Der letzte Raubzug von Cookie-Hunter ================================================================================ Kapitel 16: Manchmal sind es die kleinen Dinge, die die Welt verändern ---------------------------------------------------------------------- Eifrig damit beschäftigt den Schrein für den Beginn des neuen Jahres und den dazugehörigen Feierlichkeiten herzurichten, sah man die beiden Männer in den verschiedenen Ecken des Geländes Lampions aufhängen, Schnee weg fegen und alles noch mal schön herrichten. Mit Einbruch der Dunkelheit würden sie alle Kerzen entzünden, damit die Menschen auch zu ihnen fanden. Während den Feierlichkeiten würden sie dann hier auf dem Hof stehen und ihre Talismane an die Leute verkaufen. „Das war die letzte Laterne.“ Zufrieden ging Camui ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk. Das konnte sich doch sehen lassen. „Bist du fertig, Camui-kun?“ „Hai. Und du?“ „Auch. Wollen wir dann reingehen und uns stärken, bevor unsere Besucher kommen?“ Immerhin würden sie bis spät in die Nacht beschäftigt sein. Zwischendurch einfach in den Wohnraum gehen und in Ruhe essen wäre nicht mehr drin. „Gerne.“ In der Dämmerung entzündeten sie dann gemeinsam die Kerzen rund herum. Die ersten Besucher trafen auch bereits ein, welche sie natürlich respektvoll begrüßten. „Camui-kun? Würdest du bitte die Körbe mit den Talismanen holen? Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um die letzten Lichter.“ „Hai.“ Sofort machte sich der größere Japaner auf den Weg in den hinteren Bereich. Ein wenig nervös war er schon. Noch nie hatte er ein Neujahrsfest von dieser Seite aus erlebt. Der fröhlichen. Wie viele Glücksbringer er wohl verkaufen konnte? Hoffentlich machte er keine Fehler. Hideto war zwar so freundlich gewesen mit ihm in den letzten Tagen ein paar Grundlegende Dinge über das Rechnen beizubringen, damit er dieser Aufgabe nachgehen konnte. Dennoch ließ es sich nicht vermeiden, dass er am ganzen Körper zitterte. Im Wohnraum angekommen, verharrte er einen Moment. Er musste sich beruhigen. Sonst würde er erst recht Fehler machen. Sorgfältig kontrollierte er noch einmal den Sitz seines Kimono. Er hatte den aus der Schachtel angezogen. Zusammen mit dem Obi. Schließlich wurde heute das neue Jahr begrüßt. Zu diesem Anlass konnte man sich schon mal ein wenig herausputzen. Seufzend sah er nach oben. „Gebt mir bitte Kraft für heute Nacht.“ Vielleicht half es ja was. Camui bückte sich und griff nach den Körben. In jeder Hand einen trat er den Rückweg an und zurück auf dem Vorplatz ging es auch gleich zu Hideto. „Dozo“, sagte er und hielt dem Kleineren einen der beiden hin. „Ah, Domo.“ Lächelnd nahm der Priester Camui etwas von seiner Last ab, wurde aber gleich ein wenig besorgt. „Was ist los? Du zitterst ja.“ Verlegen fing der Blauäugige an, sich am Hinterkopf zu kratzen. „Nur ein bisschen nervös. Das ist alles.“ Aufmunternd wurde er mit der Schulter angestupst. „Bleib fürs Erste einfach in meiner Nähe. Bis du nicht mehr nervös bist.“ Einige Zeit später war Camui schon weitaus ruhiger, wenngleich die Kundschaft immer mehr wurde. Das mit dem Rechnen war auch nicht so schwer. Für gerade mal 50 Yen fand jeder kleine Beutel einen neuen Besitzer, dem er mit seinem Inhalt Hilfe für das neue Jahr versprach. Mit manchen Menschen unterhielt er sich auch ein wenig, merkte gar nicht, dass er und Hideto schon recht weit auseinander standen. Die Unterhaltungen waren für ihn noch immer ungewohnt, sprach er doch in erster Linie mit seinem Lebensretter, als mit anderen Menschen. Alle waren jedoch sehr freundlich. Wenn auch zum Teil etwas zurückhaltend, nach einem Blick in sein Gesicht. Ein Verhalten, welches der doch recht große Japaner auf die Farbe seiner Augen zurückführte. Ein leichtes Zupfen an seinem Ärmel ließ ihn irritiert nach unten sehen, wo er in die schüchternen Augen eines kleinen Mädchens blickte. Mit einem sanften Lächeln kniete er sich hin, um besser mit ihr reden zu können. „Konbanwa. Na? Was kann ich für dich tun?