Tabula Rasa von SweeneyLestrange (A Doctor Who Miniseries) ================================================================================ Kapitel 1: Wiedersehen ---------------------- Mitten in den unergründlichen Weiten des Universums ertönte auf einmal das durchdringende Klingeln eines Handys und riss den Doctor aus seinen düsteren Gedanken. Für einen kurzen Moment zögerte er, den Anruf entgegenzunehmen. Er wusste, es gab nur eine Person, die seine Nummer kannte und ihm behagte die Vorstellung nicht, mit einem ehemaligen Companion in Kontakt zu treten. Er hatte Angst, sie in Gefahr zu bringen und letztlich dem Tod auszuliefern, einen ständigen Begleiter, den er nur allzu gerne loswerden würde. Bevor er jedoch eine Entscheidung treffen konnte, hatte seine Hand bereits eigenmächtig gehandelt. „Hallo?“ „Doctor?“, drang die warme Frauenstimme aus dem Hörer. Der Klang reichte aus, um ihn zum ersten Mal nach langer Zeit seine uralten Sorgen vergessen zu lassen. „Martha!“, rief der Doctor freudig und spürte, wie sich ein breites Grinsen in sein Gesicht stahl. „Was gibt's so auf der Erde?“ „Oh, hier ist einiges los“, lachte sie und wurde dann wieder ernst. „Aber genau deswegen rufe ich an, Doctor. Kannst du vielleicht vorbeikommen?“ „Klar, worum geht es denn?“ „Es ist schwer zu erklären. Irgendetwas mischt sich in die Gedanken der Menschen ein. Zumindest vermuten wir das, aber sicher sind wir uns nicht. Ich dachte, vielleicht hast du eine Idee, was hier vor sich geht.“ „Oh, das werde ich mir ansehen. Bin schon unterwegs, bis gleich“, sagte der Doctor und legte auf. Das klang genau nach der Art von Abwechslung, die er so dringend benötigte, um sich nicht vollständig von seinen Schuldgefühlen auffressen zu lassen. Viel zu viele Tode hatte er zu verantworten. Es schien, als lastete das gesamte Universum auf seinen Schultern, als trüge er die Verantwortung für alles, und er merkte, dass es zu viel für eine Person allein war. Mit einem Seufzen riss er sich zusammen und gab die Koordinaten ein, lief um die Steuerkonsole der TARDIS, betätigte Knöpfe und Hebel und lauschte zufrieden dem vertrauten Getöse der arbeitenden Maschinerie. Wenige Sekunden später war in einem kleinen Vorort Londons das undefinierbare Geräusch der TARDIS zu hören, die sich in der Nähe eines kleinen Backsteinhauses materialisierte. Die blaue Telefonbox passte nicht recht in das Gesamtbild der einheitlichen Häuserreihen, deren Vorgärten höchstens ein paar Blumen zierten, doch konnte sich Martha Jones in diesem Moment keinen schöneren Anblick vorstellen. Dann trat der Doctor heraus. Verwirrt blinzelte er und ging einen Schritt zurück. Irgendetwas lag in der Luft, das alle seine Time Lord Sinne zum Aufhorchen brachte. Trotzdem konnte er nicht ganz deuten, was es war. Und bevor er sich länger damit auseinandersetzen konnte, hörte er auf einmal Marthas Stimme. „Doctor!“, rief sie und winkte grinsend von einem der Häusereingänge aus zu ihm herüber. Einen kurzen Augenblick lang standen sie sich schweigend gegenüber. Erinnerungen an all ihre gemeinsamen Abenteuer kamen ihnen in den Sinn. Als sich jedoch ihre Blicke begegneten, fiel jegliche Zurückhaltung von ihnen ab. Wie auf Kommando rannten sie plötzlich los und fielen sich lachend in die Arme. Fest erwiderte der Doctor Marthas herzliche Umarmung. Doch als Martha in sein Gesicht schaute, erkannte sie, dass etwas nicht stimmte. Zu dem Schatten, den der Tod des Masters auf ihn geworfen hatte, hatten sich weitere gesellt und schienen allmählich das fröhliche Grinsen des Doctors zu verschlucken. „Martha Jones, es ist toll, dich zu sehen!