The taste of falling rain. von Anemia ([Crashdiet - FF]) ================================================================================ Kapitel 7: 7. Kapitel - "Wusstest du, dass Regen nicht immer salzig schmeckt?" ------------------------------------------------------------------------------ Wir lebten nebeinander her, aber nicht miteinander. Zwar sahen wir uns jetzt wieder regelmäßiger, dennoch hatte sich eine schier unüberwindbare Klippe zwischen Peter und mir aufgetan. Und es lag nicht einmal an ihm. Wäre es nach Peter gegangen, wären wir wahrscheinlich längst wieder beste Freunde. Er nahm es mir nicht übel, dass ich ihn als kalt bezeichnet hatte und ich mutmaßte deswegen, dass er es selbst als die Wahrheit identifiziert hatte. Wir hätten wieder beste Freunde sein können. Ich spürte regelrecht, wie Peter seine Hand nach mit ausstreckte, um mich auf seine Seite zu ziehen. Doch das konnte ich nicht. Selbst nicht, wenn er auf Kuschelkurs ging und Olli ignorierte. Es war zu viel geschehen, das mich meilenweit von ihm entfernt hatte. Es fühlte sich nicht mehr richtig an. Nicht richtig, stellenweise jedoch ziemlich gut. Doch ich unterdrückte es. Wurde nicht mehr schwach. Weil ich die Kontrolle über mein Leben zurückgewinnen wollte. Ich wollte nicht mehr von Fremdeinwirkungen gesteuert werden. Das war es im Grunde, was mich in den Abgrund trieb. "Du verstehst auch so vieles nicht, Martin. Du versteht ja nicht mal deine eigenen Gefühle." Wieso eigentlich? Wie kam er dazu, solch eine These aufzustellen? Viele, viele Wochen grübelte ich darüber nach. Fragte mich, welche Gefühle ich seiner Meinung nach nicht verstand. Ging gedanklich alles durch, was sich in letzter Zeit ereignet hatte. Und blieb schließlich an Peter hängen. "Die Küsse, die Gesten, die Blicke...das alles spricht eine eindeutige Sprache." Das konnte doch nicht sein. Er war also noch immer davon überzeugt. Dabei hatte ich damals nie etwas beabsichtigt. Bis...ja, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er mir gestand, dass er ausziehen wollte. Da war was. Etwas, das mich beinahe erschlug mit seiner Intensität. Aber es war von kurzer Dauer. Verflüchtigte sich so schnell, wie es gekommen war. Und jetzt war es endgültig erloschen. Peter und ich konnten nicht mal mehr Freunde sein und erst recht kein...Liebespaar. Es ging nicht. So glaubte ich. So glaubte ich ganz fest. Doch ich wurde eines besseren belehrt. Schon sehr bald. Denn manchmal wird eine Freundschaft unmöglich, da ein anderes Gefühl den Platz des sanften, harmlosen aber tiefen Vertrauen eingenommen hatte. Nein, kein anderes Gefühl. Nur eines, welches einen stärker festhielt. Einen komplett überwältigte. Und alles andere unmöglich machte. ***** Heute war der Tag gekommen. Der Tag, an dem ich es zum ersten Mal wagte. All die Monate vorher hatte ich schon bei dem Gedanken daran ganz weiche Knie und einen Kloß im Hals bekommen. Aber ich spürte, dass es sein musste. Wahrscheinlich würde es mich wieder in das tiefe, schwarze Loch ohne Boden fallen lassen, aber ich würde mich Dave erneut ein paar Schritte näher wähnen. Das wusste ich. Und das war es, was mich dazu drängte. Das Wetter sah nicht sonderlich vielversprechend aus. Bestimmt würde uns bald ein kräftiger Regenschauer heimsuchen, aber selbst das hielt mich nicht von meinem Vorhaben ab. Schließlich war ich nicht aus Zucker und konnte ein paar Tropfen aushalten. Nichtsdestotrotz spürte ich, wie meine Hände etwas schwitzig wurden und die Stängel der Blumen aufweichten. Natürlich war ich nervös, während ich durch den kleinen Park schlenderte, der mich direkt zu Daves letzter Ruhestätte führen sollte. Noch schien der Wolkenbruch fern zu sein, aber das konnte sich schnell ändern. Selbst der Himmel würde um Dave weinen... Doch ich wollte nicht weinen. Ich