Bücher im goldenen Käfig von Alaiya (Elizabeth-Centric) ================================================================================ Abenteuer --------- „Elizabeth?“, klang die Stimme von Governor Swann durch den Garten seines Anwesens, während er offenbar leicht ermüdet durch die Grünanlage stampfte. Schweiß überzog das Gesicht des bereits in die Jahre gekommenen britischen Edelmanns, während dieser zwischen den Zierbäumen Ausschau nach seiner Tochter hielt. Als er sie schließlich fand, saß sie auf einem Stuhl unter einem Apfelbaum, an dem gerade die ersten noch dünnen Früchte heranreiften, mit einem Buch in der Hand, während Anne-Sophie, ihre Zofe mit unglücklichem Gesichtsausdruck einen Sonnenschirm über sie hielt. Das Mädchen war in ein Buch vertieft und hatte einen Fuß auf den Rand des Stuhles gestellt, wodurch ihr Kleid vollkommen verrutscht war. „Aber Elizabeth“, seufzte ihr Vater entgeistert, als er dies saß. Weatherby Swann blieb stehen und tupfte sich mit einem weißen Spitzentaschentuch den Schweiß von der Stirn. Es war Spätsommer, was hier in der Karibik nicht nur hohe Temperaturen, sondern auch eine enorme Luftfeuchtigkeit bedeutete, an die sich der Engländer nie gewöhnen würde. Nun endlich sah das Mädchen von ihrem Buch. „Ach, Vater, du bist wieder da“, sagte sie und lächelte breit. Das Gesicht der fünfzehnjährigen war von Sommersprossen übersät, während ihr einige Strähnen des eigentlich zu einem Kranz geflochtenen Haares ins Gesicht hingen. „Mein Herr, ich wollte sie eigentlich überreden im Haus zu bleiben, aber sie wollte nicht hören“, begann die nicht ganz dreißigjährige Zofe entrüstet, offenbar um jedweder Kritik an ihr selbst vorzubeugen. Der Governor ignorierte sie und wandte sich an seine Tochter. „Aber was machst du denn hier draußen?“ Er sah auf ihr Bein, das sie noch immer an den Körper gezogen hatte und somit den Unterschenkel des anderen Beins entblößte. „Und was soll diese Pose?“ Erst jetzt schien dem Mädchen aufzufallen, wie es saß. Eilig senkte es das Bein und richtete ihr cremefarbenes Kleid, so gut es ging. „Aber Vater, drinnen ist es so stickig“, verteidigte sie sich, „und es ist so ein wunderschöner Tag, dass ich es drinnen einfach nicht ausgehalten habe.“ „Und deswegen stromert sie wieder durch den Garten“, empörte sich Anne-Sophie. „Wenn das so weitergeht wird ihre Haut noch so dunkel, wie die der Marktweiber und Bauersfrauen.“ „Ich stromere gar nicht“, protestierte Elizabeth. „Ich lese. Was ist daran so verwerflich, dass ein junges Mädchen beim Lesen gerne ein wenig frische Luft schnappt?“ Während die Zofe aufgebracht nach Luft schnappte, seufzte der Edelmann nur erneut. „Du weißt, dass sich so ein Verhalten nicht geziemt, Elizabeth, liebes“, begann er vorsichtig und sah zu seiner Tochter. „Ich weiß, Vater“, sagte diese. Sie ließ ebenfalls ein leises seufzten hören. „Aber drinnen ist die Luft wirklich sehr stickig...“ Da fiel ihr Blick auf das kleine mit Schnur zusammengebundene Paket unter seinem Arm und ihre Miene hellte sich auf, als sie erkannte, dass es Bücher waren. „Sind die für mich?“ Noch ein Seufzen seitens ihres Vaters, doch dann lächelte er. „Ja, mein Liebes, die sind für dich. Mr. Badger sagt, sie sind erst vor kurzem herausgekommen.