Dreißig Nächte von Shizana (30 Nächte-Challenge) ================================================================================ Zeit für die Wahrheit (Silverspawnshipping) ------------------------------------------- Hier war sie also. Ihr Herz raste noch schneller als es ohnehin schon tat. Als es schon getan hatte, seit sie von seiner Rückkehr erfahren und sogleich die Nachricht erhalten hatte, dass er sie zu sehen wünschte. In dem Moment hatte sich ihr Herz überschlagen, auf dem langen Weg bis hierher hatte sie die Impulse ihres Herzschlages bis zum Hals gespürt. Doch jetzt, da sie vor der immensen, dunklen Tür stand, war es kaum mehr zum Aushalten. Sie atmete einmal tief durch. Zwang sich, ruhiger zu werden. Erst dann, als sie langsam bis zehn gezählt hatte, hob sie die Hand und klopfte zweimal gegen das massive Edelholz. Warten. Eins, zwei, drei Sekunden. Dann erklang das erlösende „Herein“ von innen, gefolgt von einem leisen Surren von der Tür. Sie drückte die Klinke herunter und drückte die Tür auf. Sofort konnte sie jene gewisse, autoritäre Gegenwart vernehmen, welche den gesamten Raum zu prägen schien. Sie spürte es noch ehe sie richtig eingetreten war, die Tür hinter sich schließend. „Ah, Athena.“ „Sakaki-sama“, erwiderte sie die Begrüßung beherrscht und verneigte sich sogleich tief, die rechte Hand auf ihre linke Brust gelegt. „Ich freue mich sehr über Eure Rückkehr. Habt Dank, dass Ihr Euch die Zeit für mich nehmt.“ Gerade als sie sich wieder in eine aufrechte Haltung erhob, bemerkte sie den Wink ihres Anführers. Er galt nicht ihr. „Du kannst gehen.“ „Sehr wohl.“ Der junge Mann mit dem kurzen, pastellblauen Haar verneigte sich ebenfalls tief vor dem Oberhaupt, dann wandte er sich von dem imposanten Schreibtisch in ihre Richtung um. Er hielt sich, wie üblich für ihn, ein Klemmbrett locker gegen die Brust gedrückt und durchschritt den weiten Raum mit souveränen Schritten. Als er auf ihrer Höhe angelangt war, traf sein Blick auf den ihren. Für einen Sekundenbruchteil sah er sie aus seinen eisblauen Augen an, und obgleich keinerlei Regung auf seinem schmalen Gesicht lag, hatte sie das Gefühl, als forschte er sie. Sie hasste diesen Blick. Apollo hatte eine gewisse Art an sich, die ihr stets das Gefühl gab, als sähe er auf sie herab. Dabei war er kaum größer als sie, sie waren nahezu auf gleicher Augenhöhe – in mehrerem Bezug gesprochen. Dennoch hasste sie es, wenn er sie so ansah. Sie konnte aus seinem Blick nichts ablesen; nie, absolut niemals. Auch jetzt nicht, sie glaubte nur, eine reservierte Kühle von ihm ausgehend zu spüren. Ja, nicht zu sehen, zu spüren. Es war nur ein kurzer Moment, in dem sie auf einer Höhe waren. Einen Augenschlag später war er auch schon an ihr vorübergezogen und sie spürte den kurzen Windzug in ihrem Rücken, als der Sekretär das Bürozimmer verließ und die Tür mit einem leisen Klacken hinter sich schloss. Und erst da bemerkte sie, dass sie unwillkürlich die Luft angehalten hatte. Sie atmete erleichtert aus, doch zum Tiefdurchatmen war es noch zu früh. Denn nun war sie allein mit ihm. Mit ihm. „Athena.“ Ihr Herz setze einen Schlag lang aus, als diese tiefe, ruhige Stimme mit einer unumschreibbaren, sanften Dominanz ihren Namen sprach. „Steh dort doch nicht so herum, komm her.