Der letzte Raubzug von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 11: 'Du' ---------------- Dicke, weiße Flocken fielen sanft vom Himmel, machten alles langsamer und ruhiger durch ihre kalte Decke, zu der sie sich zusammenschlossen. Der kleine Shinto-Schrein von Hideto verschwand beinahe gänzlich darunter. Einzig der Weg, den die beiden Bewohner immer wieder frei legten, durchbrach den einheitlichen Anblick. Genau jene saßen derzeit im Inneren bei einer wärmenden Tasse Tee und einer deftigen Suppe. Das Feuer der Kochstelle wurde fleißig mit Holz gefüttert, damit es hier drin schön warm blieb. „Ich werde gleich noch ein bisschen Holz hereinholen.“ „Das ist eine gute Idee, Camui-san.“ Der am Morgen angelegte Stapel hatte sich gut verringert im Laufe des Tages. „Camui-san?“ „Hai?“ „Ich habe gestern zwischen meinen Büchern eines mit alten Geschichten gefunden. Soll ich es Euch geben, damit Ihr das Lesen noch ein wenig üben könnt? Bei schwierigen Worten helfe ich Euch auch gerne so gut ich kann.“ Irgendwie mussten sie sich die Zeit schließlich vertreiben, nachdem sie vorhin gerade erst wieder den Weg frei geräumt und nun frühstückten. „Sehr gerne. Ich danke Euch vielmals.“ Der Größere bekam leuchtende Augen, was dem Geistlichen ein kleines Lächeln auf die Lippen zauberte. Wie jedes Mal, wenn er die kindliche Freude bei ihm sah. „Ich hoffe, dass ich die Zeichen überhaupt noch erkenne. Ich habe sie schon lange nicht mehr geübt.“ Unsicher griff er sich in den Nacken. „Es wird Euch auch immer schwerer fallen, wenn Ihr noch mehr Zeit verstreichen lasst“, sagte Hideto und lachte ein wenig, meinte es aber gar nicht böse. „Außerdem haben wir jetzt im Winter nicht viel zu tun. Da bleibt genügend Zeit für das Studium. Ich selbst werde das Buch über den menschlichen Körper eingehender studieren. Es sind viele Begriffe darin, die neu für mich sind, ich mir aber gerne merken würde.“ „Dann lasst uns zu Ende essen und während ich mich um weiteres Holz kümmere, könnt Ihr die Bücher holen gehen.“ „Einverstanden.“ Die beiden Männer leerten ihre Schüsseln dennoch ohne Hast. Es gab schließlich keine Notwendigkeit für Eile. Hideto erklärte sich bereit das wenige Geschirr alleine zu spülen, empfand es nicht als notwendig, dass sie beide sich damit beschäftigten. In der Zwischenzeit zog sich der Blauäugige seine warme Kleidung über, bevor er mit einem großen Korb in der Hand hinausging. Mittlerweile war er auch sehr froh darüber, dass sie diese Stiefel gekauft hatten. Bei dem hohen Schnee bewiesen sie sich jedes Mal aufs Neue als eine gute Investition. An dem großen Holzhaufen aus fein gestapelten Scheiten angekommen, stellte er den Korb auf eine Stelle, wo er bereits einiges an Brennmaterial weggenommen hatte und begann damit, diesen mit Holz zu füllen, auf dass ihnen noch bis in die frühen Morgenstunden und darüber hinaus warm war. Beladen mit dem schweren Gut machte er sich auf den Rückweg, stockte auf halbem Wege zur Tür, weil vor ihm ein Fuchs saß und den Pfad versperrte. „Nanu? Wo kommst du denn her? Und was machst du hier?“ Normalerweise hielten sich diese scheuen Tiere nicht in der Nähe von Menschen auf oder verschwanden, sobald sie einen witterten. Vielleicht war dieser hier aber auch sehr hungrig. „Tut mir Leid, Kleiner. Ich habe nichts bei mir.“ Doch das Tier wich nicht vom Fleck, starrte ihn einfach an. Starrte ihn sehr eindringlich an, wie Camui fand. Dann schüttelte es den Kopf. Jedoch nicht wie ein Tier, das den Schnee aus seinem Fell haben wollte, sondern in einer sehr menschlichen Art und Weise. Als hätte man ihn enttäuscht. Danach drehte er sich um und sprang eiligst von dannen. „Seltsames Tier“, murmelte der Japaner und sah selbigem stirnrunzelnd hinterher. Weil der Korb mit jeder Sekunde schwerer und ihm trotz der warmen Sachen kälter wurde, setzte er seinen Weg gleich darauf fort. Wieder im Inneren stellte er das mitgebrachte Holz neben die Eingangstür der Küche, nachdem er sich etwas entkleidet hatte. „Da war gerade ein Fuchs.“ Sorgsam schichtete er die Holzscheite bei dem Vorrat auf. „Ein Fuchs?“, fragte Hideto, der den Anderen bereits erwartet hatte, nach. „So nah am Schrein?“ „Hai. Und er ist nicht weggelaufen, nachdem er mich erblickt hatte.