Mondgeflüster von Lilithen ================================================================================ Kapitel 2: Spielbeginn ---------------------- Noch immer erfüllte das leise Schluchzen der jungen Frau den Raum, während er einfach nur da stand und ihr die Zeit gab, die sie brauchte um sich wieder zufassen. Kakashi konnte nur erahnen was sie durchgemacht hatte, aber was es auch gewesen sein mag, es hatte sie gebrochen. Die abweisende Haltung zu Anfang war eine Tarnung gewesen. Eine Maske, hinter der sich die Lilahaarige versteckt hatte, hinter der sie versucht hatte stark zu wirken und sich selbst zu schützen. Eine falsche Persönlichkeit, versteckt hinter einem falschen Namen. Es war nun schon drei Jahre her, seit der Grauhaarige seinen Posten als Special Agent angetreten war, aber es nahm ihn immer noch mit. Zu sehen wie die Opfer an dem Leben, zu dem sie gezwungen wurden, nagten. Wie jeder von ihnen versuchte stark zu sein, nur um am Ende erkennen zu müssen, dass jede ihrer Bemühungen vergebens war. Diese Momente waren so emotional, dass sie auch ihn trafen. Jemanden der selbst wusste, wie dreckig und undankbar das Leben war und wie sehr andere Menschen jemanden verletzen konnten, ohne sich dessen bewusst zu sein. Langsam ging der Polizist in die Hocke, umfasste den breiten Saum des Kimonos und zog diesen wieder über die schmalen Schultern der Prostituierten, achtete dabei genau darauf, dass auch die Brust wieder hinter dem schützenden Stoff verschwand. Er wollte für Anko jemand sein, an den sie sich klammern konnte, jemand von dem sie sicher sein konnte, dass er ihr helfen würde anstatt ihre Selbstachtung und Würde Stück für Stück zu zermahlen, so wie es die anderen Männer getan hatten. Nicht, weil er eine Verbündete innerhalb dieser Gemäuer brauchte, sondern weil die Frau ihm leid tat. Beruhigend legte er seine Hand auf die schmalen Schultern vor sich, umfasste diese und spendete einfach nur Wärme. Und während er wartete, schien seine Strategie aufzugehen. Das Zittern ebbte ab und auch das Schluchzen erstarb gänzlich. „Es ist schon verdammt lange her“, kam es leise über ihre Lippen, bevor sie einen tiefen Atemzug tätigte und anschließend wieder ihren Blick hob. Ein verstimmter Ausdruck schlich sich in ihre Mimik, als sie an seinem Mundschutz hängen blieb. „Du willst meine Hilfe?“, schwungvoll hob Anko ihre Brauen, „Nimm diese Maske ab, wenn du hier bist.“ Bevor er auch nur versuchen konnte zu protestieren, hatte die junge Frau auch schon das Stück Stoff herunter gezogen. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen ihnen aus, so einnehmend, dass der Grauhaarige für einen Moment befürchtete, er könne den verdutzten Wimpernschlag der Prostituierten hören. „Ich hatte eigentlich damit gerechnet unter diesem Ding noch mehr Narben zu finden, aber …“, kurz hielt sie inne, huschte mit ihrem Blick zu der länglichen Narbe an seinem Auge und dann wieder zurück zu seinen Lippen, „Das ist eine sehr angenehme Überraschung.“ Deutlich konnte der Polizist die Röte auf den leicht gebräunten Wangen erkennen, etwas, was seine Mundwinkel dazu brachte sich zu einem sanften Lächeln zu heben. „Danke für das Kompliment, aber ich denke, dass ich mich mit diesem Ding wohler fühlen werde.“ Noch bevor der Grauhaarige zu Ende gesprochen hatte, schnellte sein Griff nach vorn. Aber die junge Frau war schneller. Hastig wich ihre Hand dem Griff des Mannes aus. „Nun, womit kann ich denn behilflich sein?“, wurde die ablenkende Frage an ihn gerichtet. Noch kurz schenkte er dem weißen Stoff in ihren Fingern Beachtung, ehe er sich wieder auf seine Arbeit konzentrierte. „Ich bin-“ Forsch wurde er unterbrochen. „Stopp! Keine Namen.