Der letzte Raubzug von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 2: Wunder. Sie geschehen -------------------------------- Als er wieder aufwachte war der Schmerz schon nicht mehr ganz so stark und es war hell. Seine Augen huschten suchend umher. Was war passiert? Warum lebte er noch? Er versuchte sich aufzurichten, da die Bauchlage mehr als unangenehm war, aber es gelang ihm einfach nicht. Sein Körper besaß keine Kraft dazu. Aber auch so erkannte er, dass er sich noch immer in dem Schrein befand, in den er geflüchtet war. Ein Zucken ging durch seinen Leib, als er eine Stimme hörte: „Den Götter sei Dank. Ihr habt es geschafft.“ Er erkannte ein warmes Augenpaar, das auf ihn gerichtet war und nach einigen Momenten wurde ihm bewusst, dass er hier den Mann von vergangener Nacht vor sich hatte. „Ihr habt sicher Durst“, lächelte dieser freundlich und half ihm dabei sich langsam auf die Seite zu drehen. Seine linke Hand behielt er an der Schulter des Patienten, auf dass dieser nicht wieder umfiel. Mit der Rechten griff er nach einer schlichten Tasse, in die er Wasser gefüllt hatte. Kurz testete er, ob der Fremde in dieser Position bleiben würde, dann wechselte die Tasse in die andere Hand, damit er den Kopf des anderen Mannes ein wenig anheben konnte. „Trinkt“, sagte er sanft und setzte das Gefäß an dessen Lippen. Das Angebot klang zu verlockend, um wahr zu sein. Doch sein Innerstes sträubte sich dagegen es anzunehmen. Er kannte keine Fürsorge. Und wenn das ganze ein Trick war? Und das Wasser vergiftet? Dann hätte der Priester sich aber auch die Mühe sparen können ihn erst am Leben zu halten. Das war doch ein Zeichen dafür, dass der Mann es ehrlich meinte. Gedanklich seufzte er. Wenn er nicht schon so viele geistliche Männer getroffen hätte, die von ihrem Weg abgekommen waren, dann würde es ihm einfacher fallen zu vertrauen. Aber bei dem Schmerz konnte es ihm eigentlich auch egal sein, ob er dem Tod nun nur Nahe war oder durch einen Schluck Wasser endgültig starb. Mit großen, gierigen Schlucken trank er das Wasser, brannte sein Hals doch fürchterlich. Und da er den gestrigen Tag über nichts getrunken hatte, war sein Durst entsprechend groß. Kaum geleert füllte der Priester bereits nach und reichte dem Liegenden die Tasse erneut dar, betrachtete das ganze zufrieden. „Wie fühlt ihr Euch jetzt?“ Verwirrt wanderte sein Blick über die Gestalt vor sich. Meinte der Andere die Frage ernst? Er schien zumindest auf eine Antwort zu warten. „B-Besser“, sagte er und behielt den Fremden genauestens im Blick. „Ihr braucht keine Angst zu haben. Hier in meinem Schrein seid Ihr sicher und Ihr dürft gerne solange bleiben, bis es Euch besser geht.“ Mit einem Mal hatte er das Bedürfnis etwas zu sagen, ein Wort welches er kannte, nur schon lange nicht -oder noch nie?- benutzt hatte. „A- Arigatou.“ Seine Stimme war leise, rau und trotz des Wassers tat sein Hals noch immer weh. Genau wie seine Augen. Er war müde. Obwohl er doch gerade erst aufgewacht war. „Dankt nicht mir, sondern den Göttern. Dafür, dass sie Euch zu mir geführt haben in Eurer Not.“ Besorgt und neugierig sorgte der Priester dafür, dass sein Gast sich wieder hin legte, ließ seinen Blick anschließend zu der Wunde gleiten. In der vergangenen Nacht hatte er sie noch ein Mal mit der Salbe behandelt, die die Heilung förderte. Er sollte sie gleich erneut auftragen. Nach einem kleinen Frühstück und einer weiteren Waschprozedur für den Fremden. Obwohl ihm das 'fremd' schon ein wenig missfiel. „Ihr seid bestimmt hungrig. Ich hole gleich etwas zu essen für uns. Doch vorher“, er musste sich unterbrechen, weil er den Drang zu gähnen verspürte. „Verzeiht“, lächelte er und fuhr dann fort: „Nun, vorher würde ich gerne Euren Namen erfahren. Ich würde doch zu gerne wissen, wen ich hier aufgenommen habe.