Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 29: "Wir sind mehr als die Summe unserer Teile" ------------------------------------------------------- Der Flughafen umfing sie mit gewohnter Geschäftigkeit und ein kurzer Blick zu Schuldig hin ließ ihn die flüchtige Grimasse erhaschen, die der Telepath schnitt. Theoretisch könnte sich Schuldig stärker abschirmen, doch keiner von ihnen hatte vergessen, dass es da immer noch das ungelöste Rätsel ihrer geheimnisvollen Verfolger gab. Seine Aufmerksamkeit wurde bemerkt und mit einem etwas grimmigen Nicken bedacht, dann konzentrierte sich Schuldig wieder auf ihre Umgebung. Und konnte ihm so eine Vorwarnung geben, bevor sich drei Personen aus der Menge herausschälten. Trotz fehlender Senorität hatte Stephan die Führung übernommen, zweifellos, weil dieser ihnen als Einziger bekannt war. Er wusste diese Umsicht zu schätzen, was sich in dem leichten Lächeln zeigte, mit dem er den Ex begrüßte. "Stephan, du hattest anscheinend keine Schwierigkeiten, uns zu finden." "Nun, ich wusste, von welchem Gate ihr abfliegt. Ich habe nur den wahrscheinlichsten Weg berücksichtigen müssen." "Statt ganz einfach beim Gate zu warten?" Die wegwerfende Handbewegung erinnerte ihn an Schuldig. Und möglicherweise… absichtlich. Es würde ihn nicht wundern, wenn dieses möglichst frühe Zusammentreffen einen Nadelstich in Schuldigs Richtung darstellen sollte. Als Revanche für dessen Verhalten am Abend zuvor. Aussprechen tat Stephan natürlich etwas anderes. "Das wäre doch viel zu einfach gewesen, nicht wahr?" Bevor er mehr tun konnte als ihm einen ironischen Blick dafür zuzuwerfen, beschloss der Ex, seine Begleiter vorzustellen. "Das sind Herr Jung und Frau Jäger. Ich habe euch gestern bereits von ihnen erzählt." Eine subtile Erinnerung, dass sie bereits wussten, mit was für Talenten sie es zu tun hatten, so dass es nicht in aller Öffentlichkeit ausgesprochen werden musste. Die hellblauen Augen richteten sich nun auf die beiden und dann wurde Schwarz – minus Farfarello, natürlich – vorgestellt. Die Begrüßung von Frau Jäger fiel sehr zurückhaltend aus, obwohl dieser Eindruck auch täuschen konnte. Irgendwie hatte er ein seltsames Gefühl, beinahe, als würde er doppelt sehen. Nur dass es rein gar nichts mit seinen Augen zu tun hatte. Er gab es auf, den Eindruck näher identifizieren zu wollen, als Herr Jung zu ihm trat und ihm die Hand anbot. "Herr Crawford, ich habe schon einiges von Ihnen gehört. Und freue mich über die Gelegenheit, mit Ihrem Team zusammenzuarbeiten." Das war vollkommen aufrichtig gemeint, wie es schien. Weswegen er unwillkürlich wieder lächelte. "Nun, ich muss zugeben nichts dagegen zu haben, auch mal einen Einblick in die Arbeitsweise Ihrer Division zu erhalten." Der Ältere stutzte, bevor sich dessen Lächeln vertiefte. "Das hat noch niemand zu uns gesagt." "Was daran liegen könnte, dass Sie normalerweise mit keinen Nicht-Ex zusammenarbeiten. Wenn also bisher ein Talent Ihre Arbeitsweise kennengelernt hat, war das für diese Person wohl eher keine angenehme Erfahrung." Seine Reaktion kam völlig gleichmütig, nur in braunen Augen stand ein Anflug von Amüsement. Und jetzt lachte Herr Jung auf. "Das kann ich kaum bestreiten, was?" Die Belustigung, die er jetzt spürte, kam nicht – nur – von dem anderen Mann und unwillkürlich schweifte sein Blick für einen Moment zu Frau Jäger ab. Deren Miene unverändert regungslos wirkte. Doch jetzt rief er sich in Erinnerung, dass sie Empathin war und sein Instinkt ihn höchstwahrscheinlich nicht getäuscht hatte. Er verschob weitere