“ „Danke, Vater“, rief sie aus und wollte schon aufspringen, um ihm die Bücher aus der Hand zu reißen, wurde jedoch durch eine mahnende Geste ihres Vaters davon abgehalten. „Lass uns erst ins Haus zurückgehen“, sagte dieser. „Es gibt bald Abendessen und du solltest dich vorher waschen, Liebling.“ „In Ordnung...“ Etwas enttäuscht ließ Elizabeth die Schultern hängen, stand aber artig auf und nahm nun ihrer Zofe den Sonnenschirm ab. „Aber muss ich mich wirklich waschen?“ „Natürlich müssen Sie, Fräulein“, erwiderte Anne-Sophie und packte das Mädchen grob bei der Schulter. „Sie sind bald sechzehn. Sie sollten langsam anfangen, sich wie eine Dame zu benehmen.“ „Ruhe, Ruhe, meine liebe Sophie.“ Der Governor warf seiner Angestellten einen mahnenden Blick zu, ehe er sich seiner Tochter zu wandte. „Wir bekommen heute Abend Besuch, Elizabeth, liebes. Commodore Bennington und Captain Norrington sind heute morgen zurückgekommen und haben noch einige Berichte zu erstatten.“ „Haben sie etwa Piraten getroffen?“, fragte Elizabeth sofort. Ein begeistertes Glänzen trat in ihre Augen, was ihren Vater ein weiteres Mal zum Seufzen brachte. „Ich glaube eher nicht“, antwortete Weatherby Swann und verlieh seinen Worten dabei genug Nachdruck, um das Mädchen zum Schweigen zu bringen. Sie erreichten die hintere Terrasse des Anwesens, wo zwei Bedienstete sie in Empfang nahmen. „Jeremy, sei so gut und hol den Stuhl des Fräuleins aus dem Garten zurück“, meinte die Zofe zu einem der Bediensteten und wandte sich dann zu dem Mädchen. „Und Sie, mein Fräulein, gehen schon einmal vor. Ich komme gleich nach, um Ihnen beim Waschen und Ihrer Abendgadrobe zu helfen.“ Das junge Mädchen verdrehte die Augen, gehörte aber wortlos und lief vom dem Garten zugewandten Gesellschaftssaal in die Eingangshalle des Anwesens, von wo aus sie wohl die Treppen in den eigentlichen Wohnbereich des großen Hauses nehmen würde. Währenddessen wandte sich die Zofe mit strenger Miene Governor Swann zu. „Sie sollten das Mädchen nicht so verwöhnen“, meinte sie. „Ich weiß, es ist nicht meine Aufgabe, noch mein Recht, Ihnen dergleichen vorzuschreiben, Governor, aber Sie verwöhnen ihre Tochter deutlich zu sehr. Sie einfach so draußen herum stromern zu lassen, wie ein Bauerngör...?“ Der Edelmann seufzte und ließ sich erschöpft auf einen Stuhl am breiten und edelhölzernen Tisch sinken. „Ich weiß, Sophie, ich weiß...“ Die Dame warf einen Blick auf die Bücher, die der Adelige auf den Tisch gelegt hatte und rümpfte darüber die Nase. „Und halten Sie es wirklich für richtig, dem Mädchen diese... Diese... Diese Schundliteratur zum Lesen zu geben? Kein Wunder, dass sie solche Flausen im Kopf hat.“ „Diese Flausen hatte sie schon vorher im Kopf“, murmelte Weatherby Swann geistesabwesend. Kopfschüttelnd überging die Zofe diese Worte. „Wieso können Sie ihr denn nichts vernünftiges zu lesen geben? Marther oder Beverley...“ Der Edelmann schnaubte. „Oder zumindest Byrd“, fuhr Anne-Sophie fort ohne auf ihn einzugehen. „Selbst Shakespeare ist noch angemessener als diese furchtbaren Penny-Romane.“ „Aber was soll ich den machen?“, fragte Governor Swann. „Das Mädchen... Sie... Ich kann doch nicht...