High Angle – B-Side von Atsusa ================================================================================ Kapitel 28: Diogenes gegen Sting -------------------------------- Ein Sturm tobte. Blitze zuckten grell über den pechschwarzen Nachthimmel und fast zeitgleich grollte der Donner. Der Wind heulte und türmte die Wellen meterhoch auf. Salziges Meerwasser vermischte sich mit dem Regen, der aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. Unbändig wurde das kleine Boot hin und her geschleudert und es war ein Wunder, dass es noch immer nicht untergegangen war. Das Feuer einer kleinen Laterne flackerte unruhig, gleich eines letzten Aufbäumens, bevor der Sturm es vollkommen zum Erlöschen brachte. Es war der einzige Fixpunkt bei diesem Höllenritt, der schier endlos andauerte. Zitternd klammerte sich seine bis auf die Haut durchnässte Besitzerin daran fest, um wenigstens ein bisschen Wärme in dieser Finsternis zu finden. Die orangeroten Strähnen klebten nass in ihrem Gesicht, das vom Fieber gerötet war. Sie wusste nicht wer sie war und wohin sie eigentlich wollte, nur dass die Reise schon viel zu lange andauerte. Mit einem Schlag war das Unwetter vorbei und die Welt lag in stiller, fahler Dämmerung. Dichter Nebel zog sich zusammen und es wurde so kalt, dass sich weißer Dampf bildete, wann immer sie stoßweise ausatmete. Wann würde es endlich ein Ende haben? Sie stellte die Laterne, die eigentlich ein rundes Glasbehältnis war, um das sich ein metallener Skorpion schlängelte, vor sich hin. Egal wie lange es dauerte und wie sehr sie dabei litt, das Feuer erlöschte nie. Ihre müden Augen spähten über den Bootsrand, doch der Nebel glich einer undurchdringbaren Wand. Während das Boot leise knarrend auf und ab schaukelte, schien sich dort in der Ferne etwas zu bewegen. Erst war es nur ein vager Umriss, doch je näher dieser kam, desto mehr konnte sie erkennen. Dunkel, schnell und bedrohlich glitt etwas Lebendiges knapp unter der Wasseroberfläche an das kleine Boot heran und umkreiste es mehrmals. Nur die aufgerichtete Rückenflosse, die aus dem Wasser hinausragte, zeigte, dass es sich um einen Hai handelte, der zielsicher sein Opfer anvisierte. Sie griff nach der Laterne und hielt sie abwehrend vor sich. „Verschwinde! Hau endlich ab!“, rief sie, doch ihre panische Stimme verhallte im Nirgendwo. Mit zitternden Beinen stand sie auf und wedelte mit dem Licht hin und her, doch es war zu spät. Der Hai sprang aus dem Wasser empor, ließ seine spitzen Zähne blitzen und zerstörte mit einem einzigen Bissen die Laterne. Das Feuer breitete sich aus und hüllte sie ein. Schmerzen, brennende Schmerzen, besonders an den Händen. Auch in ihren Lungen breitete sich die Hitze aus und machten ihr das Atmen unmöglich. Panisch schlug sie um sich, doch es war zu spät... Wendy bäumte sich auf und rang nach Luft. Schweiß tropfte von ihrem Kinn, als sie sich mit schreckgeweiteten Augen umsah. Es war noch früh am Morgen und das Licht fiel schummrig durch die geschlossenen Fensterläden ihres Zimmers, so dass alles nur schemenhaft zu erkennen war. Sie fasste sich an den Kopf und strich die feuchten orangeroten Haarsträhnen aus der Stirn, dann senkte sie die Arme und blickte auf die vernarbten Hände, die erneut zu schmerzen begonnen hatten. „Nur ein Traum...