Überlegungen auf später, da Stephan in diesem Moment die Führung übernommen und sich in Bewegung gesetzt hatte. Den Rest der Zeit verbrachten sie mit unverfänglichem Small Talk, in dem sich nur die eine oder andere nützliche Information verbarg. Schließlich befanden sie sich hier in aller Öffentlichkeit und man wusste nie, was ein Neugieriger aufschnappen konnte. Dankbarerweise hatte ihr Flug keine Verspätung, denn Schuldig sah bereits so aus, als würde er nach etwas mit mehr Unterhaltungswert suchen und während des Flugs an sich hielt sich der Telepath sowieso zurück. In diesem Punkt zumindest war Schuldig vernünftig. Und er schien eine anderweitige Beschäftigung zu haben, wie ihm klar wurde, als er angesprochen wurde, sobald sie ihr Ziel erreicht hatten. "Sie ist irgendwie merkwürdig." Er vergewisserte sich, dass sie im Moment unter sich waren. Stephan hatte das Handy am Ohr, wahrscheinlich in ein Gespräch mit dem Telepathen verwickelt, der zurückgeblieben war, während die anderen beiden Ex wahrscheinlich aus Gewohnheit heraus ihre Umgebung checkten. Und zwar um einiges gründlicher, als er selbst es normalerweise tat. "Inwiefern?" Wer gemeint war, war nicht weiter schwer zu erraten. Immerhin gab es in ihrer Gruppe nur eine Frau. Schuldig antwortete ungewohnt abgehackt. "Wenn sie redet. Wenn man sie nicht ansieht, ist alles normal. Doch sonst… ihre Miene hat sich nicht ein Mal verändert und wenn ich genau aufpasse, gilt das Gleiche auch für ihre Stimme. Es passt einfach nicht zusammen. Und ehrlich gesagt bekomme ich eine Gänsehaut davon." Diese Zusammenfassung half ihm schließlich, seine eigenen Eindrücke einzuordnen und auch zu verstehen. "Sie muss eine ausgesprochen starke Empathin sein. Deswegen benötigt sie nicht die üblichen Wege, um ihre Emotionen zu übertragen. Vielleicht wäre das für Talentlose sogar zu viel. Du passt aber viel zu gut auf, als dass sie bei dir so einfach damit durchkommen könnte. Außer natürlich durch deine Schilde, denn ansonsten käme ja gar nichts bei dir an, nicht wahr?" Letzteres mit sichtlichem Humor. Grüne Augen wurden zusammengekniffen, doch Schuldig schien zu entscheiden, dass ihm die Erklärung den leichten Spott wert war. Doch eines konnte sich der Andere nicht verkneifen. "Da du das Rätsel gelöst hast, bist du sicher auch nicht ganz unbetroffen, was?" "Hm, ich merke, wie sie… bei mir anklopft. Was aber nicht heißt, dass ich sie auch hereinlasse." Schuldig hielt gerade so ein Verdrehen der Augen zurück und murmelte etwas, das verdächtig wie 'du hast einfach zu viel Übung wegen Herrn Schneider' klang. "Hat Schuldig wieder etwas zum Meckern gefunden?" Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er musste nicht einmal ein winziges Zusammenzucken unterdrücken. Denn das war ein Punkt, bei dem er tatsächlich inzwischen Übung hatte, auch wenn es Ran zu verdanken war und nicht Schneider. Er wandte sich Stephan zu, der sein Telefonat offensichtlich beendet hatte, und seine Mundwinkel hoben sich leicht. "Nicht direkt. Er hat lediglich Frau Jägers Begabung bewundert." "Ah, Julia. Nun, du kannst zufrieden mit Schuldigs Fähigkeiten sein, wenn er ihren Trick bemerkt hat. Das gelingt nicht jedem von uns." Ein unauffälliger Blick in Richtung des Telepathen verriet ihm, dass Schuldig nichts gegen das Lob hatte, allerdings schien dieser wenig begeistert von der Tatsache, dass die Hand des Ex immer noch auf seiner Schulter ruhte. Bevor der Orangehaarige allerdings auf dumme Ideen kommen konnte, zog Stephan die Hand nach einem kurzen Druck zurück und dessen Miene