“ Sie schluckte und straffte automatisch die Schultern. Es war eine intuitive Reaktion, die sie nicht beeinflussen konnte. Dennoch tat sie wie von ihr verlangt und durchschritt den Raum mit erhobenem Haupt. Als sie vor dem großen Schreibtisch angekommen war, hinter welchem ihr Anführer in seinem breiten, dunklen Bürosessel mit der hohen Lehne saß, verneigte sie sich ein weiteres Mal ehrfürchtig vor ihm. Sie vernahm den Duft seines üblichen Eau de Toilette, eine Note undefinierbar zwischen Patschuli und Moschus gepaart mit einer dominanten Holz- und sanften Zitrusnote. Er war nur schwer zu entschlüsseln, aber sie liebte diesen Geruch. Sie hatte ihn viel zu lange nicht mehr so präsent vernommen. „Sakaki-sama“, begann sie leise und sprach den Namen mit aller Ergebenheit aus, „Ihr wart lange weg. Verliefen die Geschäfte gut?“ „Wenn man es so nennen möchte“, antwortete er knapp und sie erhob sich wieder, um ihn anzusehen. Seine dunklen Augen lagen aufmerksam auf ihr, doch sie bemerkte erst jetzt, da sie sein Gesicht von Nahem sehen konnte, dass er müde aussah. „Aber ich bin froh, wieder hier zu sein.“ „Ihr wurdet schmerzlich vermisst“, sprach sie sanft, um ihm ein wenig Mut zu spenden. Es war die Wahrheit. „Danke, aber zu meinem Bedauern kann ich nicht lange bleiben. In zwei Tagen kehre ich zurück nach Tokiwa City“, erklärte er vielsagend und sie nickte verstehend. Natürlich, der Anführer von Team Rocket hatte auch noch eine Arena zu leiten. Es musste ermüdend sein, wegen so vieler Pflichten so viel unterwegs zu sein und stetig von Ort zu Ort zu pendeln. Sie wünschte sich, es wäre anders und er könnte all seinen Tätigkeiten von hier aus nachgehen; vom derzeitigen Team Rocket-Hauptquartier aus, welches sie erst vor wenigen Jahren von Tokiwa City näher ins Zentrum der Region verlegt hatten, nahe der Hauptstadt. Seitdem sahen sie ihren Boss immer seltener, manchmal nur einmal im Monat, regulär etwa alle zwei Wochen für wenige Tage oder auch nur ein paar Stunden. Zuletzt waren fast zwei Monate vergangen. Es war eine Schmach. „Wie kommt eure Abteilung voran? Gibt es neue Ergebnisse aus der Forschung?“, verlangte er zu erfahren. Neben ihm erklang ein herzhaftes Gähnen, als sich sein Snobilikat in seinem weiten Körbchen zum Fuße des Tisches weiter zusammenrollte. Zögerlich nickte sie. „Das Team ist der These auf den Grund gegangen, inwieweit es möglich ist, die Gehirnströme von Psycho-Pokémon zu beeinflussen. Wir glauben, einen neuen Weg gefunden zu haben, aber die Ergebnisse schwanken noch je nachdem, welches Pokémon wir vor uns haben. Für eine detaillierte Prognose ist es noch zu früh.“ In einer kurzen Pause ließ sie die Worte auf ihren Anführer wirken. Dieser schien kurz abzuwägen, stimmte dann aber ihrem Report mit einem geraden „Mhm“ zu. „Wir haben dafür etwas anderes entdeckt“, schloss sie nun an und setzte ein zufriedenes Lächeln auf. „Eines unserer Agententeams hat uns eine Eierschale von ihrer letzten Mission mitgebracht. Wir konnten bestätigen, dass es sich um die Schale eines Pokémon-Eis handelt. Und nicht nur das: Wir konnten analysieren, dass die Schale zu einhundert Prozent feuerresistent bei bis zu 900°C ist. Das entspricht der Durchschnittstemperatur von ausgetretener Lava. Höher konnten wir nicht messen, aber das ist auch nicht nötig. Verbliebene DNA-Spuren haben gezeigt, dass aus dem Ei einmal ein legendäres Lavados geschlüpft sein muss.“ „Lavados?“, wiederholte Sakaki mit einem wachen Interesse in der Stimme. Athena nickte zuversichtlich. „Wo hat man es entdeckt?“ „Das Team war in der Nähe von Guren Town unterwegs. Die Schale wurde auf der Vulkaninsel nur wenige Kilometer südlich gefunden, soweit ich informiert bin.“ „Hm…“ Kurz überdachte er ihre Worte. Dann erhob er sich von seinem Platz und ging hinüber zu der Kommode, die ihm zugleich als Minibar diente. „Gibt es schon Ergebnisse bezüglich des Alters des Fundes?