“ „Die Freude ist ganz meinerseits, Mister“, erwiderte Martha und boxte ihm freundschaftlich gegen die Schulter. Sie wusste, dass er einen Teufel tun würde, ihr von den vergangenen Ereignissen zu erzählen. Also beschloss sie, fürs Erste nicht weiter darauf einzugehen. „Möchtest du mit reinkommen? Tee ist fertig, da können wir dir alles bei einer schönen Tasse erzählen.“ „Wir?“ Mit einem vielsagenden Lächeln hielt Martha die linke Hand hoch, an deren Ringfinger ein filigraner Verlobungsring blitzte. „Ah“, machte der Doctor verstehend und folgte ihr ins Haus. Drinnen in der Küche machte sich Martha daran, mit dem frisch gekochten Wasser Tee aufzugießen. „Tut mir Leid, ich hatte gedacht, dass du ein kleines bisschen länger brauchst, sonst wäre alles schon fertig.“ „Nicht schlimm“, winkte der Doctor lächelnd ab und spielte mit einem kleinen Teelöffel herum. „Ich hab mich doch hoffentlich nicht mit der Zeit vertan?“ „Nicht unbedingt. Du bist innerhalb von zwei Minuten da gewesen, nachdem ich dich angerufen hatte. Und ich weiß ja, wie das manchmal mit der TARDIS ist ... ich hätte irgendwie gedacht, dass du länger brauchst“, meinte Martha, während sie ein kleines Tablett mit Tee, Tassen, Zucker und Milch belud. „Ach so, ja. Tut mir Leid“, sagte der Doctor und folgte Martha in ein kleines, gemütliches Wohnzimmer. „Hey, kein Problem! Tom müsste eigentlich auch jeden Moment da sein, dann kann ich dir zeigen was los ist. Das alles nicht einfach zu erklären, weil, na ja, es klingt komisch.“ „Oh, komisch klingt gut“, grinste der Doctor und ließ sich in einen kleinen Sessel fallen. „Erzähl doch einfach mal. Du sagtest etwas von einer Art der Gedankenkontrolle?“ „Ich weiß nicht, ob das wirklich unter Gedankenkontrolle fällt, aber ja, sowas Ähnliches. Im Moment scheinen die meisten Menschen von Albträumen geplagt zu werden, an die sie sich nicht mehr erinnern können ... Nicht dass das so ungewöhnlich ist“, fügte Martha hastig hinzu, „aber UNIT hat in Erfahrung bringen können, dass es sich dabei um ein globales Phänomen handelt.“ Nachdenklich schenkte der Doctor sich Tee ein und nickte zustimmend. „Jap, das ist ungewöhnlich.“ In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Irgendetwas klingelte bei ihm bei diesen Worten, nur konnte er nicht herausfinden, was es war. Sowie er glaubte, den Grund gefunden zu haben, entschlüpfte er ihm wieder. „Torchwood hat bereits damit begonnen, nach allen möglichen Alien-Technologien zu scannen, von denen sie glauben, dass sie so etwas bewirken können“, fuhr Martha fort. „Aber bisher haben sie nichts gefunden.“ Plötzlich hörten sie die Haustür ins Schloss fallen und jemand rief: „Bin wieder da!“ Kurz darauf erschien ein dunkelhaariger Mann im Türrahmen. „Hier, ich hab die Akte dabei. UNIT hat ein bisschen Terz gemacht, wollten wissen, warum der Doctor wegen dieses Falles nicht direkt zu ihnen komme, aber weil heute Heiligabend ist und ...“, der junge Mann hielt inne, als sein Blick plötzlich auf den Doctor fiel. „Oh, ich dachte...“ „Der Doctor ist ein bisschen früher gekommen“, mischte sich Martha schnell ein, um die Situation für ihren Verlobten nicht ganz so unangenehm zu machen. „Also, ähm Tom das ist der Doctor und Doctor das ist Tom, mein Verlobter.“ Die Bekanntmachung war jedoch überflüssig, denn der Doctor war bereits aufgesprungen und hatte mit einem aufrichtigen Lachen die Hand von Tom ergriffen. „Es ist wirklich schön, dich kennenzulernen. Ich hab schon einiges von dir gehört.“ Das Verdutzen in Toms Gesicht wich schnell einem Schmunzeln. „Das Gleiche kann ich von dir sagen. Es freut mich, endlich mal den berüchtigten Doctor zu treffen.“ „Nah.