In Ketten gelegt von Shinoito ================================================================================ Kapitel 3: Yutaka ----------------- Vor Erstaunen öffnete ich meinen Mund, als ich die Person erkannte. „Yutaka!“ rief ich fassungslos. Was zur Hölle machte mein Bruder hier? Mein geliebter, großer Bruder, der vor zwei Jahren spurlos verschwunden war?! „Ihr kennt euch?“, fragte Aoi und hob dabei eine Augenbraue. Yutaka, oder auch Kai, wie die anderen ihn nannten, schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, ich weiß zwar nicht, woher du meinen Namen kennst, aber ich habe dich noch nie gesehen!“, sagte er kühl und setzte sich mit einer Portion Spaghetti zu uns an den Tisch. „Aber ich bin es doch, Taka, dein kleiner Bruder“, widersprach ich verzweifelt. Ich erkannte doch wohl noch meinen eigenen Bruder! Verwirrt sah Aoi zwischen Kai und mir hin und her. „Du hast gar nie erzählt, dass du einen kleinen Bruder hast“, meinte er. „Ich habe auch keinen kleinen Bruder, verdammt noch mal!“, zischte Kai. „Also ich fang jetzt mit dem Essen an. Ihr könnt gerne woanders diskutieren“, mischte sich nun Reita ein und griff zu seinen Stäbchen. Ohne mich weiterhin zu beachten, tat es Kai ihm nach. Verwirrt musterte Aoi mich noch immer, sein Essen hatte er anscheinend ganz vergessen. Ich hingegen, senkte den Kopf und fing nun ebenfalls mit dem Essen an. Was war nur mit Kai geschehen? Wir waren immer unzertrennlich gewesen. Es machte mir Angst, dass er sich so seltsam benahm. Für einen kurzen Moment war er hier mein Lichtblick gewesen. Dann hätte ich endlich jemanden gehabt,dem ich wirklich vertrauen hätte können... Kai war immer eine warmherzige, offene Person gewesen und nicht so… kalt. Hatten sie ihm eine Gehirnwäsche verpasst? Oder hatte er etwa Angst, Ärger mit Uruha zu kriegen? Es war Kai, der den Tisch als erstes wieder verließ, ohne dabei ein Wort zu verlieren. Die anderen zwei drehten sich nicht einmal nach ihm um, als er ging. Nur ich blickte meinem Bruder lange hinterher. „Was geht hier eigentlich vor?“, platze es schließlich ein paar Minuten später aus mir heraus, nachdem ich nur noch alleine mit Reita und Aoi war. „Wo bin ich? Und warum? Was hat dieser Uruha vor? Warum dürft ihr keine Fragen beantworten? Und warum ist Kai hier?“ Alles Fragen, die mir brennend auf der Zunge lagen. Keiner der beiden antwortete mir, was das Fass zum überlaufen brachte. Außer Kontrolle sprang ich auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich will jetzt endlich eine Antwort!“, schrie ich die beiden an. Erschrocken, über meinen Wutausbruch, setzte ich mich schnell wieder. „Pass auf was du sagst und machst Junge!“, knurrte Reita „Oder ich klatsch dir eine!“ „Nun mal langsam, eigentlich sind dies berechtigte Fragen, Reita“, mischte sich Aoi nun ein. „Es geht diesen Wurm nichts an! Und das weißt du genauso gut! Warum verteidigst du ihn dann? Ich wünschte, ich hätte ihn wirklich erschossen!“, regte Reita sich auf „Aber nein, der liebe Uruha und seine scheiß Pläne!“ „Sei still“, zischte Aoi „Wenn er das hört, hast du wirklich ein Problem an der Backe!“ Eingeschüchtert starrte ich auf den Boden und wagte es nicht mehr, die beiden anzusehen. Was ging hier nur vor sich? Dieser Uruha musste wirklich furchteinflössend sein, wenn die anderen so von ihm redeten. „Komm Taka, ich bring dich auf mein Zimmer“, wandte sich Aoi schließlich an mich und stand auf. „Lässt du den Armen wirklich auf dem Boden schlafen?