Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 26: Der letzte Brief ---------------------------- Kari drückte auf die Klingel und wartete ungeduldig. Gleich nach ihrem Gespräch mit Matt hatte sie sich von ihm verabschiedet und sich auf den Weg zu T.K. gemacht, obwohl es schon Abend war. Doch sie hatte es einfach nicht mehr ausgehalten. Sie musste mit ihm reden. Worüber, wusste sie noch nicht so genau, doch sie hatte einfach das Bedürfnis, nach allem, was sie erfahren hatte, mit ihm zu sprechen. Die Tür wurde geöffnet und T.K. blickte ihr verwundert entgegen. „Hi.“ „Hallo. Ähm... kann ich rein kommen?“, fragte sie lächelnd. „Klar“, antwortete er und trat zur Seite, um sie herein zu lassen. Bestimmt ging Kari an ihm vorbei und zog sich die Schuhe aus. Es war das zweite Mal, das sie hier war und jetzt hatte sie endlich mal Zeit, sich die Wohnung genauer anzuschauen. Dafür hatte sie bei ihrem ersten Besuch hier keinen Nerv gehabt. Es roch noch ein wenig nach Wandfarbe und neuen Möbeln, aber alles war ordentlich und blitzsauber. So war es schon immer in Natsukos und T.K.s Wohnung gewesen. Die Wände waren hell gestrichen und der Boden mit hellen Teppichen ausgelegt, sodass alles freundlich und gemütlich wirkte. „Was verschafft mir die Ehre?“, fragte T.K., der im Wohnzimmer stand und sie dabei beobachtete, wie sie sich umsah. „Ich wollte mit dir reden“, antwortete Kari ehrlich. T.K. hob eine Augenbraue. „Hat Matt dich etwa geschickt?“ „Nein, ich wollte selbst herkommen“, widersprach Kari eine Spur zu heftig. Dabei hatte Matt sie wirklich nicht hergeschickt. Er hatte nur mehr oder weniger dazu beigetragen, dass Kari herkommen wollte. T.K. sah sie noch einige Sekunden an, nickte dann aber und ging voraus in sein Zimmer. Sie lief ihm hinterher und inspizierte erst einmal sein Reich, genauso wie er es bei ihr auch getan hatte. Auch hierfür hatte sie bei ihrem ersten Besuch keinen Blick gehabt. Die Wand war weiß, der Teppich beige und die Möbel holzfarben. An den Wänden hing eine Fotocollage, ein Poster von Paris in schwarzweiß, ein Kalender und eine Uhr. Auch hier war alles aufgeräumt und ordentlich bis auf einen Basketball, der mitten im Zimmer herumlag, als hätte T.K. gerade damit gespielt. Alles in allem war sein Zimmer sehr schlicht, aber er wohnte ja auch noch nicht allzu lang hier drin. Kari ging zu der Fotocollage und betrachtete sie neugierig. Auf den meisten Fotos war T.K. inmitten einer Gruppe von Freunden in verschiedenen Situationen abgebildet. Vor dem Eiffelturm, vor der Notre Dame, auf einer Party, bei einem Picknick auf einer Wiese, im Winter beim Skifahren, am Strand im Sonnenuntergang. Manche Fotos zeigten ihn aber auch zusammen mit einem hübschen blonden Mädchen, das Kari schon auf einem seiner Profilfotos bei Facebook entdeckt hatte. Isabelle. Ein Foto zeigte sie und ihn von hinten, wie sie gerade Hand in Hand ins Meer rannten. Wasser spritzte um sie herum und glitzerte im Licht der Sonne. Kari fiel sofort auf, was für eine schöne Figur das Mädchen hatte. „Worüber willst du reden?“, fragte T.K. und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Er saß auf seinem Bett und sah sie fragend an. Zögerlich setzte sie sich neben ihn. „Also, ich wollte dir sagen, dass ich dir verzeihe“, eröffnete sie das Gespräch und sah ihn schief an. Er hob überrascht die Augenbrauen. Damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet. „Aha?“ „Ja, also ich meine, ich war eben lange genug sauer. Fünf Jahre, um genau zu sein. Und das reicht eigentlich, oder nicht?“ Sie lächelte schief. „Und du bist ja immer noch ganz nett, so wie früher. Also könnten wir vielleicht wirklich einfach wieder normale Freunde werden und vergessen diese Sache.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an, aber er erwiderte ihren Blick einfach nur verwirrt. Eine Weile sah er sie sprachlos an. Dann kratzte er sich am Kopf und seufzte. „Ähm... das ist schön“, murmelte er. „Aber... wie kommst du jetzt plötzlich darauf? Und das auch noch, nachdem Matt aufgetaucht ist.