“ Er schüttelte den Kopf, ehe ihm klar wurde, dass es eine Angestellte war, mit der er sprach. „Am Ende ist es doch noch immer meine Sache, was ich meine Tochter lesen lasse, oder etwa nicht?“ Daraufhin schwieg die junge Frau für einen Moment zu schürzte die Lippen. „Natürlich, Governor“, meinte sie dann etwas spitz. „Ich habe lediglich meine Meinung dazu geäußert. Ich hoffe, ich war nicht zu dreist.“ Weatherby Swann ging auf ihre letzten Worte nicht ein, sondern winkte sie nur fort. „Nun geh schon, Sophie. Geh, und kümmere dich um das Mädchen.“ Noch immer mit geschürzten Lippen machte Anne-Sophie einen Knicks. „Sehr wohl, mein Herr“, meinte sie um dann mit kräftigen Schritt ebenfalls das Zimmer zu verlassen. „Nun legen Sie doch einmal das Buch aus der Hand, Fräulein“, jammerte die Zofe, als sie nur wenig später in Elizabeths Zimmer kam. Das Mädchen seufzte und legte das Buch, das sie wieder aufgeschlagen hatte, sobald sie auf ihr Zimmer gekommen war, aus der Hand. Elizabeth hatte keine Lust auf eine weitere Diskussion über das Thema, die Anne-Sophie fraglos beginnen würde, wenn sie sich nicht beeilte und sich „wie eine Dame“ verhielt. Die Zofe arbeitete nun schon über ein Jahr im Haushalt der kleinen Governors-Familie, seit Elizabeths Lehrer ihren Vater dazu überredet hatte, sie einzustellen. Denn auch, wenn sie offiziell dazu da war, Elizabeth behilflich zu sein und ihr Gesellschaft zu leisten, so war Anne-Sophie doch viel mehr eine Anstandsdame. Dies war ein Grund, warum das Mädchen sie nicht leiden konnte. Anne-Sophie beschwerte sich ständig über sie. Darüber, wie sie sprach, wie sie ging, wie sie saß, wie sie aß und natürlich auch über all das, was sie las. Natürlich vergaß sie dabei nie, dass sie am Ende nur eine Angestellte war, doch schaffte die Zofe es auch, wenn man ihr den Mund verbat, ihren Unmut deutlich zu machen. So ließ sie zu, dass ihr die Bedienstete beim Ausziehen, Waschen und Anziehen des Abendkleides half, ohne mit den Gedanken dabei zu sein. Diese wanderten wieder zu ihren Büchern. Bücher, wie sie sich tatsächlich für eine junge Dame kaum schickten und doch neben ihrem Vater das einzige, das sie wirklich liebte. Viele der Geschichten, die sie las, waren Abenteuererzählungen. Geschichten von verlorenen Schätzen; Geschichten über Flüche; Geschichten von Piraten! Und was sie am meisten faszinierte: Sie wusste, dass manche dieser Geschichten einen wahren Kern hatten. Natürlich, hier belehrten sie ihr Vater, ihre Zofe und auch die Commodores und Captains der Marine immer wieder, waren echte Piraten und echte Abenteurer bei weitem nicht so ehrenhaft, wie in ihren Büchern. Es waren räudige Schurken, auf die in jedem respektablen Hafen nur der Galgen wartete. Und dennoch kam sie nicht umher, sich ab und an auszumalen, wie es wohl wäre, einen Piraten zu treffen. In ihren Geschichten gab es immer wieder junge Frauen, die von Piraten entführt wurden. Frauen, die manchmal selbst zu Piraten wurden. Denn, und das wusste sie sicher, es gab weibliche Piraten. Sie hatte in verschiedenen Büchern von ihnen gelesen. Frauen, wie Anne Bonny und Maria Lindsey. Piratenfrauen mussten keine unbequemen Abendkleider tragen und wurden des Wunsches Fechten zu lernen wegen nicht belächelt... Und in einem Buch hatte Elizabeth sogar von einer Piratenfrau aus China gelesen, die eine ganze Armada befehligte, auch wenn sie sich hierbei nicht sicher war, wie viel wahres an der Geschichte dran war. „Jetzt träumen Sie doch nicht, Fräulein.