Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 39: "Ich bin viel zu gut trainiert, um mir meine Finger am Kiefer eines anderen zu brechen" --------------------------------------------------------------------------------------------------- Er sah sich mit einer gewissen Neugier um und musste dann verhindern, dass seine Mundwinkel nach oben kurvten. Wenn der Telepath auf Rosenkreuz aufgewachsen wäre, hätte er mit dieser Art von Zelle zweifelsfrei auch mal Bekanntschaft gemacht. Doch gerade sah es nicht so aus, als könnte der Mann irgendetwas tun. Denn er war ohnmächtig und der Grund dafür erschloss sich ihm schnell, als er die rote Schwellung in dessen Gesicht sah. Er zwinkerte. So etwas hätte er von Schneider nun wirklich nicht erwartet. "Sie haben ihn geschlagen?", wandte er sich dem älteren Mann zu und gab sich keine Mühe, die Verwunderung aus seiner Stimme herauszuhalten. Schneider trat neben ihn und musterte von dort aus den anderen Telepathen. "Nun, ja. Irgendwie musste ich ihn schließlich schlafen schicken. Und um meine Arbeit nicht zu beeinflussen, wollte ich keine Medikamente riskieren." Natürlich, die übliche Methode stand Schneider in diesem Fall ja nicht zur Verfügung, sonst hätten sie ihn hier gar nicht erst benötigt… Er nickte unwillkürlich und griff aus einem Impuls heraus nach der rechten Hand, um sie zu mustern. Was Schneider ein leises Lachen entlockte, mehr Vibrieren gegen seine Seite als Laut. "Mach dir keine Sorgen. Ich bin viel zu gut trainiert, um mir meine Finger am Kiefer eines anderen zu brechen." Ein winziges Lächeln spielte um seine Lippen, als er dies hörte, aber er sagte nichts dazu. "Was haben Sie mit ihm gemacht?", erkundigte er sich stattdessen. Und der Deutsche antwortete ihm bereitwillig. "Zunächst habe ich mich natürlich davon überzeugt, ob seine Schilde tatsächlich so gut sind, wie Herr Rieger meinte. Und sie sind es. Ein Teil unserer Schwierigkeiten kann einfach von der ungewohnten Konfiguration herrühren, doch da Herr Rieger jetzt schon einige Zeit hatte, sich damit auseinanderzusetzen und nicht weitergekommen ist, habe ich nicht vor, es auf diesem Wege zu versuchen." Er runzelte flüchtig die Stirn, als irgendetwas an Schneiders Worten eine Erinnerung wachrufen wollte, doch der Eindruck verschwand wieder, sobald der Ältere weitersprach. "Ich habe ihm so etwas wie einen telepathischen Virus verpasst. Ein mentales Programm, das sich innerhalb seiner Schilde repliziert und dabei das grundlegende Muster korrumpiert. Da ich kaum Angriffspunkte hatte, wird es eine Weile dauern, bis eine ausreichende Schwächung eintritt. Doch es hat den Vorteil, dass ich den Prozess einmal angestoßen nicht mehr aufrechterhalten muss." Schneider beendete dessen Ausführungen mit einem kühlen, zufriedenen Lächeln. Und es war kein Wunder, er hatte noch nie etwas von dieser Methode gehört. Die vielleicht nicht die schnellste sein mochte, doch ausgesprochen effektiv, wenn das Ergebnis hielt, was Schneider sich davon versprach. Sein Gedankengang blieb nicht unbemerkt, wie ihm das sich vertiefende Lächeln verriet. "Du hast noch nichts davon gehört, da ich es mir ausgedacht habe und nicht vorhabe, es zu Allgemeinwissen werden zu lassen. Von daher muss ich dich bitten, diese Information gut unter Verschluss zu halten." "Natürlich, Herr Schneider", erwiderte er automatisch. Dann erlaubte er sich ein Lächeln. "Ich gratuliere Ihnen dazu. Aber wieso-?" Er unterbrach sich selbst, als er allein auf die Antwort kam. "Ganz genau." Schneider wirkte irgendwie zufrieden damit, dass er die Frage nicht hatte stellen müssen. "Es kann viel zu leicht für irgendwelche Dummheiten missbraucht werden. Und da wir