verriet, dass der Ex sich wieder dem Grund ihres Hierseins zugewandt hatte. "Sven hat die beiden nicht aus den Augen verloren. Es ist ein Stück bis zu dem Teil der Stadt, wo sie sich gerade aufhalten. Aber mit etwas Glück können wir unseren Auftrag heute noch zu Ende bringen." Das klang besser als er befürchtet hatte. Er nickte verstehend, befahl Schuldig und Nagi dann mit einer knappen Kopfbewegung, ihnen zu folgen. Der Telekinet hatte sich die ganze Zeit in der Nähe gehalten, aber keinen Grund gesehen, sich in die Unterhaltung mit Schuldig einzumischen. Anscheinend war Nagi an den Ex nicht besonders interessiert, was daran liegen konnte, dass der junge Japaner außerhalb von Rosenkreuz und den Legenden der Schule aufgewachsen war. Wenig überraschend übernahm Stephan wieder die Führung, auch wenn er der Jüngste unter den Ex war. Fraglos war der Tracer als Bindeglied zwischen ihren beiden Teams vorgesehen, eine Idee, die wunderbar funktionierte, solange man Schuldigs Animositäten ignorierte. Doch selbst diese waren letzten Endes egal, denn wenn es um den Job ging, war Schuldig professionell. Weswegen der Telepath auch klaglos den Kontakt hielt, als sie sich auf zwei Mietwagen verteilten, obwohl es Stephan war, der die Richtungsanweisungen gab. Der Tracer behielt mit seiner Vorhersage Recht, die Fahrt zog sich tatsächlich in die Länge. Und so nutzte er die Zeit, um sich innerlich auf die bevorstehende Konfrontation einzustellen. Sie würden gegen telepathische Zwillinge antreten müssen, etwas, womit nicht nur Schwarz keine Erfahrung hatte, selbst Rosenkreuz war so eine Konstellation noch nicht untergekommen. Stephan hatte ihm berichtet, dass die alten Akten durchgegangen worden waren, doch das Ergebnis wich nicht von dem ab, was sozusagen zum Allgemeinwissen auf der Schule gehörte: Unter Zwillingen gab es so gut wie nie Talente und wenn, besaß in der Regel nur einer unter ihnen eine Begabung. Es waren nicht nur die Gene, die über ein Talent entschieden, denn sonst hätte Rosenkreuz mit der Nachwuchssuche nicht so viel Arbeit. Und Zwillinge, zumindest eineiige, müssten immer beide dasselbe Talent haben. Nein, so einfach war es nicht. Als wüsste die Natur, dass zu viele Talente an einem Ort schneller auffallen und gefährdet sein würden. Jedenfalls lautete so die gängige Theorie. Nicht, dass ihre Wissenschaftler der Lösung des Rätsels in den letzten Jahrzehnten sehr viel näher gekommen waren, trotz der Fortschritte, die auf dem Gebiet der Genetik gemacht wurden. Der letzte Gedanke war von Ironie gefärbt, doch er drängte dies schnell beiseite. Stattdessen began er lieber mögliche Szenarien durchzugehen, um bestmöglich auf die Situation vorbereitet zu sein, der sie nachher gegenüberstehen würden. Allerdings hatte ihn keine seiner Überlegungen auf die Wirklichkeit vorbereiten können. Sie hatten sich verteilt, näherten sich ihren Zielpersonen, die unbesorgt durch eine Einkaufsstraße schlenderten, jeder mit einem Eis in der Hand. Sie sahen beinahe wie die unschuldigen Kinder aus, die sie zu sein vorgaben, doch sein geübtes Auge erkannte an ihren wachsamen Blicken, dass mehr in ihnen steckte. Schuldig klopfte bei ihm an und meldete ihm, dass jeder sich in der vorgesehenen Position befand, in einem weiten Kreis um die Zwillinge. Bis auf den Telepathen, der sich ganz in seiner Nähe befand. Falls alle Stricke reißen sollten… So etwas wie Belustigung glitt kurz durch ihn hindurch, doch er beachtete die Emotion nicht weiter. Denn ihre Anwesenheit blieb nicht länger unbemerkt. Die beiden schienen für einen