Der letzte Raubzug von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 4: Neues lernen ----------------------- Er sollte sich schämen. Hatte er nicht stets von sich selbst behauptet, dass er an den guten Kern in jedem Menschen glaubte? Zudem hatte er doch selbst vor wenigen Augenblicken dieses Wunder erleben dürfen. Wenn die Götter diesen Menschen am Leben erhalten wollten, dann bestimmt nicht, weil er von Grund auf böse war. Mit einem warmen Lächeln stellte er die Tasse bei Seite und ergriff die Hand seines Patienten. „Ihr dürft gerne bleiben, Camui.“ Eben jenem fiel ein riesiger Stein vom Herzen, hatte er doch das Schlimmste erwartet, als er gesehen hatte, wie der Priester den Kopf schüttelte. „Danke. Ich danke Euch vielmals.“ „Das Problem ist nur, dass dieser Schrein nicht besonders groß ist. Es dürfte also ein wenig schwierig werden einen Raum für Euch zu finden, den Ihr für Euch nutzen könnt.“ Einen Raum? Er sollte einen Raum für sich bekommen? Wo er auch bleiben durfte? Hideto lachte ein wenig, als er die großen, funkelnden, ein wenig ungläubig drein blickenden Augen Camuis sah. „Leider wird es besser sein, wenn Ihr noch eine Weile hier liegen bleibt. Damit sich die Wunde schließen kann. Ich werde versuchen, es Euch hier so angenehm wie möglich zu machen. Und da dies hier zu meinem Bedauern kein viel besuchter Schrein kommen also nicht viele Leute hier her.“ Ein kleiner Seufzer floh über seine Lippen. Die fehlenden Gläubigen machten es ihm schon schwer seinen geliebten Schrein aufrecht zu erhalten. Dabei sollte man meinen, dass in Zeiten des Krieges die Menschen erst recht um die Gunst der Götter bitten würden. Ein wenig gedankenverloren strich er über die Hand in seiner, schreckte allerdings auf, als er ein Magenknurren vernahm. „Jetzt habe ich das Essen doch wieder vergessen. Aber das werden wir jetzt nachholen. Immerhin wäre keinem von uns beiden geholfen, wenn wir vor Hunger geschwächt sind.“ Er wandte sich den Schüsseln zu, nahm eine davon in die Hand und nahm mit den Stäbchen etwas von dem Reis auf. Lächelnd hielt er dem Anderen den Bissen vor die Nase. In Camui rebellierte es. Sich füttern zu lassen wie ein alter Mann widerstrebte ihm. Aber da er sich nicht aufsetzen konnte, ohne die Wunde wieder zu verschlimmern, war es eine unangenehme Notwendigkeit. „Na kommt. Es bleibt auch unter uns. Versprochen“, versicherte Hideto dem Größeren, um ihn zu ermutigen. Er selbst würde erst anfangen zu essen, wenn die Schüssel in seinen Händen leer war. Endlich gab sich Camui einen Ruck -war ihm doch der Geruch von Essen in die Nase gestiegen und hatte seinen Überlebensinstinkt angesprochen- und öffnete den Mund, damit der Andere ihm den Bissen in selbigen legen konnte. Auf diese Weise leerte sich die Schale nach und nach, bis Camui ein wenig schlecht wurde. Sein Bauch war das viele Essen kaum noch gewohnt. Nachdem Hideto sich seiner Portion gewidmet und gänzlich aufgegessen hatte, stand er auf und kniete sich vor die Statue, die mitten im Raum stand. Er hatte heute noch nicht gebetet und nach allem, was passiert war empfand er es als umso dringender und notwendiger. Interessiert beobachtete Camui seinen Retter. Fragte sich, worum dieser die Götter bat und warum er dieses Leben führte. Doch er fühlte sich immer noch schwach, konnte kaum die Augen offen halten. Einige Tage später tat die Wunde nicht mehr ganz so sehr weh und Camui konnte sich in guten Momenten von allein aufsetzen. Ein erstes, grobes Bad hatte er auch schon erhalten, damit er nicht mehr ganz so wild aussah und fürchterlich roch. Statt der alten, dreckigen Kleidung hatte er einen schlichten Kimono mit passendem Obi seines Retters bekommen. Er war ihm ein wenig zu klein, aber um einiges besser, als das, was er