Metro 2033 ~ Stadt am Ende des Seins von Mappis ================================================================================ Kapitel 1: Löchrige Schicksale ------------------------------ In der oberen Etage des Willy-Brandt-Platzes herrschte wie jeden Mittwoch reges Treiben. Auch wenn seit jenem verheißungsvollen Tag vor ungefähr 20 Jahren Wochentage, Uhrzeiten und genaue Datumsangaben keine Rolle mehr spielten, hielten viele Stationen an diesen einfachen Traditionen fest, wahrscheinlich um den Schein eines normalen geregelten Lebens zu wahren. Doch seit jenem Tag war nichts mehr normal. Als die unheilvollen Klänge der Sirenen ertönten und die Welt vom Feuer unsagbarer Zerstörungswut verschlungen wurde, änderte sich mit einem Schlag alles. Von heute auf morgen war fast die komplette oberirdische Welt nicht mehr bewohnbar. Nur im Untergrund, in Luft- und Atomschutzbunkern oder in den entlegensten Winkeln der Erde konnten im Vergleich zur einstigen Weltbevölkerung nur wenige Menschen überleben. Diese hatte ein vielleicht weit schlimmeres Schicksal als den Tod getroffen. Sie mussten jeden Tag aufs Neue mit den Folgen des verheerenden Atomangriffes kämpfen und um ihr Leben bangen. Viele hatten die Hoffnung auf ein vernünftiges Leben bereits aufgegeben. Allen voran jene, die die Welt vorher kannten, die noch wussten wie sich die wohlige Wärme der Sonne auf der Haut anfühlte oder der kühle Hauch eines seichten Sommerregens. Die meisten vergruben ihre Gedanken in den Tiefen ihrer Seele und stürzten sich regelrecht in die Arbeit, nur um sie zu vergessen, denn ansonsten wären sie eventuell an ihnen zu Grunde gegangen. Diejenigen, die nach der großen Katastrophe geboren wurde, hatten es da eindeutig leichter, denn sie kannten kein anderes Leben. Auch wenn die Geschichten der Alten sie oft zu Träumereien anregten, so blieben es doch trotzdem eben immer nur Träume. Die Überlebenden in der Frankfurter Metro hatte es besonders hart erwischt. Die Stationen lagen allesamt nicht sehr tief unter der Erde, höchsten bis zu 30 m, dazu kam noch, dass die Eingänge allesamt offen geschnitten waren. Entsprechend mussten sich die Bewohner der Metro fast täglich gegen Übergriffe von oberhalb wehren. Denn auch wenn die Oberfläche aufgrund ihrer meist extrem hohen Strahlung für Menschen fast unbewohnbar war, so hatte sich die hiesige Flora und Fauna bereits sehr früh den neueren Begebenheiten angepasst. Und so kam es, dass neben der Strahlung nun auch Mutanten zur größten Gefahr des Menschen geworden waren. Im Laufe der Jahre waren die Eingänge der Stationen behelfsmäßig verriegelt worden, doch vor allem ärmere Stationen konnten sich keine massiven Absperrungen leisten und mussten nun am stärksten um ihr Überleben kämpfen. Diese Umstände hatten zur Folge, dass es kaum zu Streitereien zwischen den Stationen kam. Die meisten hatten viel zu viel mit sich selbst zu tun, um auch nur auf den Gedanken zu kommen, irgendeinen Zwist mit einer Anderen anzufangen. Das einzige was die Frankfurter Metro am Leben hielt, war der Handel. Der Handel förderte den Austausch untereinander. Er gewährleistete die Sicherung der einzelnen Stationen und durch ihn brachten es manche sogar zu großem Reichtum. Natürlich kein Reichtum der in Gold wog, Geld hatte schon seit langem seit Wert verloren. Nein, Reichtum