“ Sie ließ sich wieder ins Kissen fallen und starrte die Decke an. Sie wusste ganz genau, was dieser Traum zu bedeuten hatte. Wusste, dass sie genauso überrannt werden würde, wenn sie Stings Feuer nicht besser zu kontrollieren lernte. Langsam schweifte ihr Blick zu den Fotos an der Wand. Sie seufzte langgezogen, als sie ein altes Gruppenbild aus der Zeit der Mittelschule betrachtete. „Eigentlich hab ich so gar keinen Bock darauf, mich mit dir zu streiten...“ Der jüngere Vald an der Wand grinste sie an. „Aber habe ich eine andere Wahl? Solange du es nicht begreifst, hat es sowieso keinen Zweck.“ Seit der Party war eine Woche vergangen. Inzwischen war es Mai geworden und die Luft war so getränkt von Gräser- und Baumpollen, dass Angelo vor Schnupfen kaum noch atmen konnte. Trotzdem hatte er sich wie immer dazu bereiterklärt am heutigen Tag den Schiedsrichter im Drachenduell zwischen Costas und Wendy zu übernehmen. Heute war nämlich ein besonderer Tag: der neue Kite-Ring hinter der Schule war endlich fertig geworden und konnte eingeweiht werden. Vorbei war die Zeit, als sich der Club noch auf der gemähten Wiese duellieren musste. Vorbei die Wochen, in denen die Wiese zu einer Sandgrube wurde, in der sie Beachvolleyball gegen den Tennisclub gespielt hatten. Vorbei, damit nun etwas Neues seinen Anfang nehmen konnte, das sie alle einen großen Schritt näher in Richtung professioneller Drachenkämpfe bringen sollte. Doch zunächst einmal herrschte Verwunderung. Skeptisch standen die Kite Knights auf dem runden Kreis und fühlten prüfend den Kunststoffbelag, der im Grunde dem einer Leichtathletikanlage entsprach. „Noch jemand, der das irgendwie unangenehm findet?“ Wendy verschränkte die Arme und kräuselte die Stirn. Auf so einem harten Untergrund hatte man sicher keinen so guten Stand wie auf einer federnden Wiese oder einem rauen Schotterplatz. Sie ging in die Knie und fühlte mit den Fingerspitzen den grünen Belag. Ganz sicher würde ein Duell bei Regen zu einer Rutschpartie werden, geschweige denn von dem erhöhten Verletzungsrisiko durch die Härte des Bodens. „Ist ganz schön groß, so ein Kampfring, nie?“ Zeph hörte sich ganz und gar nicht begeistert an. Er, der ohnehin schon nicht der beste Läufer war, sollte sich also auf dem Feld zurechtfinden? Am Ende stand er doch sowieso wieder nur in einer Ecke und wartete darauf, dass seinem Gegner von ganz allein die Puste ausging. Costas, der gerade dabei war seinen senfgelben Krokodildrachen namens Diogenes zusammenzustecken, hob schmunzelnd den Kopf und zwinkerte. „Das kommt dir jetzt zwar noch groß vor, aber am Ende wirst du dich ziemlich eingeschränkt fühlen. Darauf würde ich sogar einen Zehner verwetten, wenn ich einen hätte!“ Angelo schnäuzte sich laut. „Die Markierungen entsprechen der offiziellen Norm der Weltmeisterschaft und teilen den Kreis, dessen Durchmesser 25 Meter beträgt, in drei Bereiche.“ Balotelli, der den Verband wieder gegen sein lachsfarbenes Stirnband eingetauscht hatte, stimmte ihm nickend zu. „Der äußere Ring mit einer Breite von 2,5 Metern ist ausschließlich für die Lift-Phase vorgesehen, damit keiner der Kontrahenten sich zu Beginn eine vorteilhafte Duellposition sichern kann.“ Er nahm seine Brille ab und wischte sich die Tränen aus den vom Heuschnupfen geröteten Augen. „Das eigentliche Duellfeld beträgt im Grunde also nur 20 Meter im Durchmesser.“ Erstaunen ging durch die Teammitglieder. Alle traten in den Kreis hinein und prüften noch einmal ihr räumliches Empfinden. „Doch das ist noch nicht alles“, fuhr Angelo fort und musste sich schon wieder die Nase putzen, „ein Duell ist auf 15 Minuten beschränkt, wobei die letzten fünf Minuten nur der innerste Kreis benutzt werden darf.