“ Für einen Moment starrte sie ihn einfach nur mit großen Augen an. Eine Reaktion, die er bereits zur genüge kannte, weshalb er einfach wartete, ob sie nicht doch noch das sprechen anfing. „Ich“, begann sie dann zögerlich, „hätte gerne einen Talisman.“ „Gerne doch. Welcher soll es denn sein? Einer für Glück?“ Suchend sah er schon mal in seinen Korb und hielt Ausschau nach einem lilanen Band. „Für Gesundheit bitte.“ „Wie du wünschst.“ Camui griff nach einem Beutel mit einem grünen Band. „ Bitte sehr.“ „Kannst du es noch segnen?“, fragte sie. „Nani?“ Was sollte die Frage? „Segne es bitte. Dann wirkt der Talisman bestimmt noch besser.“ Sie hielt den Glücksbringer fest in ihren, von Arbeit gezeichneten, kleinen Händen, hielt ihn mit flehendem Blick dem Erwachsenen ihr gegenüber entgegen. „Die sind alle bereits gesegnet worden“, erklärte Camui verwirrt. „Heute Mittag erst von-“ „Aber“, unterbrach die Kleine ihn, „du bist ein Gott. Wenn du es segnest, dann wird mein Papa viel schneller gesund.“ Sprachlos und völlig überfordert starrte er das Kind an. „Bitte, Kami-sama.“ Flehend sah sie ihn mit großen, traurigen Augen an. „Mein Papa ist sehr krank. Mit einem von dir gesegneten Talisman wird er ganz sicher wieder gesund.“ Eine erste Träne löste sich und lief über ihre Wange. „Onegai.“ Um sie beide herum waren immer mehr Menschen stehen geblieben und starrten sie verwundert an, was Camui reichlich nervös werden ließ. Was machte er denn jetzt? Sie würde nicht locker lassen, das hatte er im Gefühl. Zitternd er ihr den kleinen Beutel ab, führte ihn an seine Lippen, weil er nicht wusste, was er sonst machen sollte und flüsterte: „Nimm alles Schlechte von dem Vater dieses Mädchens, damit er wieder gesund wird.“ Unsicher küsste er den kleinen Gegenstand, wusste nicht, was er sonst hätte tun sollen. Mit zittrigen Händen reichte er den Talisman an das Kind weiter, dessen Augen vor Freude strahlten. Den kleinen Gegenstand fest an sich gedrückt verbeugte sie sich tief vor ihm. „Domo arigatô gozaimasu Kami-sama.“ „Scho-schon gut. Gern.. geschehen..“, stammelte der Blauäugige. Sie reichte ihm ihre Münzen, verbeugte sich noch einige Male, während sie sich rückwärts entfernte, nur um nach einem angemessenen Abstand Richtung Heimat zu laufen. Ganz offensichtlich wollte sie den Glücksbringer so schnell wie möglich Heim bringen, in der Hoffnung, er würde wirklich besser wirken, weil er irgendetwas gesagt hatte. Dabei hatte er womöglich gerade die Wirkung von Hideto-kuns Segnung aufgehoben. Warum hatte er das eigentlich getan? Er war nur ein einfacher Mann. Kein Priester mit einem guten Draht zu den Göttern. Geschweige denn ein Gott! Warum die Kleine das wohl gedacht hatte? Vielleicht wegen seiner andersartigen Augen? Wenn er sie doch nur nicht hätte. Erst jetzt bemerkte er, wie ihn die Menschen, die hier auf dem Platz versammelt waren, begafften und ungeniert tuschelten. Den Blick beschämt zu Boden gerichtet, stand er wieder auf. Diese Situation war ihm unangenehm. Ihm war, als würden sie ihm gerade in die Seele sehen können und wüssten von all den hässlichen Dingen, die er in seiner Vergangenheit getan oder erlebt hatte. Langsam ging er ein paar Schritte rückwärts, fühlte sich aber mit jedem einzelnen nur noch unwohler. Er musste weg von diesen Blicken. Musste für ein paar Momente allein sein. Schnellen Schrittes eilte er auf die nächste Hausecke zu, die Schutz vor den unangenehmen Blicken versprach. Schwer atmend stützte er sich an der Hauswand ab. Sein ganzer Leib zitterte und immer noch hatte er das Gefühl, dass er beobachtet wurde. Plötzlich jagte eine Welle des Schmerzes durch seinen Kopf, die ihn in die Knie zwang. Ihm erschienen Bilder. Bilder, wie er selbst die Stirn oder die Hand von irgendwelchen Leuten berührte, deren Gesichter er nicht kannte. Und obwohl sich ihre Augen weiteten und ihre Mimik Freude zeigte, schienen sie ihn nicht wahrzunehmen. Dafür fingen sie an auf ihren Instrumenten zu spielen oder zu singen. Aber es waren so viele. So unglaublich viele Menschen. Wer waren all diese Personen nur? Und warum berührte er sie? „Wer oder was bin ich?