zeichnete sich mittlerweile durch andere Dinge aus. Reiche Stationen konnten sich massive Absperrungen, stabile Behausungen, ordentliche Ausrüstung für den Wachdienst und sogar den Luxus der Elektrizität leisten. Die wohl mächtigste Station war der Willy-Brandt-Platz. Er verband den Hauptbahnhof mit dem Frankfurter Süden und hatte zudem Verbindungen zur Hauptwache und zur Konstablerwache, einige der bedeutendsten U-Bahnhöfe der Frankfurter Metro. An jedem Mittwoch kam es nun aufgrund deren günstigen Lage, von morgens bis in den späten Nachmittag hinein, zu einem großen Markt in der 1. Etage des U-Bahnhofes Willy-Brandt-Platz. Denn am Tag waren die Chancen eines Übergriffes von oberhalb am geringsten. Die 2. Etage wurde dagegen komplett als Wohnraum genutzt. Viele wohlhabende Händler hatten sich hier gemütliche Behausungen errichtet, die sogar einiges an Wohlstand aufbieten konnten. Während die ärmere Bevölkerung nur in Zelten hauste. Wer für einen wohlhabenden Händler arbeitete, konnte sich glücklich schätzen, denn dies bedeutete meist auch ein etwas besseres Leben. Nach außen hin schien es für viele also als habe es Fionn am besten getroffen. Er war ein direkter Bediensteter des reichsten Händlers in der ganzen Metro. Aber er war eben nur ein Diener, ein Leibsklave des Don Makkao. Und so musste er wie jeden Mittwoch die Aufgaben auf dem Markt erledigen, für die sich der Don zu schade war. Wenn Fionn gekonnt hätte, wäre er schon längst von dieser Station abgehauen. Doch leider sicherte seine Arbeit beim Don auch das Überleben seiner Mutter. Denn so skrupellos wie der Don auch war, er sorgte bei allen seinen Bediensteten für einen gewissen Lebensstandart und dazu zählte neben einem festen Dach über dem Kopf, genügend zu Essen und auch Medikamente. Das war das was Fionns Mutter im Moment am dringendsten benötigte, denn seit Monaten, wenn nicht gar Jahren, quälte sie bereits eine schlimme Krankheit. Eine Folge der hohen Strahlung, der sie einst ausgesetzt wesen war. Es gab im Grunde keine Chancen auf eine Heilung. Das Einzige was ihr Leiden wenigstens mindern konnte, waren spezielle Medikamente, die jedoch schwer aufzutreiben und damit überaus teuer waren. Durch Fionns Arbeit beim Don konnte er sich diesen Luxus im Gegensatz zu anderen leisten und nutzte nun auch das wöchentliche Spektakel um diese speziellen Medikamente für seine Mutter zu besorgen. Fionn war etwa 20 Jahre alt. Als die große Katastrophe geschah, befand er sich noch als ungeborenes Kind im Schoße seiner Mutter. Die hohe Strahlendosis, die er an diesem Tag als gerade einmal 3 Monatiges Embryo abbekam, veränderte ihn. In gewisser Weise wurde auch er so zu einem Mutanten. Doch das war an sich in der Frankfurter Metro keine Besonderheit. Die geringe Sicherheit vor der Strahlung erzeugte so einige Missgeburten und genetische Veränderungen, wobei die schlimmsten unter ihnen meist nur als Totgeburten zur Welt kamen. Einige jedoch überlebten und hatten es dann meist sehr schwer im Leben, vor allem wenn ihr Äußeres sehr von der Norm abwich. Fionn war ein sehr besonderer Fall. Er hatte sehr helle Haut, was unter Menschen, die seit 20 Jahren kein Sonnenlicht mehr gesehen hatten, im ersten Moment nichts Besonderes ist. Dazu kamen jedoch silbergraue Haare und bernsteinfarbene Augen. Obwohl er sehr