Der letzte Raubzug von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 17: Dein Leuchten ------------------------- Es war spät in der Nacht -oder früher Morgen?- und während sich Hideto bereits schlafen gelegt hatte, saß Camui in einem der Obstbäume und starrte in den Himmel, wo immer Mal wieder Sterne durch die Wolkendecke blitzten. Für ihn war an Schlaf noch lange nicht zu denken. So viele Dinge, die durch seinen Kopf schwirrten und ihm schwindelig werden ließen. So viele Fragen sehnten sich nach Antworten. Seit er hier her gekommen war, passierten Dinge, die er sich nicht erklären konnte. Angefangen bei den Stimmen, die er hörte, über die Verfärbung seiner Augen und dem seltsamen, teuren Geschenk, bis hin zu dem kleinen Mädchen vor einigen Stunden. Vielleicht irrte sie sich auch und er war kein Gott, sondern ein Dämon. Seufzend strich er sich über seinen steif gewordenen Nacken. In dieser Hinsicht war sein altes Leben wesentlich unkomplizierter. Warum gab es denn niemanden, der ihm sagen konnte, was los war? Als Strafe für all die schlechten Dinge, die er getan hatte, war es dann doch zu albern. Ein Geräusch ließ ihn aufschrecken und nach unten sehen. Im Schein eines Lampions erspähte er, wie sich etwas unterhalb von bewegte. 'Sein' Fuchs, wie er nach genauerem Hinsehen erkannte. „Hast du mich erschrocken.“ Der war wohl auf Futtersuche. Aber Antworten würde er ihm auch keine geben können. Seufzend richtete er seinen Blick wieder gen Himmel, zu den Sternen. 'Aber der Gott der Musik wollte unbedingt auf die Erde.' Wie oft war ihm diese Geschichte durch den Kopf geschwirrt? Konnte sie vielleicht doch etwas mit ihm zu tun haben? So musikalisch war er aber nicht. Zumindest nicht, wenn er wirklich etwas anderes als ein Mensch sein sollte. Nein, er war kein Gott. Er war kein Gott! Es war nur ein dummer Zufall, dass er den selben Namen trug. Er war kein Gott. Er war nicht dieser- „Camui-kun?“ Selbiger zuckte so stark zusammen, dass er das Gleichgewicht kurzzeitig verlor, konnte sich aber zu seinem Glück gerade noch an einem nahen gelegenen, dickeren Ast festhalten. „Camui-kun? Daijoubudesuka?“ Besorgt trat Hideto näher an den Baum heran, hatte den Drang dem Anderen dort oben in irgendeiner Form zu helfen. „H-hai. Daijoubu.“ Dabei war ihm das Herz fast in die Hose gerutscht. Langsam und vorsichtig richtete er sich wieder auf. Der Kleinere hatte wirklich ein unsagbares Talent dafür ihn zu erschrecken. „Komm doch bitte da runter, bevor du dir weh tust.“ Mit einem Seufzen versuchte der Mann mit den braunen Augen sein Herz zu beruhigen. „Willst du nicht endlich schlafen kommen? Du musst doch müde sein nach so einem langen Tag.“ „Ich fürchte“, gestand Camui, „ich kann einfach noch nicht schlafen. Mein Körper mag müde sein, aber mein Geist ist von all den Fragen in meinem Kopf so verwirrt, so wach, dass ich nicht zur Ruhe kommen würde, selbst wenn ich wollte.“ „Magst du nicht trotzdem von dem Baum runter kommen? Bevor du doch noch einschläfst und wirklich fällst.“ Flehend sah er nach oben. Camui gab sich geschlagen. Sein Retter sah so besorgt aus, dass er ihm nicht widersprechen konnte. Also machte er sich wieder an den Abstieg, wobei ihm der Kleinere eifrig mit seiner Laterne leuchtete, damit er sicheren Halt fand. Kaum hatte er sicheren Boden unter den Füßen, bekam er von Hideto dessen Decke umgelegt. Sein warmes Lächeln kam jedoch ins stocken, als er von dem Größeren angesehen wurde. „Warum hast du denn geweint?