The Sin Verse von P-Chi ================================================================================ Kapitel 1: Die Giftprinzessin ----------------------------- Heute „Ich wusste gar nicht, dass Hibiskusblumen giftig sind.“ Ich hob den Kopf von den groß blättrigen Pflanzen, die ich gerade begoss und sah, wie Keenan Johnson, mein ehemaliger Kunde und neuerdings Mädchen-für-alles, das schwere Metalltor zu meinem Gewächshaus aufschob und einen Topf mit weißen Hibiskusblumen auf einem Tisch in der Nähe abstellte. Seine zerrissenen, schwarzen Hosen mit den daran befestigten Kettchen, klirrten bei jedem Schritt. „Sind sie nicht. Ich sehe sie mir nur gerne an“, erwiderte ich zwinkernd und warf ihm einen Mundschutz zu, den der Teenager mit dem blau-schwarzen Haar noch im Flug auffing und sich im Nacken zusammen band. „Zieh das an und bring mir den Vogelkäfig.“ Ich deutete vage in die Richtung meines persönlichen Pflanzendschungels, in der ich meine kleinen Versuchstiere vermutete. Jeweils sechs Tische standen sich in drei Reihen gegenüber und entsprachen noch nicht einmal ansatzweise meiner Sammlung an Giftpflanzen, die ich über Jahrhunderte hinweg angesammelt hatte, doch die meisten hatten die Strapazen meines nomadischen Lebensstils entweder nicht überstanden, oder wurden vorsätzlich von ängstlichen Kunden, bei denen sich mein Gift gegen sie gewandt hatte, zerstört. Es war okay. Genau genommen brauchte ich nur ein Drittel aller Giftpflanzen in meinem Garten, um mein Geschäft am Laufen zu halten, daher konnte ich oft dem Drang widerstehen, mich an den Menschen für ihre Dummheit rächen zu wollen. Sie wollten unbedingt meine Hilfe und wenn sie sie bekamen, kam auch die Angst. Wenn ich bereits ihre Feinde ohne zu zögern vergiften konnte, was hinderte mich daran, mich gegen sie selbst zu wenden? Zu was war ich noch fähig? Die Antwort war einfach. Zu allem. Keenan kam mit einem großen goldenen Käfig, in dem sich drei verschiedenfarbige Kanarienvögel befanden, die aufgeregt von einer kleinen Schaukel zur anderen sprangen, zu mir und stellte ihn auf den silbernen Schiebewagen ab, den ich speziell für diesen Anlass von meinen Giftmischutensilien befreit hatte. Alles was noch da stand, war eine kleine, hölzerne Box, aus der ich ein kleines Fläschchen herausnahm und, mit vor Neugierde angehaltenem Atem, öffnete. „Was kann es?“, fragte Keenan, mehr verunsichert als interessiert. Natürlich wusste er, womit ich mein Geld verdiente – vor nicht allzu langer Zeit hatte er meine Dienste selbst in Anspruch genommen –, doch scheinbar machte ihn der Anblick meines unheimlichen Talents noch immer zu schaffen. „Wirst du gleich sehen“, erwiderte ich amüsiert und ließ mit Hilfe einer Pipette, zwei kleine Tropfen in die Wasserschüssel der Kanarienvögel fallen. Zufrieden beobachtete ich, wie der erste Kanarienvogel seinen Schnabel in das Wasser tunkte. Exakte dreißig Sekunden später plumpste sein kleiner Körper auf den Grund des Käfigs und blieb reglos liegen. Ich zog mir die Maske vom Mund und spürte Triumph. „Ist er tot?“ Keenans Lippenring, an dem er andauernd kaute, wurde sichtbar, als er es mir gleich tat und den Mundschutz hinunter zog, so dass er lose um seinen Hals baumelte. Sein schwarzes Heavy-Metall-T-shirt war ihm mindestens eine Nummer zu groß und dennoch konnte ich erkennen, wie er den Atem anhielt. Ich öffnete gerade den Mund, um ihm eine Antwort zu geben, als sich das Metalltor erneut öffnete und Marina, die wie eine lang gezogene Betty Boop mit knallroten Lippen aussah, mit einem leicht verklärten Blick eintrat. „Eine gewisse Detective Blackburn ist hier“, sing-sangte sie mit einem verliebten Lächeln, dass sie stur auf Keenan gerichtet hatte und sich beinahe schon tanzend neben ihn stellte. „Sie sagt, sie hat ein paar Fragen.