The Sin Verse von P-Chi ================================================================================ Kapitel 13: Verflucht --------------------- Gin Blackburn hätte aus der Haut fahren können, als ihr Fall zu den Akten gelegt und die Untersuchungen eingestellt wurden. Ihr Polizeichef hatte ihr versichert es ’hätte sich alles geklärt‘ und Gin hätte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um das ganze Mysterium um die Giftprinzessin aufzudecken, wenn die Morde nach ihrem Abtauchen nicht tatsächlich aufgehört hätten. Jeglicher Widerspruch wurde sofort niedergeschmettert und man hatte ihr mehrmals gedroht, sie zu entlassen, wenn sie nicht endlich von dem Fall abließ. Dabei wusste Gin ganz genau, dass irgendetwas Übernatürliches ihre Finger im Spiel hatte – und Grace Santiago war der Schlüssel. Zwei gottverdammte Monate seit Marina Montgomery spurlos verschwunden und für die Morde verantwortlich gemacht wurde, um ihren Freund Keenan Johnson vor den Schulrowdys zu schützen; so lautete jedenfalls die offizielle Erklärung. Dieser begab sich nach dem Vorfall sofort in Therapie, nachdem er von der Verdächtigenliste gestrichen wurde und die ganze Geschichte weder abstritt noch leugnete. Gin hatte versuchte mit ihm zu sprechen, doch der Junge war die ersten Wochen komplett verstört gewesen und hatte sich geweigert auch nur ein Wort zu sagen. Es frustrierte Gin ungemein aufzugeben, doch sie erkannte einen hoffnungslosen Fall wenn sie einen sah. Der Junge war in so tiefer Depression wie sie es selbst gewesen war, als ihre Mutter sie mit dem Seziermesser angegriffen und entstellt hatte. Und seit dieses schwarze Ding aufgetaucht war, nachdem die Giftprinzessin sie attackiert hatte, schmerzten die Narben schlimmer denn je. Als sie also an ihrem Schreibtisch saß, Papierkram wälzte, eine Schmerztablette einwarf und mit dem Gedanken spielte, gleich die verfluchte ganze Pillendose einzuwerfen und mit Tequila nachzuspülen, tauchte sie auf wie aus dem Nichts.Grace Santiago. Die Frau, die ihr seit zwei Monaten täglich Albträume bescherte. „Was zum Teufel?!“ Gin sprang auf und tastete nach ihrem Waffenholster auf dem Schreibtisch, bis sie das vertraute Leder mit den Fingerspitzen berührte. „Na, na, nicht so blasphemisch“, erwiderte die junge Frau trocken. Lockiges, blondes Haar fiel ihr über die Schulter und ihre blauen Augen schienen ein Loch in Gins Schädel zu brennen. Ironisch, weil ihr Gesichtsausdruck in Kontrast so kalt wie Eis war. Für einen Moment war sie sich nicht einmal sicher, ob sich ihre Lippen überhaupt bewegt hatten. Gin musste nicht zweimal überlegen, schnappte sich sofort ihren Revolver und richtete ihn sofort auf die Frau in den dunkelroten Jeans. Ihr Zorn und ihre Frustration hatten Gin komplett im Griff und ohne zu zögern drückte sie ab. Die Waffe klickte mehrmals, jedoch ohne loszugehen. „Was?!“ Sie hatte den Revolver vor einigen Stunden selbst noch geladen! Warum ging kein Schuss los?! „Weil ich nicht will, dass du auf mich schießt“, erwiderte die Giftprinzessin schlicht, als ob sie auf ihre Gedanken geantwortet hätte. Dann zuckte sie die Schultern. „Nicht, als ob du mir überhaupt etwas mit einer Waffe anhaben könntest.“ Zähne knirschend knallte Gin den Revolver wieder auf den Tisch und ließ sich in ihren Stuhl fallen. „Was willst du?