groß, schlank und generell sehr feminin aussah, besaß er doch eine Kraft, die ihm niemand auch nur im Entferntesten zutrauen würde. Unter seiner Haut spannten sich stählerne Muskeln. Im ersten Moment wurde Fionn eindeutig als Mann angesehen, was seine kräftige, wohlklingende Stimme noch bestätigte, aber unter einem straff angelegten Verband verbargen sich zudem noch zwei kleine wohlgeformte Brüste. Fionn war ein androgynes Wesen, ein männlicher Hermaphrodit. Ein Mensch, der sowohl männliche als auch weibliche Merkmale ineinander vereinte. Deswegen verbarg er meist seinen Körper in abgetragener Kleidung und wagte sich nur in seiner weiten grauen Jacke in die Station, deren Kapuze er tief ins Gesicht ziehen konnte. Wie immer war der Markt sehr gut besucht. Als Fionn die Stufen in die 1. Etage hinauf kam, wurde er sofort von einer dichten Menschenmenge verschluckt. Für ihn wurde es wie jedes Mal eine Nerven aufreibende Tortur, denn er ertrug extreme Körpernähe zu anderen Menschen nicht, aus Angst man könne sein Geheimnis entdecken. Er versuchte sich so schnell wie möglich zu den Ständen hindurch zu kämpfen. Was jedoch immer schwieriger wurde, da immer Menschen in die Station zu strömen schienen. Immer öfter bekam Fionn Ellenbogenstöße in die Rippen ab oder ihm wurde schmerzhaft auf die Füße getreten. Der Arzt von dem er die Medikamente bezog, hielt sich hinter den eigentlichen Verkaufsständen auf, in einem kleinen Durchgang, der zu einigen Versorgungsräumen führte. Doch um dort hin zu gelangen, musste Fionn erst den kompletten Raum durchqueren. Als er es schon fast bis zu den Ständen geschafft hatte, prallte plötzlich ein Körper in seinen Rücken und riss ihn zu Boden. Fionn prallte unsanft auf dem Boden auf, wobei seine Kapuze nach hinten rutschte und den Blick auf sein Gesicht frei machte. Sofort ging ein leichtes Raunen durch die Menge und die umstehenden Leute warfen verstohlene Blicke auf den jungen Mann mit dem hellen Haar. Der jedoch war so verärgert, dass er dies nicht sofort mitbekam. Wütend drehte er sich um, um denjenigen anzufahren, der ihn so hinterrücks angerempelt hatte. Hinter ihm saß ebenfalls ein junger Mann, der in seinem Alter zu sein schien, und sich verstohlen den Hintern rieb. Sein etwas verwirrter Gesichtsausdruck verriet, dass er nicht wirklich Schuld an dieser Situation hatte und so schluckte Fionn die barschen Worte kommentarlos herunter. Mittlerweile hatte auch der Fremde seinen ersten Schrecken überwunden und stemmte sich etwas schwerfällig wieder in die Höhe. Verlegen fuhr der fremde Mann mit seiner Hand durch seine pechschwarzen kurzen Haare und streckte Fionn die andere hin, während ein entschuldigendes Lächeln seine Lippen umspielte. „Tut mir Leid…Ich scheine vergessen zu haben wie voll es hier doch werden kann.“ Durch diese Worte und das entwaffnende Lächeln des jungen Mannes verrauchte auch die letzte Wut, die Fionn im ersten Moment verspürt hatte. So brachte er nur ein leises, „…Schon gut.