Ein Date zu Viert von Himi_und_Nami ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Liebe T., der 19.11. - alle, die an diesem Tag Geburtstag haben, haben eines gemein: Sie werden ständig vera***** und veräppelt, auf die Schippe genommen und befummelt. Woher ich das weiß? Ich habe am 19.11. Geburtstag. Ich heiße Hide-zou. Ich liebe dich. Auf Wiedersehen ... Spaß beiseite. Spaß, ja, den hätte ich mir gewünscht. Aber dann: WUSCH! Eine 10-Kilo-Packung Konfetti explodierte mit einer beeindruckenden Geräuschkulisse über meinem Kopf - um 0:01 Uhr Tokioter Ortszeit - während meiner heranrückenden Tiefschlafphase!!! Gleichzeitig klingelte mein Handy und eine Schrille Mischung aus ineinaderkopiertem »Are You Fish?«-Gegackere schallte mir mit voller Lautstärke um die Ohren - in diesem Moment musste mir schon klar gewesen sein, dass ich dieses Spektakel nur Hiroki - unserem Drummer - zu verdanken hatte. Umständlich wühlte ich mich aus dem Haufen bunter Papierfetzen - was meinst du wohl, wie die endlosen Sekunden sich angefühlt haben, in denen ich verzweifelt mein Smartphone suchte. Ich fand es schließlich. Einige Schnipsel hatten sich elektrostatisch aufgeladen und klebten auf dem Retinadisplay, das nun 32.000.000 und äh ... 6 Schnipsel-Farben wiedergeben konnte. »Fish« stand in der Mitte. Hm. Die Nummer gehörte aber Hiroki. Moment mal. Ich habe ihn nicht umbenannt ... und den Ton habe ich DEFINITIV nicht eingestellt! Damn it! Der Trommler war an meinem Telefon! Ich ging ran und ... hörte den schrillsten Geburtstagsgruß, den es je irgendwo auf dieser Welt gegeben hatte. Tja, mit diesem nächtlichen Glückwunsch-Event endete eine ganze Kette komischer und sensationeller, fragwürdiger und sinnlicher Events ... Aber von vorne … Dich erwarten eine Verfolgungsjagd, gleich mehrere heiße Gitarristen (mich eingeschlossen, hehehe ...), ein sonderbarer Kuss, cosmopolitische Selbstfindung und »Hi« wie Hihihi, »de« wie definitiv göttlicher Gitarrenlord und »zou« wie zouwouwou bom chicka wua wua! Dein Hide-zou KAPITEL 1 Vier Wochen zuvor. V-Rock-Festival 2009 Festivals. Geballte Energie aus Rhythmus und Melodien, den ganzen Tag. Hide-zou schwebte durch den Vorbereitungsraum der Band ‚D’. Er fühlte sich leicht, mochte die kreative Stimmung hier, war gespannt auf den Austausch mit anderen Musikern des Genres. Das Vibrieren des Basses auf der Hauptbühne brummte wie ein Erdbeben durch das Nebengebäude und brachte seinen Puls in Wallung. Er summte vor sich hin, während er tänzelnd den Raum durchquerte und eine Schlaufe um Tsunehito machte, der immer noch ein wenig verwirrt sein üppiges neues Outfit untersuchte und als er angerempelt wurde, fast den Halt auf den Plateauschuhen verlor. »Hey, Vorsicht!« »Spürst du die Good Vibrations~?«, bekam er als Antwort von Hide-zou gesäuselt, der plötzlich sehr, sehr nahe vor ihm stand und ihn verführerisch angrinste, ein Zucken mit der Augenbraue folgte und sein freches Grinsen wuchs noch weiter in die Breite. Tsunehito blieb regungslos. »Ich spür nur, dass du auf meiner Schnalle stehst«, sagte er trocken und blinzelte gespielt müde mit den Rekordwimpern. Hide-zou ließ seinen Blick taxierend an dem aufwendig gekleideten Bassisten heruntergleiten. »Oh«, machte er schlicht, als er seinen Schuh sah, der tatsächlich die filigrane silberne Schnalle verdeckte, von der Tsunehito nicht so richtig zu wissen schien, wohin sie gehörte. Kurz darauf spürte er auch schon die Hand des anderen auf seiner Brust, die ihn sanft von sich schob. Doch anstatt, dass die Lücke zwischen ihnen größer wurde, veränderte sich der viel zu nahe Abstand zwischen ihren Gesichtern nicht, Hide-zou tat ein paar Schritte zurück und stieß gegen den Schminktisch hinter ihm. Die Lampen, die an den Spiegelkanten Spalier leuchteten, umrandeten seine Erscheinung nun wie ein Heiligenschein in einem Albrecht Dürer-Gemälde. Er war ein wenig irritiert über die sinnliche Geste des anderen, blinzelte heftig, verstand nichts mehr. Tsunehitos Finger wanderten über seinen Stoff, die Lederschnüre auf seiner Brust und setzten sanft auf der Tischkante auf, wanderten langsam voran, etwas klapperte hinter Hide-zous Rücken, der immer noch zu fixiert von den dieses Mal dezent geschminkten Augen des Mannes vor sich war, sich nicht bewegen konnte. So bemerkte er auch nicht das Geräusch des Öffnens eines Lippenstifts hinter sich. Er reagierte nicht einmal, als dieser plötzlich unter seinem Arm hervorgezogen wurde und dann gelassen zu Tsunehitos Mund wanderte und seine satte dunkelrote Farbe auf den Lippen verteilte. Hide-zou traute sich noch immer nicht, sich zu bewegen, während sein Gegenüber den Lippenstift wieder mit einer derartigen Engelsgelassenheit zudrehte und ihm gleichzeitig noch näher