so gut wie nie auf Telepathen treffen, deren wir Schilde wir nicht mit den normalen Methoden überwinden können, werde ich diese Waffe nicht unnötig aus der Hand geben." Weil die Telepathen normalerweise auf Rosenkreuz ausgebildet wurden. Und wer lehrte, wie etwas zu bauen war, wusste in der Regel auch, wie man es wieder einreißen konnte. Womit sich natürlich eine ganz andere Frage stellte und er hielt sie nicht zurück. Schließlich konnte Schneider eine Antwort verweigern und falls nicht – hier drinnen würde es niemand außer ihm hören können. "Warum haben Sie sich erst die Mühe gemacht, so etwas zu entwickeln, wenn die Chance verschwindend gering ist, es zu benötigen?" Denn er konnte sich nicht vorstellen, dass das einfach gewesen war, sonst hätte es sicher schon jemand anderer getan. Weswegen er auch nicht wirklich glauben konnte, dass Schneider es sich nur für diesen Telepathen vor ihnen ausgedacht hatte. Er musterte den Gefangenen, als könnte er irgendwie äußerlich erkennen, was genau Schneider getan hatte. Doch natürlich hatte er keinen Erfolg damit. "Hm, damit hast du Recht", meinte der andere Mann mit stillem Amüsement, ließ ihn aber nicht lange zappeln. "Vorhin hattest du es beinahe. Doch ich war so unfair, dich davon abzulenken. Du erinnerst dich vielleicht, dass wir nicht zum ersten Mal auf ein Talent treffen, das mir widerstehen kann. Ich hatte nicht vor, noch einmal in so eine Situation zu geraten." Und das war alles, was er benötigt hatte. "Die Frau damals im Japan-Büro, natürlich." Sein Blick suchte wieder den Älteren. Eines musste man Schneider lassen, er tat alles, um nicht zu verlieren. Wie schon einige am eigenen Leib hatten erfahren müssen. Er erhielt ein ausgesprochen selbstzufriedenes Lächeln, als seine Aufmerksamkeit bemerkt wurde und er konnte nicht anders als es zu erwidern. Immerhin hatte der Deutsche allen Grund, mit sich zufrieden zu sein. Denn… er würde Erfolg haben, rutschte in diesem Moment eine Erinnerung an etwas an ihren Platz, das bisher nicht geschehen war. Das Lächeln wurde ausdrucksvoller und seine Hand schien sich von allein zu bewegen, als sie sich hob, um das Lächeln nachzuzeichnen. Schneider schien etwas überrascht von der Geste, ließ ihn aber gewähren. So dass er seine Hand weiterwandern ließ, hin zu den sandblonden Haaren, mit der festen Absicht, den Älteren zu küssen. Doch als er Schneiders Wange streifte, hielt er inne, denn diese fühlte sich regelrecht klamm an. Braune Augen verengten sich, während er einen Schritt zurücktrat und Schneider dieses Mal wirklich musterte. Es war nicht schwer, die Linien der Erschöpfung zu entdecken und es hätte ihm schon eher klarwerden sollen, statt sich hier lange Geschichten anzuhören. Schneider schien schon wieder belustigt, schüttelte leicht den Kopf. "Ich gebe zu, dass ich hungrig bin. Doch du tust gleich so, als wäre ich kurz vorm Umfallen." Er ließ sich von den Worten nicht beeindrucken. "Sie können genauso schlimm wie Schuldig sein." Der wusste manchmal auch nicht, wann man aufhören sollte. "Ich nehme an, dass Sie für heute nichts mehr hier tun können, also werden wir jetzt für etwas zu essen sorgen." Schneider quittierte seine Entscheidung mit einem Auflachen, fügte sich aber ohne Widerspruch. Einen Augenblick nachdem sie den Raum verlassen hatten, war Herr Rieger bei ihnen, so dass Schneider ein paar letzte Anweisungen loswerden konnte, ohne dass es ihren Abschied lange hinauszögerte. "Der Mann ist derzeit bewusstlos. Lassen Sie ihn in Ruhe, bis ich wieder zurückkehre. Sie können ihm gerne etwas zu essen und zu trinken zur Verfügung stellen, ansonsten beschränken Sie aber jeden Kontakt auf das Minimum. Ich möchte