“ Ein schelmischer Ausdruck schlich sich in die braunen Augen und ihre Stimme nahm einen anderen, nachäffenden Tonfall an, „Wir wahren Diskretion, mein Herr“, empört richtete sie ihre imaginäre Brille und brachte den Polizisten damit zum Schmunzeln. Kakashi musste zugeben, dass die Lilahaarige den Ton, ja sogar den erschrockenen Blick von Karin, sehr gut getroffen hatte. Allerdings war er nicht hier um seiner Vergnügung zu erliegen und das wurde wohl auch Anko klar. Sie erhob sich und schritt auf die kleine Kommode am Ende des Zimmers zu. „Du willst dafür sorgen, dass der Laden dicht macht. Das war mir schon klar, als du Orochimaru erwähnt hast.“ Ein Rascheln, gefolgt von einem lauten Knall und die nächste Schublade des Möbelstückes wurde geöffnet und durchsucht. „Orochimaru hat es noch nie gemocht, wenn er etwas das er so sehr begehrt, nicht sein Eigen nennen kann. Ah, hier ist er ja.“, beendete Anko ihre Ansprache und ließ sich auf den Diwan zu ihrer rechten nieder, ehe sie Kakashi zu sich winkte. Er zögerte nicht einen Moment, als er sich aus der Hocke erhob und sich auf das weiche Polster sinken ließ. „Also“, geschickt glitten ihre Finger in die Brusttasche seines Hemdes, besahen sich den frischen Ausweis , ehe sie ihn wieder zurück gleiten ließ, „Nummer 488, stellen mir eine Frage und ich werde sehen, was ich tun kann.“ Gerade als Anko dazu ansetzte ihre Finger durch sein Haar gleiten zu lassen, fuhr ein unheimlicher Ruck durch seinen Körper. Ihm wurde schwarz vor Augen. Verschwunden war das angenehm weiche Polster unter seinem Gesäß, ebenso der süßlichen Geruch der Prostituierten. Das einzige was er noch registrierte, war ein unangenehmer Druck an seinem Oberarm und eine Stimme, die seinen Namen rief. Wieder ging ein Ruck durch seinen Körper, schärfte seine Sinne weiter. Er konnte die Stimme, die seinen Namen rief, nun eindeutig als männlich identifizieren. Nur schleppend gewannen seine Sinne die Oberhand. Er war sich nicht einmal sicher, ob er das auch wirklich wollte. Aber der Grauhaarige musste wohl, denn der Druck wurde mittlerweile schmerzhaft und die Stimme energischer. „Pain kommt!“ Heftig fuhr der Hatake zusammen. Blitzartig schlug er seine Lider auf, verdrängte das stechende Gefühl in seinem Kopf, als das grelle Neonlicht auf seine Netzhaut prallte und setzte sich aufrecht hin. Es dauerte einen Moment, bis er gänzlich realisiert hatte, was genau passiert war. Es war offensichtlich, dass er sich nicht mehr bei Anko befand und als die Mischung von frischem Kaffee und abgestandenen Zigarettenqualm an seine Nase drang, wusste er auch warum dem so war. Mit einem resignierten Seufzten lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, ließ seine Arme schlaff herunter hängen und sah dann in die dunklen Iriden seines Partners. „Du bist schon wieder eingeschlafen.“, setzte Itachi an, „Wann hast du das letzte Mal wirklich geschlafen?“ Anteilslos wanderten seine Augen von dem Langhaarigen zu seinem Schreibtisch und wieder zurück, wollte damit andeuten, dass er bis gerade eben noch in einem Traum gefangen war. Aber das schien dem anderen keineswegs zu genügen, denn ein vorwurfsvoller Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. „In einem Bett, Kakashi. Du hast eine Wohnung, mit einem Bett. Erinnerst du dich? Ziemlich altes Wohnhaus auch hier im ersten Bezirk, nicht einmal fünfzehn Minuten von hier entfernt.“ „Ach so, die buchen also jeden Monat Geld von meinem Konto ab“, gespielt verwundert brachte der Grauhaarige diese Worte hervor und sah dabei zu, wie sein Partner sich wieder an seinem eigenen Schreibtisch, rechts von ihm selbst, niederließ. „Ernsthaft, Kakashi, du solltest öfter nach Hause.“ „Und du solltest deine Frauengeschichten mal in den Griff bekommen. Ernsthaft, Itachi, irgendwann wirst du mal aufwachen und eine von denen hat dich ausgeraubt.“ „Verarschst du mich gerade?