“, heraus, ergriff gedankenverloren die ausgestreckte Hand des Fremden und wollte sich gerade von diesem in die Höhe helfen lassen, als sich ihre Blicke nun zum Ersten Mal trafen. Sofort schien die Zeit still zu stehen. Die tiefblauen Augen des jungen Mannes zogen Fionn so in seinen Bann, dass er mit einem Mal alles um sich herum vergaß. Die vielen Menschen um sie herum, die stickige, abgestandene Luft der Metro und das fahle Licht der wenigen elektrischen Lampen schienen ihre Bedeutung verloren zu haben. Das Einzige was zählte, war das Meer dieser wundervollen Augen, in dem Fionn ertrank. So musste der Himmel ausgesehen haben, bevor er sich durch die Abgase und giftigen Dämpfe verfärbte. Dieser Augenblick, der endlose Minuten, wenn nicht gar Stunden zu dauern schien, währte in Wahrheit nur einige Sekunden. Mit einem Mal brach das Stimmengewirr des Marktes mit doppelter Lautstärke über die Beiden herein und holte sie in das Hier und Jetzt zurück. Benommen schüttelte Fionn den Kopf und stand auf. Noch immer war er zu überwältigt von dieser seltsamen Erfahrung, um auch nur einen Ton heraus zu bekommen. Der Schwarzhaarige starrte ihn unterdessen unverwandt an und überwand als Erster das Schwiegen: „Ich kann mich nur noch einmal bei dir entschuldigen. Das Ganze war nicht meine Absicht… Geht es dir gut?“ Als Fionn immer noch keinen Ton herausbrachte und weiterhin bedröppelt zu Boden schaute, streckte er Fremde seine Hand aus, legte sie sanft an die Wange des Silberhaarige und drehte dessen Gesicht vorsichtig zu sich, um zu ergründen ob der Sturz nicht doch ernstere Schäden hinterlassen hatte. Und um natürlich den jungen Mann mit dem hellen Haar eingehender zu mustern. Dessen Andersartigkeit war dem Schwarzhaarigen schon von vornherein aufgefallen. Sofort hatte er gewusst, dass er jemanden ganz besonderes vor sich hatte. Er war ein Mann, der alles Fremde, dem er begegnete, zu ergründen versuchte. So würde er alles versuchen um Fionn in ein längeres Gespräch zu verwickeln und so mehr über ihn herauszufinden. Während Fionn die warme Hand des Fremden auf seiner Haut spürte und sein Blick auf die gaffende Menge hinter dem Schwarzhaarigen fiel, wurde ihm mit einem Schlag bewusst, was für einen seltsamen Eindruck sie beide doch abgeben musste. Zumal Fionns Gesicht entblößt worden war und nun jeder sah, dass er nichts weiter als ein Mutant war. Er konnte den Ekel, den die Passanten ausstrahlten, beinahe greifen. So stark war er. Deshalb ging er wie selbstverständlich davon aus, sein Gegenüber hege die gleichen Gefühle. Sofort zog Fionn seine inneren Wälle, die für kurze Zeit am bröckeln waren, verstärkt wieder hoch. Er schlug die Hand auf seiner Wange grob beiseite, zog die Kapuze seiner grauen Jacke über den Kopf und stand abrupt auf. Ohne noch einen Blick auf den jungen Fremden geworfen zu haben, stürmte er davon und versuchte in den Menschenmassen unterzutauchen. Dabei entging ihm jedoch, dass nichts weiter als leichte Verwunderung und Neugier in den Augen des Mannes zu sehen war. Diesem blieb nichts anderes übrig als dem Silberhaarigen verdattert hinterher zu schauen, bis er in der Menge verschwand. Noch nie war er auf eine Person gestoßen, die ihn so in seinen Bann gezogen hatte. Langsam erhob auch er sich und begann sich auf die Suche nach Informationen über den jungen Mann mit dem hellen Haar zu machen. So aufgebracht wie nie zuvor in seinem Leben, zwängte sich Fionn durch die Menschenmenge. Schnell erledigte er alle Besorgungen, weswegen er hergekommen war, und schlug dann den Weg in Richtung Don Makkaos Behausungen ein, die momentan auch gleichzeitig sein jetziges Zuhause waren. Der Großteil der untersten