“ Marina war etwa einen halben Kopf größer als Keenan, doch das schien den Jungen nicht gestört zu haben, als er mich angefleht hatte, die um einen Jahrgang Ältere mit einer Liebesmixtur zu vergiften. Anfangs war noch alles wunderbar gewesen, er war wie im siebten Himmel ... bis er den Fehler bemerkt hatte. Marinas Liebe – oder eher Besessenheit – wurde von Tag zu Tag unkontrollierter und sie brach bereits in Tränen aus, sobald er auch nur ein anderes Mädchen ansah. Ihre Gefühle arteten aus, wurden Selbstzerstörerisch. Solange Keenan sich noch für sie interessierte und ihre Anhänglichkeit ertragen konnte, würde Marinas Psyche intakt bleiben, doch sobald sich daran etwas änderte ... würde sie zerbrechen. „Warum?“, hatte mich Keenan gefragt und konnte kaum die Tränen in seinen dunkelblauen Augen zurück halten. „Ich wollte doch nur, dass sie mich liebt und uns nicht alle ins Verderben stürzt!“ „Nein, nein“, hatte ich erwidert und wedelte mit dem Zeigefinger. Meine Ruhe machte ihn ungläubig, als könne er nicht fassen, wie kalt mich seine Geschichte ließ. „Du wolltest wahre Liebe. Und diese geht über den Tod hinaus. Ein klassischer Fall von Romeo und Julia.“ Auch wenn die Antwort selbst für ihn logisch geklungen haben musste und er sehr wohl gewusst hatte, worauf er sich bei mir einließ, so weigerte sich sein rationaler Verstand einfach es anzuerkennen. Er wurde wütend, hasste mich und dennoch fügte er sich seinem Schicksal wenige Wochen später. Aus irgendeinem Grund stellte ich ihn und sein verliebtes Haustier schließlich bei mir ein, um ein Auge auf sie zu behalten. Vielleicht weil er mir leid tat. Oder weil er mich zu sehr an mich selbst erinnerte. Der zweite Vogel, diesmal der Rote, plumpste auf den Käfigboden. Ich blinzelte. „Bring sie her“, ordnete ich an, als ich mich von meiner Erinnerung löste und das Fläschchen zurück in die Box stellte. Ein Detective, wie überaus interessant, auch wenn ich nicht gerade behaupten konnte, dass ich überrascht war. Ich hatte schon früher auf die eine oder andere Weise mit den Hütern des Gesetzes zu tun gehabt. Dennoch war ich zugegeben beeindruckt, als Marina eine große, afro-amerikanische Frau in meinen Garten führte, die, umringt von all den Pflanzen, wie eine Amazone aussah. Ihr dunkelbraunes Haar wäre sicher lang und füllig, wenn sie sie nicht zu einem strengen Zopf gebunden hätte, der hinter ihr nach schwang wie ein Schlangenschwanz. Sie trug kein Haargummi, fiel mir banalerweise auf, bevor ihr entstelltes Gesicht meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Auf ihrer rechten Gesichtshälfte, vom Haaransatz bis zum Kinn, zog sich ein Geflecht aus dünnen, weißen Narben, als hätte ihr jemand mit einem Seziermesser immer und immer wieder ins Gesicht geschnitten. „Detective Blackburn“, begrüßte ich sie höflich, legte die Pipette beiseite und reichte ihr die Hand, die sie ohne zu zögern mit ihrer umschloss und fest drückte. Ihr Griff war hart, beinahe schon schmerzhaft, doch sie ließ zum Glück schnell wieder los. „Ich nehme an, Sie sind die berüchtigte Giftprinzessin.“ Da es nicht so klang, als hätte Blackburn eine Frage gestellt, lächelte ich nur und nickte. „Können Sie sich ausweisen?“ Bei dieser Frage musste ich mir stets einen spöttischen Kommentar verkneifen. Ich lebte bereits länger als die Zeitrechnung, hatte tausende Hüllen, tausende Identitäten, tausende Tode. Natürlich konnte ich mich ausweisen. „Keenan, hol meinen Ausweis aus dem Haus“, bat ich den Jungen, der mit großen Augen zwischen uns Löwinnen hin und her blickte. Gefolgt von einer sorglosen Marina, eilte er hastig nach draußen und ließ uns zwei zurück in der Gesellschaft des letzten Kanarienvogels, der singend in dem Käfig saß und noch nicht einmal bemerkt zu haben schien, wie seine beiden Kameraden meinem Gift erlegen waren. „Also, womit kann ich Ihnen behilflich sein, Detective?