Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 65: "Familie ist schon etwas Seltsames, denkst du nicht auch?" ---------------------------------------------------------------------- Die Hinweise, die Herr Schneider aus Parks herausgeholt hatte, waren ausgesprochen hilfreich. Sie servierten ihm den Hacker nicht auf dem Silbertablett, doch endlich gab es eine neue Spur, der er folgen konnte. Und er tat es mit Begeisterung. Ohne dass er es merkte, legte sich ein Lächeln auf seine Lippen, während seine Finger über die Tastatur flogen. Die Zeit verging ebenso unbemerkt, verloren wie er in den elektronischen Pfaden war, ohne aber den Weg zu verlieren. Die Arbeit entspannte ihn, weswegen er auch ohne Beschwerden stundenlang damit zubringen konnte, doch umso heftiger war der Schock, als er es schaffte, eine Verbindung zum Überwachungsnetz eines ganz bestimmten Bürogebäudes herzustellen. Das Gebäude stand in keiner offiziellen Verbindung mit Herrn Walters Firma oder auch nur mit Parks, doch die Hinweise hatten ihn dorthin geführt. Er wollte sich nur überzeugen, dass es keine weitere Falle war und ein Blick ins Innere war dank der Überwachungskameras mit etwas Arbeit schnell ermöglicht. Und nein, es war keine Falle. Etwas anderes hatte ihn erstarren lassen, jeder Muskel angespannt, als müsste er einen Schlag abwehren. Er starrte wie gebannt auf den Bildschirm, merkte gar nicht, dass er vergessen hatte zu atmen. Erst als sein Sichtfeld auszugrauen begann, holte er stockend Luft. Es tat in der Kehle weh, als müsste er einen unförmigen Stein herunter zwingen, doch schließlich drang frischer Sauerstoff in seine Lungen vor. Gleichzeitig schien ein Energiestoß durch ihn zu fahren und im nächsten Moment hörte er ein lautes Knacken. Es schien durch die im Raum herrschende Stillen zu dröhnen, nachzuhallen. Aber vielleicht war es auch ganz allein ein Klingen in seinen Ohren. Nachdem er sich wieder daran erinnert hatte, wie es funktionierte, atmete er noch ein paar Mal tief durch und auch dieses Symptom verschwand. Womit er endlich genug seiner Sinne zusammen hatte, um den Monitor vor sich wieder wahrzunehmen – der durch einen Riss zerstört war, der diagonal von oben links startend durch das Glas lief. Und er hieß den Anblick willkommen, der für ein paar Momente Ablenkung bedeutete. Erfüllt von einem Anklang von Erleichterung, weil er am Rechner des Instituts gearbeitet hatte und sein Laptop daher verschont blieb. Und weiter abgelenkt damit, rasch eine Meldung an den IT-Service zu schicken, um für Ersatz zu sorgen. Anschließend gab es aber nichts mehr, was ihm dabei half, sich vor dem neuen Wissen zu verstecken und mit regungsloser Miene transferierte er die bisherigen Ergebnisse auf seinen Laptop, den er anschließend zuklappte und einpackte. Er benötigte dringend eine Pause. Er bewegte sich wie ferngesteuert, der Gedanke, dass er aufgehalten werden könnte, nur als Anklang irgendwo in seinem Hinterkopf vorhanden. Und natürlich wurde er es nicht. Schließlich hatte niemand einen Grund dazu. Draußen angekommen wurde er von den Strom von Menschen aufgenommen, die… er checkte flüchtig die Uhrzeit… anscheinend auf der Suche nach einem späten Mittagessen waren. Vielleicht war diese Feststellung der Grund, warum ihn seine Schritte schließlich in ein Café lenkten. Hunger hatte er jedenfalls keinen oder er verspürte ihn zumindest nicht. Er suchte und fand einen Platz in einer Ecke, von wo aus er den gesamten Raum im Auge behalten konnte, klappte dann seinen