nicht, dass er irgendwie beeinflusst wird. Demnach auch keine weitere Arbeit an seinen Schilden, das könnte meine Bemühungen zunichte machen. Ich werde morgen zurückkehren und dann sollte er soweit sein, uns seine Geheimnisse zu verraten." Letzteres mit einem schmalen Lächeln. "Verstanden", deutete Herr Rieger eine Verbeugung an. Und anders als er selbst erlaubte sich der Ältere keine Nachfragen, auch wenn er dessen Neugier direkt zu spüren glaubte. Dann gab es nichts mehr, was sie länger aufhalten würde, insbesondere schien Stephan nicht vorzuhaben, Schneider unter die Augen zu treten. Frau Jäger erbot sich daher, sie zum Hotel zu fahren, doch der Deutsche lehnte höflich ab. Den Grund dafür erfuhr er, als sie sich zusammen vor dem Haus wiederfanden. "Herr Hoffmann hat sich nützlich gemacht und mir die Adresse für ein gutes Restaurant geschickt. Er scheint genauso wie du darauf aus zu sein, meinen Energiepegel oben zu halten." Er hob eine unbeeindruckte Augenbraue. "Und warum genau können wir nicht einfach im Hotel essen?" Das hätte immerhin den Vorteil, dass es dann nur wenige Meter bis zur Suite wären und Schneider unmittelbar schlafen gehen könnte. "Crawford, ich sollte wohl am besten einschätzen können, ob ich Ruhe benötige. Und anscheinend hat Herr Hoffmann inzwischen das Hotelessen probiert und ist der Meinung, dass man besseres haben kann." Schneider wirkte eher belustigt als genervt, als ihm das erläutert wurde, griff dann nach seinem Handgelenk und zog ihn näher an sich heran. Und dann wurde er geküsst. Am Ende war er es, der von dem anderen gehalten wurde, zu sehr damit beschäftigt, zu Atem zu kommen. "Das musste nun wirklich nicht sein", meinte er leise, nachdem er wieder in der Lage dazu war. "Ich dachte, das würde dich am schnellsten überzeugen", wurde ohne Reue erwidert und dann setzte sich Schneider in Bewegung, so dass er ihm gezwungenerweise folgen musste. Erst nachdem sie etwas Abstand zu dem Haus gewonnen hatten, stoppte Schneider wieder und rief ihnen ein Taxi. Zweifelsohne stammte die Nummer auch von Herrn Hoffmann. Schneider warf ihm einen prüfenden Blick zu, bevor dessen Mundwinkel kaum merklich zuckten. Und erst da fiel ihm auf, von welcher Unterströmung sein letzter Gedanke begleitet worden war. Mit Mühe hielt er die Hitze aus seinen Wangen, die in ihm aufsteigen wollte, erwiderte Schneiders Blick etwas unwirsch. Mehr verärgert mit sich selbst als alles andere, doch das würde er ganz sicher nicht zugeben. Jetzt weiteten sich die Mundwinkel in ein vollwertiges Lächeln, doch Schneider tat ihm den Gefallen, ihn nicht darauf anzusprechen und dann kam zu seinem Glück auch schon das Taxi, das anscheinend ganz in ihrer Nähe gewesen war. Bei dem Restaurant handelte es sich um einen Italiener, was ihn unwillkürlich mit Belustigung erfüllte. Woraufhin er kurz den Blick eisblauer Augen auf sich ruhen spürte. Doch erst nachdem sie zu ihren Plätzen geführt worden waren und der Kellner davongeeilt war, neigte Schneider fragend den Kopf. Er hob kurz den Blick von seiner Karte und in seinem Lächeln lag immer noch Amüsement. "Es ist nur so, dass Stephan vorhin für sich Pizza bestellt hatte. Und jetzt landen wir ausgerechnet bei einem Italiener…" Die Belustigung spiegelte sich in Schneiders Miene, als dieser den Kopf schüttelte. "Der wäre sicher beleidigt, wenn er diesen Vergleich hören würde. Ganz davon abgesehen sind wir nicht hier, um Pizza zu essen, wenn sie die überhaupt auf der Speisekarte haben." "Haben sie nicht", gab er zu. "Dafür einige andere interessante Sachen." Es lief darauf hinaus, dass Schneider ihn die Speisen auswählen ließ, selbst aber den Wein zu den verschiedenen Gängen