“, spottete Reita und erntete dabei einen bösen Blick von Aoi. „Nun komm schon endlich. Oder muss man dir alles zweimal sagen?“, meinte dieser zu mir. Hastig schüttelte ich den Kopf und stand nun ebenfalls auf. „Ich schlage dir vor, dass du jetzt erst mal eine Runde pennst. Du siehst völlig fertig aus“, meinte Aoi, in seinem Zimmer angekommen. „Allerdings muss ich dich wieder einsperren. Ich habe heute Spätschicht und werde erst mitten in der Nacht wieder zurückkommen!“ Ich zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich wäre ich eh zu müde gewesen, um jetzt noch eine große Fluchtaktion zu starten. Etwas musste ich allerdings noch dringend von ihm wissen:„Weißt du wie viel Uhr wir haben?“, fragte ich ihn, bevor er das Zimmer wieder verließ. „Ungefähr zwanzig Uhr. Wieso, ist das wichtig?“, antwortete Aoi. „Ich hasse das Gefühl, kein Zeitgefühl zu haben“, erklärte ich leise. __ Es war gerade mal so hell, dass ich die Umrisse des Zimmers erkennen konnte, als ich erwachte. Jemand hatte über Nacht die Vorhänge zugezogen, Vorhänge, deren Farbe mich unangenehm an die des Teppichs erinnerte. Langsam setzte ich mich auf und streckte mich ausgiebig. Mein Rücken schmerzte, doch davon nahm ich gerade keine Notiz. Etwas ganz anderes hatte meine Interesse geweckt; Aois Kleider, die er achtlos auf das Ende des Bettes geworfen hatte. Mit einem kurzen Blick auf das Bett, mehr als ein schwarzer Haarschopf Aois war nicht zu sehen, stellte ich sicher, dass er sich noch immer im Land der Träume befand. Danach kroch ich so leise es ging zu seinen Kleidern und durchsuchte die Taschen seiner Hosen. Ein feines Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich etwas Metallenes spürte; die Schlüssel, die mich hier rausbringen konnten. Noch einmal wagte ich einen Blick zu Aoi, welcher noch immer gleichmäßig atmete. Lautlos stand ich also auf, den Schlüsselbund sicher in meiner linken Faust. Erst, als ich schließlich vor der Tür stand, besah ich ihn mir genauer. Neun Schlüssel befanden sich daran. Himmel, wozu brauchte ein Mensch nur so viele?? Das erschwerte es mir natürlich um einiges. Je nachdem musste ich jeden einzelnen ausprobieren, was mich Unmengen an Zeit kostete. Doch zu meinem Glück war bereits der vierte Schlüssel der Richtige und beinahe lautlos drehte ich ihn im Schloss um, dabei schlug mein Herz schneller, sei es aus Freude oder auch Aufregung. Doch gerade, als ich die Türklinke hinunterdrücken wollte, erklang eine Stimme hinter mir: „Das funktioniert nicht, vergiss es!“ Vor Schreck ließ ich den Schlüsselbund fallen, ehe ich mich zu Aoi, welcher mich, auf seine Ellbogen gestützt, beobachtet hatte, umdrehte und ihn mit großen Augen fixierte. „Meinetwegen kannst du es gerne probieren“, meinte er und deutete zur Tür. Ohne lange nachzudenken, drehte ich mich wieder zur Tür um und drückte nun die Türklinke hinunter. Doch wie Aoi vorausgesagt hatte, ließ sie sich nicht öffnen. Verzweifelt begann ich an ihr zu rütteln, in der Hoffnung, sie hätte sich doch noch irgendwie geöffnet. „Hör auf, das bringt doch nichts“, meinte Aoi, nun direkt hinter mir und zerrte mich sanft aber bestimmt von der Türe weg. Mit einem Gemisch aus Enttäuschung, Verzweiflung und Wut begann ich, mich gegen ihn zu stemmen und blind auf ihn einzuschlagen. Doch blitzschnell hielt er mich mit einem eisernen Griff fest und zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass er auch ganz anders konnte, wenn er wollte. Nur hatte ich zu dieser Zeit noch keine Ahnung, wie richtig ich damit lag. „Lass mich los!