“, fragte er weiter, während er nach zwei Gläsern und einer dunklen Flasche aus seinem Sortiment griff. „Ich habe ein fünfmannstarkes Team zusammengestellt, das zu diesem Zeitpunkt an den näheren Analysen arbeitet. Bisher vermuten wir auf vielleicht zwanzig Jahre, eventuell auch wenig älter.“ „Das legendäre Pokémon Lavados, hm?“ Er murmelte diese Worte nur vor sich hin, während er überlegte. Athena konnte heraushören, dass er lächelte, ohne es zu sehen. Dann drehte er sich nach ihr um und kam bis auf einen Meter auf sie zu. Er reichte ihr eines der Gläser in seiner Hand und schenkte sogleich zum Viertel von dem alten Rotwein ein, welchen er herausgesucht hatte. „Gute Arbeit“, lobte er dabei mit aufrichtigem Kompliment. „Das sind hervorragende Neuigkeiten. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.“ „Vielen Dank“, sprach sie leise und spürte das verlegene Kribbeln in ihren Wangen. Es tat gut, von ihm für ihre Arbeit gelobt zu werden. Zu wissen, dass er es nicht bereute, sie erst jüngst in den Vorstand aufgenommen und die Verantwortung für den gesamten Forschungsbereich übertragen zu haben. Nicht, dass sie jemals Zweifel daran gehabt hätte, dieser neuen Aufgabe gewachsen zu sein nach all den Jahren, die sie schon ihre Dienste in die Organisation investiert hatte. Sakaki hatte sich derweil ebenfalls eingeschenkt und hob sein Glas nun in ihre Richtung. Doch sie zögerte, mit ihm anzustoßen. „Auf dein Team“, ermunterte er sie, woraufhin sie dann doch ihr Glas erhob und das teure Kristall löblich klirren ließ. „Danke.“ Nachdenklich blickte sie auf die dunkelrote Flüssigkeit, die süßlich-herb mit ihrem Duft verlockte. Doch sie trank nicht, sie starrte lediglich auf den Rotwein in dem Edelkristall zwischen ihren Händen. Vielleicht wäre das die Gelegenheit, es ihm zu sagen. Sie musste es ihm sagen. Wer wusste schon, wann sie wieder die Chance dazu hätte, wenn ihr geliebter Boss schon bald wieder anderen Verpflichtungen nachgehen musste? Sie zögerte. „Was ist?“, holte sie Sakakis ruhige Stimme aus ihren Gedanken. Erst da merkte sie, wie unhöflich sie sich gerade verhielt. „Ich habe noch zu arbeiten“, erklärte sie beherrscht und ließ die Hände etwas sinken. Sie vermied, ihm in die Augen zu sehen. Im nächsten Moment erschrak sie für einen Sekundenbruchteil, konnte aber vermeiden, zusammenzuzucken. Sie spürte Sakakis feste Lippen gegen ihre Stirn, als er ihr einen Kuss aufhauchte. „Nimm dir den Rest des Abends frei. Dein Team darf sich ebenfalls einen frühen Feierabend gönnen für die gute Arbeit, die es die letzten Wochen erbracht hat.“ Und indem er sich dicht an ihr Ohr beugte, sprach er noch vielsagend: „Und dann komm anschließend zu mir.“ Vergewissernd blickte sie zu ihm auf, suchte seine Augen. Seine Hand lag heiß an ihrer Taille und sprach eine eigene Sprache. Es gab nicht mehr zu sagen. Sie nickte. „Jawohl. Danke, Sakaki-sama.“ Mit einem Lächeln beugte er sich zu ihr herunter. Seine Lippen fanden die ihren und übten einen langvermissten Druck auf ihnen aus. Versprechend. Ihr Herz schlug ihm entgegen. Indem er sich wieder von ihr löste und auch seine Hand zurückzog, war die Audienz somit beendet. Fürs Erste.   