezimmer geöffnet wurde und Schneider hereinkam. Der Deutsche trat neben die Dusche, lehnte sich gegen die Wand und warf ihm einen auffordernden Blick zu. Woraufhin er das Wasser abdrehte, so dass er den Älteren problemlos verstehen konnte. "Ist dir aufgefallen, dass du schon eine Viertelstunde hier drin bist?", wurde er mit einem Anflug von Amüsement gefragt. "Wenn du dich entspannen möchtest, empfehle ich dir den Whirlpool im Hotel. Und du möchtest sicher nicht den Arzt warten lassen, der dich entlassen soll. Sonst beschließt er noch, dich seinerseits warten zu lassen." Er zwinkerte, schüttelte dann den Kopf. Nein, es war ihm tatsächlich nicht aufgefallen. Und Schneiders Argumentation klang ausgesprochen vernünftig. Die Mundwinkel des Deutschen zuckten wieder nach oben, dann wurde ihm ein Handtuch gereicht. "Gut, dann sind wir uns ja einig." Während Schneider ihn wieder allein ließ, ging ihm müßig durch den Kopf, dass er wohl noch nicht so ganz auf der Höhe war. So häufig wie heute hatte Schneider noch nicht so leicht gewonnen. Er schüttelte über sich selbst den Kopf, machte sich dann endlich ans Abtrocknen. Das Rasieren danach absolvierte er in Rekordzeit, schlüpfte anschließend rasch in die bereitliegenden Sachen. Selbst wenn der Arzt von ihm verlangte, einen Teil wieder auszuziehen, so war das immer noch besser, als sich mit dem seltsamen Hemdchen zu begnügen, das er zuvor getragen hatte. Als er in das Zimmer zurückkehrte, unterhielt sich Schneider gerade mit einem Mann, bei dem es sich um seinen Arzt handeln musste. Und auch wenn dieser sich zunächst stur stellen wollte, gelang es Schneider am Ende, ihn zu überzeugen. Ob nun allein durch seine Worte oder auch durch sein Talent, konnte er nicht beurteilen, doch ihm kam es sowieso nur auf das Ergebnis an. Natürlich musste er vorher noch die Untersuchung überstehen, doch die endgültige Entscheidung fiel positiv aus, was ihn mit genug Erleichterung erfüllte, dass er schon wieder müde wurde, obwohl er bereits so viel geschlafen hatte. Schneider wartete ab, bis der Arzt verschwunden war, bevor er etwas dazu sagte. "Das ist nur ein Grund mehr, dich heute Abend nicht mehr mit der Arbeit zu behelligen. Selbst wenn ich nicht beinahe einen entsprechenden Eid hätte ablegen müssen, damit er dich freigibt. Hotel, Essen und dann geht es zurück ins Bett." Eine kurze Pause, gefolgt von einem Lächeln. "Und natürlich der Whirlpool vorher, wenn du es wünschst." Seine Schulter wurde kurz gedrückt, bevor Schneider sich zum Gehen wandte. "Komm, der Fahrer steht bereit. Und vergiss deine Uhr nicht, sie liegt noch auf dem Tisch." Wo sich Schneiders Unterlagen nicht mehr befanden, wie ihm ein rascher Blick in die entsprechende Richtung verriet. Anscheinend würde er auch auf diesem Weg nicht an die Informationen herankommen. Und immerhin hatte Schneider ihm bereits verraten, dass sie Parks geschnappt hatten. Es war also letztendlich auch nicht so wichtig, sofort alles zu erfahren. Versuchte er sich jedenfalls einzureden. Sein flüchtiges Lächeln hatte einen selbstironischen Unterton, als er Schneider folgte. Der kurz innehielt, ihn musterte, um dann stumm den Kopf über ihn zu schütteln. Aber zumindest kam kein Kommentar. Kaum saßen sie in der Limousine, wurde die Aktentasche mit den Unterlagen bewusst offensichtlich weggeräumt, bevor Schneider ihm ein Handy reichte. Sein eigenes, wie er nach einem Moment der Überraschung feststellte. "Aufgrund deiner höheren Freigabe konnte Nagi deine Anrufe nicht entgegennehmen. Also habe ich das übernommen. Es gab nichts Wichtiges und vom Rest deines Teams hat sich niemand gemeldet. Ich denke, die wissen nicht einmal, dass du im Krankenhaus warst." Was auch besser so war. Nicht wegen Schuldig und Farfarello, die wussten schließlich, wie gut ihre Heiler waren. Aber Ran hätte sich zweifellos unnötige Sorgen gemacht, allen Versicherungen zum Trotz. Er runzelte flüchtig die Stirn. "Apropos Nagi… Sie haben mir zwar gesagt, dass es ihm gutgeht, aber wie ist er eigentlich rausgekommen?" Das letzte, an das er sich erinnerte, war ein sehr bewusstloser Nagi. Eisblaue Augen musterten ihn intensiv, bevor er eine federleichte telepathische Berührung spürte. "Hm, ich kann nicht beurteilen, ob die Erinnerungen noch zurückkommen. Aber es ist sowieso nicht viel, das du verloren hast." "Das war keine Antwort auf meine Frage", stellte er fest, nachdem Schneider für einige Sekunden nicht weitergesprochen hatte. Und auch nicht so aussah, als würde er es in nächster Zeit noch tun. Der Deutsche war sichtlich amüsiert. "Sollte es auch nicht sein. Denn damit wären wir wieder beim Thema Arbeit, nicht wahr? Und wir haben uns bereits darauf geeinigt, dass du vor morgen früh nichts damit zu tun haben wirst." Einigung vielleicht, aber eher zwischen Schneider und dem Arzt. Das Amüsement äußerte sich jetzt in einem Lächeln. "Und du hast dich einverstanden erklärt." Es folgte ein Nicken zu seinem Handy hin, das er immer noch in der Hand hielt, fast schon vergessen. "Und jetzt solltest du Nagi Bescheid geben, dass du wieder auf den Beinen bist." Das sollte er tatsächlich. Also setzte er den Vorschlag sofort in die Tat um, auch wenn ihm bewusst war, dass Schneider ihn damit von weiteren Diskussionen abhalten wollte. Ihr jüngstes Teammitglied klang abgelenkt, nahm die Neuigkeiten aber mit Zufriedenheit auf. Um ihm dann ziemlich direkt zu sagen, dass er noch zu tun hätte. Weswegen das Gespräch sehr kurz ausfiel. Für einen Moment starrte er das Handy an, dann suchte sein Blick nach Schneiders. "Sie wissen, woran er arbeitet." Keine Frage. "Morgen." Natürlich. Er hielt seinen Gesichtsausdruck bewusst neutral, als er nickte. Ganz sicher würde er nicht anfangen, wie ein kleines Kind zu schmollen, das seinen Willen nicht bekam. Das hatte er nicht mal getan, als er noch ein kleines Kind war. Er stockte innerlich, als er feststellte, dass dieser Gedanke nicht mit der altvertrauten Bitterkeit einherging. Denn aus irgendeinem Grund schaffte es Bradley, sich für ein paar Sekunden vorzudrängen – und mit ihm die Gewissheit, dass dieser Junge anders als er selbst aufwachsen würde. Da war plötzlich Wärme, die seine Hand umschloss, Schneiders Finger, wie er gleich darauf feststellte. Und als er den Blick von dort hob, begegnete er eisblauen Augen. "Das wird er ganz bestimmt", wurde ihm versichert. Er lächelte, ohne sich bewusst dafür zu entscheiden, bevor der Gedanke an den Jungen wieder in den Hintergrund verschwand. Und da es nichts bringen würde, zum vorherigen Thema zurückzukehren, lehnte er sich einfach nur zurück, die Augen schließend. Die Müdigkeit war wieder zurück, aber dennoch überwältigte sie ihn nicht. Dazu war er auf einmal zu sehr auf die Hand konzentriert, die immer noch seine hielt. Und die Energie, die von der Berührung ausging. Irgendwie sank erst in diesem Moment die Tatsache von Schneiders Anwesenheit wirklich ein. Gestern war er nicht ganz bei sich gewesen, zu sehr damit beschäftigt, die Reserven seines Körpers wieder aufzufüllen. Doch jetzt… schien sein Körper sich zu erinnern, dass er was Schneider anging bestimmte Ansprüche erhob und nicht einfach davon ablassen sollte, bloß weil er vor kurzem angeschossen worden war. Belustigung stieg in ihm auf. Es hätte ihm schon damals eine Warnung sein sollen. Schließlich war es ihm nie schwergefallen, seine Distanz zu wahren. Dass ihm das bei Schneider nicht gelungen war, hätte ihm schon sehr viel früher klarmachen sollen, dass er dem Älteren nicht würde entkommen können. Er konnte wohl von Glück sagen, dass er es inzwischen auch nicht mehr vorhatte. "Hm, aber damals hast du in solchen Kategorien nicht gedacht. Und nachdem du diesen blinden Fleck endlich überwunden hattest, kam dir dein Starrsinn dazwischen." Schneider klang eindeutig amüsiert, obwohl er selbst an Stelle des Deutschen wahrscheinlich schon die längst Geduld verloren hätte. Aber das war nicht, was er sagte. "Können Sie sich eigentlich auch mal aus meinem Kopf heraushalten?" Weder sein Blick noch sein Tonfall schafften es, echten Unmut zu vermitteln. Eine Augenbraue wanderte in die Höhe. "Da du deine Schilde nicht oben hast, fällt mir das unter diesen Umständen ausgesprochen schwer." Nur mit sanfter Ironie wurden ihrer beider Hände angehoben. Und er konnte nicht anders als aufzulachen, weil er keine Lust hatte, diese Verbindung aufzugeben. Die Energie, die unverändert durch seinen Körper rieselte. "Sie sind unmöglich", erwiderte er schließlich, immerhin war es Schneider gewesen, der nach seiner Hand gegriffen hatte. Und ohne genauer darüber nachzudenken, was er tat, lehnte er sich zu dem Älteren hinüber und küsste ihn. ~TBC~ Kapitel 59: "Vielleicht bist du an Parks Verhör interessiert" ------------------------------------------------------------- Zunächst war da nur ein Summen in seinen Ohren, doch es dauerte nicht lange, bis es sich zu Worten verdichtete. "Aufwachen, Naoe. Genug geschlafen." Wärme breitete sich seinen Hinterkopf entlang aus, mehr, als es allein die Hand auslösen konnte, die dort ruhte. Und als er die Augen aufschlug, sich sein Blick auf Herrn Malcom fokussierte, wusste er, warum ihm diese Wärme so bekannt vorkam. "Ah, da sind Sie ja wieder." Der Heiler schenkte ihm ein träges Lächeln. "Ich tippe auf eine Gehirnerschütterung. Ein paar Nachwirkungen werden Sie also spüren, denn ganz können wir so etwas nicht heilen. Aber das sollte kein Problem sein, immerhin haben wir den Job erledigt." Das Lächeln wuchs in die Breite, bevor sich der ältere Mann erhob und ihn mit sich zog. Er dankte ihm mit einen knappen Nicken, was Herrn Malcom vollkommen zu genügen schien, tastete dann mit der eigenen Hand nach der Stelle, wo ihn Crawford mit der Pistole getroffen hatte. Keine Beule. Natürlich nicht. Die zumindest hatte der Heiler beseitigen können. Gleichzeitig suchte der Blick dunkelblauer Augen nach Crawford, der nur eine stumme Augenbraue hochzog. Und auch wenn er von der Maßnahme seines Team-Leaders nicht unbedingt begeistert war, hatte er nicht vor, sich zu beschweren. Parks hatte ihn zu beeinflussen begonnen, bevor er es ihm hatte bewusst werden können und er erschauerte noch im Nachhinein bei dem Gedanken an das schleimige Gefühl, das mit dieser Beeinflussung einhergegangen war. "In Ordnung?" Die leise Frage bezog sich nicht nur auf seinen aktuellen Zustand. Crawford wollte auch sichergehen, dass er verstand. Was er tat. Und da er nicht Schuldig war, der trotzdem die Gelegenheit genutzt hätte seinen Unmut kundzutun, nickte er wieder. Crawford schenkte ihm ein schmales Lächeln. "Gut. Dolch konnten Parks festsetzen. Offenbar war er zu sehr mit dem Versuch beschäftigt, einen von uns unter Kontrolle zu bringen, um ihre Annäherung zu bemerken." In die letzten Worte schlich sich ein Anflug von Ironie, was seine Mundwinkel unwillkürlich nach oben rutschen ließ. "Ich hoffe, wir dürfen das als Kompliment werten. Immerhin muss er uns für die größte Gefahr gehalten haben." Der Amerikaner stieß ein amüsiertes Schnauben aus, setzte sich dann in Bewegung. Herrn Malcom nach, der bereits durch die Tür verschwunden war. "Natürlich kann es auch in seiner Absicht gelegen haben, einfach das Feld von hinten aufzuräumen. Aber ich bevorzuge ebenfalls deine Interpretation." Ein kurzes Schweigen. "Zum Glück müssen wir uns nicht auf Rätselraten verlassen. Parks steht uns schließlich für alle Fragen zur Verfügung." Und auch wenn er Crawfords Miene in diesem Moment nicht sehen konnte, zeigte sie zweifellos dasselbe kühle Lächeln, das gerade auch auf seinem Gesicht stand. Er brauchte eine lange Sekunde, um die gewohnte Ausdruckslosigkeit zurückzugewinnen, doch es gelang ihm, indem er seine Gedanken auf ihren Einsatz zurücklenkte. Und wenn Dolch mit Parks beschäftigt war, dann… "Wo ist eigentlich Herr Monreau abgeblieben? Wenn alles sauber ist, gibt es doch keinen Grund mehr für ihn, draußen als Verstärkung zu warten." "Hm, dort ist er auch nicht mehr. Er setzt sein Talent bereits in dem Raum ein, in dem sie Parks gestellt haben. Je mehr Informationen wir vor dem eigentlichen Verhör gewinnen können, umso besser. Wer weiß, wie schnell wir durch Parks' Schilde kommen und so können wir leichter beurteilen, ob er uns die Wahrheit erzählt." Er nickte verstehend, bevor sich seine Augen verengten. "Haben unsere Telepathen mit ihm dasselbe Problem wie mit Herrn Franklin?" Crawford, der auf seine Frage hin kurz innegehalten hatte, wandte den Kopf leicht in seine Richtung, gerade so weit, dass er einen Mundwinkel nach oben rutschen sah. "Nun, zumindest ist Frau Reiß auf die Schnelle nicht durch seine Schilde gekommen." Dem Älteren schien das nicht viel auszumachen. Und während sie sich beide wieder in Bewegung setzten, ging ihm auch der Grund dafür auf. Immerhin hatten sie am Ende Herrn Franklins Schilde überwunden – dank Herrn Schneider. Und der Deutsche würde in Kürze hier eintreffen. Sollten sie bis dahin alle Informationen haben, umso besser. Und falls nicht, würde Parks Herrn Schneider kaum widerstehen können, womit der Telepath mal wieder seine Überlegenheit unter Beweis stellen konnte. Etwas, das man nicht unterschätzen sollte, wie selbst ihm klar war, ohne dass er durch die Schule von Rosenkreuz dafür hätte gehen müssen. Kein Wunder also, dass die Welt für Crawford in bester Ordnung war. Er schüttelte leicht den Kopf, ohne zu wissen, ob über seine Gedanken oder vielleicht doch Crawford und bemerkte nicht, dass sich wieder ein Lächeln auf seine Lippen gelegt hatte. Das wie weggewischt war, als ein Schuss in seinen Ohren nachhallte. Sein Talent schlug beinahe automatisch zurück und ohne dass er sich dessen mit seinen Augen versichern musste, wusste er bereits, dass der Schütze nicht wieder aufstehen würde. Nein, sein Blick war ganz und gar von dem Rot gebannt, das sich über Crawfords Brust ausbreitete. Sein Atem zischte, als er endlich wieder daran dachte Luft zu holen und wenigstens wurde so der dunkle Schleier vertrieben, der sich über ihn hatte legen wollen. Als nächstes fand er sich auf den Knien wieder, neben Crawford, der zu Boden gesunken war. Seine Hand presste gegen die Wunde, als könnte er so verhindern, dass noch mehr Blut herausströmte. Aber wichtiger war, dass er sowohl mental als auch über ihre Funkverbindung nach Dolch und insbesondere Herrn Malcom rief. Gleichzeitig tastete er ihre Umgebung ab, sehr viel sorgfältiger als zuvor, doch er fand niemanden, der ihnen gefährlich werden konnte. Der Schütze musste von Dolch übersehen worden sein, hatte sich irgendwo versteckt, ohne sich zu rühren. Weswegen er ihn nicht auf dem Radar gehabt hatte. Etwas stieg in seiner Kehle auf, ließ ihn schwer schlucken, aber bevor er die Emotion entziffern konnte, wurde er glücklicherweise durch das Eintreffen des Heilers abgelenkt. Hände legten sich über seine, während Augen sich in Konzentration schlossen und überrascht erstarrte er, als Energie durch ihn hindurchfloss, geradewegs weiter in Crawfords Wunde hinein. "Gut, halte weiterhin alles in Stasis, bis ich mich um das Gröbste gekümmert habe." Beinahe abwesend gesprochen. Er schaffte es wieder, sich zu bewegen, neigte den Kopf etwas in dem Versuch, mehr zu erkennen. Stasis? Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er das tat, doch nun konnte er sein Talent spüren, wie das Feld bis unter Crawfords Haut drang. Ein momentanes Flackern warnte ihn, dass er besser nicht zu sehr darüber nachdachte, wie er das eigentlich tun konnte, sondern lieber seinem Instinkt vertrauen sollte. Was er dann auch tat. Die Zeit schien dahinzukriechen und trotzdem flog das Geschehen an ihm vorbei, es gelang ihm nicht, zu verarbeiten, was um ihn herum passierte. Als er schließlich ganz zu sich zurückfand, wurde er von Crawfords Seite vertrieben, als dieser in einen Raum geschoben wurde, umringt von Ärzten und Heilern. Dumpf ließ er sich auf einen der Stühle fallen, die an der Wand gereiht bereitstanden, zwinkerte ein paar Mal, bevor er sich umsah, um seine Umgebung einzuordnen. Ein Anflug von Vertrautheit, der ihn zunächst verwirrte, bis er sich erinnerte. Hierher war er damals gebracht worden, nachdem Crawford ihn gefunden hatte. Crawford… Er senkte den Blick – und wurde gefangen genommen vom Anblick seiner Hände, an denen immer noch Blut klebte. Es war ein leises Räuspern, das ihn irgendwann aufsehen ließ und es musste eine halbe Ewigkeit vergangen sein, denn es war Herr Schneider, der vor ihm stand. Die eisblauen Augen musterten ihn intensiv, bevor der ältere Mann den Kopf schüttelte. "Komm, Nagi." Die Hand auf seiner Schulter war schwer, sollte ihn eigentlich unten halten, aber trotzdem half sie ihm irgendwie dabei, auf die Beine zu kommen. Gleich darauf fand er sich in einem Bad wieder, dass zu einem der Patientenzimmer gehören musste. Der Wasserhahn wurde aufgedreht und mehr Ansporn benötigte er nicht mehr. Viel zu lange wurde das Wasser rosa gefärbt, doch irgendwann waren die letzten Spuren beseitigt und erlaubte ihm wieder, klar zu denken. Weswegen er im nächsten Moment herumfuhr. "Wie lange sind Sie schon hier?" Eine Augenbraue ging in die Höhe, dann folgte ein schmales Lächeln. "Eine knappe Stunde ungefähr. Ich bin vom Flughafen direkt hierher gekommen." "Sie wissen, wie es Crawford geht?" Die Schlussfolgerung war nicht schwer zu ziehen, nachdem sein Kopf wieder wie gewohnt arbeitete. Das Lächeln schien sich für einen Moment zu vertiefen. "Die Heiler sind bereits mit ihm fertig und konnten die Schussverletzung ohne Komplikationen heilen. Jetzt muss Crawford nur noch die üblichen Nachwirkungen verarbeiten." Er nickte unwillkürlich. Darüber hatte er gelesen, schließlich hatte er mehr wissen wollen über diese neue Ausprägung seines Talents. Crawford würde also hungriger sein als Schuldig nach einem Tag voller Einsätze und sehr viel Zeit mit Schlaf verbringen. Doch das war ein geringer Preis. Wie in Bestätigung seiner Gedanken – und bei diesem Telepathen war das ohne Weiteres möglich – nickte Herr Schneider. "Es wird noch einige Stunden dauern, bis wir mit seinem Erwachen rechnen können." Eine kurze Pause, in der der Blick der eisblauen Augen sehr kalt wurde. "Vielleicht bist du an Parks Verhör interessiert." Es folgte eine intensive Musterung, bevor der Deutsche den Kopf leicht zur Seite neigte. "Andererseits würde es dir nicht schaden, etwas zur Ruhe zu kommen. Ich kann dich auch zu eurem Hotel fahren lassen." Er schüttelte den Kopf, noch bevor Herr Schneider den Vorschlag zu Ende bringen konnte. "Ich habe mich schon genug ausgeruht." Als er nutzlos hier herumgesessen hatte. Er verzog flüchtig das Gesicht, die Geste ganz gegen ihn allein gerichtet. Und Herr Schneider schenkte ihm ein verstehendes Lächeln. "In dem Fall lass uns aufbrechen." Wieder ruhte die Hand für einen Augenblick auf seiner Schulter, bevor sich der Ältere zum Gehen wandte. "Bisher scheint unseren Leuten nämlich kein Erfolg beschieden zu sein. Und ich muss zugeben, dass ich in diesem bestimmten Fall nicht besonders viel Geduld in mir finde." Seine Miene war kurz wie versteinert, bar jeder Regung, als eine Emotionsspitze seine gesamte Aufmerksamkeit einforderte. Ja, er konnte Herrn Schneider in diesem Punkt nur zu gut verstehen. Der Telepath, Empath in diesem Fall, bemerkte natürlich, was in ihm vorging, doch es kam kein Kommentar. Nur dass Herr Schneider seine Schritte etwas beschleunigte. Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Eine Zelle vielleicht oder einen Verhörraum. Wie man es aus Filmen kannte. Seine Mundwinkel zuckten nach oben, als ein anderes Bild vor seinem inneren Auge aufploppte. Eine Lagerhalle, natürlich nahezu leer. Darin ein Stuhl und der Gefangene gefesselt darauf sitzend. Stattdessen befand er sich in einem Raum, der ein Büro in einer beliebigen Firma sein konnte und er würde sich nicht wundern, wenn er normalerweise als solches genutzt wurde. Nun, wenn da nicht der Spiegel gewesen wäre, der von ihrer Seite aus den Blick in den Raum ermöglichte. Parks hatte sein Gefühl der Überlegenheit anscheinend noch nicht verloren, auch wenn weder dessen Anzug noch dessen Frisur den perfekten Sitz beibehalten hatten, den die Fotos des Mannes gezeigt hatten. Er wollte sein Talent vorschicken, um ihm das abfällige Grinsen vom Gesicht zu wischen, im wahrsten Sinne des Wortes, doch Herrn Schneiders Gegenwart allein war genug, um ihn von solchem Alleingang abzuhalten. Der Deutsche lud schon normalerweise nicht gerade dazu ein, dessen Wünschen zuwider zu handeln. Und in diesem Augenblick wollte er es noch viel weniger riskieren. Denn auch wenn die Miene des Älteren ausdruckslos war, so ging eine Kälte von ihm aus, die unter seine Haut kroch und die Luft in seinen Lungen zu gefrieren schien. Und es war keine Einbildung, denn auch Herr Monreau schien zu frösteln und hatte Probleme, Blickkontakt zu Herrn Schneider zu halten, als dieser endlich eine Frage stellte. "Er hat bisher nicht geredet?" "Nein." Der Ex verzog das Gesicht. "Er scheint uns nicht für voll zu nehmen. Und bisher haben wir keine Gewalt angewendet, ganz nach Vorschrift." Herr Schneider schien irgendwie belustigt, als dessen Blick wieder nach dem Gefangenen suchte. Etwas, das von Herrn Monreau mit Erleichterung aufgenommen wurde. "Dass er nicht versteht, worauf er sich eingelassen hat, wussten wir bereits. Wir werden ihn schon noch eines Besseren belehren. Aber ich möchte so schnell wie möglich erfahren, ob er andere Leute eingeweiht hat." Denn das war die einzige Gefahr, die von diesem Wahnsinnigen ausging, nickte er innerlich. Wie Crawford schon gesagt hatte. Das war der Hauptgrund gewesen, warum er sich keine Pause gegönnt hatte bei seiner Suche. Auch wenn die Tatsache hineinspielte, dass er nicht besonders glücklich über die Tatsache war, dass jemand in seine Systeme hatte eindringen können. Seine Hand hatte sich unwillkürlich auf das kühle Glas gelegt und er spürte, wie es unter seinem Fingerspitzen nachgeben wollte. Er konnte selbst nicht genau sagen, ob es der Gedanke an Crawfords Verletzungen war oder an den geheimnisvollen Programmierer, der an seiner Kontrolle zehrte. Das Ergebnis wäre jedenfalls dasselbe gewesen, wenn da nicht für einen flüchtigen Moment eine Hand auf seiner Schulter geruht hätte. Eine Erinnerung, die vollkommen ausreichend war. "Und telepathisch hatte Frau Reiß auch keinen Erfolg." Mehr Aussage als Frage. "Sie nicht und auch die anderen Telepathen nicht. Zumindest in diesem Punkt ist Parks Selbstvertrauen gerechtfertigt." Herr Monreau zögerte kurz, ausreichend, dass er einer Musterung nicht widerstehen konnte. Weswegen ihm das schmale Lächeln gar nicht entgehen konnte, das die folgenden Worte begleitete. "Natürlich hat er nicht mit Ihnen gerechnet." ~TBC~ Kapitel 60: "Herrn Schneider schien das so leicht zu fallen, wie ein Kind mit der Fingerspitze eine Seifenblase zum Platzen bringen würde" ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ "Soll das Mädchen drin bleiben?", erkundigte sich Herr Monreau, als Herr Schneider sich vom Spiegel abwandte. Sein Blick huschte zu dem benannten Mädchen hinüber, das er bis zu diesem Moment ignoriert hatte. Sie hatte diesen dumpfen Blick, der einen Screamer kennzeichnete. Er war bisher nicht vielen von ihnen über den Weg gelaufen und konnte nicht behaupten, dass er unglücklich darüber war. Sie schienen keinerlei Potenzial zu besitzen. Als wären sie tot. Nur dass sie immer noch dastanden oder saßen. Und atmeten. "Mm, sie wird mich kaum bei meiner Arbeit stören. Und auch wenn Parks besser keine Dummheiten probieren sollte in meiner Anwesenheit, weiß man bei ihm nicht, ob er so viel Vernunft aufbringt." Ein ironisches Lächeln zog an den Mundwinkeln des Deutschen, als dieser den Ex musterte. "Und wir wollen doch unsere Mitarbeiter hier nicht unnötig in Gefahr bringen, nicht wahr?" Der Ex entschied sich für eine neutrale Miene in Reaktion darauf, doch etwas in dessen Feld verriet ihm, dass Herr Monreau mit dieser Entscheidung ganz zufrieden war. "Wie Sie wünschen, Herr Schneider", folgte eine knappe Verbeugung, bevor Herr Monreau den Raum verließ. "Er macht sich Sorgen, dass Sie ohne den Screamer Probleme bekommen könnten?", fragte er, nachdem sie unter sich waren. Herr Schneider wirkte sichtlich belustigt. "Das hat sich irgendwie zu einer schlechten Angewohnheit entwickelt. Selbst Crawford, der meine Fähigkeiten mit am besten kennt, kommt nicht so ganz dagegen an." Ihm entkam ein leises Schnauben, bevor er darüber nachdenken konnte, wem gegenüber er sich solche Freiheiten herausnahm. "Crawfords Fall liegt etwas anders, meinen Sie nicht auch?", fügte er dann hinzu. Schlimmer machen konnte er es dadurch schließlich nicht mehr. Herrn Schneiders Amüsement vertiefte sich nur. "Damit könntest du Recht haben", wurde ihm zugestimmt, bevor der Ernst in die Miene des Älteren zurückkehrte und der ältere Mann scheinbar ein völlig anderes Thema anschnitt. "Ich denke, du benötigst doch etwas Ruhe. Wenn die Sache mit Parks länger dauert, wirst du nicht die ganze Zeit hier abwarten, sondern ins Hotel zurückkehren." Für einen Moment wunderte er sich, woher dieser plötzliche Wechsel kam, dann aber verstand er, biss kurz die Zähne zusammen. Natürlich, wenn er ganz bei sich wäre, hätte er eben nicht so auf Herrn Schneiders Bemerkung reagiert. Und auch wenn der Deutsche ihn noch nicht häufig getroffen hatte, schien dieser ihn besser einschätzen zu können als ihm lieb war. Als nächstes hob er das Kinn und suchte bewusst nach dem Blick der eisblauen Augen. "Ich vertraue ganz einfach auf Ihr Können." Kein Widerspruch – und zugleich keine Zustimmung. Herr Schneider lachte auf, schüttelte dann leicht den Kopf, ohne allerdings etwas zu sagen. Und verließ dann ebenfalls den Raum, um gleich darauf den anderen zu betreten. Dass Herr Schneider in diesem Moment immer noch lächelte, schien sowohl Herrn Monreau als auch Frau Reiß mit Vorsicht zu erfüllen, während Parks vollkommen unbeeindruckt war. Er runzelte die Stirn. Konnte es sein, dass der Mann keine Ahnung hatte, wer Herr Schneider war? Er hatte doch für eine Weile einen Maulwurf in das Büro einschleusen können… Aber dann wiederum – hatte Herr Schneider die Frau damals gleich entdeckt, wahrscheinlich, bevor sie eine Chance hatte, den damaligen Direktor zu identifizieren. Ein unfreundliches Lächeln kurvte seine Lippen. Und als Parks nachträglich versuchte herauszubekommen, was geschehen war, war er einem Irrtum aufgesessen. Denn obwohl Crawford der Schütze gewesen war, war das auch schon alles. Geführt hatte die Waffe Herr Schneider. Das stand natürlich nicht in der Akte, aber Crawford hatte ihn aufgrund ihres Auftrags hier umfassend informiert. Er verspürte den irrationalen Wunsch, dem Mann hinter der Scheibe eine lange Nase zu drehen, befand den Impuls aber als zu kindisch, um ihn umzusetzen. Und begnügte sich mit der Tatsache, dass Parks seine Überheblichkeit schon noch bereuen würde. Er zog sich einen der Stühle heran und ließ sich hinein sinken. Aus irgendeinem Grund schien ihm plötzlich alle Energie abhanden gekommen zu sein, doch er hatte nicht vor, Herrn Schneiders Rat zu befolgen. Schlafen konnte er später immer noch genug. Herr Schneider spiegelte seine Geste völlig unbeabsichtigt, als dieser ebenfalls nach einem Stuhl griff, gleich darauf gegenüber von Parks Platz nahm. Nur dass der Deutsche seine Bewegungen viel besser unter Kontrolle hatte und auch nicht in sich zusammensackte, als er erst mal saß. "Sind Sie der nächste Telepath, der es probieren soll?", wurde Herr Schneider herablassend begrüßt. Und auch wenn sowohl Frau Reiß als auch Herr Monreau empört wirkten, schien sich der Deutsche rein gar nichts daraus zu machen. Er hob lediglich eine Hand, um die beiden davon abzuhalten, dem anderen Mann bessere Manieren beizubringen. Dem folgte eine knappe Geste, die nicht weiter schwer zu verstehen war, auch wenn sie zunächst nicht verstehen wollten. Doch keiner brachte wirklich den Mut auf, sich Herrn Schneider zu widersetzen, so dass dieser gleich darauf allein war mit Parks. Abgesehen von dem Screamer natürlich. Anschließend nahm sich der Deutsche endlich Zeit für eine Antwort. "Hm, der nächste? Das ist wohl richtig. Aber ich werde mich nicht lange mit probieren aufhalten." Ein schmales Lächeln. "Vielleicht wollen Sie doch mit uns kooperieren. Sie gewinnen schließlich nichts mit Ihrem Schweigen." "Das können Sie doch gar nicht beurteilen, nicht wahr?" Immer noch von sich selbst eingenommen, als befände er sich auf seinem eigenen Terrain. Der Mann hatte wirklich allen Realitätssinn verloren. Herr Schneider schien immer noch völlig unberührt, umso mehr überraschte der plötzliche Schlag, den er seinem Gegenüber versetzte. Nur um anschließend wieder völlig ruhig dazusitzen, als hätte er sich nicht gerührt. "Sie scheinen nicht zu verstehen, wer wir sind. Und dass Sie alles in allem ziemlich belanglos für uns sind. Wir wollen nur ein paar Antworten haben." "Bevor Sie mich gehen lassen? Das soll ich Ihnen glauben?" Parks antwortete in einer Mischung aus Schock und Empörung, tastete über die aufgeplatzte Lippe hinweg, als könnte er genauso wenig glauben, was gerade geschehen war. "Das habe ich nicht behauptet. Ich nehme an, ein paar unserer Leute werden an ihrem Talent interessiert sein. Von daher werden wir Sie nicht gleich entsorgen. Sie können sich Ihren Aufenthalt mit etwas Kooperation lediglich angenehmer gestalten." Nun verrutschte dem anderen Mann zum ersten Mal wirklich die Miene. Herr Schneider zog nur eine Augenbraue hoch. "Was haben Sie erwartet? Ihnen sind doch nicht mal Ihre Mitarbeiter wichtig, wenn ich daran denke, wie sie mit Frau Kato umgegangen sind. Ohne Ihren Einfluss hätte sie sich bestimmt nicht selbst umgebracht. Und das Kanonenfutter, das sich unserem Team heute entgegengestellt hat, kann Ihnen auch nicht besonders wichtig gewesen sein." Der andere Mann verzog dazu das Gesicht. "Sie wollen mich doch nicht ernsthaft mit diesen Leuten auf eine Stufe stellen?" "Hm, vielleicht verstehen Sie jetzt, was wir davon halten, dass Sie sich als uns ebenbürtig einordnen. Wenn nicht sogar als überlegen." Er musste sich ein Grinsen verkneifen, als Parks nach einem Moment begriff, was Herr Schneider gesagt hatte. Dessen Miene drückte auch ohne Worte aus, dass er sich wieder beleidigt fühlte. Eine Feststellung, mit der er nicht allein dastand, wie ihm das feine Lächeln des Deutschen verriet. Doch in der nächsten Sekunde war es verschwunden und Herr Schneider lehnte sich auf einmal vor. "Sie sollten sich besser entspannen", wurde leise angemerkt, dann ruhte die rechte Hand des Telepathen auch schon an der Schläfe des anderen Mannes. Parks wäre gerne zurückgewichen, da er aber auf dem Stuhl fixiert war, war ihm das nicht möglich. Und dann erstarrte er. Er hatte nicht gemerkt, dass er aufgestanden war, erst als seine Hände wieder das kühle Glas berührten, wurde es ihm bewusst. Doch nur mit einem zu vernachlässigenden Teil seines Verstandes. Denn der Rest davon war damit beschäftigt, mit seinem Talent nach draußen zu greifen. Es war ihm egal, dass ein Screamer bereitstand und genauso, dass Herr Schneider auf sich selbst aufpassen konnte. Sollte er spüren, dass Parks versuchte den Deutschen zu beeinflussen, würde er ihn kurz und schmerzlos ganz einfach ausschalten. Oder vielleicht nicht unbedingt schmerzlos… Ein düsterer Funken glomm in den dunklen, blauen Augen auf, als er wieder an Crawford denken musste. Und so war es kein Wunder, dass er Befriedigung empfand, als sich Parks Gesicht nun vor Schmerz verzerrte, Schweiß auf dessen Stirn trat. Anscheinend reichten die Schilde des Mannes nicht aus, um Herrn Schneider abzuhalten. Er zwinkerte, plötzlich sicher, dass der Telepath bereits von dessen Erfolg überzeugt gewesen war, bevor dieser überhaupt den Versuch gestartet hatte. Und er verstand auch, weswegen Herr Schneider bis zu diesem Moment ein beinahe ziviles Gespräch geführt hatte. Es war ihm ganz einfach darum gegangen, in aller Ruhe die Barrieren seines Gegenübers zu testen. Und Parks war viel zu arrogant gewesen, um es zu bemerken. Dieser Dummkopf hatte keine Ahnung, mit wem er sich angelegt hatte. Die Zeit verging nur langsam, ohne dass sie ihm lang wurde. Er nahm einfach nur jede Regung des anderen Mannes auf, erfasste sie mit seinem Blick und mit dem Feld, das er um ihn gelegt hatte. Und so sah er, was anderen Beobachtern verborgen blieb. Wie etwas in Parks unter dem mentalen Druck zerbrach. Herrn Schneider schien das so leicht zu fallen, wie ein Kind mit der Fingerspitze eine Seifenblase zum Platzen bringen würde. Ein prekäres Gleichgewicht, das durcheinander gebracht wurde. Unwillkürlich hatte er den Atem angehalten, der ihm jetzt langsam entwich. Und während er sich einfach nur ein wenig entspannte, sackte wie in einem verzerrten Spiegelbild Parks Gestalt in sich zusammen. Für ein paar weitere Sekunden verharrten sie alle, ohne dass etwas geschah, selbst Herr Schneider schien nicht mehr zu arbeiten, dann lehnte sich der Deutsche mit einem zufriedenen Lächeln zurück. "Er hat es geschafft", klang es hinter ihm genauso zufrieden auf. Natürlich zuckte er nicht zusammen. Ihm hatte gar nicht entgehen können, dass Frau Reiß und Herr Monreau eingetreten waren, nachdem der Telepath sie weggeschickt hatte. Bis zu diesem Moment hatte er sie ganz einfach nur ignoriert. Jetzt allerdings wandte er sich langsam um. "Sie haben doch nicht ernsthaft daran gezweifelt?" Der Ex zuckte mit den Schultern und grinste flüchtig. "Nein, nicht ernsthaft. Mich hatte nur die Tatsache etwas unsicher gemacht, dass er so lange von uns unentdeckt blieb." "Was darauf hoffen lässt, dass er alles für sich behalten hat." Eine beinahe nebensächliche Feststellung, bevor er sich auf den Weg zur Tür machte. Vielleicht hatte Herr Schneider ja mehr über diesen geheimnisvollen Hacker erfahren. Er war unverändert ausgesprochen interessiert daran, ihn zu finden. Und es schadete nichts zu fragen. Egal, wie die anderen auf den Deutschen reagierten, ihm hatte Herr Schneider keinen Grund gegeben, ihm mit übertriebener Vorsicht gegenüberzutreten. Er hatte den Raum kaum verlassen, als er sein Ziel schon erreichte. Anscheinend hatte Herr Schneider es nicht für nötig befunden, sich länger mit Parks abzugeben. Der ältere Mann zog bei seinem Anblick eine Augenbraue hoch, musterte ihn kurz aber intensiv, bevor ein knappes Nicken folgte. "Dein spezieller Freund hat überlebt. Und Parks weiß, wo er sich normalerweise aufhält. Was natürlich keine Garantie dafür ist, dass wir ihn dort noch finden werden. Aber falls er nicht mehr dort ist, werden wir zweifellos eine Spur finden, die uns letztendlich zu ihm führt." Etwas Seltsames flackerte in den eisblauen Augen auf, bevor Herr Schneider weitersprach. "Und du kannst unsere Leute hier natürlich gerne unterstützen." Er wollte sich schon bedanken, als Herr Schneider eine Hand hob und ihn stoppte, bevor er ein Wort über die Lippen bringen konnte. "Vorher heißt es aber ab ins Bett mit dir." Beinahe wäre ihm die Kinnlade heruntergeklappt, denn er hätte ganz sicher nicht erwartet, so etwas von Herrn Schneider zu hören. Als nächstes regte sich Protest in ihm, doch es war sein eigener Körper, der ihn an dieser Stelle verriet. Als wären nur diese Worte erforderlich gewesen, senkte sich plötzlich tiefe Erschöpfung über ihn und bevor er dagegen ankämpfen konnte, begannen seine Knie nachzugeben. "Vorsichtig", hörte er den älteren Mann murmeln und im nächsten Moment fand er sich in dessen Armen wieder. Er konnte sich nicht dagegen wehren, vielmehr sackte er weiter in sich zusammen und sein Kopf fiel gegen Herrn Schneiders Schulter. Was war nur los mit ihm? "Das ist nicht besonders überraschend." Eine bekannte Stimme. Herr Monreau. "Immerhin hat er die letzte Nacht durchgearbeitet. Dann der Einsatz gegen Parks. Und dann hat er Ihre Arbeit verfolgt, ohne sich zu rühren." "Ganz davon abgesehen, dass er Sie mit seinem Talent beschützt hat." Das kam von Frau Reiß. "Er hat diese Konzentration über eine Stunde aufrechterhalten?" Herr Schneider klang… beinahe überrascht. Und er selbst war es auch, wenn auch aus einem anderen Grund. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass so viel Zeit vergangen war. Kein Wunder, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Zu dem gleichen Ergebnis kam auch der Deutsche, dachte noch einen Schritt weiter. "In dem Fall kommt noch ein herzhaftes Essen vor dem Schlafen dran. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass er es Crawford gleichtun will." Von Herrn Monreau kam eine sehr ernst klingende Antwort. "Das Ergebnis mag das Gleiche sein. Aber ich bin froh, dass er nicht auch im Krankenhaus gelandet ist…" Er glaubte noch ein zustimmendes Brummen von Herrn Schneider zu hören, dann nickte er weg. ~TBC~ Kapitel 61: "Dein Magen allein sollte schon für Gehorsam von deiner Seite sorgen" --------------------------------------------------------------------------------- "Meinst du, dass du es heute noch aus dem Becken herausschaffst?" Er war bereits so weggetreten gewesen, dass es eine Weile dauerte, bis er Schneiders Äußerung von bloßen Lauten in echte Worte umgewandelt hatte. Und mindestens genauso lange schien es zu dauern, bis er eine Antwort formen konnte. "Jetzt wo Sie es sagen, bin ich mir dessen selbst nicht so sicher", gab er leise zu, öffnete langsam die Augen, um seinen Blick auf den Deutschen zu fokussieren. Um ihn herum stiegen immer neue Blasen empör, platzen mit einem kaum wahrnehmbaren Sprühregen. Ihm war so warm, dass seine Muskeln geschmolzen zu sein schienen und der volle Magen tat sein Übriges. "Und selbst wenn ich es könnte, stellt sich die Frage, ob ich es überhaupt will." Der Ältere ließ sich auf dem Rand des Whirlpools nieder, musterte ihn mit einem Kopfschütteln. "Du schläfst nur ein und gehst unter, wenn du noch länger hier drin bleibst. Und nachdem du den Schuss überstanden hast, wäre es doch äußerst dumm, wegen so einer Lappalie zu sterben." Braune Augen verengten sich. Als würde er in solchem Fall nicht ganz einfach aufwachen. Aber zumindest hatte Schneider damit Recht, dass das Becken zum Schlafen eher ungeeignet war. Weswegen er nicht protestierte, als die Funktion abgeschaltet wurde und Stille einkehrte. Anschließend streiften Schneiders Fingerspitzen durch das warme Wasser, bevor sie ein Ziel fanden, feuchte Strähnen aus seiner Stirn strichen. Dem schloss sich ein Lächeln an, bevor Schneider aufstand und nach dem Bademantel griff, der bis zu diesem Moment vorgewärmt worden war. "Komm." Er war eigentlich viel zu alt, um sich bei so etwas Simplen helfen zu lassen, doch er hatte nicht genug Energie übrig, um sich dagegen zu verwehren. Also schlüpfte er einfach in den bereitgehaltenen Mantel und erlaubte Schneider sogar, die Kapuze über seinen Kopf zu ziehen. "Was sagt dein Magen, brauchst du noch mehr zu essen, bevor es ins Bett geht?" Er zog eine Augenbraue hoch. "Sie belieben zu scherzen, wir haben doch eben erst Abendbrot gegessen." Schneider lachte leise. "Das ist schon wieder eine Stunde her. Und dein Metabolismus ist noch nicht zu seinem normalen Niveau zurückgekehrt, das kann ich dir versichern." Das ließ ihn stutzen, bevor er in sich hinein lauschte. Und es stimmte. Obwohl er sich vor kurzem noch so gefühlt hatte, als würde jedes zusätzliche Gramm an Essen seinen Magen sprengen, verspürte er inzwischen wieder dieses etwas flaue Gefühl. Kein wirklicher Hunger, aber das Verlangen nach mehr Energie sprach daraus. Nur dumm, dass er dafür erst mal welche aufbringen musste, denn das Essen an sich erledigte sich nicht von allein. Noch nie war ihm die Aussicht auf eine Mahlzeit so anstrengend vorgekommen. Ein Hauch von Amüsement streifte die eisblauen Augen. "Im Notfall kann ich dir auch alles kleinschneiden", wurde er sanft