Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 8: Facebook-Smalltalk ----------------------------- Als Kari am nächsten Tag die Umkleidekabinen des Theaters betrat, in dem ihre Tanzgruppe auftrat, lief sie als erstes zu Nana. Die Diskussion, die sie mit ihr hatte, war ihr einfach nicht aus dem Kopf gegangen und sie fand mittlerweile, dass sie sich unfair ihr gegenüber verhalten hatte, auch wenn sie einiges kränkte, was Nana zu ihr gesagt hatte. „Hallo“, begrüßte sie sie ein wenig verlegen. Nana saß auf der Bank vor dem Kleiderhaken und war gerade dabei, ihre Schuhe auszuziehen. Anscheinend war sie auch gerade erst gekommen. „Hey“, erwiderte sie Karis Gruß und sah sie flüchtig an. Kari setzte sich neben sie und zog ebenfalls ihr Schuhe aus. Sie setzte gerade dazu an, den gestrigen Streit anzusprechen, als Nana das Wort ergriff. „Tut mir Leid, dass ich gesagt habe, du brauchst professionelle Hilfe“, sagte sie und lächelte schief. „Das war nicht so gemeint.“ „Vergiss es“, antwortete Kari abwinkend. „Ich hätte ja auch nicht so reagieren müssen.“ Nana zuckte mit den Schultern. „Den Rest nehme ich übrigens nicht zurück. Ich finde immer noch, dass du dich falsch verhältst, aber das weißt du ja.“ Kari seufzte, während sie sich umzog. „Ich habe ihm gestern Nacht noch eine Freundschaftsanfrage auf Facebook geschickt.“ „Na wow“, sagte Nana sarkastisch. „Wenn das mal nicht bedeutet, dass ihr jetzt wieder beste Freunde seid.“ „Jetzt sag' doch sowas nicht. Für mich war das ein großer Schritt“, erwiderte Kari. „Ich weiß.“ Nana tätschelte ihr den Arm. „Hat er sie denn schon angenommen?“ „Nein.“ Kari hatte fast den ganzen bisherigen Tag auf Facebook verbracht, was ihr nun ziemlich peinlich war. Ständig hatte sie nachgeschaut, ob T.K. inzwischen ihre Anfrage bestätigt hatte, doch es hatte sich nichts getan. Vielleicht hatte er sie ja auch schon abgelehnt. Kari zog ihre Gymnastikschuhe an, stand auf und streckte sich. Sie konnte sich ein Gähnen nicht verkneifen. Auch Nana stand auf. Wie immer halfen sie sich gegenseitig dabei, ihre Haare so festzustecken, dass keine Strähnen während des Auftritts herausrutschen konnten. „Habe ich gestern eigentlich noch irgendwas verpasst?“, fragte Kari, als sie gerade die gefühlt hundertste Haarklammer in Nanas glänzend schwarzem Haar befestigte. Es bedurfte immer einer ganzen Wagenladung von Haarklammern, um ihren Pony zu bändigen. Anschließend sprühte sie Nanas Kopf mit Haarspray ein. „Nö. War nicht mehr so viel los“, antwortete Nana. Ihre Hände tasteten prüfend ihren Kopf ab. „Hallo“, rief Masami, die an ihnen vorbeihastete. Verwirrt blickten Kari und Nana ihr nach. Sie warf ihre Tasche auf den Boden und begann, sich in Lichtgeschwindigkeit umzuziehen. Auch Aya beobachtete sie mit gerunzelter Stirn. „Wieso kommst du so spät?“, fragte sie. „Hab' so lang geschlafen und dann habe ich noch ewig aufgeräumt“, murmelte Masami. Unter ihren Augen befanden sich dunkle Ringe, die ihren Schlafmangel verrieten. „Tja, du wolltest ja nicht, dass irgendjemand kommt und dir hilft“, meinte Aya und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hab' die Arbeit unterschätzt“, gab Masami zu und band eilig ihre Haare zusammen, die nun überall Beulen bildeten. „Kommen denn deine Eltern eigentlich heute zuschauen?“ „Nein, wie immer“, antwortete Aya und wirkte zerknirscht. „In fünf Minuten müsst ihr raus“, meldete sich plötzlich die Stimme der Trainerin, die in der Umkleidekabine erschienen war. „Beeilt euch.