“ Er deutete auf die Mittelfläche, die noch einmal 10 Meter weniger Durchmesser hatte. Wendy lachte nervös. „Du verarschst uns doch, oder?“ Zeph stellte sich neben sie und stimmte ihr langsam nickend zu. „Geht nicht, ist viel zu klein, kann man nicht gut ausweichen, nie?“ Costas verband die Führungsleinen mit dem Drachengerüst und wickelte einen Teil der Schnüre ab. „Das ist ja auch der Sinn der Sache.“ Während er grinste, verengten sich seine schwarzbraunen Augen zu Schlitzen, was ihm einen schelmischen Gesichtsausdruck gab. „Je weniger Platz man hat, desto mehr trifft man aufeinander. Und das sollte doch eigentlich auch der Sinn eines Duells sein, nicht wahr?“ Er nahm eine Drachenspule in jede Hand und klemmte sich den Drachen unter den rechten Arm. Von ihm aus konnte das Duell gegen Wendy also losgehen, doch hatte diese gerade erst angefangen ihren pinken Drachen aus der Tragetasche zu holen und auszuklappen. „Ist nach 15 Minuten immer noch keine Entscheidung erzielt, erfolgt eine zweite Runde, die gleich im Hauptkreis gestartet werden darf, um durch die unberechenbaren Kampfpositionen ein schnelleres Erreichen eines Sieges zu erzwingen.“ Diesmal musste Angelo die laufende Nase hochziehen, weil er gerade dabei war, auf den Schiedsrichterturm zu steigen. „Dieser Turm hier...“, fuhr er oben angekommen fort und holte die Clubfahne hinaus, „ist im Übrigens stets auf der Nordseite des Spielfeldes, damit der Schiedsrichter nicht im Gegenlicht steht und von beiden Piloten klar wahrgenommen werden kann“. Zeph hörte schon fast nicht mehr zu und bohrte in der Nase, soviel Neuerungen wurden ihm heute publik gemacht. Doch Neil, der seit der Party ohnehin an Angelos Lippen hing, nickte immer wieder begeistert. „Zuletzt noch folgendes.“ Er deutete nach oben. „Die Windfahne über dem Schiedsrichterturm zeigt die aktuelle Windrichtung. Diese legt die Startpunkte der Kontrahenten fest: immer rechtwinklig zum Wind auf gegenüberliegenden Seiten des Rings, damit niemand einen Vorteil in der Lift-Phase hat. Und die acht Markierungen am äußeren Ring entsprechen selbstredend den Himmelsrichtungen.“ Balotelli klatschte in die Hände. „Perfekt auf den Punkt gebracht! Gibt es noch Fragen, meine werten Freunde?“ Niemand rührte sich. Wendy hatte Sting fertig aufgebaut und überprüfte noch einmal den Sitz ihrer Handschuhe, dann begab sie sich auf die Startmarkierung, die ihr die Windfahne vorgab. Auch wenn sie schlecht geschlafen hatte, war sie doch seltsam ruhig. Was sollte auch schon passieren? Es gab weder eine Bombendrohung noch einen aggressiven Japaner – Mann, was würde sie dafür geben mal wieder Rührei und Speck zu essen, die Hayate gebraten hatte – der in ihrer Seele bohrte, noch hatte sie Angst davor, sich wieder zu verbrennen. Natürlich fragte sie sich, wie wohl der Kampf ausgehen würde, hatten sich alle am Jahresende doch das Video von der Weltmeisterschaft angesehen, in welchem man Costas in Aktion sehen konnte. Sie wusste, dass es nicht leicht werden würde, denn auch Balotelli hatte ihr gesagt, dass sie wahrscheinlich keine Chance hatte. Und doch... wollte sie es irgendwie versuchen, ob sie nicht doch gewinnen konnte. Immerhin war Costas ein – nett ausgedrückt – kräftig gebauter Mann, der nicht gerade den Eindruck erweckte besonders stark oder schnell zu sein. Wendy war sich sogar ziemlich sicher, dass sie deutlich schneller war. Und das musste sie ausspielen, bevor sein Kirit sie zermalmte. „Alles bereit?