aufgezogen, bevor nur noch Ernst zurückblieb. "Du solltest dich nun wirklich nicht ums Essen drücken. Immerhin willst du morgen wieder auf der Höhe sein, nicht wahr? Ansonsten bekommst du noch einen Tag länger frei." Damit wandte sich Schneider zum Gehen. "Ich werde noch etwas bestellen. Und du beeilst dich besser mit dem Umziehen, bevor du dich noch erkältest." Er blieb allein zurück, die Hand unwillkürlich gegen seine Brust gepresst, wo die Verletzung schon längst geheilt war. Nur die Nachwirkungen waren noch da. Seine Hand begann sich zu bewegen, rieb über die Stelle, während ihm plötzlich durch den Kopf ging, dass Aya auch eine Verletzung der Lunge gehabt hatte. Und dann im Koma lag. Auch wenn bei ihr noch weitere Verletzungen eine Rolle gespielt hatten, war das kein angenehmer Gedanke und er schob ihn rasch wieder von sich. Lieber konzentrierte er sich darauf, so schnell wie möglich trocken zu werden, um anschließend in den bereitliegenden Schlafanzug zu schlüpfen. Und weil er aus irgendeinem Grund fröstelte, zog er anschließend den anderen Bademantel über. Falls Schneider ihn später benötigte, konnte er ihn immer noch herausgeben. Der warf ihm einen langen Blick zu, nachdem er das Bad verlassen hatte, winkte ihn dann zum Bett hinüber. "Ich denke, es ist mehr die Müdigkeit als alles andere. Und im Bett sollte dir schnell warm werden." Eine kurze Pause, bevor Schneider bewies, dass dieser anscheinend nicht vorhatte, sich aus seinen Gedanken herauszuhalten. "Nachdem du jetzt endlich eingesehen hast, dass du ernsthaft verletzt warst, wirst du gegen Ruhe hoffentlich nichts mehr einzuwenden haben." Letzteres mit einem schmalen Lächeln, dem es sichtlich an Humor fehlte. Anscheinend hatte Schneider dieser Moment der Klarheit vorhin ebenso wenig gefallen wie ihm selbst. Weswegen er widerspruchslos zum Bett hinüberging und sich setzte, auch wenn er sich für den Moment noch weigerte, sich hinzulegen. Schneiders Lächeln wurde echt, dann kam der Deutsche näher, blieb so nahe vor ihm stehen, dass er sich nicht nur einbildete, dessen Körperwärme zu spüren. Was ihn widersinniger Weise wieder zittern ließ. Oder vielleicht war es ganz einfach nur ein Schauer. Ein Funken trat in eisblaue Augen, der ihn erwarten ließ, dass er gleich Gesellschaft bekommen würde, doch Schneider hielt sehr still, schüttelte schließlich den Kopf. "Das Essen sollte gleich kommen. Ich hoffe, du hast nichts gegen Pasta. Die sollte viel Energie liefern." Nachdem seine Gedanken für einen Moment in eine völlig andere Richtung geschweift waren, fand er es schwierig, sich plötzlich um so etwas wie Profanes wie seine nächste Mahlzeit zu kümmern. Was sich in einem flüchtigen Stirnrunzeln äußerte. Schneiders Augenbrauen rutschten daraufhin kurz nach oben. "Das kann doch nicht dein Ernst sein, Crawford. Du hast kaum genug Kraft, um fünf Minuten lang auf den Beinen zu bleiben, aber willst Sex haben?" Da er genau wusste, dass er mit diesem Wunsch nicht allein dastand, verschränkte er die Arme vor der Brust und schenkte Schneider einen ausgesprochen unbeeindruckten Blick. "Sie brauchen nicht so überrascht zu tun, wenn Sie selbst daran schuld sind, dass ich in Ihrer Nähe so denke. Und auf den Beinen bleiben müsste ich dafür nicht, nicht wahr?" Der Nachsatz entlockte Schneider ein Auflachen, das aber nur kurz ausfiel, da der Ältere die Selbstbeherrschung anscheinend nicht mehr durchhielt. Denn im nächsten Augenblick fand er sich auf dem Rücken liegend wieder und mit dem Älteren als warmes Gewicht über sich, konnte ihm gar nicht mehr kalt sein. "Du hast ein Argument vergessen", wurde ihm ins Ohr geflüstert, kaum mehr als heißer Atem. "Sex ist ausgesprochen lebensbejahend." Und dann wurde er geküsst. Noch mehr Hitze, die ihn den Gedanken vergessen ließ, dass Schneider mit dieser Analyse sehr wohl Recht haben mochte. Und letztendlich war das auch nicht weiter von Belang. Zufrieden erwiderte er den Kuss und seine Verletzung, die gar keine mehr war, hinderte ihn nicht daran, sich Schneider entgegen zu bewegen. Er schlang die Arme um Schneiders Hals, bewies sich selbst, dass es ohne Probleme funktionierte und etwas löste sich bei dieser Feststellung in ihm, das sich zuvor im Bad als Knoten in seinem Magen niedergelassen hatte. Bevor er sich völlig in der Hitze verlieren konnte, klopfte es an der Tür, eigentlich nicht unerwartet, aber trotzdem überraschend. Schneider seufzte leise, stemmte sich dann aber hoch und ging öffnen. Er selbst blieb mit rasendem Herzschlag zurück, beschäftigt damit, zu Atem zu kommen. Es gelang ihm… beinahe… zu einem normalen Rhythmus zurückzufinden, bevor Schneider zurückkehrte, ein Tablett mit sich führend. Es wurde zunächst auf dem Nachttisch abgestellt, so dass der Ältere wieder beide Hände frei hatte, als dieser sich auf die Bettkante setzte. "Schaffst du es alleine hoch?", wurde er dann aufgezogen, während schwarze Strähnen aus seiner Stirn gestrichen wurden. Er warf dem älteren Mann einen etwas unwirsch ausfallenden Blick zu, fand die Frage aber keiner Antwort wert. Stattdessen setzte er sich ohne Hilfe auf und schob sich auch das Kissen selbst in den Rücken. Denn in einem Punkt musste er Schneider zustimmen - auch wenn dieser durch das mitgebrachte Tablett nur impliziert wurde -, aufstehen wollte er tatsächlich nicht. Das Eingeständnis wurde mit einem Lächeln quittiert, bevor Schneider ihm ausgesprochen hilfsbereit das Tablett hinstellte. Für einen Moment musterte er das ansprechend angerichtete Essen und sein Magen ließ sogar ein leises Knurren hören, doch ungeachtet dessen hätte er lieber dort weiter gemacht, wo sie unterbrochen worden waren. "Dafür ist morgen auch noch genug Zeit", merkte Schneider an, mit mehr Disziplin, als er selbst gerade aufbringen wollte. Aber da er es sowieso nicht schaffen würde, den Deutschen umzustimmen, wandte er sich endlich seiner Pasta zu. Schneider nutzte die Zeit, um selbst ins Bad zu verschwinden und als er den Teller geleert hatte, bekam er wieder Gesellschaft. Dieses Mal aber fiel der Kuss sehr zahm aus. "Du solltest jetzt schlafen. Ich werde noch nachsehen, ob es Neuigkeiten aus dem Büro gibt und dann ebenfalls ins Bett kommen." Er wollte protestieren, schließlich war er kein kleines Kind mehr und als solches fühlte er sich gerade behandelt. Allerdings kam ihm die Tatsache in die Quere, dass seine Lider immer schwerer wurden. Als gäbe es eine unsichtbare Verbindung zu seinem wieder gefüllten Magen, der daran ziehen würde. Und dass ihm so ein alberner Gedanke überhaupt kam, war leider auch Beweis, dass er dringend Schlaf benötigte. Das Aufblitzen von Amüsement in den eisblauen Augen verriet ihm, dass Schneider ganz seiner Meinung war. Dann legte sich eine Hand auf seine Stirn, verweilte dort für ein paar Sekunden, bevor sie etwas tiefer rutschte. Es wurde dunkel und nachdem er ein-, zweimal gegen die Dunkelheit angeblinzelt hatte, wurde ihm das zu anstrengend und er ließ die Augen ganz einfach zu. Er bekam es nicht mit, als er wegnickte, nur später, als sich ein warmes Gewicht an seiner Seite niederließ, fand er für einen kurzen Moment in die Realität des Wachseins zurück, gerade lange genug, um die Wärme noch etwas näher an sich heranzuziehen. "Ausgeschlafen?", wurde er begrüßt, als er die Augen zu einem sehr hellen Morgen aufschlug. Oder vielleicht war es auch schon Tag, was die Lichtverhältnisse viel eher erklären würde. Er wandte den Kopf zur Seite und sah, dass Schneider bereits angekleidet war, nichtsdestotrotz aber noch neben ihm im Bett saß, mit dem Rücken gegen das Kopfende gelehnt, und in einer Akte blätterte. Sich streckend ließ er seine Augen für einen Moment noch mal zufallen, lauschte in sich selbst hinein. Und fand leicht eine Antwort. "Ja, bin ich tatsächlich." Jetzt erst merkte er, wie erschöpft er am Tag zuvor wirklich gewesen war, im Vergleich dazu fühlte er sich, als wäre er die Welt aus den Angeln heben. Womit auch der Wunsch mit verstärkter Macht erwachte, endlich zu erfahren, was eigentlich passiert war. Insbesondere mit Parks. "Jetzt haben Sie keinen Grund mehr, mich länger warten zu lassen", fügte er daher seiner ersten Feststellung hinzu. "Tatsächlich?" Belustigung streifte die Miene des Älteren, bevor dieser die Akte beiseitelegte und sich zu ihm herüberlehnte. Eine Hand wurde an seine Wange gelegt und dann schien Schneider… ihn zu scannen. Er konnte nicht sagen, ob nur äußerlich oder ob auch das Talent des Deutschen daran beteiligt war, denn das leise Kribbeln von Energie hatte er auch vorher schon spüren können. Aber letztendlich war das auch egal, es zählte nur, dass Schneider am Ende zustimmend nickte. "Doch darüber wollen wir das Frühstück nicht vergessen, hm?" Dafür hatte er nur ein Seufzen übrig, bevor er sich aus dem Bett rollte. Und kurz darauf saßen sie sich am Tisch gegenüber, zwischen ihnen ein so üppiges Frühstück, dass es beinahe als Mittagessen durchgehen konnte. Auf seine erhobene Augenbraue hin bekam er ein sehr munteres Lächeln präsentiert, das auf Schneiders Gesicht so seltsam aussah, dass er ein Schnauben hinter vorgehaltener Hand verbergen musste. Und darüber kaum mitbekam, was der Deutsche eigentlich sagte. "Brunch. Die perfekte Zeit dafür, wie du zugeben musst." Er zwinkerte und erlaubte sich dann ein flüchtiges Grinsen, weil das auch verborgen bleiben würde. Als er seine Hand schließlich senkte, schaffte er es, beinahe ernst auszusehen. "Sie sind hungrig?" "Was hat mich nur verraten…", wurde mit leichter Ironie zurückgegeben. "Ich bin schließlich nicht derjenige von uns beiden, der gestern Abend gleich zwei Mahlzeiten hatte." Er goss ihnen beiden Kaffee ein, hob dann seine Tasse, als würde er Schneider zuprosten. "Niemand hat Sie gezwungen mit dem Frühstück zu warten, bis ich aufwache." Die Geste wurde mit zuckenden Mundwinkeln erwidert, dann nahm der Ältere einen tiefen Schluck, bevor dieser etwas erwiderte. "Auf diese Weise kann ich aber besser ein Auge darauf haben, dass du auch genug isst", wurde ihm genüsslich mitgeteilt. "Dieser Scherz wird durch ständige Wiederholung auch nicht besser", verdrehte er die Augen. Wenn Schneider albern sein konnte, konnte er sich das auch erlauben. Aus irgendeinem Grund lachte der Ältere auf, stützte dann einen Ellenbogen auf dem Tisch ab, um das Kinn auf die Hand zu legen. "Stimmt, dein Magen allein sollte schon für Gehorsam von deiner Seite sorgen." Dummerweise stimmte das. Und so kam es, dass er zunächst einmal mit Essen beschäftigt war, statt endlich mehr zu erfahren. ~TBC~ Kapitel 62: "Das liegt daran, dass so wenige Menschen deinen hohen Ansprüchen genügen" -------------------------------------------------------------------------------------- "Wie lange wollen Sie mich eigentlich noch zappeln lassen?" Sein Tonfall geriet etwas unwirsch, aber er hatte auch gar nicht erst versucht, ihn unter Kontrolle zu halten. Schneider schenkte ihm ein Lächeln, das deutlich ausdrückte, dass der Ältere sich von seiner Stimmung nicht beeindrucken ließ. "Du musst zugeben, dass im Hotel immer ein Restrisiko verbleibt. Sensible Informationen gebe ich daher lieber im Büro an dich weiter. Ganz davon abgesehen möchte ich, dass dein Talent auch noch eine Chance mit Parks erhält. Nur zur Sicherheit. Falls mir etwas entgangen sein sollte, fällt es dir vielleicht auf." Mit dieser Erklärung zufrieden, erlaubte er sich ein knappes Nicken, bevor seine Mundwinkel wie aus eigenem Antrieb noch oben zuckten. "Ich möchte allerdings bezweifeln, dass Sie etwas übersehen haben. Denn offensichtlich sind Sie durch seine Schilde gekommen und damit gab es nichts mehr, was Sie zurückhalten konnte." Dieses Lächeln hatte eine andere Qualität. "Mm, dem möchte ich nicht widersprechen. Aber nachdem wir uns das letzte Mal zu früh zufrieden gegeben haben, will ich diesen Fehler nicht wiederholen." Diesen Wunsch konnte er sehr gut nachvollziehen. Und auch wenn er nicht unbedingt an die Notwendigkeit glaubte, ging auch er lieber auf Nummer sicher. Ganz davon abgesehen hatte der Besuch im Büro noch einen Vorteil. Er hatte Nagi seit dem Tag ihres Einsatzes nicht gesehen und auch wenn der Jüngere sehr gut auf sich allein aufpassen konnte, missfiel es ihm, dass er nicht hatte sicherstellen können, dass mit Nagi alles in Ordnung war. Eisblaue Augen richteten sich wieder auf ihn und etwas stand in dem Blick des älteren Mannes, das er nicht entziffern konnte. Doch mit den nächsten Worten vergaß er den Eindruck wieder. "Herr Malcom hat Nagi von der Beule geheilt, die du ihm verpasst hattest, bevor sie überhaupt Parks' Unterschlupf verlassen hatten. Du warst sogar dabei, auch wenn du dich immer noch nicht daran erinnern kannst." Er neigte dankend den Kopf, blickte dann für einen Moments ins Leere, als ein Bild in seiner Erinnerung aufblitzte. Nicht mehr als das, aber es gab ihm Hoffnung, dass sich die Lücken nach und nach füllen würden. Schneider hatte natürlich bemerkt, was passiert war und lächelte zufrieden. "Wenn die Erinnerungen später immer noch nicht von allein zurückkehren, werde ich sehen, ob ich nachhelfen kann. Aber es ist immer besser, zunächst der Natur ihren Lauf zu lassen." "Etwas, das Ihnen sicher nicht so leicht fällt…", murmelte er mehr zu sich selbst, als für den Deutschen bestimmt. Der dennoch auflachte, bevor sich eine warme Hand für einen Moment auf seine legte. "Das liegt nun mal in meiner Natur", wurde dann amüsiert erwidert. Er unterdrückte ein Schnauben, was ihm dadurch erleichtert wurde, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Der Chauffeur hielt natürlich genau vor dem Eingang des hoch aufragenden Gebäudes und gleich darauf wurde ihnen die Wagentür geöffnet. Der Mann verbeugte sich leicht, als Schneider ausstieg und behielt die Haltung bei, als er selbst folgte. Er warf einen raschen Blick zurück, bevor er Schneider folgte, dessen Erscheinen das Foyer mit unterdrückter Anspannung erfüllte. Obwohl der Deutsche bei weitem nicht zum ersten Mal in seiner neuen Funktion hier war, sogar erst am Tag zuvor auch dem Büro einen Besuch abgestattet haben musste, war bisher wohl nicht so etwas wie ein Gewöhnungseffekt eingetreten. >Ich möchte bezweifeln, dass das überhaupt passieren wird, solange ich meine Position innehabe<, kam der belustigte Kommentar des älteren Mannes, der es mal wieder nicht schaffte, sich aus seinem Kopf herauszuhalten. >Stell dir mal vor, was früher losgewesen wäre, wenn die Ältesten aufgetaucht wären.< Hm, so geriet das Ganze sehr viel verständlicher. Er musste zugeben, dass er hier auch so etwas wie einen blinden Fleck besaß. Dieses Mal klang das Lachen ganz allein auf der mentalen Ebene auf. >Nun, es ist nicht anders als damals in der Schule, nicht wahr? Du hast niemals denselben Direktor in mir gesehen wie die anderen.< >Woran Sie nicht ganz unschuldig sind<, dachte er trocken zurück, in der Gewissheit, dass der Telepath ihn verstehen würde. Auch wenn er bis auf einen belustigten Seitenblick keine Erwiderung erhielt. Sie passierten die Waffenkontrollen, ohne aufgehalten zu werden. Für einen Moment spürte er das vertraute Gewicht, das im Schulterholster ruhte, doch sobald seine Gedanken nicht mehr darauf gerichtet waren, verschwand der Eindruck auch schon wieder. Mit einem leichten Stirnrunzeln musterte er die Tafel im Fahrstuhl, auf der Schneider soeben einen Knopf gedrückt hatte, der sie in eines der Untergeschosse führen würde. "Sagen Sie bloß, Sie haben Parks in irgendeiner Zelle ganz unten eingebunkert." Ihm war nicht bekannt, dass das Büro solche Räumlichkeiten vorhielt, auf der anderen Seite würde es ihn aber auch nicht wundern. Der Deutsche war ihm plötzlich so nah, dass er unwillkürlich einen Schritt zurücktrat, doch dort war nur die Wand der Kabine. Sie mochte im Vergleich zu anderen Fahrstühlen geräumig sein, alles in allem bot sie aber nicht viele Rückzugsmöglichkeiten. Und nachdem er die erste Überraschung überwunden hatte, gab es auch keinen Grund mehr für einen Rückzug, nicht wahr? Schneider lächelte, lehnte sich dann noch näher, eine Hand neben seinem Kopf abstützend. "Hm, er ist da unten. Aber zumindest haben wir uns nicht zu dem Klischee herabgelassen, so etwas wie Verliese einzubauen." Er hob leicht das Kinn an, jetzt scheinbar völlig unbeeindruckt von Schneiders Nähe, auch wenn er nicht ganz verhindern konnte, dass sein Herzschlag etwas schneller ging. "Das will ich auch gehofft haben. Immerhin waren Sie für den Aufbau dieses Büros verantwortlich." Die Mundwinkel des älteren Mannes zuckten kurz nach oben, doch er hatte kaum Gelegenheit, diese Bewegung zu erhaschen, bevor Schneider die letzte Distanz schloss und ihn küsste. Er hatte keine Ahnung, was diesen plötzlichen Überfall ausgelöst hatte, doch in diesem Augenblick war es ihm herzlich egal. Sein Körper erinnerte ihn daran, dass ein gewisses Versprechen immer noch nicht eingelöst worden war und ehe er es sich versah, drängte er sich gegen den Älteren. Erst nachdem Schneider sich sanft von ihm gelöst hatte, sie beide wieder zu Atem kommen mussten, wurde ihm bewusst, dass er mit diesem Verhalten völlig aus der Rolle gefallen war. Unwillkürlich hob er eine Hand, legte sie auf die Brust des Deutschen, um ihn so auf Abstand zu halten. Bevor dieser auf die Idee kommen konnte, einen weiteren Kuss zu initiieren. "Was sollte das denn? Der Fahrstuhl hätte sich öffnen können und…" Seine vorwurfsvollen Worte versandeten, als ihm auffiel, dass die Kabine angehalten hatte, ohne dass sich die Tür geöffnet hatte. Schneider zog eine Augenbraue hoch. "Ich dachte, dir wäre es inzwischen egal, ob du gesehen wirst. Aber ganz abgesehen davon, konnten wir nicht überrascht werden. Es ist vorher noch die Codeeingabe erforderlich." Damit presste der Ältere gegen eine Stelle, die für ihn nicht weiter auffällig war. Doch es öffnete sich dadurch der Zugang zu einem Nummernblock, in den Schneider gleich darauf einige Zahlen eintippte. Woraufhin die Tür des Fahrstuhls zur Seite glitt. Weswegen er auf die Bemerkung des Deutschen nicht laut regierte. >Dort drüben waren es nur ein paar Ex. Und die reden von Natur aus nicht viel. Ich habe keine Lust, als Thema für die hiesige Gerüchteküche herhalten zu müssen.