Ebene, der sogenannten D-Ebene des Willy-Brandt-Platzes, gehörtem dem wohlhabenden Don. Leichte aber trotzdem sehr stabile Wände, deren Material die Stalker von ihren Streifzügen mitgebracht hatten, waren überall auf der Ebene hochgezogen worden und verwandelte diese in ein kleines Labyrinth aus schmalen Gängen und meist kleinen Räumen. Nur vor den Tunneln ist Halt gemacht worden. In allen Eingängen, wo die Tunnel in die Station mündeten, befanden sich Wachposten, die rund um die Uhr besetzt waren. Es bestand zwar nicht die Gefahr von Übergriffen anderer Stationen, aber man konnte ja nie wissen was in der Zukunft geschah. Vorsicht ist besser als Nachsicht – wie der Don immer zu sagen Pflegte. Die privaten Räume des Don befanden sich tief in den Eingeweiden der D-Ebene. Ein kleiner Tunnel führte zu einem Versorgungs- und Steuerungsraum, die der Don ausschließlich für seine eigenen Zwecke nutzte. Auch dieser Tunnel wurde zu jeder Zeit von Männern bewacht, die dem Don treu ergeben waren und denen er blind vertrauen konnte. Don Makkao war ein sehr vorsichtiger Mann, sonst hätte er es in seinem Leben nie so weit bringen können. Die Räume seiner Bediensteten befanden sich dagegen weit am Rand der Ebene. Doch nur wenige haben das Glück hier untergekommen zu sein. Fionn bewohnte zusammen mit seiner Mutter einen kleinen Raum am Rande der D-Ebene, direkt an der Einmündung des Tunnels, der Richtung Hauptbahnhof führte. Der kleine quadratische Raum enthielt nur das Nötigste. Der Großteil des Platzes nahmen zwei einfache Betten ein, daneben waren die Ecken mit allerhand Krempel zugestopft. Hauptsächlich mit verschiedenen Büchern, Zeitschriften und einige kleinere Dinge von oberhalb, die im Grunde zu nichts nutze waren, an denen seine Mutter jedoch sehr hing. Der Raum besaß zudem noch zwei Türen. Die eine führte zu den abgegrenzten Bereichen des Don, die andere hinaus direkt auf die Gleise. Fionn hatte, als er noch jünger war, oft hier draußen gesessen und die Menschen beobachtet, die in die Station kamen oder gingen. Heute hatte er meist keine Zeit für solche Tagträumereien. Viel zu sehr wurde er in die Geschäfte des Don eingebunden, so dass er nicht er auch nicht jeden Tag zu seiner Mutter zurückkehren konnte. Als er nun ihre kleine Behausung betrat, fand er seine Mutter schlafend vor. Vorsichtig legte er die lebenswichtigen Medikamente in eine kleine versteckte Holztruhe und setzte sich leise ans Bett seiner Mutter. Gedankenverloren blickte er auf sie herab und strich ihr sanft durchs Haar. Sie sah von Tag zu Tag schlechter aus. Hatte kein Gramm Fett mehr auf den Knochen und kaum noch Kraft zum Gehen. Die Medikamente schafften es kaum mehr das Unausweichliche hinauszuzögern. Es war nur noch eine Frage der Zeit bis seine Mutter den Kampf ums Leben verlor. Ein leichter Seufzer entfloh Fionns Lippen. Es quälte ihn seine Mutter so leiden zu sehen und doch konnte er sie auch noch nicht loslassen. Ein Lebe ohne ihre Wärme, Fürsorge und Liebe wollte er sich einfach nicht vorstellen. Außer sie hatte er niemanden, der ihm so nahe stand. Der Silberhaarige ließ sich am Bett entlang zu Boden sinken, zog die Beine an und legte seinen Kopf darauf ab. Seine Gedanken drehten sich nur um die Frage was er mit seinem Leben anstellen sollte, wenn seine Mutter irgendwann starb. Bis