Laptop wieder auf. Auf die Frage der Bedienung nach seinen Wünschen reagierte er ohne viel Überlegung und als kurz darauf eine Tasse mit heißem, schwarzem Kaffee neben ihm stand, zögerte seine Hand nur für einen Moment, bevor seine Finger sich um den Henkel schlossen. Vielleicht… vielleicht sollte er ganz einfach mit Crawford über das reden, was er entdeckt hatte. Aber dann würde er sich der Wahl berauben, die ihm jetzt noch offen stand. Sie würden nicht zulassen, dass er ihn einfach tötete, schließlich wollten sie noch Informationen von… diesem Hacker… haben. Der Kaffee war heiß genug, dass er sich die Zunge daran verbrühte und so stark, dass dieses Mal eine ganz andere Form von Energiestoß durch ihn lief. Er zwinkerte, ein Mal, noch ein weiteres Mal, beschloss dann, einen weiteren Schluck zu nehmen. Ihm gefiel die Wirkung. Sie half ihm irgendwie dabei, seinen Kopf zu klären. Weswegen er es als nächstes wagte, wieder einen Blick auf seinen Laptop zu werfen. Und der Datentransfer hatte nichts an dem geändert, was er zuvor im Büro entdeckt hatte. Er schloss die Augen, als könnte er dadurch die Notwendigkeit einer Entscheidung abwenden. Doch selbst auf der Innenseite seiner Lider schien sich das Bild eingegraben zu haben und sein Magen hob sich leicht bei dem Gedanken daran, was er wegen dieses Mannes durchgemacht hatte. Vielleicht sollte er nicht mit Crawford reden, sondern mit Ran… Der Gedanke rief ein humorloses Lächeln auf seine Lippen und schmeckte bitter. Der nächste Schluck vom Kaffee überdeckte den Eindruck, vielleicht, weil er realer war. Oder auch nur, weil er gerade ganz gut im Verdrängen war. Wie wagte er einen Blick auf das Bild und dieses Mal schaffte er es, beinahe ungerührt zu bleiben. Er hätte nicht einfach loslaufen sollen, im Nachhinein war er von seiner eigenen Reaktion überrascht. Aber… er hatte so etwas beim besten Willen nicht erwartet. Mit einem leisen Seufzen schloss er das Programm und ließ wenigstens für den Moment das Video verschwinden. In ihm gärte es immer noch, doch die Emotionen drohten nicht mehr überzukochen. Eine sehr viel bessere Ausgangslage, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Seine Finger trommelten einen leisen Rhythmus auf die Tischplatte, bis er merkte, was er da tat und die Bewegung stoppte. Er wusste genau, was er tun sollte, nämlich sofort zu Crawford und Herrn Schneider gehen und erzählen, was er gelernt hatte. Doch das würde Zeit und Geduld kosten und letzteres konnte er so anders als sonst nicht aufbringen. Ganz davon abgesehen wollte er ihn selbst fassen – oder vielleicht etwas ganz anderes, dachte er ganz fest _nicht_ in diesem Augenblick – und das würden sie ihm nicht gestatten. So wenig volatil sein Talent normalerweise war, in so einer Situation würden sie daran zweifeln, dass er es unter Kontrolle behalten konnte. Und wenn er ehrlich war, wusste er selbst nicht, ob er es konnte – oder auch nur wollte. Er wollte einen weiteren Schluck nehmen, doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund war seine Tasse bereits leer. Bevor er darüber auch nur die Stirn runzeln konnte, zupfte etwas am Rande seiner Wahrnehmung, etwas Bekanntes. Und für einen Sekundenbruchteil kam ihm der paranoide Gedanke, dass ihm doch jemand gefolgt war und ihn ins Büro zurückschleppen würde. Doch gleich darauf hatte er sich wieder unter Kontrolle, streckte mit einem trockenen Schnauben sein Talent aus. Und erkannte Bombay. Aber nein, inzwischen gab es Weiß nicht mehr, nicht wahr? Es