The taste of falling rain. von Anemia ([Crashdiet - FF]) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Kapitel - "Du bereust es, nicht wahr?" ---------------------------------------------------- Es gab Tage, an denen fühltest du die Müdigkeit zwar physisch, dennoch findest du partout keinen Weg ins Traumland. Heute war so ein Tag. Und ich fühlte mich, als ob ich wahnsinnig werden müsste. Auf der Straße vor dem Haus war längst die Ruhe der Nacht eingekehrt. Alle Welt schien sich in sanften Schlummer zu wiegen und selbst Peter atmete bereits sehr tief und ruhig. Nur ich wälzte mich seit Stunden hin und her und konnte meinen kreisenden Gedanken kein Ende bereiten. Auf der einen Seite war da Dave, der mich schelmisch angrinste, mir grob auf den Rücken klopfte und literweise Alkohol vernichtete. Vor meinem geistigen Auge wirkten diese Bilder so echt, so greifbar und so real, als ob mein Freund noch immer unter den Lebenden verweilen würde. Aber das tat er nicht. Dave war tot. Unwiederbringlich tot. Obwohl es schon einige Wochen zurücklag, an dem ihn einer seiner besten Kumpels leblos in seiner Wohnung aufgefunden hatte, schmerzte es noch so wie in der Minute, als ich von seinem Ableben erfahren hatte. Alles krampfte sich bei dem Gedanken, Dave nie wieder zu sehen, in mir zusammen. Es fühlte sich schier unerträglich an und so unfassbar, dass ich es manchmal für einen bösen Traum hielt. Aber das war es nicht. Es war kein Traum. Und es würde kein Erwachen geben. Aber vielleicht, und nur vielleicht erging es Dave nun besser, dort wo er sich nun befand. Die Welt war nicht der richtige Ort für ihn, das hatte er erkannt. Nur verdammt noch mal, Selbstmord ist das Egoistischste, was man durchziehen kann! Es gab doch immer Menschen, die einen liebten, einen vermissen würden - und in Daves Falle waren das abertausende! Die Fans, seine Freunde und nicht zuletzt seine Band! Wir hätten doch eine Lösung finden können für seine Probleme. Irgendwie ging es doch immer weiter, egal, wie hart das Leben schien. Es war sinnlos. Wie oft hatte ich diese Gedankengänge verfolgt, ohne zu einer Lösung zu kommen? Schließlich gab es diese nicht. Wir alle waren vor vollendete Tatsachen gestellt worden, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts. Es war Daves Entscheidung und es war Daves Leben und er konnte verdammt nochmal damit machen, was er wollte. Egal, ob uns das gefiel. Und im Grunde war Dave schon immer jemand gewesen, der nicht auf andere hörte und sein eigenes Ding durchzog. Zudem fast immer erfolgreich. Zum wahrscheinlich hundertsten Mal drehte ich mich um. Deckte mich auf. Deckte mich wieder zu. Streckte alle Viere von mir. Zog die Beine an meinen Körper. Doch es half nichts. In meinem Kopf wütete ein Chaos immensen Ausmaßes und ich hatte keine Ahnung, wie ich der ganzen, irren Materie Herr werden sollte. Zwischen die Erinnerungen an Dave mischten sich nun auch noch die frischen Reuegefühle, die mir die Sache mit Peter beschert hatte. Unfassbar, Sweet, unfassbar. Da fuhr deine Ehefrau für ein paar Wochen zu ihrer alten, kranken Mutter nach Malmö, um für sie zu sorgen und du danktest ihr diese gute Tat, indem du sie vom Allerfeinsten betrogst. Mit deinem besten Freund. Anfangs sollte er mir lediglich eine Schulter zum Ausweinen bieten. Doch dann waren diese Dinge einfach passiert. Plötzlich verspürte