“ Einige Momente lang haderte der Dieb mit sich selbst. Sollte er seinen richtigen Namen verwenden oder sich doch lieber einen ausdenken? Obwohl ihm bereits viele nicht abgenommen haben, dass er wirklich so hieß. „Mein Name ist Ca- Camui. Einfach nur Camui“, sagte er schließlich und merkte die alte Angst in sich aufkommen. Wie jedes Mal, wenn er sich gezwungen sah etwas von sich Preis zu geben. Fühlte sich wieder ein Stück mehr ausgeliefert. „Camui?“ Überrascht blinzelte der Priester. „Ein ungewöhnlicher Name.“ Von dem er sich sicher war, ihn bereits irgendwo schon ein Mal gelesen zu haben. „Dann bin ich für Euch einfach nur Hideto. Ich bin der Priester dieses Schreins.“ Ächzend und wankend erhob er sich. Die lange Nacht ohne Schlaf machte sich bemerkbar. „Ich hole uns schnell etwas zu Essen. Gerade Ihr braucht Kraft, um Euch besser zu erholen.“ Danach sollten sie sich ein paar Gedanken machen, wie es weiter gehen sollte. Schließlich konnte er den Anderen nicht weiterhin so hier liegen lassen. Auf dem harten Boden und bei dem Heiligtum. Da musste dringend eine andere Lösung her. Das hier war bedauerlicherweise nur ein sehr kleiner Schrein, der gerade genug Platz für ihn selbst bot. Doch ihnen würde schon etwas einfallen. In seiner Küche setzte er zuerst einen Kessel mit Wasser auf, um ihnen beiden einen Tee aufgießen zu können. Jetzt musste er nur noch aufpassen, dass er nicht im Stehen einschlief. Er war so müde. So unglaublich müde. Camui ging es auch nicht besser. Auch er wollte schlafen. Aber nicht, um sich zu erholen, sondern um den Schmerzen zu entkommen. Da machte es ihm auch nichts, dass er hier auf einem Holzboden lag. Das war nicht das erste und bestimmt auch nicht das letzte Mal. Nur, dass er in diesem Fall ausnahmsweise eine Decke zu haben schien. Wenn er die schwere Wärme an seinen Beinen richtig interpretierte. Sehen konnte er in seiner Position nicht viel. Ob der Priester wirklich mit etwas zu Essen wieder kommen würde? Hunger hatte er ja schon. Gewaltigen, wo er doch seit ein paar Tagen keinen Bissen zu sich genommen. Tja, das Los eines Diebes. Eines erfolglosen Diebes. Doch was hätte er auch schon anderes werden können. Schon früh war er zur Waise geworden. Hatte seinen Vater nicht gekannt und seine Mutter verloren, als er erst einige wenige Jahre alt war. Ihr einziger Besitz war eine kleine, zugige Hütte gewesen, die sich jemand angeeignet hatte, kaum dass seine Mutter begraben worden war. Von da an heimatlos hatte sich niemand seiner annehmen wollen. So war er auf sich allein gestellt gewesen. Und dafür war er doch recht alt geworden. Wenn er so zurück blickte, war er dem Tod bereits einige Male so nahe gewesen. Er erinnerte sich an ein, zwei Momente, die sogar noch schlimmer gewesen waren, als jetzt. Wann lernte er nur die wichtigste Lektion dieses Lebens: Sich nicht in solche Situationen zu bringen. Allmählich wurde die Position, in der er lag unangenehm, aber er schaffte er es ja nicht einmal den Kopf von einer auf die andere Seite zu drehen, so erschöpft war sein Körper. Bis Hideto-san zurück war, konnte er ja noch ein wenig schlafen. Also schloss er die Augen, verdrängte den Hunger und den Schmerz so gut es ging. „Wir haben Glück. Er ist alleine.“ Und plötzlich war er hellwach. Diese Stimme gehörte zu einem der Männer von vergangener Nacht. Schon wurde er von zwei Paar kräftigen Armen auf die Beine gezerrt und aus dem Tempel heraus geschleift. Dabei wollte er sich doch gerade sicher fühlen. Grob drückten sie ihn auf dem Kiesweg in eine kniende Position, seine Arme noch immer fest im Griff, machten ihm so deutlich, dass er nicht einmal dann eine Chance auf Flucht hätte, wäre er bei Kräften. „Hast du wirklich geglaubt, dass du mir entkommst?“, hörte er jemanden fragen und nachdem ihm jemand die Spitze eines Schwertes unters Kinn hielt und er so gezwungen war aufzusehen, erkannte er den Mann, den er gestern erst verfolgt hatte und dann vor ihm geflohen war. „Mach dich auf dein Ende gefasst.