Feigning Sane von Votani (Justified) ================================================================================ Kapitel 7: - 7 - ---------------- Die Hinterstraßen am äußersten Rand Harlans waren mehr Feldwege als alles andere. Doch wenigstens versperrten keine Autokarambolagen mehr ihren Weg, als sie in die Richtung des Flugplatzes brausten. Ein Blick auf die Uhr verriet Raylan, dass sie nur noch eine halbe Stunde hatten, bis der Hubschrauber auftauchen würde. Es war doch knapper als erwartet. „Man könnte annehmen, es wäre das erste Mal, dass du jemanden hast sterben sehen“, bemerkte Tim neben ihm nach einer gefühlten Ewigkeit, die sie mit einem Stillschweigen verbracht hatten. Raylans Augen blieben auf die Straße gerichtet, beide Hände am Lenkrad, da der Wagen auf dem unebenen und teilweise überwucherten Boden beständig ruckelte. „Und man könnte glatt meinen, dass du dich um mich sorgst.“ „Um was ich mir Sorgen mache, Raylan, ist, ob du in einem kritischen Moment in der Lage bist, den Abzug zu drücken“, erwiderte Tim nonchalant. In der Art und Weise wie er es sagte, erinnerte er Raylan unweigerlich an Art. Er hatte auch immer durch seine sonst so perfekte Maske blicken können, hatte stets den Nagel auf den Kopf getroffen, auch wenn Raylan es abgestritten hatte. Dennoch zog Raylan die Augenbrauen zusammen und schmunzelte. „Wenn ich es nicht besser wüsste, wurde ich sagen, dass du vergessen hast mit wem du hier sprichst.“ Tim gab ein belustigtes Schnauben von sich. Er war so unbeeindruckt, dass es Raylan wiederum glatt ein wenig beeindruckte. „Vielleicht kenn’ ich dich auch einfach besser als du annimmst.“ Seine Worte quittierte er mit einem Schulternzucken und einem gelangweilten Blick aus dem Seitenfenster – zumindest so lange, bis er Raylans bemerkte, der immerzu von der Straße zu ihm herüberzuckte. „Was?“, fragte Tim und er studierte Raylans undefinierbare Züge. „Du siehst aus, als ob du mich küssen willst“, fügte er nach einem kurzen Zögern hinzu und beide Männer hoben unabhängig voneinander die Augenbrauen. „Tu ich das?“ Tim nickte kaum merklich, so dass es auch nur der unebene Feldweg hätte sein können. „Ja, Raylan“, erwiderte er. „Das tust du. Und das nicht erst seit fünf Minuten.“ Ein minutenlanges Schweigen hing zwischen ihnen in der Luft, bevor Raylan antwortete. „Na ja... wäre das denn so schlimm?“ Denn wenn er darüber nachdachte, klang diese Feststellung nicht ganz so abwegig wie er sich vielleicht wünschen würde. War das der Auslöser der Angespanntheit zwischen ihnen gewesen? Es war jedenfalls einen Gedanken wert. Da seine eigenen Augen nun wieder vollkommen geradeaus gerichtet waren, spürte er Tims Blick viel eher als dass er ihn sah. „Ich hab’ wirklich nicht die Absicht, mich zu deinen Exfreundinnen zu zählen. Wir wissen wohl beide, dass es davon schon zu viele gibt.“ Es war ein einschlagendes Argument, das Raylan nicht widerlegen konnte. Dennoch öffnete er den Mund, nur um ihn im selben Atemzug wieder zu schließen und auf die Bremse zu treten. Vor ihnen gabelte sich der zugewachsene Feldweg, doch es war das unter der Sonne blitzende Metall zwischen den Sträuchern in der Ferne, welches seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er formte die Augen zu schmalen Schlitzen. „So viel dann wohl zu unserem Plan“, entrann es ihm, als er in die Richtung der Straßensperre deutete, die auf sie wartete. Im Gegensatz zu der verlassenen Karambolage war diese tatsächlich von polizeilicher und gar militärischer Natur, dessen war sich Raylan sicher. Immerhin war das einer der unzähligen Wege, die aus Harlan hinaus zum Rest der amerikanischen Landkarte führte. Es war ein strategisch guter Platz, um ein paar Fahrzeuge und bewaffnete Leute abzustellen, obwohl sie gehofft hatten, dass man diese Straße übersehen würde. Ein Blick in den Rückspiegel verriet