hatte mir vorgenommen, mich ganz lässig vor Daves Grabstein zu stellen und ein bisschen mit ihm zu labern. Wie mit einem besten Freund. Ich wollte ihm von all den Begebenheiten erzählen, die sich seit seinem Tod zugetragen hatten. Mein Leben war schließlich zu einer Chaosveranstaltung mutiert und meine Gefühle waren ein einziger Flashmob. Es gab viel zu berichten und wenn ich nicht gerade anfangen wollte, wie ein kleines Mädchen ein Tagebuch zu führen, so war der beste Weg, mit jemandem darüber zu quatschen. Egal, ob er Antworten bereithielt oder einfach nur geduldig zuhörte. Seit der Szene mit Peter im Proberaum wusste ich, wie fatal Ratschläge sein konnten, wenn sie einem nicht in den Kram passten. Schweigen war eben wirklich Gold. Heute aber würde weniger geschwiegen werden, als ich erhofft und erwartet hatte. Die ganze Situation nahm eine unerwartete Wendung. Das stellte ich spätestens fest, als ich eine mir sehr bekannte Person vor Daves Grabstein erblickte. Mit allem hätte ich gerechnet. Mit einer Auferstehung von Daves Geist, mit einer Zombieattacke oder auch mit einem Blutsaugerangriff. Aber nicht mit diesem friedlichen Bild, welches sich mir bot. Er wirkte fast wie einer der Steinengel, die auf manchen Grabsteinen hockten und traurig auf den Boden blickten. Für nichts auf der Welt wollte ich diese harmonische, aber auch äußerst melancholische Szene zerstören. Deswegen hielt ich einen gewissen Abstand zu dem knienden Peter und beobachtete ihn für eine ganze Weile aus der Ferne. Der Wind zerzauste sein blondes Haar, aber selbst, als ihm ein paar Strähnen in das Gesicht schlugen, rührte er sich nicht. Es war, als hätte sich Peter irgendwo in seinen Gedanken verloren und konnte sich selbst nicht mehr finden. Es erinnerte mich an sein Verhalten im Proberaum, dem ganz und gar unlogische Taten folgten. Vergessen sollte ich Dave seiner Meinung nach. Aus meinen Gedanken verbannen. Obwohl er mein einziger Halt war. Mein Halt und gleichzeitig mein Verderben. Und nun war es ausgerechnet Peter, der den Weg hierher gefunden hatte. Aber wieso? Es leuchtete mir absolut nicht ein. Doch ich wollte die Gründe in Erfahrung bringen. Irgendetwas drängte mich dazu. Also lief ich los. Kniete mich geräuschlos neben Peter, der meine Anwesenheit zugleich realisierte. Er schaute mich an, aber etwas in seinem Blick war anders als sonst. Schmerz stand in ihm. Ein Schmerz, den ich so noch nie in seinen Augen gesehen hatte. Und mit einem Mal wusste ich, dass Peter doch nicht so kalt war, wie er immer tat. Dass er einfach nur ein Meister der Verdrängung war. Um sich selbst zu schützen. Doch das war meiner Meinung nach genauso falsch wie die Trauer ungeniert zuzulassen. Aber was war in diesem Falle schon richtig? Ich glaube, es gab einfach kein Richtig. Es gab nur mehrere Falschs und diese musste man so lange verfolgen, bis Licht am Ende des dunklen Tunnels erschien. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Hatte mit einem Mal keine Ahnung mehr, welche Worte die richtigen gewesen wären. Deswegen erhob ich mich leicht und legte sacht meine Blumen auf das Grab. Dann ging ich wieder in die Hocke und beobachtete die sich nicht verändernde Szene. Die Blütenblätter, welche von kleinen Wassertropfen geziert wurden. Es regnete. Doch weder Peter noch mich schien das zu stören. Wir hockten hier, Seite an Seite und brauchten keine Worte, um uns zu verständigen. Trotz der Schwere und Traurigkeit der Begebenheit umfing mich plötzlich so etwas wie Wärme. Und Freude. Eine Freude, deren Grund ich nicht nennen konnte. "Warum...hat man nie gemerkt, wie sehr es dir zusetzt?" Ich weiß nicht, ob ich das hätte aussprechen sollen. Aber es brannte mir auf den Lippen und wollte hinausgelassen werden. Peter blickte mich nicht mehr an. In Gedanken war er bereits wieder