Der letzte Raubzug von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 23: Böser Traum ----------------------- Grüblerisch sah Camui während der Fahrt aus dem Fenster. Wieso nur hatte er das Gefühl diesen kleinen Menschen zu kennen? Hm, vielleicht, weil er in sein kleines Heim eingedrungen war. Aber da war noch etwas anderes. Je weiter sie sich von diesem Ort entfernten, umso unwohler fühlte er sich. „Fühlt Ihr Euch nicht wohl?“, hörte er seinen Diener fragen. Schon immer hatte dieser ein sehr feines Gespür für die Stimmungen seines Herrn. Ein nicht zu verachtendes Talent in seiner Position als Berater und Leibdiener. „Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, dass irgendetwas will, dass ich dorthin zurück gehe.“ Zu dem Thema schwieg der Diener. Sein Auftrag lautete lediglich Camui-dono nach seinem Erwachen zurück ins Reich der Götter zu bringen. Was dann geschehen sollte, lag nicht in seiner Entscheidung. Ihm entging zwar nicht, dass der Gott ihm gegenüber mit jeden Stück, welches sie sich von der Erde und dem Schrein entfernten, niedergeschlagener wurde, aber darüber sollte er bald hinweg sein. „Amaterasu-dono wird sehr erfreut sein Euch endlich wieder zu sehen.“ Verwirrt wurde er von einem blauen Paar Augen angesehen. „Wieso wieder? Wie lange ist es denn her, dass sie mich gesehen hat?“ „Mehr als zweihundert Jahre, Herr.“ „Zweihundert Jahre? Du erlaubst dir doch einen Scherz mit mir.“ Geschockt sah Camui seinen Diener an. 200 Jahre... Wie konnten denn so viele Jahre vergehen, ohne dass er es merkte oder sich daran erinnerte? „Ich fürchte nicht, mein Herr. Aber auch darüber werdet ihr alles erfahren, sobald wir bei Amaterasu-dono eingetroffen sind.“ Noch immer überwältigt von dieser Nachricht starrte der Gott aus dem Fenster und versuchte nun auch darauf eine Antwort zu finden. Genervt hielt er sich den Kopf und stöhnte auf. Von diesem ganzen Grübeln bekam er Kopfschmerzen. Und dann waren da auch noch wieder diese traurigen, braunen Augen des kleinen Menschen. Wie er wohl aussah, wenn er lachte? Kurz darauf hielten die Kirin vor dem prächtigen Palast der Sonnengöttin. Gefolgt von dem Fuchs stieg er die Stufen hinauf und an den Wachen vorbei, die ihn ohne weiteres passieren ließen. Er wurde wohl wirklich schon erwartet. Im Inneren des Palastes folgte ihm ein Murmeln und Tuscheln. So, wie sich die niedrigeren Wesen der Mythenwelt verhielten, musste er wirklich lange weg gewesen sein. Nicht, dass sie das nicht auch sonst getan hätten, aber jetzt... war es irgendwie anders. Sie waren aufgeregter, nervöser. Wenige Schritte vor dem Audienzsaal wurde er angekündigt und als er ihn betrat richteten sich viele Augenpaare auf ihn. Da waren aber etliche seiner Kollegen anwesend. Vor Amatersus Platz machte er Halt und kniete sich nieder. „Camui, Gott der Musik, ist, wie Ihr es gewünscht habt, zu Euch gekommen.“ Langsam erhob sie sich und schritt anmutig die Stufen zu ihrem Thron hinab. „Ich freue mich, dass du endlich wieder erwacht bist. Wir haben dich sehr in unseren Reihen vermisst.“ Mit einem sanften Lächeln sah sie ihn an und legte eine Hand auf seine Wange. „Du hast dir wirklich viel Zeit gelassen. Jetzt müssen wir noch dringender dafür sorgen, dass die Menschen den Glauben nicht an dich verlieren. Sonst war das lange Warten auf dich vergebens.“ „Amaterasu-dono...“, hauchte er, war aber ein wenig verwirrt. Die Berührung war sanft und sonst hätte er auch alles gegeben, um sie zu bekommen. Jedoch fehlte der wohlige Schauer, der ihn sonst immer überkam. „Verzeiht, dass ich frage, aber war ich wirklich so lange weg? Waren das wirklich zweihundert Jahre?“ Die goldene Göttin zog die Augenbrauen zusammen und sah hoch zu dem Fuchs-Wesen, welches in der Mitte des Saales hockte. „Sag, was hat das zu bedeuten?“ „Mit seinem Erwachen verlor er die Erinnerungen an die Zeit, die er auf der Erde verbracht hat.“ „Ist das wahr, Camui? Du weißt nichts mehr von deinem letzten Leben als Mensch? Von allen Leben?