“, fragte er sich und zweifelte wieder einmal an seinem Verstand. „Wehre dich nicht gegen deine Erinnerungen.“ Erschrocken drehte er sich herum, aber außer Dunkelheit, Schnee und ein paar Pflanzen konnte er in seiner unmittelbaren Umgebung niemanden ausmachen. Um sich selbst zu beruhigen atmete er bewusst mehrere Male tief ein und aus, auf dass sein nervöses Herz langsamer wurde. Die Stimme gerade. Ihr Klag war so vertraut gewesen. Wie die von... der leuchtenden Frau. Ja, genau. Der erhabenen, schönen Frau aus seinem Traum vor einer Weile. Aber was machte ihn da so sicher? Wo er sie weder kannte, noch jemals in den Genuss ihrer Stimme gekommen war? „Was, bei allen Göttern, ging hier nur vor sich?“ Die Augen voller Sorge schaute Hideto zum wiederholten Mal in die Richtung, in die sein Helfer verschwunden war. Wenn hier nicht noch so viele Besucher wären, die alle mit ihm reden oder ihren persönlichen Glücksbringer erwerben wollten, dann wäre er ihm schon längst gefolgt. Ihm war das Gespräch zwischen dem Kind und dem Anderen natürlich nicht entgangen. Warum das Kind Camui als Gott angesprochen hatte, lag sicherlich an dessen Augenfarbe. Woher sollte die Kleine auch wissen, dass sie kein Zeichen von Göttlichkeit waren? Warum aber hatte er sich so panisch zurück gezogen? Machten ihm die die Blicke der Menschen immer noch so viel aus? Er hatte einem Kind einen Gefallen getan. Da war doch nichts Schlimmes bei, wie er fand. Dennoch sollte er bald mal nach ihm sehen, wenn es etwas ruhiger wurde. Sein Gefühl sagte ihm, dass der Größere Beistand gebrauchen konnte. „Finden Sie es nicht anmaßend von dem jungen Mann, den Sie aufgenommen haben, sich als Gott auszugeben?“ Hideto musste seufzen. „Tut mir Leid, nein. Er wollte nur nett zu dem Kind sein. Mit keiner Silbe hat er von sich aus behauptet ein Gott zu sein. Camui-san hat es nur gut gemeint.“ Auf den Anderen ließ er nichts kommen. Seine Vergangenheit mochte eine dunkle sein. Sein Leben jetzt dagegen war ein friedliches, gutes. Es gab da nur diese Momente, in denen auch er ins Grübeln kam. Immer dann, wenn Camui ihm von den Stimmen und den seltsamen Träumen erzählte. Jedoch musste es auch dafür einen guten Grund geben. Eine ganze Weile noch sprach der Herr des Schreins mit den Leuten, verkaufte noch den ein oder anderen Talisman und wünschte jedem ein gutes, neues Jahr. Als er dann spürte, wie sich ihm eine vertraute Aura näherte, musste er erleichtert Lächeln. „Geht es dir wieder besser?“ Camui, der noch überlegt hatte, wie er sich bemerkbar machen sollte, zuckte ein wenig zusammen, bevor er sich verlegen in den Nacken griff. „Ein wenig. Aber ich kann dich die ganze Arbeit auch nicht alleine machen lassen“, nuschelte er schuldbewusst. „Schon gut.“ Mit seinem typischen, sanften Lächeln drehte sich der kleinere Japaner um und legte seinem Gegenüber mitfühlend eine Hand auf den Oberarm. „Magst du mir erzählen, was los war? Warum bist du verschwunden?“ Trotz des gesenkten Kopfes konnte er deutlich erkennen, dass sein Gegenüber aufgewühlt war und auch einige Tränen vergossen haben musste. „Weil... irgendwie...“, stammelte der Größere auf der Suche nach den passenden Worten. „Die Situation hat mich überfordert. Weiß auch nicht warum.“ „Das reicht mir schon als Antwort“, entgegnete Hideto und griff in Camuis Korb, um seinen eigenen Bestand ein wenig aufzustocken. Ein Knall zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und den Himmel über der Stadt. Wenige Sekunden später war der Nachthimmel bereits von einem prächtigen Feuerwerk erleuchtet. „Ein gutes, neues Jahr, Camui-kun. Mögen sich deine Wünsche erfüllen.“ Glücklich seufzend lehnte er sich sacht gegen den Größeren. „Danke, Hideto-kun“, kam es von dem Blauäugigen, der die Berührung sehr genoss. „Möge es auch für dich ein schönes, neues Jahr werden, in dem sich deine Wünsche und Träume erfüllen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)