The Sin Verse von P-Chi ================================================================================ Kapitel 9: Rippe ---------------- Ich war hellwach. Der Schmerz hatte mich nicht schlafen lassen ... nicht, dass es einen großen Unterschied gemacht hätte, da mich meine ganzen Sorgen ohnehin wach gehalten hätten. Es war früher Vormittag und ich verplemperte meine Zeit damit, ein Schmerzmittel nach dem anderen einzuwerfen und mit meinem fast unbegrenztem Wissen an Giften irgendeine Möglichkeit zu finden, das Mal loszuwerden. Ohne Erfolg, natürlich. Wäre ja lachhaft gewesen, wenn meine Fähigkeiten die meiner Mutter überragt hätten. Ich war gerade dabei mir die letzte Salbe auf das Mal zu reiben, als jemand an der Tür klopfte. Mein Kopf ruckte hoch und ich starrte die alte Holztür an, als ob ich jeden Moment einen Röntgenblick entwickeln könnte. Schnell ließ ich meine Hand in einen langen Handschuh schlüpfen und schob die ganzen Fläschchen und Dosen auf eine Seite des Tisches, als ob es nicht schon auffällig genug wäre, dass ich hier herum experimentiert hatte. Nachdem es ein zweites Mal klopfte und ich um diese Uhrzeit keinen angenehmen Besuch erwarten konnte, riss ich die Tür eher unwirsch auf und stand plötzlich einem etwas kleineren Mann in Anzug und Charlie Chaplin Hut gegenüber. „Guten Morgen“, grüßte er, nahm sich die Melone vom Kopf und präsentierte einen hellblauen Haarschopf, der nicht zu seinem alten Aussehen passte. „Trinity nehme ich an?“ Ich kniff misstrauisch die Augen zusammen. Außer Achlys und den Engeln nannte mich niemand bei meinem richtigen Namen, beziehungsweise war fast niemand mehr alt genug, um sich überhaupt daran zu erinnern. „Wer will das wissen?“ Der Mann schlug die Hacken zusammen und zückte eine schwarze Visitenkarte aus der Innentasche seines Sakkos und reichte sie mir. „Mein Name ist Pierre. Ich bin Ihr Todesnotar und bin wegen Ihres Testaments gekommen.“ Ich biss die Zähne zusammen. Ich brauchte nicht mehr auf die Visitenkarte zu blicken, um zu wissen, wofür ein Todesnotar zuständig war. Typen wir er kreuzten nur auf, wenn einem mystischen Wesen der Tod bevorstand und der Tod ihn möglichst schnell von der Liste streichen wollte. In der Antike hatte es massive Kriege wegen der Erbschaft von Fabelwesen gegeben – die Quelle der ewigen Jugend, Amulette, verzauberte Schwerter, unbezahlbare Schätze, all dieser Kram eben –, bis sich die Sensenmänner und Obergottheiten schließlich darauf geeinigt hatten, dass ein Testament aufgestellt werden sollte, damit Raubzüge und Plünderungen verhindert wurden und die Besitztümer an die auserkorenen Besitzer gingen oder zerstört wurden. Obwohl ich eine Menge an wertvollen Dingen besaß, war es weniger die Tatsache, dass ich das alles verlieren würde, die mich deprimierte, als zu wissen, dass nicht einmal der Tod selbst glaubte, dass ich die nächsten Tage überleben würde. „Nein danke.“ Ich schlug ihm die Tür vor der Nase zu und drehte mich um, nur um ihn im Raum stehen zu sehen, wie er mit unverhohlenem Argwohn die biedere Einrichtung musterte. „Das soll ja wohl ein Witz sein“, murmelte ich. Ich war stolz auf mich, dass es mich kein bisschen mehr kratzte, wenn sich irgendein Wesen einfach in mein Haus teleportierte, als wäre es schon immer Teil der Einrichtung gewesen. Aber ich war angepisst, ihn wohl nicht mehr loswerden zu können. „Je eher Sie mir sagen, um was ich mich nach Ihrem Ableben kümmern soll, desto eher sind Sie mich wieder los.