“ Behutsam strich er ihm die nassen Pfade von den Wangen. „Ich weiß es nicht“, flüsterte der Andere und schien etwas neben sich zu stehen. Dafür schmiegte er sich etwas in die warme Hand, die über seine Haut streichelte. Wie kam es eigentlich, dass er sich bei ihm immer so wohl und vor allem geborgen fühlte? Jedes Mal, wenn er das Gefühl hatte, dass alles aus den Fugen geriet, reichte eine Berührung von ihm und die Welt wirkte wie bei den ersten Sonnenstrahlen nach einem dunklen Gewitter. Eine bewundernswerte Gabe, wie Camui fand. Auf jeden Fall eine angenehmere, als das andere Talent. Sanft legte er seine Hand, auf die in seinem Gesicht, damit er ihre Wärme noch ein wenig länger spüren konnte. „Geht es wieder?“ „Ja“, hauchte er, hatte seine Augen aber immer noch genießend geschlossen. „Komm mit rein. Dort ist es wärmer.“ Mit dem Vorschlag einverstanden, nickte er langsam, machte aber keine Anstalten sich auch zu bewegen. Viel zu sehr genoss er das gerade. „Warum wehrst du dich so dagegen?“ Geschockt öffnete er die Augen. Das gerade war die Stimme der leuchtenden Frau gewesen. Dessen war er sich sicher. „Was hast du?“ „N-Nichts“, wehrte er ab, wollte dem Anderen nicht noch mehr Sorgen bereiten. Fragend legte Hideto seinen Kopf schief. Man sah ihm an, dass er gerne nachhaken wollte. Doch dem würde er zuvor kommen. Er entfernte die Hand von seiner Wange, ergriff sie aber mit seiner anderen Hand, um den Kontakt zu bewahren. Schweigend, aber mit einem Lächeln zog er den kleineren Japaner mit sich auf das Gebäude zu. Als er die Türen hinter ihnen wieder schloss, konnte er die Augen des Fuchses im Licht blitzen sehen, wie sie ihn anstarrten. Gleich darauf hörte er noch einen missfallenden Laut von dem Tier, bei dem ihm ein Schauer über den Rücken lief.   Die Woche darauf verbrachte Camui zumeist damit in den Himmel zu starren, stets in der Hoffnung, dass er antworten finden würde. Zwar tat Hideto, was er konnte, aber auch er schaffte es nicht, die Lethargie vollständig aus dem Blauäugigen zu bekommen. Den üblichen Schreinpflichten ging er deshalb weites gehend alleine nach. Gerade leerte er den Opferstock, der jetzt zu Beginn des Jahres immer gut gefüllt war, als er von einem Mann angesprochen wurde. „Sumimasen“, sagte dieser und verbeugte sich höflich. „Ich suche den Mann, der meiner Tochter vor einigen Tagen einen Talisman für Gesundheit verkauft hat.“ Hideto, der die Geste erwiderte, grübelte. „In den letzten Tagen haben hier viele Menschen derartige Glücksbringer gekauft.“ „Das ist er nicht, Chichi.“ Ein Mädchen war hinter dem Bauern aufgetaucht und zupfte jenem leicht am Ärmel. „Der Mann, von dem ich dir erzählt hatte, hatte doch blaue Augen.“ „Blaue Augen? Dann meint ihr sicherlich Camui-san.“ Jetzt erkannte er auch das Kind wieder. „Ich bringe euch zu ihm.“ „A-Arigatou“, bedankte sich der Mann, der ganz offensichtlich eher zu den Bauern gehörte, und ergriff die Hand seiner Tochter, ehe er dem Priester folgte, welcher sie in den hinteren Teil des Grundstücks führte. Hier fanden sie auch den Mann mit den blauen Augen, welche glasig in die Ferne starrten. Schon vor einigen Stunden hatte ihm Hideto eine Decke um die Schultern gelegt, aber seitdem hatte er sich nicht das kleinste bisschen bewegt. „Camui-kun? Du hast Besuch.