Raylan, dass die anderen Autos hinter ihnen zum Stehen gekommen waren und auf sie warteten. Wenigstens hatten sie aus dem vorangegangenen Vorfall gelernt und alarmierten dieses Mal niemanden mit einer unnötig betätigten Autohupe. Tim starrte konzentriert in die Ferne, seine Hand längst wieder um sein Gewehr geschlossen, als wollte er losstürmen und sich den Weg freikämpfen. Wahrscheinlich aber war es viel mehr ein Reflex als alles andere, denn für unüberlegte Handlungen war der dunkelblonde Deputy nicht bekannt. „Das Unterholz ist dicht genug. Man könnte sich unter Umständen vorbeischleichen“, bestätigte er kurz darauf Raylans Gedanken. Dieser legte den Kopf schief. „Vorausgesetzt, jemand anderes zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Wie ein Mann mit einem Marshalabzeichen und einem Wagen wie diesem.“ „Oder wie zwei Männer mit Marshalabzeichen und in einem Wagen wie diesem“, verbesserte Tim, bevor er die Wagentür langsam öffnete, um ein Quietschen zu vermeiden. Er stieg aus und Raylan tat es ihm gleich. Gemeinsam steuerten sie die hinteren Autos an, bedeuteten den Insassen beim Aussteigen jedoch mit einem Finger an den Lippen Ruhe. Immerhin waren sie nicht so weit gekommen, um hier und jetzt von einem möglichen Maschinengewehr durchlöchert zu werden. „Was ist es diesmal, Raylan?“, fragte Boyd leise. Seine braunen Haare saßen einen Deut wilder als zuvor und sein Gesicht war nachdenklicher als man es gewohnt war – und dennoch vermochte Raylan kein Mitgefühl für ihn aufbringen zu können. Genauso wenig wie für Ava, die blass wie Papier war und dunkle Ringe unter den Augen trug. Vielleicht mochte er früher einst ein Verhältnis mit ihr gehabt haben, doch heute steckte sie genauso tief in Boyds illegalen Geschäften drin wie ihr Verlobter selbst. Als sie vor einigen Monaten wegen Mordes an Delroy Baker verhaftet worden war, hatte Boyd die Jurymitglieder bestochen oder gar bedroht, um den Freispruch zu erlangen. Es gab keine Beweise, doch Raylan kannte ihn lange genug, ebenso wie er mit dem Rechtssystem vertraut war, um zu wissen, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Wirklich schade war es um Delroy, dem Besitzer Audrey’s nicht. Wie er mit den Frauen in seinem Freudenhaus und seiner Bar umgangen war, war ebenfalls kein Geheimnis. Nein, viel eher hatte er es verdient. Karma erwischte einen früher oder später eben immer. „Die Straße ist gesperrt“, murmelte Raylan. Er schob eine Hand in die Hosentasche, als er die umstehenden Leute ins Auge fasste, die sich mit angsterfüllten Blicken umsahen. Es waren alles Zivilisten und Familien, die vermutlich nicht einmal wussten, wie man eine anständige Lüge erzählte. „Von hier aus geht es nur noch zu Fuß weiter, aber bis zu dem Flugplatz ist es nicht mehr weit. Wie lange wird es dauern? Tim?“ Der Angesprochene hielt das Gewehr griffbereit. „Fünfzehn Minuten in etwa.“ „Fünfzehn Minuten.“ Raylan nickte und er sah zu Boyd herüber, der noch immer Avas Hand fest umklammert hielt. „Du wirst sie dorthin bringen, Boyd.“ Dieser trat einen Schritt vor, die Stimme noch weiter gesenkt. „Und da dachte ich, dass du mir nicht über den Weg traust, lieber Raylan.“ Raylan presste daraufhin lediglich die Lippen aufeinander und schluckte die Antwort, die sie beide kannten, herunter. „Aber sag’, was machen Deputy Gutterson und du in der Zeit?“, fuhr Boyd unbeirrt fort. „Willst du das wirklich wissen, Boyd?“, entrann es Raylan in einem harschen Ton. Seine Augen bohrten sich in diesen hinein, während der Zorn, der schon seit einer Ewigkeit einen festen Platz in seiner Brust hatte, um die Kontrolle rang. Er war wie Krebs, der wuchs und sich ausbreitete, bis nichts mehr übrig war. „Deputy Gutterson und ich gehen uns für dich opfern. Das ist es doch, was Leute für dich ständig tun. Deinen Arsch retten. Weil das ist doch das Beste, was du kannst: anderen die Schuld in die Schuhe schieben und die Verantwortung tragen lassen. Ist es nicht ein tolles Gefühl, wenn andere ihre Leben für dich geben? Hm?