Poisonous Berry von --Tsuki-- ================================================================================ Kapitel 4: Juis Rausch ---------------------- Unsere Gläser klirrten, als wir miteinander anstießen. Wir befanden uns im Star Cafe, einer gemütlichen Kneipe inmitten Shinjukus, die mit altbackenen Möbeln und einer Vielzahl verschiedener Plüschtiere ausgestattet war. Statt auf Stühlen zu sitzen, konnte man sich hier gemütlich auf Sofas fläzen. Meiner Meinung nach erschuf dies eine völlig andersartige, angenehmere Gesprächsatmosphäre und obendrein fiel es dann auch nicht so auf, wenn man nach und nach ein wenig näher an seine Begleitung heranrutschte. Ich setzte das kalte Glas an meine Lippen und nahm einen Schluck des Wodka-Cola-Gemischs, das die Zunge benetzte und dann angenehm kühl meine Kehle hinabrann. Toya tat es mir gleich, verzog dann aber sei Gesicht und schüttelte sich. „Boah, die Mischen in Tokyo haben es echt in sich!“, stellte er lachend fest. „Was ist das denn? Hälfte Wodka, Hälfte Cola?“ „Du bist wohl zu weich für die Metropole!“, entgegnete ich scherzhaft, woraufhin Toya mir seine ausgestreckte Zunge präsentierte. „… sagte der mit den pinken Haaren.“ „Männer mit pinken Haaren sind mutiger als die mit Schwarzen.“ „Du meinst wohl „tuntiger“.“ Nachdem er dieses Wortgefecht gewonnen und mich damit schachmatt gesetzt hatte, grinste Toya mir verzeihungsheischend zu, bevor er sich an einen weiteren Schluck wagte. Ich beobachtete ihn heimlich dabei, wie er leicht die vollen Lippen öffnete und für einen kurzen Moment die Augen schloss. Er war wirklich ein hübscher Typ. Vielleicht nicht hübscher als Jui, aber sie sahen sich auch überhaupt nicht ähnlich. Während Toya eine sonderbare Mischung aus Kindlichkeit und Coolness darstellte, wirkte Jui erwachsener, vor allem aber atemberaubend sexy. Ich versuchte, diese Gedanken sogleich wieder abzuschütteln, rutschte kaum merklich ein wenig dichter an den Schwarzhaarigen heran. Bei Jui hatte es damals auch auf diese Weise geklappt. „Wie auch immer, Jun-kun, ich werde mich dran gewöhnen müssen“, erzählte Toya schließlich, als er das Getränk wieder auf dem Tisch abstellte. Ich wittere gute Neuigkeiten und setzte mich schlagartig aufrecht hin, als könne ich ihm dann besser folgen. Noch ehe ich nachhaken konnte, wie er das genau meinte, beantwortete er mir diese unausgesprochene Frage bereits. „Ich habe mich entschlossen, nach Tokyo zu ziehen.“ Schlagartig wurde mein Grinsen breiter, während sich in mir die Gewissheit ausbreitete, dass es keinen größeren Glückspilz als mich geben konnte. Dass ich Jui heute mit Kirito erwischt hatte, musste eine Fügung des Schicksals sein! „Wirklich!? Das ist großartig!“, rief ich erfreut aus. Meine Hand legte sich dabei auf seinen Unterarm und ich spürte die Muskeln, die sich nach jahrelangem Gitarrenspiel genau dort ausprägten. Sein Blick huschte kurz dorthin, richtete sich dann aber wieder auf mein Gesicht. „Na ja, ehrlich gesagt gibt es in Yokohama kaum Aufträge für mich… hier sind meine Chancen einfach besser. Als Support und als Bandmitglied.“ Toya hatte sich in den letzten Jahren vor allem als Supportgitarrist zur Verfügung gestellt und bekam dadurch hin und wieder Aufträge, die ihm seine Agentur vermittelte. Ich hatte noch allzu gut im Ohr, wie er sich während seines Engagements bei Toshi with T-Earth über die schlecht bezahlten Auftritte aufregte. Es waren meistens eher kleine Veranstaltungen, auf denen er mit nicht mal halb so fortgeschrittenen Musikern auf der Bühne stand und Musik spielte, die ihn zu Tode langweilte. Ein Wunder, dass er es überhaupt so lange ausgehalten hatte. „Das stimmt! Darf ich dich buchen?