irgendwo an einem ganz anderen Ort. An einem besseren Ort. So grausam wie das Kopfkino sein konnte, so schön war es manchmal auch. Ich wusste das. Plötzlich aber ging ein Zucken durch Peters Körper. Verwirrt sah ich ihm dabei zu, wie er sich erhob und mit bitterer Miene den Grabstein musterte. Und dann fing er an, den Stein mit Füßen zu treten. "Weil Dave es nicht wert ist, dass man um ihn weint! Es ist so scheiße von ihm, dass er uns das angetan hat. Es war eine verdammte Egotour und es war ihm scheißegal, dass wir ihn alle verdammt vermissen würden. Das ist doch -" "Hey, hey", versuchte ich Peter zu beruhigen und drückte ihn fest an mich. Für ein paar Momente lang wehrte sich der andere noch gegen mich, versuchte, den Stein erneut zu treffen, aber es gelang ihm irgendwann nicht mehr. Irgendwann ließen seine Kräfte nach und auch seine Wut. Ich hielt ihn und wusste währenddessen, dass ich eine Grenze überschritten hatte. Doch das zählte jetzt nicht. Jetzt zählte nur, dass Peter wieder zu Verstand kam. Mit einer Zerstörung des Grabsteins war es nicht getan. Es hätte ihm wenn überhaupt nur kurzfristige Befriedigung verschafft. Selbst durch die Kleidung spürte ich, wie Peters Körper zitterte. Und es wurde nicht besser. Sein Atem bebte und ich hatte keine Ahnung, was ich nun tun sollte. "Ich bin auch verdammt sauer auf ihn", erklärte ich, hatte aber das Gefühl, dass Peter mir gar nicht zuhörte. "Und du hast recht, es war eine Egotour...aber trotzdem. Ich habe ihn geliebt. Jemanden, den man liebt, kann man zwar hassen, aber nicht so sehr, dass die Liebe irgendwann verschwindet. Die Liebe wird immer da sein. Und irgendwie...wird auch Dave immer da sein." Peter reagierte nicht. Er starrte einfach nur in das Leere, während ich mich an seinen Rücken schmiegte. Weil ich selbst einen Schutz brauchte. Und weil es Nähe darstellte. Erst jetzt bemerkte ich, wie sehr ich diese Nähe gebraucht hatte. Und trotzdem. Peter war noch immer nicht wieder da. Und er würde es nie mehr sein. Eine gefühlte Ewigkeit standen wir einfach nur so da. Ignorierten den Regen, der unaufhörlich auf uns niederprasselte. Ich wartete, bis Peters Atem wieder gleichmäßig ging und er nicht mehr am ganzen Körper bebte. Doch selbst dann ließ ich ihn noch nicht los. Irgendwie konnte ich es nicht mehr. "Dave ist weg", sagte Peter wie beiläufig nach einiger Zeit. "Er hat sich verpisst. Aber wir haben ja noch uns." "Nein", erwiderte ich zugleich und schüttelte den Kopf. "Nein. Es gibt kein Wir mehr." Peter drehte sich in meinen Armen. Guckte mich schließlich verständnislos an. Doch noch ehe er etwas sagen konnte, sprach ich weiter. "Wir können keine Freunde mehr sein. Weil du kein Freund bist. Ich habe dich angerufen, als es mir schlecht ging, und du bist nicht an dein Handy gegangen. Du hast mir beteuert, dass du Gefühle mir gegenüber hegst, andere Gefühle als freundschaftliche. Doch das war eine Lüge. Wenn du mich wirklich...lieben würdest, dann hättest du dich nicht so schnell Olli an den Hals geworfen. Liebe ist nichts, was von heute auf morgen vergeht." Für ein paar Sekunden war Peter sprachlos. Starrte mich einfach nur an. Aber dann legten sich seine Hände plötzlich auf meine Hüften. "Martin...ich...ich hab das doch nur gemacht, weil -" "Weil du Dave ähnlich bist", ergänzte ich. "Weil du genauso egoistisch bist wie er. Du wolltest meine Ehe kaputtmachen und du hast auch ein Stück von mir kaputtgemacht." "Nein", widersprach Peter und schaute mich nun flehend und eindringlich an. "Ich wollte doch nur, dass du erkennst, wie sehr du mich eigentlich willst. Ich hatte eigentlich gedacht, dass du es irgendwann nicht mehr aushältst, mich und Olli so zu sehen, aber du hast immer den Tapferen gespielt. In Wahrheit habe ich Olli nicht einmal rangelassen. Weißt du, manchmal, da merkt