“ Eine Stille breitete sich aus, die niemand zu zerbrechen gedachte, als beide Männer sich anstarrten. Irgendwann brach Boyd den Blickkontakt und schaute an ihm vorbei. „Ich wusste nicht, dass dir Arlos Tod noch immer so zu schaffen macht, Raylan. Er war ein guter Mann. Ich habe ihn stets zu meiner Familie gezählt.“ Bei diesen Worten biss Raylan die Zähne aufeinander, während seine Finger in die Richtung seiner Glock zuckten. Es war ein irrationaler Instinkt. Obwohl Raylan anfangs geglaubt hatte, dass Arlo den Tod eines Polizisten auf sich nahm, um Boyd zu beschützen, musste er sich später eines Besseren belehren. Arlo hatte nicht die Schuld auf sich genommen, sondern er hatte tatsächlich den Polizisten für Boyd umgebracht. Er hatte einen Mann in einem Cowboyhut gesehen – einen Mann, der Raylan ähnlich sah –, der mit der Pistole auf Boyd gezielt hatte. Anstatt zu seinem eigenen Sohn zu stehen, den er ohnehin sein ganzes Leben wie Dreck behandelt hatte, hatte er zu einem Kriminellen, zu einem Fanatiker, gehalten. Und das hier war vielleicht die letzte Chance, um mit Boyd Crowder abzurechnen – es war Tims Hand auf seiner Schulter, die ihn jedoch aus diesem Strudel der Gefühle riss. Im ersten Moment war es Unverständnis, was über Raylans Gesicht zuckte, denn immerhin betraf das Tim genauso wie ihn. Immerhin kannte Raylan ihn gut genug, um sich darüber im Klaren zu sein, dass Tim ihm nicht allein das Ablenkungsmanöver überlassen würde. Egal, ob er ihn nun darum bat oder es zu bestimmen versuchte. Sich abwendend warf Raylan nur noch einen letzten Blick über seine Schulter. „Keine Opfergaben mehr. Du bringst alle zum Flugplatz.“ Boyd nickte bedächtig. „Versprochen, Raylan. Egal, was für böses Blut zwischen uns geflossen ist, ich werde dich nicht enttäuschen. Der alten Zeiten willen.“ Inzwischen rutschte Tims Hand von seiner Schulter und er sah stattdessen auf seine Armbanduhr. „Ihr müsst euch leise und schnell bewegen. Der Helikopter wird in zwanzig Minuten landen. Mehr als fünf wird er nicht bleiben. Sagt ihnen einfach, dass Tim Gutterson euch schickt.“ „Danke, Deputy“, war alles, was Boyd erwiderte, als die Menschen zu ihren Autos zurückkehrten, um die wichtigsten Dinge herauszuholen. ● Der Wagen rollte auf die Straßensperre zu. Von ihrem jetzigen Standort aus hatten sie einen guten Blick auf die zwei tarngrünen Fahrzeuge, die horizontal zueinander auf dem Feldweg geparkt worden waren. „Ich kann nicht glauben, dass ich das sage“, begann Raylan, als er den Wagen auf die fünf uniformierten Männer vor ihnen zusteuerte, „aber du hättest bei Boyd bleiben sollen.“ Einer der Soldaten postierte sich direkt vor ihnen und hob warnend die Hand, während alle anderen ihre Maschinengewehre im Anschlag trugen und sie wachsam beobachteten. Boyd und dem Rest ihrer Gruppe hatten sie einen kleinen Vorsprung gegeben, doch Raylan konnte im Moment nur erraten, welche Route sie um diese Absperrung machten. Es blieb lediglich zu hoffen, dass sie leise dabei und die Soldaten zu sehr auf sie fixiert waren, um sie zu bemerken. Ein Seitenblick in Tims Gesicht verriet jedoch nichts, seine Züge waren genauso ebenmäßig wie sonst. „Warum? Weil ich draufgehen könnte oder weil man Crowder nicht vertrauen kann?“ Raylan ließ ihren Wagen langsam zu einem geschmeidigen Stillstand kommen und ließ das Seitenfenster herunter. „Beides“, erwiderte er dabei auf Tims Frage. „Wahrscheinlich aber ein bisschen mehr wegen letzterem.“ „Das ist gut zu wissen“, kam es von Tim, als der Soldat, der ihnen signalisiert hatte, an das Fenster trat. Auch der Schwarze trug ein Maschinengewehr in den Händen, hielt die Mündung jedoch auf den Boden gerichtet. „Die Zufahrt ist gesperrt. Bitte drehen Sie um und fahren Sie zurück.