ich den Wunsch, Peter ganz nah zu sein, ihn zu küssen, ihn zu streicheln und noch ganz andere Sachen mit ihm zu machen. Von einem Augenblick auf den anderen war er für mich zum schönsten Menschen auf der ganzen Welt geworden und diese Erkenntnis schlug in mich ein wie eine Bombe. Willenlos saß ich neben ihm, schaute ihm wie verzaubert in die Augen und verlor jeglichen Funken Beherrschung. Ja, zum Teufel nochmal, ich war an allem schuld! Ich hatte angefangen, Rotz und Wasser zu heulen und versucht, meinen Kummer in Alkohol zu ertränken. Ich war es, den der Totalflash hinterrücks überfallen hatte und nicht mehr losließ. Nicht Peter. Ich hätte ihn nicht für meinen Bockmist verantwortlich machen dürfen. Aber ich tat es. Schließlich hatte mich Peter nicht von diesem wahnsinnigen Unsinn abgehalten, sondern war fröhlich mit eingestiegen und schlug letztendlich vor, zu mir zu gehen, um mich happy zu blasen. Ja, und nun lagen wir hier, er tief und fest schlafend, während ich schwitzte wie ein Tier, mich hin und her wälzte und keine Ruhe mehr fand. Als ich mich erneut von Peter wegdrehte, um ihn nicht mehr sehen zu müssen, stieß ich diesen versehentlich mit dem Fuß an, sodass er leise etwas grummelte und offensichtlich erwachte. Es dauerte noch eine Weile, ehe er seine Sprache widererlangte, aber schließlich erfuhr ich, dass er selbst im Schlaf bemerkt haben musste, wie unruhig ich war. "Was ist denn los?", wollte er schlaftrunken von mir wissen, ich aber betrachtete abwesend die Jalousie vor dem Fenster und fand Peters Nähe noch unerträglicher, als der andere sich hörbar im Bett bewegte. "Kannst du nicht schlafen?" Und der Preis für die intelligenteste Frage geht an Mister London. Herzlichen Glückwunsch. "Nach was sieht's denn aus?", gab ich mürrisch zurück und hoffte inständig, der Typ würde nicht auf die Idee kommen und sich an meinen Rücken kuscheln. In diesem Falle hätte ich für nichts garantieren können. Auf meine ebenso bekloppte Gegenfrage wusste Peter nichts zu antworten. Er verhielt sich für einen Augenblick wieder ruhig, dann aber regte er sich wieder hinter mir mit einem leichten Rascheln der Bettdecke. "Ist ziemlich warm, mh?" Die einzige Reaktion, die ich daraufhin zeigen konnte, war ein belustigtes Schnauben mit sarkastischem Grinsen. War er tatsächlich so ignorant oder tat er nur so? Eigentlich dachte ich, Peter wüsste nun ein wenig besser, wie es in meinem Kopf aussah, da ich ihm lang und breit mein Herz ausgeschüttet hatte, aber wahrscheinlich hatte ich mich getäuscht. Wahrscheinlich glaubte er, nur weil er mir einen geblasen hatte, dass mit dem Sperma auch die Sorgen und Probleme aus mir gewichen wären, sich Peter in den Mund spritzten und er sie einfach schlucken konnte. War er naiv oder einfach nur dämlich? Oder hatte er mir überhaupt nicht zugehört, als ich ihm meinen Kummer beichtete? Besonders krass war allerdings auch die Tatsache, dass Peter überhaupt nicht zu leiden schien. Ich hatte ihn nicht eine Träne um Dave weinen sehen, nicht mal auf der Beerdigung kam ein Funken Gefühl von seiner Seite. Nichts. Dabei war Dave nicht nur meiner, sondern auch Peters Freund gewesen. So dachte ich. Aber inzwischen zweifelte ich ehrlich daran, ob er Dave wirklich geliebt hatte, so wie Eric und ich. "Könntest du rüber auf die Couch gehen? Das Bett ist zu klein für uns, glaube ich." "Aber hier