“ Ihre berechnenden, dunklen Augen ruhten für einen Augenblick auf den Vögeln, ehe ihr Blick zurück zu mir wanderte. Der Ausdruck in ihrem Gesicht blieb vollkommen professionell und ich konnte nicht sagen, ob ich ihr Angst machte oder einfach nur anwiderte. „Man hat Sie mir empfohlen und als Expertin für alle Arten von Gift beschrieben. Korrekt?“ „Ja“, antwortete ich knapp. „Sie sehen jung aus – für eine Expertin“, fügte sie hinzu und musterte mich. Obwohl ich mich nicht von den Frisuren und dem knallroten Lippenstift der fünfziger Jahre lossagen konnte, so trug ich wenigstens einfache Shorts und ein rotes Tank-Top. An mir gab es nichts allzu Auffälliges. Solange man mir nicht zu tief in die blauen Augen blickte. Schwer zu sagen, was die Leute in ihnen sahen, aber egal was es war, es machte sie misstrauisch. „Das kann ich nur zurückgeben, Detective“, stichelte ich zurück. Blackburn sah selbst kaum einen Tag älter als fünfundzwanzig aus. Allerdings konnte ich auch keine übernatürlichen Schwingungen bei ihr wahrnehmen, was sie mir in diesem Punkt voraus hatte. Ich würde ihr wohl kaum unter die Nase reiben, dass ich bereits älter als Jerusalem war. „Brauchen Sie nun meine Hilfe oder nicht?“ „Am besten ich komme zur Sache. Es gab gestern Abend einen Mordfall. Daher brauchen wir Ihre fachtechnische Meinung. Wir sind da auf etwas … Ungewöhnliches gestoßen.“ „Es geht um Gifte?“, hackte ich nach. Der Gedanke, mich in eine Ermittlung einzumischen und somit die Aufmerksamkeit der Behörde auf mich zu lenken, gefiel mir ganz und gar nicht. „Ja.“ Diesmal war sie es, die sich kurz fasste. Keenan kam zurück und überreichte meinen Ausweis ohne Umwege Blackburn, ehe er wieder zurück in das Haus lief. Diese überprüfte den Ausweis kurz, verglich dann das Bild mit mir und legte ihn schließlich neben dem Vogelkäfig ab. „In Ordnung. Gehen wir.“ In diesem Moment fiel auch der letzte der Kanarienvogel zu Boden. Kein Tweet-Tweet mehr, kein Flügelgeflatter. Für eine erschreckend kurze Sekunde wirkte Blackburn verstört. „Ah“, seufzte ich entzückt. „Wundervoll.“ Es war immer wieder reinste Genugtuung, die mich durchströmte, wenn meine Gifte funktionierten. Sie waren meine Kinder, mein Lebensinhalt. Alles was ich noch hatte, nach meinem Fall. „Lassen Sie uns gehen“, murmelte Blackburn und schritt, ohne sich noch einmal umzudrehen, hinaus. Kalte Hände griffen mir in den Nacken. Ich sah mich hektisch um, als hätte mir jemand in den Magen geboxt, derart real hatte sich die Kälte angefühlt. Doch außer mir war niemand mehr in dem Gewächshaus. Das Licht, das durch die Milchglasfenster fiel, wurde von Minute zu Minute dunkler und Schatten krochen aus jeder Ecke hervor wie kleine Insekten. Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, meine Atmung wurde flach und ich brauchte einige Sekunden, um dieses elendige Gefühl, beobachtet zu werden, abzuschütteln. Nein. Niemand ist hier. Niemand hat dich gefunden. Du bist alleine, rief ich mir in Erinnerung und presste scharf den Sauerstoff aus meinen Lungen. Die Sigile beschützen dich. Keiner wird dich finden. Ich würde mir glauben, solange ich es nur oft genug wiederholte. Die Autofahrt mit Detective Blackburn war bedrückend. Sie erzählte mir nichts über den Mordfall und ich bohrte nicht weiter nach. Ich würde es schon noch früh genug erfahren, befürchtete ich, als wir wenig später mit dem Lift in das unterste Stockwerk der Gerichtsmedizin fuhren und auf einen relativ kurzen Gang hinaus traten, in der bereits der beißende Geruch von Desinfektionsmittel