“ Ungeduldig und nicht besonders sanft schnürte die Zofe das Kleid des Mädchens zu. „Wir sollten uns beeilen, die Gäste kommen schon.“ „Ja, Sophie“, seufzte das Mädchen nur. Tatsächlich war draußen, wo es nun dämmerte, das Klacken von Hufen auf der Straße zu hören, das fraglos von Kutschpferden kam, die die Männer der Marine herbrachten. Elizabeth wusste nicht ganz, wie sie über den bevorstehenden Abend denken sollte. Immerhin konnten die Männer der Marine spannende Geschichten erzählen, wenn sie auf ihren Seereisen in Stürme, an Piraten oder an die Spaniads geraten waren und anders als viele andere der Marinemänner behandelte zumindest der angekündigte Captain Norrington sie weder wie einen hübschen Gegenstand, noch wie ein Kind. Doch wenn die einzigen Themen des Abends Lagerbestände, Handelsrouten und irgendwelche Abkommen sein sollten, so würde sie es doch bevorzugen auf das Abendessen zu verzichten und lieber in ihrem Zimmer zu lesen. Sie wusste jedoch, dass sie so oder so diese Wahl nicht hatte, weshalb sie, wenn auch langsam und wenig begeistert, bald die Treppe in die Eingangshalle des Anwesens hinab schritt, wo einer der Bediensteten gerade zur Tür eilte, um die Gäste in Empfang zu nehmen. „Ah, Elizabeth, du bist gerade rechtzeitig“, meinte ihr Vater und nahm sie am Fuß der hölzernen Treppe in Empfang. „Ihre Tochter wird uns heute Abend Gesellschaftleisten, Governor?“, meinte Bennington, ein bereits etwas älterer, untersetzter Marineoffizier, der seine gepuderte Perücke, wie auch seinen Zierdegen jedoch nach wie vor ordentlich und mit Stolz trug. Elizabeth mochte ihn nicht. Er kam ihr als humorloser Mensch vor, der Regeln und Normen eindeutig zu viel Bedeutung zusprach. Dennoch machte sie anständig einen Knicks, wie man es von ihr erwartete. Während Commodore Bennington sich in den Salon leiten ließ verbeugte sich der junge Kapitän, der zuvor bei der Tür gewartet hatte, leicht. „Vielen Danke für ihre Einladung, Governor“, meinte James Norrington dann. „Miss Swann.“ Er wandte sich Elizabeth zu und verbeugte sich erneut leicht. Sie zögerte. „Captain“, meinte sie dann und machte einen höflichen Knicks. Galant lächelte er sie an. „Darf ich Euch in den Salon geleiten, Miss Swann?“ Elizabeth bemerkte, dass ihr Vater diese Galanterie selbst mit einem Lächeln bedachte und nickte seiner Tochter zu, ehe er dem Commodore bereits in den Salon folgte, um seinen Gast nicht zu lange warten zu lassen. „Sehr gern“, meinte sie höflich distanziert zu Captain Norrington und nahm den ihr angebotenen Arm. Wie sich, kaum dass sie Platz genommen hatten, schnell zeigte, waren ihre Befürchtungen berechtigt. Denn noch bevor das Apparativ serviert wurde, waren Commodore und Governor bereits in ein Gespräch über Lagerbestände und Handelsrouten vertieft. Welche Teesorten aus dem Osten brachten neue Umsätze? Wie hatten sich die neu erhobenen Hafensteuern an der Westküste auf den Handel ausgewirkt? Wie sollten die Schiffe in den nächsten Monaten positioniert werden? Elizabeth musste sich ein Gähnen