schläfst du doch auch mit deiner -" "Peter." Das letzte Wort klangen drohend, und das sollte es auch. Ich war ein friedlicher Zeitgenosse, ohne Frage, aber heute konnte ich für nichts garantieren. Wer nervte, lief Gefahr, ein paar aufs Maul zu bekommen. Da konnte Peterchen noch so niedlich aussehen. Im Moment war mir alles egal. Ich wollte einfach nur, dass er verschwand. Ich ertrug es nicht mehr, ihn neben mir liegend zu wissen. Denn es fühlte sich falsch an. Komplett falsch. Hätte ich die Zeit zurückdrehen können, ich hätte es ohne zu zucken getan. Aber ich war nicht Gott. Ich war gar nichts. Ich war einfach nur ein Mensch, der mit sich selbst kämpfte. Und dem man auch nicht helfen konnte. Weil man ihn nicht verstand. Peter hatte es mir ja eindeutig bewiesen. Ich hörte am Rascheln der Bettwäsche und am Absenken der Matratze, dass Peter sich schließlich erhob und ohne ein weiteres Wort zu verschwenden in den Nebenraum ging. Für einen Moment lang fühlte ich ein Gefühl der Erleichterung in mir aufsteigen, aber an Schlaf war noch längst nicht zu denken. Die Gedanken an Dave, aber auch an Marie und Peter raubten mir den letzten Nerv. Inzwischen hatte sich ein Gewitter zusammengebraut und irgendwo donnerte es bereits leise. Vereinzelt erhellten Blitze mein Schlafzimmer und lenkten mich etwas von meinem Hirnchaos ab, dennoch fand ich einfach keine Ruhe. Obwohl es sich stark abgekühlt hatte und von den sommerlichen Temperaturen des Tages nicht mehr viel übrig war, suchten mich ständig Schweißschauer heim, die meine Haut feucht werden ließen und sich unerträglich anfühlten, passend zu meiner Gedankenflut. Die ganze Welt schien mich in den Wahnsinn treiben zu wollen und das Schlimme war: Sie schaffte es auch. Selbst nach einigen gefühlten Stunden hatte sich das Gewitter noch immer nicht weggefunden. Immer wieder grollte wütend der Donner nach einem aufzuckenden Blitz. Wie spät war es wohl? Wollte ich es überhaupt wissen? Egal, meine rechte Hand griff unweigerlich zum Handy, das ich wahrscheinlich irgendwo in meinen Klamotten - Verdammt. Meine Klamotten lagen im Wohnzimmer, dort, wo ich sie ausgezogen hatte, um mit Peter...ich dachte besser nicht näher darüber nach, sonst drehte sich das Gedankenkarussel nur noch schneller. Ich beschloss, aufzustehen um das Ding holen zu gehen. Länger hielt ich es ohnehin nicht mehr im Bett aus, es war ekelhaft warm und so ungemütlich, als hätte ich meinen Rücken auf einen Stein geschmiegt. Deswegen war ich fast schon froh darüber, mich endlich in die Horizontale begeben zu können und ein paar Schritte durch die Dunkelheit zu unternehmen. Den Weg zur Tür fand ich zum Glück blind und als ich die Klinke nach unten drückte, bemühte ich mich, dies so leise wie möglich zu tun. Peter zu wecken wollte ich um jeden Preis vermeiden, denn der hätte gleich wieder mit seiner dämlichen Fragerei begonnen und förmlich nach einer Ohrfeige gebettelt. Wenn er aber im Traumland verblieb, und ich war mir ziemlich sicher, dass er schnell wieder eingeschlafen war, schließlich schien er den Seelenfrieden für sich gepachtet zu haben, hielt er wenigstens seinen Mund. Doch da das Schicksal mich ohnehin hasste, hörte ich es von der Couch her rumoren, als ich den ersten Fuß in das Wohnzimmer setzte. Schön, dachte ich sarkastisch und verdrehte seufzend die Augen. Wenn er auch nur ein Wort sagte, würde