“ Der Doctor machte eine wegwerfende Handbewegung und wechselte schnell das Thema: „Das sind also die Unterlagen?“ Tom nickte und überreichte die Akte dem Doctor. „Hier drinnen befinden sich Kopien aller Untersuchungen, Tests und Ergebnisse, die UNIT soweit zu diesem Fall gemacht hat.“ Nachdem er gemeinsam mit Tom Platz gemacht hatte, zog der Doctor neugierig seine Brille hervor und begann damit, in der Mappe herumzublättern. Seitenweise Statistiken füllten die Akte. Anhand verschiedener Umfragen und Untersuchungen hatte UNIT versucht, ein Muster der Betroffenen herauszufinden, nur zeigte sich schnell, dass es das nicht gab. Jeder schien betroffen. „Wir haben auch mit ein paar Freiwilligen Tests durchgeführt“, erklärte Martha, die das Gefühl hatte, die Fakten kommentieren zu müssen. „Mithilfe von Computermessungen und Hypnose haben wir zum Beispiel versucht, genaueres über die Art der Albträume herauszufinden. Wie sich hier zeigt“, damit deutete sie auf eine Tabelle, die der Doctor gerade aufgeschlagen hatte, „scheinen sich die Albträume kaum voneinander zu unterscheiden, wenn es nicht sogar immer derselbe ist.“ „Und was ist mit euch?“, fragte der Doctor unvermittelt. „Könnt ihr euch an irgendetwas erinnern?“ Beide schüttelten den Kopf. „Ich weiß nur, dass es sich nicht gut anfühlt. Jeden Morgen wache ich auf und hab das Gefühl, das etwas Schreckliches passieren wird.“ „Warum sprichst du auf einmal im Futur?“ „Ich weiß es nicht. Das ist einfach so, wenn ich aufwache“, meinte Martha, „dann weiß ich, etwas wird passieren.“ „Mir geht es aber genauso“, mischte sich Tom ein. „Und ein paar meiner Patienten haben auch etwas in der Richtung gesagt.“ „Was kann so etwas bewirken, Doctor? Glaubst du, wir haben es mit irgendeiner Alienrasse zu tun, die versucht, uns durch Gedankenmanipulation zu beeinflussen?“ „Nein, das glaube ich nicht. Die meisten Aliens würden anders vorgehen. Nein, nein, nein, das ist mehr.“ Grübelnd sprang der Doctor auf und begann in dem kleinen Wohnzimmer hin- und herzugehen. „Das ist zu clever ... aber nicht subtil genug. Niemand würde sich die Mühe machen ... Und warum sollten sich dann ein paar erinnern können? Das ist was anderes. Hypnotisch. Ja! Nein, eigentlich nicht. Aber es geht auf den Verstand, auf die Gedanken, es ist fast wie ... ouh!“ Plötzlich hielt er mitten in seinem aufgeregten Gang inne und packte sich an den Kopf. „Das kann nicht ... das ist ...“ Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass er recht haben würde. Mit einem Surren ließ er den Sonic Screwdriver die Luft scannen. Er brauchte es nicht, er konnte sie auch so spüren, nur hatte er Angst, dass ihm seine Gedanken einen bösen Streich spielten. Das Ergebnis aber war eindeutig. Er spürte sie; mal stärker, mal schwächer, als fiele es ihr schwer, sich an einem Punkt zu konzentrieren. Doch dass sie da war, konnte er nicht mehr bestreiten: Die Präsenz des Masters haftete wieder an der Erde. Wie hatte er das so einfach ignorieren können? Jetzt, da er sich dieser Tatsache aber bewusst war, entbrannte Ungeduld in ihm. Sollte er Recht behalten, war die Ursache für die Träume der Master selbst oder zumindest seine Rückkehr. Und er ... er musste ihr auf den Grund gehen. „Hey, Doctor, was ist los?“, rief Martha und riss den Doctor zu sich herum. Etwas verwirrt blinzelte dieser, dann griff er nach seinem Trenchcoat, den er über die Lehne des Sessels geworfen hatte. „Ich glaube, ich habe einen möglichen Ursprung für die Quelle gefunden.“ „Gut, sag mir, was es ist. Ich komme mit!“ Beinahe erschrocken sah der Doctor sie an. Zu seiner Beruhigung schien Tom gleicher Meinung zu sein, denn auch er wirkte äußerst besorgt und legte unwillkürlich eine Hand auf die Schulter seiner zukünftigen Frau. „Nah, ich glaube das ist keine gute Idee, Martha. Tut mir leid.