Der letzte Raubzug von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 8: Sie lassen nicht locker ---------------------------------- Eine Tasse Tee später war Camui weitaus ruhiger geworden. Mit seinen Gedanken jedoch war er immer noch bei diesem seltsamen Ereignis. Beinahe wünschte er sich, dass es nur ein reichlich gemeiner Scherz gewesen war. Allerdings wüsste er niemanden, der ihm solch einen Streich spielen würde, geschweige denn einen Grund, weshalb man dies tun sollte. Sicherlich gab er den ein oder anderen Menschen aus seiner Vergangenheit, der ihm bestimmt noch böse war, doch diese Menschen würden sich eine ganz andere Form der Rache überlegen. Eine Hand auf seinem Unterarm ließ ihn aufschrecken und in das lächelnde Gesicht seines Retters blicken. „Hört auf Euch weiterhin so den Kopf zu zerbrechen. Dadurch werdet Ihr auch keine Lösung finden, fürchte ich. Wenn Ihr möchtet können wir gleich wieder hinausgehen und schauen, ob wir irgendwelche Spuren finden, die uns sagen können, was geschehen ist. Einverstanden?“ Der Größere nickte sacht. Vermutlich hatte der Andere Recht. Ohne Hinweise würde er sich nur im Kreis drehen. Gab es überhaupt welche? Immerhin hatte sein Retter doch gesagt, dass er nichts gehört habe? „Einverstanden“, murmelte er schließlich noch. Hoffentlich fanden sie wirklich etwas, denn es würde bedeuten, dass er nicht verrückt wurde oder bereits war. Hideto leerte seine Tasse, nahm seinem Gast seine ab und spülte beide kurz aus. „Lasst uns gehen, Camui-san“, forderte er ihn anschließend auf, woraufhin sich der Größere schwermütig erhob. Stumm und niedergeschlagen folgte der Blauäugige ihm nach draußen und in den Garten, von wo aus sie ihre Suche starteten. Doch entgegen all ihrer Hoffnungen fanden sich rundherum keine Fußspuren, die nicht von ihnen waren. Keine kaputten Äste in den Büschen, die darauf hinwiesen, dass sich jemand in ihnen versteckt hatte. „Ich bin also doch verrückt.“ Seufzend setzte sich Camui auf die Terrasse und legte seinen Kopf auf seinen Händen ab. „Nicht doch“, versuchte Hideto zu beruhigen und ließ sich neben ihm nieder. „Das seid Ihr nicht. Niemand, der den Verstand verloren hat, sagt, dass das so ist. Natürlich ist es ungewöhnlich, dass wir nichts gefunden haben, wenn es doch so viele gewesen sein müssen. Es muss aber nichts heißen.“ Einige Momente ließ er seine Worte wirken. „Wollt Ihr mich auf meinem abendlichen Rundgang begleiten?“ Es war noch ein wenig zu früh dafür, jedoch sahen die Wolken so aus, als würde es jeden Augenblick anfangen zu regnen. So dunkel waren sie. „Hai, sehr gerne.“ Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, um wie den Opferstock und den kleinen Brunnen zur rituellen Reinigung vor dem Beten zu leeren. Anschließend zündeten sie im Schreininneren noch ein paar Räucherstäbchen und um die Gebäude herum Lampen an, damit die Besucher auch zu später Stunde noch ihren Weg fanden. Während sie ihren Aufgaben nachgingen sah sich Camui immer um, in der Angst, dass die Stimmen wieder auftauchten. „Beruhigt Euch doch bitte. Es wird bestimmt nicht noch einmal passieren.“ „Und wenn doch?“ „Dann werde wir den oder die Schuldigen finden und zur Rede stellen.“ „Wenn wir sie denn erwischen.