“ Angelos Stimme hallte laut über den Platz, als hätte man im Schiedsrichterturm ein Megafon eingebaut. Er streckte den Arm aus und hob die Fahne. In der anderen Hand hielt er eine Stoppuhr. „Normale Windgeschwindigkeit, 20 Sekunden Lift-Phase. Das Duell beginnt in 3, 2, 1... LOS!“ Die Fahne sauste nach unten und er startete den Countdown. Sofort sprintete Wendy los, den Drachen links hinter sich herziehend, auf der runden Bahn. Sie war es nicht gewohnt einen Halbkreis zu laufen, doch kompensierte dies die Erfahrung, die sie sich im letzten Jahr angeeignet hatte. Ohne große Probleme stoppte sie im rechten Moment, schwang die Arme herum und rief „LIFT 'EM UP!“, als sich der Luftstrom unter den Skorpiondrachen legte. Auch Costas verfolgte eine ähnliche Strategie, doch variierte er den Anlauf, indem er den Drachen komplett blind hinter seinem Rücken führte und dann die Arme nach oben schleuderte, als der Gegendruck stark genug war. Angelo nickte bestätigend und stellte nun 15 Minuten Duellzeit auf der Stoppuhr ein. Er schien zwar immer noch nicht sonderlich beeindruckt, doch war er innerlich angespannt, ob beide die volle Zeit ausreizen würden oder sich das Duell noch im großen Ring entscheiden würde. Costas rückte mit beiden Daumen seinen Anglerhut zurecht und nickte Wendy einladend zu. „Ladies first, würde ich mal sagen!“ Diogenes schaukelte ruhig im Wind und wedelte mit dem Schwanz, der ebenso eine Windfahne war wie der Stings. „Tse!“ Wendys Blick wurde ernster. „Ich hoffe nur, dass es dir am Ende nicht leid tun wird, mir den Vortritt gelassen zu haben.“ Ihre Hände umgriffen die Drachenspulen fester. „Ich mache nämlich gleich ernst! Los geht’s!“ Sofort schossen lodernde, pinke Flammen aus ihren Fäusten und flitzten einer Zündschnur ähnlich die Drachenleinen nach oben. Während Wendy bereits Anlauf nahm und direkt auf Costas zustürzte, manifestierte sich der kleine Skorpion Sting oberhalb des Drachen und ließ seine Augen rot aufglühen. Costas lächelte nur verschmitzt und machte einen großen Ausfallschritt nach vorne. „Komm nur, ich bin bereit!“ Sein ganzer Körper spannte sich an, bereit den ersten Schlag des gegnerischen Drachen abzufangen. So schien es zumindest. Sting, der sich inzwischen in eine lodernde Kugel verwandelt hatte, sauste durch Wendy gezieltes Abbremsen und Ausweichen herab und beschrieb eine Bahn, die Costas Drachen Diogenes voll erwischen, wenn nicht sogar in Brand stecken würde. Es war eine Attacke wie aus einem Bilderbuch. Näher, immer näher kam das Inferno, doch Costas machte noch immer keine Anstalten sich zu bewegen. Gleich, noch eine Millisekunde, dann würde Sting einschlagen. Doch... Nichts geschah. Der Schlag wurde durch eine unsichtbare Wand abgebremst. Wendy geriet ins Straucheln, taumelte ein paar Schritte vorwärts und drehte sich dann wieder um. Was war da gerade passiert? Costas Grinsen wurde breiter. „Hast du gedacht, dass ich gar nichts mache?“ Die Rothaarige brummte enttäuscht und trat ein paar Schritte zurück, bis sie am Rande der Markierung stand. Oh Mann, das schränkte ja doch etwas ein! Aber wie hatte er das gemacht? Diogenes war doch im Video ein riesiges Krokodil gewesen und kein unsichtbares Hindernis! „Willst du es nochmal versuchen?