“ Starr vor Angst konnte Camui nur auf das schimmernde Metall sehen, welches erhoben wurde, bereit seinem Leben ein Ende zu setzen. „Bitte nicht“, flüsterte er. „Bitte, bitte nicht.“ „Als würde ich auf Abschaum wie dich hören. Einen dreckigen Dieb wie dich, wird niemand vermissen.“ Dieser Mann machte ernst, das konnte Camui in dessen Augen sehen. Ängstlich hatte er die Augen zusammengekniffen, er wollte seinen Tod nicht mit ansehen. Er war nur froh, dass er zumindest ein Mal in seinem Leben hatte erfahren dürfen, was Hilfsbereitschaft und Zuwendung war. Dieser Priester hatte ihn angelächelt und sich Sorgen gemacht. Er konnte sich ja nicht Mal daran erinnern, dass seine Mutter das jemals getan hatte. „Was tut Ihr da?“ Überrascht öffnete er seine Augen, als er die, mittlerweile recht vertraute Stimme hörte. Jetzt versuchte dieser Mann schon wieder ihn zu retten. Dabei konnte er sich doch nicht einmal sicher sein, dass Camui ihm nicht mitten in der Nacht die Kehle durchschnitt und ausraubte, sobald er wieder genesen war. Was in dieser Zeit häufig passierte. Bewundernd starrte er den Rücken des Anderen an, nachdem dieser sich schützend vor ihn gestellt hatte, die Arme ausgebreitet. Hatte er nicht mitbekommen, dass es sich bei seinem Gast um einen Verbrecher handelte? „Dieser Weg gehört zu meinem Schrein. Seid ihr wirklich gewillt Blut auf diesem heiligen Boden zu vergießen?“ Nur ganz so einfach, wie beim letzten Mal ließen sich die Männer nun nicht vertreiben. „Dieser Mann hat ohne meine Erlaubnis mein Grund und Boden betreten und wollte dann auch noch etwas von meinem Eigentum entwenden.“ „Aber ich habe nichts mitgenommen“, rechtfertigte Camui sich. Er sah eine kleine Möglichkeit seine kaputte Haut noch zu retten. Der reiche Schnösel schien daraufhin noch wütender zu werden, denn er schubste Hideto beiseite, der daraufhin verwundert liegen blieb. Noch nie hatte man ihm gegenüber Gewalt angewandt. Er festigte seinen Griff um das Schwert, um es wieder auf sein Opfer zu richten, woraufhin dieses wieder den Kopf heben musste. Etwas, dass ihn viel von seiner verbliebenen Kraft kostete. „Du konntest nichts mitnehmen, weil meine Männer ihre Arbeit besser erledigen als du. Und nur weil du keinen Erfolg hattest, heißt das nicht, dass du es nicht vorgehabt hast. Ganz zu schweigen von den vielen Malen bei anderen Diebstählen, wo du vielleicht sogar erfolgreich warst. Einen Dieb will niemand haben. Und vermissen wird dich auch keiner. Die Stadt wird mir dafür danken, dass sie um einen Parasiten wie dich ärmer ist.“ Beschämt sah Camui zur Seite. Der Mann hatte ja Recht. Niemand würde ihn vermissen oder ihm nachtrauern. Jeder Bürger wäre froh, dass sie sich vor einem Gesetzeslosen weniger fürchten mussten. Hatte er nicht selbst immer mal wieder gedacht, dass es besser wäre, zu sterben? „Heiliger Boden hin oder her. Wer gegen die Gesetze verstößt muss dafür bestraft werden“, hörte Camui den Mann sagen und sah, wie dieser dabei den Priester mit zornigen Augen anfunkelte. Der wollte wirklich jemanden tot sehen. Nein, nicht jemanden. Ihn, Camui. Auch er legte seinen Blick auf den zierlichen Mann, der ihm in den letzten Stunden so sehr geholfen hatte. Er würde weinen, oder? Das würde er doch? Ehrfürchtig sah er zum Himmel. Vielleicht ein letzter, kleiner Wunsch? Menschen taten doch viele verrückte Dinge, wenn sie wussten, dass es mit ihnen zu Ende ging. Und vielleicht gab es ja doch jemanden da oben. Sonst hätte er doch diesen hilfsbereiten, freundlichen Menschen niemals kennen gelernt. 'Du, Gott, dem dieser Schrein geweiht ist.' Es gab so viele, woher sollte er denn jetzt bitteschön wissen, welcher jetzt zu dieser Stätte gehörte. 