< >Hm, das kann ich nachvollziehen<, wurde ihm zugestanden. Und da die Antwort ohne den Beigeschmack von Amüsement auskam, hieß das wohl, dass Schneider die Sache tatsächlich genauso sah. Mit dieser Einschätzung zufrieden folgte er dem anderen Mann, konzentrierte sich nun ganz auf ihre Umgebung. Tatsächlich sah es hier nicht anders aus als in den oberen Etagen des Bürogebäudes, nur dass die Gänge sehr viel verlassener wirkten. "Wir haben hier normalerweise nicht viele Gäste", merkte Schneider an. "Und die wenigen Leute, die euren Einsatz überlebt hatten, sind schon längst befragt worden. Anders als bei Parks gab es bei ihnen keinen Widerstand – aber auch keine interessanten Informationen." Was dann wohl hieß, dass inzwischen entweder ihr Gedächtnis gelöscht worden war oder sie nicht mehr lebten. Schneider hielt kurz inne, musterte ihn überlegend. "Wir mussten nicht zu letzterem Mittel greifen. Ihre Loyalität war nicht echt, sondern nur Parks' Talent zu verdanken. Und nachdem der Einfluss abgeklungen war, konnten sie sich nur noch vage an das erinnern, was sie für ihn getan hatten. Es war eine simple Aufgabe für unsere Telepathen, auch diese Reste zu beseitigen. Jetzt können sie ihren eigentlichen Tätigkeiten wieder nachgehen. Herr Walter ist entsprechend informiert worden." "Es ist Ihnen ernst mit einer künftigen Zusammenarbeit, hm?" Schließlich gaben sie sich normalerweise nicht so große Mühe, einem Talentlosen einen Gefallen zu tun. "Nun, sein Erfolg spricht für sich. Und er hat bereits bewiesen, dass er mit Talenten zusammenarbeiten kann. Allein dass seine Ehefrau zu ihnen gehört, gibt ihm Anreiz genug, unser Vorhandensein nicht zu verraten." Eine kurze Pause, bevor er ein Lächeln erhielt. "Wenn du künftig für mich arbeitest, wirst du sicher die Gelegenheit erhalten, ihn wiederzusehen." Was ihm eigentlich egal sein sollte, doch die Aussicht gefiel ihm tatsächlich. Das Lächeln gewann an Belustigung. "Das liegt daran, dass so wenige Menschen deinen hohen Ansprüchen genügen. Und Herr Walter gehört dazu." Nach einem Moment des Überlegens neigte er zustimmend den Kopf. "Sie geben mir immer noch mehr Gründe, mich auf meine künftige Tätigkeit zu freuen", stellte er anschließend fest. "Ich hoffe, das überrascht dich nicht allzu sehr. Schließlich möchte ich nicht, dass du es dir anders überlegst." Und da war sie wieder, diese Ehrlichkeit, mit der Schneider ihn schon in den USA gerne aus dem Konzept gebracht hatte. Weswegen er es begrüßte, dass sie offensichtlich ihr Ziel erreicht hatten. Schneider zögerte keine Sekunde, die Tür zu öffnen, was er verstand, als sich dahinter lediglich ein leerer Raum auftat. Sein Blick schweifte weiter, blieb an einer Glasscheibe hängen. Und dahinter lag ein weiterer Raum. Unwillkürlich trat er näher und konnte so gleich darauf den Mann erkennen, der Parks sein musste. Der Ältere saß regungslos auf einem Stuhl und schien ihn direkt anzusehen. Er runzelte die Stirn, bevor er diesen ersten Eindruck abschüttelte. Denn Parks Blick war zu leer. "Was haben Sie mit ihm gemacht?", wandte er den Kopf zu Schneider um, der an seine Seite trat und ebenfalls den Gefangenen musterte. "Nachdem ich hatte, was ich wissen wollte, habe ich nicht mehr ganz so viel Sorgfalt walten lassen wie am Anfang." Nun richteten sich die eisblauen Augen auf ihn. "Und ich muss zugeben, meine Konzentration war nach einer Stunde nicht mehr die allerbeste." Ohne bewusst die Entscheidung zu treffen, hob er seine Hand und… ließ sie durch sandblonde Haare streichen, nachdem er sie in der letzten Sekunde vom ersten Ziel ablenkte. So aber führte er die neue Bewegung zu Ende, bis er den Nacken des älteren Mannes erreichte und ihn so für einen Kuss an sich heranziehen konnte. Es war genug, um den Anflug von Besorgnis auszulöschen, der sich in ihm geregt hatte. Denn Schneider war ein ausgezeichneter Telepath, er sollte nicht so lange brauchen, um jemanden zu verhören. Und der Gedanke, dass Parks irgendwie den Deutschen hatte beeinflussen können, war abscheulich. Schneider beendete den Kuss mit einem leichten Biss in seine Unterlippe und holte ihn ganz in die Gegenwart zurück. "Ich hatte einen Screamer hier, der auf Parks gepolt war. Er hatte keine Chance, sein Talent einzusetzen", wurde ihm gleich darauf mitgeteilt. Und ich habe mir die Zeit nur genommen, um nichts zu übersehen. Jetzt lass du noch deinem Talent die Chance, sich zu überzeugen, dass uns in der Zukunft durch Parks Machenschaften keine Schwierigkeiten mehr drohen und wir können uns endgültig um ihn kümmern." Schneider stockte kurz, bevor ein Lächeln dessen Lippen streifte, das ungewohnt bösartig wirkte. "Vielleicht werde ich Herrn Franklin dafür einladen. Parks ist ihm noch etwas schuldig." Er war versucht, Schneider wieder zu küssen, da er den Impuls aber nicht verstand, verdrängte er ihn wieder. Und ließ sich die Worte des Telepathen ernsthaft durch den Kopf gehen. "Das tun Sie aber nicht uneigennützig, oder?" Ein Mundwinkel zuckte nach oben und da stand sichtlich Amüsement in den eisblauen Augen, das nicht zu seiner Frage passen wollte. Was ihn vermuten ließ, dass Schneider mal wieder mitbekommen hatte, was er hatte tun wollen. Wenigstens sparte der Ältere sich einen Kommentar, sondern beantwortete seine Frage. "Hm, nein, nicht ganz. Ich habe zwar nichts dagegen, ihm diesen Gefallen zu tun, doch es lässt sich nicht bestreiten, dass mehr hineinspielt. Immerhin würde er dann in unserer Schuld stehen. Und da Herr Walter so große Stücke auf seinen Mann hält, dieser ebenfalls." Eine kurze Pause und der zweite Mundwinkel folgte. "Außerdem wollte ich mir seine Schilde noch einmal ansehen. Ich möchte nun wirklich nicht, dass der Einsatz des Virus irgendwelche negativen Folgen hat." Er spürte, wie er Schneiders Lächeln erwiderte und gleich darauf zeichnete ein Finger es nach. Ein Prickeln lief daraufhin durch seine Lippen und er zerbiss einen Fluch zwischen seinen Zähnen. Denn das hier erinnerte ihn daran, dass er bisher weder Sex noch die versprochenen Antworten bekommen hatte. Und auch wenn die Entscheidung denkbar knapp ausfiel, wusste, was er zuerst haben wollte. "Hören Sie auf, mich abzulenken. Ich möchte wissen, wie Parks vorgegangen ist, was er vorhatte." Denn selbst wenn sein Talent nicht ansprang, konnte er auch seinen eigenen Verstand arbeiten lassen. Denn ganz sicher hatte er nicht vor zuzulassen, dass jemand ihrer Organisation ins Gehege kam. Es gab für ihn schließlich keinen Grund mehr, ihr schaden zu wollen. Ganz im Gegenteil. Schneider zog eine Augenbraue hoch, neigte dann aber zustimmend den Kopf. ~TBC~ Kapitel 63: "Nein, stattdessen verlassen Sie sich auf die altbewährte Gehirnwäsche" ----------------------------------------------------------------------------------- "Nun, wenn ich Parks' Talent einordnen soll, würde ich sagen, er ist eher ein Hypno als alles andere. Wir hatten bisher kein Talent auf Rosenkreuz, das allein auf diese Fähigkeit beschränkt ist." Eine kurze Pause, der ein schmales Lächeln folgte. "Wir Telepathen können das, mal besser, mal schlechter. Doch die extreme Spezialisierung von Parks' Fähigkeiten hat anscheinend dazu geführt, dass er besser darin ist, andere dauerhaft zu beeinflussen, als ich es bis dahin gesehen habe." Sein Blick schweifte unwillkürlich an Schneider vorbei, dorthin, wo durch die Scheibe hindurch Parks zu sehen war. Unverändert regungslos, mit leblosem Blick. Im Augenblick war es kaum noch vorstellbar, aber… "Er hat die ganzen Leute einfach hypnotisiert?" "Sozusagen", neigte der Deutsche den Kopf. "Das Besondere ist, dass er ihnen nicht genau vorgeben musste, was sie zu tun hatten. Er hat einfach dafür gesorgt, dass sie alles für ihn tun wollten, was in ihrer Macht stand. Oder eben doch nicht so einfach, zumindest normalerweise nicht. Jedenfalls hatte er auf diese Weise nicht nur unselbständige Drohnen, sondern echte Helfer gewonnen. Und das, ohne dass er den Einfluss übermäßig häufig erneuern musste." Er ging automatisch die Gelegenheiten durch, bei denen er Schneiders Wirken hatte beobachten können, doch so etwas war ihm tatsächlich unbekannt. "Das heißt, Sie könnten so etwas nicht tun?", fragte er frei heraus. Schneider lachte auf. "Nein, nicht so unspezifisch. Wenn wir jemandem so relativ einfach Loyalität einimpfen könnten, kannst du dir sicher sein, dass wir es auf der Schule längst eingesetzt hätten." Er hob eine Augenbraue. "Nein, stattdessen verlassen Sie sich auf die altbewährte Gehirnwäsche." Seine trockene Erwiderung rief Amüsement in die eisblauen Augen, bevor Schneider ernster wurde. "Ich würde es eher als Erziehung bezeichnen." Was natürlich nicht ganz falsch war, aber in diesem Fall eine sehr spezielle Ausprägung von Erziehung. Seine Mundwinkel zuckten um ein paar Millimeter nach oben, bevor er sie wieder unter Kontrolle bringen konnte. Dann schüttelte er innerlich den Kopf. Beinahe hätte er sich wieder ablenken lassen. Er war nicht an den Methoden von Rosenkreuz interessiert, jedenfalls nicht im Moment, sondern an Parks. Der Deutsche lächelte ebenfalls, bevor dieser fortfuhr. "Herrn Walter Interesse für uns hat ihn auf unsere Spur gebracht. Ich denke, andere hätten das nicht ernst genommen, selbst nicht mit Frau Kato, die uns beobachten sollte. Aber da er aufgrund seiner eigenen Fähigkeiten wusste, dass es Menschen geben muss, die etwas mehr können als die Durchschnittsbevölkerung, war er ausgesprochen interessiert. Parks war nicht dumm genug, seinem Arbeitgeber zu verraten, dass er ebenfalls ein Talent hat. Lieber hat er es heimlich genutzt, um weiter aufzusteigen, bis er die Leitung hier in Japan hatte. Aber das reichte ihm nicht. Er war neidisch auf Herrn Walters Erfolg und dachte, dass ihm der viel eher zustehen sollte. Also plante er, sich eine eigene Gruppe von Talenten aufzubauen." Wenn er nicht schon gewusst hätte, dass Parks größenwahnsinnig war, hätte es jetzt kaum noch einen Zweifel daran gegeben. "Um sich dann selbständig zu machen?", hakte er nach, als Schneider für einen Moment innehielt. Der Ältere neigte den Kopf leicht zur Seite, überlegend. "Dessen schien er sich selbst nicht ganz schlüssig zu sein. Er schwankte zwischen dieser Möglichkeit, der Idee, Herrn Walters Geschäfte zu übernehmen oder… unsere." Das Schnauben konnte er beim besten Willen nicht zurückhalten. Schneider lachte auf wieder auf. "Du musst ihm zugutehalten, dass er kein Telepath ist, deswegen hatte er keine Chance, die wahren Ausmaße unseres Einflusses zu erkennen. Und Herr Walter, der etwas mehr wusste, hatte diese Informationen nie geteilt. Ganz davon abgesehen hat er eine psychische Störung. Es ist nicht nur dieses gewisse Selbstbewusstsein, das die Schüler auf Rosenkreuz lernen." Der Deutsche schenkte ihm einen wissenden Blick, genau wissend, wie er darüber dachte. "Er glaubt wirklich, er wäre allen überlegen. Ihm ist nie der Gedanke gekommen, dass er letztendlich keinen Erfolg haben könnte. Und es hat überhaupt nicht geholfen, dass ihm einer unserer Leute in die Hände gefallen war." Bei den letzten Worten war jeder Humor verschwunden. Es wurde sehr still und erst nach ein paar Sekunden merkte er, dass er vergessen hatte, Luft zu holen. "Das ist nicht Ihr Ernst…", flüsterte, nachdem er einen tiefen Atemzug genommen hatte. Der Deutsche sagte nichts darauf, dessen Blick war auch so beredt genug. "Aber das sollte unmöglich sein. Wir hätten doch gemerkt, wenn jemand fehlt. Und einen Ex auf ihn angesetzt." Dieses Lächeln kam ohne jedes Amüsement aus. "Wir haben es natürlich gemerkt, auch wenn es etwas gedauert hatte. Parks hatte sich jemanden ausgesucht, der gerade Urlaub hatte. Und danach… der Mann hatte eine sehr niedrige Priorität, ein schwacher Empath. Da versuchen es erst mal die Leute vom örtlichen Büro, bevor wir einen Ex losschicken." Das war… verständlich. Er nickte automatisch, runzelte dann die Stirn. "Können wir ihn zurückholen?" Schneider schüttelte knapp den Kopf. "Parks hat an ihm geübt, bis er zu ihm durchkam. Und am Ende… war unser Mann zu nichts mehr zu gebrauchen. Natürlich konnte Parks ihn auch nicht laufen lassen." Ein grimmiges Lächeln schloss sich dem an und mehr musste dazu nicht gesagt werden. Wenn er vorher ein schlechtes Gewissen gehabt hätte, was Parks Schicksal anging, hätte sich das in diesem Moment erledigt. So aber gönnte er Herrn Franklin dessen Rache einfach noch ein bisschen mehr. Er schob den Gedanken beiseite, konzentrierte sich lieber auf das, was ihm Schneiders Worte verrieten. "Daher wusste er also, wie er am besten durch unsere Schilde kommt." Das zumindest war eine gewisse Beruhigung. Immer noch besser als die Vorstellung, dass ein untrainiertes Talent es schaffte, ihre Leute einfach so zu beeinflussen. "Genau das. Auch wenn es ihm nicht bei allen unserer Leute half, wie du bewiesen hast. Es war genug, um uns viel zu lange zu entwischen." "Was ist inzwischen zum Glück vorbei ist." Befriedigung schwang in seiner Stimme mit, als sein Blick wieder auf Parks ruhte. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und sein Körper neigte sich unwillkürlich in Richtung des Älteren. Eine Reaktion, die er auch dann nicht unterband, nachdem sie ihm bewusst geworden war. "Wie du siehst, hat sich dein Einsatz hier ausgezahlt. Immerhin hatte er gerade bei dir kein leichtes Spiel. Da du viel älter warst als es die Schüler normalerweise sind, als du nach Rosenkreuz kamst. Und daher sehr individuelle – und auch gute – Schilde besitzt." Belustigung stieg in ihm auf. "Ich muss zugeben, dass in diesem Fall tatsächlich der Zufall in Ihre Hände spielte. Aber ganz davon abgesehen verlangt von Ihnen sowieso niemand Rechtfertigungen, nicht wahr?" Schneider gab ein zustimmendes Brummen von sich, ebenfalls amüsiert. Für einen Moment beließ er es dabei, doch noch konnte er sich nicht zufrieden geben. "Was ist mit Parks Leuten drüben in den USA, könnte uns von dort noch jemand gefährlich werden – und sei es auch nur, weil sie zu viel wissen?" Seine Schulter wurde gedrückt, bevor die Hand nach unten rutschte. "Nein, Parks hat den Alleinherrscher gespielt. Wir werden Herrn Walter natürlich gerne beim Hausputz helfen, doch alles in allem haben wir mit Parks einen Glücksgriff getan. Seine Hybris hat dafür gesorgt, dass wir nur ihn in die Hand bekommen mussten, um diese Aufgabe abzuschließen." "Wir hatten also mehr Glück als Verstand, ja?", fasste er leise zusammen. "Denn er hat uns auch einen Gefallen dadurch getan, dass er sich so viel Zeit gelassen hat. Er war wohl nicht übermütig genug, uns offensichtlicher anzugreifen. Was sicher sehr viel früher zu seiner Entdeckung geführt hätte. Und vor allem nicht in einer Art und Weise, die fast nur auf Zufall beruht." Dieser Gedanke war wahrscheinlich der am schwersten zu ertragende. Anscheinend war auch er selbst nicht ganz immun gewesen, hatte automatisch angenommen, dass niemand ihrer Organisation so nahekommen konnte. Ganz einfach, weil sie viel zu gut dafür waren. Die Hand war zurück, tastete warm seine Seite entlang, wölbte sich schließlich über seine Wange. Und mühelos wurde sein Gesicht geführt, bis er dem Blick eisblauer Augen begegnete. In ihm mischte sich Amüsement mit etwas, das er bisher nur selten bei Schneider gesehen hatte, dieser Funken, der früher gegen die Ältesten gerichtet war. Doch den hatte wohl jeder zu fürchten, der die Pläne des Deutschen zu durchkreuzen versuchte. Das Amüsement gewann schließlich und Schneiders Mundwinkel kurvten nach oben. "Dass wir Frau Kato entdeckt hatten, war ihm eine Warnung. Aber nur insoweit, dass er den Versuch, jemanden von unseren Leuten in die Hände zu bekommen, sehr langsam anging." "War dafür ursprünglich die Waffe gedacht, die sie eingeschmuggelt hat? Sollte sie… jemanden mit vorgehaltener Waffe aus dem Büro entführen?" Allein die Überlegung war lächerlich. Schneiders zuckende Mundwinkel verrieten, dass dieser genauso dachte. "Nein, ganz so blauäugig ist Parks an die Sache auch wieder nicht herangegangen, selbst vor Frau Katos Entdeckung. Die Waffe sollte ihr eine Chance geben, im Notfall zu entkommen. Er wollte sie nicht einfach nur opfern. Erst als klar war, dass sie sonst gefangen genommen werden würde, sollte sie sich vergiften. Und genau das hat sie auch getan." Leiser werdend zum Ende hin. Und nach einem prüfenden Blick auf ihn wurde noch etwas hinzugefügt, mit dem Anflug eines neuen Lächelns. "Tröste dich damit, dass es immerhin ein Talent war, das es überhaupt so weit geschafft hat. Und sei versichert, dass wir in Zukunft gleich tiefer graben werden, wenn uns jemand wie Frau Kato über den Weg läuft." Er atmete langsam aus, nickte zustimmend. Mehr konnte er schließlich nicht verlangen. Und Schneider hatte Recht, ein gewisser Trost war es. Damit schaffte er es, das Lächeln zu erwidern, bevor ihm ein Gedanke kam, der ein Stirnrunzeln hervorrief. "Und warum genau konnten Sie mir das alles nicht schon gestern verraten? Schließlich sind es alles in allem nur gute Nachrichten. Es hätte zweifellos zu meiner Beruhigung beigetragen und so etwas kann sich doch nur positiv auf eine schnelle Genesung auswirken." Letzteres fügte er nicht hinzu, weil es ihm selbst wichtig war, sondern da sowohl der Arzt als auch Schneider so sehr darauf bedacht gewesen waren. Der ältere Mann ließ das Lächeln verblassen, bis es nur noch eine ferne Erinnerung war. "Parks selbst war nicht der Grund. Es gibt da noch jemanden, den wir bisher nicht gefasst haben. Den Hacker, auf den ich Nagi angesetzt habe." Aber das war doch nur einer von Parks Helfern, auch wenn er ausgesprochen gut war in dem, was er tat. Der Gedanke daran, dass dieser Mann noch in Freiheit war, hätte ihm kaum den Schlaf geraubt. Vor allem, da er ausreichend Vertrauen in Nagis Fähigkeiten hatte. Ihr Jüngster würde diesen Hacker früher oder später erwischen. Schneider bemerkte sein Unverständnis, ohne dass er etwas sagen musste. Und die Antwort kam ebenso ohne Worte aus. Es war ein Bild, das der Telepath aus Parks' Verstand gezogen hatte, von dem Gesuchten. "Ah…", hörte er sich murmeln. Das hätte tatsächlich zu einigem Kopfzerbrechen geführt. Und zu keiner erholsamen Nachtruhe. "Ja, genau das dachte ich mir auch", lautete Schneiders leise Reaktion. Wenn der Ältere ihm nicht so nahe gestanden hätte, hätte er die Worte kaum verstehen können. Beinahe abwesend strich ein Daumen über seine Unterlippe, ließ seine Aufmerksamkeit abrupt von dem Bild, das es nur in ihrer beider Köpfe gab, zu Schneider umschwenken. "Dabei ist es völlig unnötig. Nagi wird Erfolg haben und damit kann auch dieses Kapitel abgeschlossen werden." Sind Sie sich da sicher?, wollte er fragen, aber natürlich war der Deutsche das. Sonst hätte er nicht ausgerechnet Nagi weiter nach dem Mann suchen lassen. "Es steht ihm zu", wurde ihm trotz allem geantwortet und es gelang ihm beim besten Willen nicht, dieser Einschätzung zu widersprechen. Eines jedoch sprach er aus. "Ich werde trotzdem froh sein, wenn es erst mal hinter ihm liegt. Und alles gutgegangen ist." Und in einer willentlichen Entscheidung entspannte er sich, beschloss, nicht an diesem Ausgang zu zweifeln. Schneider beobachtete seine Reaktion mit Zufriedenheit, ließ wieder etwas mehr Abstand zwischen ihnen zu, während dessen Blick zurück zu Parks fand. "Ja… und ich zweifle ebenfalls nicht an diesem Ausgang. Alles in allem ist es nur etwas schade um ihn. Mit so einem Talent in unseren Händen wären einige unserer Aufgaben beträchtlich erleichtert worden." Natürlich dachte der Deutsche so. Doch es war inzwischen mehr als müßig. Denn so wie Parks aussah, würde dieser kaum wieder einen klaren Gedanken fassen können. "Hm", erhielt er ein zustimmendes Brummen, bevor sich Eisblau auf ihn richtete. "Was sagt dein Talent? Hat es noch irgendwelche Warnungen aufgefangen? Etwas, das uns aufgrund von Parks' Machenschaften in Zukunft auf die Füße fallen könnte?" Er zwinkerte zunächst, ganz einfach, weil er den ursprünglichen Grund für seine Anwesenheit zwischenzeitlich völlig vergessen hatte. Dann schüttelte er stumm den Kopf, denn sein Talent hatte sich tatsächlich nicht gemeldet. Eine innerliche Pause, als ihm aufging, dass damit alles hier erledigt war, begleitet von einer Emotion, die beinahe Euphorie war. Er schwankte etwas, etwas überrascht von seiner Reaktion, wurde gleich darauf gestützt. Von Schneider, der seinem Gedanken gefolgt war und nun lächelte. Sie beide verharrten für ein paar lange Sekunden wie sie waren, spürten beide dem Stimmungswandel nach, der plötzlich zwischen ihnen schwang. Und ihm wurde warm. ~TBC~ Kapitel 64: "Dir ist also auch Ruhe verschrieben worden?" --------------------------------------------------------- Schneiders Lächeln vertiefte sich, bevor dieser sich vorlehnte, um ihn wieder zu küssen. Und jetzt gab es keinen Grund mehr, ihn zurückzuhalten. Der Gedanke verflüchtigte sich, als sein Körper gegen den Älteren drängte, weil er in diesem Punkt auch vertröstet worden war. Und dieses Versprechen war noch nicht eingelöst worden. Erst als er gegen kühles Glas gedrückt wurde und so die Erinnerung daran zurückkehrte, wo sie sich befanden, schob er seine Hände zwischen sie und den Deutschen so gut es ging zurück. "Nicht… hier…" Es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, vor allem, da in den eisblauen Augen seines Gegenübers nichts als Hitze stand. Und seine Worte, seine Abwehr, fielen in sich zusammen, verloren an Bedeutung. Das war einfach zu viel… Er nutzte die Tatsache aus, dass seine Hände immer noch an Schneiders Brust lagen. Etwas Druck genügte und der Deutsche wich zurück, solange er ihm nur folgte, sank in einen der Stühle. Und dessen Pupillen