Der letzte Raubzug von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 10: Manchmal braucht man einen Schubs --------------------------------------------- Ein völlig unsinniger Gedanke hatte sich in seinem Kopf festgesetzt: Dass er einmal ein Gott gewesen sein könnte. Wie sollte er den nur wieder los werden? Wie kam sein Kopf überhaupt zu solch einer Schlussfolgerung? Das war doch ein wenig zu weit hergeholt. Zumindest hatte er die Stimmen nicht mehr gehört, was ihn ungemein erleichterte. An seinem Verstand zweifelte er dennoch. Heute half er Hideto bei der Ernte des Apfel- und des Birnenbaums, in deren großen Kronen unzählig viele Früchte hingen. Vieles davon würden sie heute erst Mal lagern und in den nächsten Tagen auch verarbeiten. Ein weiterer Teil wurde verkauft oder getauscht. Dasselbe würden sie auch mit ihrer restlichen Ernte aus dem Garten machen. Auf jeden Fall würde es ein Winter mit viel eingelegtem und vielleicht auch eintönigem Essen werden. Für Camui war es allerdings der Erste, in dem er wusste, dass er nicht verhungern oder erfrieren würde. „Gut, dass wir bereits warme Kleidung haben für Euch. Bis auf ein warmes Schuhwerk. Hoffentlich werden wir da noch fündig. Erfrorene Füße sind kein schöner Anblick und sehr unpraktisch.“ „Ja, das sind sie.“ In seinem doch recht jungen Leben hatte er viele 'Kollegen' erlebt, die Zehen und Finger oder eben ganze Hände und Füße verloren haben, weil ihnen die passende Kleidung oder zumindest ein warmer Platz fehlte. „Aber Winterschuhe sind nicht gerade günstig und wir brauchen alles, was wir zur Zeit haben, um noch Dinge für den Winter zu besorgen. Das sollten wir nicht für mich verschwenden.“ „Camui-san, ich bitte Euch. Es ist etwas, das notwendig ist. Macht Euch deshalb keine Gedanken. Es wird Winter werden und den werdet ihr auf diese Weise unbeschadet überstehen.“ „Und wenn es ein besonders harter, langer Winter ist?“ Es wäre zumindest nichts ungewöhnliches. „Selbst wenn. Wir werden den Frühling erleben. Ohne, dass uns etwas passiert. Dessen bin ich mir sicher. Immerhin sind die Götter auf unserer Seite.“ „Woher wollt Ihr das wissen?“, fragte der Blauäugige und verstaute eine Birne in dem bereits halb vollen Korb auf seinem Rücken. „Weil ich“, antwortete der andere Mann mit einem, ihm so eigenen, Lächeln, „einen festen Glauben habe. Abgesehen davon, war ich Zeuge eines Leibhaftigen Wunders.“ Lachend kletterte Hideto zwei Sprossen weiter raus auf seiner Leiter. „Außerdem habe ich einfach das Gefühl beschützt zu werden.“ „Dann fehlt mir wohl, trotz allem, noch ein fester Glaube, denn ich kann nicht so empfinden.“ „Wie schade. Aber ihr werdet bestimmt noch so fühlen können.“ Camui nahm diese Aussage fürs Erste einfach so hin. Schließlich vertraute er seinem Retter und dessen Vertrauen in die Götter. Lange Zeit schwiegen sie während ihrer Tätigkeit, bis der Größere unbewusst anfing zu summen. Eine unbestimmte Melodie, die ihm gerade so in den Sinn kam. Bis er nach kürzester Zeit sogar wieder sang. Es machte ihn glücklich und das Arbeiten auch um einiges leichter. Hideto unterbrach seine Tätigkeit und erlaubte sich für einige Zeit einfach nur zuzuhören. Sein Mitbewohner besaß wirklich eine angenehme Stimme. „Habt Ihr vielleicht einmal darüber nachgedacht Euch einer Gruppe von Musikern anzuschließen? Oder ans Theater zu gehen?