“ Kari, Nana und drei der anderen Mädchen gingen schon einmal vor, um vom Rand der Bühne aus zuzusehen, wie die vorige Gruppe tanzte. Auch sie kamen von einer Oberschule und man konnte sie fast als Rivalen von Karis Oberschule betiteln. Kari selbst fand die Tänze, die sie auf die Beine stellten, nicht schön. Die Mädchen waren kaum bekleidet und wackelten in ihren Choreografien viel zu oft mit dem Hintern. Dabei strahlten sie über das ganze Gesicht, als wollten sie das gesamte Publikum verführen. Es hieß, in dieser Tanzgruppe durften nur Mädchen teilnehmen, die maximal fünfundfünfzig Kilo wogen und zudem eine bestimmte Körpergröße nicht unterschritten. „Nuttig“, kommentierte Nana und hob abfällig eine Augenbraue. „Ich würde lieber gar nicht tanzen, als bei denen mitzumachen.“ Mit viel Zwinkern und Hüftschwingen machten die Mädchen ihre Abschlusspose, bevor der Vorhang sich senkte. Dann liefen sie alle an Kari und den anderen vorbei in die Umkleidekabine, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Nana schüttelte den Kopf. Kari, Nana und die restlichen Mädchen aus ihrer Tanzgruppe liefen auf die Bühne und stellten sich in ihrer Anfangspose auf. Masami kam gerade noch rechtzeitig, bevor der Vorhang sich wieder hob und den Blick auf sie freigab. Kari stand wie immer ganz vorn und ließ den Blick schnell über das Publikum wandern. Der Saal war ziemlich voll und so konnte sie Shinji nicht entdecken. Sie fragte sich, ob er hier wirklich irgendwo saß oder schon wieder vergessen hatte, dass er kommen wollte. Die Musik setzte ein und damit auch der Tanz. Es würde der Letzte für diese Veranstaltung sein, was eine Ehre für den Tanzclub der Odaiba-Oberschule war, denn die Besten tanzten immer zu Beginn und zum Ende. Sie führten heute einen schnellen Tanz auf, der viele Sprünge und Drehungen enthielt. Wochenlang hatten sie hierfür trainiert, denn heute war die Premiere dieses Tanzes. Kari hatte viel Spaß dabei, auch wenn es anstrengend war, sich an alle Schritte zu erinnern und sie korrekt auszuführen. Sie musste ihren ganzen Körper anspannen und sollte dabei aber locker und unbeschwert aussehen, doch meist gelang es ihr ziemlich gut. Sie hatte zu Hause vor dem großen Spiegel in ihrem Zimmer viel für diesen Tanz geübt, bis die einzelnen Bewegungen ihrer Meinung nach nahezu perfekt waren. Sie streckte ihre Füße, schwang ihre Hüften, vollführte schnelle Drehungen, breitete die Arme aus, legte bei einem Sprung mitten in der Luft für den Bruchteil einer Sekunde einen Spagat hin und ging schließlich in ihre Abschlusspose. Der Applaus war laut und lang. Das Publikum sah tatsächlich begeistert aus und einige jubelten sogar. Kari lächelte, verbeugte sich gemeinsam mit ihrer Gruppe und ging von der Bühne. „Das war total toll. Alles ist so gut gelaufen“, schwärmte Nana und strahlte über das ganze Gesicht. Auch die Trainerin kam in die Umkleidekabine und sprach Lobe und Kritiken aus, während alle sich wieder anzogen. „Ach, Kari, kommst du bitte kurz zu mir, wenn du fertig bist?“ Mit diesen Worten verließ sie die Umkleidekabine und ließ Kari verdutzt zurück. Nana sah sie fragend an. „Was, glaubst du, will sie?“ „Keine Ahnung“, antwortete Kari ratlos. Schnell packte sie ihre Sachen ein und verließ die Umkleidekabine. Sie hatte wirklich keine Ahnung, was die Trainerin wohl von ihr wollte. Sie hatte ihr doch schon ein Feedback zu ihrer Leistung gegeben und das war gut gewesen. Sie verließ das Theatergebäude und erblickte ihre Trainerin, wie sie an den Wand gelehnt dort stand und auf Kari wartete. „Was wolltest du?“, fragte Kari. „Sag mal“, fing Nobuko an und musterte sie nachdenklich, „weißt du eigentlich schon, was du nach der Schule machen willst?“ „Nein“, sagte Kari verwirrt. „Vielleicht möchte ich Grundschullehrerin werden.“ „Hm“, machte Nobuko und runzelte die Stirn. „Ich könnte mir nämlich sehr gut vorstellen, dass du es an einer Sportschule weit bringen könntest. Hast du mal darüber nachgedacht, auf eine Sportschule zu gehen?