weiteten sich, als er nach Schneiders Gürtel griff, vor ihm auf die Knie sinkend. Anschließend fühlte er sich um einiges besser, wenn auch nicht unbedingt erleichtert, ließ seine Stirn gegen den Oberschenkel des älteren Mannes ruhen. Und erinnerte sich daran, dass das schon einmal so ähnlich passiert war, hier im Japan-Büro. Nur dass er damals noch keine Ahnung gehabt hatte, was ihn noch erwarten würde… Ein trockenes Lächeln glitt über seine Lippen und machte es einfacher, seinen Körper zu beruhigen, noch einmal auf später zu vertrösten. Schneiders Hand kam schwer und warm in seinem Nacken zu ruhen und sein Lächeln vertiefte sich. Er blickte auf, richtete dem Älteren dann die Kleidung, um anschließend mit etwas Mühe auf die Beine zu kommen. Schneider, der ebenfalls gelächelt hatte, runzelte nun die Stirn, stand langsam auf. "Hast du wieder Schmerzen?" "Mm?" Für einen Moment verwirrte ihn die Frage, dann aber presste seine Linke wie aus eigenem Antrieb gegen die Stelle, wo er angeschossen worden war. Und er verstand. "Nein", schüttelte er den Kopf, unwillkürlich belustigt über sich selbst. Denn wie hatte ihm das nur entfallen können? "Ich brauche nur etwas zu trinken, denke ich." Schneider nickte bloß, griff dann nach seiner Hand. Und widerstandslos ließ er sich hinter dem Älteren herziehen. Gleich darauf fand er sich vor einem Waschbecken wieder, was den Vorteil hatte, dass er sich auch gleich erfrischen konnte. "Etwas Richtiges bekommst du, wenn wir oben im Büro sind", wurde ihm versprochen. "Gut", erwiderte er leise, kaum mehr als ein Brummen. Denn mehr brachte er im Augenblick nicht zustande. Er fühlte sich gerade nicht imstande dazu, groß nachzudenken. Weswegen er auch nicht merkte, dass seine Hand immer noch in der von Schneider ruhte, als sie dessen Büro fast erreicht hatten. Nur eine andere Beobachtung setzte sich langsam durch: nämlich dass sie keiner Menschenseele über den Weg gelaufen waren. Er stoppte unwillkürlich und Schneider gezwungenermaßen – aber nicht unwillig – mit ihm. "Unten konnte ich es ja noch verstehen, aber hier… Das ist kein Zufall, nicht wahr?" Schneider schenkte ihm etwas, das als verschmitztes Lächeln durchgehen konnte, bevor dieser antwortete. "Die Normalsterblichen nehmen es sich eben nicht so einfach heraus, mir über den Weg zu laufen." "Das heißt, Ihre Wachmannschaft hat nichts damit zu tun?" Denn er bezweifelte nicht, dass die selbst hier im Büro Schneider nicht völlig aus den Augen ließen. "Hm, nein. Die würden nur eingreifen, wenn Sie eine Gefahr sehen würden. Und das sollte hier kaum passieren. Siehst du, da kommt auch schon der Beweis." Er folgte dem Blick eisblauer Augen und erspähte gleich darauf… Nagi. ****** Er erwachte mit einem Gefühl der Desorientierung, brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass er sich in seinem Hotelzimmer befand. Normalerweise hätte ihm das nicht so schwerfallen sollen, doch das hier war nicht der Raum, den er am Tag zuvor zuletzt gesehen hatte. Er konnte sich noch schwach daran erinnern, etwas über Essen gehört zu haben… im… Büro. Und jetzt wurde alles deutlicher, während gleichzeitig ungewohnte Hitze in seinen Wangen Einzug hielt. Er musste eingeschlafen sein und dann hierher gebracht worden, ohne ein Mal aufzuwachen. Als nächstes legte er eine Hand auf seinen Magen, der scheinbar versuchte, sich selbst aufzuessen. Kein Wunder, dass er so hungrig war, wenn er tatsächlich nichts mehr zu essen bekommen hatte. Dankbarerweise lenkte ihn dieser Gedanke davon ab, dass es wahrscheinlich Herr Schneider persönlich gewesen war, der sich um ihn gekümmert hatte. Beinahe hastig kam er auf die Beine und allein seinem Talent verdankte er es, dass er auch auf den Beinen blieb. Wie sich herausstellte, hatte er keinen weiten Weg zurückzulegen, denn auf dem Schreibtisch stand bereits ein Tablett mit einem umfangreichen Frühstück bereit. Seine Gedanken schienen bei diesem Anblick auszusetzen und auch wenn ihm so etwas sonst nicht passierte, ließ er zu, dass ihn ganz allein sein Instinkt steuerte. Schließlich hatte sein Verstand in diesem Moment dasselbe Ziel. Und bevor er überhaupt saß, hatte er bereits die Schale mit dem Reis in den Händen. Nachdem sein erster Hunger gestillt war, fiel es ihm wieder leichter zu denken und resolut beschloss er, sich nun um seine Arbeit zu kümmern. Es waren zwei Nachrichten von Herrn Schneider, die seine Aufmerksamkeit als erstes einfingen. Die eine eine Versicherung, dass mit Crawford alles in Ordnung war und er ihn heute im Büro sehen würde. Und die zweite das Versprechen auf weitere Hinweise für seine Suche nach dem unbekannten Hacker. Er konnte sie sich bei Herrn Schneider abholen kommen. Nachdem er ordentlich gefrühstückt hatte. Und Herr Schneider würde wissen, ob er sich daran tatsächlich gehalten hatte. Er zwinkerte, aber es änderte sich nichts. Der Deutsche hatte seine Nachricht tatsächlich mit diesem Hinweis abgeschlossen. Den Impuls aufzulachen bekämpfte er damit, dass er als nächstes einen sehr großen Bissen nahm und sich ganz und gar aufs Kauen konzentrierte. Nebenbei rief er die Ergebnisse seiner Standard-Suchroutinen ab. Etwas, das nicht viel Aufmerksamkeit erforderte. Und wie zu erwarten war, gab es keine alarmierenden Neuigkeiten. Er markierte zwei der Einträge für eine spätere nähere Betrachtung – damit ließ sich vielleicht Geld verdienen und es hörte sich nach einem halbwegs interessanten Zeitvertreib an – wechselte anschließend zu seinen E-Mails. Seine Mundwinkel bogen sich von ganz allein nach oben, als er eine von Schuldig entdeckte. Farfarello hielt Ran beschäftigt, während Schuldig Schwierigkeiten hatte, die Zeit mit vernünftigen Dingen totzuschlagen. Das war vielleicht nicht genau das, was der Deutsche geschrieben hatte, doch er konnte es sehr gut zwischen den Zeilen lesen. Anscheinend war also bei den anderen alles in Ordnung. Als er dieses Mal einen Bissen nehmen wollte, lief dieser ins Leere und mit leichter Überraschung stellte er fest, dass er das gesamte Tablett geleert hatte. Ohne es zu merken. Nach einem Moment des Nachdenkens tat er es mit einem Schulterzucken ab. Immerhin gab es jetzt nichts mehr, dass ihn noch länger hier festhalten würde. Also fuhr er seinen Laptop herunter, verschwand rasch ins Bad und war in Rekordzeit zum Aufbruch bereit. Sein Talent konnte auch in solch ganz profanen Dingen ausgesprochen nützlich sein. Wobei es weniger half, war das Gedränge, das ihn draußen erwartete. Jedenfalls solange er nicht als einsame Gestalt inmitten einer leeren Blase auffallen wollte. Also hielt er sich zurück, konzentrierte sich auf die Musik, die aus seinen Kopfhörern drang und ihn so von den Bewegungspotenzialen ablenkte, die zusätzlich zu den Menschen an sich um ihn herum wogten. Erst im Büro angekommen war diese Ablenkung nicht mehr erforderlich. Zum einen, weil hier natürlich nicht annähernd so viele Leute unterwegs waren. Zum anderen waren die Anwesenden zugleich um einiges disziplinierter, selbst wenn es sich um Talentlose handelte. Und dann war da noch die Tatsache, dass auf seinem Weg zu Herrn Schneiders Büro die Mitarbeiter immer mehr ausdünnten, bis er überhaupt niemanden mehr sah. Eine Feststellung, die mit einem flüchtigen Stirnrunzeln einherging. Doch er verstand schnell, dass hier keine Gefahr drohte, sondern ganz einfach der Raum um den Deutschen herum freigehalten wurde. Und da er nicht aufgehalten worden war, hieß das wohl, dass er erwartet wurde. Sein Talent allerdings hatte den neuen Freiraum genutzt, um sich weiter auszudehnen, streifte ein paar Personen, bei denen es sich um Herrn Schneiders Bodyguards handeln musste, so fixiert wie diese auf ihre Aufgabe waren. Und schließlich stieß es auf zwei vertraute Gestalten. Zwei Augenpaare waren auf ihn gerichtet, als er um die Ecke bog, immer noch auf mehr als einer Ebene sehend. Weswegen ihm auch gleich auffiel, dass Crawford nicht so ruhig wie gewohnt war, auch wenn die Miene seines Anführers nichts davon widerspiegelte. Nein, es war gut verborgen, nur nicht vor ihm. Dort, wo Crawford immer wie ein Ankerpunkt war, in sich selbst ruhend, schien dessen Feld nun eine Richtung zu haben, ein beharrliches Streben in Herrn Schneiders Richtung. Er zögerte unmerklich, bevor er sich ihnen weiter näherte. Vielleicht hätte er sie nicht stören sollen. Aber auf der anderen Seite schienen sie auf dem Weg zu Herrn Schneiders Büro zu sein und damit offenbar nicht auf Privatsphäre aus. Er schüttelte diesen seltsamen Gedankengang ab. Wie sollte es auch anders sein, schließlich war es mitten am Vormittag und sie alle hatten zu tun. Was ihn nicht davon abhielt, noch ein paar Sekunden seinen eigenen Wünschen nachzukommen und dieses Mal hatte sein Talent ein anderes Ziel als bloße Erfassung, als er sich auf das besann, was er als Heiler tun konnte. Herr Schneider schien zu merken, was er tat, hinderte ihn aber nicht daran. Und nachdem er sich vergewissert hatte, dass Crawford keine Verletzungen mehr mit sich herumtrug, entspannte er sich minimal. Der Deutsche wartete diesen Augenblick ab, bevor er das Wort ergriff. "Hallo Nagi, ich hoffe, du hast die Nacht zur Erholung genutzt." Unwillkürlich verbeugte er sich, was den Vorteil hatte, dass ihm der Gedanke nicht vom Gesicht abgelesen werden konnte, der ihm gerade durch den Kopf schoss: schließlich hatte ihm Herr Schneider gar keine andere Wahl gelassen als auszuschlafen. Darüber bestand keinerlei Zweifel, denn sonst wäre niemals bis in sein Bett gelangt, ohne einmal aufzuwachen. "Danke der Nachfrage, Herr Schneider. Ich fühle mich ausgezeichnet." Als er sich wieder aufrichtete, verriet ihm das Glitzern in den eisblauen Augen, dass der Telepath auch so diesen Gedankengang mitbekommen hatte. Er konnte wohl von Glück sagen, dass der ältere Mann es mit Humor nahm. Dieser lächelte jetzt. "Nun, in dem Fall habe ich dir noch ein paar Unterlagen versprochen, nicht wahr?" Damit wandte sich Herr Schneider um und setzte seinen Weg fort. Und auch wenn Crawford, der Teil, den er nur dank seines Talents wahrnahm, sich dem Deutschen unmittelbar anschließen wollte, wartete dieser auf ihn. "Dir ist also auch Ruhe verschrieben worden?", ergriff zum ersten Mal Crawford das Wort und entlockte ihm ein trockenes Lächeln. "Zumindest bin ich nicht nach meiner Meinung gefragt worden." Er stockte kurz, fügte der Ehrlichkeit halber dann etwas hinzu. "Allerdings muss ich zugeben, dass ich die Pause benötigt habe. Ich werde jetzt sicher umso schneller ans Ziel gelangen." "Daran habe ich keinen Zweifel." Die Erwiderung klang normal, aber irgendetwas ließ ihn einen schnellen Seitenblick auf Crawford werfen. Nur dass er auch so nicht erkennen konnte, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Und weiteren Überlegungen schob die Tatsache einen Riegel vor, dass sie das Büro von Herrn Schneider erreicht hatten. Crawford hielt ihm die Tür auf, so dass er unmittelbar dem Deutschen folgen konnte, der sofort den Schreibtisch ansteuerte. Ein paar Papiere wurden sortiert und gleich darauf wurde ihm ein Blatt in die Hand gedrückt. "Hier, wie versprochen. Das sollte dir bei deiner Suche weiterhelfen." Er blickte automatisch auf die sauber geschriebenen Zeilen herab und musste einen mentalen Stolperstein überwinden, als ihm bewusst wurde, dass es sich tatsächlich um ein handschriftlich angefertigtes Protokoll handelte. "Auf diese Weise ist sichergestellt, dass niemand an die Informationen gelangt, nicht wahr?", wurde seine unausgesprochene Frage mit einem Anflug von Belustigung beantwortet. Er zwinkerte, wagte nicht, von den Notizen aufzusehen. Herr Schneider wollte doch nicht ernsthaft andeuten, dass diese Vorgehensweise ihn daran hatte hindern sollen, zu… schummeln... Daran, sich in die Daten des Deutschen zu hacken, um so schneller an die Informationen zu gelangen. Wieder weckte etwas seine Aufmerksamkeit, von Crawford ausgehend, und er konnte gerade noch den seltsamen Blick erhaschen, den der Amerikaner Herrn Schneider zuwarf. Hatte Crawford denselben Gedanken gehabt? Aber das war albern. Wahrscheinlich ging Herr Schneider nur auf Nummer sicher. Immerhin war ein Hacker ihr Gegner. Und auch wenn er bezweifelte, dass der in ihre Systeme eindringen konnte, musste man schließlich nichts riskieren. Es war auch kein Dauerzustand. Er musste nur seinen Job schleunigst erledigen. Seine Hand schloss sich unwillkürlich etwas fester um das Papier und dann bedankte er sich mit einer weiteren Verbeugung, Tonfall und Miene vollkommen neutral. ***** "Sie wollen die Möglichkeit haben, ihn zu beschützen, falls… er sich falsch entscheidet?" Natürlich stellte er die Frage erst, nachdem er Nagi in sicherer Entfernung wusste. Schneider hatte inzwischen in dessen Sessel Platz genommen und lehnte sich mit einem leichten Lächeln zurück. "Fängst du an, an ihm zu zweifeln?" Auf sein stummes Kopfschütteln hin wurde das Lächeln ausgeprägter. "Ich auch nicht. Ich möchte ganz einfach nur verhindern, dass später dumme Fragen gestellt werden , wenn auch nur hinter meinem Rücken. Warum wir es ausgerechnet Nagi überlassen haben, den Auftrag zu Ende zu führen, nachdem, was wir jetzt wissen." ~TBC~ Kapitel 65: "Familie ist schon etwas Seltsames, denkst du nicht auch?" ---------------------------------------------------------------------- Die Hinweise, die Herr Schneider aus Parks herausgeholt hatte, waren ausgesprochen hilfreich. Sie servierten ihm den Hacker nicht auf dem Silbertablett, doch endlich gab es eine neue Spur, der er folgen konnte. Und er tat es mit Begeisterung. Ohne dass er es merkte, legte sich ein Lächeln auf seine Lippen, während seine Finger über die Tastatur flogen. Die Zeit verging ebenso unbemerkt, verloren wie er in den elektronischen Pfaden war, ohne aber den Weg zu verlieren. Die Arbeit entspannte ihn, weswegen er auch ohne Beschwerden stundenlang damit zubringen konnte, doch umso heftiger war der Schock, als er es schaffte, eine Verbindung zum Überwachungsnetz eines ganz bestimmten Bürogebäudes herzustellen. Das Gebäude stand in keiner offiziellen Verbindung mit Herrn Walters Firma oder auch nur mit Parks, doch die Hinweise hatten ihn dorthin geführt. Er wollte sich nur überzeugen, dass es keine weitere Falle war und ein Blick ins Innere war dank der Überwachungskameras mit etwas Arbeit schnell ermöglicht. Und nein, es war keine Falle. Etwas anderes hatte ihn erstarren lassen, jeder Muskel angespannt, als müsste er einen Schlag abwehren. Er starrte wie gebannt auf den Bildschirm, merkte gar nicht, dass er vergessen hatte zu atmen. Erst als sein Sichtfeld auszugrauen begann, holte er stockend Luft. Es tat in der Kehle weh, als müsste er einen unförmigen Stein herunter zwingen, doch schließlich drang frischer Sauerstoff in seine Lungen vor. Gleichzeitig schien ein Energiestoß durch ihn zu fahren und im nächsten Moment hörte er ein lautes Knacken. Es schien durch die im Raum herrschende Stillen zu dröhnen, nachzuhallen. Aber vielleicht war es auch ganz allein ein Klingen in seinen Ohren. Nachdem er sich wieder daran erinnert hatte, wie es funktionierte, atmete er noch ein paar Mal tief durch und auch dieses Symptom verschwand. Womit er endlich genug seiner Sinne zusammen hatte, um den Monitor vor sich wieder wahrzunehmen – der durch einen Riss zerstört war, der diagonal von oben links startend durch das Glas lief. Und er hieß den Anblick willkommen, der für ein paar Momente Ablenkung bedeutete. Erfüllt von einem Anklang von Erleichterung, weil er am Rechner des Instituts gearbeitet hatte und sein Laptop daher verschont blieb. Und weiter abgelenkt damit, rasch eine Meldung an den IT-Service zu schicken, um für Ersatz zu sorgen. Anschließend gab es aber nichts mehr, was ihm dabei half, sich vor dem neuen Wissen zu verstecken und mit regungsloser Miene transferierte er die bisherigen Ergebnisse auf seinen Laptop, den er anschließend zuklappte und einpackte. Er benötigte dringend eine Pause. Er bewegte sich wie ferngesteuert, der Gedanke, dass er aufgehalten werden könnte, nur als Anklang irgendwo in seinem Hinterkopf vorhanden. Und natürlich wurde er es nicht. Schließlich hatte niemand einen Grund dazu. Draußen angekommen wurde er von den Strom von Menschen aufgenommen, die… er checkte flüchtig die Uhrzeit… anscheinend auf der Suche nach einem späten Mittagessen waren. Vielleicht war diese Feststellung der Grund, warum ihn seine Schritte schließlich in ein Café lenkten. Hunger hatte er jedenfalls keinen oder er verspürte ihn zumindest nicht. Er suchte und fand einen Platz in einer Ecke, von wo aus er den gesamten Raum im Auge behalten konnte, klappte dann seinen Laptop wieder auf. Auf die Frage der Bedienung nach seinen Wünschen reagierte er ohne viel Überlegung und als kurz darauf eine Tasse mit heißem, schwarzem Kaffee neben ihm stand, zögerte seine Hand nur für einen Moment, bevor seine Finger sich um den Henkel schlossen. Vielleicht… vielleicht sollte er ganz einfach mit Crawford über das reden, was er entdeckt hatte. Aber dann würde er sich der Wahl berauben, die ihm jetzt noch offen stand. Sie würden nicht zulassen, dass er ihn einfach tötete, schließlich wollten sie noch Informationen von… diesem Hacker… haben. Der Kaffee war heiß genug, dass er sich die Zunge daran verbrühte und so stark, dass dieses Mal eine ganz andere Form von Energiestoß durch ihn lief. Er zwinkerte, ein Mal, noch ein weiteres Mal, beschloss dann, einen weiteren Schluck zu nehmen. Ihm gefiel die Wirkung. Sie half ihm irgendwie dabei, seinen Kopf zu klären. Weswegen er es als nächstes wagte, wieder einen Blick auf seinen Laptop zu werfen. Und der Datentransfer hatte nichts an dem geändert, was er zuvor im Büro entdeckt hatte. Er schloss die Augen, als könnte er dadurch die Notwendigkeit einer Entscheidung abwenden. Doch selbst auf der Innenseite seiner Lider schien sich das Bild eingegraben zu haben und sein Magen hob sich leicht bei dem Gedanken daran, was er wegen dieses Mannes durchgemacht hatte. Vielleicht sollte er nicht mit Crawford reden, sondern mit Ran… Der Gedanke rief ein humorloses Lächeln auf seine Lippen und schmeckte bitter. Der nächste Schluck vom Kaffee überdeckte den Eindruck, vielleicht, weil er realer war. Oder auch nur, weil er gerade ganz gut im Verdrängen war. Wie wagte er einen Blick auf das Bild und dieses Mal schaffte er es, beinahe ungerührt zu bleiben. Er hätte nicht einfach loslaufen sollen, im Nachhinein war er von seiner eigenen Reaktion überrascht. Aber… er hatte so etwas beim besten Willen nicht erwartet. Mit einem leisen Seufzen schloss er das Programm und ließ wenigstens für den Moment das Video verschwinden. In ihm gärte es immer noch, doch die Emotionen drohten nicht mehr überzukochen. Eine sehr viel bessere Ausgangslage, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Seine Finger trommelten einen leisen Rhythmus auf die Tischplatte, bis er merkte, was er da tat und die Bewegung stoppte. Er wusste genau, was er tun sollte, nämlich sofort zu Crawford und Herrn Schneider gehen und erzählen, was er gelernt hatte. Doch das würde Zeit und Geduld kosten und letzteres konnte er so anders als sonst nicht aufbringen. Ganz davon abgesehen wollte er ihn selbst fassen – oder vielleicht etwas ganz anderes, dachte er ganz fest _nicht_ in diesem Augenblick – und das würden sie ihm nicht gestatten. So wenig volatil sein Talent normalerweise war, in so einer Situation würden sie daran zweifeln, dass er es unter Kontrolle behalten konnte. Und wenn er ehrlich war, wusste er selbst nicht, ob er es konnte – oder auch nur wollte. Er wollte einen weiteren Schluck nehmen, doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund war seine Tasse bereits leer. Bevor er darüber auch nur die Stirn runzeln konnte, zupfte etwas am Rande seiner Wahrnehmung, etwas Bekanntes. Und für einen Sekundenbruchteil kam ihm der paranoide Gedanke, dass ihm doch jemand gefolgt war und ihn ins Büro