Der letzte Raubzug von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 18: Balsam ------------------ In seinen Ohren rauschte das Blut und in der Stille des Waldes war sein schneller Atem unglaublich laut. Doch das hielt Camui nicht davon ab weiter zu rennen. Man hielt ihn für einen Gott. Wie lächerlich. Selbst Hideto -ausgerechnet Hideto- hatte sich in den Dreck gekniet, um ihm zu huldigen.Tränen nahmen ihm zunehmend die Sicht und egal wie oft er sie weg wischte, sein Blick wurde nicht klarer. Ein Ziel hatte er nicht, dennoch rannte und rannte er. Denn seine einzige Zuflucht, sein einziges Heim hatte er durch diese Lüge verloren. Den Ort auf dieser Welt, an dem er sich seit sehr, sehr langer Zeit das erste Mal geborgen gefühlt hatte.   Er hatte noch überlegt ihm zu folgen, doch er wusste nicht, ob es angebracht war. Bis zum Torii war er noch gelaufen, aber etwas in ihm hatte ihn anhalten lassen. Obwohl sich ein großer Teil in ihm sehnlichst wünschte dem Anderen zu folgen, wenn ein Gott gehen wollte, dann hielt man ihn als einfacher Sterblicher nicht auf. Allerdings machte er sich Sorgen um den Menschen, den er kennen gelernt hatte. Aufgewühlt, verwirrt und alleine war er da draußen. Und zum Abend hin wurde es immer noch sehr kalt. Die Arme vor der Brust verschränkt, fuhr er sich über seine Oberarme und blickte traurig den Weg hinab, flüsterte: „Hoffentlich findet er einen sicheren Ort.“ Aus dem Augenwinkel sah er das Mädchen und ihren Vater, wie sie neben ihm zu stehen kamen. „Es tut mir sehr Leid. Ich dachte, er wäre sich dessen bewusst gewesen.“ „Schon in Ordnung. Wenn es wahr ist, was du sagst, dann ist es vielleicht besser wenn er endlich weiß, wer er wirklich ist.“ Seufzend sah er wieder in die Ferne. So oft hatte er gehört, wie Camui sich diese Frage schon gestellt hatte. Die beiden Besucher verabschiedeten sich von Hideto und machten sich auf den Weg nach Hause, wo der Rest ihrer Familie sie bereits erwartete. Der zurück gebliebene Japaner sah ihnen noch ein paar Momente hinterher, seine Gedanken jedoch waren immer noch bei dem Anderen dort draußen. Sollte er ihm nachgehen? Oder sollte er bleiben? Plötzlich spürte er einen Schubs, der ihn einen Schritt nach vorne gehen ließ, damit er das Gleichgewicht nicht völlig verlor. Überrascht drehte er sich um, konnte aber niemanden sehen. Also wer-? „Wakarimashita“, meinte er, als ihn die Erkenntnis traf. Das war das Zeichen eines anderen Gottes gewesen. Sofort eilte Hideto los, um sich auf die Suche zu machen. 'Führt mich zu ihm. Ich will ihm helfen!'   Schmerz zwang ihn in die Knie. Während seine rechte Hand Halt an der Rinde eines Baumes suchte, krallte sich seine linke in den Stoff über seiner Brust. War er so aus der Übung, dass er nach dem bisschen Laufen bereits solche Schmerzen bekam? „Ah...“ Solches Stechen hatte er doch früher nicht gehabt. Gebeutelt von der Pein sank er zusammen. Das konnte nicht nur vom Laufen kommen. Schließlich hätte es jetzt, wo er stehen geblieben war, besser werden müssen und nicht noch schlimmer. Was war hier los? Trotz der Schmerzen schlug sein Herz wie wild. Als wenn es wegen irgendetwas ganz aufgeregt wäre. „Camui“, drang es leise, doch vertraut an sein Ohr. Oder hatte er sich das wieder nur eingebildet?   