war jetzt vielmehr der junge Takatori. Wie es aussah schien es ihm gutzugehen. Begleitet von seinem älteren Bruder suchte sich der Erbe des Takatori-Imperiums einen Tisch, als wäre er nicht mehr als ein gewöhnlicher Schüler. Doch es gab Bodyguards, nur waren die so gut verborgen, dass niemand der anderen Gäste sie wahrnahm. Der Gedanke blieb unbeachtet, als eine andere Erkenntnis seine Aufmerksamkeit einforderte. Sie war von gleißender Helligkeit und sorge dafür, dass er sich erhob, ohne bewusst einen entsprechenden Entschluss zu fassen. Und diese Bewegung fing die Aufmerksamkeit des Blondhaarigen ein, denn auch wenn dieser seinen alten Job abgelegt hatte, so würden ihm die Instinkte noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Himmelblaue Augen weiteten sich und ein erfreutes Lächeln huschte über das Gesicht des Älteren, während er gleichzeitig wusste, dass hinter dieser unschuldigen Miene kalkuliert wurde, was sein Auftauchen hier für Takatori bedeuten konnte. Die beiden Brüder tauschten sich kurz aus und gleich darauf erhob sich der ältere der zwei, um ihm mit einer einladenden Geste seinen Platz anzubieten. Er zögerte nur minimal, bevor er seinen Laptop ergriff und der Einladung folgte. "Ich wollte nicht stören." Ein Lächeln wurde zwischen den beiden ausgetauscht, bevor sie allein gelassen wurden. "Ich sehe meinen Bruder häufig genug", wurde er dann beruhigt. "Dass du hier bist, ist eher ungewöhnlich, oder?" Die vorgebliche Unschuld, mit der diese Frage gestellt wurde, ließ seine Mundwinkel flüchtig nach oben zucken. Doch es störte ihn nicht, Auskunft zu geben. "Mich hatte nur ein kleiner Auftrag wieder hierher geführt, einer, der beinahe abgeschlossen ist. Steht in Verbindung mit unseren neuen Aufgaben." Also nichts, was Kritiker berührte, konnte Takatori herauslesen. Und das folgende Lächeln war vollkommen echt. "Gut zu hören, dass es nicht langweilig wird für dich, Naoe-san." "Nein, das bestimmt nicht." Seine Antwort geriet sehr ausdruckslos, als er die Gefühlsaufwallung zurückdrängte, die hart gegen seine Kontrolle anbrandete. Seinem Gegenüber entging das natürlich nicht, doch eine Frage wurde zurückgehalten, da ihnen in diesem Moment Kaffee und Kuchen gebracht wurden. Anscheinend hatte der ältere Takatori die Bestellung übernommen. Dankbar schlossen sich seine Finger um die Tasse, auch wenn es wahrscheinlich kontraproduktiv war, noch mehr Koffein zu sich nehmen. Die Bitterkeit der schwarzen Flüssigkeit passte zu seiner Stimmung. Als nächstes hätte er beinahe über sich selbst geschnaubt, seit wann war er denn so melodramatisch? Aber… aber im Moment war das verständlich, nicht wahr? "Ist etwas passiert?" Die Frage wurde zögerlich gestellt, als ob sich der Andere nicht sicher war, ob es ihm überhaupt zustand. Etwas Positives hatte sie zumindest, sie fokussierte seine Aufmerksamkeit wieder auf Takatori. "Wie war es damals, als Ran das getan hat, was du eigentlich tun wolltest?", reagierte er mit einer Gegenfrage. Sie hatte ihm auf der Zunge gebrannt, seit er Takatori erkannt hatte und daran erinnert worden war, dass dieser auch einmal auf Rache aus gewesen war. Und sie nicht selbst hatte ausführen können. "Fujimiya-sempai?" Zunächst war da Verwirrung, dann jedoch schärfte sich der Blick der himmelblauen Augen, schien ihn regelrecht zu durchbohren. Natürlich verstand Takatori seine Frage, so wenig konkret sie auch gewesen war. Was gut so war, schließlich konnte er hier in aller Öffentlichkeit auch nicht mehr