“ „Werde ich denn erfahren, wann ich sterben werde?“ Der Todesnotar grunzte abfällig, was mir bereits Antwort genug war. „Vergessen Sie es. Sie können wieder gehen. Ich habe nicht vor zu sterben.“ Eine seiner blauen Augenbrauen wanderte amüsiert nach oben. „Sicher doch, weil gerade Sie es in der Hand haben.“ Er starrte überdeutlich auf meinen vor Schmerz brennenden Arm. Ha-ha. Sehr witzig. Noch deutlicher hätte er es nicht ausdrücken können – Grace Santiago alias Trinity alias die Giftprinzessin alias die Idiotin-die-nicht-aus-ihren-Fehlern-lernte, würde bald sterben und kein Gebettel, keine Verhandlung oder Bestechung der Welt könnte etwas daran ändern. Man, wie sehr ich Unsterbliche doch liebte. Wie eine Wunde, die nicht aufhörte zu bluten. „Ich habe niemanden, dem ich etwas hinterlassen könnte“, sagte ich schließlich. „Dann wollen Sie Ihr Erbe zerstören lassen?“ „Nein!“, fauchte ich. „Ich habe Blut und Wasser geschwitzt um da anzugelangen, wo ich heute bin, wie könnte ich das alles zerstören wollen?!“ Der Todesnotar stieß einen tiefen Seufzer aus und setzte sich seine Melone wieder auf. „Ich verstehe. Sie brauchen noch etwas Bedenkzeit.“ Bedenkzeit? Was ich brauchte, war ein Ausweg aus diesem Chaos! Und die einzigen die mir helfen konnten, nutzten mich nur für ihre Zwecke! „Ich werde morgen um dieselbe Zeit erscheinen“, sagte er und wandte sich dem Ausgang zu, doch als er die Tür öffnete und ich Detective Blackburn in der Tür stehen sah, bereit anzuklopfen, setzte er noch einen drauf: „Bis dahin sollten Sie sich entschieden haben. Ihre Zeit läuft nämlich ab.“ Blackburn konnte gerade noch der Tür ausweichen, die mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. Sie sah aus, als ob sie mich etwas fragen wollte, zog dann aber nur die Augenbrauen zusammen und begnügte sich damit mich misstrauisch zu mustern. „Was verschafft mir die Ehre, Detective?“, fragte ich und verschränkte die Arme. „Nun“, erwiderte sie mit einem Seitenblick auf die obskuren Sachen auf dem Tisch, „Ich hoffe doch sehr, ich störe nicht.“ „Wenn Sie das kümmern würde, wären Sie nicht hier.“ Ein schiefes Grinsen zierte ihr verunstaltetes Gesicht. „Da ist was dran. Letzte Nacht geschahen wieder drei Morde.“ Ich ballte die Hände zu Fäusten. „Dieselbe Todesursache wie bei dem vorherigen Opfer?“ „Richtig. Doch nicht nur das“, sagte sie und überreichte mir einen Zettel, auf dem einige Namen standen. Darunter auch Keenans und Marinas. „Alle Vier besuchten dieselbe Schule wie ihre beiden Hilfsarbeiter und sind sogar in demselben Jahrgang.“ Ich ahnte Böses. Mir gefiel die Richtung, in die dieses Gespräch ging absolut nicht. Allerdings weigerte ich mich eine Reaktion zu zeigen, die ihr irgendetwas verraten und mich in Schwierigkeiten bringen könnte. „Und?“ „Ich habe mich etwas schlau gemacht und anscheinend soll Keenan ein äußerst beunruhigendes Verhältnis zu den Opfern gehabt haben – er wurde gemobbt. Und wissen Sie woran Teenager in seinem Alter denken?“ „Sie werden es mir bestimmt gleich sagen.“ „Rache.“ „Wenn Sie darauf hinaus wollen, dass er meine Gifte verwendet hat, um jemanden zu töten, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Er hat keinen Zugang dazu, geschweige denn weiß er, welche Gifte welche Wirkung haben.“ „Aber Sie wissen es.