Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 39: Nicht von dieser Welt --------------------------------- „Also, was glaubst du? Könnte das ein Date sein?“, fragte Kari an Nana gewandt. Es war Freitag, sie hatten Mittagspause und die beiden Mädchen saßen gerade auf einer Bank mit ihrem Essen auf dem Schoß. Soeben hatte Kari Nana erzählt, was T.K. sie am Mittwoch gefragt hatte. Dabei hatte sie darauf geachtet, möglichst genau seinen Wortlaut wiederzugeben, damit Nana das Gesagte so gut wie möglich interpretieren konnte. Nachdenklich kaute sie auf der Gabel herum, mit der sie gerade ihren Salat aß. „Das ist wirklich nicht so ganz eindeutig“, murmelte sie und starrte in die Luft. „Vielleicht kommen zum Essen nach dem Spiel noch andere mit.“ „Ja und dann stell dir vor, ich stehe da extra hübsch gemacht für ein Date und dann kommen noch alle seine Kumpels mit“, erwiderte Kari und allein bei der Vorstellung fühlte sie sich schon blamiert. „Oder du gehst davon aus, dass seine Kumpels mitkommen und stellst dann mit Erschrecken fest, dass es doch ein Date ist“, überlegte Nana weiter. „Oder“, Kari fiel eine andere Möglichkeit ein, „es ist zwar ein Abend zu zweit, aber er hat es gar nicht als Date gemeint, sondern nur als einen Abend unter Freunden.“ „Das könnte auch sein“, meinte Nana schulterzuckend. „Da kann ich dir leider auch nicht helfen. Frag ihn doch einfach noch mal.“ Kari verdrehte die Augen. „Ja klar. 'Hi T.K., alles klar? Übrigens, soll das heute eigentlich ein Date werden? Ich hab' das nicht so ganz verstanden.'“ „Naja, nicht so natürlich“, erwiderte Nana und schüttelte unwirsch den Kopf. „Du musst die Frage schon irgendwie geschickt verpacken. Du könntest ihn ja fragen, wo er etwas essen gehen will. Wenn es ein Fast-Food-Schuppen ist, dann ist es sicher kein Date.“ „Die Frage ist aber immer noch seltsam, wenn sie einfach so aus der Luft gegriffen kommt“, antwortete Kari und hob skeptisch eine Augenbraue. „Oder du fragst einfach... hm...“ Nana überlegte eine Weile, schien jedoch zu keinem Ergebnis zu kommen und warf irgendwann theatralisch die Arme in die Luft. „Mann, Kari, es ist sowieso ein Date! Darauf würde ich meine Unterwäsche verwetten.“ „Aber du musst zugeben, dass er die Frage schon komisch ausgedrückt hat“, sagte Kari und sah Nana schräg an. „Ja, hat er. Aber es ist Takeru. Er will ein Date mit dir. Hundertpro.“ Sie warf die leere Salatschachtel in den nächstbesten Mülleimer. „Es lohnt sich gar nicht, darüber nachzudenken, weil ich sowieso Recht habe. Lass uns lieber überlegen, wie wir Ken und Davis dazu bringen können, wieder miteinander zu reden.“ Ken und Davis. Kari hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie Nana Davis' Geheimnis erzählt hatte. Sie war sich sicher, dass Davis kein Wort mehr mit ihr reden würde, wenn er das erfuhr. Und das war etwas, was er jetzt gerade nicht gebrauchen konnte: noch einen Freund weniger. Er durfte es unter keinen Umständen erfahren. Vielleicht würde Kari ihm das in ein paar Jahren mal verklickern oder wenn sie beide betrunken waren. „Was hältst du davon, wenn wir sie einfach zusammenführen, ohne dass sie davon erfahren?“, schlug Nana nach einer Weile vor. „Du tust einfach so, als würdest du mit Davis etwas unternehmen wollen und ich mit Ken und dann gehen wir beide einfach nicht mit und die beiden Jungs müssen alleine gehen. Dann treffen sie sich und sind gezwungen, miteinander zu reden.“ „Und was soll ich Davis sagen, wenn ich nicht mitkomme? Dass er allein gehen soll?“, fragte Kari verwirrt. „Naja, den Teil des Plans müssen wir noch überdenken“, antwortete Nana abwinkend. „Und was, wenn Davis einfach wieder losgeht, wenn er Ken sieht?“, fragte Kari weiter. „Stimmt, das könnte ja auch passieren“, meinte Nana nachdenklich und kratzte sich am Kinn. Kari sah sie entschlossen an. „Ich finde, wir sollten uns nicht zu sehr einmischen. Ich werde versuchen, Davis weiter zu bearbeiten, damit er mit Ken redet, aber mehr kann und will ich eigentlich nicht machen.“ „Aber so wird das doch nie was“, widersprach Nana und seufzte resigniert. „Doch“, entgegnete Kari. „Da bin ich mir ziemlich sicher.“ In einer Stunde musste sie in der Turnhalle sein, wenn sie den Anpfiff des Spiels nicht verpassen wollte, und sie hatte noch immer keine Ahnung, was sie anziehen sollte. Rock? Hose? Kleid? Welches Oberteil? Ausschnitt? Eng? Kurze oder lange Ärmel? Welche Schuhe? Auf dem Boden stapelten sich bereits einige Klamotten, die sie anprobiert hatte, doch jedes Mal hatte sie irgendetwas anderes gestört. Mal fand sie sich zu brav, mal zu bunt, mal zu freizügig und mal zu locker. Dann fiel ihr ein, dass sie bei Masamis Hausparty ein Kleid mit kurzen Ärmeln getragen hatte, über das T.K. angeblich gesagt haben sollte, dass es ihm gefiel. Kari zerrte das Kleid mitsamt seinem Bügel hervor und betrachtete es nachdenklich. Es hatte kurze Ärmel, war eng und reichte ihr bis zur Hälfte der Oberschenkel. Ein Muster von blauen und lilafarbenen Farbsprenkeln erstreckte sich schräg von unten bis etwa zur Taille, der Rest war weiß. Es hatte auch einen Ausschnitt, der allerdings nicht zu viel preisgab. Kari schlüpfte in das Kleid und betrachtete sich kritisch in dem großen Spiegel. Für ein Date war es gut, für einen Abend mit Freunden eher ein bisschen zu viel. Unschlüssig wiegte sie den Kopf hin und her und beschloss dann, sich erst einmal ihren Haaren zu widmen. Mit den Händen versuchte sie, sie in irgendeine Form zu bringen, probierte Hochsteckfrisuren aus, nahm alle auf eine Seite, machte sich einen Knoten, doch nichts gefiel ihr. Also entschloss sie sich dazu, sie einfach offen zu lassen und sie nur mit einer Spange an der Seite zu befestigen, sodass sie ihr nicht andauernd