“ Grace Santiago regte sich nicht und Gin fragte sich blödsinnigerweise, ob ihr in dem Tank-top nicht kalt war, immerhin herrschten mittlerweile Minusgrade draußen und die Polizeistation war nicht gerade für ihre gute Heizversorgung bekannt. Doch die Frau blinzelte nicht. Kein einziger Muskel schien sich zu rühren und Gin rutschte unruhig auf ihrem Platz hin und her. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Naja, noch weniger. „Ich bin hier“, sagte die Blondine schließlich, „weil ich das Gefühl habe, dir etwas zu schulden.“ Gin zog misstrauisch die Augenbrauen hoch. Die Frage stand ihr ins Gesicht geschrieben. Wieso? „Weil“, erwiderte sie wieder, und ihre gebieterische Stimme ließ Gin erschauern, „alles vorherbestimmt ist. Sieh es als ... Zeichen des Himmels.“ Gin runzelte unbehaglich die Stirn und rieb sich unbewusst mit den Fingern über ihre vernarbte Wange, die wieder zu brennen begonnen hatte, als Grace Santiago einen Schritt auf sie zutrat. „Ein Dämon hat deine Mutter besessen.“ Gins Kopf zuckte hoch. „Was?“ Der blaue Blick der Giftprinzessin war starr auf Gins Narbengeflecht gerichtet, als würde sie ein Insekt unter einem Mikroskop betrachten. „Ein Dämon hat es auf dich abgesehen, Ginger. Es ist ein Parasit, der die Seele deiner Mutter über Jahrzehnte hinweg gefressen hatte. Er hat dich markiert, weil du sein zukünftiger Wirt sein solltest und er attackiert jeden, der es auf dein Leben abgesehen hat – mich eingeschlossen, wie du ja gesehen hast. Jedoch zu dem Preis, dass du dein ganzes Leben in Elend verbringst.“ Grace Santiagos Mundwinkel zuckten nach oben; der erste Beweis, dass Gin nicht mit einem Roboter sprach. „Deine Berufswahl fällt eindeutig in diese Kategorie.“ „Ich will Menschen helfen“, presste Gin hervor und ihre Finger zuckten danach, den Revolver noch einmal auszuprobieren. Notfalls konnte sie ihr das Ding immer noch an den Kopf werfen. Die Blondine schnaubte und streckte ihren rechten Arm aus. Gins Augen weiteten sich in Schock, als sie das gläserne Schwert sah, das plötzlich in ihrer Hand erschienen war, als wäre es das natürlichste auf der Welt. „Was zum Teufel bist du?“, flüsterte Gin. Die Giftprinzessin schwang das Schwert, mit den silbernen Symbolen auf der Klinge, probehalber hin und her, ehe sie sich um eine Antwort bemühte. „Mein Name ist Trinity, gefallener Prinz von Shehaqim.“ Wow, das warf mehr Fragen auf, als es klärte. Gin wusste nicht wo sie beginnen sollte, daher platzte sie heraus mit: „Prinz?“ „Prinz.“ Die Blondine nickte. „Engel haben kein Geschlecht. Nun, da ich lange Zeit in weiblichen Körpern gesteckt habe, habe ich natürlich eine Vorliebe entwickelt. Üblich ist es jedoch nicht.“ „Engel“, wiederholte Gin und atmete tief ein. Tausend Fragen stapelten sich in ihrem Kopf wie unerwünschte Spam-Mails und doch war sie sich ziemlich sicher, dass sie keine Antwort darauf hören wollte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie dieser Verrückten glauben konnte, doch ihre Narben, die sich anfühlten, als würden sie wie ein Fremdkörper über ihr Gesicht kriechen, verhinderten, dass sie ihre Gedanken laut aussprach. Wenn Grace in ihrem Kopf gerade spionieren sollte, so sagte sie nichts und richtete stattdessen das Schwert gegen Gin. „Was soll das?“ „Ich habe mir extra Jabriels Schwert geliehen, um dir einen Gefallen zu tun, also halte brav still.