jetzt hatte er immer nur davon gelebt ihr Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Doch was sollte mit ihm geschehen, wenn er keinen Lebenssinn mehr hatte? Sollte er seinem Dasein dann vielleicht auch ein Ende bereiten? Als Mutant hatte man alleine eh keine Chance in den Stationen. An der Oberfläche kann er nicht überleben und beim Don würde er es auch nicht mehr lange aushalten. Viel zu viel und vor allem oft auch unmenschliche Dinge wurden von ihm verlangt. Mit einem Mal wanderten seine Gedanken plötzlich wieder zu der Begegnung mit dem schwarzhaarigen Mann mit den blauen Augen. Dieses Zusammentreffen hatte seine Gefühlswelt irgendwie komplett aus dem Ruder laufen lassen. Seine Haut prickelte an der Stelle, an der er ihn berührt hatte. Fionn hatte immer noch das Gefühl als läge die Hand des Fremden an seiner Wange. Krampfhaft versuchte er seine seltsamen Gedanken davon zu jagen und doch ließen sie ihn nicht los. So verfiel er in eine angespannte Haltung und begann düster vor sich hinzubrüten. So sehr vertieft, merkte er nicht einmal das Erwachen seiner Geliebten Mutter. Sie spürte auf Anhieb, dass sich ihr Sohn mit irgendetwas plagte. Also beugte sie sich nach vorne, nahm ihn sanft in die Arme und strich ihm liebevoll über die Haare. „Was brütest du da schon wieder vor dich hin? Das Leben ist doch so schon schwer genug, dann mach es dir doch nicht noch schwerer.“, sagte sie mit beruhigender Stimme. Zu gern hätte er ihr all seine Sorgen anvertraut, aber er konnte es einfach nicht. Entsprechend versuchte er sie mit Halbwahrheiten zu beruhigen: „Im Grunde ist es nichts Neues. Ich versuche nur die Zeit so lang wie möglich hinauszuzögern, bis ich mich wieder mit dem Don treffen muss. Von Tag zu Tag fällt es mir schwerer ihm gegenüber zu treten.“ „Wenn es so unbehaglich für dich ist, dann beende diesen Job. Wir beide, und besonders auch ich, könnten auch mit viel weniger über die Runden kommen. Du musst wegen mir nicht deine ganzen Interessen in den Hintergrund stellen. Das habe ich dir bereits schon so oft gesagt. Ich sehe doch wie sehr dir diese Arbeit zusetzt.“ Oh ja… das stimmte. Sie hatte ihn wirklich schon oft dazu angeregt die Arbeit beim Don nieder zu legen. Aber so einfach war das nun auch nicht und außerdem konnte nur diese Arbeit ihren jetzigen Lebendstandard halten. Also blieb ihm nichts anderes übrig als weiterhin durchzuhalten. Schließlich gab er sich einen Ruck und begann seine seltsame Begegnung zu erwähnen: „Es ist nicht nur die Arbeit, die mich beschäftigt. Ich mach mir auch sorgen um dich. Du siehst heute wieder kränker aus. Ich hoffe du hast dir nicht erneut eine Erkältung eingefangen. Und außerdem… bin ich heute einem seltsamen Mann während des Marktes begegnet. Aber das ist eigentlich unwichtig.“ Fionn winkte ab und stand vorsichtig aus. „Ich muss dann auch mal wieder los.“, sagte er anschließend, beugte sich nach unten und umarmte seine Mutter. Diese erwiderte die Umarmung. „Pass auf dich auf.