“ Ich starrte sie an. Ach, darauf wollte sie also hinaus. Ich konnte ihr nicht verdenken, dass sie diesen Schluss gezogen haben musste, wo ich doch die einzige in der Stadt mit Zugang zu solch tödlichen Giften war. Woher sollte sie natürlich wissen, dass ich nicht in der Lage war Sakraha herzustellen? „Nun hören Sie mal“, sagte ich und rieb mir die Schläfe. „Ich glaube Sie täuschen––“ „Und ich glaube, dass Ihnen Ihr Schützling leidgetan hat und Sie ihm helfen wollten. Womöglich hatte er Sie sogar um einen Gefallen gebeten?“ „Das ist doch lächerlich!“, wurde ich laut und machte einen Schritt auf sie zu. „Ich würde ihn niemals in so etwas mit hineinziehen!“ Blackburn zog blitzschnell ihre Waffe aus ihrem Gürtel und zielte auf mich. „Keinen Schritt weiter! Sie sind hiermit bis auf weiteres festgenommen!“ „Das denke ich nicht“, erwiderte ich kalt, schnappte mir ein grünes Fläschchen und warf es ihr in demselben Moment vor die Füße, in dem sie einen Schuss abfeuerte und mich direkt über dem Herzen traf. Ich fiel zu Boden, spürte wie das Blut aus mir hinaus sickerte, während ich mit verklärtem Blick zusah, wie ein dunkelgrüner Rauch von der zerbrochenen Flasche aufstieg, als würde sich eine Giftschlange um Blackburns Körper schlingen. Sie wurde von dem eingeatmeten Gift gelähmt, als versteinerte sie zu einer von Medusas Statuen. Das würde sie mir allerdings nur für einige Stunden vom Leib halten. „Etwas Hilfe wäre ganz brauchbar“, keuchte ich und dachte angestrengt an Dalquiel. Die Wunde würde mich sicher nicht umbringen und in weniger Zeit wieder heilen, doch es war nicht so, als ob ich diese auch hatte. Wer konnte schon wissen, wann irgendein Monster oder eine miesgelaunte Gottheit mir einen Besuch abstattete. Ich presste mir meine verfluchte Hand auf die Brust und kämpfte mich hoch, als ich plötzlich am Oberarm gepackt und hochgerissen wurde. Überrumpelt starrte ich Dalquiel an, der wie aus dem Nichts erschienen war. „Was ist passiert?!“, fragte Dalquiel mit einer Mischung aus Ärger und Vorwurf. „Angeschossen.“ „Das sehe ich.“ Ich ließ meinen Arm sinken und presste ihn mir an die Seite, was den Engel dazu veranlasste die Stirn zu runzeln. Ein merkwürdig ungewohnter Anblick, der sich mir sofort ins Gedächtnis brannte. „Pass besser auf deinen Körper auf“, warnte er und presste seine Handfläche auf die blutende Schusswunde. Es fühlte sich an, als ob er mir ein Bügeleisen aufdrückte und ich stieß einen stillen Schrei aus, der mir hoffentlich ein bisschen Würde bewahrt hatte, doch so schnell wie der Schmerz da war, war er auch wieder weg. Die Wunde war geschlossen und bis auf meine kaputte Bluse, gab es auch kein Anzeichen, dass ich überhaupt je verletzt gewesen war. „Danke“, murmelte ich und ging etwas auf Abstand. Ich vermied es, ihm in diese unergründlichen Augen zu blicken. Vor allem weil ich besorgt war, dass er mir die Angst ansah, und zum anderen, weil ich verhindern wollte, dass er einen zu genauen Blick auf meinen behandschuhten Arm warf. Ich stellte mich vor Blackburn und kratzte ihr die Pistole aus ihrem verhärteten Griff. Ihre Augen waren komplett grün geworden und ich runzelte die Stirn. „Falls Sie mich hören können, würden Sie mir später dann eine Beschreibung zu Ihrem Zustand geben? Ich würde gerne mehr über die Auswirkung des Giftes auf den Verstand wissen.“ Vorausgesetzt, ich hatte sie geistig nicht auch in eine Starre versetzt oder ihr Gehirn geschädigt. So etwas wäre für meine Forschung zwar unvorteilhaft, allerdings würde es mir dann den Ärger ersparen, ihr Gedächtnis zu löschen. „Dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, Grace“, lenkte Dalquiel ein und musterte Blackburn eingehend. „Wer ist sie?