Nur wenig später hatte sie ihrem Team Bericht von ihrem Vorsprechen beim Boss erstattet und auch den wohlverdienten Feierabend erklärt. Nur widerspenstig ließen die Männer und Frauen von ihrer Arbeit ab, doch eine gemeinsame Beschäftigung war schnell gefunden. Aber Athena sagte dem gemeinsamen Essen ab, sie hatte noch etwas zu erledigen. Natürlich war erledigen nicht die richtige Bezeichnung. Ohne Frage war Sakakis Wort Gesetz und selbst eine Bitte war letzten Endes nur ein verschönlichter Befehl. Auf der anderen Seite wollte sie aber auch nichts anderes. Nichts wollte sie im Augenblick mehr als bei ihm zu sein. Heute, unbedingt. Ein Blick auf ihre goldene Armbanduhr verriet ihr, dass sie noch knapp zwei Stunden Zeit hatte. Sie wusste, dass Sakaki nur selten vor zwanzig Uhr seine Arbeiten niederlegte; selbst dann nicht, wenn er privates Vorhaben mit „gleich“ betitelte. Später durfte sie aber nicht sein, denn er konnte sich zwar durchaus in Geduld üben, tat dies jedoch nur ausgesprochen ungern. Die Zeit reichte für eine ausgeprägte Dusche. Auch noch, um sich mit Duft und Frisur herzurichten und die Kleider zu wechseln. Es brauchte nichts Besonderes, lediglich frische Unterwäsche und ihr Alltagskittel, wie sie das gute Stück gern nannte. Sakaki war kein Mann, der irgendwelchen Schnickschnack an Dessous und Ähnlichem für notwendig erachtete. Er wusste die Vorzüge einer Frau auch so zu schätzen; und sie, so sagte er ihr oft, bedurfte solcher Waffen ohnehin nicht. Um zwanzig vor acht verließ sie ihr Zimmer. Sie brauchte nur fünf Minuten bis zu Sakakis Privaträumen, seit sie dank ihrer letzten Beförderung auf die sogenannte „zweite Etage“ gezogen war. Jener Etage, die ausschließlich von den Ranghöheren bezogen wurde, um ein wenig Ruhe vor den Arbeiten und Teamkollegen genießen zu dürfen. Bis zum Fahrstuhl war es nicht weit. Sie betätigte den Knopf mit der Pfeil-nach-oben-Taste und hielt ihren Mitgliedsausweis vor dem aufleuchtenden Scanner, damit sich das Gefährt in Bewegung setzte. Kaum dass sie eingestiegen war, wandte sie sich sogleich dem kleinen Monturenbrett unter der Etagenauswahl zu, gab eine bestimmte Ziffernfolge ein, ehe sich die Tür schloss und sich der Aufzug aufwärts bewegte. Sakakis private Räumlichkeiten lagen direkt gegenüber vom Aufzug. Die komplette Etage unterschied sich zu den übrigen mit dem ausgelegten roten Teppich und den dezent gelbgestrichenen Wänden. Athena kam vor der schwarzen Tür im weiß-goldenen Rahmen zum Stehen und zögerte für einen Moment. Ihr Blick lag auf dem vergoldeten Türknauf, während sie abwägte. Ihre Mitgliedskarte nützte ihr ab hier nichts mehr. Es gab keinen Scanner und keine anderweitige Möglichkeit, wo die Karte Verwendung finden könnte. Hier gab es nur diese Tür, zwei Überwachungskameras links und rechts darüber montiert und eine Klingel zu ihrer Rechten. Wenn sie die letzte Hürde überwinden wollte, um zu ihm zu gelangen, brauchte sie seine Hilfe, um Einlass zu erhalten. Sie strich mit ihrem Zeigefinger ehrfürchtig über den goldenen Knauf und umfuhr die eingearbeitete Gravur auf der glatten Fläche, welche unverkennbar den Erdorden darstellte. Jenen Orden, welchen nur jenen aufstrebenden Pokémon-Trainern ausgehändigt wurde, die sich in der Arena von Tokiwa City vor dem Arenaleiter als würdig erweisen konnten – vor Sakaki höchstpersönlich. Dieser besondere Orden war sein unverkennbares Markenzeichen, solange er sich in der Öffentlichkeit bewegte. Und sie hasste dieses Zeichen, welches Team Rocket um ihren Anführer bedrohte. Einmal atmete sie noch tief durch, ehe sie die Klingel betätigte. Sie läutete stumm. Nur wenig später erklang ein leises Surren von der Tür und sie stieß sie auf. Und mit ihrem ersten Schritt über die Türschwelle rief sie sich fest in Erinnerung: Egal wie, sie musste es ihm sagen. Athena betrat den weiten Raum, der sich ihr offenbarte. Es brannte kein Licht, lediglich durch die auf Halb gestellten Jalousien fielen die letzten Sonnenstrahlen des späten Abends. Doch nicht ihnen war das flimmernde Licht zu