“ „Ungewöhnlich.“ „Finde ich auch.“ Fertig mit seiner Aufgabe, ließ Camui sich an dem wärmenden Feuer nieder. „Jetzt ist er jedenfalls weg. Vielleicht sorgt er ja gerade dafür, dass wir keine Mäuse oder andere Nager im Lagerraum vorfinden.“ Hideto lächelte. „Das wäre sehr nett von diesem Fuchs.“ Der Kleinere griff neben sich und nahm ein kleines, gebundenes Buch an sich, welches er an Camui weiter reichte. „Hier ist das Buch mit den Märchen, von dem ich vorhin gesprochen habe.“ Ehrfürchtig nahm der größere Japaner das Dargereichte entgegen. „Arigatou Gozaimasu.“ Sacht strich er über den Einband. „Wäret Ihr mir böse, wenn ich gleich mit dem Lesen anfangen würde?“ „Nein, macht nur. Deswegen gab ich es Euch ja.“ Kurz lächelte Hideto, wurde dann aber sehr ernst. „Aber...“ „Ja?“ Neugierig sah Camui seinen Retter an. Was das wohl für ein Einwand war? Ein wenig Angst verspürte er, bedeutete so ein Anfang meist nichts Gutes für ein weiteres Gespräch. „Wir kennen uns nun doch schon eine Weile, nicht wahr, Camui-san?“ „Ja, das tun wir.“ Ein paar Wochen waren es bestimmt schon. Hideto holte tief Luft, wurde mit einem Mal doch nervös. „Ich... Ich würde Euch deswegen gerne das 'du' anbieten.“ Camui war sprachlos. Mit so einem Angebot hatte er nicht gerechnet. Auch noch nie bekommen. Verlegen kratzte er sich an der Wange, überlegte. „Ich nehme dieses Angebot sehr gerne an. Jedoch“, fügte er hinzu und verbeugte sich vor dem Kleineren, „habe auch ich eine kleine Bedingung. Ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn auch Ihr mich 'duzen' würdet.“ Nach einem kleinen Schock fing Hideto an sanft zu lächeln, wurde sogar etwas verlegen. Er legte eine Hand auf Camuis und sagte: „Dann ist das also beschlossene Sache.“ Als nächstes langte er nach dem vorbereiteten Teekessel. „Möchtest du noch eine Tasse?“, probierte er auch gleich die neue Anrede aus. Camui richtete sich glücklich wieder auf, griff nach seinem Becher und hielt ihn dem Anderen entgegen. „Sehr gerne. Vielen Dank.“ Von angenehmem Schweigen und dem Knistern des Feuers umhüllt waren beide Männer in ihr eigenes Buch vertieft. Wobei beide ihre Schwierigkeiten mit ihren Texten hatten. Camui musste ein Lachen unterdrücken, als er den kleineren Mann beobachtete, wie dieser sich mit den Fingern seiner rechten Hand beschäftigte. Ein recht amüsanter Anblick. „Was tut I- was tust du da?“, korrigierte er sich. „Nani? Anoo... Ich versuche mir die Bezeichnungen für die einzelnen Handknochen einzuprägen, aber es ist nicht leicht, bei all diesen merkwürdigen Begriffen.“ „Vielleicht könntest du sie dir besser merken, wenn du sie mir zeigst und erklärst“, schlug Camui vor. „Meinst du?“ „Ja, meine ich. Außerdem verstehe ich einige der Geschichten nicht. Vielleicht lese ich einige der Zeichen falsch.“ „Sollen wir uns dann nicht lieber darum kümmern?“ „Warum? Wir haben doch genug Zeit für beides.“ „Also gut“, seufzte Hideto und gab sich geschlagen. Viel lieber hätte er sich jetzt um die unverständlichen Kanjis gekümmert, aber er wollte das hier auch gerne verstehen. Mitsamt dem Buch rückte er näher an Camui heran. „Gib mir deine Hand“, bat er, woraufhin ihm sein Gast auch gleich seine Linke hin hielt. „Hm, ich habe hier nur eine Zeichnung von der rechten Hand.“ Nachdenklich blätterte er ein paar Seiten vor und zurück. „Aber ich glaube, dass die Bezeichnungen für beide Seiten gelten.“ „Das kann ich Eu- dir nicht sagen. Du hast mehr Ahnung davon.“ „Aber nicht in diesem Bereich der Medizin.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln rückte er noch ein wenig näher an den Größeren heran, schob das Buch so zurecht, dass er gut daraus lesen konnte und nahm Camuis Hand in seine, nicht wissend, was er dadurch in jenem auslöste. Ein Kribbeln entstand auf dessen Haut und ihm wurde ganz warm, als ob das Feuer noch einmal stärker geworden war. In seiner Brust fühlte er sein Herz ein wenig schneller pochen, als wäre er gerannt. Wie merkwürdig. Doch er entschied sich dafür, nichts davon seinem Retter zu erzählen. Denn irgendwie empfand er es als angenehm und fürs Erste wollte er nicht, dass etwas dagegen unternommen wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)