“ „Aber Doctor ich- ...“ „Der Doctor hat recht. Wir haben uns Weihnachten extra frei genommen, um gemeinsam ein schönes, ruhiges Fest mit der Familie zu verbringen. Vielleicht sollten wir ausnahmsweise mal andere unsere Arbeit machen lassen." Widerwillig schaute Martha zu Tom und lehnte sich schließlich mit verschränkten Armen an ihn. „Du hast recht“, gab sie seufzend zu. Trotzdem warf sie dem Doctor einen entschlossenen Blick zu. „Dann sag mir wenigstens, was du für die Ursache hältst, damit wir vorbereitet sein können.“ Zögernd sah der Doctor auf die beiden Verlobten. Einen kurzen Augenblick lang zog er in Erwägung, ihnen die Wahrheit vorzuenthalten oder sie zumindest abzuändern. Er wollte sie nicht in dieses Geschehen verwickeln. Sie hatten schon genug in dem Jahr, das niemals war, gelitten. Dann aber dämmerte ihm, dass sie gerade deswegen ein Recht auf die Wahrheit hatten. „Der Master ist zurück“, sagte er leise. „Was?!“ Stumm beobachtete der Doctor, wie Martha mit einem entsetzten Aufschrei einen Schritt auf ihn zu machte und hob beschwichtigend die Hand. „Schon gut, Martha.“ Ein Teil von ihm konnte nachvollziehen, was in ihr vorging. Ein anderer ... ein anderer wollte nur noch weit weg an einem Ort sein, wo er auf Verständnis treffen würde. „Der Master ist und bleibt meine Verantwortung. Dieses Mal möchte ich nicht, dass ... Unschuldige mit hineingezogen werden.“ Martha holte tief Luft und nickte schließlich. „In Ordnung.“ Es fiel ihr schwer, doch rief sie sich widerwillig in Erinnerung, in welcher Situation sich der Doctor damals befunden hatte. Es war offensichtlich gewesen, wie er gehofft hatte, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem er seine Einsamkeit teilen konnte. Er war dafür sogar bereit gewesen, über die Tatsache hinwegzusehen, dass es sich bei diesem anderen Time Lord um einen mordenden Psychopathen handelte, der mehr als ein Zehntel der Menschheit auf dem Gewissen hatte, der auf dem besten Wege gewesen war, einen Großteil des Universums in einen vernichtenden Krieg zu stürzen und der ihre Familie nebenbei auch noch versklavt und tyrannisiert hatte. „Aber lass mich zumindest Jack benachrichtigen. Er muss wissen, dass dieser Ver- ... dass der Master wieder sein Unwesen treibt. Wenn was schiefgeht, sind wir zumindest vorbereitet“, sagte sie schließlich, weil sie insgeheim befürchtete, dass es dem Doctor nicht möglich sein würde, die Situation objektiv einzuschätzen. Es bestand die Gefahr, dass sich „das Jahr, das niemals war“ wiederholen konnte. Dem Doctor hingegen missfiel es, das Ganze in irgendeiner Art und Weise in eine Bedrohung ausarten zu lassen. Noch hatte sich der Master nicht geregt und bevor das geschehen konnte, hoffte er, dass er ihn irgendwie zur Vernunft bringen konnte. Ihm war jedoch klar, dass Martha recht hatte, weshalb er sich etwas widerstrebend einverstanden erklärte. „Also gut. Aber nur Jack, er wird hoffentlich wissen, was zu tun ist, wenn es wirklich zu ... Schwierigkeiten kommen sollte.“ „Wird gemacht. Und Doctor...“ Einem Impuls folgend lief Martha auf ihn zu und drückte ihn. „Pass auf dich auf, ja?“ Etwas in ihr ahnte, dass das Wiedersehen für den Doctor weit schwieriger sein würde, als er es sich vielleicht selbst eingestehen wollte. „Natürlich!“ Der Time Lord brachte ein halbherziges Lächeln zustande. Dann nahm er Abschied und lief zu seiner TARDIS zurück. „Wir sehen uns!