verkneifen. Sie redeten nicht einmal über die Schiffsfahrt selbst, sondern nur über Zahlen, Fakten und Positionen. Ach, was würde sie nur dafür geben eins ihrer Bücher weiter zu lesen! Ein Abenteuer, bei dem einige gewitzte Piraten der East India Company ein Schnippchen schlugen... Das war bei weitem interessanter, als Berichte über die verschiedenen Steuersätze, die die Handelskette in den ihrer Kontrolle unterliegenden Häfen verlangte. Zwar tat sie ihr bestes, ihre Langeweile damit zu überspielen, indem sie sich auf ihr Essen konzentrierte, doch konnte auch der saftige Truthahn das andauernde Gespräch nicht interessanter machen. Sie konnte es nicht glauben, dass nicht einmal ein Piratenangriff erwähnt wurde! Während lustlos mit dem Löffel in ihrem Nachtisch – einen ihrer Meinung nach viel zu süßen Pudding – herumstocherte, hatte sich das Gespräch den Gewinnen zugewandt; ein Thema, das den edlen Herren weitaus größere Freude zu bereiten schien, als erhöhte Steuern, für Elizabeth jedoch nicht minder langweilig war. Es war schließlich der junge Captain, der sich ihr zuwandte, nachdem die Bediensteten die Glasschalen, in denen sie den Pudding serviert hatten. „Ihr seht aus, als könntet Ihr ein wenig frische Luft vertragen, Miss Swann.“ Überrascht sah ihr Vater zu ihr. „Elizabeth?“ Elizabeth' Blick huschte zum Captain. Sie hätte beinahe nicht bemerkt, dass er sie angesprochen hatte, so versunken war sie in ihre Gedanken gewesen und so konzentriert darauf, sämtliche Gespräche auszublenden. So brauchte sie einen Moment, bis sie begriff. „Oh, ja“, stammelte sie etwas unsicher. „Mir ist etwas schwindelig, Vater.“ „Geht es dir gut?“ Sofort war die Stimme ihres Vaters besorgt, weshalb sie sich bemühte möglichst schnell abzuwinken. „Keine Sorge, Vater, ich brauche nur etwas frische Luft“, meinte sie und griff damit Captain Norringtons Worte auf. „Wenn Ihr es mir erlaubt, Governor, begleite ich Eure Tochter für eine Weile nach draußen“, ereiferte sich dieser sofort. Der Governor sah etwas unschlüssig zu ihm. „Vielen Dank, Captain.“ Damit nickte er ihm zu. Mit einem Nicken seinerseits, stand Captain Norrington auf und ging um den Tisch zu Elizabeth, die auf derselben Seite, wie ihr Vater saß, um ihr aufzuhelfen, eher er ihr erneut den Arm reichte, um sie heraus zu geleiten. Noch bevor sie es sich verkneifen konnte, kam erleichtertes Seufzen über ihre Lippen, als sie durch die Salontür auf die große Terrasse des Anwesens hinaustraten. „Das ist alles sehr trocken, nicht, Miss Swann?“, fragte der junge Captain sie, als sie am Rand der Terrasse angekommen waren, wo diese von einem steinernen Geländer begrenzt wurde. Erschrocken sah sie ihn an. Sie hatte sich bemüht sich nichts anmerken zu lassen, so dass sie sich nun mit leichter Empörung verteidigte: „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Captain.“ Doch James Norrington warf ihr nur ein leicht amüsiertes Lächeln zu. „Ich kann Euch verstehen. Ich finde diese Berichte auch nicht gerade ermunternd.“ Er warf ihr einen Seitenblick zu und stützte sich leicht auf das Geländer. „Um nicht zu sagen, dass ich sie ziemlich langweilig finde.