in die Stirn fielen. Wie jeden Tag. Anschließend versuchte sie, sich zu schminken. Ein wenig Wimperntusche trug sie jeden Tag, doch was sollte sie noch auftragen? Sie spähte in die kleine Tasche, in der sie ihre Schminkutensilien aufbewahrte. Vorsichtig zog sie sich einen Lidstrich, der am Ende nur halbwegs zufriedenstellend aussah. Kurz überlegte sie, noch Lippenstift zu benutzen, verwarf den Gedanken jedoch wieder. Das wäre wahrscheinlich auch für ein Date zu viel, außer vielleicht, sie wollte T.K. abschleppen. Doch das hatte sie heute sicher nicht vor. Beim Schmuck musste sie nicht lang überlegen. Sie legte sich die Kette um den Hals, die sie im fünften Brief gefunden hatte. Die reichte vollkommen aus. Und welche Schuhe sollte sie anziehen? Das hing natürlich von der Kleidung ab. Kari warf einen nervösen Blick auf die Uhr. Wenn sie noch rechtzeitig kommen wollte, musste sie genau jetzt das Haus verlassen. Ein kurzer, unsicherer Blick zurück in den Spiegel und sie entschloss sich schließlich dazu, das Kleid jetzt anzubehalten. Sonst würde sie zu spät kommen. Eilig kramte sie ein Paar weiße Ballerinas aus dem Schrank hervor, schnappte sich ihre Handtasche und lief los. Sie beeilte sich, um noch so rechtzeitig anzukommen, sodass sie einen einigermaßen guten Platz abbekam. Aus der Turnhalle drangen viele Stimmen und auch Musik und es standen noch einige Leute draußen herum. Ganz offensichtlich hatte das Spiel noch nicht begonnen. Kari ging durch die große Tür und sah zu den doch recht vollen Zuschauerrängen. Es war das erste Mal, dass sie zu einem Basketballspiel ihrer Schulmannschaft ging. Irgendwie hatte sie das bisher nie sonderlich interessiert. Sie suchte unter den vielen verschiedenen Gesichtern dort nach einem, das ihr bekannt vorkam und schließlich lenkte jemand winkend ihre Aufmerksamkeit auf sich. „Davis“, sagte Kari überrascht, ging die Treppe hoch und quetschte sich an anderen Zuschauern vorbei zu ihm. „Was machst du denn hier?“ „Das Gleiche könnte ich dich fragen“, erwiderte er grinsend und rutschte ein wenig zur Seite, um ihr Platz zu machen. „Ich hab' zuerst gefragt“, sagte Kari, setzte sich und sah ihn erwartungsvoll an. „Ich bin ab und an mal hier, wenn unsere Jungs ein Spiel haben. Ich interessiere mich eben auch für andere Sportarten“, erklärte er und zuckte mit den Schultern. „Und was treibt dich her? Ich glaube, ich sehe dich hier zum ersten Mal. Zumindest, wenn es um Basketball geht.“ „Oh, ich ähm... T.K. hat mich gefragt, ob ich nicht zuschauen kommen möchte“, antwortete sie verlegen. „Aha?“ Davis lächelte sie vielsagend an. „Guck nicht so“, murmelte Kari und wich seinem Blick aus. Sie beobachtete die Cheerleader, die gerade in knappen Kostümen und mit einem Strahlen im Gesicht eine Choreografie aufführten. In der Zwischenzeit betraten die beiden Mannschaften gefolgt von ihren Trainern durch eine andere Tür die Turnhalle und gingen zu den für sie vorgesehenen Bänken. Schnell konnte Kari T.K. unter den Spielern ausmachen, da sein blonder Haarschopf einfach hervorstach. Während der Coach seiner Mannschaft Ansagen machte, ließ T.K. den Blick über die Tribüne schweifen. „Früher war ich meistens mit Ken zusammen hier“, meinte Davis und Kari sah ihn mitleidig an. Ken und Nana waren über das Wochenende zu Nanas Großeltern ans Meer gefahren und wollten dort zwei Tage am Strand verbringen. Das erzählte Kari Davis allerdings nicht. „Es liegt an dir. Ich bin mir sicher, er würde gern wieder mit dir hierher kommen“, antwortete Kari und legte eine Hand auf seinen Arm. Davis beobachtete mit starrem Blick die Cheerleader und zuckte mit den Schultern. Die Mädchen beendeten ihre Choreografie und huschten vom Feld, sodass die Spieler Aufstellung nehmen konnten. T.K. war als Startspieler aufgestellt worden, Shin hingegen saß auf der Bank und musste hoffen, irgendwann eingewechselt zu werden. Seit seiner Aktion beim Frühlingsball war er beim Coach nicht mehr allzu beliebt, wie Kari erfahren hatte. Der Ball wurde in der Mitte hoch geworfen und zwei Spieler streckten sich im Sprung nach ihm aus. Die gegnerische Mannschaft war schneller und preschte los über das Feld. „Wieso hast du dich eigentlich so hübsch gemacht, wenn du doch nur zum Zuschauen hier bist?“, fragte Davis nach ein paar Minuten. „Naja, T.K. hat mich gefragt, ob wir hinterher irgendwo essen gehen wollen“, antwortete Kari betont beiläufig. „Ah“, machte Davis und grinste breit. „Verstehe.“ Kari nickte etwas verlegen und beobachtete weiter das Spiel. Beide Mannschaften hatten inzwischen schon Punkte erzielen können. „Scheint ja, als hätte sich deine Meinung über ihn in den letzten Monaten ein bisschen geändert“, bemerkte Davis. „Vielleicht“, räumte Kari ein. „Ich hoffe, er kann jeden Gedanken an diesen seltsamen Kuro verdrängen“, meinte Davis etwas sarkastisch. Kari verdrehte die Augen. „Ach Davis, das ist über ein Jahr her. Du solltest langsam mal die Gedanken an Kuro verdrängen.“ Plötzlich sah sie ihn mit gehobenen Augenbrauen an. „Du warst doch nicht etwa selbst in ihn...“ „Hä?“ Er runzelte verwirrt die Stirn. „Nein, nein, in den doch nicht! Kari, nur weil ich Männer mag, heißt das nicht, dass ich jedem hinterherhechel.“ „Für dich gibt es also nur Ken?“, schlussfolgerte Kari. „Nur Ken“, antwortete Davis entschieden und sein Gesicht bekam wieder einen etwas trüben Ausdruck. „Glaubst du, sie werden auch nach der Schulzeit noch zusammen sein?“ „Du meinst Ken und Nana?“ Er nickte. „Hm.“ Kari dachte nach. Nana war ziemlich schwer in Ken verliebt, dessen war sie sich sicher. Wenn es nur nach ihr ginge, dann würden sie und Ken sicher ein Paar bleiben. Wie es dagegen bei ihm aussah, konnte Kari schlecht einschätzen. Sie würde ihn bei der nächsten Gelegenheit einmal aushorchen. Allerdings wünschte sie Nana von ganzem Herzen, dass er sie genauso liebte wie sie ihn. „Ich weiß nicht. Ich glaube, das kann keiner jetzt schon sagen. Hoffst du, dass sie sich wieder trennen?