“ Der dicke Grieche machte eine einladende Geste, so gut es mit einer durch eine runde Drachenspule gesteckten Hand ging. Wendy fühlte sich provoziert. „Na warte...“ Erneut schickte sie eine Feuersalve in den Drachen und stürmte auf Costas zu, entschied sich diesmal aber dafür nicht einen Angriff auszuführen, sondern Sting ähnlich eines Meteoritenschauers auf Diogenes einschlagen zu lassen. Funken stoben in alle Richtungen davon, doch keine einzige Attacke traf, so dass Wendy wieder unverrichteter Dinge abbrechen musste und sich zurückzog. Langsam wurde ihr schummerig vor den Augen und sie spürte die Müdigkeit in sich aufsteigen. Sie wusste, dass sie eigentlich sparsam mit ihrer Kirit-Energie umgehen sollte, aber wenn sie selbst damit nicht durchkam, wie sollte sie es dann erst mit normalen Attacken schaffen? „Was denkst du gerade, Wendy?“, fragte er sie mit entspannter Miene und trat ein paar Schritte in den Ring hinein. Die Angesprochene kräuselte die Lippen. „Ich verstehe nicht, wieso ich nicht an dich herankomme, obwohl dein Kirit nicht mal draußen ist. Kannst du Telekinese oder was?“ Das brachte Costas dann noch zum Lachen. Er schüttelte sich dabei so sehr, dass sich jede Bewegung auf den Krokodildrachen übertrug. „Ich glaube, du guckst bloß nicht richtig hin, Wendy! NATÜRLICH habe ich die ganze Zeit schon meine Kirit-Energie fließen lassen?“ – „Hä?“ Erstaunt hob die Rothaarige eine Augenbraue. Die Pupillen, die eben noch vor Müdigkeit größer geworden waren, wurden wieder klein, so dass ihre hellgrüne Iris stechend wie immer aussah. Moment mal. Der verarschte sie doch gerade, oder? Sie kniff die Augen zusammen und sah den senfgelben Drachen an, der dort oben am strahlend blauen Himmel schwebte. Erst erkannte sie nichts, doch dann, als eine stärkere Windböe aufkam, konnte sie den leichten Sandschleier erkennen, der sich wie ein schützender Kokon um das Krokodil gelegt hatte. „Ha! Da hat sich der Magier jetzt aber selbst entzaubert!“, grinste Wendy. „Wenn das so ist, dann greife ich eben dich direkt an! Los Sting, Flammenpeitsche!“ Der Skorpion-Kirit verschmolz mit dem Drachen und startete einen Sturzflug. Schneller, immer schneller sauste er auf Costas zu, um schließlich abzudrehen und mit loderndem Schwanz auf sein Opfer einzuschlagen. Ein lautes Brüllen erklang. Bevor Sting auch nur einen Treffer landen konnte, verdichtete sich der Sand vor Costas Körper und gebar einen Kirit, wie ihn der gesamte Drachenclub noch nie gesehen hatte. Mächtig und monströs baute sich Diogenes vor seinem Piloten auf und schnappte mit seinem riesigen Gebiss zu. Wendy schrie vor Schmerz, als sich die Kraft des Bisses durch Sting auf sie übertrug. Zum Glück war das Feuer immateriell, sonst hätte das Krokodil einen Stück des Drachen abgebissen. So strauchelte Sting nur ein bisschen und nahm dann eine Position in sicherer Entfernung auf. Costas nickte zufrieden und setzte seinen Kirit in Bewegung. Diogenes war so schwer mit Sand aufgeladen, dass jeder seiner Schritte einem Erdbeben gleich kam. Und als wäre dies nicht schon genug gewesen, braute sich ein Sandsturm zusammen. Wendy musste die Augen zukneifen. Sand wehte durch die Luft und ließ ihre Augen tränen. Jeder Schritt des Krokodils brachte sie ins Wanken und der neue Hartgummiboden des Kampfrings war ihrer Balance nicht wirklich zuträglich. Bald war der Sandschleier so dicht, dass sie nur noch die gelb glühenden Augen des gegnerischen Kirits sehen konnte. Konnte das wirklich sein, dass sie so schwach war? Dass zwischen ihr und einem Profi so eine riesige Lücke klaffte? Sie blickte nach unten und musste erschreckt feststellen, dass Costas sie schon bis an den Rand des Rings getrieben hatte. Und die bedrohlichen Augen kamen näher und näher... „Wendy, gib nicht auf!