“, rief Martha ihm nach, doch da ertönte bereits das vertraute Surren, mit dem die blaue Telefonbox allmählich verblasste. Nachdenklich wandte sich Martha an Tom, der beruhigend einen Arm um sie gelegt hatte, und gemeinsam gingen sie zurück ins Haus. Hunger. Er war so hungrig! Ein gewaltiges Loch schien sich an der Stelle seines Magens zu befinden, das - egal wie viel er auch aß - immer größer zu werden schien. Es war so leicht und doch so schwer. Es zog ihn hinab und erschwerte den aufrechten Gang. Er wollte es halten und füllen und füllen und stopfen und stopfen und STOPFEN. Stöhnend krümmte sich der Master zusammen. Es war so entsetzlich schwer, einen klaren Gedanken zu fassen! Das Fehlen der Trommeln machte das Ganze sogar noch schlimmer statt besser, wie er es all die Jahrhunderte über geglaubt hatte. Er brauchte sie, ihren Ruf, der ihn immer weiter vorantrieb. Er wollte ihren Klang hören, er wollte etwas hören, diese Stille um ihn herum schien ihn schier zu erdrücken. "Wo seid ihr?", wisperte er in einem leichten Singsang, während er mühselig einen Schritt vor den anderen setzte. "Kommt und zeigt euch, ich werde euch schon fiiinden." Aber sie zeigten sich nicht. Stattdessen drang der köstlich Duft von Fish and Chips an seine Nase. In tiefen Zügen sog er die kalte, von frittiertem Fisch geschwängerte Luft ein. Sein Verstand setzte aus. Alles drehte sich darum, das bohrende Loch zu stopfen. Energiestöße pulsierten durch seinen Körper, zerrten an ihm und entfachten ein brennendes Feuer. Es durchfuhr seine Glieder, bis es sich schließlich in seinen Fingerspitzen entlud. Mit einem gewaltigen Satz katapultierte es ihn in die Luft. Er war frei! Doch schnell hatte ihn das zentnerschwere Gewicht seines Hungers wieder auf den Boden gezogen. Er sah vor sich den Wagen, er konnte das Essen schon schmecken und erinnerte sich plötzlich nur noch daran, wie seine Finger gierig den heißen Fisch in seinen Mund gestopft hatten. Immer mehr und mehr und immer, immer mehr. Als er für einen Moment wieder klar denken konnte, befand er sich etwas weiter abseits des Wagens. Er konnte die Skelette der Unglücklichen sehen, die sich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort aufgehalten hatten und seinem Hunger in die Quere gekommen waren. Wimmernd vergrub er den Kopf in den Armen und versuchte, seiner Situation Herr zu werden. Er konnte nicht. Er konnte einfach nicht. Seine Gedanken verloren sich, genauso wie seine ganze Lebensenergie zu verfließen schien. Dann roch er ihn. Den anderen Time Lord. „Doctor“, flüsterte er und erhob sich beim Anblick der sich nähernden Gestalt. Sofort merkte er, wie ihm jegliche Kontrolle entglitt. Blitze begannen um seine Fingerspitzen zu zucken, die immer stärker wurden. Die Energie in ihm wollte raus. Unwillkürlich rieb er sich die Hände in dem Versuch, dem ganzen Einhalt zu gebieten. Er wurde schneller und heftiger. Es war offensichtlich, wie sinnlos sein Unterfangen war, wie jeder Schritt des Doctors in seine Richtung den Schwall kräftiger und unerträglicher werden ließ. Wütend gab der Master seinen vergeblichen Versuch auf, die Energie abzuhalten und fing stattdessen damit an, sie in seinen Handflächen zu sammeln. Wenn der Doctor ihm unbedingt helfen wollte, sollte er es tun. Mit Schwung stieß der Master seine rechte Hand nach vorne, während er die gesammelte Energie losließ. Fast schon fasziniert beobachtete er den Blitz, der aus seiner Handfläche zuckte, genau auf die Brust des Doctors traf und ihn zum Wanken brachte. Doch statt zu Boden zu gehen, lehnte sich der Doctor verbissen gegen den Energiestrahl, während er angestrengt immer weiter in Richtung des Masters lief. Er sollte stehen bleiben, ihn in Ruhe lassen! Die Luft knisterte, als der Master nun auch der Energie in seiner anderen Hand freien Lauf ließ. Sie