zurückschleppen würde. Doch gleich darauf hatte er sich wieder unter Kontrolle, streckte mit einem trockenen Schnauben sein Talent aus. Und erkannte Bombay. Aber nein, inzwischen gab es Weiß nicht mehr, nicht wahr? Es war jetzt vielmehr der junge Takatori. Wie es aussah schien es ihm gutzugehen. Begleitet von seinem älteren Bruder suchte sich der Erbe des Takatori-Imperiums einen Tisch, als wäre er nicht mehr als ein gewöhnlicher Schüler. Doch es gab Bodyguards, nur waren die so gut verborgen, dass niemand der anderen Gäste sie wahrnahm. Der Gedanke blieb unbeachtet, als eine andere Erkenntnis seine Aufmerksamkeit einforderte. Sie war von gleißender Helligkeit und sorge dafür, dass er sich erhob, ohne bewusst einen entsprechenden Entschluss zu fassen. Und diese Bewegung fing die Aufmerksamkeit des Blondhaarigen ein, denn auch wenn dieser seinen alten Job abgelegt hatte, so würden ihm die Instinkte noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Himmelblaue Augen weiteten sich und ein erfreutes Lächeln huschte über das Gesicht des Älteren, während er gleichzeitig wusste, dass hinter dieser unschuldigen Miene kalkuliert wurde, was sein Auftauchen hier für Takatori bedeuten konnte. Die beiden Brüder tauschten sich kurz aus und gleich darauf erhob sich der ältere der zwei, um ihm mit einer einladenden Geste seinen Platz anzubieten. Er zögerte nur minimal, bevor er seinen Laptop ergriff und der Einladung folgte. "Ich wollte nicht stören." Ein Lächeln wurde zwischen den beiden ausgetauscht, bevor sie allein gelassen wurden. "Ich sehe meinen Bruder häufig genug", wurde er dann beruhigt. "Dass du hier bist, ist eher ungewöhnlich, oder?" Die vorgebliche Unschuld, mit der diese Frage gestellt wurde, ließ seine Mundwinkel flüchtig nach oben zucken. Doch es störte ihn nicht, Auskunft zu geben. "Mich hatte nur ein kleiner Auftrag wieder hierher geführt, einer, der beinahe abgeschlossen ist. Steht in Verbindung mit unseren neuen Aufgaben." Also nichts, was Kritiker berührte, konnte Takatori herauslesen. Und das folgende Lächeln war vollkommen echt. "Gut zu hören, dass es nicht langweilig wird für dich, Naoe-san." "Nein, das bestimmt nicht." Seine Antwort geriet sehr ausdruckslos, als er die Gefühlsaufwallung zurückdrängte, die hart gegen seine Kontrolle anbrandete. Seinem Gegenüber entging das natürlich nicht, doch eine Frage wurde zurückgehalten, da ihnen in diesem Moment Kaffee und Kuchen gebracht wurden. Anscheinend hatte der ältere Takatori die Bestellung übernommen. Dankbar schlossen sich seine Finger um die Tasse, auch wenn es wahrscheinlich kontraproduktiv war, noch mehr Koffein zu sich nehmen. Die Bitterkeit der schwarzen Flüssigkeit passte zu seiner Stimmung. Als nächstes hätte er beinahe über sich selbst geschnaubt, seit wann war er denn so melodramatisch? Aber… aber im Moment war das verständlich, nicht wahr? "Ist etwas passiert?" Die Frage wurde zögerlich gestellt, als ob sich der Andere nicht sicher war, ob es ihm überhaupt zustand. Etwas Positives hatte sie zumindest, sie fokussierte seine Aufmerksamkeit wieder auf Takatori. "Wie war es damals, als Ran das getan hat, was du eigentlich tun wolltest?", reagierte er mit einer Gegenfrage. Sie hatte ihm auf der Zunge gebrannt, seit er Takatori erkannt hatte und daran erinnert worden war, dass dieser auch einmal auf Rache aus gewesen war. Und sie nicht selbst hatte ausführen können. "Fujimiya-sempai?" Zunächst war da Verwirrung, dann jedoch schärfte sich der Blick der himmelblauen Augen, schien ihn regelrecht zu durchbohren. Natürlich verstand Takatori seine Frage, so wenig konkret sie auch gewesen war. Was gut so war, schließlich konnte er hier in aller Öffentlichkeit auch nicht mehr sagen. Der Andere entspannte sich willentlich wieder, griff dann nach der Kuchengabel. "Ich hatte viel Zeit darüber nachzudenken", wurde schließlich geantwortet, zum Teller hin. "Und ich denke, es ist besser so." Der Blick wurde gehoben, doch dieses Mal sah Takatori durch ihn hindurch, auf seine Vergangenheit – oder vielleicht auch auf die Zukunft. "Familie ist schon etwas Seltsames, denkst du nicht auch? Und meine scheint besonders seltsam zu sein." Mit einem Lächeln, das nicht ganz eines war. "Wir haben zu sehr gegeneinander gearbeitet, so viel ist zerstört worden." Eine kurze Pause, der Blick kehrte in die Gegenwart zurück, fing ihn ein. "Ich bin zu dem Ergebnis gelangt, dass ich ganz froh darüber bin, nicht noch weiter dazu beigetragen zu haben. Es lässt mich ruhiger schlafen." Noch weiter? Natürlich, Weiß war ja auch auf Takatori Masafumi, den anderen Bruder, angesetzt worden. Und anders als Takatori Hirofumi hatte dieser die Begegnung nicht überlebt. Das ehemalige Weiß-Mitglied mutmaßte also nicht nur, sondern hatte genug persönliche Erfahrung, um ein Urteil zu fällen. Etwas entspannte sich in ihm und er erlaubte sich, in seinem Stuhl zurückzusinken. Auch wenn ein Teil von ihm weiterhin darauf aus war, eigenhändig Rache zu nehmen – höchstwahrscheinlich ohne dafür die Hände zu benutzen, denn sein Talent einzusetzen wäre so viel befriedigender – so hatte er jetzt mehr abzuwägen. Nicht nur seine momentanen Wünsche und seinen Gehorsam Eszett gegenüber. Die Aussage des jungen Takatoris musste mit berücksichtigt werden und sie legte sich deutlich auf eine Seite der Waage. Die der Vernunft. Etwas, das er schon von Natur aus bevorzugte. Himmelblaue Augen hatten ihn aufmerksam beobachtet und wieder erhielt er ein Lächeln. "Es sieht ganz so aus, als konnte ich dir helfen." Ohne weiter zu bohren. Er neigte den Kopf, zustimmend. "Wie wäre es, wenn ich dich zum Dank zum Essen hier einlade?" Das Lächeln erhielt eine amüsierte Note. "Hm, gerne. Wenn du mir dazu erzählt, wie es so ist, in den USA eine Schule zu besuchen." Er zwinkerte, etwas überrascht von diesem Wunsch, willigte dann aber ohne Bedenken ein. Die Mischung von Koffein und Zucker wirkte immer noch nach, als er sich auf dem Rückweg zum Büro befand, ein ganz anderer Grund für seine innere Unruhe als zuvor und sehr viel erträglicher. Er nutzte die überschüssige Energie, um sein Talent weit um sich herum auszustrecken. Denn auch wenn Takatori ausgesprochen zuvorkommend gewesen war, so hatte er nicht vergessen, dass der Ältere Kritiker leitete. Und er selbst gehörte immer noch zu Schwarz. Sie mochten im Moment nicht gegeneinander arbeiten, doch niemand wusste, was die Zukunft bringen würde. Ein Gedanke, auf den er sicher nicht allein gekommen war. Also lief er einen Umweg und war extra aufmerksam, doch niemand hatte sich an seine Fersen geheftet und unbehelligt erreichte er sein Ziel. Er hatte den Eingang bereits hinter sich gelassen und stand im Fahrstuhl, als er noch einmal innehielt, tief durchatmend. Das war seine letzte Chance, einfach umzukehren. Doch das wäre mehr als unvernünftig und alles in allem wollte er das nicht sein. Nicht einmal in diesem Fall. Sein Daumen berührte kühles Metall und mit einem humorlosen Kurven seiner Mundwinkel stellte er fest, dass er sowohl bewusst als auch unterbewusst zur selben Entscheidung gelangt war. Denn er hatte bereits die Etage gewählt, die ihn zu Herrn Schneiders Büro führen würde. ~TBC~ Kapitel 66: "Willst du ihm wirklich die Möglichkeit nehmen, sich unbeeinflusst zu entscheiden?" ----------------------------------------------------------------------------------------------- "Hast du keinen Appetit?" Die Frage ließ ihn von seinem Teller aufsehen und prompt begegnete er dem Blick eisblauer Augen, in denen ein Anflug von Amüsement stand. Er zögerte für einen Moment und ordnete seine Gedanken. Nicht, weil er nach einer Ausrede suchte, im Gegenteil. Und er merkte, dass er sowohl Hunger als auch Appetit hatte und es daher ausgesprochen dumm war, sein Essen nur anzustarren, statt es zum Mund zu führen. "Ich war etwas abgelenkt", gab er schließlich zu. "Hm…" Schneider legte die Gabel beiseite, griff nach dessen Glas. Und da er den Bewegungen automatisch folgte, fiel ihm natürlich auf, dass der Teller des Älteren so gut wie leer war. Es sah ganz so aus, als hätte der Deutsche viel Geduld bewiesen, war aber schließlich zum Ergebnis gekommen, dass das Essen wichtiger war als die Möglichkeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Die Überlegung sorgte dafür, dass seine Mundwinkel kurz zuckten, dann aber griff er entschlossen zur eigenen Gabel und machte sich daran, seine beinahe schon kalte Mahlzeit zu dezimieren. Schneider leerte das Glas, stellte es leise wieder hin. Und er erhielt ein Lächeln. "Du machst dir doch Sorgen um Nagi, nicht wahr?" Er nahm ein paar weitere Bissen, bevor er antwortete. "Sorgen nicht unbedingt. Aber ich überlege, ob es nicht besser gewesen wäre, ihm beizustehen." Immerhin gehörte Nagi zu Schwarz und damit war es seine Pflicht, sich um ihn zu kümmern. Der ältere Mann schüttelte leicht den Kopf. "Er ist kein Kind mehr." Nicht bei dem Job, dem Nagi nachging, nicht bei dessen Vergangenheit, blieb unausgesprochen. "Es mag für einen Moment etwas schwierig sein, doch er wird an der Herausforderung wachsen. Und willst du ihm wirklich die Möglichkeit nehmen, sich unbeeinflusst zu entscheiden?" Schneider kannte ihn einfach zu gut, stellte er mit einem Anflug von Humor fest, der etwas bitter schmeckte. Dieser wartete keine Antwort ab, lehnte sich zurück und schien kurz nachzudenken, bevor er weitersprach. "Nagi ist gerade auch essen." Automatisch sah er sich um, obwohl ihm klar war, dass der Jüngere gar nicht in diesen Bereich der Kantine hineinkommen konnte. "Er ist auch nicht im allgemeinen Bereich", wurde ihm amüsiert mitgeteilt. "Anscheinend brauchte er etwas frische Luft und hat sich draußen ein Café gesucht." Er hielt sich nicht lange mit Verwunderung darüber auf, dass der Telepath Nagi auch außerhalb orten konnte, aber da gab es einen anderen Punkt, der ihn nachhaken ließ. "Er hatte Erfolg." Anders konnte man die erste Bemerkung nicht interpretieren. "Und Sie haben ihn einfach hinausspazieren lassen." Denn statt in ein Café zu gehen, hätte Nagi auch ein ganz anderes Ziel haben können. Und er bezweifelte stark, dass der Jüngere in jenem Moment selbst wusste, was er als nächstes tun würde – also hatte es auch Schneider nicht wissen können. "Stimmt, er wusste es nicht und ich damit auch nicht. Doch Nagi ist ausgesprochen vernünftig. Er musste sich nur wieder daran erinnern." Eine kurze Pause. "Und es hat geholfen, dass ich den jungen Takatori in seine Richtung geschickt habe." Das kam aus heiterem Himmel und ließ ihn kurz zwinkern, bevor er die Information nicht nur verstanden hatte, sondern sich auch zusammengereimt, was genau Schneider damit meinte. "Aber dass dieser sich in der Nähe befand, war hoffentlich nur Zufall." Denn Weiß hatte niemals erfahren, für wen sie wirklich arbeiteten und er wollte ganz bestimmt nicht, dass Kritiker hier herumzuschnüffeln begann. "Da kann ich dich beruhigen, es ging nicht von ihm aus", lautete Schneiders belustigte Erwiderung, bevor dieser seinen Teller musterte, der inzwischen wenigstens zur Hälfte geleert war. Er nahm den Blick als Ansporn, um sich auch um den Rest zu kümmern und mit Schneiders Versicherung schien es um einiges besser als zuvor zu schmecken. Was natürlich nur Einbildung war, aber der Effekt ließ sich nicht verleugnen. Er stand unter Beobachtung, bis er das Besteck beiseitelegte, spürte das Amüsement, das von Schneider ausstrahlte. Doch er hatte beschlossen, sich davon nicht stören zu lassen. Alles andere würde den Deutschen nur noch ermutigen, ihn weiter zu ärgern. Ein Aufblitzen in den eisblauen Augen verriet ihm, dass Schneider diesen Gedanken aufgefangen hatte, doch erst als sie standen, bereit, zurück zum Büro des Älteren zu gehen, erhielt er eine Reaktion darauf. "Ich sollte wohl beleidigt sein, dass du mir solche Absichten jetzt anscheinend auch noch in Bezug auf völlig belanglose Dinge unterstellst." Eine kurze Pause, in der Mundwinkel kurz nach oben kurvten. Dann legte sich eine Hand in sein Kreuz und aus irgendeinem Grund durchlief ihn ein Schauer. "Aber?", fragte er mit fast gleichmäßiger Stimme, als der Ältere nicht weitersprach. "Hm… in diesem Fall ist es zur Abwechslung mal keine Unterstellung." Er wusste nicht, wie seine Miene in diesem Moment aussah, doch Schneider nahm sie zum Anlass, um leise aufzulachen. Unwillkürlich sah er sich um und stellte fest, dass es zum Glück keine Zeugen für seinen Kontrollverlust gegeben hatte. Der Deutsche lachte schon wieder, obwohl seine Miene inzwischen nicht mehr als Neutralität zeigen sollte, übte dann sanften Druck aus, so dass er sich in Bewegung setzte. Erst dann fiel die Hand weg von seinem Rücken und es blieb nur noch ein Abdruck aus Wärme als Erinnerung. Erst als sie in Schneiders Büro waren, kehrten seine Gedanken zu Nagi zurück und in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass der Ältere es sehr erfolgreich geschafft hatte, ihn abzulenken. Prompt hielt er inne und Schneider blieb hinter ihm stehen, schlang einen Arm um ihn. Und dessen Hand kam wohl nicht zufällig über der Stelle zu ruhen, wo ihn die Kugel getroffen hatte. Ihm fielen die Augen zu und er lehnte sich zurück, ohne darüber nachzudenken. Das war eine ganz andere Form von Ablenkung und sie war ein bisschen unfair. Denn er wurde an das Versprechen erinnert, das Schneider immer noch nicht eingelöst hatte. Und er konnte ihn ganz sicher nicht überreden, das Büro jetzt schon zu verlassen und ins Hotel zurückzukehren. Oder… vielmehr könnte er ihn wahrscheinlich schon überreden, doch er selbst stand sich dabei im Wege. Denn er würde ganz sicher nicht gehen, bevor die Sache mit Nagi geklärt war. "Er wird bald hier sein", wurde ihm versichert und jetzt war das Amüsement verschwunden, er wurde nicht weiter aufgezogen. "Ich denke, du machst dir nur so viele Sorgen, weil du dich immer noch nicht ganz erholt hast." "Wollen Sie mir schon wieder Bettruhe verordnen?" Lippen berührten warm seinen Hals, direkt über seinem Puls und er konnte spüren, wie sich ein Lächeln formte. "Ich hoffe, es geht dir trotz allem gut genug, dass es nicht unbedingt _Ruhe_ sein muss." Nun lächelte auch er selbst und die halbe Umarmung verstärkte sich für einen Moment, bevor Schneider sich von ihm löste und ihn mit einer Hand auf seiner Schulter zum Besuchersessel leitete. "Denken Sie nicht, den Weg hätte ich auch allein gefunden?", erkundigte er sich mit leichter Ironie, nachdem er Platz genommen hatte. "Oh, daran zweifle ich nicht. Aber es schadet doch nicht, nicht wahr?" Seine Schulter wurde gedrückt, bevor ihm die Akte gereicht wurde, die er zuvor schon in der Hand gehabt hatte. Es bestätigte ihm, dass Schneider es mit dieser Sache wirklich ernst meinte, weswegen er schnell darin vertieft war. Und so musste er sich keine Gedanken mehr um Nagi machen, bevor dieser sanft an die Bürotür klopfte. "Herein." Schneider lehnte sich zurück, verschränkte die Hände im Schoß und empfing Nagi mit einem neutralen Gesichtsausdruck. Der junge Telekinet sah erschöpft aus, als hätte er die ganze Nacht durchgearbeitet. Doch das stimmte nicht, denn die Schatten unter – oder vielleicht auch in – den dunkelblauen Augen waren noch nicht da gewesen, als sie sich am Vormittag gesehen hatten. Dass ab und zu ein Tremor durch Nagis Hände zu laufen schien, verschlimmerte den Eindruck nur. Seine Überlegungen teilten sich Schneider mit, wenn der Ältere nicht allein dieselben Schlüsse gezogen hatte, und sie tauschten einen kurzen, einvernehmlichen Blick aus. "Nagi, setz dich doch hin." Er räumte den Sessel und der Jüngere gehorchte ihm automatisch. "Hast du Neuigkeiten für uns?", ergriff als nächstes Schneider das Wort und Nagi schien ganz dankbar dafür, sich nicht mit weiteren Verzögerungen herumschlagen zu müssen. "Ich habe ihn gefunden, Herr Schneider." Der Laptop wurde ausgepackt und geöffnet, gleich darauf umgedreht und dem Deutschen präsentiert. "Sie können ein Team hinschicken." Nagis Stimme klang bereits jetzt flach, beinahe ausdruckslos, doch bei den folgenden Worten schien jeder Rest von Emotion aus ihr herauszufließen. "Mein Vater sollte nicht gemerkt haben, dass ich ihm auf die Spur gekommen bin, von daher müsste er immer noch dort zu finden sein, wenn sie ankommen." Eine kurze Pause, in der Nagi hörbar Luft holte. "Und falls nicht, werde ich ihn wiederfinden." Er ließ seine Hand schwer auf Nagis Schulter ruhen, erdete ihn auf diese Weise sowohl körperlich als auch mit seinem Talent. Und der Sessel hörte auf zu beben. "Nagi, möchtest du das Team begleiten?" Schneiders Stimme durchbrach die Stille, die für eine lange Minute Einzug gehalten hatte und die Frage überraschte Nagi sichtlich, wie dessen hochruckender Kopf verriet. Für einen Moment glaubte er, dass der Jüngere sofort zustimmen würde, doch Schneider behielt Recht, Nagi war vernünftig. Was auch das Vertrauen rechtfertigte, das den Deutschen diese Frage überhaupt hatte stellen lassen. "Vielen Dank, Herr Schneider. Aber ich bleibe besser hier. Sie haben ja gemerkt, was gerade geschehen ist. Und dabei habe ich ihn nur auf dem Monitor gesehen…." Schneider neigte den Kopf, erlaubte sich dann ein schmales Lächeln. "Ich verspreche, dass du die Gelegenheit erhalten wirst, mit ihm zu reden." Oder auch mehr, lag hinter diesen Worten. Und wurde problemlos verstanden, wie ihm der sich unter seiner Hand versteifende Körper verriet. "Ich… werde darüber nachdenken…", wurde nach langem Zögern schließlich erwidert. Schneider nickte daraufhin nur, griff dann nach dem Telefon, um die erforderlichen Befehle weiterzugeben. Und zum Schluss wurde noch ein Wagen bestellt. "Du wirst deinen Fund an Herrn Malcom übergeben. Er wird ab jetzt die Überwachung der Zielperson übernehmen und ihn zweifellos auch im Auge behalten können, wenn er von seinem derzeitigen Aufenthaltsort verschwinden sollte." Eisblaue Augen hielten Nagis Blick fest, bis dieser Schneiders Anweisungen verarbeitet hatte. Erst dann fuhr der Deutsche fort. "Der Wagen ist für dich. Ich möchte, dass du ins Hotel zurückkehrst und dich weiter erholst." Eine Pause folgte, in der ein möglicher Widerspruch abgewartet wurde, der aber nicht kam. Nagi schien seinen Entschluss unverändert ernst zu meinen, auch noch in diesem Moment, als es ihm deutlich vor Augen geführt wurde. Schneider erhob sich jetzt und Nagi zwangsläufig ebenfalls, so dass seine Hand den Kontakt zur Schulter des Jüngeren verlor. Dafür ruhte Schneiders Hand kurz darauf an dieser Stelle. "Herr Malcom wartet in Besprechungsraum 3 auf dich. Inwieweit ihr für den Notfall in Kontakt bleiben wollt, könnt ihr unter euch ausmachen." "Jawohl, Herr Schneider", bestätigte Nagi. Anschließend verabschiedete sich der Jüngere ohne weiteres Zögern und verließ das Büro. Schneider sah ihm für einen Moment nach, setzte sich dann unerwartet in den freigewordenen Besuchersessel, blickte von dort aus zu ihm hoch. "Sie wollen nicht mehr arbeiten?", erkundigte er sich, nachdem er die erste Überraschung überwunden hatte. Der ältere Mann schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln. "Willst du, dass ich es will?" Er erlaubte sich ein leises Schnauben als Antwort darauf, bevor sein Blick unwillkürlich wieder zur Tür schweifte. "Er hat nicht protestiert." Schneider folgte seinem Gedankengang mühelos. "Der junge Takatori hat ihm gesagt, dass es nicht so erstrebenswert ist, den eigenen Vater zu töten." "Hm… und er hat beschlossen, auf ihn zu hören?" Ihm war nicht bewusst gewesen, dass das ehemalige Weiß-Mitglied so viel Eindruck bei Nagi hinterlassen hatte. Aber dann wiederum… war es andersherum ja auch so gewesen, nicht wahr? Etwas, das er ausgenutzt hatte. Eine Hand wurde nach ihm ausgestreckt und bevor er es sich versah, hatte Schneider ihn auf dessen Schoß gezogen. Und wieder legte sich eine Hand über die Stelle mit der verheilten Schusswunde. Weswegen er sich nicht über das Manöver wunderte, so ungewöhnlich es auch