“ „Detective Blackburn. Einer meiner Fans, aber da mir die Autogramme ausgegangen sind, muss sie mit einer Demonstration Vorlieb nehmen.“ Der Sarkasmus ging völlig an ihm vorbei und er sagte: „Halte dich besser von ihr fern.“ „Irgendein Problem? Ich meine, noch eins?“ „Ihr Gesicht ...“ „Die Narben? Was soll damit sein?“ „Die Dämonensprache. Du kannst sie also nicht lesen.“ Ich runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. „Woher denn? Zu meiner Zeit gab es noch keine Dämonen. Erst als Pandora diese verdammte Büchse geöffnet hat, sind sie angelockt worden wie die Fliegen, aber zu dem Zeitpunkt war ich schon längst––“ Ich stockte und atmete tief ein. „Unwichtig. Also, was ist nun mit ihrem Gesicht? Was hat ein Mensch mit einem Dämon zu tun?“ Dalquiel neigte den Kopf leicht. „Ich bin mir nicht sicher. Meine Kenntnisse sind diesbezüglich beschränkt, aber es sieht mir doch wie eine Besitzmarkierung aus und noch dazu eine ziemlich mächtige. Wer auch immer ihr den Fluch ins Gesicht geritzt hatte, wird sich das Opfer nicht so einfach wegnehmen lassen.“ Ich starrte Blackburn an, die so rechtschaffend war, wie ein Mensch es nur sein konnte und fragte mich, wie zum Teufel sie es geschafft hatte auf den Radar eines Dämons zu gelangen. Obwohl, da es praktisch ihr Beruf war ihre Nase überall hineinzustecken, hätte es mich nicht gewundert, wenn sie dabei einem Dämon auf den Schlips getreten wäre. Allerdings war das nicht mein Problem. Es ging mich nichts an und ich hatte bei Gott genug eigene Probleme die momentan oberste Priorität hatten. Wäre doch gelacht, wenn ich nur wegen Blackburn plötzlich einen Dämon an den Fersen hatte, der nicht gern sein Spielzeug teilte. Ich drehte mich zu dem Engel. „Wieso bist du hier? Wohl kaum, weil ich dich gerufen habe.“ Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, als er eine kurze Pause einlegte, doch bei seinen nächsten Worten bohrte sich mir die Enttäuschung tief in die Brust. „Ich bin hier, weil ich deine Entscheidung erwarte.“ Ich lachte leise und heiser. „Ihr Engel könnt wirklich grausam sein.“ „Grace, du musst n––“ „Schon gut“, fiel ich ihm abwehrend ins Wort. „Ich mache es.“ Ich war mir sicher, dass auch ihm keine andere Wahl blieb, sonst hätten sie sich wohl kaum ausgerechnet an mich gewendet. Sie mussten schon ziemlich verzweifelt sein, wenn ich ihr einziger Ausweg war. Daher war es eine geradezu schmerzhaft freundliche Geste, dass er mir überhaupt die Entscheidung überlassen hatte … oder wenigstens so tat als ob. Natürlich war mir klar, dass diese Aktion reiner Selbstmord war, aber hey, war ja schließlich nicht das erste Mal. Wenn ich es mir recht überlegte, waren alle meine Entscheidungen bis zum heutigen Tag die reinste Schnapsidee gewesen und ich mich beschlich das Gefühl, dass ich mir mit jeder weiteren Entscheidung mein Grab nur noch tiefer schaufelte. Dalquiels Überraschung wich seiner üblichen Ausdruckslosigkeit und er nickte. „Ich verstehe.“ „Wenigstens einer von uns“, murmelte ich. „Na schön, was muss ich tun, um Achlys loszuwerden?“ „Es wird dir nicht gefallen.“ „Es wird mir so oder so nicht gefallen, also raus mit der Sprache!“ „Ich brauche eine Rippe“, sagte er mit der Ernsthaftigkeit eines Chirurgen. „Eine Rippe?“, wiederholte ich wie ein Papagei. Gott, warum musste man diesem Mann nur immer alles aus der Nase ziehen? „Deine Rippe, Grace.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)