ich mich zum Blumentopf schleichen, die Stange, die für ein gerades Wachstum der Pflanze sorgte, herausrupfen und sie Peter in den Arsch schieben. Quer, versteht sich. Denn ich hatte dermaßen die Schnauze voll von ihm, dass es mir fast schon zu viel war, ihn auch nur in meiner Wohnung zu wissen. Ohne den anderen zu beachten, näherte ich mich dem Sofa, bückte mich, um in meinen davor liegenden Klamotten zu wühlen, schnappte mir schließlich mein Handy und wollte mich wieder verpissen, aber Peter machte mir selbstverständlich einen Strich durch die Rechnung. Argh, schrie alles in mir. Und das Donnergrollen passte perfekt zu mir und meiner Laune. Nun war Peter fällig. Denn er räusperte sich und machte dann den Mund auf, um Worte herauspurzeln zu lassen, die ich nicht hören wollte. "Kannst auch nicht schlafen, was?" "Nee." "Ich auch nicht mehr." Ach was! Selbst der coole, lässige Peter litt an Schlaflosigkeit. Wie konnte das denn funktionieren? Der helle Haarschopf bewegte sich in der Dunkelheit. Letztlich hatte er sich mitsamt seinem Besitzer komplett aufgerichtet und nun wusste ich auch, dass Peter mich anschaute und es ebenso wenig wie ich weiterhin versuchen wollte, einzuschlafen. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Aber was wollte ich machen? "Das Gewitter ist ganz schön heftig", setzte der andere wieder an, obwohl er nun langsam mal gemerkt haben müsste, dass mir nicht der Sinn nach einem Gespräch stand. "Kann man das nicht irgendwie ausschalten?" So wie deine Gefühle?, dachte ich und schnaubte. Sag mir, wo sich dein Knopf befindet, mit dem du alle Emotionen ausknipst. Ich würde dich für dieses Wissen lieben, Peter. Ach was, ich würde dich auf der Stelle heiraten. Warum ich eigentlich noch nicht die Flucht ergriffen hatte, blieb mir selbst rätselhaft. Aber ich stand selbst Sekunden später noch im Raum und ließ meine Blicke mal hierhin, mal dahin wandern. Ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Doch das war für Peter natürlich kein Anreiz, es mir gleichzutun. Und um ehrlich zu sein befand sich dieses Mal eine echt brillante Idee zwischen seinen leeren Worthülsen. "Willst du auch eine rauchen?" ***** Nun standen wir hier. Auf dem Balkon. Mitten im Gewitter. Aber kümmerte es uns? Nein. Ich fröstelte nicht einmal, obwohl ich lediglich meine Unterhose angezogen hatte und selbst die Blitze konnten mich nicht davon abhalten, mich mit den Armen auf der Brüstung abzustützen. Ob es Peter kalt war? Er trug ebenfalls nicht mehr als ich, aber er sah auch nicht so aus, als würde er sich jeden Moment den Tod holen. Und er fürchtete sich vielleicht nur ein klein wenig mehr vor der Naturgewalt, die weit über uns tobte. Er wirkte nicht minder entspannt als ich, nur lehnte er sich nicht so weit vor wie ich es tat, sondern stand unter der Plane und hielt die Wand davon ab, umzufallen. "Wusstest du, dass die Götter im Himmel Sex haben, wenn es donnert?" Natürlich, ein Sinnloskommentar. Etwas, das mich momentan so sehr interessierte wie das Verdauungssystem eines Seesterns. Wenn Peter neben Bassspielen etwas gut konnte, dann war es labern. Labern, labern, über Gott und die Welt, aber auf einem Niveau, das so manchen Philosophen die Kloschüssel anbeten gelassen hätte. "Nee. Wusst ich nicht." "Dann weißt dus jetzt." Ich schwieg. Wollte auf seinen Unsinn schlichtweg nicht reagieren. Gleichzeitig