“ Seufzend stemmte der Geistliche die Hände in die Hüften „Ihr seid heute wirklich missmutig.“ „Wäret Ihr denn besserer Laune? Wenn es Euch widerfahren wäre?“ Mit den blauen Augen sah er traurig zu dem Anderen. Jeder wäre doch bedrückt, wenn die eigenen Sinne anfingen einen im Stich zu lassen. „Was wird eigentlich aus mir, wenn es wirklich bergab mit mir geht?“ Man hörte einfach so selten etwas über Menschen, die derart verwirrt waren. Sie waren nie zu sehen, obwohl man wusste, dass auch sie existierten. „Nun... wenn ich ehrlich bin... dann kann ich Euch nichts dazu sagen.“ „Soudeshita...“ Somit war die Zukunft des ehemaligen Diebes noch unklarer. Nachdenklich schritt er auf den Schrein und den Opferstock zu, wo er verharrte, das kleine Glöckchen erklingen ließ und die Hände zum Gebet zusammenlegte. Vielleicht mochten die Götter ihm ein weiteres Mal helfen. Und dieses Unglück von ihm abwenden. Camuis Schlaf war unruhig. Ständig drehte er sich von einer Seite auf die andere. In seinem Traum wurde er von den Stimmen verfolgt. Dieses Mal riefen sie mehr als nur seinen Namen. „Komm zu uns, Camui.“ „Wach auf, Camui.“ „Komm heim.“ „Komm zu uns.“ „Erwache endlich.“ „Camui.“ „Camui.“ „Geht weg von mir!“, wehrte er die Stimmen ab, wollte sie zum Schweigen bringen. „Aber Camui. Hast du uns etwa vergessen?“ „Wie traurig.“ „Komm nach Hause.“ Aber wo war dieses zu Hause? Er hatte doch schon lange keines mehr. Wo sollte er also hingehen?„Wer seid ihr?“, schrie er in die Leere, die ihn umgab. Für einen Moment herrschte Stille. „Er hat uns vergessen!“ „Er war zu lange unter ihnen.“ „Wir hätten ihn früher aufsuchen sollen.“ „Bestimmt sind seine Erinnerungen noch da, nur hat er keinen Zugang zu ihnen.“ Zustimmendes Gemurmel, weshalb sich der Schwarzhaarige wieder mehrfach um sich selbst drehte. Wovon redeten diese Stimmen? Was wussten sie über ihn? Und warum sagten sie es ihm nicht? „Armer Kerl. Seht nur, wie verwirrt er ist.“ „Er hat wirklich keine Ahnung, wer wir sind.“ „Aber er muss zurück. Ich vermisse seinen Gesang.“ „Das Geplärre kann er von mir aus sein lassen. Aber er war jetzt wirklich lange genug in der Welt der Menschen.“ Diese Stimme war tief und Respekt einflößend, was Camui ein wenig in sich zusammensacken ließ. „Wenn er nicht bald wieder in unsere Welt kommt, verlieren die Menschen den Glauben an ihn. Dann stirbt er.“ Sterben? Den Zusammenhang verstand er nicht. „Wovon redet ihr? Erklärt es mir. Beantwortet mir doch bitte meine Fragen.“ „Wenn du Antworten willst, dann erlange deine Erinnerungen zurück.“ „Außerdem“, eine Frauenstimme, ganz nah an seinem Ohr und am Kichern, „solltest du aus unseren Gesprächen bereits herausfinden können, wer du bist und was du bist.“ „Genau.“ Eine andere Frauenstimme, ebenfalls am Kichern. „Denk einfach noch ein bisschen nach.