Auf seiner Suche wurde er von dem Fuchs geleitet, der immer ein paar Schritte vor ihm lief. Immer wieder gab dieser einen Laut von sich, damit Hideto wusste, wo das Tier war. Er konnte nicht genau sagen warum er diesem Tier folgte, aber er war sich sicher, dass es ihn zu dem Mann führte, den er suchte. Nachdem er bereits eine Weile gelaufen war, begann er den Anderen zu rufen, hoffte von Herzen, dass man ihm antworten würde. Es dauerte noch eine Weile, bis er jemanden schmerzerfüllt aufschreien hörte. „Camui-sama?“ „Du sollst... mich nicht so nennen.“ Es klang gequält, doch es war eindeutig seine Stimme. Erleichtert atmete Hideto auf. Er hatte ihn wirklich gefunden. „Domo arigatou gozaimasu, Kitsune-sama“, bedankte er sich noch schnell bei dem Tier, ehe er dem schnellen Atem und gequälten Lauten folgte. So groß die Freude war ihn gefunden zu haben, so besorgt war er auch wegen dem, was er da hörte. „Camui...-kun“, verbesserte er sich noch schnell, hoffte, dass ihn der Andere dadurch eher in seine Nähe ließ, „was habt... was hast du?“ Mit gebührendem Abstand ließ er sich neben der Gestalt nieder, die er in der zunehmenden Dunkelheit gerade noch so ausmachen konnte. Wenn er schon nicht die angemessene Ansprache verwendete, wollte er dem möglichen Gott zumindest diesen Respekt entgegen bringen. „Hast du dich verletzt?“ „Nein, aber ich hab so wahnsinnige Schmerzen in der Brust.“ Hilfe suchend griff der Größere nach dem Vertrauten. „Es tut so furchtbar weh.“ Kurz haderte jener mit sich selbst, aber letztendlich siegte sein angeborener Drang Anderen zu helfen. Fürsorglich nahm er den Mann vor sich in seine Arme, drückte ihn an sich. Viel mehr konnte er aber auch gerade nicht tun. „Könntest du aufstehen?“, fragte er leise, doch entgegen seiner kleinen Hoffnung, schüttelte sein Gegenüber den Kopf. Das erschwerte natürlich alles. Mit sich selbst hadernd und überlegend, was er denn nun machen sollte, drückte er ihn noch etwas fester an sich und strich ihm übers Haar, ohne dass er es selbst groß merkte. Glpcklicherweise nahmen die Schmerzen in Camuis Brust stetig ab, weshalb sich auch seine Atmung immer weiter normalisierte. Hatte er also doch nur eine längere Pause gebraucht. Oder gab es möglicherweise noch einen anderen Grund? Neugierig löste er sich aus der Umarmung und sah dahin, wo Hidetos Gesicht in etwa sein müsste. Jetzt stach es wieder ein wenig in seiner Brust. Ohne um Erlaubnis zu bitten zog er den Kleineren einfach in seine Arme, presste ihn regelrecht an sich. „Camui-kun? Was-?“ „Shhh“, unterbrach er ihn leise, da er sein Gesicht in den weichen Haaren des Anderen mehr und mehr vergrub. „Lass mich dich bitte für ein paar Momente halten. Es... tut mir gerade so gut.“ Auch, weil er froh über dessen Anwesenheit war und wieder mit ihm sprach, wie er es sonst auch tat. Still ergab sich Hideto seinem Schicksal. Es war die Bitte eines Gottes. Wie könnte er sich da nur erdreisten zu widersprechen? Außerdem... tat es ihm ebenfalls gut. So fest in Camuis Armen zu sein, gab ihm das Gefühl, dass ihm nichts auf der Welt jetzt noch etwas anhaben konnte. Die Augen schließend schmiegte er sich an den anderen Mann. Unter seiner Hand konnte er dessen Herzschlag spüren. Er wusste gar nicht, dass Götter auch einen hatten. Oder waren sie alle im Irrtum und Camui war doch nur ein einfacher Mensch? 