“ Er musste zugeben, dass seine Aussage nicht im Mindesten auf den Langhaarigen zutraf. Im Gegenteil. Es war eine Rarität, dass sein Partner jemanden mit nach Hause nahm und wenn er sich recht entsann, so war dies auch schon seit zwei Jahren nicht mehr der Fall gewesen. Itachi war, wie auch er selbst, eher der ruhige Typ. Sie kannten sich nun schon seit zehn Jahren, ein Zeitraum, in dem sie sich, ohne es selber wirklich zu bemerken, näher gekommen waren. Für den Hatake war der Braunhaarige mehr als nur ein bester Freund, er war seine Familie. Etwas, was Kakashi nie wirklich besessen hatte in seinem Leben. Obwohl es schon eine Ewigkeit her war, konnte er sich noch genau an seine Kindheit erinnern. Wie er damals von einer Pflegefamilie zu nächsten kam und schlussendlich den Stempel schwer vermittelbar aufgedrückt bekommen hatte. Er wurde in eine betreute Wohneinrichtung gesteckt, hatte dort, wie auch schon vorher bei den Familien, mit niemanden geredet, war lieber für sich allein, als sich mit den anderen Kindern zu beschäftigen. Vier Jahre war es ihm gelungen, jedweden sozialen Kontakt auf Notwendigkeiten zu beschränken und dann kam Itachi. Der Brünette hatte von Anfang an sein Interesse geweckt. Er hatte denselben Ausdruck in den Augen gehabt wie Kakashi. Leer und desinteressiert, nichts mehr vom Leben erwartend. Wie genau es dazu kam, dass sie Freunde wurden, wusste er nicht wirklich. Zu Anfang hatten sie nicht einmal miteinander geredet. Beide hatten nur zusammen gesessen, in einer Ecke, allein, schweigend, ohne den anderen auch nur anzusehen. Es war wohl so etwas wie eine unbewusste Therapie für die beiden, ein Austausch von Nähe und ein Beweis dafür, dass sie nicht alleine existierten. Etwas, was beide offensichtlich gebraucht hatten. Nach etwa einem Jahr, in dem die beiden noch immer kein Wort miteinander gewechselt hatten, bekam der Grauhaarige mit, wie sich Itachi nachts aus der Einrichtung schlich. Warum genau der Hatake so gehandelt hatte, konnte er auch heute, gut ein Jahrzehnt später, nicht mit Gewissheit sagen, aber er war ihm gefolgt. Gut eine halbe Stunde waren sie durch die dunklen Gassen von Tokio gelaufen, bevor sie einen Friedhof erreicht hatten. Kakashi musste zugeben, dass er einen Moment lang gezögert hatte, bevor er ebenfalls das Tor passierte und dem anderen weiter folgte. Und wenn er ehrlich war, so war dieser Entschluss wohl die einflussreichste Entscheidung in seinem Leben gewesen. Es war das erste und auch einzige Mal gewesen, dass er den Uchiha hatte weinen gesehen. Itachi kniete vor einem Grab, hielt die Kette um seinen Hals, welche auch heute noch sein stetiger Begleiter war, fest umschlossen. Und während er das getan hatte, stand Kakashi nur da. Er hatte sich schlecht gefühlt, als er zu verstehen begann, dass es die Grabstätte der Familie Uchiha war. Schon seit der Hatake denken konnte hatte er niemandem, von dem er sagen konnte, dass sie blutsverwandt waren. Er war ein Kind des Staates gewesen, hatte nie wirklich das Gefühl erlebt geliebt zu werden und war es gewohnt auf sich allein gestellt zu sein. Aber dieser Junge vor ihm war anders gewesen. Seine komplette Geschichte war anders. Itachi wusste wie es war geliebt zu werden, eine Familie zu haben und von dieser umsorgt zu werden. Und wie es aussah hatte er alles verloren. Langsam hatte sich Kakashi ihm genähert, sich neben ihn gekniet und ihm das Gefühl vermittelt, dass er nicht alleine war. Wie sie es beide schon so oft getan hatten. Aber dieses Mal war es anders, denn Kakashi wusste was er tat, voll und ganz. Sie hatten lange so beieinander gesessen und irgendwann fingen sie an sich zu unterhalten. Über ihre Erfahrungen. Mit dem Leben, dem Staat und dem Tod. Das laute Bedienen einer Tastatur riss ihn aus seinen Gedanken. Itachi hatte sich abgewandt und tippte, hörbar verstimmt, den Bericht über sein Verhör mit Orochimaru. Der Schwarzhaarige war mittlerweile ein fester Bestandteil in ihren Ermittlungen, auch wenn es dem Grauhaarigen nicht gefiel. Es war