“ Wieder zuckte Davis mit den Schultern. „Keine Ahnung. Natürlich will ich, dass Ken glücklich ist, aber... uh, böses Foul!“ Kari wandte den Blick zum Spielfeld und sah Nintaro verkrümmt auf dem Boden knien, während ein Spieler der anderen Mannschaft neben ihm stand und ihm die Hand hin hielt. Nach einigen Sekunden rappelte Nintaro sich auf und es gab Einwurf für seine Mannschaft. Das Spiel konnte weitergehen. „Jedenfalls“, fuhr Davis fort, „Ken soll glücklich sein, aber ich kann ihn trotzdem nicht mit Nana zusammen sehen.“ „Das kann ich verstehen“, antwortete Kari mitfühlend. T.K. warf einen Korb und Kari musste zugeben, dass er dabei ziemlich cool aussah. Das Spiel war spannender, als sie erwartet hatte und die Führung wechselte ständig. Wenn Kari einmal eine Regel nicht verstand, erklärte Davis sie ihr und sie war beeindruckt, wie viel er über Basketball wusste. Sie hatte ihn immer für einen reinen Fußballliebhaber gehalten. Was Kari jedoch ein wenig erschütterte, waren die vielen Fouls, die oft nicht einmal gepfiffen wurden. Sie konnte so oft beobachten, wie die Jungs sich gegenseitig an den Trikots zogen oder einander unsanft rammten, sodass der Gegner nicht selten stürzte und über den Boden rutschte. Einmal musste das Spiel für ein paar Minuten unterbrochen werden, weil ein Junge aus der gegnerischen Mannschaft eine blutige Nase hatte. Er hatte einen Ellbogen direkt ins Gesicht bekommen und das Blut musste sogar vom Boden gewischt werden. Unwillkürlich rieb Kari sich die Nase. Am Ende gewann T.K.s Mannschaft mit vier Punkten Vorsprung. Die Zuschauer auf den Tribünen brachen nach dem Abpfiff in Jubelstürme aus. Die Cheerleader stürmten aufs Spielfeld und führten einen Siegestanz vor, während die beiden Mannschaften miteinander abklatschten und sich gegenseitig gratulierten, bevor sie erschöpft in die Umkleidekabinen schlurften. Die Zuschauer verließen nach und nach die Tribüne und auch Kari und Davis ließen sich von dem Menschenstrom nach draußen treiben. Jedoch entdeckte Kari kurz vor dem Ausgang T.K., der nach ihr Ausschau zu halten schien, denn er lächelte, als er sie erblickte. Kari griff nach Davis' Hand und zog ihn aus dem Strom heraus zu T.K. „Hi“, begrüßte dieser sie und wischte sich mit dem Handrücken die verschwitzten Haare aus der Stirn. Er war noch ein wenig außer Atem. „Wartest du draußen, Kari? Ich spring' noch schnell unter die Dusche.“ „Schon gut, lass dir Zeit“, antwortete sie und ein kribbelndes Gefühl der Aufregung machte sich in ihrem Magen breit. Gleich würde ihr Date beginnen. „Ich stehe hier vor der Halle.“ Sie nickte mit dem Kopf in Richtung Ausgang. „Okay“, erwiderte T.K., lächelte noch einmal flüchtig und verschwand zu den Umkleidekabinen. Kari und Davis ordneten sich wieder in den Menschenstrom ein und ließen sich nach draußen treiben. „Und du hast jetzt noch ein Date, ja?“, wandte Davis sich an Kari, als sie draußen angekommen waren, und sah sie verschmitzt an. Sie hatten sich etwas abseits der vielen anderen Menschen hingestellt und Kari wartete nun auf T.K. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht so genau“, gestand Kari verlegen. Verdutzt sah Davis sie an. „Hä? Wie kannst du denn nicht wissen, ob du ein Date hast?“ „Naja, T.K. hat mich vorgestern nur gefragt, ob ich heute zum Spiel komme und wir danach noch essen gehen wollen.“ Verständnislos runzelte Davis die Stirn. „Also, ich meine, es könnte ja auch sein, dass noch ein paar seiner Kumpels mitkommen. Oder dass er das nur freundschaftlich gemeint hat. Oder...“ Nun unterbrach er sie mit einem genervten Stöhnen. „Siehst du? Deswegen finde ich Männer angenehmer. Ihr Frauen analysiert einfach viel zu viel. Klar hat er dich damit nach einem Date gefragt, du Dummkopf.“ Kari verschränkte die Hände hinter dem Rücken und blickte zu Boden. Ihr Herz schlug schneller und ihre Finger zitterten. Warum war sie denn jetzt so aufgeregt? Vor nicht einmal einer Woche hatte sie doch auch einen Abend mit T.K. verbracht und war dabei kein bisschen aufgeregt gewesen. Wieso also jetzt? Es war nur T.K. Nur T.K. „Bist du aufgeregt?“, fragte Davis, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Sie warf ihm nur einen grimmigen Blick zu. „Ach, du schaffst das schon“, meinte er lässig und klopfte ihr leicht auf die Schulter. „Ganz schön viel Aufregung für dich in letzter Zeit.“ „Mhm“, machte Kari leise. „Dein Lover kommt jetzt übrigens“, verkündete Davis nach einem kurzen Moment des Schweigens. „Du bist doof, Davis“, zischte Kari und sah sich hektisch um, doch T.K. war noch zu weit weg, als dass er Davis gehört haben könnte. Dieser lachte nur. „Also, ich wünsche dir viel Spaß. Aber übertreibt es nicht, sonst kriegt dein Neffe bald schon einen Cousin“, sagte Davis fröhlich. „Davis!“, rief Kari und starrte ihn entsetzt an. Bis eben hatte sie sich fast noch gewünscht, er würde einfach bei ihr und T.K. bleiben, damit sie nicht so aufgeregt und mit ihm allein war, doch nun konnte sie es kaum erwarten, dass er endlich abhaute, bevor er in T.K.s Gegenwart noch eine dumme Bemerkung machen konnte. „Halt einfach die Klappe, okay?“ Er lachte nur erneut. „War doch bloß ein Witz. Also, mach's gut. Wir sehen uns spätestens Montag.“ Er verabschiedete sich noch von T.K., der gerade bei ihnen ankam und verschwand dann zu seinem Fahrrad. Kari seufzte resigniert und wandte sich an T.K. Er trug eine helle kurze Hose, ein blaues T-Shirt und Sneaker, sodass Kari sich in ihrem Kleid fast ein bisschen lächerlich vorkam. Seine Haare waren noch etwas feucht, sodass die Abendsonne sie seltsam zum Glänzen brachte. „Wollen wir los?