“, fragte ich voller Begeisterung und merkte erst im nächsten Moment, wie merkwürdig das klang. „Klar, dafür sind Hosts doch da!“, antwortete er aber schlagfertig wie eh und je und brachte mich damit zum Lachen. „Setzt du diesen Abend etwa auch schon auf die Rechnung?“ „Jepp. Und anfassen kostet extra.“ Gespielt erschrocken löste ich meine Hand von seinem Arm und wir tranken weiter, bis sich unsere Gläser dem Ende neigten. Mittlerweile hatte er sich an den Geschmack gewöhnt und schaffte es, zu trinken, ohne das Gesicht zu verziehen. Als mein Handy, das auf dem Tisch lag, plötzlich aufleuchtete, überkam mich für einen Moment ein schlechtes Gewissen. Ich blickte auf das Bild meines Anrufers und sendete ihm dann mit einem Tastendruck ein Besetztzeichen, ehe ich mich wieder dem Gespräch mit Toya zuwandte. ~*~ Ich seufzte frustriert auf und schleuderte mein Telefon dann quer über den Boden, bis es gegen die Vitrine stieß und dort liegen blieb. Ich lag auf meinem Teppich, wie ein Seestern alle Viere von mir gestreckt und starrte die Decke an. Bis vor wenigen Minuten hatte ich noch auf der Couch gelegen, doch war ich irgendwann versehentlich heruntergerollt und einfach dort liegen geblieben. Genau genommen war ich zu lethargisch, um aufzustehen. Der Wein machte mich stets träge, beschwerte meinen Körper und verlangsamte meinen Geist immens. Jun, dieser Idiot… Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, in die ich mein Handy geworfen hatte und sah vier braune Pudelbeine daran vorbeigehen. „Hey, Atomu-kun! Bring’s Handy!“ Mein Hund beachtete meine Aufforderung nicht im Geringsten, kam stattdessen aber zu mir und legte sich neben mich, leckte mir übers Gesicht. „Lass das! Du bist nicht Jun…“ Ich seufzte erneut und ging schließlich dazu über, mich auf dem Rücken liegend über den Teppich zu ziehen, um zu meinem Telefon zu gelangen. Dass es bescheuert aussah und ich außerdem schneller gewesen wäre, wenn ich einfach aufgestanden wäre, war mir durchaus bewusst. Aber dies passte besser zu meiner schlechten Laune, zu meiner Depression, in der ich gerade badete und baden wollte. Ich blickte hoch zu meinem Laptop, der auf meinem Couchtisch stand und auf dem ich aus meiner Position heraus ein Standbild von Youtube sehen konnte. Zuletzt hatte ich mir neben zahlreichen Interviews die beiden Promotional Videos von Charlotte angesehen, um diesen Toya besser unter die Lupe nehmen zu können. Kurz bevor ich einen aggressiven Tweet an all meine Follower senden konnte, hatte ich allerdings zu meiner Weinflasche gegriffen. Das war immer noch besser, als wenn jeder meinen unprofessionellen Ausbruch jahrelang nachvollziehen konnte. Aber verdammt… der Typ sah wirklich gut aus! Und vor allem war er ziemlich groß… und jung. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Jun so jemanden mochte. Zumal die beiden schon einmal zusammengearbeitet hatten. Oh Gott, ob da auch schon was gelaufen war? Auf jeden Fall waren sie mir doch sehr vertraut vorgekommen. Und Jun hatte mich eiskalt versetzt. Doch das Schlimmste war, dass mein Lieblingsgitarrist jetzt wahrscheinlich glaubte, einen Freifahrtschein zu haben. Ich könnte mich immer noch dafür ohrfeigen, dass ich so blöd war, einen Anruf bei Kirito zu simulieren! Andererseits hätte Jun aber auch merken können, dass ich gar nicht wirklich telefonierte. Schließlich hatte Kiritos Zunge immer noch eine fiese Schwellung, als ich mich in Juns Garderobe befand. Endlich, einige weitere alkoholgetränkte Gedanken später, erreichten meine Fingerspitzen das schwarze Gehäuse des iPhones und zogen es langsam, aber effektiv an mich heran. Erneut wählte ich seine Nummer. Vielleicht konnte ich noch etwas retten. Vielleicht konnte ich mich da noch einklinken, bevor die beiden zusammen in die Kiste stiegen. Bei dieser Vorstellung erschauderte ich. Der einzige Trost, den ich mir selbst zusprechen konnte, war, dass niemand meiner Bekannten, die ich ausgefragt hatte, von irgendwelchen Bettgeschichten mit Toya berichten konnte. Das bedeutete zumindest, dass er kein Aufreißer war und Jun dann wenigstens nicht ausnutzte… Ich hörte das Freizeichen. Einmal, zweimal, … ~*~ Ich fühlte mich miserabel. Ich saß verkehrt herum auf dem Sessel, das Kinn auf meine verschränkten Arme gebettet, die auf der Rückenlehne ruhten und beobachtete die beiden Gitarristen. Sie passten perfekt zusammen. Ihr Gitarrenspiel, meine ich natürlich. Obwohl sie sich nicht abgestimmt hatten, sondern irgendetwas drauf los spielten, harmonierten sie vollkommen. Es war nicht zu übersehen, dass sie bereits eine Weile in einer Band gespielt hatten. Ich seufzte leise auf, fühlte mich fehl am Platz. Die beiden hatten so viel Spaß miteinander, lachten ständig über irgendwelche Sprüche und hampelten albern herum, während ich hier saß und mit dem Folgen meines Rausches zu kämpfen hatte. Es war gestern eben doch etwas zu viel Wein gewesen. Unglücklicherweise war ich heulend auf dem Teppich eingeschlafen, nachdem Jun meinen Anruf erneut weggedrückt hatte, sodass ich jetzt nicht nur bescheuert aussah, sondern auch noch einen Kater und Rückenschmerzen hatte. Das Schlimme war, dass Jun mich behandelte, als hätte ich ihn betrogen. Und das, obwohl ich Kirito doch nur geküsst hatte! Vielleicht ein wenig intensiver geküsst, aber mehr auch nicht. Ich hatte ihn ja gestern nicht einmal getroffen. Verdammt, ich hätte es doch tun sollen… Hätte mich mit Kirito treffen sollen, damit wir dort weitermachen konnten, wo wir in der Garderobe aufgehört hatten. Dann hätte ich zumindest eine heiße Nacht ohne Geheule und dafür in einem weichen Bett gehabt. Und Juns Verhalten wäre dann sogar berechtigt! Ein jäher Lärm durchbrach das melodiöse Gefüge und ließ mich zusammenfahren. Kurz darauf knallte es, während ein weiterer Missklang aus einem Verstärker dröhnte. Zusammen mit meinem Kater ergab das eine wahnsinnig unangenehme Mischung. Als ich empört zu den beiden Gitarristen blickte, sah ich, dass Toya das lose Ende eines Gitarrengurts in der Hand hielt, während die Gitarre auf dem Boden lag und noch immer brummende, laute Geräusche an die Box sendete. Ich überlegte, ihn anzubrüllen, aber vermutlich hätte er das nicht einmal gehört. Mit entsetztem Blick ging er in die Hocke, um die Gitarre aufzuheben. Ich atmete erleichtert auf, als er endlich eine Hand auf die schwingenden Saiten legte, um den Lärm zu unterbinden. „Ahhh, mein Baby!“, rief Jun entgeistert und ich glaubte im ersten Moment, meine Ohren hätten soeben einen ernsthaften Schaden davon getragen. Mein Baby!? Ich suchte meine Umgebung nach einem werfbaren Gegenstand ab, doch noch bevor ich einen fand, erkannte ich, dass Jun damit wohl nicht Toya, sondern seine verunglückte Gitarre meinte. Sie war mir gleich so bekannt vorgenommen und jetzt war mir auch klar, dass er sie wohl dem anderen Gitarristen zu diesem Zweck geliehen hatte. „Sooorry!