zog und zerrte an ihm. Für einen kurzen Moment fühlte es sich an, als risse der gebündelte Strahl einen Teil aus ihm heraus. Er verlor jegliche Kontrolle und spürte nur noch, wie mit einem grausamen Sog sein Äußeres verschwand und stattdessen sein klägliches Skelett zeigte. "Bitte, lass mich dir helfen!", rief der Doctor, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen den Energiestrahl stemmte. Sein Anzug hatte angefangen zu schmoren. Er spürte, wie die Hitze sich unaufhaltsam einen Weg durch den Stoff fraß und er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er dem Angriff nicht mehr standhalten konnte. Plötzlich hielt der Master inne. Er beobachtete, wie der Doctor taumelte und angestrengt darum kämpfte, seinen Halt wiederzufinden. Freude kam in ihm auf. Das geschah diesem Trottel ganz recht! Was musste er sich auch unbedingt einmischen? Dann jedoch packte ihn etwas, das Angst beunruhigend ähnlich war. War er zu stark gewesen? Ehe dem Master bewusst werden konnte, was er tat, war er bereits in Richtung des Doctors gelaufen und stützte dessen dünnen Körper. Die verschmorten Stellen von Anzug und Hemd glühten auf seiner bloßen Haut. Er konnte die rasenden Herzen des Doctors unter seiner Hand fühlen. Ihre Blicke begegneten sich. Wahnsinn und Verzweiflung. Dann zuckte der Master auf einmal zurück, als hätte er sich verbrannt und beobachtete mit abschätzigem Gesicht, wie der Doctor zu Boden stürzte. Langsam ging der Master in die Hocke. Der Blick, mit dem er den geschwächten Time Lord vor sich betrachtete, erinnerte an ein kleines Kind, das nicht so recht wusste, was es mit einem neuartigen Gegenstand anfangen sollte. Schließlich ließ er sich auf den Boden fallen, wo er breitbeinig, die Ellbogen auf die Knie gestützt, sitzen blieb. „Das hast du davon“, erklärte er letztlich das Offensichtliche. Lange schaffte es der Master nicht, seine Gedanken beisammen zu halten. Der Energiestrahl, den er gegen den Doctor gerichtet hatte, hatte erheblich an seinen Kräften gezerrt und das riesige Loch seines Hungers noch ein bisschen tiefer ausgebuddelt. „Das ganze Essen“, murmelte er. „Das ganze gute Essen! Ich bin so hungrig!“ Der bloße Gedanke an etwas Nahrhaftes ließ seine Eingeweide vor Hunger entflammen. Er wollte essen... „Fleisch, Wurst, Brot, Käse, Brötchen, Fish and Chips und saftiges Steak mit Soße und Kuchen, Truthahn, Pas-...“ alles … essen… HUNGER „Nicht!“, rief der Doctor und streckte unwillkürlich die Hand nach dem Master aus. In einer Geste der Beruhigung fand sie sein Bein. Es war fast unerträglich für ihn, den Master in diesem schlechten Zustand zu sehen. Nichts an ihm erinnerte mehr an die schillernde Figur Harold Saxons. Vor ihm schien ein Obdachloser zu hocken, dem die Jahre der Isolation den Verstand geraubt hatten. „Bitte“, flüsterte der Doctor, während er mühsam versuchte sich aufzustemmen. „Lass mich dir helfen.“ Der Master grinste. Wie es aussah, schaffte der Doctor es ja nicht einmal, sich selbst zu helfen. Dann fiel das irre Grinsen schlagartig in sich zusammen. Konzentriert legte er den Kopf zur Seite. „Schschsch“, machte er, wobei er abwesend den Zeigefinger vor den Mund hielt. „Kannst du sie hören? Irgendwo dort draußen müssen sie sein.“ Ein stummes Kopfschütten war die Antwort und löste leises Entsetzen im Master aus. Was wenn sie tatsächlich nie existiert hatten? Unsinn! Aufgebracht beugte er sich hinab zu dem am Boden liegenden Doctor und packte ihn am Kragen. „Hör zu!“, zischte er. „Irgendwo müssen sie sein, hör einfach genauer hin.“ Wie zuvor konnte der Doctor jedoch einzig den Kopf schütteln. „Es tut mir leid, ich höre nichts. Nur du kannst sie hören. Sie sind einzig und allein in deinem Kopf.