'Durch die vielen Wiedergeburten hat er seine Erinnerungen verloren', spukte ihm durch den Kopf. Diese Geschichte schaffte es wirklich immer wieder einen Weg in ihre Gedanken zu finden. Nur, weil der Gott darin den gleichen Namen, wie sein Mitbewohner hatte. Er wollte aber auch gar nicht, dass Camui ein Gott war. Denn dann würde er jemanden verlieren, den er sehr gerne und mit dem er sich seit langer Zeit nicht mehr so alleine in dem Schrein gefühlt hatte. „Sind die Schmerzen noch schlimm?“, erkundigte er sich, fühlte aber den ruhigen Herzschlag unter seiner Hand. „Nein“, antwortete der Größere ihm flüsternd, „sie sind nämlich weg.“ „Wirklich?“ Hideto merkte, wie der Größere nickte. „Das sind gute Nachrichten.“   „Kein Wunder, dass ich bei diesem Mann nie sehen konnte, wen ich zu ihm schicken sollte.“ Skeptisch sah der Fuchs zu der großen Erscheinung neben sich. „Wie darf ich das verstehen, Aizen Myoo-dono?“, fragte er den Gott neben sich verwirrt. Dieser musste lachen, ehe er sich erklärte: „Ich kann bei jedem Menschen, auf den ich mich konzentriere, ein Band sehen, welches ihn mit der Person verbindet, die das Schicksal für ihn oder sie vorher bestimmt hat. Und seit dieser Mensch in das irdische Leben von Camui-kun getreten ist, habe ich mir aus reiner Neugier erlaubt einmal nachzuschauen. Doch sein Band verlief im Nichts. Bis jetzt jedenfalls. Denn ich sehe, wie sich das Ende Camui-kuns Herzen zuwendet.“ „Aber das würde ja heißen...!“ „Ja, ganz recht. Das würde es.“ Nachdenklich sah das Tier wieder zu den beiden Männern. „Könnte es sein, dass es das ist, was er sucht? Die Person am Ende seines Fadens? Wenn das die Lösung ist, um seine Erinnerungen zu wecken, dann...“   „Wir... sollten langsam zurück kehren. Die Nächte sind immer noch recht kalt, findest du nicht?“ „Schon“, stimmte der Größere zu, der die Kälte auch allmählich in seine Glieder eindringen spürte. Genauso wie er merkte, dass sein Retter angefangen hatte zu zittern. Es wurde wohl wirklich Zeit. Er lockerte seinen Griff, damit dieser aufstehen konnte, zögerte allerdings es ihm gleich zu tun. „Hideto-kun?“ „Hai?“ „Wenn ich... wirklich das bin, was... Wenn ich wirklich ein Gott sein sollte, was erwartet mich dann?“ Es war vielleicht nicht die wichtigste Frage von allen, aber irgendwo musste er ja anfangen. „Hm, lass mich überlegen.“ Während er nachdachte zog er den Größeren auf die Beine. „Auf jeden Fall wirst du ein Leben führen, welches dein bisheriges um ein Vielfaches in den Schatten stellt.“ Dessen Hand behielt er in seiner, als sie sich auf den Rückweg machten. „Du müsstest keine Krankheiten mehr fürchten.“ Auf der Suche nach Wärme, drückte er die Hand in seiner noch ein wenig fester. „Um nichts müsstest du dir Sorgen machen, weil alles auf deinen Wunsch hin erfüllt werden würde.“ Fest klammerte sich Camui an die Hand, die seine hielt. Er wollte nicht von hier weg. Wegen Hideto. „Das.. mag ja alles wunderbar und erstrebenswert sein, aber wenn ich mein Leben, wie es jetzt ist, mag? Wenn ich es gar nicht mehr anders haben will?“ Seufzend setzte er einen Fuß vor den anderen. „Ich will das alles nicht. Es macht mir Angst. Zudem kann ich nicht einmal selbst daran glauben. Und das sollte ich doch, wenn es die Wahrheit wäre.