“ Sein Ton war ausdruckslos und in seinem Gesicht zuckte nicht ein Muskel. Er hatte eindeutig ein besseres Pokerface als Tim. Beeindruckend. „Ich bin Deputy US Marshal Raylan Givens“, erwiderte Raylan, als hätte er die vorangegangenen Worte nicht gehört. Zeitgleich nahm er in einer langsamen Bewegung die Marke von seinem Schoß und klappte sie auf, um sie dem Soldaten hinzuhalten. „Und das ist Deputy US Marshal Tim Gut—“ „Sir“, unterbrach der Schwarze ihn ungehalten. „Es ist mir egal, wer Sie sind. Meinetwegen können Sie auch der Kaiser von China sein. Ich habe meine Befehle – und die lauten, niemanden durchzulassen. Niemanden.“ Bei dem Soldaten handelte sich offenbar um eine harte Nuss, um jemanden, der sich strikt an das Handbuch hielt. Alles andere wäre auch zu schön, um wahr zu sein gewesen, obwohl sie es wohl gutheißen sollten, dass wenigsten in einer Krisenzeit wie dieser jemand seine Arbeit richtig machte. „Wer hat etwas davon gesagt, dass wir durch wollen?“, fragte Raylan in einem heiteren Ton und mit dem Ansatz eines Schmunzelns. „Eigentlich sind wir eher auf der Suche nach jemandem, der uns sagen kann, wie lange diese Quarantäne anhalten soll. Im Gegensatz zu den Wissenschaftlern haben die Bewohner hier längst bemerkt, dass diese... dieses Phänomen, wenn man es denn so nennen will, nicht auf einen lebenden Organismus überspringt.“ Er zuckte locker mit den Schultern, obwohl sein Gegenüber alles andere als locker war. Dem Schweiß auf seiner Stirn nach zu urteilen, war er das genaue Gegenteil davon. Der Mann hatte doch wohl keine Angst, sich anstecken zu können? „Darüber kann ich keine Auskunft geben“, antwortete er. „Wie wäre es, wenn Sie einfach mal bei Ihrem Vorgesetzten durchklingeln, Lieutenant“, lenkte Tim ein, „und ihm sagen, dass zwei Deputy US Marshals um Auskunft bitten. Ein ungefährer Zeitraum genügt dabei völlig, um den Überlebenden in Lexington einen Hoffnungsschimmer zu geben.“ Obwohl sein Ton nonchalant klang, ließ sein ernster Gesichtsausdruck keine faulen Ausreden zu. Das schien auch an dem Soldaten nicht gänzlich vorbeizugehen, denn die prompte Antwort blieb aus. Nur die Angespanntheit seines Kiefers und der Schweiß ließen darauf schließen, dass die Situation seine Nerven strapazierte. „Ich sehe, was sich machen lässt“, presste er letztendlich harsch hervor. Dabei war Raylan sich nicht sicher, ob der Grund für diese widerwillige Einwilligung nun Tims Worte waren oder doch die Erkennungsmarken, die um Tims Hals hingen und ihm soeben ins Auge gefallen waren. Wann hatte Tim sie unter dem Hemd hervorgeholt? “Warten Sie hier.“ Mit diesen Worten wandte sich der Schwarze ab und stiefelte davon. Das tat er jedoch nicht, ohne seinen Leuten zu signalisieren, dass sie weiterhin ein Auge auf den Wagen und seine Insassen haben sollten. Die Mündungen der Maschinengewehre sowie die Blicke der anderen vier Soldaten blieben somit auf sie gerichtet, während ihr Lieutenant zu einem der Fahrzeuge zurückkehrte und das Funkgerät ergriff. „Meinst du, er macht es wirklich oder tut nur so?“, fragte Raylan, als sich seine Lippen zu bewegen begannen, und er warf Tim einen Seitenblick zu. Dieser beobachtete ebenfalls das Geschehen vor ihnen. „Er fragt nach“, sagte er und schob die Erkennungsmarken wieder unter sein Hemd. Ein siegreiches Lächeln huschte über sein Gesicht und Raylan wurde klar, dass er es geplant hatte. Ein Soldat war wohl doch eher geneigt, einem Kameraden einen Gefallen zu tun, als einem einfachen dahergelaufenen Deputy Marshal. Nächstes Mal würde Raylan Tim gleich das Reden überlassen, so viel stand fest. Allerdings wurde er jäh aus seinen Gedanken gerissen, als ein Schrei durch den Wald gellte. Schrill und voller Panik – und ganz sicher von jemandem aus der kleinen Gruppe, die auf dem Weg zum Flugplatz waren. Waren sie über einen Untoten gestolpert? Raylan fluchte, als sich die Soldaten umwandten und die entgegengesetzte Richtung starrten, ihre Waffen fest umgriffen. In derselben Sekunde hatten seine Finger bereits seine Glock aus dem Holster gezogen. Die Soldaten beachteten ihn nicht weiter, sondern umrundeten ihre Fahrzeuge und schlichen in die Richtung, aus welcher der Laut gekommen war. Langsam und bedacht, mit Handzeichen, woraufhin sie sich in zwei Gruppen aufteilten. „Weißt du, was du tust?