“ Kari hätte sich denken können, dass er das gleich durchschaute. Er war ja nicht bescheuert. „Naja, wir machen alle Fehler, nicht wahr?“, meinte sie schulterzuckend. „Und wir kennen uns schon so lang und von daher sollten wir diese Sache nicht alles zerstören lassen.“ T.K. stützte die Ellbogen auf den Knien ab, runzelte die Stirn und musterte sie durchdringend. Sie hasste diesen Blick, der sich immer anfühlte, als würde er sie röntgen. „Ich habe mit Matt geredet“, gab sie schließlich zu. Er antwortete nicht, sondern sah sie nur weiter abwartend an. Das hatte er sich sicher schon gedacht. „Er hat mir erzählt, was passiert ist“, redete Kari weiter. „Was hat er dir erzählt?“, fragte T.K. kühl. „Na das mit Jean und deiner Mutter. Weshalb ihr nach Japan zurückgekommen seid. Dass es an diesem Jean lag, weil er... deine Mutter... also...“ „Er hatte kein Recht, dir das zu erzählen“, beendete er ihr Gestammel und wandte den Blick ab. „Er ist der Letzte, der das Recht hat, es überhaupt irgendjemandem zu erzählen!“ „T.K.“, sagte Kari leise und legte eine Hand auf seinen Unterarm, der sich ganz hart und angespannt anfühlte. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, sodass die Fingerknöchel weiß unter der Haut hervortraten. „Was passiert ist, ist schrecklich. Aber Matt tut es Leid. Er will mit dir über alles reden. Ich glaube, er leidet ziemlich darunter, dass ihr keinen Kontakt mehr habt.“ „Ich wusste, dass er dich geschickt hat. Bitte halt dich da raus, Kari“, sagte T.K. trocken und fuhr sich durch die Haare, als müsste er angestrengt nachdenken. „Er hat mich nicht geschickt“, protestierte Kari. „Ich wollte selbst zu dir kommen und mit dir reden. So kann das doch nicht weitergehen. Er ist dein Bruder.“ „Ist er nicht. Er hat sie einfach im Stich gelassen. Seine Karriere war ihm wichtiger als seine Familie, also ist er nicht mehr mein Bruder, sondern nur ein geldgieriger Idiot.“ Er schnaubte verächtlich. „Berühmt sein ist doch alles, was den je interessiert hat.“ „Das stimmt nicht“, widersprach Kari und bemühte sich um eine einfühlsame Stimme. „Du bedeutest ihm so viel, das weiß ich.“ T.K. schüttelte nur den Kopf und stand auf. „Ich will nicht mehr darüber reden, okay? Bitte sprich mich nie wieder darauf an.“ „Aber T.K.“ Sein Blick brachte sie zum Schweigen. Eine Weile sahen sie sich in die Augen, dann ließ Kari den Kopf hängen und ging langsam aus dem Zimmer. Er folgte ihr, um sie zur Tür zu bringen. „Es tut mir Leid, dass ich nicht da war, als du mich gebraucht hättest“, sagte sie betrübt, nachdem sie die Wohnungstür geöffnet hatte. „Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen“, antwortete er. „Aber vielleicht hättest du jemanden zum Reden gehabt, wenn ich nicht so stur gewesen wäre“, meinte Kari betreten. „Und dann wäre es dir vielleicht besser gegangen.“ „Wie gesagt, du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, wiederholte er sich. Kari zuckte mit den Schultern, verabschiedete sich von ihm und machte sich auf den Weg nach Hause. Der erste Weg führte Kari in ihr Zimmer zum Schreibtisch. Alles, was sie heute über T.K. und Matt erfahren hatte, hatte sie sich an den fünften Brief erinnern lassen, der noch immer darauf wartete, gelesen zu werden. Ob dort drin wohl ein Hinweis stand, dass es T.K. und seiner Mutter nicht sonderlich gut ergangen war? Sie fischte den Brief aus der untersten Schreibtischschublade hervor. Äußerlich unterschied er sich schon einmal nicht sonderlich von den anderen vier Briefen. Sie öffnete behutsam den Umschlag und holte das Papier darin heraus. Eilig faltete sie es auseinander und begann zu lesen. Liebe Kari, ich wünsche dir alles Liebe zum 17. Geburtstag! Mögen sich all deine Wünsche erfüllen. 