war. "Nagi hatte mit diesem Kapitel in seinem Leben bereits abgeschlossen. Und es hat ihm nicht besonders gefallen, dass alte Wunden aufgebrochen wurden." Eine kurze Pause. "Natürlich wollte er im ersten Moment Rache üben, aber alles in allem ist er inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, dass es sein Vater nicht verdient, dass er sich jetzt noch mit ihm auseinandersetzt. Für Nagi ist er bereits gestorben." Er lehnte sich in die Wärme hinein, die Schneiders Körper ausstrahlte. Irgendwie fühlte er sich plötzlich müde oder vielleicht auch erschöpft. Er wusste nur nicht, ob es körperlicher oder psychischer Natur war. "Ist Ihnen schon aufgefallen, dass alle unsere Familien irgendwie dysfunktional waren?" Bei Schuldig mochte vieles eher eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen sein, doch das Ergebnis… Die Hand verließ ihre bisherige Position, fand stattdessen seinen Nacken. Und warmer Atem stieß gegen seinen Hals, als Schneider ihm antwortete. "Das ist nicht verwunderlich, nicht bei Talenten." Und war das nicht die Wahrheit in der Nussschale? Es sorgte nicht unbedingt dafür, dass er sich besser fühlte. ~TBC~ Kapitel 67: "Es war ein Zusammentreffen widriger Umstände" ---------------------------------------------------------- "Crawford…" Hitze brannte sich in seine Seite, als er langsam die Augen öffnete. Er brauchte viel zu lange, um sich zu orientieren, es fühlte sich an, als hätte er Watte im Kopf. Doch dieses Mal war es kein Krankenhausbett, in dem er erwachte und die verweilende Müdigkeit hatte ganz natürliche Ursachen. Oder vielleicht auch nicht ganz so natürliche, schränkte er ein, als sich die Hitze an seiner Seite als Schneider herausstellte, der am Rand der Couch Platz genommen hatte. Auf der er… geschlafen hatte. Braune Augen verengten sich, doch der Deutsche nahm seine Reaktion nur zum Anlass, ihm ein Lächeln zu schenken und ihm dann seine Brille zu reichen. Er nahm sie an, musterte den Älteren dann aber wieder. "Warum haben Sie das getan?" Denn er wäre auf keinen Fall einfach so hier eingeschlafen. Schneider schien sich keiner Schuld bewusst zu sein, lächelte schon wieder. "Du wolltest nicht zurück ins Hotel. Aber du hast Ruhe benötigt." "Was Sie ganz einfach einseitig entschieden haben…" Trotz seiner unwirschen Worte wich er nicht der Hand aus, die an seine Wange gelegt wurde. "Nein, nicht allein", wurde klar gestellt. "Ich habe vielleicht den letzten Anstoß gegeben, aber entschieden hat dein Körper für dich." Der Daumen streichelte über seine Lippe. "Und wenn du ehrlich bist, bist du immer noch müde. Ich habe dich nur geweckt, weil Frau Reiß' Team erfolgreich zurückgekehrt ist." Dummerweise konnte er der Einschätzung des Älteren nicht widersprechen, da ihn sein Körper in diesem Moment wieder verriet, als er gähnte. Doch dann konzentrierte er sich ganz auf Schneider. "Naoe hatte keinen Verdacht geschöpft und versucht zu fliehen?" "Nein, gar keinen. Was wir wahrscheinlich Parks zu verdanken haben. Es scheint ihn einiges an Mühe gekostet zu haben, Naoes Widerstand zu brechen und das hat dessen Urteilsvermögen eingeschränkt, wenn auch nicht dessen Fähigkeiten." Frau Reiß' Team war nicht nur zurück, sondern sie hatten die Zielperson auch schon verhört. "Natürlich. Dich früher zu wecken wäre auch ziemlich sinnlos gewesen, wie du zugeben musst." Musste er nicht, wenn er dazu einfach schwieg. Was er auch tat. Stattdessen konzentrierte er sich wieder auf den eigentlichen Gegenstand ihrer Unterhaltung. "Warum sein Interesse an uns – und an Nagi? Wusste er, mit wem er es zu tun hatte?" Schneider zögerte für einen Moment, bevor so etwas wie Ironie dessen Züge streifte. "Natürlich wurde er nicht direkt danach befragt." Schließlich wollte Schneider die Verbindung nicht offenkundig machen, jedenfalls nicht von sich aus. "Doch meiner Einschätzung nach hat er hat keine Ahnung. Es war ein Zusammentreffen widriger Umstände." "Schon wieder?", rutschte es ihm heraus, bevor er die Worte aufhalten konnte. Aber letztendlich stimmte es, ihm kam allmählich die ganze Sache hier wie ein einziger großer Zufall vor. Die Hand glitt jetzt weiter, strich schwarze Strähnen zurück. "Sehr vieles ist eher eine Folge von Herrn Walters Interesse an uns. Daher seine Geschäfte in Japan. Womit er auch Mitarbeiter von hier benötigte. Und Naoe wollte unbedingt weg von hier. Herr Walter hatte keine Probleme damit, ihm das zu ermöglichen. Es ist noch nicht lange her, dass Naoe wieder nach Japan zurückgekehrt ist. Für Herrn Walter hat er aber unverändert gearbeitet." Er runzelte die Stirn, als er plötzlich verstand. "Herr Walter hatte ihn eigentlich auf uns angesetzt – oder jedenfalls seine Leute und Naoe hat es übernommen. Und du hast über Parks von ihm erfahren, weil der wiederum Naoe auf das Büro angesetzt hatte und daher glaubte, dass du deswegen an ihm interessiert warst." "Hm, das auch… Aber Nagis Vorstöße waren ebenfalls daran schuld. Als er über Herrn Walter recherchiert hat, ist damit auch Naoes Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt worden." Stimmt, das sollte man nicht außer Acht lassen. Doch das änderte an einer Sache nichts… "Aber Herr Walter wollte uns doch in Ruhe lassen, nachdem er gemerkt hat, dass ich nicht zur Verfügung stehe." Bevor es wirklich registrierte, hatte er sich gegen den älteren Mann gelehnt, weil die Wärme allmählich zu viel wurde, um ihr weiter widerstehen zu können. "Und die Leute hier hatten die entsprechende Anweisung erhalten. Allerdings hatte er da schon gemerkt, wie gut Nagi ist und hat den Kontakt von sich aus aufrechterhalten." Kurz schloss er die Augen und so etwas wie Amüsement streifte seine Züge. "Er wusste die Herausforderung zu schätzen, so wie Nagi auch." Darauf musste Schneider nicht antworten und so sprach er einfach weiter. "Ihre Interessen scheinen sich sehr zu ähneln. Es ist eine Verschwendung…" "Es hat dafür gesorgt, dass Nagi bei uns gelandet ist. Von daher würde ich es nicht als Verschwendung bezeichnen." Natürlich wusste Schneider, was er gemeint hatte. Er gab ein leises Schnauben von sich. Doch er konnte nicht widersprechen. Und da seine Gedanken in diesem Moment bei Nagi weilten, stellte er die offensichtliche Frage. "Hat Nagi sich inzwischen gemeldet? Wenn er mit Herrn Malcom in Kontakt geblieben ist, weiß er doch sicherlich, dass wir seinen Vater inzwischen haben." Ein knappes Nicken war die Antwort darauf. "Er weiß es. Und auch mit etwas Abstand hat er seine Meinung nicht geändert. Nagi will nichts mit ihm zu tun haben. Ich bezweifle, dass sich jetzt noch etwas daran ändern wird." Schneider legte eine kurze Pause ein, in der er sich die Aussage durch den Kopf gehen lassen konnte und feststellte, dass er der gleichen Meinung war. Doch gleich darauf wurde er abgelenkt, durch das, was der Deutsche als nächstes sagte. "Allerdings werde ich den Eindruck nicht los, dass du noch nicht mit ihm abgeschlossen hast." Eisblaue Augen musterten ihn, er konnte den Blick spüren, auch wenn er es gerade nicht sah. "Willst du Naoe noch befragen? Ich kann dafür sorgen, dass ihr unter euch seid." Bei diesem Angebot raffte er sich doch dazu auf, sich zurückzulehnen und die Wärme aufzugeben. Ihre Blicke trafen sich und nein, Schneider hatte keinen Scherz gemacht. Was dann wohl hieß, dass ein Teil von ihm wirklich mit dem Mann reden wollte, ohne dass es ihm bisher bewusst geworden war. Die Erkenntnis wurde ihm vom Gesicht abgelesen, wenn sich Schneider die Information nicht einfach nur aus seinem Kopf herausholte und er erntete ein schmales Lächeln dafür. "Vielleicht versuchst du doch noch, den Begriff Familie zu verstehen." Er verzog unwillkürlich das Gesicht, doch Schneider ließ nicht zu, dass er es abwandte. "Du bist erwachsen, Crawford", wurde er leise ermahnt. Das genügte, um ihn den Älteren anblitzen zu lassen. "Und damit kann ich auch entscheiden, das Ganze hinter mir lassen zu wollen." Schneider widersprach ihm nicht, musterte ihn lediglich wieder für ein paar lange Sekunden. Dann lehnte sich der Deutsche vor und küsste ihn. Was Anreiz genug war, die aufgetauchten Erinnerungen wieder zurückzudrängen. Er wurde erst wieder freigegeben, als sein Kopf wie leergewischt schien und seine Finger krallten sich in Schneiders Schultern, während er zu Atem zu kommen versuchte. Schneider zog ihn enger an sich heran und für einen Moment knisterte Energie zwischen ihnen, als es zur Abwechslung mal der Telepath war, der etwas Kontrolle verlor, doch gleich darauf wurde dessen Talent hinter die gewohnten Schilde gezwungen. In einer an diesem Tag beinahe schon vertrauten Geste legte sich dann eine Hand über seine verheilte Wunde, woraufhin ein Schauder durch ihn lief und er barg das Gesicht am Hals des Älteren. Ihm gefiel dieser Stimmungsumschwung nicht und es war nicht der erste. Anscheinend war er nicht der einzige hier, der etwas Ruhe benötigte oder auch einfach nur mehr Abstand. Aber vorher… würde er das Angebot annehmen. Weil es dadurch ganz einfach sein würde, dieses Kapitel abzuschließen. Und damit er die Antworten hatte, falls Nagi irgendwann doch einmal fragen sollte. Überraschend lief ein leises Lachen durch Schneider und dann löste sich der Deutsche von ihm. "Hm, du hast Recht. Wir sollten es hinter uns bringen. Und dann werde ich dich zurück ins Hotel schaffen und dir noch einen weiteren Tag Ruhe verordnen. Immerhin gibt es inzwischen nichts mehr, was du unbedingt erledigen – oder erfahren – musst, nicht wahr?" Letzteres mit einem schmalen Lächeln, das es ihm ausgesprochen schwer machen würde, zu widersprechen. Doch ein Argument fehlte ihm sowieso, so dass er sich nichts daraus machte. Langsam kam er auf die Beine, ließ zu, dass Schneider ihn ohne jede Notwendigkeit stützte. Er fühlte sich immer noch müde, doch nachdem er stand, klärte sich sein Kopf weiter. "Willst du vorher noch etwas essen?" "Später ist noch genug Gelegenheit dafür…" Vielleicht nicht die richtige Zeit, aber die war es in diesem Moment auch nicht mehr. Sein Blick schweifte zum Fenster ab, von wo pechschwarze Nacht hereinstarrte. Kein Widerspruch, lediglich Hände, die rasch aber sorgfältig seine Kleidung richteten, anschließend seine Krawatte zurechtrückten. Seine Mundwinkel zuckten, immerhin war er kein Invalide und konnte das sehr gut selbst erledigen, aber er ließ es sich gefallen. Und dann führte Schneider den Weg an, der wieder wie leergefegt schien. Wobei es dieses Mal aber vor allem an der Zeit liegen könnte. Möglicherweise. Wieder zuckten seine Mundwinkel, doch als sie ihr Ziel schließlich erreichten, färbte nicht einmal eine Erinnerung an das Amüsement seine Miene. Es war der bekannte Raum, nur dass er nicht mehr Parks beherbergte, sondern Naoe. Alles die Arbeit eines Tages. Was dieses Mal an seinen Mundwinkeln zog, war ganz sicher kein Lächeln. Eine Hand legte sich flüchtig auf seine Schulter, bevor Schneider nach dem Telefonhörer griff, leise hineinsprach, anschließend sachte auflegte. Das hieß dann wohl, dass sie jetzt wirklich unter sich waren. Er stand unwillkürlich etwas aufrechter, blickte durch die Scheibe auf ihren Gast. Man konnte beinahe einen Eindruck von Déjà-vu bekommen, nicht wahr? Seine Hand presste flach gegen sein Hosenbein, damit sie sich nicht zur Faust ballte, und er atmete tief durch. Sein Gleichgewicht zurückgewonnen trat er von der Scheibe weg und auf die Tür zu, hatte sie gleich darauf durchschritten. Anders als Parks sah Naoe ihm entgegen, anscheinend war es sehr viel leichter gewesen, die benötigten Informationen vom Japaner zu erlangen. Aber das war auch kein Wunder, schließlich handelte es sich um einen Talentlosen. Begabt auf seinem Fachgebiet, doch ihnen konnte Naoe nichts entgegensetzen. Der andere Mann musterte ihn äußerlich gefasst, doch er bezweifelte, dass es in ihm genauso aussah. Und er konnte Nagi in ihm wiedererkennen. "Warum haben Sie es getan?" Die Frage rutschte einfach so aus ihm heraus, doch wenigstens schaffte er es, jegliche Emotion herauszuhalten. Ihn traf ein scharfer Blick, analysierend. "Erfahre ich jetzt endlich, warum ich hier bin?" Und wieder wurde er an Nagi erinnert. Er lehnte sich gegen die Tür zurück, die er hinter sich geschlossen hatte, verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich denke nicht, dass wir Ihnen irgendwelche Antworten schuldig sind." "Das bin ich Ihnen auch nicht, sie sind nicht von der Polizei, und trotzdem verlangen Sie welche von mir." Ein unfreundliches Lächeln war alles, was er für eine lange Minute als Reaktion darauf hatte. Dann ließ er ein Schulterzucken folgen. "Nun, anders als Sie können wir Sie aber dazu zwingen, zu antworten. Nicht wahr?" Letzteres absichtlich gedehnt. Wieder ein analysierender Blick. "Wollen Sie mir drohen? Bisher ist keine Gewalt angewandt worden." Sein Kinn hob sich um ein paar Millimeter und auch wenn es ihm nicht bewusst war, wies ihn seine Haltung in diesem Moment eindeutig als Rosenkreuz-Abgänger aus. "Wir haben es nicht nötig, Gewalt anzuwenden. Wir sind an unsere Antworten auch so gelangt." Und er konnte regelrecht zusehen, wie die richtigen Schlüsse gezogen wurden. Nagi hatte seinen Verstand eindeutig vom Vater geerbt. Und der Mann hatte sicher nur Nagi als Anhaltspunkt, denn wenn er von Herrn Walters besonderen Mitarbeitern wüsste, so würde er kaum für ihn arbeiten. Somit war die schnelle Schlussfolgerung beinahe bewundernswert. "Sie sind wie er." Dann wurde der Mann blass und schob den Stuhl zurück, um mehr Abstand zu gewinnen. "Sie – und die anderen von vorhin auch?" Naoe hielt sich die Hand vor den Mund, als würde ihm schlecht werden. "Ah, Sie haben sich also daran erinnert, dass Sie einen Sohn haben." Er stieß sich von der Tür ab und verkürzte den Abstand zwischen ihnen, mit voller Absicht. "Also, warum haben Sie ihn allein zurückgelassen? Wissen Sie überhaupt, was Sie ihm damit angetan haben?" Dieses Mal ballte sich seine Rechte zur Faust. Naoe wurde stocksteif, ob vor Wut oder aus einer anderen Emotion heraus, konnte er nicht beurteilen. Das Gesicht war jetzt kalkweiß und die braunen Augen brannten ihn daraus heraus an. "Ist es das? Hat er sich noch mehr seiner Art gesucht und auf mich gehetzt?" Und auch wenn er sich einst geschworen hatte, sich nicht mehr die Hände schmutzig zu machen, so schlug er jetzt zu. Präzise. Denn ihm den Kiefer zu brechen, würde ihn nur am sprechen hindern. "Sie sollten nicht über ihn reden, als ob er kein Mensch wäre." Anders als seine Reaktion zuvor fielen seine Worte völlig ruhig aus. "Und wie soll ich sonst über ihn reden?" Der andere Mann biss die Zähne zusammen. "Er hat seine Mutter umgebracht mit diesen verfluchten unnatürlichen Fähigkeiten." Er stand sehr still und schloss für einen Moment die Augen, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte. Es war also, wie sie vermutet hatten. Aber wie konnte man Nagi die Schuld daran geben? Und als er schließlich antwortete, mischte sich Bitterkeit mit Enttäuschung in seinen Worten. "Er ist ein Kind gewesen. Es ist nur natürlich, dass er keine vollständige Kontrolle hat." Er wartete keine Reaktion ab, sondern wandte sich ab und verließ den Raum. ~TBC~ Kapitel 68: "Du brauchst sie nicht mehr…" ----------------------------------------- "Keine Überraschungen, hm?" Schneider hatte auf ihn gewartet, griff nach seiner Hand, sobald er nahe genug war. Und dann wurde sie nach einer möglichen Verletzung abgetastet, wie ihm gleich darauf bewusst wurde. Aus irgendeinem Grund sorgte die Geste dafür, dass er sich entspannte, verkrampfte Muskeln sich lockerten. Und das Brodeln in ihm ließ nach, wurde zaghaft von leisem Amüsement abgelöst. "Soll ich Ihnen jetzt Ihre Worte zurückgeben?", erkundigte er sich. "Ich habe schließlich auch das Training, um zu wissen, wie ich zuschlagen muss." Schneider sparte sich eine Antwort auf die rhetorische Frage, so wie er selbst zuvor auch, ließ aber seine Hand los, um ihn anschließend ernst zu mustern. "Hast du genug von Naoe erfahren?" Er verzog das Gesicht und für ein paar Sekunden musste er dagegen ankämpfen, dass die Glut neu entfacht wurde. "Mehr als genug. Ich hatte bloß gehofft, dass die Antwort anders ausfallen würde." "Du hältst dich nicht häufig mit Hoffnungen auf… Du hast es dir für Nagi gewünscht, ja?" Das Lächeln des Älteren enthielt keinerlei Humor. "Wahrscheinlich hat er schon längst recherchiert, was damals geschehen ist und hat die gleichen Schlüsse wie wir gezogen." "Sie wissen es nicht?" Mit leichter Überraschung. Und das Lächeln wurde etwas echter. "Weißt du, Nagi ist recht geschickt darin, bestimmte Dinge einfach wegzuschließen und nicht daran zu rühren. So wie du auch." Das… war nun wirklich keine Überraschung. Er wandte sich noch einmal zu der Scheibe um, nahm die Bewegung aber wieder zurück, bevor er den Japaner überhaupt hatte sehen können. Eine Hand legte sich auf seinen Unterarm und er konzentrierte sich ganz auf die Wärme der Berührung. "Komm, Crawford. Es wird Zeit, dass du ins Hotel zurückkommst. Um Naoe kümmert sich Frau Reiß. Er hat jetzt bereits dein Gespräch mit ihm vergessen. Und sie wird ihm alle Erinnerungen an uns und an Nagi nehmen und ihn zurück zu seinem Job schicken. Ich nehme an, dass er Herrn Walter noch nützlich sein kann und wir müssen ihn ja nicht noch eines Mitarbeiters berauben." "Ein anderes Ende für ihn als für Parks…" Sein Kommentar geriet tonlos und ein scharfer Blick aus eisblauen Augen traf ihn dafür. "Anders als Parks hat er nicht absichtlich gegen uns gearbeitet. Die Arbeit für Parks war sogar erzwungen. Und sein Austausch mit Nagi… das war nur professionelle Neugier, nicht wahr? Also ebenfalls nicht gegen uns gerichtet." Er hätte an dieser Stelle einen weiteren offensichtlichen Punkt benennen können, den eigentlichen Grund für sein Ressentiment, doch er tat es nicht. Denn weder Eszett noch Rosenkreuz hatten jemals die Eltern für das bestraft, was sie ihrem Nachwuchs antaten. Vielmehr bauten sie auf solche Reaktion, denn es brachte ihnen viel Loyalität von den geretteten Talenten ein, ganz ohne die Gehirnwäsche, die ihr Übriges tat. Er stand kurz davor, das Gesicht zu verziehen, strafte seinen Gedankengang dann aber lieber mit Nichtachtung. Und ehe er sichs versah, hatte sich seine Hand um Schneiders Handgelenk geschlossen und er zog ihn hinter sich her. Erst als sie den Raum lange verlassen hatten und sich bereits im Fahrstuhl befanden, wurde ihm wirklich bewusst, was er gerade tat und für eine Sekunde dachte er darüber nach, den Älteren freizugeben. Doch er entschied sich dagegen. Der ganze Tag war einfach viel zu lang gewesen und wenn er losließ, würde vielleicht noch etwas dazwischen kommen – zwischen sie und den Wagen, der zweifellos bereits draußen wartete. Ein Hauch von Amüsement streifte ihn, gefolgt von leisem Schock. Ersteres eindeutig von Schneider, doch die anderen Emotionen kamen nicht von dem Telepathen, sondern wurden lediglich von ihm weitergeleitet. Er ignorierte sie genauso wie die Leute, von denen sie stammten, als sie das Foyer durchschritten, Schneider immer noch einen halben Schritt hinter ihm. Erst als sie schließlich beide nebeneinander im Wagen saßen, befanden sie sich wieder auf gleicher Höhe und der Deutsche lachte leise auf. "Crawford, du kannst froh sein, dass niemand Anstoß genommen und dich aufgehalten hat." Ein Schauer durchlief ihn, ohne dass er wusste, warum. Er überwand ihn und schenkte Schneider dann einen schiefen Blick. "Da _Sie_ der Stein des Anstoßes gewesen wären, brauchte ich mir darüber keine Sorgen machen. Schließlich hätte sich niemand in Ihre Nähe gewagt." Wieder ein Lachen und dem folgte eine abrupte Bewegung, an deren Ende sein Gesicht von zwei Händen eingerahmt und er geküsst wurde. Wieder erschauerte er, doch das hielt seine Hände nicht davon ab, sich in sandblonden Haaren zu vergraben. Und plötzlich war er nicht mehr nur müde und erschöpft, sondern auch aufgedreht. Energie prickelte