bis dahin getragen hatte. Dafür sah Hideto mit jedem Tag schlechter aus. Neben der Pflege des Patienten musste ja auch noch die Tempelanlage ordentlich halten. Dazu kam, dass er sich unglaubliche Sorgen machte, obwohl es dem Größeren ja immer besser ging. Das einzige große Problem neben der Verletzung war weiterhin die zukünftige Unterbringung. Räume waren da. Nur eben sehr kleine. Man konnte niemandem zumuten darin zu wohnen. Selbst fürs Schlafen würde er es niemandem zumuten. Es war noch recht früh am Morgen als der Priester mit dem Frühstück in das Heiligtum kam. Zu seinem Erstaunen war der andere Mann bereits wach, hatte sich aufgesetzt und starrte vor sich hin. „Konnichiwa, Camui-san.“ Der Angesprochene blinzelte einige Male, ehe er ins hier und jetzt zurück kam, um den Gruß zu erwidern. Das Tablett mit dem Essen wurde auf dem Boden neben seinem Nachtlager gestellt. „Gibt es einen Grund, weswegen Ihr bereits so früh wach seid? Ist es wegen Eurer Wunde?“ „Auch. Aber in erster Linie konnte ich einfach nicht mehr liegen.“ „Ist der Schmerz sehr schlimm?“ Langsam schüttelte der ehemalige Dieb den Kopf. „Es ist zu ertragen.“ „Gut. Wenn ihr mögt“, sagte Hideto und nahm eine der beiden mit Reis gefüllten Schüsseln, welche er vor seinen Gast stellte, „könnt Ihr bereits mit dem Essen anfangen.“ Er selbst stand auf, nur um sich wenige Schritte weiter wieder vor der Statue nieder zu lassen. Erst wollte er ein Gebet sprechen. Neugierig beobachtete Camui das Verhalten seines Gastgebers, sah den glücklichen und zufriedenen Ausdruck in dessen Gesicht. Lag das am Beten? „Worum bittet Ihr?“ Er brauchte ein paar Ideen und einen Anreiz. Seit dem Vorfall hatte er nicht einmal gebetet. Obwohl er es sich doch vorgenommen hatte. Einige wenige Sekunden später drehte sich der Angesprochene zu seinem Gast um. Erst hatte er sein Gebet vollenden wollen. Lächelnd hockte er sich zu ihm, strich sein Gewand glatt. „In erster Linie danke ich den Göttern dafür, dass sie über mich und diesen Schrein wachen. Dann bitte ich sie darum dies auch weiterhin zu tun.“ „Ach so?“ Unruhig und nachdenklich flackerte sein Blick auf den schlichten, aber schönen Altar. „Und Ihr glaubt wirklich, dass sie das tun?“ „Ja, das glaube ich.“ „Was macht Euch da so sicher?“ Jetzt musste Hideto doch ein wenig Lachen. „Wie könnte Ihr das fragen, wo ihr doch vor wenigen Tagen selbst ein Wunder erlebt habt, dass nur durch die Macht von Göttern möglich war?“ Da war etwas Wahres dran, wie Camui sich eingestehen musste. Ein unbestreitbares Argument. Unsicher und wackelig, ob des schmerzenden Rückens und dem vielen Liegen, rappelte er sich auf und stolperte die paar Schritte, die es brauchte, um zu seinem Ziel zu gelangen. Verstörend für ihn, wie viel Kraft ihn dies bereits gekostet hatte. Aus irgendeinem Grund war er unheimlich nervös. Womit fing man an? Ah, ja. Die Hände. Zittrig legte er sie aneinander und schloss die Augen. Und was sagte er jetzt? Oder besser: Dachte? Plötzlich legte sich etwas Warmes um seine Hände. Erschrocken riss er die Augen auf, beruhigte sich jedoch wieder schnell, als er erkannte, dass sein Retter sich neben ihn gekniet und die eigenen Hände auf seine unruhig zitternden gelegt hatte. „Ganz ruhig. Ein Gebet sollte niemandem Angst machen.“ Lächelnd sah Hideto in Camuis Gesicht, zuckte jedoch ein wenig zusammen, als der Blick des Anderen seinen eigenen traf. Aber warum? Sie hatten sich bereits häufiger angesehen. Doch erst jetzt fielen ihm die hellen Punkte in dem dunklen Braun der Iriden auf. Er musste sich regelrecht zwingen sich wieder davon zu lösen und sich auf das konzentrieren, was er ursprünglich vor hatte. „Denkt nicht so viel nach. Überlegt euch worum Ihr bitten wollt. Dann braucht Ihr Eure Bitte nur noch zu formulieren und sie an die Götter zu richten.