“ Zurückhaltend lächelte Elizabeth. „Ja“, stimmte sie schließlich zu. Leise seufzte sie. „Ich hatte eigentlich gehofft, dass Sie oder der Commodore zumindest von dem ein oder anderen Abenteuer zu berichten haben...“ Für einen Moment beobachtete der Captain sie. „Nun, Seefahrt ist, auch wenn Sie es vielleicht nicht glauben wollen, vor allem harte Arbeit. Die meiste Zeit passiert nichts großartiges und wir Seemänner verrichten Tag für Tag, bis wir an unserem Ziel ankommen, dieselbe Arbeit. Außerdem ist das Essen furchtbar schlecht.“ Sein Lächeln wurde breiter und war nun auch in der Dunkelheit, die nur von dem Licht, das vom Salon auf die Terrasse fiel, erhellt wurde, deutlich zu erkennen. „Ja, ich erinnere mich noch“, murmelte Elizabeth. Tatsächlich war das Essen, das ihnen auf der Überfahrt von England in die neue Welt serviert wurde, mit jedem Tag der Reise schlechter geworden. Doch zumindest war die Fahrt, wie sie sich sehr gut erinnerte, nicht gänzlich ereignislos gewesen: Immerhin waren sie auf ein gekentertes Schiff gestoßen und hatten einen schiffsbrüchigen Jungen – Will – vor dem Ertrinken gerettet. Und auch wenn Captain und die meisten der Seeleute es auf ein explodiertes Schwarzpulvermagazin geschoben hatten, so glaubte sie bis heute, dass Mister Gibbs recht hatte: Das Schiff war von Piraten angegriffen worden. Sie wusste es! Immerhin war Will ein Pirat gewesen. Sie besaß sein Piratenmedaillon bis heute und hielt es versteckt. „Ich frage mich, was Mister Gibbs macht“, meinte sie, als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging. „Mister Gibbs?“ Fragend sah Captain Norrington sie an. „Ja, der Seemann, der bei unserer Überfahrt dabei war“, erwiderte das Mädchen. „Erinnern Sie sich nicht mehr, Captain? Mister Gibbs meinte immer, dass es Unglück bringen würde, dass ich an Bord des Schiffes war.“ Sie kicherte bei dem Gedanken. „Und er kannte einige wundervolle Geschichten über Piraten und Schätze, die es hier geben soll!“ „Die jedoch wenig mehr waren, als einfache Ammenmärchen“, ergänzte Captain Norrington. Elizabeth seufzte. „Spannend waren sie trotzdem, seine Geschichten.“ Für einen Moment schwieg sie, ehe sie zu dem Captain blickte. „Sagt, habt ihr in den letzten Monaten überhaupt keinen Piraten auf euren Fahrten getroffen?“ „Zum Glück nicht“, erwiderte er, nun etwas schroff. „Es gibt immer weniger Piraten in diesen Gewässern. Ihre Zeit ist langsam nun endlich vorbei.“ Er warf ihr einen ernsten Blick zu. „Und diejenigen, die noch immer durch diese Gewässer segeln, werden noch bekommen, was sie verdienen.“ Mittlerweile wusste Elizabeth genau, was er damit meinte. Erneut seufzte sie leise. „Ihr solltet Euch mit erquicklicheren Themen beschäftigen, Miss Swann. Es gibt weitaus angenehmere Themen, als diese verfluchten Freibeuter und Halsabschneider, wenn ich dies anmerken dürfte.“ Dabei bemühte er sich seiner Stimme einen versöhnlichen Unterton zu geben, doch die Governorstocher sah ihn nicht an. Stattdessen beugte sie sich über das Geländer und sah in die dunkle Nacht hinaus, während sie ihren schweren Geruch einatmete. „Was für Themen denn?“, murmelte sie leise. „Soll ich Geschichten über ein einfaches Leben lesen? Über Damen, die sich auch wie solche verhalten? Als ob ich davon nicht so schon genug hätte...