“ Karis Augen weiteten sich und ihr Mund klappte vor Überraschung auf. Nein, darüber hatte sie noch nie nachgedacht. So etwas wurde doch nur wirklich talentierten Sportlern vorgeschlagen, die mit ihrer Sportart ihren Lebensunterhalt verdienen könnten. Für so jemanden hatte Kari sich nie gehalten. Sie wusste, dass sie gut im Tanzen war, aber sie fand sich nie überdurchschnittlich. „Anscheinend nicht“, meinte Nobuko lächelnd. „Weißt du, nach den Sommerferien kommen immer Talentsucher von anderen Schulen zu uns und schauen sich um. Ich denke, du hast eine reelle Chance, Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen. Ich finde es wirklich großartig, wie gut du die Bewegungen ausführst und wie beweglich du bist. Vielleicht solltest du einmal darüber nachdenken, eine Sportschule zu besuchen.“ Nobuko lächelte vielsagend, drehte sich um und ging. Kari blieb irritiert zurück und brauchte einige Sekunden, bevor sie sich wieder bewegen konnte. Nana war neben ihr aufgetaucht und starrte sie an. „Was ist passiert? Geht's dir gut?“ Kari erzählte ihr, was Nobuko ihr eben gesagt hatte und sie reagierte ganz ähnlich wie Kari selbst. „Wow, das ist echt großartig“, fand sie. „Das solltest du dir wirklich mal überlegen. So etwas bekommt nicht jeder zu hören.“ „Ja, ich weiß, aber...“ „Hey, Kari.“ Kari und Nana zuckten zusammen und drehten sich zu Shinji um, der anscheinend soeben das Theatergebäude verlassen hatte. „Hi“, erwiderten sie seine Begrüßung und Kari konnte Nanas Gedanken fast hören. „Ihr wart echt super“, lobte er sie, sah dabei aber besonders Kari an. „Danke“, erwiderte sie lächelnd und machte sich langsam auf den Weg zur Busstation. „Seid ihr denn gestern gut nach Hause gekommen?“, fragte Shinji weiter und Kari fühlte sich fast schon genervt. Eigentlich hatte sie gerade keine wirkliche Lust, sich mit ihm zu unterhalten. „Klar“, antwortete Nana. „Mich fängt sowieso niemand weg.“ Kari kicherte. „Ich hoffe, der Bus kommt rechtzeitig. Ich will unbedingt nach Hause und duschen“, sagte sie extra laut, sodass Shinji nicht noch auf die Idee kam, mit ihr Kaffee trinken zu gehen. „Oh ja, ich auch“, stimmte Nana ihr zu und tastete ihren Kopf ab. „Meine Haare sind total verklebt.“ „Habt ihr in der Golden Week irgendwas Besonderes vor?“, fragte Shinji. „Also ich fahre mit meinen Eltern zu meinen Großeltern aufs Land“, antwortete Kari und war froh, das sagen zu können. „Und du, Nana?“, fragte Shinji. „Ich hab' nichts Tolles vor“, sagte Nana und klang ein wenig deprimiert. „Da geht es dir wie mir“, meinte Shinji und nickte. „Aber das mit dem Frühlingsball steht noch, oder Kari?“ „Hm? Ja, also... ja“, stammelte Kari. „Alles klar. Dann sehen wir uns also spätestens da“, sagte er, zwinkerte ihr zu und verließ die beiden Mädchen. „Der ist irgendwie ziemlich aufdringlich“, stellte Nana fest, als er außer Hörweite war. „Ja“, seufzte Kari. „Ich weiß gar nicht, warum er sich auf einmal für mich interessiert. Er kennt mich doch schon seit zwei Jahren.“ „Vielleicht ist er ja schüchtern“, überlegte Nana und grinste. Sie stiegen in den Bus ein und verbrachten die Busfahrt damit, zu überlegen, was sie überhaupt von Shinji wussten und warum er sich plötzlich für Kari interessierte. Dabei stellte Nana wilde Theorien auf, die Kari nur kopfschüttelnd abtun konnte. Als ihre Haltestelle durchgesagt wurde, verabschiedete sie sich von Nana und sprang aus dem Bus. Zu Hause war außer ihr niemand. Ihre Eltern waren von einem Kollegen ihres Vaters zum Abendessen eingeladen worden und würden sicher vor Einbruch der Nacht nicht zurückkommen. An solchen Abenden stellte Kari die Musik immer laut und tanzte dabei durch die Wohnung. Sie fühlte sich nämlich meist nicht besonders wohl, wenn sie abends allein zu Hause war. Sie schaltete überall die Lichter an und ging unter die Dusche, um sich den Schweiß und das Haarspray abzuwaschen. Anschließend packte sie erneut die Neugier und sie schaltete ihren Computer ein, um sich auf Facebook einzuloggen. Ungeduldig hibbelte sie auf ihrem Stuhl herum und wartete, dass die Seite sich endlich fertig aufbaute. Die Symbole oben links zeigten ihr, dass etwas an ihren