“, fragte er. Kari nickte und gemeinsam entfernten sie sich von der Sporthalle ihrer Schule. „War das dein erstes Basketballspiel heute? Zumindest bei den letzten habe ich dich nie gesehen“, fragte T.K. nach einer Weile. „Um ehrlich zu sein ja“, gestand Kari etwas verlegen. „Bisher habe ich mich nicht so sehr für die Spiele interessiert, aber es war wirklich spannend.“ „Freut mich“, erwiderte T.K. Und dann redeten sie eine Weile über das Spiel, über vergangene Spiele und Basketball in Frankreich. Dort hatte T.K. in einem Sportverein außerhalb der Schule gespielt, wie Kari jetzt erfuhr. „Warum willst du das Basketballspielen eigentlich nicht zu deinem Beruf machen? Du bist doch so gut und es macht dir so viel Spaß“, fragte Kari und sah ihn interessiert an. Sie gingen im warmen Licht der untergehenden Sonne durch eine belebte Einkaufsstraße, doch Kari bekam kaum etwas um sich herum mit. „Ach, naja, so gut bin ich dann auch wieder nicht“, meinte T.K. abwinkend. „Außerdem glaube ich nicht, dass das ein Leben für mich wäre. Mir reicht es, dass ich das ab und an in der Freizeit mache.“ Nachdenklich wandte Kari den Blick wieder von ihm ab. Genauso hatte sie über das Tanzen eigentlich auch immer gedacht, doch mittlerweile sah sie das anders. Sie hatte sich so in ihren Traum, Tänzerin zu werden, vertieft, dass sie sich schon gar nichts anderes mehr vorstellen konnte. Und davon mal abgesehen fiel ihr nichts ein, worin sie so gut war, dass sie es zu ihrem Beruf machen konnte. Außer eben vielleicht dem Tanzen. Inzwischen tendierte sie auch stark dazu, sich einfach an Sportschulen in Japan zu bewerben, falls die Juilliard sie ablehnen sollte. „Hast du auf etwas Bestimmtes Hunger?“, riss T.K. sie aus ihren Gedanken. „Ähm... nö, eigentlich nicht“, antwortete sie. Ihr war es egal, wo sie etwas aßen, Hauptsache, sie aßen demnächst überhaupt. Kari hatte fast den ganzen Tag nichts gegessen. „Dann weiß ich, wo wir hingehen“, sagte T.K. entschlossen. Er bog in eine kleine Seitengasse ab und Kari folgte ihm verwirrt. Sie gingen durch die Straße, bogen noch einmal ab, gingen ein Stück und bogen wieder ab, bis sie schließlich in einer Straße standen, in der Kari noch nie war. Und das, obwohl sie schon seit so vielen Jahren hier in Odaiba wohnte. „Hier war ich ja noch nie“, sagte sie und sah sich um. Die Straße war eng und es waren nicht viele Leute hier unterwegs. Wahrscheinlich war Kari nicht die Einzige, die hier noch nie war. „Dann wird’s ja Zeit“, meinte T.K. und führte sie die Straße entlang, bis er an einer unscheinbaren Tür anhielt. Links und rechts neben der Tür waren leuchtende Papierlaternen aufgehängt und im Fenster rechts neben der Tür waren die Speisen ausgestellt, die man in dem Restaurant bestellen konnte. Kari begutachtete sie kritisch, doch alles sah wirklich appetitlich aus. Sie spürte, wie ihr Magen knurrte und ihr das Wasser im Mund zusammenlief. „Wollen wir reingehen?“, fragte T.K., der sie beobachtet hatte. Kari nickte und folgte ihm durch die Tür ins Innere. Dort war es klein, dunkel und gemütlich. Die Gäste, die hier drin zur gleichen Zeit bedient werden konnten, konnte man an zwei Händen abzählen. Die Wände waren mit liebevoll gezeichneten Fischmotiven dekoriert und auf jedem Tisch brannte ein Teelicht in einem Glas munter vor sich hin. Der Raum war erfüllt vom Gemurmel der Gäste. „Wie süß“, murmelte Kari und ließ den Blick durch den Raum wandern. „Ein Tisch für zwei?“ Sie wandte sich um und sah in das Gesicht einer jungen Kellnerin, die sie freundlich anlächelte. „Ja, bitte“, antwortete T.K. „Da habt ihr Glück.“ Sie führte ihn und Kari an einen kleinen Tisch in einer Ecke, der eigentlich für eine Person gerade mal groß genug war. „Der letzte freie Tisch.“ T.K. und Kari bedankten sich und nahmen Platz, während die Bedienung wieder verschwand. „Woher kennst du diesen Laden?“, fragte Kari neugierig, während sie der jungen Frau hinterhersah. „Das war immer das Lieblingsrestaurant meiner Mutter. Sie war früher manchmal mit mir hier. Ich wollte mal sehen, ob es das noch gibt“, antwortete er und griff nach einer der beiden Karten auf dem Tisch. Kari nahm sich die andere Karte und versuchte, sich auf die Speisen zu konzentrieren, doch ihre Gedanken beschäftigten sich mit T.K. Es war, als würde seine Gegenwart ihr Gehirn lähmen und sie vergaß sofort alles, was sie las. Sie blinzelte, kratzte sich am Kopf, fing wieder von vorne an, doch es wurde nicht besser. „Hast du Hunger auf Sushi? Dann könnten wir uns einfach die Platte für zwei bestellen“, schlug T.K. vor und sah sie über den Tisch hinweg an. Dankbar klappte Kari ihre Karte wieder zu und nickte. „Sushi ist perfekt.“ Die junge Kellnerin kam zurück, nahm ihre Bestellung auf und ging wieder. Kari stützte das Kinn auf einer Hand auf und blickte zu T.K. Ihr Herz machte einen Hüpfer und schon wieder fühlte sie sich wie eine Idiotin. Sie wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte. Dabei war es doch nur T.K. „Die Sushiplatte ist ganz schön teuer“, sagte sie mit hoher Stimme und fragte sich, warum sie nur Mist redete. „Mach dir darum mal keinen Kopf“, erwiderte T.K. schulterzuckend. Verwirrt runzelte Kari die Stirn. Wollte er sie etwa auch noch einladen? „Also“, sagte T.K. auf einmal und sah sie auffordernd an, „wann kommt deine Zusage von der Juilliard noch mal?“ „Im Dezember. Falls überhaupt eine kommt“, antwortete Kari. „Bestimmt kommt eine. Und dann wirst du definitiv nach New York gehen?“ Kari zuckte mit den Schultern und nickte. „Ja, ich denke schon. Es ist eine große Ehre, von so einer Schule angenommen zu werden.“ „Ja“, stimmte er zu. „Und wann ziehst du dann um?