“, schrie ich ihn an, blitzschnell jedoch, presste er mir die Hand auf den Mund. Ich versuchte alles; Beißen, Kratzen, was mir sonst noch so einfiel, doch er ließ mich keine Sekunde los. Erst, als ich mich langsam beruhigt hatte, öffnete er seinen Griff. „Was sollte das?“, wütend funkelte ich ihn an. „Das das klar ist, in diesem Zimmer bin ich noch immer der Boss und nicht du, Kleiner. Du kannst froh sein, dass ich mir die Mühe mache, auf dich aufzupassen. Wer weiß ob du sonst immer noch in diesem Verlies wärst! Und ich war es nicht, der auf die Idee gekommen ist, jede Nacht den Riegel von außen zu schieben!“, erklärte Aoi. Seine Stimme war ruhig, doch ein Unterton in seiner Stimme machte klar, dass ich nun vorsichtig sein musste. „Uruha?“, fragte ich nur und er nickte. Schon wieder dieser Mann. Alle redeten von ihm und ich hatte ihn noch immer nicht zu Gesicht bekommen. Eigentlich konnte ich ja froh sein, ich wollte gar nicht wissen, wer dieser Mensch war. Mittlerweile hatte ich sogar ein Monster vor Augen, wenn ich ihn mir so vorstellte. „Darf ich trotzdem noch eine Frage stellen?“, fragte ich nun vorsichtig. „Stell sie, dann werde ich es mir überlegen“, knurrte Aoi. „Ich will wissen, warum Uruha die Tür von seinen eigenen Arbeitern abschließt…“ „Willst du das wirklich wissen?“ „Auf jeden Fall!“ „Dann versprich mir, weder Reita, noch Kai und schon gar nicht Uruha was davon zu sagen, ja? “ „Natürlich. Sehe ich etwa so aus??“, entrüstete ich mich. Aoi zuckte daraufhin mit den Schultern. „Man kann ja nie wissen“, kam die Antwort. "Ich habe dir nichts gesagt, klar?" „Okay. Aber kann ich die Frage jetzt beantwortet haben?“, bettelte ich. „Ich kenne keinen Mensch, der so neugierig ist wie du“, Aoi lächelte leicht, wurde dann aber wieder ernst. „Uruha hat Angst, dass wir abends abhauen könnten oder so. Deshalb schließt er auch immer die Tür von außen ab. Abhauen ist uns strengstens verboten und es ist auch ziemlich riskant. Zu neunzig Prozent findet er den Flüchtling wieder und erschießt ihn dann...“, er machte einen kleine Pause, ehe seine Stimme beinahe zu einem Flüstern wurde. „Reitas großer Bruder und auch meiner haben diesen Weg gewählt!“ Erschrocken riss ich die Augen auf. Uruha hatte es wirklich getan? Er hatte die beiden kaltherzig erschossen? „Das- Das ist ja schrecklich“, stammelte ich „Es tut mir so leid…ich wollte dich nicht-“ „Schon okay, Taka“, Aoi lächelte traurig „Sie waren sich den Konsequenzen durchaus bewusst. Sie haben sogar schon ziemlich sicher gewusst, dass dies kommen würde…“ „Aber warum haben sie dann…“ „Sie waren verzweifelt, verstehst du das nicht?“ „I-Ich weiß nicht recht was denken…“, flüsterte ich. „Verdammt, ich hätte dir doch besser nichts gesagt“, murmelte Aoi „So wie ich dich kenne, wird es dir keine Ruhe lassen und das wollte ich nicht“ „Es macht mir Angst! Ich weiß überhaupt nicht, was Uruha mit mir vorhat. Will er, dass ich für ihn arbeite? Aber ich bin doch noch nicht mal achtzehn!“ Traurig schüttelte Aoi den Kopf. „Ich wünschte, ich könnte dir das alles ersparen… Nur weiß ich nicht wie…“ Wir schwiegen beide einen kurzen Moment. Schließlich seufzte er: „Willst du zuerst in die Dusche oder soll ich?