“ Ein höhnisches Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht, das wesentlich mehr Ähnlichkeiten mit der Grace Santiago hatte, die sie noch vor zwei Monaten gekannt hatte. Ein tiefes Dröhnen, wie das Nachklingen eines Glockenschlags, ließ Gins kleines Büro erzittern und ihre ganzen Unterlagen wie von einem plötzlichen Windstoß umherwirbeln. Gins Knie zitterten als sie zusah, wie Grace das Schwert erhob und im selben Moment die Luft wie Elektrizität knisterte. Dieses schwarze Etwas manifestierte sich aus dem Nichts wie schon beim letzten Mal und umhüllte die dunkelhäutige Frau, die es nicht wagte sich zu bewegen, aus Angst, dieses Ding aus Versehen zu berühren. Ihr Herz begann zu rasen, Panik schnürte ihre die Kehle zu und vor ihren Augen wurde es dunkler und dunkler, bis Gin keine Sekunde mehr zögerte, als Grace über das Ohren betäubende statische Rauschen, rief: „Schließ die Augen, Ginger!“ Gin wusste nicht wirklich was sie erwartet hatte. Vielleicht ein grausamer Schrei wie der eines sterbenden Tiers, oder einen lauten Knall, doch als sie die Augen eine Minute später behutsam wieder öffnete, stand Grace Santiago ohne einen einzigen Kratzer vor ihr, während ihr Büro aussah, als wäre ein Blitz eingeschlagen. Eins konnte Gin jedenfalls mit Sicherheit behaupten; sie fühlte sich besser. Als wäre eine sehr, sehr schwere Last von ihren Schultern gefallen. Aufkeimende Hoffnung ließ sie vorsichtig ihr Gesicht anfassen, doch da waren sie, die vertrauten Wülste des Narbengeflechts, die sie ihre Lebtage nicht mehr loswerden würde. Die Enttäuschung lag ihr schwer im Magen. „Die Narben werden bleiben“, sagte die blonde Frau vor ihr beinahe schon gelangweilt, als wäre dies ein Spaziergang gewesen und ließ das Schwert fallen, welches sogleich spurlos im Boden verschwand. Ihre blauen Augen fixierten Gin prüfend, ehe sie zufrieden nickte. „Der Dämon ist fort, meine Arbeit ist getan.“ „Das war’s?!“ Gin wurde ärgerlich und warf die Hände in die Luft. „Keine Erklärungen? Keine Entschuldigung? Wozu dann die Mühe!“ Keiner hatte ihr als Kind geholfen, nicht ihr Vater und schon gar keine Engel, als ihre Mutter den Verstand verloren hatte, und auf einmal tauchte sie auf und glaubte, alles sei damit wiedergutgemacht? All die Jahre der Phantomschmerzen, der Einsamkeit und des Spotts, den sie erdulden musste und wofür? Grace seufzte langgezogen, als spräche sie mit einem aufsässigen Kind. „Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Engel sind nicht die Babysitter der Menschen, Ginger. Ihr pocht auf euren freien Willen, also müsst ihr auch mit den Konsequenzen leben. Aber keine Sorge, du wirst dir der Antwort auch ohne meiner Hilfe bewusst werden.“ Die blonde, so unwirklich erscheinende Frau lächelte und verschwand mit einem Schnipsen ihrer Finger. „Huh?“, fragte Gin in den leeren Raum und fragte sich, warum sie das dumpfe Gefühl hatte, mit irgendjemandem gesprochen zu haben. Und warum ihr Büro aussah, als wäre ein Sturm hindurch gefegt, was sie aber schnell der offenen Tür zuschob, aus der ein kalter Luftzug in den Raum wehte. Sie rieb sich über die Schläfen und beugte sich nichts weiter dabei denkend über ihre Berichte, denen sie einen kurzen Blick schenkte und dann mit einem Seufzen schloss. Sie rieb sich nachdenklich über den Nacken und beschloss, das erste Mal seit langer Zeit, früher Schluss zu machen. Offensichtlich war der Montgomery-Fall abgehackt und Gin verstand nicht, wonach sie eigentlich noch suchte. An den Grund, für ihren plötzlichen Sinneswandel, erinnerte sie sich nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)