“ Und mit einem Mal war es still. Totenstill, wie man so gerne sagte. Camui konnte fühlen, dass er allein war. Hinzu kam das Gefühl der Angst, die immer größere wurde, bis er glaubte, von ihr verschluckt zu werden. Schweißgebadet wachte er auf, saß schwer atmend auf dem Futon. Der Blauäugige strich über sein Gesicht und die feuchten Strähnen von der Stirn. Mit seinem Verstand ging es rapide ab. Erst hörte er nur Stimmen und nun träumte er sogar von ihnen. Dazu unterhielten sie sich mit ihm. Nur, dass ihre Worte in seinen Augen und Ohren keinen Sinn ergaben. Wackeligen Fußes stand er auf und taumelte zur Tür, die er einfach aufriss und auch nicht wieder verschloss, nachdem er den Raum verlassen hatte. Der Schwarzhaarige hielt sich den Kopf, der ihm von dem wirren Zeug schon schmerzte, und machte sich auf Richtung Brunnen. Klares, kaltes Wasser sollte ihm helfen. Das Ächzen des Seils und der Winde war unheimlich laut in der nächtlichen Stille. Erst jetzt fiel ihm auch wieder ein, dass ja immer einen Krug mit frischem Wasser in ihrem Wohnraum stand. Eben für den Fall, dass man in der Nacht Durst bekam. Aber er hatte auch einfach aus dem Raum gemusst, dessen Wände mit jedem Augenblick näher gekommen waren. Endlich war der Eimer wieder oben und sogleich tauchte er beide Hände hinein, um mit dem geschöpften Wasser sein Gesicht zu benetzen. Es war eisig kalt. Genau richtig für seine Zwecke. Ein paar Mal wiederholte er dies, ehe er sich wirklich erfrischt fühlte. Mit dem Saum seines Obergewandes trocknete er grob sein Gesicht und seine Hände. Tief durchatmend ließ er sich neben dem Brunnen nieder und starrte den Boden zu seinen Füßen an. „Was für eine seltsame Nacht.“ Wollte er den Worten glauben? Konnte er ihnen glauben? Was wollte sein Wahnsinn damit bezwecken? 'Du gehörst nicht in diese Welt.' Tat er das wirklich nicht? Dabei war er doch gerade dabei sich hier heimisch zu fühlen. Diesen Ort als seinen Platz in der Welt zu bezeichnen. „Ich gehöre in diese Welt. Hier ist mein Platz.“ „Das freut mich zu hören.“ Erschrocken sah er auf, konnte Hideto-san im Schein einer Kerze, die jener bei sich trug erkennen. „Was macht Ihr hier?“ „Dasselbe könnte ich Euch auch fragen.“ Langsam ließ sich der Priester neben seinem Gast nieder. „Warum seid Ihr nicht in Eurem Bett? Was hat Euch dazu gebracht, mitten in der Nacht zum Brunnen zu gehen und ihn zu betätigen?“ Camui vermied es seinem Retter in die Augen zu schauen. Ihm war die Antwort unangenehm. „Ihr macht Euch immer noch Gedanken wegen der Stimmen heute Nachmittag, habe ich recht?“ „Es hat damit zu tun, ja.“ Beschämt zog der größere Japaner die Beine an, umschlang sie mit seinen Armen. „Aber auch wegen dem, was mir die Stimmen vorhin in meinem Traum erzählt haben. Ich weiß nicht, ob ich ihnen glauben soll oder kann. Weil sie doch nicht wirklich sind.“ Ob ihm da überhaupt jemand eine Antwort geben konnte? Der Mann neben ihm legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hört nicht auf die Stimmen. Dann werden sie bestimmt wieder verschwinden.“ „Aber sie sagen, dass ich sterben werde, wenn ich nicht herausfinde, wer ich bin.“ „Was für merkwürdige Stimmen. Ihr wisst doch, wer Ihr seid. Was wollt Ihr da noch herausfinden?“ Hideto-san hatte recht. Er wusste es doch. Wer er jetzt und wer er in der Vergangenheit gewesen war. Über diese Dinge musste er nicht mehr nachdenken. „Ihr habt recht, wie immer, Hideto-san. Ich mache mir wahrlich zu viele Gedanken.“ Zuversichtlich wurde er angelächelt. „Nun, ich habe nicht immer recht, aber ich befürworte Eure Einstellung. Und nun lasst uns wieder zu Bett gehen. Wir haben noch ein paar Stunden, bevor ein neuer Tag für uns anbricht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)