Moment mitten im Schritt zu erstarren, bevor sie sich einmal um sich selbst drehten. Und er bildete sich nicht nur ein, dass die Zwillinge genau orten konnten, wo sich jeder einzelne von ihnen befand. Er selbst eingeschlossen. Ihm blieb nicht viel Zeit, beeindruckt zu sein, denn die zwei legten es darauf an, ihm zu beweisen, dass sie tatsächlich andere Leute beeinflussen können. Plötzlich richteten sich alle Blicke der Passanten in einer konzertierten Bewegung auf sie. Anspannung hing in der Luft, vibrierte, bis etwas nachgab und sich alle auf einmal zu bewegen begannen. Wie ein explodierender Stern, wenn dies in Zeitlupe geschehen würde. Und das war im Moment wohl ihr einziger Vorteil. Er tat einen Schritt nach vorne, einen weiteren, ungeachtet der vielen Menschen, die in seine Richtung strebten. Und damit zog er die Aufmerksamkeit der Zwillinge ganz auf sich. "Diesmal seid ihr mehr, ja? Aber das wird euch nicht helfen. Wir sind mehr als die Summe unserer Teile." Er konnte es mehr von ihren Lippen ablesen als es tatsächlich zu hören und als die beiden grinsten, lag beinahe Übermut in diesem Ausdruck. Sie fühlten sich tatsächlich nicht gefährdet… Ihre Hände berührten sich, Handfläche an Handfläche und mehr Konzentration schien die zwei plötzlich zu umgeben. Die Bewegungen der kontrollierten Menschen wurden flüssiger, gewannen an Geschwindigkeit und jetzt schienen sie alle möglichen Gegenstände als Waffen bereitzuhalten. Ob Taschen, Gehstöcke oder Steine, die vom Boden aufgelesen wurden. Niemand war zuvor auf die Idee gekommen, dass Talente auf diese Weise kooperieren konnten. Nicht, weil es nicht versucht worden war. Sondern weil alle Erfahrung sie das Gegenteil gelehrt hatte. Aber hier war es anders, wenn die Zwillinge in einem Recht hatten, dann darin, dass sich die Kräfte nicht nur addierten. Sie multiplizierten, potenzierten sich. Genährt durch die Energie anderer? Dieser Gedanke ließ ihn kurz stocken, denn er war nicht von ihm selbst gekommen, sondern ein Einwurf von Schuldig, dessen Talent irgendetwas Seltsames registriert hatte. Noch seltsamer als das, was ihnen bereits ihre Augen verrieten. Wenn der Telepath mit seiner Vermutung richtig lag, half es alles nichts, wenn sie selbst sich zurückhielten und versuchten, die Talentlosen zu schonen. Denn die Zwillinge schienen keine Hemmungen zu kennen, wenn es um ihre Sicherheit ging. Und sollten sie dafür tatsächlich irgendwie die Energie dieser Leute nutzen, statt sie nur zu beeinflussen, würden sie es im besten Fall bald mit mit massenhaften Ohnmachtsanfällen zu tun haben. Und im schlechtesten mit einer Spanne, die von Koma bis zum Tod reichte. So viel zu ihrem Ansinnen, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Die Ex gaben ihr bestes, zu den beiden vorzudringen, unterstützt von Nagi, dessen Talent zum einen versuchte, die Zwillinge an Ort und Stelle festzuhalten und zugleich, die Talentlosen so sanft wie möglich aus dem Weg zu schieben. Doch es waren einfach zu viele und es wurden immer mehr, denn der Einfluss der beiden Telepathen schien immer weitere Kreise zu ziehen und mehr und mehr Menschen in ihren Bann zu locken. Alles wäre sehr viel einfacher gewesen, wenn Nagi sie einfach ausschalten würde, aber das könnte schiefgehen. Vor allem jetzt, nachdem er gesehen hatte, was sie wirklich konnten, wollten sie sie lebendig haben. Selbst Schneider würde nicht so einfach darüber hinweggehen, wenn er so eine Ressource einfach verschwenden würde. Also blieb nur ein Weg. ~TBC~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)