war ich allerdings ein wenig neidisch auf ihn. Er konnte denken, an was er wollte, und ich musste mich dem fügen, was mein Gehirn so an Informationen durch die Windungen schickte. Peter war frei. In jedem Belang. Peter hatte weder eine Frau, die sich auf seine Treue verließ, noch juckte ihn die Sache mit Dave. Dafür juckte sie mich umso mehr. Die ganzen Szenarien, welche sich hinter meiner Stirn aufbauten, verursachten Magenschmerzen, die ich mit dem Inhalieren des Zigarettenrauches zu überdecken versuchte. Aber meine Nerven beruhigte heute Nacht nichts mehr. Selbstmitleid ahoi. "Du bereust es, nicht wahr?" Mein Blick schweifte langsam über die graue Nachtlandschaft und hing irgendwann an der blonden Gestalt, die ich nur schemenhaft wahrnehmen konnte. "Was?" Peter zuckte nur die Schultern. "Du weißt genau, was." Natürlich. Und ob ich das wusste. Ich konnte nur nicht fassen, dass Peter tatsächlich über einen der größten Fehler meines Lebens debattieren wollte. Im Stillen hatte ich bereits zur Genüge über unsere Zusammenkunft nachgedacht und sie tatsächlich bitter bereut. Alles andere wäre auch extrem verwerflich gewesen. Man betrog nicht einfach die Frau seines Lebens und erinnerte sich mit Stolz an jedes noch so kleine Detail der pikanten Szene, die hätte niemals stattfinden dürfen. Wenn Peter auch nur ein einziges Mal mitgedacht hätte, hätte er sich seine Frage selbst beantworten können. Aber so war unser Bassist nun mal. Er lebte in den Tag hinein und machte sich über nichts Gedanken. Ein Kind war er, ein verdammtes Kind, welchem solche Gefühle wie Liebe zu einer Frau völlig unbekannt waren. Seine Beziehungen bestanden alle nur aus Sex, das war es, was er sich von einer Dame erhoffte. Und was er einer Dame geben konnte. "Natürlich bereue ich es." Da hatte er seine Antwort. Sollte er nun damit tun und lassen, was er wollte. Ich jedenfalls war es leid, über die Sache nachzudenken. Wollte sie viel lieber totschweigen. Niemand sollte davon erfahren. Auch nicht Marie. Im Grunde war die Sache, die ich nicht mal als Sex bezeichnen würde, eine unbedeutende Angelegenheit, die sich einfach nicht gelohnt hatte. Schlecht war es nicht, objektiv betrachtet, aber auch nicht besonders. Männer waren einfach nicht mein Ding und Peter hatte es deutlich zu spüren bekommen, glaubte ich. Besagter allerdings entließ mich noch nicht wieder in meine tiefe Gedankenwelt. Er verhörte mich weiter. Und die Wut auf ihn wuchs wieder. "Warum hast du es dann nicht einfach abgebrochen?" Meine Fresse. Als hätte ich mir selbst diese Frage noch nicht gestellt. Aber ich gelangte zu keiner einleuchtenden Antwort, egal, wie lange ich mir den Kopf darüber zermarterte. Wahrscheinlich waren in jenem Augenblick die Triebe stärker als die Vernunft. Auch ich war nur ein Mann und Männer waren recht einfach gestrickt, das schien immer eindeutiger zu werden. Die meisten Vertreter dieser Gattung standen auf Sex, erkoren es zu der wichtigsten Sache in ihrem Leben und stellten dafür alles andere in den Hintergrund. Unbewusst war ich auch so. Es war mein Schicksal, lag in meinem Chromosomensatz. Trotzdem, das entschuldigte nichts. Überhaupt nichts. Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, dass Peter sich nun von der Wand löste und sich schließlich zu mir an die Brüstung gesellte. Nun waren wir schon zwei, die sich die stille Nacht anschauten, als wäre sie das Interessanteste auf der ganzen Welt gewesen. Irgendwie war sie es sogar. Wenn sich der aufsteigende Rauch unserer Zigaretten vermischte, dann übte das eine nicht greifbare Faszination auf mich aus. Weil mich der Anblick beruhigte. Auch wenn es nur für wenige Sekunden eine Flucht aus meiner Gedankenwelt bedeutete. "Dir hat es gefallen. Deswegen hast du nicht aufgehört." Meine Mundwinkel zuckten. Wie konnte er es wagen, so eine These in den Raum zu stellen, obwohl er nichts wusste, überhaupt nichts wusste, sich auch gar nicht für das interessierte, was in mir vorging? "Nee. Nicht wirklich." Und ich log nicht einmal. Wenn Peter es verlangt hätte, ich hätte es ihm auch klipp und klar ins Gesicht gesagt, dass es nicht berauschend mit ihm fand. Dass ich schon bessere Partner hatte. Weibliche Partner, die ich zu verwöhnen wusste. Nur blasen, das ließ ich als Peters geheimes Talent durchgehen. Wahrscheinlich hätte ich es als gut betrachtet, wäre da nicht diese verdammte - "Aber mir hat es gefallen", hörte ich Peter neben mir säuseln. Einen letzten Zug nahm ich von meiner Zigarette, ehe ich den Stummel in die Tiefe sausen ließ. "Schön für dich", seufzte ich, versuchte, so gelassen wie möglich zu klingen. Aber das war schwer. Jedes seiner Worte glich für mich einer hintergründigen Provokation und bereits jetzt presste ich die Zähne aufeinander und ballte meine Hände zu Fäusten. Schön für ihn. Schön, dass er seinen Spaß hatte. Auf meine verdammten Kosten! Und er schien sein Ziel noch nicht erreicht zu haben. Er wollte mich unbedingt austicken sehen, mutmaßte ich. Oder er merkte überhaupt nicht, dass er kurz davor war, sich eine einzufangen. Er hing mit dem Kopf in den Wolken und sah nur die Dinge, die er sehen wollte. So kannte ich ihn, so kannten wir ihn alle. Doch seine Ignoranz war manches Mal einfach nicht zu ertragen. Er war näher gekommen, das realisierte ich erst, als seine Schulter die meine streifte. Diese Berührung erschien mir unerträglich. Deswegen wich ich ein paar Zentimeter zurück. Aber es hielt Peter nicht davon ab, nun die größte Bombe zum Platzen zu bringen. "Zu sehen, wie mein süßer, heterosexueller Martin meinen Schwanz im Mund hat, war einfach...obergeil." "Halts Maul, London. Und verpiss dich." Meine letzte Drohung. Und sie fand Gehör. Peter machte sich tatsächlich vom Acker, allerdings erst, nachdem er mir im Bruchteil einer Sekunde einen frechen Kuss auf die Wange gedrückt hatte, was mit einem Wuscheln durch mein ohnehin schon zerzaustes Haar einherging. Kaum, dass ich mitbekam, was geschehen war, hatte Peter sich schon in das Wohnzimmer zurückgezogen und mich allein im Gewitter gelassen. Da es nun allerdings leicht zu tröpfeln begann, sah auch ich zu, dass ich dem anstehenden Regenschauer entkam. Und vielleicht noch ein bisschen schlief, wenigstens für ein paar Minuten. Peters aktuelle Frechheiten vermochte ich noch locker zu ignorieren, aber das, was ich selbst zu verantworten hatte und das, was ich nicht beeinflussen konnte, wogen noch immer schwer in meinem Magen. So ziemlich jede Stelle meines Körpers schien zu schmerzen und derzeit schob ich es noch auf die mir keine Ruhe lassende Gedankenflut. Aber am nächsten Morgen musste auch ich einsehen, dass mein Hirn nicht alles zu verantworten hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)