“, fragte Tim neben ihm, als Raylan seine Pistole aus dem geöffneten Fenster schob. „Weiß ich das jemals?“, konterte er, als er den Abzug drückte. Da er mit seiner linken Hand schoss, traf er nichts außer die staubige Erde des Feldwegs. Genau das war jedoch seine Absicht gewesen. Ein weiteres Mal fuhren die Soldaten mit ihren Maschinengewehren blitzschnell herum und visierten Raylan an. Doch es war erst bei seinem zweiten Schuss, dass sie das Feuer eröffneten. Raylan und Tim duckten sich, als der Kugelhagel über sie hereinbrach. Die Scheibe zerbarst und Splitter regneten über sie herein, als Raylan hektisch den Rückwärtsgang einlegte. Sein Fuß drückte blind das Gaspedal, als er den Wagen ruckartig zurücksetzte. Er rumpelte einige Meter über den Feldweg, direkt in kniehohes Unkraut hinein, in welchem er zum Stehen kam, als Kugeln ihn durchlöcherten. Tim stieß die Wagentür auf, nahm sie als Schutzschild, als er sich hinter der Stoßstange in vorläufige Sicherheit brachte. Raylan war ihm dicht auf den Fersen. Beinahe monoton flogen die Kugeln an ihnen vorbei und wirbelten links und rechts von ihnen die Erde auf. Dennoch war sich Raylan sicher, dass mindestens zwei von den Soldaten die Gelegenheit nutzten, um sich näher an sie heranzuschleichen. „Hörst du das?“, presste Tim hervor, der immer wieder von der Seite des Wagen zurückschoss. Nur zielen tat er dabei nicht, was Raylan sagte, dass er ebenfalls nicht vorhatte, einen der Soldaten auszuschalten. Raylan lauschte den Schüssen, welche die Stille kontinuierlich zerrissen und wahrscheinlich eine weitere Horde von den Untoten anlocken würde. Doch nach einigen Momenten konnte er hören, was Tim gemeint hatte: Die Rotoren eines Hubschraubers. Beinahe im selben Augenblick erhob sich die Militärmaschine in der Ferne über die riesigen Bäume und die Sonne brach sich auf ihrem schwarzen Lack. Auch die Soldaten blickten in den Himmel und unterließen sekundenlang das Schießen. Boyd und die anderen hatten es geschafft, wurde Raylan klar. „Jetzt können wir auch nach Art suchen gehen. Wenn wir schon mal hier festsitzen, versteht sich“, entrann es ihm, als er Tim neben sich ebenfalls dem Helikopter nachschauen sah. Irgendwo wartete Winona auf ihn, doch genauso wie sie nicht erwartete, dass er zu den Vorbereitungskursen erschien, würde sie ihn bei der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter nicht erwarten. Sie würde es ihm nicht übel nehmen, wenn er sie erst in ein paar Monaten besuchen kam. Sie würde es verstehen, genauso wie sie es immer getan hatte. „Der Gedanke kam mir auch“, erwiderte Tim inzwischen kurzatmig. „Und wenn wir das hier überleben“, lenkte Raylan ein, „werde ich vielleicht auch auf den Kuss zurückkommen.“ Tims Augen zuckten sogleich zu ihm herüber, lagen jedoch auf Raylans provokant verzogenen Lippen. „Wenn dir das so wichtig ist, solltest du das wohl tun.“ Anschließend bedeutete er Raylan einen Weg querfeldein durch das Dickicht und dieser nickte. Zeitgleich bäumten sie sich auf und stürmten hinter dem Auto hervor, um den Rückzug anzutreten. Mit rasselndem Atem, hektischen Schritten und wieder hinter ihnen einschlagenden Schüssen stürzten sie sich einen kleinen Abhang herunter und strauchelten zwischen den Bäumen hindurch, zurück in die Richtung des überrannten Lexington. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)