man erst, wie sehr man jemanden liebt, wenn er nicht mehr da ist. Du liebst Dave nach seinem Tod mehr als damals, als er noch lebte." "Das stimmt gar nicht." "Doch", nickte Peter ernst. "Das ist so. Aber mich...mich vermisst du nicht. Dabei dachte ich wirklich, dass das zwischen uns mehr ist als..." "Warum machst du eigentlich so eine Scheiße?", wollte ich provokant wissen. "Du hast also nur Spielchen mit Olli gespielt. Ey, der Typ leidet bestimmt wie ein Hund, weil du sein Herz gefickt hast." Und dann hörte ich etwas, das mich erstarren ließ. "Ehrlich, Martin: Es ist mir scheißegal. Nur du bist mir wichtig. Niemand sonst. Nicht Olli, auch nicht Eric. Nicht mal Dave." So war das? Meine Gedanken begannen zu rasen. Ich war verstummt. Konnte die richtigen Worte nicht mehr finden. Überwältigung machte sich in mir breit. Und mit einem Mal kam mir alles so logisch vor. Alles, was Peter getan hatte, diente einem bestimmten Zweck. Er wollte mich wachrütteln. Und verdammte Scheiße, es war ihm gelungen! Manchmal mussten eben auch miese Spiele gespielt werden, um ein wichtiges Ziel zu erreichen. Man musste sich auf eine gewisse Sache fokussieren und alle anderen außer Acht lassen. Ergriffen legte ich meine Hände auf seine Wangen. Schaute ihm tief in die Augen. Strich eine seiner langen Haarsträhnen nach hinten. Sie war feucht vom Regen. Genau wie seine Lippen. "Wusstest du, dass Regen nicht immer salzig schmeckt?", flüsterte ich. "Manchmal...manchmal schmeckt er auch süß." Sacht überbrückte ich das letzte Stück Distanz zwischen uns und presste meine Lippen auf seine. Weil es im Moment das einzig Richtige war. Nein, wir konnten keine Freunde mehr sein. Weil wir noch mehr fühlten. Noch mehr voneinander wollten. Und selbst ich konnte mich dagegen nicht mehr zur Wehr setzen. Es mochte falsch sein, aber manch falsches Ding war dennoch gut. Sogar besser als manches Richtige. "Küss mich richtig. Wir sind doch nicht im Kindergarten", säuselte Peter und grinste in den Kuss. Nun wusste ich, dass er wieder ganz der Alte war. Frech und ein bisschen pervers. Eigenschaften, die ihn für mich unwiderstehlich machten. Und das eigentlich schon immer. "Du verstehst auch so vieles nicht, Martin. Du versteht ja nicht mal deine eigenen Gefühle." Nun verstand ich sie. Es war, als hätte man eine bis jetzt verschlossene Tür geöffnet, damit alles, was sich angestaut hatte, hinausfließen konnte. Es war mir nicht klar gewesen, dass ich Peter auf diese Art liebte. Weil ich es nicht wollte. Doch manche Dinge geschahen trotzdem, auch wenn man sich gegen sie wehrte. Das wusste ich spätestens seit Daves Tod. Zunächst ziemlich zaghaft leistete ich Peters Wunsch Folge. Öffnete langsam meine Lippen, aber so, wie ich den anderen kannte, konnte er nicht mehr länger warten. Er überfiel mich regelrecht. Knutschte mich so lange ab, bis ich fast besinnungslos wurde. In seinem Körper muss die ganze Zeit eine Leidenschaft ohne gleichen getobt haben, das wurde mir bewusst. Er konnte sich kaum mehr beherrschen. Doch mir fiel es mit jeder Berührung unserer Zungen ebenfalls immer schwerer, die Contenance zu wahren. Alle negativen Gedanken waren zu einem unklaren Brei verschwommen und im Grunde fühlte ich nur noch. Wollte nur noch all die schönen Emotionen in mir aufsaugen. Sie ausbrechen lassen. Ich wollte mich nicht mehr zurückhalten. Viel zu lange schon war ich abstinent. Ich wollte Peter. "Lass uns zu mir gehen", schlug ich vor, woraufhin Peter zugleich mit verschleiertem Blick nickte und sich bereitwillig von mir an der Hand aus dem Ort der Trauer führen ließ. Hier war kein Platz mehr für uns. Wir waren Liebende, die nicht mehr klar denken konnten. Die ihr Glück genießen wollten. Und für die der Regen nicht mehr salzig schmeckte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)