sagen. Der Andere entspannte sich willentlich wieder, griff dann nach der Kuchengabel. "Ich hatte viel Zeit darüber nachzudenken", wurde schließlich geantwortet, zum Teller hin. "Und ich denke, es ist besser so." Der Blick wurde gehoben, doch dieses Mal sah Takatori durch ihn hindurch, auf seine Vergangenheit – oder vielleicht auch auf die Zukunft. "Familie ist schon etwas Seltsames, denkst du nicht auch? Und meine scheint besonders seltsam zu sein." Mit einem Lächeln, das nicht ganz eines war. "Wir haben zu sehr gegeneinander gearbeitet, so viel ist zerstört worden." Eine kurze Pause, der Blick kehrte in die Gegenwart zurück, fing ihn ein. "Ich bin zu dem Ergebnis gelangt, dass ich ganz froh darüber bin, nicht noch weiter dazu beigetragen zu haben. Es lässt mich ruhiger schlafen." Noch weiter? Natürlich, Weiß war ja auch auf Takatori Masafumi, den anderen Bruder, angesetzt worden. Und anders als Takatori Hirofumi hatte dieser die Begegnung nicht überlebt. Das ehemalige Weiß-Mitglied mutmaßte also nicht nur, sondern hatte genug persönliche Erfahrung, um ein Urteil zu fällen. Etwas entspannte sich in ihm und er erlaubte sich, in seinem Stuhl zurückzusinken. Auch wenn ein Teil von ihm weiterhin darauf aus war, eigenhändig Rache zu nehmen – höchstwahrscheinlich ohne dafür die Hände zu benutzen, denn sein Talent einzusetzen wäre so viel befriedigender – so hatte er jetzt mehr abzuwägen. Nicht nur seine momentanen Wünsche und seinen Gehorsam Eszett gegenüber. Die Aussage des jungen Takatoris musste mit berücksichtigt werden und sie legte sich deutlich auf eine Seite der Waage. Die der Vernunft. Etwas, das er schon von Natur aus bevorzugte. Himmelblaue Augen hatten ihn aufmerksam beobachtet und wieder erhielt er ein Lächeln. "Es sieht ganz so aus, als konnte ich dir helfen." Ohne weiter zu bohren. Er neigte den Kopf, zustimmend. "Wie wäre es, wenn ich dich zum Dank zum Essen hier einlade?" Das Lächeln erhielt eine amüsierte Note. "Hm, gerne. Wenn du mir dazu erzählt, wie es so ist, in den USA eine Schule zu besuchen." Er zwinkerte, etwas überrascht von diesem Wunsch, willigte dann aber ohne Bedenken ein. Die Mischung von Koffein und Zucker wirkte immer noch nach, als er sich auf dem Rückweg zum Büro befand, ein ganz anderer Grund für seine innere Unruhe als zuvor und sehr viel erträglicher. Er nutzte die überschüssige Energie, um sein Talent weit um sich herum auszustrecken. Denn auch wenn Takatori ausgesprochen zuvorkommend gewesen war, so hatte er nicht vergessen, dass der Ältere Kritiker leitete. Und er selbst gehörte immer noch zu Schwarz. Sie mochten im Moment nicht gegeneinander arbeiten, doch niemand wusste, was die Zukunft bringen würde. Ein Gedanke, auf den er sicher nicht allein gekommen war. Also lief er einen Umweg und war extra aufmerksam, doch niemand hatte sich an seine Fersen geheftet und unbehelligt erreichte er sein Ziel. Er hatte den Eingang bereits hinter sich gelassen und stand im Fahrstuhl, als er noch einmal innehielt, tief durchatmend. Das war seine letzte Chance, einfach umzukehren. Doch das wäre mehr als unvernünftig und alles in allem wollte er das nicht sein. Nicht einmal in diesem Fall. Sein Daumen berührte kühles Metall und mit einem humorlosen Kurven seiner Mundwinkel stellte er fest, dass er sowohl bewusst als auch unterbewusst zur selben Entscheidung gelangt war. Denn er hatte bereits die Etage gewählt, die ihn zu Herrn Schneiders Büro führen würde. ~TBC~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)