17 hört sich schon unglaublich alt an, oder? Wir gehen stramm auf die 20 zu. Dann sind wir erst mal alt... Wie auch immer, ich hoffe, es geht dir gut und du machst dir heute einen schönen Tag mit wem auch immer. Mir jedenfalls geht es gut, auch wenn alles drunter und drüber geht zur Zeit. Aufgrund einer Verkettung vieler Umstände müssen wir von hier weg und kommen zurück nach Tokio. Ja, wirklich. Ich kann es auch kaum glauben. Es hat echt lange gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, hier zu sein und jetzt muss ich wieder weg. Aber es geht nicht anders. Wir ziehen übrigens zufällig wieder in die Gegend, in der wir früher gewohnt haben und ich werde auf die gleiche Schule gehen, auf der auch unsere Brüder waren. Also falls du noch da wohnst, sehen wir uns wahrscheinlich in der Schule. Ich weiß, das wäre irgendwie komisch, aber ich freue mich darauf. Ich hoffe wirklich sehr, dass du noch da wohnst. Ansonsten ist hier nicht so viel los. Meine Mutter fängt schon langsam an, unser Leben in Kartons zu packen. Du müsstest sie dabei mal sehen. Sie entscheidet sich mindestens fünf Mal um, ob sie eine Sache behält oder doch lieber wegschmeißt. Oder doch lieber spenden? Ich fange schon langsam an, meine Freunde hier darauf vorzubereiten, dass ich wegziehe. Man lernt ja aus seinen Fehlern. Aber ich wollte, dass du es als Erste erfährst. Jedenfalls hoffe ich, dass ich dich dann demnächst sehe. Wenn alles klappt, am 6. April. Das sind nur noch zwei Monate! Bis hoffentlich bald. Liebe Grüße Takeru Sie faltete den Brief wieder zusammen. Er hatte ihr also tatsächlich schon geschrieben, dass er wieder zurückkam. Deshalb wusste er auch, dass sie seine Briefe nicht gelesen hatte. Es war jedoch in keiner Silbe herauszulesen, dass bei ihnen etwas Schreckliches passiert war. Dass alles drunter und drüber ging, konnte ja alles Mögliche bedeuten. Sie spähte in den Brief und holte noch ein paar der Schokoladenbonbons heraus, die er wieder mitgeschickt hatte. Außerdem war noch ein winziges Stoffsäckchen dabei. Kari nahm es in die Hand und öffnete es neugierig. Es enthielt eine dünne, silberne Kette mit einem filigranen silbernen Anhänger in Form einer Balletttänzerin. Außerdem war noch ein Zettel in dem Stoffsäckchen mit einem einzigen Satz darauf. Ich hoffe, du tanzt noch. Kari lächelte und legte sich die Kette um den Hals. Gleich darauf betrachtete sie sich im Spiegel. Ja, die gefiel ihr wirklich gut. Selbst, wenn sie nicht mehr tanzen würde, hätte sie sich über dieses Geschenk gefreut. Sie war erstaunt, dass er bei diesem Chaos zu Hause noch Nerven dafür gehabt hatte, ihr ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Wie viel Geld er wohl dafür ausgegeben hatte? Ob seine blonde Freundin Isabelle davon wusste, dass er ihr jedes Jahr Geburtstagsgeschenke geschickt hatte? Kari setzte sich an ihren Computer und fuhr diesen hoch, um sich mal wieder in ihren Facebook-Account zu loggen. Sie war nun schon einige Tage nicht mehr dort online gewesen. Ob sie wohl irgendetwas Weltbewegendes verpasst hatte? Sie überflog die Einträge auf ihrer Startseite. Wieder einmal viele Leute ihrer Schule, die Liedtexte und tiefsinnige Zitate posteten, Videos teilten, ihre Kontakte über ihren Tagesplan auf dem Laufenden hielten... und Partyfotos. Erst da fiel Kari wieder ein, dass Aya ja am Wochenende auf dieser Party von Masao gewesen war und T.K. gefragt hatte, ob er auch kam. Neugierig klickte sie sich durch die Bilder. Viele Bilder von betrunkenen Jugendlichen. Und ein Bild von T.K. und Aya Arm in Arm. Sie strahlte in die Kamera, er lächelte nur leicht. Kari klickte weiter und fand die beiden erneut auf einem Foto, diesmal allerdings eher im Hintergrund und sie unterhielten sich. Und auch auf noch einem anderen Bild tauchten sie im Hintergrund auf und schienen gerade über etwas zu lachen. Kari runzelte die Stirn und klickte auf Ayas Profil. Ihr Profilfoto zeigte einen typischen Selfie vor dem Badezimmerspiegel. Kari schnaubte belustigt. Ihr Beziehungsstatus zeigte „Es ist kompliziert“ an. Kari hob die Augenbrauen. Was sie wohl damit meinte? Waren sie und T.K. etwa... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)