“ Toya machte eine tiefe, übertriebene Verbeugung und hob die Gitarre dann vom Boden auf, um den Gurt daran zu befestigen. „Schon gut, ist ja noch heil, wie’s aussieht!“, erwiderte Jun lächelnd. Es kotzte mich an, dass er Toya so anlächelte. Jedem anderen hätte er die Gitarre um die Ohren gehauen. Aber natürlich nicht Toya! Ob gestern etwas zwischen ihnen gelaufen war? „Und, was meinst du, Jui? Klang das schon gut?“ Wie? Jun wusste noch, dass ich anwesend war? Ich schob mir meine Sonnenbrille höher auf die Nase, um eine Kunstpause zu erschaffen, ehe ich antwortete. Ein wenig Spannung gehörte schon dazu. Ich kostete ihre fragenden Gesichter aus, ehe ich mich zu einer gedehnten Antwort hinreißen ließ. „Na ja… schon ganz gut…“ Ja, es war vollkommen untertrieben. Aber in mir sträubte sich alles dagegen, Toya, oder auch Jun zu loben. „Klar, Bass und Schlagzeug fehlen noch…“, wandte Toya ein. „Aber Shingo kommt nachher ja auch noch.“ Ach ja, Shingo. Nicht genug, dass Jun in Toya sofort einen potenziellen Gitarristen gefunden hatte – dieser wiederum konnte gleich mit seiner Bekanntschaft, einem Bassisten, aufwarten. Sofern ich richtig zugehört hatte, spielte der momentan Support bei Moran und hatte darauf wohl keine Lust mehr. Die genauen Hintergründe waren mir im Grunde auch egal. Viel wichtiger erschien mir derzeit dieser Dorn in meinem Auge: Toya. Er war einfach perfekt – lustig, hübsch, konnte gut spielen und brachte dann auch noch seine Kontakte zum Einsatz, um unsere Band zu vervollständigen. Kein Wunder, dass Jun auf ihn abging wie auf Speed. Ich verzog das Gesicht. Aber eines wusste ich: sollte dieser Shingo gut aussehen, würde ich mich weigern, ihn in die Band zu holen. Es war Toyas reines Glück, dass er trotz allem nicht ganz so hübsch wie ich war. „Ja, daran liegt es wohl“, stimmte ich seufzend zu, drehte mich um und rutsche tiefer in den Sessel. „Ach Jui, ein bisschen mehr Begeisterung!“, tadelte mich Jun. Ich hörte, wie er seine Gitarre abstellte und auf mich zukam. Ich versuchte, ihn zu ignorieren. Doch das klappte nur so lange, bis er mir meine Kippenschachtel auf den Schoß warf und sich auf die Couch setzte. Toya folgte, setzte sich zu ihm und sie zündeten sich ihre eigenen Zigaretten an, während Jun mich fixierte. Mein Feuerzeug klickte. „Was ist los, hast du es letzte Nacht zu wild getrieben oder was?“ Was!? Die Frage traf mich völlig unerwartet und mit voller Wucht. „Jun, du Frechdachs! Sowas fragt man nicht!“, ermahnte Toya den Pinkhaarigen lachend, während noch immer die Flamme aus meinem Feuerzeug empor stieg und die Zigarette locker zwischen meinen Lippen hing, ohne dass das Feuer sie berührte. Ich saß eine gefühlte Ewigkeit in dieser Position da, starrte Jun an und bewegte mich erst wieder, als mein Daumen heiß wurde. Ich war es gewohnt, von anderen so behandelt und angesprochen zu werden, nicht aber von Jun. Ich hoffte zwar einen Moment lang, er hätte es schlimmer ausgedrückt als es gemeint war, doch sein Blick sprach Bände. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er mich jemals so angesehen hätte. Umso schwieriger war es nun, darauf überhaupt passende Worte zu finden. Ich war nur froh, dass ich meine Sonnenbrille noch immer trug, sodass er mir meine verletzten Gefühle nicht ansehen konnte. Um diese auch hinter Worten zu verbergen, entschied ich mich zu einer bissigen Antwort: „Klar. Mit fünf Typen gleichzeitig. Wollte dich ja anrufen und fragen, ob ihr mitmacht, aber du bist ja nicht rangegangen und Toyas Nummer hab ich nicht.“ Nun endlich wandte ich mich meiner Zigarette zu, entzündete sie mit zittrigen Fingern. „Boah, ihr seid pervers!“ Der Schwarzhaarige schüttelte sich demonstrativ und plötzlich war ich froh, dass er bei uns war und der miesen Stimmung den Wind aus den Segeln nahm. Ich glaube, wäre er nicht gewesen, wären Jun und ich aufeinander losgegangen. Schlecht genug war meine Laune jedenfalls und die Enttäuschung auch groß genug. Wo war nur der niedliche Jun hin, der es mir so angetan hatte? Ich wollte ihn zurück, am besten sofort! „Hey, habt ihr auch schon von dem neuen Dragonball-Film gehört? Wollen wir da alle ins Kino gehen!?“ „Du meinst diesen Animierten?“, stieg Jun sogleich auf Toyas Ablenkungsmanöver ein und ich war dankbar dafür. „Ich hab gehört, der soll richtig gute Kritiken bekommen haben“, brachte ich mich daher mit ein und für eine Weile konnte ich meinen Kummer vergessen. Einige Stunden später hatte sich Shingo uns angeschlossen und ich stellte, Gott sei Dank, fest, dass er zwar ein angenehmer Zeitgenosse, aber glücklicherweise keine Schönheit war. Er erinnerte mich irgendwie an ein Kapuzineräffchen. Und das, obwohl er gar nicht behaart war. Perfekt für unsere Band. Die Jungs begannen sogleich eine neue Jamsession und ich konnte wieder dazu übergehen, auf Durchzug zu stellen und so zu tun, als würde ich den Jungs beim Musizieren zuhören. Ich wollte ja interessierter sein, aber es fiel mir unglaublich schwer, meine negativen Gedanken loszuwerden. Das einzige, was mir einigermaßen gelang, war, die Jungs abwechselnd zu beobachten und nicht immer nur auf Jun zu starren. Mittlerweile fand ich Toya gar nicht mehr ganz so schlimm wie noch am Anfang der Probe. Es wunderte mich, aber ich begrüßte diese Veränderung, die für die zukünftige Zusammenarbeit nur von Vorteil sein konnte. „Fehlt nur noch ein Drummer“, sagte Shingo bei der nächsten Pause und ich fragte mich, ob ihm das ganz allein aufgefallen war. Da mir aber klar war, dass er das nur sagte, um ein allgemeines Gespräch zu beginnen, behielt ich meinen Zynismus für mich. „Kennst du einen?“, fragte ich stattdessen freundlich, während ich meine Sonnenbrille von der Nase nahm, zusammenklappte und in den Ausschnitt meines schwarzen Shirts klemmte. „Leider nicht…“ Na toll. Wo waren nur all die Schlagzeuger hin? Der einzige mir bekannte Drummer ohne Band war Tero und ich war unsicher, ob er mitziehen würde. Schließlich hatte er mir vor kurzem noch erzählt, dass er jetzt erst einmal nach der Trennung von Vidoll keine Lust auf eine neue Band hatte. Seine Ersparnisse reichten, so sagte er, um es ruhig angehen zu lassen, sich erst einmal kleinere Träume zu erfüllen und nur hin und wieder als Supporter zu arbeiten. Trotzdem hatte ich ihm vor drei Tagen hierzu eine E-Mail geschrieben. Allein schon deshalb, damit mir niemand vorwerfen konnte, ich würde mich nicht um meine neue Band kümmern. Letztendlich hatte ich aber noch immer keine Antwort von ihm erhalten. „Ich habe Tero per Mail angefragt“, erzählte ich schließlich, um das Gespräch am Laufen zu halten. „Hat er sich immer noch nicht gemeldet?“, fragte Jun und bekam mein Kopfschütteln zur Antwort. „Aber wenn er keinen Bock hätte, hätte er doch bestimmt längst „Neeeeiiin!!