verdanken, welches den Raum spärlich beleuchtete. Von der Seite vernahm sie ein leises Blätterrascheln, und sie wandte ihren Blick in die rechte Hälfte des Zimmers. In dem dunklen Steinkamin lodere ein Feuer, nur gelegentlich knackte das Holz darin. Leise, kaum zu hören. Davor, auf der schwarzen Ledercouch, erkannte sie von ihrer Position aus eine bekannte Kontur. Er saß mit dem Rücken zu ihr, drehte sich nicht nach ihr um. Natürlich nicht, dazu gab es keinen Anlass. Er wusste, dass sie es war, die seine Räumlichkeiten betreten hatte. Dessen musste er sich kein weiteres Mal vergewissern, nachdem immerhin er es gewesen war, der sie hereingelassen hatte. Ohne ein einziges Wort zu sagen, ging sie auf ihn zu. Lief um die Couch herum, bis sie vor ihm zum Stehen kam. Dort wartete sie, bis er sie empfangen würde, doch sein Blick blieb auf den Zetteln in seinen Händen fixiert. „Sakaki-sama“, sprach sie ihn leise an, als er auch nach einer Minute noch nicht auf sie reagiert hatte, „Ihr solltet nicht so viel arbeiten.“ „Hm?“ Endlich nahm er sie wahr, hob seinen Blick und sah sie an. Als er ihre Gegenwart gänzlich realisierte, legte sich ein sanftmütiges Lächeln über seine markanten Gesichtszüge. „Bitte entschuldige. Ich musste noch ein paar wichtige Unterlagen durchsehen und habe wohl die Zeit ganz vergessen.“ „Ihr müsst Euch nicht bei mir entschuldigen.“ Immerhin war er ihr Boss. Es fühlte sich immer noch falsch an, wenn er Rechenschaft vor ihr ablegte, so süß sie es auch von ihm fand. „Geschäftliches?“ „Mhm, ein neuer Sponsor. Es müssen noch einige finanzielle Einigungen getroffen werden“, erklärte er ruhig und warf noch einen letzten Blick auf den Berg von Zetteln in seinen Händen, ehe er diesen entschieden vor sich auf den Tisch legte. „Aber das kann bis morgen warten. Für jetzt gibt es wichtigere Dinge.“ Athena trat auf ihn zu, als er sie zu sich winkte, und fragte gar nicht weiter nach, ehe sie auch schon ihre Beine über seinen Schoß schwang und sich auf ihn setzte. Sogleich spürte sie seine schweren Hände an ihrer Taille und sie legte die ihren um seinen Nacken. Er richtete sich unter ihr auf, beugte sich zu ihr hoch und sie kam ihm zu gern entgegen, um seine Lippen mit den ihren in Empfang zu nehmen. Es war betörend, nach all der Zeit noch immer, die sie schon seine Geliebte war. Als sie sich lösten, sah sie ihrem Geliebten tief in die Augen. Sie waren so dunkel, so tief und unergründlich, aber in ihnen lag etwas Warmes. Sie hatte diese Augen schon immer vergöttert. „Sakaki-sama“, flüsterte sie ihm leise entgegen, während sie mit geschickten Handgriffen seine gelockerte Krawatte löste und sein Hemd um ein paar Knöpfe weitete. Ihr Blick haftete auf seinen Augen, um ihn in ihrem Bann zu halten. „Ich muss Euch etwas sagen.“ „Hast du schon gegessen?“ „Hm?“ Der unerwartete Themenwechsel brachte sie kurz aus dem Konzept. Dann schüttelte sie nur leicht mit dem Kopf. „Nein.“ „Was hältst du dann davon, wenn wir nachher zusammen etwas essen? Ich lass dir bringen, was immer du willst.“ Sie nickte. Seine Hände streiften ihre Haut, als er ihr den Stoff ihres Kittels zur Seite strich. Der stummen Aufforderung nachkommend, langte sie an die Knöpfe ihrer Uniform und löste sie einen nach dem anderen, bis sie ihren Körper für ihn freigelegt hatte. Widerstandslos ließ sie ihn den Stoff über ihre Schultern abstreifen, bis er mit einem leisen Rascheln an ihr zu Boden geglitten war. „Sakaki-sama“, versuchte sie einen weiteren Anlauf. Sie musste es ihm sagen. Wann, wenn nicht jetzt? Wann würde sie sonst die nächste Gelegenheit dazu haben? Doch ihr Vorhaben erstickte