“, fragte er deshalb. „Nani?“ „Wenn Ihr zu Eurer Singstimme auch noch ein wenig schauspielern könnt, dann wäret Ihr vielleicht ganz gut beim Kabuki aufgehoben.“ „Kabuki, hm?“Eine ungewöhnliche Überlegung. Seit langem wollte er so eine Aufführung Mal sehen. Bei einer mit zu wirken, darüber hatte er noch nie nachgedacht. „Stellt Euch doch einfach mal dort vor. Singt etwas und es wird kaum einen Grund geben Euch nicht aufzunehmen.“ Zwar kannte er als Diener der Götter nicht die Kriterien, die man für das Theater erfüllen musste, einen Versuch wäre es, seiner Meinung nach, jedoch alle Mal wert. So überzeugt wie sein Retter war Camui von dieser Idee nicht. Aber er würde darüber nachdenken. Nach einer Weile stieg er von der Leiter, um seinen schweren Korb abzusetzen. Das Gewicht ließ seine Schultern schmerzen. Sorgfältig betrachtete er die Krone des Baumes, um abschätzen zu können, wie viel noch zu ernten war. Schlussendlich kam er bei 'reichlich' an. Eine kurze Verschnaufpause später hievte er den Korb wieder auf seinen Rücken. Er trug ihn hinein in ihre Vorratskammer, wo er die Birnen vorsichtig auf ein großes Stück Stoff auf dem Boden verteilte, damit die Früchte nicht allzu viele matschige Stellen bekamen. Mit dem geleerte Behälter ging es zurück zu den Obstbäumen, um die nächste Ladung zu ernten. Auf halbem Wege kam ihm Hideto entgegen. „Soll ich Euch beim Ausleeren helfen?“, bot er an. „Nein, danke.“ Der Kleiner lächelte ihn an. „Ich schaffe das auch alleine. Außerdem ist mein Korb ja gar nicht so voll.“ „Gut, wie ihr meint.“ Hideto sah seinem Gast nach. Immer wieder staunte er über die Hilfsbereitschaft und die Selbstlosigkeit dieses Mannes, der bisher ein ganz anderes Leben geführt hatte. Eines, wo einem diese Eigenschaften nicht weiterhalfen, sondern eher hinderlich gewesen sein mussten. Dennoch war er froh eine helfende Hand bei der Ernte zu haben. So ging es doch viel schneller. Er wollte ihm nur nicht zumuten sein Leben hier zu verbringen, weil er sich ihm gegenüber schuldig fühlte. Diesem Mann standen seit seinem Wandel einige Türen offen. Er sah sie nur nicht. Deswegen zeigte er ihm gerne ein paar andere Möglichkeiten auf. Seine gepflückten Äpfel verteilte er ebenfalls auf dem Fußboden, wobei er seinen Gedanken erlaubte ein wenig abzuschweifen. Bis jetzt hatte er sich nichts anmerken lassen, doch er dachte immer wieder über die Stimmen nach, die der Andere gehört hatte. Nachdem sie keine Spuren gefunden hatten, hatte er selbst immer weniger an einen Streich geglaubt. Zumal er vorher ja auch nichts gehört hatte. Nur das Schreien von Camui. Er wollte es sich nur nicht anmerken lassen, weil sein Gast ein wenig labil gewirkt hatte in der Zeit danach. Aber trotz reichlicher Überlegungen kam er bedauerlicherweise immer wieder zu dem Schluss, dass es der Verstand des Größeren gewesen sein musste, der diesen Streich gespielt hatte. Eine Erkenntnis, die er als sehr Schade empfand. Es wäre ein Verlust. Der Verlust eines gutherzigen Menschen. In den nächsten Tagen ernteten sie die Früchte der anderen Bäume und das erste Gemüse aus dem Garten, welche sie zum Teil auf dem Markt gegen Reis, Krüge zum Einmachen und auch noch ein paar warme Schuhe für Camui eintauschten. Obwohl dieser immer wieder versucht hatte es zu verhindern. „Anstatt Euch Gedanken über eine unwichtige Sache, wie den Kauf von ein Paar Schuhen zu machen, solltet Ihr sie lieber auf den Vorschlag mit dem Theater lenken. Ich glaube, Euch gut genug zu kennen und kann deshalb mutmaßen, dass Ihr das noch nicht getan habt.