“ geschrieben, oder?“ Die Art und Weise wie Toya dieses eine Wort betonte, brachte uns zum Lachen. Langsam glaubte ich, ihn wirklich ins Herz zu schließen. „Neeein, alles, bloß das nicht!“, mischte sich Jun mit ein. „Nicht zu diesen Freaks!“, setzte Toya nach, tat so, als würde er hektisch und voller Angst an seinen Nägeln kauen. „Oh, meint ihr, wir haben jetzt schon einen so schlechten Ruf?“, fragte ich lächelnd, während ich sicherheitshalber den Spamfilter meiner E-Mails öffnete. „Also, wenn das so ist… Ich muss dann mal los. War schön mit euch!“, rief Shingo und simulierte die Flucht nach vorne, ehe er von Jun am Ärmel gegriffen wurde. „Duuu bleibst hier. Mitgehangen, mitgefangen, mein Freund! Du hast bereits alle deine Menschenrechte an uns abgetreten!“ „Hilfe!“, japste der Bassist, doch meine Aufmerksamkeit wurde bereits durch etwas anderes in Anspruch genommen. Da war sie tatsächlich, Teros Mail, in meinem Spamordner. „Oh….“ Er hatte sie bereits vor zwei Tagen abgeschickt mit kurzem und knappem Inhalt. „Was schreibt er!?“, fragte Jun, ließ urplötzlich von Shingo ab und eilte von seinem Couchplatz zu meinem Sessel, beugte sich über mich, um mitlesen zu können. Er trug wieder das Parfum von Calvin Klein. Ich liebte sein Parfum und drehte mich automatisch weiter in seine Richtung, um mehr davon aufnehmen zu können. Als ich kurz meinen Blick hob, traf er auf Juns und zu meiner Überraschung lächelte er. Ich konnte nicht anders, als es zu erwidern, als kleine Schmetterlinge in meinem Bauch zu flattern begannen. „Was grinst ihr denn so!? Macht er mit?“ Toya wartete die Antwort aber nicht ab, sondern sprang ebenfalls von seinem Platz auf und stellte sich auf die andere Seite meines Sessels. Er roch auch gut, ich wusste aber nicht, wonach. „Häh, seid ihr doof!?“ Toyas Verwunderung war nur verständlich, schließlich enthielt die Mail nur vier Wörter, die überhaupt nichts aussagten. „Ruf mich mal an.“ ~*~ Nach dem Telefonat war ich genauso schlau wie vorher. Tero hatte mir zugesichert, dass er grundsätzlich schon daran interessiert war, wieder mit mir Musik zu machen, aber er blieb auch dabei, dass er eigentlich vorerst keine feste Band wollte. Außerdem, so sagte er, würde er in den nächsten Tagen eventuell einen größeren Auftrag als Drummer bekommen, den er unmöglich ablehnen konnte. Abhängig davon, konnten wir also immer noch Glück oder Pech haben. Und sollte das Glück gegen uns sein, so fragte ich mich ernsthaft, wo wir einen guten Schlagzeuger herkriegen sollten. Genau genommen fragten wir alle uns das. Ich blickte in Richtung der gegenüberliegenden Wand, beobachtete, wie vier kleine Rauchsäulen empor stiegen und den Raum blau einhüllten. Drei von uns wirkten wie Wachsfiguren aus Madame Tussauds Kabinett, die desillusioniert auf Couch und Sessel verteilt herum lungerten. Der vierte hämmerte wie wild auf die Tasten seines Nintendos ein, während sich seine Zungenspitze zwischen seine Lippen schob. „Hat Undercode denn keinen Drummer über? Du sitzt doch an der Quelle!“, wandte sich Toya plötzlich aufgeregt an Jun, als wäre es ihm wie Schuppen vor die Augen gefallen. Toya spielte damit auf die langjährige Freundschaft zwischen Jun und dem Labelbesitzer Kisaki an, mit dem er zuvor in einer Band gespielt hatte. Der Angesprochene erwachte aus seiner Starre, wandte dem Schwarzhaarigen träge sein Gesicht zu und teilte dessen Aufregung nicht mal ansatzweise. „Vergiss Undercode... Die haben nur noch vollständige Bands .Seit es MP3s gibt, sind die Labels kaum noch zu retten. Zumindest diese kleinen. Undercode macht bald Pleite. Vielleicht noch ein Jahr oder zwei, dann war’s das.