“, waren ihre letzten Worte, während sie ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn hauchte. Sofort meldete sich Fionns schlechtes Gewissen, da er ihr nicht länger Gesellschaft leisten konnte. Aber er hatte nun einmal seine Pflichten und mit einem wütenden Don war nicht zu Spaßen. Also durchquerte er hastig die schmalen Gänge auf dem Weg zu Don Makkao. Vor dessen Privaträumen traf Fionn auf Alex, der engste Vertraute des Don und einziger Freund Fionns. Alex war auch eine der wenigen Personen, die sein Geheimnis kannten und ihn trotzdem so duldeten wie er war. „Ah Fionn…Da bist du ja endlich. Der Don hat schon nach dir gefragt. Lass ihn also lieber nicht noch länger warten.“, wurde er freundlich von diesem begrüßt. Er trat zur Seite und ließ Fionn durch. Fionn nickte nur kurz und eilte sofort weiter. Man lässt den Don nicht warten. Irgendwie bekam der Silberhaarige eine schlechte Vorahnung und ein flaues Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, was eindeutig nicht nur auf die Angst vor der Begegnung mit Makkao zurückzuführen war. Seine Schritte wurden langsamer, bis er vor einer einfachen Holztür zum Stehen kam. Er holte noch einmal tief Luft, sammelte sich kurz, klopfte an und öffnete zaghaft die Tür. Dahinter lag ein für U-Bahnverhältnisse doch recht großer Raum, der Geschäftsraum Don Makkaos. Der Raum war recht gemütlich eingerichtet. Die Wände waren verborgen hinter großen Schränken, in denen allerhand Krimskrams verstaut war, darunter waren auch Recht viele alte Bücher und seltsame Gegenstände, mit denen Fionn nichts wirklich anfangen konnte. Der Don war ein leidenschaftlicher Sammler, vor allem von Gegenständen aus der alten Welt. Einige Stalker arbeiteten aus diesem Grund nur für ihn, was eindeutig an der sehr guten Bezahlung lag. Des Weiteren nahmen ein großer Schreibtisch und ein doch recht bequemes Sofa einen Großteil des Platzes ein. Als Fionn den Raum betrat, saß Don Makkao hinter seinem Schreibtisch und blätterte einige zerknitterte Zettel durch. Don Makkao war ein kleiner, untersetzter Mann, dessen Haare trotz seiner 40 Jahre bereits ergraut waren und dessen Gesicht immer einen durchtriebenen Blick zierte. Und durchtrieben war er durch und durch. Fionn hütete sich davor jemals den Don zu verärgern. Wenn er verärgert war, war er unberechenbar und grausam. Und Fionn hatte sich schon oft davon überzeugen dürfen wie grausam er werden konnte. Sofort verbeugte sich der Silberhaarige und begann sofort sich zu entschuldigen, in der Hoffnung der Zorn des Don hielt sich in Grenzen: „Es tut mir Leid, dass ich Sie habe warten lassen. Ich wurde kurz aufgehalten.“ Im Grunde stimmte das ja auch, wenn man an den unfreiwilligen Zusammenstoß mit dem schwarzhaarigen Fremden dachte. „Schon in Ordnung mein Junge. Hast du dabei warum ich dich gebeten habe?“ Die Stimme des Don war entgegen seines Äußeren doch recht einnehmend. „ Natürlich habe ich alles bekommen können.“ Damit reichte Fionn dem Don das Päckchen, welches er vom Markt mitgebracht hatte. Nachdem der Don kurz den Inhalt des überprüft hatte, breitete sich ein zufriedener Ausdruck auf seinem Gesicht aus. „Ah…sehr schön.“ Schnell verschloss er das Päckchen wieder, verstaute es unter seinem Schreibtisch und stand langsam auf. Als er sich Fionn näherte, bekam dieser es sofort mit der Angst zu tun. Makkao streckte seine dicke, schwielige Hand aus und fuhr damit durch Fionns silbergraues, schulterlanges Haar und über dessen Wange. „Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, seit unserem letzten Treffen. Ich habe schon angefangen mich nach dir zu sehnen.