noch im Keim, als sich seine Lippen heiß auf ihre Haut legten und den Bereich über ihrem Dekolleté verwöhnten. Seine Hände fuhren über ihren Rücken, spielten kurz mit ihrem langen, roten Haar, ehe sie Interesse an dem Verschluss ihres schwarzen BHs fanden. Die Worte, die sie sich wochenlang nur für diesen Moment mühsam zurechtgelegt hatte, verschwanden eines nach dem anderen im Nirgends. Bis sie vergessen hatte, was sie ihm gerade noch so dringend sagen wollte. Da war noch etwas – irgendwo, ganz dumpf –, aber es erschien ihr plötzlich nicht mehr so wichtig. Sie hatte ihn vermisst, so lange, und diese aufgestaute Sehnsucht überwog nun alles andere. Ihre Hände arbeiteten wie von selbst. Als könnten sie es nicht länger erwarten, den vermissten Körper endlich wieder zu berühren, waren die letzten Knöpfe seines weißen Hemdes schnell gelöst. Schon war der leichte Stoff verschwunden und legte einen durchtrainierten Oberkörper mit anbetungswürdigen Schultern und Oberarmen frei. Seine nackte Haut strahlte Hitze aus und einen Duft, unverkennbar nur ihm zuzuordnen, der sie sofort betörte. Ohne weiter zu zögern machte sie sich an seinem Hosenbund zu schaffen, zog vielleicht etwas zu impulsiv daran, als sie auch dort Knopf und Reißverschluss überwunden hatte, doch Sakaki sollte die Leidenschaft der Rocket Queen nicht stören. Ihr BH ging zu Boden. Indem er sie dicht an sich drückte – Körper an Körper, Haut an Haut, seine Hände besitzergreifend an ihrem Rücken und Hüfte – verlor sie sich in seinem Kuss, der ihr alle Versprechungen dieser und der nächsten Welt machten. Er gehörte ihr, versprachen seine Lippen, nur ihr allein. Diese Nacht.     „Brauchst du sonst noch irgendetwas?“ „Nein, danke.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln, als sie ihm den Teller abnahm und vor sich abstellte. Gebratener Reis mit Gemüse, ganz schlicht. Wein hatte sie abgelehnt und war ganz zufrieden mit ihrem Traubensaft, den man zumindest von der Farbe her für Rotwein hätte halten können. Es ergab ein so harmonisches Bild mit seinem Glas Petit Verdot, welches er sich zu seiner kulinarischen Paella gönnte. Sie liebte diese Momente. Wenn sie einfach nur beisammensaßen, aßen oder über Unverfängliches redeten und ihr Zusammensein genossen. Solche Momente waren kostbar, selten, und immer wieder wünschte sie sich, sie könnte mehr davon haben. Wie naiv, wie sie selbst nur zu gut wusste, denn schließlich konnte Sakaki nicht nur für sie sein. Er würde nie nur ihr gehören, und irgendwo war das auch okay, denn auch ihr war das Team Rocket mit den Jahren sehr ans Herz gewachsen. Es war ihre Zuflucht, ihre Aufgabe, ihr Zuhause. Ein Leben ohne ihre Arbeit hier, die zu einem großen Ganzen nicht gering beitrug – nein, das konnte sie sich wahrlich nicht mehr vorstellen. Es war zu belächeln. Und dennoch… Die gegebenen, jüngsten Umstände riefen immer häufiger diese egoistischen Wünsche in ihr hervor. Dass sie bei ihm sein wollte, immerzu, und er ihr gehören sollte. Nur ihr allein. Dass er nur Augen für sie hätte und sie genauso sehr um sich haben wollte wie sie ihn. Das würde niemals geschehen. Damit verlangte sie zu viel. Mehr als das hier konnte er ihr nicht geben, das wusste sie, und damit gab er ihr schon sehr viel mehr als sonst irgendwem in der Organisation. Sie konnte dankbar sein. „Was bedrückt dich?