seine Bahnen zog. Wir wurden von einem Mann mit dichtem Bart in Empfang genommen der mich kaum eines Blickes würdigte, als wären alle Lebenden für ihn gleich, und sobald wir die Kühlkammer der Pathologie betraten, trat ein freudiges Funkeln in die zusammen gekniffenen Augen von Dr. E. Marlow, wie ich von seinem Namensschild ablesen konnte. Er führte uns zu einer ganzen Reihe von Kühlboxen die eine ganze Wand ausfüllten. Ich konnte mich in dem polierten Metall verschwommen erkennen. Eine verzerrte Gestalt ohne Gesicht. „Hier ist er“, sagte Dr. Marlow, überreichte uns Gummihandschuhe, die wir mit einem Schnalzen überstreiften, und schob die Leichenbare mit der Nummer 27 aus der Wand. „Andrew Collins, sag Hallo zu den beiden Ladies.“ Dr. Marlows schwarzen Humor ignorierend, traten Blackburn und ich gleichzeitig einen Schritt näher, als er den schwarzen Leichensack öffnete und uns die starre Leiche eines Jungens, etwa in Keenans Alter, präsentierte. Der leblose Körper hatte blondes Haar, das seine Schultern berührte und ein rundliches Gesicht. Bis auf das an einem Bändchen um seinen großen Zeh befestigte Namensschildchen, war er natürlich nackt. Sein Brustkorb wies außer einem kleinen Tattoo auf der rechten Schulter, noch die große Y-Wunde der Autopsie auf, die mir einen mehr als guten Einblick in sein Innenleben verschaffte … wortwörtlich. Alles war eine Masse aus getrocknetem Blut, Gedärmen und Fleischfetzen, von denen ich nicht sagen konnte, zu was sie eigentlich gehörten. „Man entdeckte ihn heute Morgen auf einem Spielplatz. Der Todeszeitpunkt müsste etwa bei Mitternacht liegen“, sagte Blackburn. „Er war siebzehn, Eltern geschieden, ein Ausreißer.“ „Woran ist er gestorben?“, fragte ich und erntete von Dr. Marlow ein begeistertes Grinsen. „Das werden Sie nicht glauben“, sagte er und zog aus der Seitentasche seines weißen Kittels eine Art Glasbecher. Drei kleine pechschwarze Tiere lagen mit jeweils zwei Scheren und einem giftigen Schwanz tot darin herum. „Wüstenskorpione“, erkannte ich sofort. „Diese Gattung ist hier illegal, wo haben Sie sie her?“ „Aus seinem Magen.“ Meine Augenbrauen wanderten vor Überraschung in die Höhe. Jetzt hatte er meine volle Aufmerksamkeit. „Wiederholen Sie das.“ „Dr. Marlow entdeckte die Skorpione bei der Autopsie“, erklärte Blackburn mit einer Spannung in der Stimme, die vorher noch nicht da gewesen war. „Aber das ist noch nicht das Beste“, fuhr Dr. Marlow fort, vollkommen ungerührt von seiner Entdeckung, als würde er jeden Tag von hochgiftigem Getier überrumpelt. Irgendwie war er mir sympathisch. „Gestorben ist Andrew daran nämlich nicht.“ „Wir kommen zum Kern des Punktes, nicht wahr?“ Ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, was ich hier für eine Rolle zu spielen hatte. Blackburn nickte und nahm Andrews Kopf in die Hände. Sie packte Unter- und Oberkiefer und öffnete seinen Mund so weit, bis ich das Zeichen an seinem Gaumen erkennen konnte und die kränkliche, dunkelblaue Verfärbung darum. „Die Todesursache ist nämlich das hier.“ Sie warf mir einen Seitenblick zu und runzelte die Stirn, als sie meine geweiteten Augen sah. Ein derart starker Griff hatte sich um mein Herz gelegt, dass ich sogar für einen Augenblick meine Verfolger vergaß, die mir dicht auf den Spuren sein mussten. Ich kannte das Zeichen. Es war derselbe Skorpion, der von einer Schlange umkreist wurde, der auch auf meinem Körper seinen Platz hatte. Zwar unsichtbar für Menschenaugen, doch Unsterbliche würden genau wissen, zu wem ich gehörte. Achlys, die Giftgöttin. Und meine Mutter. „Ich kenne das Mal“, platzte es aus mir heraus und ich wusste sofort, dass ich damit einen folgeschweren Fehler begangen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)