“ „Ich weiß nicht genau. Irgendwann im Sommer wahrscheinlich“, sagte Kari nachdenklich. „Ich frage mich, ob es wohl so wird, wie in diesen amerikanischen Filmen. Mit den Wohnheimen, den Mitbewohnern und den Partys und so, meine ich.“ T.K. lachte leise. „Langweilen wirst du dich bestimmt nicht. Und an neuen Leuten wird es auch nicht mangeln.“ „Hoffentlich“, murmelte Kari. „Und du fängst ein Literaturstudium an?“ Er hob fragend die Augenbrauen. „Mal sehen.“ „Vielleicht wirst du ja so berühmt, dass ich ab und zu mal was von dir lese da drüben. In den Zeitungen oder so.“ Sie lächelte. „Wer weiß, ob das überhaupt bis zu dir durchsickert. Immerhin werde ich sicher nicht darüber schreiben, mit wem Paris Hilton letzte Nacht im Bett war.“ Kari musterte ihn interessiert. „Sondern?“ „Hm, ich weiß nicht so genau.“ Er dachte einen Augenblick nach. „Ich würde gern durch die Welt reisen und über das Leben interessanter Menschen berichten.“ „Also doch Paris Hilton und ihre letzte Bettgeschichte“, stichelte Kari. Er schnaubte verächtlich. „Nein, ich denke da eher an das Leben einer chinesischen Frau in einer Textilfabrik. Oder an das eines Aborigine in Australien. Oder eines afroamerikanischen Einwanderers in Amerika. Eines Millionärs in Russland.“ Er bemerkte Karis verwirrten Blick. „Ich meine, was wissen wir schon über all diese Menschen? Jeder lebt ein anderes Leben, schlägt sich täglich mit anderen Problemen herum und jeder hat doch irgendwie eine interessante Geschichte zu erzählen, die wir uns nicht mal ansatzweise vorstellen können. Aber alle interessieren sich immer nur für Paris Hilton und ihre Eskapaden. Dabei gibt es so viele interessante Dinge da draußen.“ Verblüfft sah Kari ihn an. Obwohl sie wusste, dass T.K. schon immer ein Denker gewesen war, hatte sie keine Ahnung gehabt, wie viel in seinem Kopf vorging und über was er sich Gedanken machte. Er wollte also die Welt bereisen, Menschen kennen lernen und ihre Lebensgeschichten veröffentlichen, um die Augen der Leute für andere, unbekannte Dinge zu öffnen. Und was wollte sie? Tänzerin werden, um ihr angeknackstes Ego zu reparieren. „Das ist echt cool“, murmelte sie beeindruckt. „Ach was“, antwortete er lässig. „Vielleicht schreibe ich auch nur ein paar Groschenromane und lerne dann einen ordentlichen Beruf.“ Er lächelte schief. „Ich glaube nicht, dass du Groschenromane schreiben wirst“, erwiderte Kari überzeugt. „Bestimmt wirst du mal ein bekannter Journalist, dessen Publikationen jeder kennt und liest. Oder du schreibst eine Geschichte, die so erfolgreich ist wie Harry Potter oder Twilight.“ Er zog die Augenbrauen nach oben und hob abwehrend die Hände. „Also ich werde weder etwas über Zauberschüler noch über Glitzervampire schreiben.“ Kari lachte. „Und worüber würdest du schreiben?“ „Hm... Ich denke, ich würde Kriminalromane schreiben“, antwortete er, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. „So ähnlich wie Sherlock Holmes?“, hakte Kari nach. „So in etwa“, erwiderte er schief lächelnd. Kari musterte ihn und stellte sich vor, wie er in einem dunklen Kämmerchen saß, nur von einer flackernden Schreibtischlampe beleuchtet, mit einem irren Gesichtsausdruck und sich verzwickte Mordfälle ausdachte. Sie musste kichern. „Was ist so witzig?“, fragte er skeptisch. „Ach, gar nichts“, erwiderte sie abwinkend. Er musterte sie argwöhnisch. „Manchmal würde ich gern deine Gedanken lesen können, Kari Yagami.“ „Nein, würdest du nicht“, antwortete Kari energisch und schüttelte den Kopf. „Aber mir geht es mit dir genauso.“ „Wieso? Ich bin praktisch ein offenes Buch“, sagte T.K. und breitete mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck die Arme aus. „Eigentlich bist du ganz schön geheimnisvoll“, entgegnete Kari. „Wieso?“ Die Kellnerin kam und stellte eine Platte voller Sushi, zwei leere Teller und kleine Schüsseln mit Sojasoße, eingelegtem Ingwer und Wasabi zwischen sie auf den Tisch. Sie wünschte einen guten Appetit und verschwand wieder. „Weil ich glaube, dass es da einiges gibt, was ich nicht über dich weiß“, beantwortete Kari seine noch offene Frage und griff nach den Essstäbchen zu ihrer Rechten. Er tat es ihr gleich und sah sie auffordernd an. „Du kannst mich alles fragen, was du willst.“ Kari nahm sich ein Stück Maki mit Lachs, tunkte es vorsichtig in Sojasoße und erwiderte seinen Blick. „Wirklich alles?“ „Wirklich alles“, wiederholte er, ohne den Blick abzuwenden. „Aber dafür darf ich dich auch alles fragen.“ Kari überlegte kurz, doch schließlich willigte sie ein. „Na gut. Klingt fair.“ Sie steckte sich die kleine Rolle in den Mund, kaute darauf herum und überlegte, was sie ihn gern fragen würde. Dann fiel ihr etwas ein. „Hast du gerade mit irgendeinem deiner Freunde aus Frankreich Kontakt?“ „Ja, mit ein paar Leuten über Facebook“, antwortete er. „Echt praktisch, diese sozialen Netzwerke.“ „Ja, allerdings“, stimmte Kari ihm zu und dachte automatisch an Isabelle, wer immer sie auch war. „Okay, jetzt ich“, bestimmte T.K. „Was genau wolltest du eigentlich machen, bevor du dich entschlossen hast, Tänzerin zu werden und warum?“ Verwundert sah Kari ihn an und überlegte dann. „Das klingt vielleicht ein bisschen blöd. Aber eigentlich wollte ich Grundschullehrerin werden. Und zwar, weil...“ Sie dachte eine Weile nach, kaute auf ihrer Lippe herum und starrte auf das Sushi vor sich auf dem Tisch. „Weil?“, hakte T.K. nach, als sie nicht weitersprach. „Ich wollte irgendwie am Leben anderer Menschen beteiligt sein. Irgendwas Wichtiges machen. Naja und Lesen, Schreiben und Rechnen lernen finde ich ziemlich wichtig. Und ich wollte, dass die Kinder Spaß an der Schule haben und gern lernen. Und vor allem schwächeren Kindern wollte ich mit tollen Methoden helfen, damit auch sie hinterherkommen mit dem Schulstoff.