“, holte sie Sakakis Stimme aus ihren Gedanken und erst da realisierte sie, dass sie lustlos in ihrem Reis herumstocherte. Ihren Kopf hatte sie schwerfällig auf ihre Hand gestützt und starr vor sich auf ihren Teller gestarrt. Sie hatte doch hoffentlich nicht geseufzt, oder doch? „Es ist…“ Nichts? Sie schüttelte entschieden den Kopf und schob sich nachdrücklich einen Bissen Reis in den Mund. Während sie kaute, überlegte sie, wie sie ihm antworten sollte. Ein prüfender Blick in seine Richtung versicherte ihr, dass er auf ihre Antwort wartete. Sakaki hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt, die Beine lässig überschlagen und in seiner Hand schwenkte er nachdenklich sein Glas Rotwein. Die Tatsache, dass er nicht mehr als eine lockere Hose trug, die nicht einmal richtig geschlossen war, verriet über ihr Tun vor nicht einmal einer ganzen Stunde. Sofern es nicht genügen würde, dass sie selbst nur ihren Kittel übergeworfen hatte, die Knöpfe nur soweit geschlossen, dass von ihrer Nacktheit darunter nur das Nötigste zu erkennen war. Sie seufzte schwer, dieses Mal bewusst, und ein Stechen zog sich durch ihre Brust. Sie hatte so lange mit sich gehadert, sich verschiedene Wörter und Satzkonstellationen zurechtgelegt, um ihm zu sagen, was zu sagen sie nicht umgehen konnte. Nicht auf die Dauer. Früher oder später würde er es sowieso an ihr bemerken. Bevor es auf diese Weise ans Licht kam, nahm sie es lieber selbst in die Hand und stellte sich diesem schweren Moment. Sie musste es ihm sagen, ohne Frage. Doch je mehr sie darüber nachdachte – gerade in Momenten wie diesen, welche sie bisher nur in ihren Erinnerungen zu berücksichtigen in der Lage gewesen war –, umso stärker wurde die Angst. Die Angst vor seiner Reaktion. Und dem, was er ihr daraufhin zu sagen hätte. Athena legte ihre Stäbchen auf die Serviette neben ihrem Teller, schluckte den letzten Bissen hinunter und atmete einmal tief durch. Sie musste. Er wartete. Und wann, wenn nicht jetzt? Sie wusste, es würde diesen wunderbaren Moment zerstören, den sie so schnell nicht wieder mit ihm haben würde. Selbst wenn sie es ihm nicht sagte. Sie wusste nie vorher, wann sie ihn das nächste Mal im Hauptquartier zu Gesicht bekommen würde. Und wann davon er sie zu sich lassen würde. „Ich… ich muss Euch etwas sagen“, begann sie zögerlich und allein diese Eröffnungsworte fielen ihr schon schwer. Sie wagte nicht, ihn anzusehen. Doch sie musste. Sie entschied anders. Ohne etwas Weiteres zu sagen, erhob sie sich von ihrem Stuhl und ging zu ihm herüber. Er rückte sofort ein Stück zurück, sodass sie sich seitwärts auf seinen Schoß setzen konnte. Sie nahm seine Hand in die ihren, ihre Augen suchten die seinen. „Ich bin…“, begann sie leise und spürte, wie ihre Hände zitterten. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und führte seine Hand zu ihrem nackten Bauch. „Ich bin schwanger“, wisperte sie dann die schweren Worte, drückte seine Hand nachdrücklich gegen ihren flachen Bauch und wagte nicht, seine Augen freizugeben. Seine Reaktion war genau so, wie sie es sich mit immer mehr Überzeugung ausgemalt hatte: Nichts. Keine Worte, keine große Regung. Nur diese Irritation, dieser überraschte Unglauben in seinen Augen. Ihr Herz fühlte sich wie Blei in ihrer Brust an. „Es gibt nur einen…“ Ja, einen was? Vater, natürlich, aber sie wagte nicht, dieses Wort auszusprechen. Seine Augen befreiten sich aus ihrem Bann und senkten sich auf seine Hand an ihrem Bauch. Er sagte nichts, starrte nur auf diese Stelle, wo unter ihrer blassen Haut ihren Worten nach ein neues Leben heranwuchs. Zu sehen war davon noch nichts, aber konnte er es bereits spüren? Jetzt, da er es wusste. Sein Schweigen dauerte an. Er war wie eine Statue, würde sich sein Brustkorb nicht in seinen regelmäßigen Atmungen stetig heben und senken und eine beherrschte Ruhe vortäuschen. Doch Athena wusste, dass dem nicht so war. Sie hatte gelernt, ihn ansatzweise zu durchschauen. Zumindest jetzt spürte sie, dass mehr in ihm vorging als er nach außen zeigte. Tick. Tick. Tick. Von irgendwoher vernahm sie das genüssliche Gähnen des Snobilikat, welches sich in irgendeinen Winkel zurückgezogen hatte. Sonst war es still im Raum. „Wie lange?