über seine Haut, lief durch ihn hindurch und sammelte sich irgendwo in seiner Magengrube. Als nächstes starrte er herunter in eisblaue Augen, da er… offensichtlich Schneiders Schoß erklommen hatte. Er ließ sich von dieser Feststellung nicht lange ablenken, verstärkte lediglich seinen Griff und beugte sich dann herunter, um den Kuss wieder aufzunehmen. Hände wölbten sich über die Erhebungen seiner Hüftknocken und Schneiders Finger taten ihr Bestes, bleibende Abdrücke zu hinterlassen. Ein Keuchen entkam ihm und für eine Sekunde hielt er sehr still. Nicht nur Schneiders Finger, auch dessen Zähne. Er spürte ein Lächeln gegen seinen Hals, bevor der Ältere über die gereizte Stelle leckte, um anschließend zu seinem Mund zurückzukehren. Seine Unterlippe wurde weniger in Mitleidenschaft gezogen, es war nur ein kurzes Aufblitzen und der folgende Kuss überdeckte alles. Irgendwann erinnerte er sich daran, dass seine Hand noch für etwas anderes gut war, als nur Halt zu suchen und er ließ seine Rechte zwischen sie schlüpfen, auf der Suche nach Schneiders Gürtel. Kühles Metall presste sich gegen seine erhitzten Finger, als er sein Ziel fand, doch ehe er auch nur beginnen konnte, seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen, umfasste Schneider sein Handgelenk. "Crawford, besser nicht." Er zwinkerte, brauchte einen Moment, um sich auf das Gesicht des Älteren zu fokussieren. Und noch einen Moment länger, um zu verstehen. Denn Schneiders freie Hand strich seinen Rücken herunter, die Wirbelsäule entlang, und dann noch etwas tiefer. Mit einem tiefen Seufzen atmete er aus und gleichzeitig schien alle Kraft aus ihm zu weichen. Natürlich, der Wagen war nun wirklich nicht der angemessene Ort, um weiterzumachen und vorbereitet waren sie auch nicht darauf. Schneider lächelte, schmal aber aufrichtig, ließ ihn dann frei, um nach seiner Brille zu greifen. Sie wurde zusammengeklappt und beiseite gelegt, seine Augen folgten automatisch der Bewegung, dankbar für jede Ablenkung. Am hilfreichsten wäre es wohl gewesen, zu seinem eigenen Sitz zurückzukehren, aber dafür brachte er weder Kraft noch Willen auf. Und da die Brille jetzt nicht mehr im Weg war, lehnte er sich vor, bis seine Stirn an Schneiders ruhte. "Hm… wir sind fast beim Hotel…" Leise genug, dass er die Worte nur verstand, weil er Schneider so nahe war. Er dachte ein stummes 'endlich', sprach es aber nicht aus. Musste er auch nicht. Die Hand wanderte zurück, bis sie seinen Nacken umfasste und Finger sich in schwarze Haare hinein ausbreiteten. "Du wirst dennoch etwas mehr Geduld haben müssen, denn ich werde dir nicht erlauben, das Essen ausfallen zu lassen." Mit leichtem Amüsement. Und bevor er protestieren konnte, suchten Schneiders Lippen wieder nach seinen für einen weiteren Kuss. Er erwiderte ihn automatisch und sein Körper versuchte, Schneider noch näher zu kommen, was ihn daran erinnerte, warum er gerade zu frustriert war. Etwas abrupt lehnte er sich zurück und seine Hand legte sich gegen Schneiders Brust, um ihn daran zu hindern, ihm zu folgen. Als er Schneiders Blick fand, war das Amüsement schon lange verschwunden und die Hitze darin schien ihn zu verbrennen, mehr noch, als ein Daumen über seine Unterlippe strich, gegen die Stelle presste, wo er zuvor gebissen worden war. "Das können Sie nicht machen", beschwerte er sich und seine raue Stimme stolperte beinahe über die wenigen Worte. Der Griff in seinem Nacken verstärkte sich für einen Moment und er vermutete, dass er nicht widerstanden hätte, wenn der Deutsche auf einen weiteren Kuss bestanden hätte. Doch er kam nicht dazu, es herauszufinden, denn der Wagen wurde in diesem Augenblick sanft zum Stehen gebracht. Für ein, zwei Sekunden blieben sie ganz aufeinander konzentriert, dann schaffte er es endlich, sich von Schneiders Blick loszureißen und von seinem Schoß herunterzurutschen. Gerade rechtzeitig, denn gleich darauf wurde die Tür geöffnet und eisblaue Augen streiften ihn noch kurz, bevor Schneider ausstieg. Er atmete tief durch, überprüfte mit raschen Bewegungen den Sitz seiner Sachen, bevor er folgte. Ein letzter Blick zurück verriet ihm, dass seine Brille immer noch auf dem teuren Leder ruhte, aber aus irgendeinem Grund lehnte er sich nicht zurück, um sie mitzunehmen. Schneider wartete auf ihn beim Eingang, musterte sein entblößtes Gesicht mit einem Ausdruck, den er nicht entziffern konnte. Dem folgte Verstehen und dann ruhte plötzlich eine Hand an seiner Wange und Lippen berührten warm seine Schläfe. "Du brauchst sie nicht mehr…" Keine Frage und auch wenn er selbst nicht verstand, hakte er nicht nach. Schneider lehnte sich wieder zurück und schenkte ihm ein Lächeln, das Zufriedenheit in sich trug. Dann wandte sich der Ältere zum Gehen und er folgte unmittelbar, als wäre da eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen, die ihn mit sich zog. Die Tür wurde ihnen aufgehalten und Schneider bedankte sich mit einem knappen Nicken, er selbst war zu beschäftigt dafür. Nur wusste er nicht so ganz zu sagen, womit eigentlich. Er kam erst wieder ganz in der Gegenwart an, als Schneider nicht nur das Restaurant angesteuert hatte, sondern auch einen Tisch für sie gefunden. Der Stuhl wurde ihm zurückgezogen und er zwinkerte, während Schneider geduldig wartete. "Da bist du ja wieder", erhielt er wieder ein Lächeln und dann streiften die eisblauen Augen den Stuhl, eine stumme Aufforderung, der er nach minimalem Zögern nachkam. Der Deutsche nahm ihm gegenüber Platz und bestellte für sie beide, stützte anschließend das Kinn auf der offenen Hand ab. "Was hält dich beschäftigt?" Er lehnte sich zurück und dachte für eine Weile nach, ohne dass Schneider auf eine schnellere Antwort drängte. "Die Ruhe nach dem Sturm, vielleicht…", erwiderte er schließlich und die Worte schienen beinahe richtig zu sein. Schneider gab ein leises Brummen von sich, nachdenklich, bevor sich dessen Blick wieder auf ihn richtete. "This is the way the world ends. Not with a bang but a whimper." Zuerst war er zu überrascht, den Deutschen in seiner Muttersprache sprechen zu hören, es war so lange her, dass sie von Schneider an ihn gerichtet wurde, scheinbar ein ganzes Leben. Doch dann wickelte sich die Bedeutung der Worte um ihn und sie zog an seinen Mundwinkeln. "Ja, Sie haben Recht. So fühlt es sich an." "Aber es ist nichts Schlimmes, nicht wahr?" Er schüttelte den Kopf. Nein, das war es wohl nicht. Er wandte den Blick ab, keine Flucht, nur eine kurze Pause von der Intensität eisblauer Augen. Sie saßen am Fenster und so fiel sein Blick nach draußen, auch wenn er wenig erkennen konnte. Auf der anderen Seite befand sich der Innenhof und er war nur schwach beleuchtet, so dass er sich in dem Glas spiegelte. Umso einfacher war es, seinen Gedanken nachzuhängen, nichts lenkte ihn davon ab. Und er ließ das vergangene Jahr Revue passieren, das so anders gewesen war als alles, was er seit seiner Ankunft auf Rosenkreuz kennengelernt hatte. Wieder kurvte ein Lächeln seine Lippen, wie ihm sein Spiegelbild verriet. Kein Weltuntergang, aber das Ende eines Abschnittes. Und nun… musste er sich entscheiden, ob er nach Rosenkreuz zurückkehren wollte. Das leise Klappern von Geschirr holte ihn zurück, es war der Salat, der vor ihm abgestellt worden war. Der Wein war anscheinend bereits von Schneider geprüft und für gut befunden worden, glitzerte rot im Kerzenlicht. Schneider begrüßte seine Aufmerksamkeit mit einem Heben von dessen Glas und er griff nach seinem eigenen, um die Geste zu erwidern. "Mir scheint, du gehörst ins Bett, du träumst ja schon mit offenen Augen", wurde er leise aufgezogen. Ein Laut entkam ihm, von dem er selbst nicht wusste, ob es ein Schnauben oder ein Auflachen war. "Wenn ich Sie daran erinnern dürfte, waren Sie es, der auf das Essen bestanden hat. Und ganz davon abgesehen habe ich nicht geträumt. Ich habe nur nachgedacht." "Hast du das…" Nicht zweifelnd, dazu wusste Schneider viel zu genau, was in seinem Kopf vor sich ging. Schneider nahm einen Schluck vom Wein und stellte nicht die offensichtliche Frage – die nach dem Ergebnis nach seiner Überlegungen. Nach dem er für ein paar Sekunden gewartet hatte, nur um sicherzugehen, dass der Ältere es sich nicht anders überlegte, erlaubte er sich ein schmales Lächeln und kostete ebenfalls den Wein. Und wieder tauchten Erinnerungen auf, diesmal allerdings an die anderen Gelegenheiten, bei denen er mit Schneider Rotwein getrunken hatte. Weswegen die Wärme, die sich in ihm ausbreitete, nicht allein vom Alkohol herrührte. Erwidernde Hitze blitzte in eisblauen Augen auf, doch nach außen hin griff der Ältere sehr kontrolliert nach der Salatgabel und begann zu essen. Daran sollte er sich wohl ein Beispiel nehmen… Er musste nur kurz die Augen schließen, einmal durchatmen, bevor den Gedanken in die Tat umsetzte. ~TBC~ Kapitel 69: "Und nachdem er sich so lange gesträubt hatte, es zuzugeben, war es nicht mehr als die volle Wahrheit" ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Hitze durchströmte ihn, kräuselte sich in seinem Magen und schien sich wie ein Schleier über sein Gesicht gelegt zu haben. Der Wein, wie er vermutete, auch wenn ihm Schneider nur knapp zwei Gläser erlaubt hatte. In jeder anderen Situation hätte er sich solche Bevormundung verbeten, aber an diesem Tag war das… in Ordnung. Er strich sich über die Stirn und sein Handrücken fühlte sich im Vergleich beinahe kühl an. Seine Hand fiel wieder nach unten, gegen den Spiegel der Fahrstuhlkabine und dieser war wirklich kalt. Er hielt einen Schauer zurück, hob leicht den Kopf, um nach Schneiders Blick zu suchen. Die eisblauen Augen hatten schon die ganze Zeit auf ihm geruht, ihn von der anderen Seite aus beobachtet. Und lasen in ihm wie in einem Buch. Amüsement blitzte für einen Moment auf, doch Schneider rührte sich nicht weg von seinem Platz, die Hände blieben unverändert hinter dessen Rücken verborgen. Als wäre es nötig, der Versuchung zu widerstehen. Dieser Gedanke rief ein langsames Lächeln auf seine Lippen, Millimeter für Millimeter. Und es war voll entwickelt, als der Fahrstuhl sein Ziel erreichte und sie auf den Gang entließ. Schneider reagierte mit dem Anflug eines Stirnrunzelns darauf und dessen Blick brannte über ihn hinweg, bevor dieser mit ausgreifenden Schritten die Führung übernahm. Er selbst musste für einen Moment warten, denn irgendwie war ihm zwischen einer Sekunde und der nächsten der Atem abhanden gekommen, folgte dann rasch dem älteren Mann. Die Tür zur Suite war bereits offen und Schneider eingetreten und es gefiel ihm gar nicht, ihn aus den Augen verloren zu haben. Seine Schritte beschleunigten sich von ganz alleine und kurz darauf fiel die Tür hinter ihm zu. Schneider hatte ihn bereits erwartet und unwillkürlich lächelte er wieder, auch dann noch, als er gegen die Wand geschoben wurde. Dann lachte er, ließ seinen Kopf zurückfallen, weil er wusste, dass dort Schneiders Hand wartete. "Aber sonst geht es dir gut, ja?", murmelte der Ältere amüsiert, angesteckt von seiner Belustigung, egal, wo sie gerade herrührte. Er gab ein zustimmendes Brummen von sich, ehe sein Blick dem eisblauer Augen begegnete und gefangen genommen wurde. Die Hitze war zurück, stärker als zuvor und er erinnerte sich, was Schneider ihm versprochen hatte, worauf er schon den ganzen Tag gewartet hatte. Und er war nicht der Einzige, der in diesem Moment daran dachte. Der Moment dehnte sich zwischen ihnen, weiter und weiter, bis er zersprang und sie sich beide gleichzeitig bewegten. Schneider schmeckte nach Rotwein und roch nach dem vertrauten Aftershave; doch er fühlte sich ganz nach Feuer an. Seine Finger suchten nach Halt, vergruben sich in angespannte Muskeln und es war egal, dass sie ihn zu verbrennen schienen. Schneiders Mund war genauso heiß, atmete noch mehr Hitze in ihn hinein und sie standen so nah beieinander, dass ihre Körper eine einzige fiebrige Linie bildeten. Der Kuss hielt an, bis ihnen der Sauerstoff ausging und selbst dann noch folgte er den Lippen des anderen Mannes, als dieser sich etwas zurückzog. Eine Hand vor seiner Brust hielt ihn schließlich zurück und er konnte ein Lächeln aufblitzen sehen. "Atmen nicht vergessen…", wurde er leise erinnert und merkte da erst, dass er nur noch stand, weil er sich an Schneider festhielt. Er konnte nicht anders als zurückzulächeln, verlagerte sein Gewicht noch weiter auf den Deutschen. Der die stumme Aufforderung problemlos interpretierte und nach hinten zurückwich, auf das Bett zu. Was ihm die Gelegenheit gab, die Weste aufzuknöpfen, dann das Hemd. Weiter war er noch nicht gekommen, als Schneiders Unterschenkel gegen die Bettkante stießen und er ließ seine Hände unter das Hemd gleiten, über erhitzte Haut, umarmte Schneider schließlich, ganz einfach, weil er ihn wieder so nah wie möglich haben wollte. Der nippte an seinem Hals, genau über seinem Puls. Er atmete scharf ein, barg seinerseits das Gesicht an Schneiders Hals, doch gerade fehlte ihm wieder die Kraft mehr zu tun. Die Lippen wanderten weiter, folgten seiner Kieferlinie und als er wieder einen Kuss auf die Schläfe erhielt schwappte Zufriedenheit über ihn hinweg, warm und schwer und genug, um das Feuer für den Moment etwas zu dämpfen. Schneider gefiel es eindeutig, dass er seine Brille nicht trug, es war keine Einbildung gewesen. Der Gedanke blitzte auf und war gleich wieder verschwunden, weil er sich viel lieber mit seinem Gegenüber beschäftigte. Und jetzt mehr Erfolg hatte, ihn von seiner Kleidung zu befreien, da seine Finger ihm mit etwas mehr Ruhe viel besser gehorchten. Schneider erwiderte den Gefallen und irgendwie tauschten sie ihre Positionen, so dass er selbst es war, der als erster aufs Bett fiel, den älteren Mann mit sich ziehend. Schneiders warmes Gewicht drückte ihn in den kühlen Stoff und unmittelbar legte er eine Hand in seinen Nacken, um ihn in einen neuen Kuss zu ziehen. Was das Feuer wieder voll entfachte, aber das war jetzt völlig in Ordnung, schließlich hatten sie keine störende Kleidung mehr zwischen sich. Er lächelte in den Kuss hinein und dann war er zu beschäftigt, um weitere Gedanken an solche Nebensächlichkeiten zu verschwenden. Schneider Berührungen blieben warm und ungewohnt sanft, lenkten ihn ab von allem, was es außer ihnen beiden gab und manchmal vergaß er sogar sich selbst, bevor der Deutsche etwas tat, was ihn abrupt in seinen Körper zurückholte. In ein paar Momenten erinnerte es ihn an ihren Abschied damals, doch das waren Erinnerungen, die hier nichts zu suchen hatten. Wie auch Schneider fand, der nicht länger versuchte ihn wie etwas Zerbrechliches zu behandeln – was er nie gewesen war, auch nicht, als die Kugel ihn getroffen hatte – sondern zu den etwas zu festen Griffen zurückfand, den Zähnen, die sich in seine Haut gruben, um ihn zu markieren. Es war mehr als perfekt und das Warten wert gewesen, auch wenn das nur ein leiser Gedanke war, den er nicht er nicht offen zugeben würde. Auch dann nicht, als er schließlich erschöpft versuchte zu Atem zu kommen, immer noch in Schneider verwickelt, als wären sie nur eine Person. Finger glitten durch verschwitzte schwarze Strähnen und stumme Ruhe strahlte auf ihn ab. Er entspannte sich weiter darunter, wenn das überhaupt möglich war, und wenn er die Augen nicht bereits geschlossen hätte, wären sie ihm jetzt zugefallen. Für eine Weile dämmerte er vor sich hin, sehr wohl wissend, dass er eigentlich schlafen sollte, doch vorher gab er da noch etwas, was er Schneider sagen wollte. Und ob der ältere Mann nun die stille Erwartung in ihm las oder einfach nur darauf wartete, dass er einschlief: das Ergebnis war das Gleiche, seine Worte wurden gehört, auch wenn sie kaum mehr als ein Flüstern waren. "Ich habe mich entschieden." Er musste nicht mehr darüber nachdenken, er hatte es lange genug getan. Er hatte mit den anderen geredet und keine Ausflüchte gefunden, sondern nur die Entschlossenheit ihm zu folgen. Und warum sollte er selbst dann noch nach Ausreden suchen, die er eigentlich überhaupt nicht haben wollte? Schneiders Atemrhythmus änderte sich auf nicht näher zu definierende Art und Weise und schließlich konnte er spüren, wie sich ein Lächeln gegen seinen Hals formte. "Es wurde ja auch langsam Zeit…", wurde ihm geantwortet, doch in den Worten lag keine Ungeduld, nur ein Anflug von Amüsement, das durch die Wärme, das es begleitete, fast überdeckt wurde. Und er wurde nicht gefragt, wie seine Entscheidung eigentlich ausgefallen war. Er lächelte ebenfalls, in sich hinein. "Sie wussten es doch längst, nicht wahr?", gab er dann zurück. "Hm", erhielt er einen Laut, der Zustimmung sein konnte oder auch nur eine Bestätigung, dass er gehört worden war. "Du hättest es mir übelgenommen, wenn ich so einfach davon ausgegangen wäre, dass du zurück nach Deutschland kommst. Aber ich war zuversichtlich. Schließlich hattest du die Chance, dich ganz von mir zu lösen, du warst so weit weg gegangen, wie du überhaupt konntest. Und trotzdem…" Der Rest musste nicht ausgesprochen werden. Sein Lächeln wurde auch nach außen hin sichtbar, wurde gesehen, als er sich umdrehte. Schneiders Blick streifte seine Lippen und ein paar stille Sekunden vergingen, bevor der Deutsche weitersprach. "Auch wenn ich nicht zu viel auf einmal von dir verlangen will, vielleicht könntest du dich jetzt noch zu einem weiteren Schritt durchringen." Eisblaue Augen funkelten ihn mit etwas an, das Amüsement oder auch etwas ganz anderes sein konnte. "Meinst du nicht auch, dass du allmählich aufhören könntest, mich zu siezen?" Der Vorschlag kam so unerwartet, dass es für einen Moment so war, als hätte er den Älteren nicht verstanden, doch selbst nachdem er die Worte verarbeitet hatte, wusste er nicht, wie er mit ihnen umgehen sollte. Schneider hatte ihn sehr genau beobachtet, zog schließlich eine Augenbraue hoch. "Du bist doch nicht etwa davon ausgegangen, dass ich keinen Vornamen habe, oder?" Nein, das war natürlich lächerlich und trotzdem fühlte es sich so an, als würde ein Teil von ihm nicken. Ein leises Auflachen entkam Schneider, warmer Atem, der ihn streifte. Doch die Belustigung verweilte nicht lange, wich bald einem Ernst, der nicht willkommen war. "Anders als du habe ich den Namen auch nicht abgelegt. Sie haben ihn mir weggenommen, denke ich. Mein Vater war der letzte, der mich Michael genannt hat." Ihm gefiel nicht, wie sich die Züge des Älteren verhärtet hatten, also strich er über die vertrauten Linien der Wangenknochen, die Wölbung der Augenbrauen. Und Schneider entspannte sich tatsächlich wieder. Nein, nicht Schneider. Michael. Obwohl er den Namen nur in seinen Gedanken aussprach, fühlte er sich holprig an und er wusste nicht so recht, ob er ihn mit dem Mann neben sich verbinden konnte. Doch er konnte es zumindest versuchen. Es lag ein neuer Abschnitt vor ihm, es wäre nicht das einzige, an das sich gewöhnen musste. Das Amüsement kehrte zurück. "Du musst nur ein bisschen üben." Dieses Mal war es an ihm, eine Augenbraue hochzuziehen. "Damit die Leute auf Rosenkreuz oder im Büro vor Schock umfallen, wenn sie mich so reden hören?" Die Finger kehrten in seine Haare zurück, zogen leicht daran, wie in einer leisen Ermahnung. Aber dem anderen Mann schien es zu gefallen, dass er es bereits mit Humor versuchte und griff es auf. "Ich kann es als Test nehmen, ob sie zu etwas taugen." Ihm war warm und er lächelte wieder. "In dem Fall es ja direkt meine Pflicht." "Du solltest vor mir nicht den Musterschüler spielen", wurde ihm erwidert, bevor sich der Deutsche auf ihn rollte und ihn küsste, ihm auf diese Weise den Mund verbat. Ihm wurde noch wärmer und aus irgendeinem Grund fühlte er ein Lachen in sich aufsteigen. >Was immer du wünschst, Michael<, dachte er zurück, mit der Gewissheit, gehört zu werden. Und nachdem er sich so lange gesträubt hatte, es zuzugeben, war es nicht mehr als die volle Wahrheit. ~Ende~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)