“ Sie lächelte leicht und sah ihn wieder an. Er schluckte sein Nigiri herunter. „Das klingt doch überhaupt nicht blöd. Im Gegenteil. Das klingt irgendwie nach der Kari von früher.“ Kari verdrehte die Augen. Die Kari von früher. Unschuldig, lieb, naiv, langweilig. „Findest du, ich habe mich sehr verändert?“, fragte sie. Diese Frage schien ihn zu überraschen, denn er sah sie einen Moment lang an. „Hm, ja schon. Aber ich denke, das ist ganz normal.“ Sie erinnerte sich, wie er ihr, kurz nachdem er wieder nach Japan gekommen war, gesagt hatte, dass sie sich verändert hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte es so geklungen, als hätte er es nicht unbedingt als normal empfunden. „Sag mal, hattest du eigentlich gar keinen Freund in den letzten fünf Jahren?“, fragte er plötzlich beiläufig. Verblüfft sah Kari ihn an. „Ähm... nein?“ Er setzte eine ungläubige Miene auf und widmete sich wieder seinem Essen. „Warum fragst du?“, fragte Kari misstrauisch. „Keine Ahnung, hätte ich eben nicht gedacht“, antwortete er schulterzuckend. „Außerdem dachte ich, ich kann dich alles fragen.“ Er lächelte unschuldig. „Na schön. Und wie sieht's bei dir aus? Kannst du deine Freundinnen noch an zwei Händen abzählen?“ Er lachte und schüttelte den Kopf. „Die Zahl meiner Ex-Freundinnen liegt im dreistelligen Bereich.“ „Das habe ich mir gedacht“, erwiderte Kari etwas schnippisch. „War nur ein Scherz. Es waren zwei. Eine mit fünfzehn und eine mit sechzehn. Aber mit der Ersten war ich nur ein paar Wochen zusammen, die kann man kaum mitzählen.“ Kari sah sich kurz um, bevor sie ihre nächste Frage in gedämpftem Ton stellte. „Und was ich noch wissen wollte: Angenommen, ich würde dich mal in Frankreich besuchen und würde gern mal Gras probieren wollen. Würdest du mir welches besorgen?“ Zuerst sah er sie verwundert an, dann lachte er leise und beugte sich ein wenig vor. „Für wen hältst du mich eigentlich?“ „Hätte ja sein können“, verteidigte Kari sich schulterzuckend. „Ich würde mit dir einen Abstecher in die Niederlande machen und da könntest du dich austoben“, sagte er grinsend. „Ah“, machte Kari und lächelte. „So ist das also.“ „Ja. Ich habe einen Kumpel, der das Zeug von da geholt hat.“ Kari schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. Sie war definitiv nicht die Einzige an diesem Tisch, die sich verändert hatte. „Dann fliege ich das nächste Mal mit dir nach Paris und dann machen wir das“, beschloss sie. Er zuckte mit den Schultern. „Wegen mir.“ Dann runzelte er die Stirn und sah sie schief an. „Ich habe irgendwie das Gefühl, ich hätte einen schlechten Einfluss auf dich.“ „Hast du ja auch“, antwortete Kari kichernd. Sie aßen das Sushi auf und verlangten die Rechnung. „Hast du eigentlich noch mehr verbotene Dinge in Frankreich getrieben?“, fragte Kari und sah ihn neugierig an. „Hm, schon möglich“, antwortete er geheimnisvoll. „Jetzt weiß ich auch, warum du Kriminalromane schreiben möchtest“, sagte Kari. „So ergibt alles einen Sinn“, erwiderte T.K. „Nein, sonst hab' ich nichts Verbotenes gemacht.“ „Und das soll ich dir jetzt glauben.“ Kari hob eine Augenbraue und musterte ihn skeptisch. Er wollte gerade etwas erwidern, doch in diesem Moment kam die Kellnerin mit der Rechnung. Kari griff schon nach ihrem Portemonnaie, doch er bezahlte einfach alles, bevor sie es überhaupt in ihrer Handtasche gefunden hatte. Sie warf ihm einen etwas vorwurfsvollen Blick zu, den er jedoch nicht mitbekam, da er gerade Smalltalk mit der Kellnerin betrieb. Kari beobachtete die Grübchen in seinen Wangen, die zum Vorschein kamen, als er lächelte. Seine kobaltblauen Augen waren auf die Kellnerin gerichtet und schienen ihre eigene Sprache zu sprechen. Die Bedienung verabschiedete sich von ihnen und wünschte ihnen noch einen schönen Abend. Bevor sie ging, zwinkerte sie Kari noch zu, die sich über dieses Zeichen ein wenig wunderte. T.K. und Kari standen auf und verließen das kleine Restaurant. „Okay, hier kommt meine nächste Frage: Warum hast du für mich bezahlt? Ich mag sowas nicht“, sagte Kari und zupfte ihr Kleid zurecht. „Ich dachte, das gehört sich so als Kerl“, antwortete T.K. schulterzuckend. „Ach, so ein Quatsch“, murmelte Kari und kickte im Gehen einen kleinen Stein weg. Er lachte leise. „Ich wollte dich nicht beleidigen oder so.“ „Hast du doch gar nicht. Mir ist sowas nur unangenehm“, erwiderte sie. „Aber danke.“ Er lächelte. Diese Grübchen machten sie wahnsinnig. „Gern.“ „Das Restaurant war toll. Ich werde es mir merken, obwohl ich nicht glaube, dass ich es wiederfinden werde“, sagte Kari und drehte sich noch einmal um, um den Weg zu sehen, den sie gegangen waren. „Heißt das, wenn ich dich jetzt hier allein lassen würde, würdest du nicht mehr nach Hause finden?“, fragte T.K. grinsend. „Komm bloß nicht auf dumme Gedanken“, antwortete Kari lachend. „Irgendwie würde ich schon nach Hause kommen. Ich bin ja kein kleines Kind mehr.“ Sie schlenderten durch die Straßen und bogen in den Park ab, obwohl es ein Umweg war, ihn zu durchqueren und am späten Abend wahrscheinlich auch nicht die beste Idee. Doch sie waren irgendwie ganz automatisch da lang gegangen. Kari sah in den Himmel und blieb stehen. Die Nacht war besonders klar und so konnte man einen Himmel voller Sterne bewundern. „Sieh mal, die Sterne.“ T.K. blieb ein wenig vor ihr stehen und hob ebenfalls den Kopf. „Ja, man kann sogar die Milchstraße erkennen.“ Er sah sich um und deutete nach links. „Wollen wir auf die Wiese gehen? Da sind keine Laternen und Bäume, da sehen wir die Sterne noch besser.“ Statt einer Antwort marschierte Kari schon quer über die Wiese, bis sie sich möglichst weit weg vom Weg und den Laternen befand. T.K. war ihr gefolgt und sie ließen sich nebeneinander ins Gras fallen. „Erkennst du ein paar Sternbilder?