“ Langsam schritt der Kleinere auf seinen Mitbewohner zu, damit sich jener nicht allzu sehr erschreckte, wenn er aus seiner Trance erwachte. „Camui-kun, wach auf. Hier ist jemand, der dich sprechen möchte.“ Er stellte sich nun genau in das Blickfeld des Größeren, in der Hoffnung, dass jener ihn endlich wahrnahm. „Camui?“, hauchte er besorgt und legte seine Hände an die Wangen des Anderen. Wenige Augenblicke später fing jener an zu blinzeln und seine Augen klärten sich. „Hideto-kun?“ „Da bist du ja wieder.“ Lächelnd strich er ihm über das Gesicht, freute sich wirklich, dass er erkannt worden war. „Du hast Besuch.“ Er tat einen Schritt zur Seite, um so den Blick auf den Mann und das Kind frei. „Das ist er, Chichi“, raunte das Mädchen ihrem Vater zu, sah aber mit ehrfürchtigem Blick zu dem Mann, den sie 'Gott' genannt hatte. Nach einem Moment der Verwunderung und des Zögerns -war jeder Besuch, den er in letzter Zeit bekommen hatte ein recht merkwürdiger gewesen- erkannte auch Camui das Kind wieder. Vorsichtig fragte er: „Was kann ich für euch tun?“ Um nicht unhöflich zu wirken, erhob er sich und wollte einen Schritt auf die beiden zu machen, als sie sich auch schon zu Boden warfen. „Ich danke Euch, Kami-sama. Nur dank Eures Segens bin ich dem Tode entkommen und kann mich weiterhin um meine Familie kümmern.“   „Hast du das Mädchen dort hin geführt?“ Aus dem Fuchs wurde wieder ein Gott, sobald die Besitzerin der Stimme neben ihm stand. Trotz seiner menschlichen, hoch gewachsenen Gestalt, die sehr hübsch war, wiesen seine Gesichtszüge immer noch Ähnlichkeiten mit dem Tier auf, in welches er sich so gerne verwandelte. „Ja, habe ich. Seid doch froh, dass ich mich daran erinnert habe, dass es sie und ihre Gabe gibt.“ Für diesen Spruch bekam er von der Frau einen versucht bösen Seitenblick zugeworfen. „Achte auf deine Wortwahl! In deiner Position solltest du dir das eigentlich gar nicht erlauben.“ „Nun seid doch nicht so streng. Ihr seid mir doch nur böse, weil mir diese Idee zuerst gekommen ist. Dabei habt Ihr selbst sie mit dieser Gabe ausgestattet. So, wie einige andere Kinder auch. In der Hoffnung, dass wir ihn schneller finden.“ Sie holte gefährlich tief Luft. „Du nimmst dir eindeutig zu viel raus. Hoffe lieber, dass dein schöner Plan auch funktioniert, sonst wirst du für diesen unverschämten Ton richtig leiden müssen.“ „Warum sollte er nicht?“, stellte er ungerührt die Gegenfrage. „Im Grunde können wir das Bankett für seine Rückkehr getrost vorbereiten.“ „Freue dich nicht zu früh. Noch hat er seine Erinnerungen nicht wieder.“ Schmollend sah der Fuchsgott ihr hinterher, als sie ging. „Für die Göttin der Sonne seid Ihr reichlich pessimistisch.“   Unverständlich, doch auch panisch sah Camui die beiden Menschen vor sich an. Warum nannte dieser Mann ihn nun ebenfalls so? „Ste-Steht doch bitte wieder auf. Ich... Ich bin kein Gott“, stammelte er. In ihm stieg die Panik und löste ein beklemmendes Gefühl aus, das ihm so gar nicht gefiel. „Es ist sicherlich nicht mein Verdienst. Wenn, dann müsst ihr euch bei Hideto-kun für seine Segnung bedanken.“ „Iie, Kami-sama.“ Camuis Augen schnellten zu dem Mädchen. „Ich habe die Gabe, die Auren von Menschen zu sehen“, begann sie zu erklären und richtete sich etwas auf. Hielt ihren Blick aber weiterhin gesenkt. „Normale Menschen, wie mein Vater und ich leuchten in einem schwachen blau. Menschen, die etwas großartiges vollbracht haben oder werden, schimmern grünlich. Diejenigen, die in Tempeln, Schreinen oder dergleichen leben haben in ihrer Aura ein wenig gelb.