Kontakten neu war und sie eine Nachricht bekommen hatte. „Takeru Takaishi hat deine Freundschaftsanfrage bestätigt“ stand dort. Kari riss die Augen auf und ihr Herz machte einen nervösen Sprung. Sie wusste nicht, ob sie eher damit gerechnet hatte oder damit, dass er ablehnte. Beides hätte sie nervös gemacht. Sie klickte auf sein Profil und las es durch. Er hatte angegeben, wann er Geburtstag hatte, auf welche Schule er ging, dass er Single war und in welcher Stadt er wohnte. Kari klickte auf sein Profilbild, was sie noch nicht machen konnte, als sie noch nicht mit ihm befreundet war. Nun sah sie die Kommentare zu dem Bild. Achtundfünfzig Leuten gefiel sein Profilfoto und ein paar hatten auch etwas dazu geschrieben. Ein Mädchen hatte nur ein Herz gepostet, der Rest der Kommentare war französisch. Kari klickte weiter. Das nächste Profilbild zeigte ihn mit einem Mädchen. Beide lächelten fröhlich in die Kamera. Das gleiche Mädchen, das bei dem ersten Foto nur ein Herz gepostet hatte, hatte hier etwas auf Französisch geschrieben. Ihr Name war Isabelle und sie war offenbar diejenige, mit der T.K. dort abgebildet war. Sie hatte glänzendes, lockiges blondes Haar und helle grüne Augen und überhaupt sah sie wie jemand aus, die alle um den Finger wickeln konnte. Kari schnaubte missbilligend und klickte weiter. Das nächste Foto zeigte T.K. beim Basketballspielen, aber weitere Profilfotos gab es nicht. Kari runzelte die Stirn und klickte sich durch die Fotos, auf denen er verlinkt worden war. Das waren hauptsächlich Partyfotos und es fiel auf, dass er oft von einer Horde Mädchen umgeben war. Kari schüttelte den Kopf und warf einen Blick auf seine Pinnwand. Er hatte viele Einträge dort, wovon aber fast alle auf Französisch waren. Kari seufzte etwas enttäuscht und erinnerte sich daran, dass sie ja noch eine Nachricht bekommen hatte. Sie klickte auf das Symbol und ihr blieb fast das Herz stehen, als sie sah, dass die Nachricht von T.K. war. hey, du warst toll heute Kari starrte die Nachricht an und spürte ihre Wangen heiß werden. Wie gut, dass sie gerade niemand sehen konnte. Was sollte sie darauf antworten? Sollte sie überhaupt etwas antworten? Aber dank neuester Technik wusste er ja ohnehin, dass sie seine Nachricht gesehen hatte. danke Das war schlicht und unverfänglich und drückte aus, was sie sagen wollte. Sie wollte das Fenster schon wieder schließen als dort die Worte „Takeru schreibt etwas“ erschienen. Bang starrte Kari diese drei Worte an. Die laute Musik, die sie normalerweise mitsang oder zumindest dazu tanzte, nahm sie jetzt kaum wahr. was machst du heute noch? Verwirrt starrte Kari den Satz an. Wollte er jetzt Smalltalk betreiben? keine ahnung mich gruseln, weil meine eltern nicht zu hause sind deswegen musst du dich doch nicht gruseln „Tz“, machte Kari und zog die Augenbrauen zusammen. Als ob ihr das helfen würde. und was machst du heute noch? weiß ich auch noch nicht einen Film schauen oder so okay Bei ihrer Antwort darauf kam Kari sich blöd vor. Aber was sollte sie auch sonst schreiben außer „okay“? Sie fühlte sich unwohl dabei, so mit T.K. zu schreiben, als wäre alles in Ordnung. fahrt ihr zur golden week noch zu deinen großeltern? Überrascht zog Kari die Augenbrauen hoch. Das hatte er sich also gemerkt. ja, das hat sich nicht geändert und was machst du? ich weiß es noch nicht vielleicht kommt matt uns besuchen hab ihn schon ewig nicht mehr gesehen ich tai auch nicht ich gehe jetzt raus aus facebook grüß matt von mir, falls du ihn siehst Und ohne T.K.s Antwort abzuwarten, klickte Kari auf das rote X in der rechten oberen Ecke und schaltete ihren Computer wieder aus. Genug Konversation mit T.K. für den heutigen Tag, wenn nicht sogar für die nächsten Wochen. Bestimmt griff sie zum Telefon. Sie wollte den heutigen Abend nicht allein verbringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)