bestellte. Und da das Restaurant darauf bedacht war, jedem seiner Gäste ausreichend Privatsphäre zu bieten, hatte Schneider keine Probleme damit, ihn auf den neuesten Stand zu bringen. Nachdem sie am Tag zuvor eher persönliche Themen am Wickel gehabt hatten… Nachdenklich tauchte er Weißbrot in das Olivenöl, während er etwas von der Antipasti-Platte auswählte. "Sagen Sie, warum arbeiten Sie eigentlich noch von der Schule aus?" Anders als die Ältesten, deren Aufenthaltsort niemand gekannt hatte. Und damit auch nicht auf dumme Ideen hatte kommen können. "Nun, ein ziemlich offensichtlicher Grund sollte dir schon klargeworden sein." "Natürlich, sonst hätten Sie mir schwerlich von den neuesten Entwicklungen auf Rosenkreuz berichten können", gab er zu. Und es hatte Änderungen gegeben, auch wenn das nie Schneiders Hauptziel gewesen war. "Aber ist das nur für die Übergangszeit, bis sich alles eingeschliffen hat?" Schneider legte für den Moment die Gabel aus der Hand, stützte das Kinn auf seiner Hand ab und musterte ihn überlegend. "Willst du mich jetzt plötzlich in Watte packen und von dort weghaben?" "Nein!", wehrte er automatisch ab, runzelte dann aber die Stirn, weil das nicht besonders überzeugend geklungen hatte. Und dann dachte er noch einmal darüber nach, wonach er dem älteren Mann ein schwaches Lächeln schenkte. "Vielleicht bin ich einfach nur der Ansicht, dass die Methode der Ältesten so dumm nicht war." Eine Augenbraue wanderte nach oben. "Solange man vom Ergebnis absieht, nicht wahr?" "Das zählt nicht, schließlich gibt es nicht nochmal jemanden wie Sie." "Hm, ich fühle mich geschmeichelt, Crawford." Aus irgendeinem Grund entfachte Schneiders Lächeln Hitze in ihm, weswegen er froh war, als der Deutsche weitersprach. "Aber du scheinst zu vergessen, dass du wahrscheinlich auch Erfolg gehabt hättest." Das hätte er früher vielleicht einmal geglaubt, doch heute wusste er, wie sehr Schneider ihn beschützt hatte. Weswegen er jetzt nur den Kopf schüttelte. Schneider benötigte keine Worte, um ihn zu verstehen und Amüsement trat in die eisblauen Augen. Der Ältere nahm ein paar Bissen von seiner Pasta, gab sich aber nicht so einfach geschlagen. "In dem Fall kann ich dir auch ganz einfach dein eigenes Argument entgegengehalten. Denn es sollte mir nicht schwerfallen, auf mich selbst aufzupassen, wenn du mich für so konkurrenzlos hältst." Und bevor er darauf etwas erwidern konnte, wurde Schneider ernster. "Ich bin der Ansicht, dass es die beste Strategie ist, einen steten Kontakt zum Nachwuchs zu haben. So kann ich Fehlentwicklungen schnell entgegensteuern und habe die größte Chance zu merken, wenn jemand etwas zu sehr von seinem eigenen Talent beeindruckt ist und Pläne zu schmieden beginnt." Das war… überzeugender. Und nicht nur eine Beschwichtigung. Selbst wenn er nicht sagen konnte, woher seine Argumentationsfreudigkeit plötzlich gekommen war, musste er zugeben, dass Schneider als Telepath tatsächlich ausgesprochen erfolgreich sein sollte mit dieser Methode. Er hatte damals im Japan-Büro schließlich selbst Zeuge sein können, wie gut der Ältere sein Talent für solche Aufgaben einsetzen konnte. Und mit einem – wenn auch etwas widerwillig ausfallenden – Nicken gab er Schneider Recht. Der daraufhin wieder lächelte. "Weißt du Crawford, trotz aller logischen Argumente, habe ich einen ganz einfachen Grund für meine Entscheidung dauerhaft von der Schule aus zu arbeiten. Ich habe ganz einfach nicht vor, mich so weit von unserer eigentlichen Arbeit zu entfernen wie die Ältesten. Sie schienen völlig vergessen zu haben, woher sie kamen." Und das ließ auch ihn lächeln. ~TBC~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)