“, fragte sie interessiert. „Da ist der Große Wagen“, sagte er und deutete in eine Richtung. „Ja, den kenne ich auch“, erwiderte Kari. „Und da ist der Kleine Wagen“, fuhr T.K. fort und hob den Arm noch ein wenig. Kari kniff die Augen zusammen und suchte konzentriert nach dem Kleinen Wagen im Himmel über ihnen. „Ah, da. Jetzt sehe ich ihn. Und ist da nicht auch irgendwo der Polarstern?“ „Ja, der letzte Stern der Deichsel ist der Polarstern“, erklärte er. Kari nickte beeindruckt und betrachtete den Polarstern. „Der ist eigentlich gar nicht so hell.“ „Stimmt.“ T.K. sah sich am Himmel um und streckte dann die Hand aus. „Siehst du den hellen Stern da oben?“ Kari folgte der Richtung, in die er zeigte und entdeckte einen besonders hellen Stern. „Ja.“ „Das ist Wega. Der hellste Stern hier. Und das Sternbild, zu dem er gehört, nennt man Leier“, erklärte er und ließ die Hand wieder sinken. „Cool“, erwiderte Kari und betrachtete Wega mit großen Augen. „Hier meine nächste Frage: Woher weißt du das alles?“ „Hat mein Großvater mir mal beigebracht“, antwortete T.K. „Ich wünschte, ich könnte mir mal alles merken, was er erzählt.“ Kari lächelte und streckte die Beine aus. „Das Gefühl kenne ich. Ich wünschte, meine Mutter hätte sich gemerkt, was meine Großmutter ihr übers Kochen beigebracht hat.“ T.K. lachte und wandte den Blick vom Himmel ab. „Vielleicht musst du es ihr noch mal erklären.“ „Ach, ich kann das auch nicht so gut“, erwiderte Kari abwinkend. Sie gähnte, ließ sich nach hinten fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. So konnte sie den Sternenhimmel noch besser bewundern. Sie fragte sich, wie alt all die Sterne wohl waren, die sie dort oben sah und was es da draußen noch alles gab. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass alles, was sie jetzt am Himmel sehen konnte, nur ein winzig kleiner Teil des Universums war. Und ihre Erde, die ihr so groß erschien, war nur ein kaum sichtbarer Punkt unter Milliarden in ihrer Galaxie. Kari wurde fast schon schwindelig, wenn sie versuchte, sich das vorzustellen. „Sag mal“, riss T.K. sie aus ihren Gedanken, der noch immer neben ihr saß und auf sie herabblickte, „habe ich dir heute eigentlich schon gesagt, wie gut du aussiehst?“ Er ließ den Blick über ihren Körper wandern und sah ihr wieder in die Augen. Vergessen war die Milchstraße und auch jede andere Galaxie. Auf einmal waren Karis Gedanken wieder komplett auf der Erde, hier in diesem Park in Tokio bei T.K. auf der Wiese. „Nein“, antwortete sie kaum hörbar. Er lächelte leicht, drehte sich auf den Bauch, wodurch er ganz nah an sie heran rutschte und legte sich neben sie. Er stützte den Oberkörper auf den Unterarmen ab und sah ihr in die Augen, sein Gesicht nun viel näher an ihrem als vorher. Karis Herz schlug ihr bis zum Hals und sie war froh, dass sie schon lag, sonst wäre sie jetzt wohl umgekippt. Ihre Knie zitterten und ein nervöses Flattern machte sich in ihrem Bauch breit. Zitternd nahm sie die Arme hinter dem Kopf hervor und fuhr sich mit einer Hand in die Haare. T.K. runzelte die Stirn. „Geht's dir gut? Du guckst, als hättest du ein Gespenst gesehen.“ Kari kicherte nervös und kam sich albern vor. Sie nahm die Hand aus den Haaren und zeigte sie T.K. Fragend musterte er ihre Hand und sah ihr dann wieder in die Augen. Er hob eine Augenbraue und ein schiefes Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich bin nicht so gut in Zeichensprache“, räumte er ein. „Mann, meine Hand zittert, weil ich so aufgeregt bin, du Idiot“, antwortete Kari leise lachend. Wie um sich eine Bestätigung zu holen, nahm er ihre Hand in seine und drückte sie sanft, bevor er sie wieder losließ. „Stimmt. Und warum bist du so aufgeregt?“ Kari stöhnte auf und legte beschämt den Unterarm über die Augen. „Frag doch nicht so blöd.“ Als sie den Unterarm wieder wegnahm, sah sie, dass er grinste. „Ich hab' noch eine letzte Frage“, verkündete er. „Na dann schieß los“, forderte Kari ihn auf. Er zögerte kurz. „Wie fandest du es eigentlich letzten Samstag? Den Kuss, meine ich.“ Kari presste die Lippen zusammen und schluckte. Sie schloss für einen Moment die Augen, um seinem durchdringenden Blick auszuweichen. Als sie sie wieder öffnete, sah er sie noch immer etwas unsicher an. „Meinst du den am Nachmittag oder den... in der Nacht?“, fragte sie und bemühte sich, möglichst locker zu klingen. Er schien verwirrt. „Beide.“ „Naja, der am Nachmittag war schön“, antwortete Kari langsam. „Und der in der Nacht war... war...“ Er hob fragend die Augenbrauen. Fieberhaft suchte Kari nach einem passenden Adjektiv, doch ihr fiel keins ein. Vielleicht gab es für das, was sie an jenem Abend gefühlt hatte, auch noch gar keins. Ihr Mund war noch geöffnet, doch sie brachte keinen Ton heraus, sodass sie nur langsam den Kopf schüttelte, woraufhin T.K. die Stirn runzelte. Er setzte dazu an, etwas zu sagen, doch in diesem Moment ergriff Kari die Initiative. Sie vergrub die Hände in seinem vom Licht der Sterne silbrig glänzenden Haar, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn. Er ging sofort darauf ein, intensivierte den Kuss und löste das gleiche Gefühl in ihr aus wie letzten Samstag. Nein, es war nicht das gleiche. Es war sogar noch stärker, wenn das überhaupt möglich war. Vielleicht lag es daran, dass er halb auf ihr lag, die Hände links und rechts neben ihrem Kopf im Gras abgestützt, sodass sie sich fast schon umzingelt fühlte. Ihr Herz fühlte sich an, als wollte es aus ihrer Brust springen. Sie ließ sich komplett fallen und vergaß völlig, wo sie war. „Nicht von dieser Welt“, brachte sie atemlos hervor, als T.K. den Kuss löste. „Was?