“ Besorgt sah sie auf den Heimkehrer hinab, hob seinen Kopf an, gab ihm damit die Erlaubnis sie anzusehen. In seinen Augen aber wuchs die Verwirrung immer noch. „Ich war als Mensch auf der Erde? Aber ich hatte doch erst noch vor hinab zu gehen.“ Bei den anderen Göttern setzte ein Raunen und ein Flüstern ein. „Iie. Du warst bereits unter ihnen. Du hast einige Leben gelebt. Und heute Nacht bist du wieder als Gott zurück gekommen.“ „Dann.. habe ich also gefunden, was ich gesucht habe?“ Sie lächelte ihn an: „Ja, das hast du.“ Aber wo war es dann? Die Tage vergingen und Camui bekam erst einmal beigebracht, was er verpasst hatte. Zudem musste er seiner Rolle auch wieder gerecht werden. Er reiste durch ganz Japan, Land auf, Land ab. Immer dahin, wo er wohl gebraucht wurde.Gab verzweifelten Musikern kleine Anstöße beim Komponieren, um ihren Glauben an ihn wieder zu festigen. In den ruhigen Minuten allerdings musste er wieder an die traurigen Augen denken. Weshalb waren sie so traurig gewesen? Sie hatten sich doch gar nicht gekannt. Der Gedanke an diesen Menschen machte ihm das Herz aber auch gleichermaßen leicht, wie schwer. „Ich muss ihn wiedersehen. Dann kann er mir sicherlich den Grund nennen.“ Entschlossen stand er von seiner Liegestätte auf. Einen kleinen Haken gab es allerdings noch: Die vielen Aufgaben, die er noch erledigen sollte. Ach, er war ein Gott. Wenn er einen kleinen Menschen besuchen wollte, dann tat er das auch. Er rief einen Diener zu sich und befahl ihm, ein Pferd bereit zu machen für einen Ausritt. „Darf ich fragen, wo Ihr hinwollt, Herr? Es muss ja noch eine Eskorte für Euch bereit gestellt werden.“ „Nein, du darfst nicht fragen. Außerdem will ich keine Begleiter. Ich reise alleine.“ „Aber... Aber Camui-dono, Ihr-“ „Das Pferd, schnell!“, würgte er das niedere Wesen ab und eilte in sein Ankleidezimmer. Er wollte etwas anderes tragen für seinen Besuch. Sollte es etwas opulenteres sein? Oder schlichter? Unentschlossen stand er vor dem Schrank, ignorierte die aufgeregten Stimmen, der Kammerzofen. Ah, das sah ansprechend aus. Ungeduldig zog er ein nachtblaues Gewand mit silbernen Stickereien und dazu ein paar Hosen in demselben blau heraus. „Zieht mir das hier an. Und sucht noch etwas passendes dazu heraus. Los!“ Ungeduldig stellte er sich in die Mitte des Raumes und wartete darauf, dass die Frauen mit ihrer Arbeit begannen. Hektisch zogen sie ihm seine jetzige Kleidung aus und legten ihm in Windeseile die gewünschte Neue an, um nicht seinen Zorn auf sich zu ziehen. Kaum hatten sie von ihm abgelassen stürmte Camui aus dem Raum. Er musste jetzt zu diesem Menschen. Seitdem er diesen Entschluss gefasst hatte, drängte etwas in ihm danach aufzubrechen. Vielleicht schaffte er es ja ihn zum Lächeln zu bringen. So gerne wollte er diesen Menschen fröhlich sehen. Wieso und warum konnte er sich nicht erklären, es war einfach nur ein inniger Wunsch seinerseits. Vor dem Hauptgebäude seines Anwesens wartete bereits wie verlangt ein gezäumtes Pferd. Es war ein stolzes, weißes Tier voller Energie, welches bereits ungeduldig tänzelte. Die Dienerschaft drum herum war nervös. Gerade erst war der Gott der Musik wieder gekommen und jetzt wollte er wieder entschwinden? Ohne Begleitung? All diese Bedenken kümmerten Camui nicht. Bestimmend griff er nach den Zügeln, warf sie über den Pferdehals und stieg in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung in den Sattel. „Sucht nicht nach mir!“, wies er seine Untergebenen noch an, ehe er in gestrecktem Galopp davon jagte. Mit einem Wink öffnete er am Ende des Hofes ein Riss zwischen ihrer Sphäre und der Welt der Menschen, durch den er hindurch ritt. Erst als er hindurch und der Riss sich wieder geschlossen hatte, fiel ihm ein, dass er ja gar nicht wusste, wo genau sich der Ort befand an den er wollte. Wo er selbst gerade war konnte er zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht sagen, da das Tier ihn durch einen Wald trug, wie sie im ganzen Land wuchsen. Nur erschien ihm dieser hier immer vertrauter. Zumindest seinem Körper, denn er dirigierte den weißen Hengst zielgenau einen Weg entlang, den er bei den vielen Gabelungen sonst nicht so schnell gewählt hätte. Recht bald sah er in der Ferne ein Torii aufleuchten. Sein Herz überschlug sich fast vor Freude. War das ein Zeichen dafür, dass er hier richtig war? Unzufrieden schnaubte der Hengst, als er ihn auf dem Platz halten ließ. Immerhin hatte er sich gerade erst warm gelaufen. Camui stieg ab und sah sich um, überließ das Tier sich selbst. „Hideto-kun?