“ Er löste seine Hände wieder, denn das hier musste der Andere allein machen. Lächelnd betrachtete er dessen Mimik. Wie nervös er doch wirkte. Plötzlich sahen ihn wieder diese ungewöhnlichen Augen an. „U-Und?“ Wieder war Hideto so unkonzentriert. „Worum habt Ihr gebeten?“ Schließlich hatte er selbst auch erzählt. „Ich... habe sie darum gebeten mir bei meinem Neuanfang zu helfen. Mit ihrer Unterstützung sollte es doch einfacher werden, nicht wahr?“ Verunglückt lächelnd stand er auf. Sein Appetit war erwacht. Nicht zuletzt dadurch, dass ihm der Geruch des Frühstücks in die Nase gestiegen war. Sofort war der etwas kleinere Geistliche an seiner Seite, damit er nicht gleich wieder einknickte. Seine Beine waren in den letzten Tagen erstaunlich wackelig geworden. Weil seine Wunde all seine Energie beanspruchte, wie ihm der Mann neben ihm erklärt hatte. Schweigend nahmen sie ihr Frühstück zu sich, hingen ihren Gedanken nach. Hideto über den Grund, weshalb ihn die Augen seines Patienten so verwirrten, während jener hoffte, dass ihm seine Wünsche erfüllt wurden. Erzählt hatte er nämlich nur die Hälfte. Sein weiterer und dringenderer Wunsch war, dass die Götter ein Auge auf seinen fürsorglichen Retter warfen, damit dieser sich selbst nicht mehr so vernachlässigte. „Ich werde mich gleich um den Garten kümmern. Soll ich euch derweil etwas zu lesen geben, damit Ihr euch nicht langweilt?“ „Ähm...“ „Ich habe da ein gutes über Pflanzen und ihre heilende Wirkung. Ihr hattet ja gesagt, dass Ihr gerne etwas über Medizin erfahren würdet.“ „Das ist wahr. Das habe ich gesagt.“ Beschämt sah Camui nach unten und stocherte mit seinen Stäbchen im Rest seines Essens herum. „Und ich würde dieses Buch wirklich gerne lesen...“ „Aber?“ „Genau das ist das Problem. Ich...Ich kann nicht lesen.“ Das hatte ihm niemand beigebracht. Lesen, Schreiben, Rechnen. Keiner hatte sich die Zeit genommen und für einen Lehrer hatte er nie Geld gehabt. Und wer hätte einem Straßenkind schon etwas umsonst beibringen sollen? Immer nur war er fort gejagt worden. „Nun, dann werde ich es euch lehren.“ Mit großen Augen sah Camui auf. Er konnte kaum glauben, dass ihm gerade so ein Angebot gemacht wurde, wo er doch bereits so viel von dem anderen Mann erhalten hatte. „Das ist sehr nett von Euch.“ Wie sehr sich sein Gast darüber freute, erwärmte das Herz des Kleineren. Doch diese Kenntnisse würden jenem helfen, bald eine anständige Arbeit zu finden. „Würdet Ihr mir dann gleich Gesellschaft leisten? Solche Arbeiten gehen leichter von der Hand, wenn man jemanden bei sich hat, mit dem man reden kann.“ „Sehr gerne.“ Geschützt von dem Dach der Terrasse auf der Rückseite der Anlage, saß Camui an einen Pfeiler gelehnt und sah seinem Gastgeber zu, wie er die Beete harkte, ungewollte Pflanzensprösslinge aus der Erde zupfte und seine Zöglinge goss. „Hier wachsen Rettiche. Rätselhafte kleine Dinger, weil man vorher nie weiß, wie groß sie geworden sind, bevor man sie erntet. Genau wie die Karotten dort drüben“, wurde ihm lachend erklärt. „In der Hinsicht sind mir meine Kohlköpfe viel lieber.“ „Ihr habt viele Pflanzen hier. Viel Gemüse.“ „Nun, dies ist ein kleiner Schrein. Es kommen nicht viele Besucher her und deshalb habe ich auch nicht viel Geld. Darum habe ich hier so viel angepflanzt.“ „Und der Reis? Ich sehe hier keinen.“ „Den ertausche ich mir auf dem Markt. Genauso wie ein paar andere Dinge. Für Tiere habe ich leider keinen Platz, sonst würde ich welche halten. Um jederzeit Eier oder Milch zu bekommen.“ „Und den wenigen, den Ihr habt, werde ich jetzt beanspruchen. Genauso, wie Euer Essen.“ „Das lasst mal meine Sorge sein. Werdet Ihr nur gesund.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)