“, fragte er dann mit trockener Stimme. Er sah sie nicht an. Sie schluckte schwer. Unbehagen betrübte sie. „Seit drei Wochen… weiß ich es. Ganz sicher.“ „Das erklärt, wieso du den Wein abgelehnt hast. Kein Alkohol.“ Sie nickte, obgleich er es nicht sah. Eigentlich war es klar gewesen, dass das passieren würde. Dass es passieren könnte. Sie hatten seit geraumer Zeit auf Verhütung verzichtet. Sie hatten auf Kondome verzichtet, da sie einander vertraut hatten und es, zumindest für Athena gesprochen, keinen anderen Partner neben ihnen gegeben hatte. Bei Sakaki wusste sie es nicht, sie hatte ihn nie direkt danach gefragt, um ihm nicht zu nahe zu treten und ihm damit das Gefühl zu geben, sie wolle ihn für sich beanspruchen und somit einengen. Nie hatte sie gewollt, dass er Anlass bekäme, das Interesse an ihr zu verlieren. Aber es hätte ihnen klar sein müssen, dass dies passieren könnte, und sie hatte damals geglaubt, es wäre okay. Es wäre kein Problem für sie und auch für ihn, immerhin hatten sie sich nicht nur einmal zuvor einander versichert, dass es so okay sei. Ohne Empfängnisverhütung. Letztendlich war sie ja auch noch jung. Eine junge Frau von nicht einmal fünfundzwanzig Jahren. Und er stand auch gerade einmal vor der Dreißig. Was hatten sie erwartet? Und doch… „Es tut mir leid.“ …wusste sie nicht, wieso sie sich dafür bei ihm entschuldigte. Wieso es sie bedrückte, statt dass sie sich darüber freute, wie man es wohl als angehende Mutter tun sollte, die ein Kind aus Liebe erwartete. Ein Kind, welches sie haben wollte. Ein Kind, worauf sie stolz war, es ihrem Liebsten schenken zu können. „Drei Wochen“, wiederholte er ihre Worte wie abwesend. Dann löste er seine Hand von ihr und schob sie sanft, aber bestimmt von sich. „Lass mich darüber nachdenken. Bitte.“ Es war eine Pein, doch sie gab ihm nach und wich von seinem Schoß. Sie hielt ihn auch nicht auf, als er sich anschließend von seinem Platz erhob und sich abwandte. Sie konnte ihn ja verstehen. Diese Neuigkeit kam sehr plötzlich für ihn. Sie selbst wusste auch noch nicht so recht, wie sie mit dieser Gewissheit umgehen sollte, obgleich sie mehr Zeit zum Darübernachdenken gehabt hatte als er nun. Aber für sie war es auch etwas anderes als für ihn, redete sie sich ein, immerhin trug er weit mehr Verantwortung und Pflichten als sie es trotz ihrer hohen Position im Team Rocket tat. – Anführer, Arenaleiter, und dann auch noch Vater? Sie wusste das, sie war sich dessen durchaus bewusst. Eben darum war es ihr so schwergefallen, es ihm zu sagen, aber welche Wahl hatte sie gehabt? Hätte sie geschwiegen und er hätte es selbst herausgefunden – was unumgänglich gewesen wäre in einigen Monaten, sofern ihre Beziehung noch so lange Bestand gehabt hätte –, sie hatte keinen Zweifel, dass er sein Vertrauen in sie verloren hätte. Es war besser so. Sie hatte das Richtige getan. Sie traf keine Schuld und er meinte es nicht böse. Das wusste sie alles. Und doch tat es weh. „Ruh dich aus“, hörte sie ihn sagen. Die Sänfte in seiner Stimme schmerzte sie wie ein Dolchstoß in die Rippen. „Wir reden morgen.“ Dann hatte er das Zimmer verlassen, verschwand aus ihrem Sichtfeld. Im Raum wurde es kühl. Athena blieb allein zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)