“ Ertappt schwieg Camui, während er den Karren zog, auf dem ihre Einkäufe untergebracht waren. „Warum wollt Ihr denn nicht? Immerhin habe ich Euch bereits singen hören. Ihr singt sehr gut. Lasst es doch auf einen Versuch ankommen.“ Noch immer kein Wort von dem Größeren. „Wovor habt Ihr Angst?“ „Nun...“ „Ja?“ „Ich habe Angst.“ „So weit waren wir schon. Doch wovor?“ „Davor, dass ich abgelehnt werde.“ „Doch Ihr habt es dann versucht. Und sollte es mit dem Gesang nicht klappen, dann gibt es bestimmt auch noch eine andere Arbeit, die Ihr verrichten könnt. Ihr seid ein geschickter Mann und Ihr lernt sehr schnell.“ Ganz eindeutig stellte der Größere sein Licht unter den Scheffel. „Ich bin aber gerne bei Euch und bin Euch auch bei der anfallenden Arbeit gerne behilflich. Außerdem habe ich noch lange nicht alles gelernt, was Ihr mich lehren könnt.“ „Das kann ich Euch immer noch lehren. Wenngleich es auch nicht mehr viel ist.“ „Wollt Ihr mich so dringend los werden?“, fragte Camui und blieb stehen. „Nani?“ Geschockt drehte er sich zu dem Anderen um. „Aber nicht doch“, beschwichtigte er schnell. „Ich bin Euch dankbar für Eure Hilfe und ich empfinde Eure Gesellschaft als sehr angenehm. Jedoch solltet Ihr lernen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Wer weiß, ob es nicht irgendwann notwendig ist, Euch ein eigenes Leben zu ermöglichen. Wollt Ihr Euch erst dann nach eine Arbeit umsehen? Und so unter uns: Wenn Ihr Euer eigenes Geld verdient, dann braucht Ihr auch kein schlechtes Gewissen mehr wegen ein paar Schuhen haben.“ In dem Punkt musste Camui seinem Gegenüber bedauerlicherweise zustimmen. Jedoch fühlte er sich noch nicht selbstsicher genug, um alleine zu leben. Gleichzeitig ängstigte ihn auch der Gedanke, dass er in sein altes Leben verfallen könnte, wenn die Dinge nicht so liefen, wie erhofft. „Kopf hoch, Camui-san. Ich hab schließlich nicht gesagt, dass Ihr bei einer Arbeit auch gleich eine neue Bleibe suchen müsst. Und selbst wenn Ihr Euch eine gesucht habt, so seid euch gewiss, dass Ihr jederzeit ein willkommener Gast bei mir seid.“ Das war aufmunternd, aber es gab viele Dinge, die die Selbstständigkeit mit sich brachte und ihm Sorgen bereitete. Andererseits... „Ich denke, Ihr habt erneut recht. Ich sollte mir nicht allzu viele Gedanken über Dinge machen, die noch weit entfernt liegen, sondern überhaupt erst einmal den ersten Schritt tun.“ Camui lächelte erleichtert. Es stand ja noch gar nichts fest. Noch musste er keine Entscheidungen treffen, für die noch nichts in die Wege geleitet war. „Na also. So ist es schon besser. Und jetzt sollten wir unseren Weg fortsetzen. Ich möchte den Schrein nicht länger ohne Aufsicht lassen.“ Der Blauäugige nickte zustimmend und setzte sich und den Karren wieder in Bewegung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)