“, rief er und hoffte, dass er hier wirklich richtig war. Bei seiner Abreise vor einigen Tagen hatte er keinen Blick für die Umgebung gehabt, weshalb er nicht sagen konnte, ob es der richtige Ort war. „Hideto-kun?“, rief er erneut nach dem Menschen, wartete aber immer noch vergeblich auf eine Antwort. Suchend öffnete er die Shogi, hinter der es ins Innere des Schreins ging. In dem hereinfallenden Licht konnte er eine Person ausmachen, die vor dem Heiligtum saß. „Hideto-kun?“ Etwas sagte ihm, dass das der Gesuchte war. Doch solange er dessen Gesicht nicht gesehen hatte, wollte er sich nicht sicher sein. Langsam trat er näher ran. Der Mensch dort schien ihn weder gehört noch sonst irgendwie bemerkt zu haben. Vorsichtig ging er um ihn herum und dann vor ihm in die Knie, hob den gesenkten Kopf des Mannes an. „Du bist es“, sagte Camui, seine Freude währte jedoch nur kurz. Flüsternd fragte er: „Was ist mit dir passiert?“ Die braunen Augen waren stumpf und rot. Seine Haut blass. Die Haare waren ungepflegt, standen strähnig und wirr vom Kopf hab. Und... irrte er sich oder trug er noch dieselbe Kleidung, wie bei seiner Abreise? Fürsorglich strich er über die Wangen des Menschen, spürte eine raue Kruste darauf. Was war das nur? Die Stirn gerunzelt roch Camui an seinen Fingern, zerrieb die weißen Krumen etwas, bevor er sie vorsichtig probierte. Es schmeckte salzig. Aber Salz? Im Gesicht? „Hideto-kun, hast du geweint?“ Bekümmert sah er in die Augen, die er nicht hatte vergessen können. Ganz langsam kam ein kleiner Funken Leben in sie, weiteten sich etwas als sie ihn zu erkennen schienen. „Camui? Bist du es wirklich?“ „Anô... Da fehlt zwar noch ein '-dono', aber ich bin es.“ Die braunen Augen fingen an zu funkeln und der kleine Mensch strahlte mit einem Mal übers ganze Gesicht. So sah er also aus, wenn er glücklich war. Plötzlich fiel ihm der Mann um den Hals, schmiegte sich an ihn und brachte schluchzend hervor: „Du bist wieder da.“ Immer wieder murmelte er es. Überrascht und auch überfordert saß Camui da. Er war es nicht gewohnt, dass man so mit ihm um ging. Schon gar nicht ein einfacher Mensch. Und warum weinte dieser hier jetzt wieder? Was machte man da nun? Unbeholfen legte er seine Arme und den zerbrechlichen, sterblichen Körper. „Ich hatte einen bösen Traum, Camui“, begann das kleine Wesen zu murmeln. „Ei- Einen bösen Traum?“ Hideto nickte und fuhr dann fort: „In diesem Traum bist du als Gott erwacht. Und du hattest alles vergessen. Dein ganzes Leben. Und all die Monate, die du hier bei mir verbracht hast.“ Kurz schluchzte er etwas stärker. „Du hattest auch mich vergessen. Dabei... Aber das ist ja jetzt egal. Du bist wieder hier und alles war nur ein böser Traum.“ Glücklich drückte sich Hideto noch etwas mehr an den Mann vor sich. „Etô... Hideto-kun, das... das war kein Traum.“ Das Schluchzen stockte. „Ich bin der Gott Camui und ich habe vergessen, dass ich eine Zeit lang unter euch Menschen gelebt habe. Es war kein Traum.“ Geschockt löste der Mensch sich von dem Hals des Gottes und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Das war kein Traum“, wiederholte der Blauäugige und beobachtete genauestens jede Reaktion des Mannes. Schlagartig entfernte dieser sich von ihm, starrte ihn mit einer Mischung aus Unglaube und Verzweiflung an, suchte nach Worten, die er aber nicht fand. Dann verdrehten sich seine Augen und er sank ohnmächtig zusammen. Den Boden erreichte er jedoch nicht, denn vorher fing Camui ihn aus einem Instinkt heraus auf. Wobei er sich auch nicht ganz erklären konnte, weshalb. „Und was mache ich jetzt mit ihm?“ Hosted by Animexx e.V. 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