“ „Geh du zuerst, du bist der Chef“, antwortete ich, worauf mir Aoi einen Blick zuwarf, den ich nicht recht zu deuten wusste. „Na gut“, nickte er „Ich dachte nur, vielleicht möchtest du zuerst, aber als erster duschen ist mir immer recht“ und mit diesen Worten verschwand er ins Bad. Ich währenddessen kroch zurück in mein Bett. Kaum zwei Sekunden eingeschlafen, jedenfalls hatte ich dieses Gefühl, rüttelte mich auch schon wieder jemand. Aoi, fertig angezogen, stand vor mir und grinste auf mich herab. „Bist wohl ein Morgenmuffel, was?“ „Wieso? Wie viel Uhr haben wir?“, brummte ich in die Decke hinein. „5 Uhr 45“ „Du machst Witze!“, rief ich fassungslos. Warum zur Hölle hatte es Aoi nur so eilig?! Als hätte er meine Gedanken gelesen, meinte er: „Uruha wird um sechs die Tür aufschließen. Ich gehe dann gleich immer kurz frühstücken und dann um halb sieben zur Arbeit“ „Wenn ich doch eh nicht mit darf, warum lässt du mich nicht weiterschlafen?“, beschwerte ich mich. „Du WILLST erstens nicht mitkommen und zweitens, hat dich Uruha um halb sieben zu sich bestellt“ „ER?? H-Hat er dir gesagt, warum?“, ich spürte, wie alles Blut aus meinem Gesicht wich. „Er wollte, soweit ich weiß, mit dir reden“, antwortete Aoi seelenruhig. „Hab ich etwas Falsches getan? Werde ich jetzt bestraft?“, fragte ich ängstlich und Bilder von Streckbanken und Folterkammern, tauchten in meinen Gedanken auf. „Wenn du nicht im dritten Stock herumgeschlichen bist, dann nicht“, meinte Aoi zu meiner Erleichterung. „Ich denke, er will dir mal zeigen, wer du vor dir hast!“ „Einen Tyrann“, antwortete ich. „Sag das besser nicht laut, es ist immer irgendwie möglich, dass Uruha Wind davon kriegt. Manchmal wissen wir selber nicht mal, wie er das schafft…“ „Oh“, sagte ich nur. Ohren hatte er also auch noch überall… „Komm, beeil dich, ich will noch Zeit haben, was anständiges zu essen!“ Abgesehen davon, dass Reita mörderisch schlechte Laune hatte, verlief das Frühstück eigentlich recht ruhig, doch mit jedem Bissen wurde ich nervöser. „Tu einfach das was er sagt. Sag nicht mehr als du musst, aber zeige, dass du großen Respekt vor ihm hast“, riet Aoi mir, der es anscheinend bemerkt hatte. Ich nickte und versuchte mir seine Worte einzuprägen. „Mach nicht so ein Gesicht. Ich wäre ja wirklich mitgekommen, wenn ich nicht arbeiten müsste!“, versuchte er mich etwas aufzuheitern. „Uruha hat ausdrücklich nach ihm alleine verlangt und nicht nach dir“, grummelte Reita. „Dann hätte ich eben vor dem Büro gewartet“, meinte Aoi „Aber da ich ja eben nicht da bi... Moment mal, aber DU! Kannst du das übernehmen?“ „Ich spiele doch nicht den Babysitter, nur weil du das Gefühl hast, Takanori rund um die Uhr bewachen zu müssen!“, brauste Reita auf und funkelte Aoi wütend an.. „Hab ich doch gar nicht“, widersprach dieser „Irgendwer muss doch schauen, dass Taka nachher-“ „Dass er sich nicht verirrt? Stimmt, jemand müsste ihn doch die Treppe hinunterbegleiten, selbst findet er den Weg ja nicht mehr!“ „Ich wollte sagen, dass er nachher nicht herumstreunt“, verdrehte Aoi die Augen. „Sag ich doch, dass er sich nicht verirrt“ „Nein, verirren und herumstreunen ist nicht dasselbe!“ Fassungslos schüttelte Reita den Kopf, stand auf und verließ,ohne überhaupt auf Aoi einzugehen, die Küche. Gerade noch konnte ich sein „Glückwunsch, jetzt bist du auch noch Mutter geworden“ verstehen. Aoi wohl auch, da er knallrot im Gesicht wurde und Reita schließlich hinterher stürmte. „Das nimmst du zurück“, hörte ich ihn noch rufen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)