“ Aus den Augenwinkeln sah sie zu Captain Norrington hinüber. „Wenn ich so schon keine Abenteuer erleben kann, so lassen Sie mir zumindest die Geschichten darüber.“ Unsicher sah er sie an. „Aber, Miss Swann...“, begann er, sprach jedoch nicht weiter, als er den Blick auf ihrem Gesicht sah. „Es ist doch die Wahrheit“, entgegnete sie auf seine ungesagten Worte. „Wenn ich ein Junge wäre, würde ich nun fechten lernen, anstatt meine Haltung beim Essen zu üben. Wenn ich ein Junge wäre, dürfte ich vielleicht einmal selbst für die Royal Navy oder die East India Company arbeiten und Abenteuer erleben, die sich dann vielleicht selbst als langweilig und unnötig beschwerlich empfinden würde. So ist meine beste Aussicht, dass ich eventuell einmal einen Mann heiraten darf, der mir zumindest zuhause einige Freiheiten lässt.“ Mit kühlem Blick sah sie ihn an. „Es ist nicht so, als würde ich jeden Piraten für einen Helden halten, Captain Norrington, aber zumindest manchmal wünsche ich mir, dass ein Pirat käme, um mich von diesem langweiligen Leben zu befreien.“ „Miss Swann...“, stotterte James Norrington nun und schien von ihrer kleinen Ansprache gänzlich überrascht. Derweil verstand Elizabeth nur langsam selbst, was sie gerade gesagt hatte. Dabei hatte sie sich doch eigentlich vorgenommen, ihren Vater diesen Abend nicht zu beschämen und sich zumindest zu bemühen, sich damenhaft zu verhalten. Nun, es war zu spät ihre Worte zurückzunehmen und sie war zu stolz sich für diese zu entschuldigen. Stattdessen wandte sie sich nun wieder ganz dem Captain zu und machte einen Knicks. „Ich danke Ihnen, dass Sie mir Gesellschaft geleistet haben, Captain“, meinte sie. „Ich glaube, ich werde mich auf mein Zimmer zurückziehen. Mir ist noch immer nicht wohl.“ Sie knickste noch einmal. „Gute Nacht, Captain Norrington.“ Für einen Augenblick sah er sie schweigend an. Dann verbeugte er sich. „Ich werde Euch noch in den Salon zurückgeleiten“, meinte er dann und bot ihr wieder den Arm an, was sie dieses mal zögerlicher annahm als zuvor. Langsam gingen sie über die Terrasse zurück in den Salon, wo ihr Vater sich zu ihr umdrehte. „Geht es dir besser, Elizabeth?“ Mit einem gespielt dramatischem Seufzen schüttelte sie den Kopf. „Nein, Vater, mir ist noch immer nicht wohl. Ich glaube, ich werde mich für heute auf mein Zimmer zurückziehen.“ Ihr Vater hielt inne, dann nickte er. „Mach das, Liebling. Gute Nacht.“ Sie nickte und ging – nun ohne die Begleitung des Captains – zur rückseitigen Salontür, die in die Eingangshalle führte. Wie es der Anstand gebot, drehte sie sich hier noch einmal um und machte einen weiteren Knicks. „Gute Nacht, Vater. Commodore. Captain.“ Sie wandte sich den jeweiligen Männern zu. „Gute Nacht“, murmelte der Commodore nicht sonderlich höflich, während Captain Norrington sie nur ansah. Erst, als sie sich wieder umdrehte, hörte sie noch ein sanftes „Gute Nacht, Miss Swann“ von ihm, ging jedoch unbeirrt zur Treppe. Gerade als sie die ersten Stufen betrat, holte Anne-Sophie, die eigentlich an der Tür gewartet hatte, sie ein. „Also wirklich, Miss Swann“, empörte sie sich sofort ungefragt, „Sie ziehen sich zurück, bevor einer der Gäste sich verabschiedet?“ „Mir ist nicht wohl“, log Elizabeth erneut und beschleunigte schon, hörbar auf den Stufen stampfend, ihren Schritt. „Ich werde mich hinlegen.