“ Beschämt richtete der Kleinere seinen Blick nach unten. „Ich muss gestehen...Dass ich mir wünschte, du würdest nur ein einfacher Mensch sein.“ „Nande?“ Das überraschte den Mann mit den blauen Augen doch etwas. „Weil du als Mensch einfach bei mir bleiben könntest. Es würde sich nichts ändern.“ Verlegen klammerte er sich an den Arm des vermeintlichen Gottes. Ihm doch egal, dass sich das vielleicht nicht gehörte. Er wollte nur noch ein wenig von dessen Nähe spüren. „Das.. Das fände ich schön.“ Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, bis sie in der Ferne die Umrisse des Torii ausmachen konnte. „Hideto-kun?“ „Hm?“ „Bevor wir durch das Tor schreiten, darf ich dich etwas fragen?“ Zum Ende seines Satzes war er stehen geblieben, sah seinen Begleiter nun an. „Das tust du doch schon.“ Nun musste er ein wenig Schmunzeln. Schnell aber wurde er wieder ernst, denn was er fragen wollte, konnte für sein Gegenüber nicht leicht zu erfüllen sein. „Können wir vielleicht einfach so weiter machen, wie bisher? So tun, als wäre dieses Kind nie hier gewesen und hätte das alles nie behauptet?“ „Ich weiß nicht“, murmelte er unsicher. Ging das denn so einfach? Nachher waren die anderen Götter noch böse auf sie deswegen. „Ich bitte dich als meinen Freund.“ „Freund?“ Noch nie war er von jemandem als solcher bezeichnet worden. Mit großen, vor Freude auch ein wenig glänzenden Augen, sah er zu dem anderen hoch, dessen Gesicht er leider nur schemenhaft erkennen konnte. „Meinst du das ernst?“ „Natürlich. Für mich bist du einer. Zumindest fühlt es sich für mich so an. Wobei ich gestehen muss, dass ich da keine Erfahrung habe. Wo ich doch noch nie jemandem so vertrauen konnte wie dir“, gestand er und wurde doch ein wenig verlegen. „Oder ist dir das unangenehm?“ „Nein, nein“, widersprach Hideto sofort und hob abwehrend die Hände. „Es ist nur... du hast mich noch nie so genannt. Deshalb war ich gerade etwas überrascht.“ „Oh, stimmt. Hab ich wirklich noch nicht. Darf ich denn?“ „Uhm.. ja, natürlich darfst du.“ Verlegen lachte er etwas. „Dann würde ich dich auch gerne in Zukunft als Freund bezeichnen.“ „Das würde mich sehr freuen.“ Kurz herrschte eine doch etwas verlegene Stille zwischen ihnen. Insgeheim freuten sie sich jedoch darüber endlich einen Freund gewonnen zu haben. „Ah.. Anô... Erfüllst du mir nun meine Bitte?“ Flehend sah er zu dem Jüngeren, welcher das zwar bei der Dunkelheit nicht erkennen konnte, aber versuchen konnte man es ja. „Würdest du mich weiterhin behandeln wie einen ganz normalen Menschen?“ Hideto steckte in einer Zwickmühle. Wäre Camui wirklich ein Gott, dann musste er sich ihm gegenüber auch so verhalten. Sonst wären die anderen Götter bestimmt böse auf ihn. Das konnte er sich, auch des Schreins wegen, nicht erlauben. Andererseits jedoch... Er würde dem Wunsch eines höheren Wesens nachkommen. Das konnte er doch nicht verwehren. Und wenn sich herausstellen würde, dass all diese Gedanken unnötig gewesen waren, so hätte er keinen Frevel begangen. Also doch keine Zwickmühle. Derweil war Camui ein wenig nervös geworden, weshalb er von einem Bein aufs anderen trat. „Und?“ „Also gut“, sagte der Kleinere endlich und lächelte. „Ich erfülle dir deine Bitte.“ „Ich danke dir“, meinte der Blauäugige freudig. „Ich danke dir vielmals.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)