“ „Eben nicht!“, fuhr der Master ihn an und brach in verzweifeltes Gekicher aus. „Stell dir vor, Doctor: Sie sind weg. All die Jahre waren sie da und jetzt ... weg!“ Für einen Moment herrschte Schweigen. Ungläubig starrte der Doctor den Master an, während er gegen die trügerische Hoffnung ankämpfte, die langsam in ihm wuchs. „Aber ... ist das nicht etwas Gutes?“ „Nein! Ich kann sie nicht mehr finden. Sie sind weg. Sag mir, wo sie sind. Sag mir, wo meine Trommeln sind!“ Aufgebracht sprang der Master auf und starrte finster auf die klägliche Gestalt hinab. Ihm war klar, dass er für verrückt gehalten wurde. Aber vielleicht war er das ja. Der verrückte Time Lord, der die Trommeln hörte... Wahnsinnig, verzweifelt, erbärmlich, verrückt. Oh jaah, verrückt und hungrig. So fruchtbar hungrig! Plötzlich spürte er, wie er von einem Grollen verschluckt wurde. Immer öfter wich seine äußere Erscheinung dem bläulichen Skelett. Mit einem Mal war überall Boden unter ihm. Sein Gesicht im Dreck, die scharfen Kanten des Schutts bohrten sich schmerzhaft in seine schmutzige Wange, doch verfloss dieser Schmerz in tiefer Gleichgültigkeit. Dicke Schwärze wabberte um ihn herum. Für einen kurzen Augenblick kämpfte er dagegen an, dann ließ er sich mit einem erschöpften Seufzen fallen. „Du verbrauchst deine ganze Lebensenergie“, sagte der Doctor und kroch mühsam auf ihn zu. „Wenn du mich lässt ... ich kann dir helfen.“ Der Master reagierte nicht. Vorsichtig rüttelte der Doctor an dessen Schulter. Als keine Reaktion folgte, war klar, dass der Master das Bewusstsein verloren hatte. Seufzend setzte sich der Doctor auf und legte nachdenklich den Kopf in den Nacken. Seine beiden Herzen schlugen nervös. Es schien so offensichtlich, was nun zu tun war, doch fiel es ihm schwer, sich dazu durchzuringen. Es war zu seinem Besten, redete er sich ein, erhob sich schwerfällig und ließ den Master zurück. Wenig später ertönte das Geräusch der landenden TARDIS. Heraus eilte der Doctor, der sich nicht einmal die Zeit genommen hatte, seinen kaputten Anzug gegen einen neuen zu tauschen. Vor dem bewusstlosen Master zögerte er kurz. Die Rückkehr des anderen Time Lords hatte ihn vollkommen durcheinander gebracht. Nach all der Trauer um den schrecklichen Verlust fiel es ihm schwer, dem Wiedersehen zu trauen. Es schien zu gut, um wahr zu sein. Und er wusste, dass das, was er im Begriff zu tun war, alles verändern konnte. Der Doctor atmete tief durch, versicherte sich vorsichtig, dass der Master noch immer bewusstlos war und trug ihn unter einiger Anstrengung in die TARDIS. Länger als vielleicht nötig hielt er den schmächtigen Körper des Masters in seinen Armen, bis er ihn schließlich absetzte und neben ihm erschöpft zu Boden ging. Jetzt war es also geschehen. Er befand sich in der TARDIS gemeinsam mit dem Master und vielleicht ... vielleicht hatte er am Ende doch noch einen Companion gefunden. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Soo, jetzt ist es endlich soweit: Der Master ist beim Doctor in der TARDIS. Aber damit fangen die ganzen Probleme eigentlich erst an, wie man sich denken kann, denn: Die Trommeln sind weg, der Körper des Masters zerfällt allmählich und der Doctor muss erst einmal Herr der Situation werden, schließlich befindet sich der Master nicht gerade freiwillig an Bord der TARDIS. Derzeit stütze ich mich bei der Darstellung des Masters auf The End of Time, wo er ziemlich einen weg hat. Ich verspreche aber hiermit schon einmal, dass das kein Dauerzustand bei ihm sein wird :) Ich hoffe, das Kapitel hat gefallen ;D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)