“ Wer rief denn dort durch den Wind hindurch? „Bellissima, si, streng dich an!“ Wie denn bitte, wenn sie kaum noch sehen konnte, wo ihr eigener Drachen gerade schwebte? „Er sieht dich genauso wenig wie du ihn!“ Neil? Der wusste doch am allerwenigsten, mit was sie sich gerade herumschlug. Oder vielleicht doch? Im gleichen Maße, wie sich ihr Blick verfinsterte, nahm auch das Grinsen in ihrem Gesicht zu. Nein, noch war es nicht vorbei, denn so stark wie Diogenes auch war, so träge bewegte er sich auch. Costas war sicher genau jetzt ziemlich damit ausgelastet, das große Krokodil zu kontrollieren. Und das würde ihr eine Chance geben, ganz sicher! Wendy nahm all ihre Energie zusammen und schickte sie portionsweise zum Himmel. Erst eine Feuerkugel, dann eine zweite, eine dritte und eine vierte, die erst über ihr schwebten, dann aber wie ein Komet herabstürzten. Gleichzeitig nahm sie Anlauf, rannte und rannte, immer die Markierung im Blick, bis sie schließlich hinter Costas angelangt war. Jetzt nur noch einmal die Flammenpeitsche, und dann... Eine Druckwelle fegte sie von den Füßen. Diogenes war einmal kurz hochgesprungen und ließ die Erde bei der Landung so heftig erzittern, dass Wendy davon geschleudert wurde. Alles drehte sich. Sie wusste nicht mehr wo oben und unten war. Sand überall, der heulende Wind und Sting, der erst noch unruhig auf und ab tanzte, dann aber aus ihren Händen glitt. Schließlich blieb sie mit dem Gesicht nach unten auf der Wiese liegen. Sie spuckte Gras. Mann, war das enttäuschend! Sie hatte ihn doch fast erwischt! Der Sandsturm verzog sich. Costas holte seinen Drachen ein und ging dann zu Wendy, um ihr aufzuhelfen. Sie schmollte und ließ die Schultern hängen, doch ergriff sie die ihr hingestreckte Hand und stand auf. Costas packte sie bei der Schulter und klopfte mehrmals anerkennend darauf, um sie etwas aufzuheitern. „Das war echt nicht schlecht, Wendy!“ Er hob den Daumen. Der Rest des Clubs bildete einen Halbkreis um sie und nickte. „Und warum habe ich dann nicht gewonnen? Dann bin ich zwar nicht schlecht, aber auch nicht gut!“ Balotelli reichte ihr ein Handtuch und einen Energydrink. „Bellissima, wie lange gehen Sting und du nun gemeinsame Wege?“ Die Dose gab beim Öffnen ein zischendes Geräusch von sich. Sofort nahm Wendy einen großen Schluck von der süßen Koffeinbrause. „Ein halbes Jahr...“ Er konterte ihren mürrischen Gesichtsausdruck mit einem freundlichen Lächeln. „Siehst du, Costas hier hat einfach viel mehr Erfahrung, so etwas passiert einfach, ma si!“ – „Stimmt nicht.“, unterbrach ihn der Grieche und schüttelte den Kopf. „Es liegt nicht an der Stärke deines Kirits, Wendy. Es liegt viel mehr daran, dass du zu langsam bist.“ Wendy blinzelte verdattert. „Wie bitte?“ Auch die anderen waren von Costas' Urteil mehr als nur überrascht. „Aber ich bin doch schon die Schnellste des Clubs! Du meinst bestimmt, dass ich zu schwach bin!“ Doch der dicke Typ, der nie seinen Anglerhut abnahm, verneinte. „Du wirst durch weiteres Training so oder so an Körperkraft gewinnen. Doch was Schnelligkeit angeht... musst du einfach übermenschlich werden.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)