“ „Nani? Was erzählst du da Kind? Auren. Leuchten. Das ist doch-“ „Das ist meine Gabe, Kami-sama. Eine Gabe, die mir die Göttin Amaterasu selbst gab, als ich noch jünger war. Darum kann ich auch dein Leuchten sehen. Es ist nicht so hell, wie ihres damals, aber es weißt dich eindeutig als das aus, was du bist, Kami-sama.“ Sie hatte bei ihm zwar auch ein schwaches blau festgestellt, aber woran das lag konnte sie sich durch das Verhalten dieses Wesens erklären. Derweil suchte der Größte unter ihnen verzweifelt nach Worten. Nervös drehte er sich zu Hideto um, hoffte, dass jener ihm helfen konnte. Ganz dringend brauchte er jetzt dessen beruhigende Berührung. Was er jedoch bei ihm sah, war dieselbe Unsicherheit, die er selbst fühlte. Von oben bis unten musterte der Andere ihn, dann verschwand dieser Ausdruck mit einem Mal und wich dem der Erkenntnis. Das war gut. So wusste wohl zumindest einer von ihnen, was hier vor sich ging. Gerade als er ihn bitten wollte, sein Wissen zu teilen, musste er geschockt mit ansehen, wie sich der Kleinere ebenfalls langsam auf die Knie begab. „Hi-Hideto-kun? Was machst du da?“ Er stürzte auf ihn zu, packte ihn an den Oberarmen. „Steh wieder auf. Bitte, steh wieder auf. Was machst du denn da?“ Widerwillig richtete sich der Schreinpriester etwas auf, behielt aber den Kopf gesenkt, da es sich nicht gehörte ein höheres Wesen so direkt anzuschauen. „Warum tust du das?“, hörte er ihn fragen. „Weil ich dem Kind glaube. Und weil es Sinn macht. Eure Augen. Eure rasche Heilung damals. Eure Träume. Und die Stimmen, die Ihr immer wieder hört, sind bestimmt die der anderen Götter.“ Als wenn ihm jemand den Boden unter den Füßen weggerissen hätte und er einfach nur noch fiel, so fühlte sich der blauäugige Japaner nun. Entsetzt starrte er auf das gesenkte Haupt Hidetos. Wieso machte dieser ihn nun auch zu Etwas, dass er doch gar nicht war? Und dieses höfliche Gerede... Es machte ihn krank, den Anderen so reden zu hören. Es baute eine Distanz zwischen ihnen auf, die er nicht haben wollte. Mit Hideto hatte er das erste Mal in seinem Leben eine Person gefunden, der er hatte vertrauen können. Bei der er sich hatte fallen lassen können. Und jetzt kam einfach ein Kind daher, behauptete, es könne die Auren von Menschen sehen und er wäre ein Gott. Was für ein ausgemachter Blödsinn. Blödsinn, wegen dem er alles, was er nun hatte, verlieren würde. „Nein!“, brüllte er und krallte seine Finger fest in die Arme, die er hielt. „Es gibt bestimmt noch andere Gründe auf dieser Welt, warum meine Verletzungen so schnell heilen. Warum ich diese Stimmen höre und warum ich diese Augen bekommen habe. Aber doch nicht der, dass ein Kind hier her kommt und uns eine Geschichte für wahr erklären will, die so unglaublich klingt.“ Camui war den Tränen nahe. Hideto sollte ihn ansehen. Ihn anlächeln und sagen, dass alles wieder gut werden würde. Aber das tat er nicht. Und er würde es wohl nie wieder tun. „Wieso glaubst du ihr?“, schrie er. In ihm stieg Wut auf. Wut auf Hideto, auf das Kind und auf die ganze Welt. „Verdammt! Wäre ich ein Gott, dann wäre ich doch nie ein Dieb gewesen! Dann müsste ich mich doch daran erinnern!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)