“ Der raue, lüsterne Unterton in der Stimme des Don jagten dem Silberhaarigen unangenehme Schauer über den Rücken. Unbewusst hielt er den Atem an, versuchte sich nicht zu rühren und wagte es auch nicht einen Ton von sich zu geben. Er konnte nur hoffen, der Don fing nicht eines seiner üblichen Geplänkel mit ihm an. Das konnte Fionn an diesem Tag überhaupt nicht gebrauchen. „Nun gut…“, brach Makkao das unangenehme Schweigen, „…dafür ist auch noch später Zeit. Setz dich doch und steh hier nicht wie so ein begossener Pudel herum. Ich muss etwas mit dir besprechen.“ Nur zu gern befolgte Fionn diese Anweisung. Hauptsache er konnte der Nähe des stämmigen Mannes entkommen. Obwohl sich sein flaues Gefühl nun noch verstärkte. Auch der Don setzte sich wieder auf seinen Platz hinter den großen Schreibtisch. „Du stehst bereits seit vielen Jahren in meinem Dienst“, begann er, was Fionn zu einem bestätigenden Nicken veranlasste. „Und ich war auch immer sehr zufrieden mit dir. Doch ich glaube, dass deine bisherigen Aufgaben dich etwas unterfordert haben. Vielleicht sollte ich dir mal einige Neue anvertrauen. Was hältst du davon?“ „Nun, ich war immer zufrieden mit den Aufgaben, die Sie mir anvertrauten. Aber wenn das eurer Wunsch ist, dann werde ich diesem natürlich gerecht werden.“ Jede Wiederrede war eh zwecklos. Egal was kam, die einzige Möglichkeit war sich zu fügen. Also fuhr der Don unbeirrt fort: „Jetzt sei doch nicht so bescheiden. Ich habe gehört, du bist sehr begeistert von der Arbeit der Stalker. Ich möchte dir also die Möglichkeit geben einmal bei einem Ihrer Streifzüge mit dabei zu sei. Als kleine Belohnung für deine treuen Dienste.“ Wow, das war nun wirklich mal eine gute Neuigkeit. Der Don hatte recht. Seit langem war es Fionns Traum einmal an einem Stalkerstreifzug an die Oberfläche teilzunehmen. Er wollte mit eigenen Augen sehen was aus der alten Welt geworden war und wie die Menschen früher gelebt hatten. Er wäre vor Freude fast aufgesprungen. Konnte sich aber im letzten Moment noch zurück halten und nur ein „Ist das wirklich Ihr Ernst?!“ hervorstoßen. Was dem Don ein lautes Lachen hervorlockte. „Ja, das war mein voller Ernst. Wir lassen das jedoch alles erst einmal langsam angehen. Du wirst einen Stalker auf eine recht ungefährliche Erkundungstour begleiten. Der Stalker ist zwar noch recht jung, aber er soll schon sehr viel Erfahrung besitzen. Ich hab bisher nur Gutes von ihm gehört.“ In diesem Moment klopfte es an der Tür. „Ah…perfektes Timing.“, sagte Don Makkao zu sich selbst und rief dann mit lauter Stimme: „Ja, bitte?!“ Die alte Holztür öffnete sich und Alex betrat den Raum. „Noel Aaron wäre nun anwesend, Sir.“ „Sehr schön. Sehr schön. Dann lass ihn herein.“ Alex nickte als Zustimmung, winkte eine weitere Person zu sich und lies diese eintreten. Das darf doch alles nicht wahr sein, war der erste Gedanke, der Fionn durch den Kopf schoss. Das Schicksal hatte es heute eindeutig nicht gut mit ihm gemeint. Oder war vielleicht das Gegenteil der Fall? Als Noel Aaron den Raum betrat, setzte Fionns Herz für einen Moment aus und schlug dann mit doppelter Stärke weiter. Dort stand er, der junge Mann mit den wunderschönen blauen Augen, dessen Begegnung ihn so sehr aus der Bahn geworfen hatte. Und so wie es aussah, würde Fionn eine längere Zeit mit Noel verbringen dürfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)