'Ich weiß, dass ich das mit dem Beten und dem Glauben ziemlich vernachlässigt habe. Tut mir Leid. Aber du musst auch mich ein bisschen verstehen. Bei allem was mir passiert ist, kann man schon mal vom Glauben abfallen. Bitte, wenn du mir hilfst aus dieser Sache heraus zu kommen, dann verspreche ich, dass ich mich ändern werde. Ich höre auf mit dem Stehlen. Ich werde mir einen anderen Beruf suchen. Ich weiß zwar noch nicht was, aber ich werde mir größte Mühe geben. Versprochen. Bitte.' Er starrte in den mittlerweile grauen Himmel, bekam nichts von dem mit, was um ihn herum passierte. „Bitte“, flüsterte er noch einmal ehrfurchtsvoll. „Hört doch auf damit! Bitte!", flehte Hideto dagegen die Eindringlinge an. Er konnte nicht mit ansehen, wie dieser Mann den Tod finden würde. Das ging einfach nicht. Nein! Warum geschah denn nichts? Sahen die Götter denn nicht was hier geschah? Ein Leben war in Gefahr. Auch wenn dieser Mann ein Dieb war, wie es diese Männer sagten. So durfte er nicht sterben. Nicht wissend, was er tat, griff er einfach nach dem Arm, der das Schwert hielt. Hauptsache war doch, dass er das ganze hinauszögern konnte. Dann geschah es. Von einem Moment auf den anderen wurden die Wolken pechschwarz und Blitze durchzuckten den Himmel. Alle in der kleinen Gruppe schreckten zusammen. Ungläubig verfolgte Camui das Schauspiel am Himmel. War das sein Zeichen? Gab es da wirklich jemanden, der ihn erhört hatte? Als einer der Blitze direkt zwischen ihm und seinem Henker in die Erde schlug, fiel er hinten über. Die beiden Männer, die ihn bis jetzt gehalten haben, waren vor Schreck zurück gestolpert und hatten sich dabei von ihm gelöst. Nur nebenbei bemerkte er, wie die Wunde auf seinem Rücken wieder stärker schmerzte und frisches Blut austrat. Zu gebannt war er von dem gerade geschehenen. „Wir sollten gehen, Herr“, murmelte einer der Untergebenen. „Offensichtlich haben die Götter etwas dagegen, dass auf ihrem Grund und Boden Blut fließen soll.“ Der Herr, blass wie frisch gefallener Schnee, nickte. Eiligst zogen sie von dannen, rannten sobald sie ein paar Meter zwischen sich und dem Ort des Geschehens gebracht hatten. Kaum waren sie außer Sichtweite hellte sich der Himmel wieder auf und wie zuvor schien die Sonne. Geschockt, paralysiert, aber vor allem erleichtert lag Camui auf dem Boden und starrte zum Himmel, bemerkte nicht einmal, wie sich die vielen kleinen Steinchen in seinen Rücken bohrten. Er würde leben. Bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden wurde ihm gewährt zu leben. So etwas wie Götter gab es also doch. Das gegebene Versprechen musste er jetzt einhalten. Früher hätte er sich einen Plan überlegt, wie er sich aus dem Ganzen wieder heraus winden konnte, aber ein Versprechen brechen, dass man einem Gott gegeben hatte? Jetzt wo er festgestellt hatte, dass es so etwas wirklich gab, da konnte er es nicht tun. Das wäre Wahnsinn gewesen. Und man hätte ihm das gerettete Leben wieder genommen. „Danke“, flüsterte er und fühlte wie sich seine Augen mit Tränen füllten. „Danke“, sagte er ein weiteres Mal, ehe er sich der Erleichterung hingab und einfach weinte. Nun konnte es doch nur bergauf gehen, oder? Auch dem Priester wurde allmählich bewusst, was hier geschehen war. Ehrfürchtig blickte er zum Himmel und bedankte sich für dieses Wunder. Denn etwas anderes war es nicht. Noch immer überwältigt stand er auf und ging auf Camui zu, um sich nach diesem zu erkundigen. Für den anderen musste das Ganze noch aufregender gewesen als für ihn. „Das war ein Wunder..ein wahres Wunder...“, murmelte er leise. Oh ja, ein Wunder. Eines, dass er trotz allem noch nicht vollständig verstehen konnte. Sein Blick war noch immer zum Himmel gerichtet, der so klar und blau war, dass niemand auf den Gedanken kommen würde, dass hier noch vor wenigen Augenblicken ein Gewitter gewesen war. Ein paar Mal atmete er tief durch, ehe er seine Aufmerksamkeit auf den Mann neben sich richtete. Er versuchte sich an einem Lächeln, doch sein Körper baute das Adrenalin in seinen Adern zusehends ab, was dem Schmerz wieder erlaubte die Vorherrschaft zu übernehmen. So wurde aus dem Lächeln ein schmerzverzerrte Grimasse. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)