kein Geheimnis, dass die Geschäftsabschlüsse des Gründers der Hebi Company außerhalb des gesetzlichen Rahmens stattfanden. Aber seine Firma machte fünfzehn Prozent des Bruttosozialproduktes aus und das gab ihm eine gesonderte Stellung. Denn wenn er fallen würde, so würde dies auch sein Unternehmen und damit wäre Japan in einer finanziellen, wie auch sozialpolitischen Zwickmühle. Doch im Moment war das sein geringstes Problem. Der Grauhaarige war nun schon seit drei Monaten Gast im Freudenhaus Himitsu und er hatte keinerlei nennenswerte Fortschritte gemacht. Ein frustrierter Laut kam über seine Lippen, als er an das vergangene Gespräch mit Anko dachte. „Du willst wissen, wo du findest wonach du suchst?“ Ein neckisches Grinsen schlich sich auf die feinen Lippen von Anko. „Dann sorge dafür, dass sie dich einladen, dass Karin dich einlädt.“ Fest umfasste sie das Kinn des Grauhaarigen und sah ihm eindringlich in die Augen, „Schenke ihr ein Lächeln, mach ihr Komplimente. Brenne dich in ihre Gedanken und dann, wenn sie schon fast abhängig von deiner Freundlichkeit ist, ignoriere sie“, bestimmend fuhr sie fort, „spiel mit ihr, zeig ihr, dass dich deine Besuche langweilen, dass sie dir keinen Reiz mehr geben und dann sag ihr, dass du deine Mitgliedschaft aufgeben willst.“ Ruckartig richtete sie sein Gesicht in Richtung des Handspiegels, den ihre freien Finger fest umschlossen hielten. „ Du musst jemand werden, den Karin nicht gehen sehen will. Du musst dafür sorgen, dass sie dich mag und zwar so sehr, dass sie ihre heiß geliebte Diskretion vergisst. Und glaub mir, mit deinem Gesicht wirst du in Monaten das schaffen, was andere Jahre kostest.“ Und genau das hatte er den gesamten Winter über getan. Jedes Mal, bevor er ins Himitsu ging, hatte er seine Maske abgenommen und war Karin mit einem Lächeln entgegen getreten. Hatte ihr Komplimente gemacht und ganz zufällig ihre Hand gestreift, als sie gemeinsam seinen Buchungsplan für Hitomi durchgegangen waren. So lange, bis seine bloße Anwesenheit ausreichte, um ihr die Röte ins Gesicht zu treiben. Und ab dem Zeitpunkt hatte er begonnen die Rothaarige weitestgehend zu ignorieren. Es erstaunte ihn jedes Mal aufs Neue, wie angestrengt die Rezeptionistin versuchte seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Es war offensichtlich, dass Anko mit ihren Worten recht behalten hatte, aber der nächste Schritt war bedeutend. Er konnte es sich nicht erlauben, dass der letzte Zug nicht klappte, dass Karin ihm heute nicht das Angebot unterbreiten würde, auf das er hoffte. Kakashi spürte, wie seine Hände feucht wurden. Er wollte endlich wissen, wohin ihn diese Einladung bringen würde, ob diese wirklich das für ihn bereit hielt, wonach er und die ganze Abteilung schon seit Jahren fahndeten oder ob sich Anko mit ihm nur einen Spaß erlaubt hatte. Mit einer fließenden Bewegung stand er von seinem Stuhl auf, nickte Itachi, welcher ihn nun ansah, kurz zu und griff nach seiner Jacke um kurz darauf das Polizeigebäude zu verlassen. Er ging in Richtung U-Bahnstation und nahm die nächste Bahn in Richtung Shinjuku. Die Fahrt verging für seinen Geschmack viel zu schnell und auch der Fußmarsch, den er zurücklegte, um zum Stadtteil Kabukichō zu kommen, konnte seine Aufregung nicht lindern. Mühelos überschritt der Grauhaarige die Grenze zum Rotlichtviertel und tauchte, wie so oft zuvor, in die bunte und Morphium getränkte Welt ein. Wie von selbst trugen seine Beine ihn zu dem Freudenhaus, vor welchen er noch einmal kurz zum Stehen kam. Fahrig entfernte er den Stoff, der die untere Hälfte seines Gesichtes verdeckte und atmete noch einmal tief durch. Heute würde er entweder finden, was er vor drei Monaten gesucht hatte oder seine komplette Karriere verlieren. Es war soweit. Das Spiel konnte beginnen. Hosted by Animexx e.V. 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