“ „Ich werde Ihnen beim Umziehen helfen“, erwiderte die Zofe spitz und ließ sich dabei deutlich anmerken, dass sie dem Mädchen kein Wort glaubte. Dieses beschleunigte noch einmal ihre Schritte, als sie den oberen Absatz der Treppe erreicht hatte. „Nicht nötig, Sophie“, meinte sie, kurz vor ihrer Zimmertür. „Ich kann mich alleine umziehen.“ Und noch bevor die Zofe sie erreichen konnte, riss sie die Tür auf, schlüpfte hindurch und schloss sie hinter sich, noch bevor die Bedienstete sie erreichte. Sie drehte den eisernen Schlüssel im Schloss herum, ehe sie sich erleichtert gegen die Tür lehnte. „Gute Nacht, Sophie“, meinte sie noch laut genug, als dass die Zofe sie draußen hören sollte. Sie holte einige Male tief Luft und schloss die Augen. Eigentlich wollte sie nicht so sein. Eigentlich wollte sie nicht rebellieren. Sie wollte nicht, dass ihr Vater sich um sie Sorgen musste, wo er doch immer so gut zu ihr war und noch immer unter dem Verlust ihrer Mutter, an die sie sich selbst kaum erinnern konnte, litt. Sie hatte auch nicht den eigentlich so freundlichen Captain Norrington so respektlos behandeln wollen, doch in dem Moment hatte sie nicht anders gekonnt. Denn so sehr sie auch ihren Vater liebte... Dieses Leben war auch nicht, was sie wollte. Und während vielleicht so manch ein einfaches Bauernmädchen und wohl auch die meisten Bediensteten sie um dieses Leben beneideten, so beneidete sie jeden von ihnen. Jeden, der ohne Begleitung das Haus verlassen durfte und einfach in seiner freien Zeit durch den Hafen marschieren konnte. Deswegen beneidete sie die Piraten, denn unabhängig von allen Gräueltaten, die diese vielleicht begangen, so hatten sie eins, was sie wohl nie haben würde: Freiheit. Mit einem Seufzen löste sie sich von der Tür und begann, wenngleich etwas umständlich, sich aus dem unbequemen Abendkleid zu schälen, das eindeutig nicht dafür geschneidert war, es ohne Hilfe auszuziehen. Sie schlüpfte in ihr Nachthemd und ließ sich plump auf ihr Bett fallen. Sie drehte die Öllampe, die auf dem Schrank neben ihrem Bett stand, weiter auf, ehe sie nach dem Buch griff, dass sie direkt neben dieser hatte liegen lassen. Gedanken verloren blätterte sie durch die Seiten der Novelle, die mehrere kurze Erzählungen über Piraten enthielt. Sie überflog die Worte nur, bis eine Überschrift ihre Aufmerksamkeit auf sich zog: Wie die EITC beinahe den berüchtigten Captain Jack Sparrow gefangen nahm. Sie lächelte. Captain Jack Sparrow... Sie hatte schon viele Geschichten über diesen Piraten gelesen, der anders, als viele der anderen Piraten seine Ziele meist ohne Gewalt und rein durch raffinierte Pläne erreichte. Auch wenn er wahrscheinlich der Fantasie eines Autors entsprungen war, so schaffte er es doch immer sie zum Lächeln zu bringen, wenn er irgendwelchen Edelleuten Streiche spielte und Lager beraubte, ohne auch nur einen Schuss zu feuern. Vielleicht hatte Captain Norrington recht und es gab solche Piraten nicht wirklich, doch das hinderte Elizabeth nicht daran, davon zu träumen, mit einem solchen Piraten auf See zu fahren und echte Abenteuer zu erleben. Mit diesem Gedanken im Kopf begann sie zu lesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)