“, fragte er irritiert. „Der Kuss. Nicht von dieser Welt“, hauchte Kari. Ja, das war die passendste Beschreibung für all ihre Empfindungen. Er lächelte sanft und senkte seine Lippen erneut auf ihre. Genüsslich schloss sie die Augen und konzentrierte sich ganz auf ihn, seinen Geschmack, seinen Geruch, sein Gewicht auf sich. Ihre Hände ruhten an seinem Hals und seine Haare kitzelten ihre Stirn. Sie spürte wie er mit einer Hand langsam ihre Seite entlangfuhr, sie auf ihrer Hüfte ruhen ließ und langsam wieder empor strich. Dann ließ er sie wieder nach unten zu ihrem Oberschenkel wandern, fuhr mit den Fingern langsam unter ihr Kleid und schob es ein wenig nach oben, wo seine Hand dann liegen blieb. Diese Berührungen jagten Kari wohlige Schauer durch den ganzen Körper und hinterließen ein Prickeln auf ihrer Haut. Sie strich ihm mit ihren Händen über den Rücken bis zum Saum seines T-Shirts. Sie zog es ein klein wenig nach oben und fuhr mit den Fingern über die bloße Haut seines Lendenbereichs, spürte die leichten Muskelerhöhungen links und rechts an der Wirbelsäule und merkte, dass ihre Finger immer zittriger wurden. Dann ließ sie die Hände nach unten wandern, bis sie den Bund seiner Boxershorts fühlte. Vorsichtig schob sie die Fingerspitzen darunter, ließ die Hand dann jedoch dort ruhen. Auch T.K. schien nun mutiger geworden zu sein, strich mit der Hand wieder ihre Seite hinauf und fuhr leicht über ihre Brust, bevor die Hand wieder nach unten wanderte. Kari winkelte das Bein an, sodass er mit der Hand unter das Kleid gleiten und es nach oben schieben konnte. Dabei fuhr er seitlich über ihren Po, berührte ihren Slip und folgte ihm mit den Fingern über den Hüftknochen zu ihrem Bauch. Kari schob unterdessen T.K.s T-Shirt so weit nach oben, dass sein halber Rücken freilag. Sanft ließ sie ihre Fingernägel über die glatte Haut streichen und spürte, wie sich die feinen Härchen auf seinem Rücken aufstellten. Während dieser Berührungen unterbrachen sie ihre Küsse nicht ein einziges Mal. Sie wollte mehr. Sie wollte ihm dieses T-Shirt ausziehen und den Rest am besten gleich dazu. Ihre Hände fuhren unter dem Stoff des T-Shirts nach oben zu seinen Schultern und sie zog ihn näher an sich. Eine unbekannte Erregung hatte sie gepackt und schien ihr den Kopf zu vernebeln. Ihm schien es nicht anders zu gehen, denn seine Hand lag gerade auf ihrer Brust und zupfte am Ausschnitt ihres Kleides herum, bevor sie wieder nach unten fuhr, ihr das Kleid bis zur Taille nach oben schob und Anstalten machte, ihr den Slip auszuziehen. In diesem Moment ertönte ein lauter Ruf und Gelächter und Kari und T.K. fuhren wie vom Blitz getroffen auseinander. Ruckartig drehte T.K. den Kopf in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Keuchend stützte Kari sich auf die Unterarme und blickte ebenfalls in die Richtung. Dort auf dem Weg torkelten gerade ein paar anscheinend besoffene Leute vorbei, die jedoch keinerlei Notiz von dem Paar auf der Wiese nahmen. Sie kamen nur langsam voran, doch irgendwann wurden ihre Stimmen leiser und sie waren nicht mehr in Sichtweite. T.K. und Kari sahen sich an und mussten dann beide lachen. Kari war völlig außer Atem und keuchte noch ein wenig, während sie sich aufsetzte und ihr Kleid wieder nach unten zog. Auch T.K. hatte sich hingesetzt, sein T-Shirt wieder in die richtige Position gebracht und fuhr sich durch die unordentlichen Haare. Waren sie tatsächlich gerade im Begriff gewesen, miteinander zu schlafen? Mitten in einem öffentlichen, für jeden zugänglichen Park? Kari hatte einfach alles um sich herum ausgeblendet und sich nur noch auf T.K. konzentriert. „Puh“, machte dieser. Seine Atmung hatte sich wieder beruhigt. Etwas schüchtern lächelnd sah er sie an. Verlegen wich sie seinem Blick aus und zog sich die Spange aus dem Haar, die verrutscht war. Wahrscheinlich sah sie aus wie eine Vogelscheuche. T.K. streckte die Hand aus und zupfte ihr ein paar Grashalme aus den Haaren. „Vielleicht suchen wir uns das nächste Mal besser einen anderen Ort dafür“, meinte er und stand auf. Kari nickte langsam, fuhr sich durch die Haare, strich sich störende Strähnen hinter die Ohren und ließ sich von T.K. hoch helfen. Langsam machten sie sich auf den Weg nach Hause. Dabei redeten sie kein Wort. Zu sehr hing Kari ihren Gedanken nach und war ein wenig erschrocken über sich selbst und was sie fast getan hätte. Doch obwohl sie wusste, dass es unverantwortlich war, in einem öffentlichen Park, wo man leicht entdeckt werden konnte, seine Unschuld an jemanden zu verlieren, mit dem man noch nicht einmal fest zusammen war, wünschte sich ein kleiner Teil tief in ihr, dass diese Besoffenen nicht grölend vorbeigezogen wären. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sie sich bereit gefühlt. T.K. brachte sie bis zu ihrem Wohnhaus und für einen Augenblick hatte Kari die Hoffnung, er würde vielleicht noch mit nach oben kommen wollen. Doch andererseits waren ihre Eltern vielleicht noch wach und dann war es ihr peinlich, dort spät abends mit T.K. aufzukreuzen und sich in ihrem Zimmer zu verziehen. Sie blieben stehen und sie lächelte ihn an. „Das war ein sehr schöner Abend“, raunte sie und spielte verlegen mit ihren Fingern. „Können wir jederzeit wiederholen“, antwortete er lässig. „Gern.“ Sie senkte den Blick, um ihr blödes Grinsen zu verbergen und strich sich erneut ein paar Haarsträhnen hinter das Ohr. „Mach's gut und...“ „... melde dich, wenn du zu Hause bist“, beendete er ihren angefangenen Satz amüsiert lächelnd. „Wird gemacht.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und dann küssten sie sich noch einmal, bevor Kari mit einem Strahlen im Gesicht ins Haus ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)