“ Ich sah die Überraschung in Toyas und Shingos Gesichtern, die diese Nachricht mit sich brachte. Mir selbst war es bereits bekannt, dass es dem Label seit einer ganzen Weile schon schlecht ging. Ansonsten hätte Kisaki uns sicherlich mit Kusshand in seine Plattenfirma aufgenommen, allein schon um Juns Willen. Doch diese Option existierte nicht mehr, was letztendlich der ausschlaggebende Grund war, warum ich begann, mich langsam mit dem Gedanken anzufreunden, mich doch noch auf Kiritos Angebot einzulassen. „Oh, und wo lassen wir uns denn produzieren?“, fragte Shingo und sah aus irgendeinem Grund, als hätte er meine Gedanken gelesen, ausgerechnet mich fragend an. Ich zuckte ahnungslos mit den Schultern. „Keine Ahnung, wir bewerben uns einfach irgendwo… wie früher.“ Es war besser, wenn ich niemandem erzählte, dass ich Kirito noch immer im Hinterkopf hatte. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass irgendwer diese Methode für gut befunden hätte. Zumindest nicht Jun. „Was nicht allzu schwer sein sollte, mit unseren berühmten Gesichtern, oder, Jui?“ Jun grinste, zwinkerte mir zu und ich war mir sicher, dass er mir sogar das Haar zerzaust hätte, wenn er näher bei mir gesessen hätte. Da war er wieder, dieser Blick, der mich schon immer so sehr durcheinander gebracht hatte. Der Blick, der es schaffte, meinen Herzschlag zu beschleunigen. Und so stimmte ich ihm zu, dümmlich grinsend wie ein verknallter Teenie, der endlich die ersehnte Aufmerksamkeit seines Angebeteten bekam. Plötzlich fragte ich mich auch, ob ich sein gestriges Treffen mit Toya, die Abfuhr, die er mir erteilt hatte, und seinen Spruch von vornhin überbewertete. Vielleicht reagierte ich einfach zu sensibel, weil ich mich schämte, ausgerechnet von Jun beim Rumfummeln erwischt worden zu sein. Aber hatte er nicht gesagt, dass er eine Wunderwaffe gegen meine Zickigkeit hatte? Mein Grinsen breitete sich aus, ohne, dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, als eine Flut schmutziger Gedanken über mich hereinbrach. Es blitzte plötzlich gleißend hell vor meinen Augen auf und ich schaute direkt in Juns Handykamera. Dann ließ der Gitarrist das Handy sinken und beugte sich dann zusammen mit Toya über den Bildschirm, um das Resultat seines Schnappschusses zu betrachten. Ich fühlte mich wie ein Idiot als sie auflachten und das Handy an Shingo weiter reichten, damit er sich auch amüsieren konnte. „Dein Blick ist zu geil! Woran hast du denn eben gedacht!?“ An Sex mit dir, du Trottel. „Hm, an Crimson Spell, glaube ich“, sagte ich beiläufig, warf ihm aber einen vielsagenden Blick zu und immerhin verstand er diese Andeutung. Das erkannte ich daran, dass seine Miene schlagartig ernst, aber auch unsicher wirkte. So, als wolle er darauf eingehen, traue sich aber nicht. Es versprach, interessant zu werden. Zumindest aber schien ich wieder im Rennen zu sein. Ich wollte Toya siegesgewiss angrinsen, doch dieser beachtete uns nicht länger, hatte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Konsole gerichtet. „Nur noch dieses Level, bevor mein Akku leer ist, okay? Dann können wir weitermachen.“ Das konnte ja noch heiter werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)