kam. Ehe er überhaupt wieder einen Atemzug tun konnte, lagen diese blutroten Lippen schon auf seinen. Er war paralysiert und elektrisiert. Die Welt um ihn herum existierte nicht mehr. Zumindest bis zu der Sekunde nicht, in der Tsunehitos zartes Lippenbekenntnis zu einem ausgewachsenen Knutscher wurde, der sich über sein halbes Gesicht ausweitete, ehe der »in Panik geratene« Gitarrist ihn endlich von sich schieben konnte. Er schaute ihn nur entsetzt an. Tsunehito begegnete diesem Blick mit jener puppenhaften Überraschtheit, mit der er sich gern ablichten ließ. Drei Sekunden Stille folgten, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Hide-zou verstand die Welt nicht mehr. Im Augenwinkel bemerkte er Ruiza, der wie versteinert in der Tür stand, die er wohl vor ein paar Sekunden geöffnet hatte und dessen Blick gar nichts sagte außer einem leisen Ausdruck von Hilflosigkeit. Hide-zou drehte sich schnell in seine Richtung und Tsunehito schien ihn ebenfalls bemerkt zu haben, was dafür sorgte, dass er sich nur noch mehr kaputtlachte. Das Gesicht des blonden Gitarristen an der Tür wandelte sich nun auch vorsichtig in ein Lächeln, dann in ein Kichern am Rücken seiner Hand, die sich langsam vor seinen Mund schob. Ein Hinweis für Hide-zou. Kurz darauf drehte er sich zum Spiegel um und besah das ganze Desaster. Ein Großteil seiner unteren Gesichtshälfte war über und über mit Lippenstift verschmiert. »Ah!« Schnell griff er zur Box mit den Abschminktüchern und versuchte sich sauber zu machen. Tsunehito krümmte sich vor Lachen, griff nebenbei auch in die Box. Sein Schmiermund war jedoch nur minderschwerer Natur. »Du bist doch echt … Mann, ich war schon fertig gestylt …« Wieder lachte der Bassist auf. Ruiza schüttelte nur den Kopf und ging zu seiner Gitarre hinüber, wusste nicht so recht, wie er die Situation bewerten sollte, in die er geplatzt war. Er war ein wenig verunsichert. Schließlich hatte er einen Kuss gesehen – einen Kuss, der etwas ins Lächerliche ausgeartet war. Aber es war ein Kuss … oder nicht? Ein Kuss … Tsunehito hatte ihm, nachdem er sich partiell beruhigt hatte, angesehen, dass ihm die Situation noch nachhing. Deuten konnte er das nicht, beschloss aber spontan, es im Auge zu behalten. »Ist das eigentlich mein Schicksal? Dass mich alle immer nur verar***** müssen?!«, grummelte Hide-zou hinter ihm vor dem Spiegel, Tsunehito begann wieder zu lachen und kassierte dafür einen halbfesten Schlag auf den Oberarm, den er mit einem »Aua!« quittierte. »So geht man aber nicht mit einer Dame um!«, sprach der Bassist mit gekünstelt hoher Stimme und stolzierte, sich ein paar Strähnen zurechtzupfend, davon auf die andere Seite des Raums, um etwas zu trinken. »Dazu sage ich nun nichts«, murmelte Hide-zou in seinen nicht vorhandenen Bart. »Wie meinen?«, kam es spitz vom Catering-Tisch. »Nichts, nichts …«, beschwichtigte der brünette Gitarrist schnell und mit vier schwungvollen großen Schritten war er auch schon bei Ruiza, der hinter seiner Gitarre auf der Sesselkante saß und sein Instrument stimmte. Er schreckte hoch, als Hide-zou ihn antippte. Der zeigte auf seinen Mund. »Hab ich da noch was? Alles weg?« Ruiza stockte einen Moment der Atem. Zwang der Gitarrist ihn gerade seinen Mund anzusehen? Ihm wurde leicht warm. Diese Lippen … »N-nein«, stammelte er, »alles weg …«. »Okay …« Und schon wandte der brünette Gitarrist von D sich seiner eigenen Gitarre zu. Die anderen beiden ignorierten diese Aussage geflissentlich. Nur kurz schaute Hide-zou sich um, bemerkte, dass er keine Beachtung fand. Was war denn heute nur los? Im nächsten Moment polterte Hiroki durch die Tür. Vor seinem Gesicht stapelten sich fünf Kisten, gefüllt mit Geschenken an die Band. »Hey …« Er schwankte gefährlich. »Das haben die Roadies mir in die Hand gedrückt, wir sollen uns schon mal freuen.« Asagi folgte ihm ein wenig lethargisch durch die Tür, er war schon fertig gestylt und bereitete sich offensichtlich unter großer Konzentration innerlich auf den Auftritt in zwei Stunden vor, bedankte sich aber höflich, als Ruiza ihm seine vollgestopfte Kiste reichte. Alle Kisten quollen über mit Geschenken – nur eine nicht: die von Hide-zou. Darin lag eine Packung Dominosteine, nichts weiter … »Hat Aki-san von den Roadies mir so gegeben«, verteidigte sich Hiroki, als ein misstrauischer Blick und eine skeptisch flippende Augenbraue folgten. Nein … heute war wirklich nicht sein Tag … Dennoch öffnete er ohne Umwege die Packung mit der Süßigkeit, freute sich darüber und naschte mit Genuss. »Die schmecken wirklich sehr gut … Besser als alle anderen Süßigkeiten zusammen.« Hiroki trat vor ihn und pattete ihn auf den Kopf. Dann packte er jeweils rechts und links eine Hide-zou-Wange und kniff hinein. »Ohhh …« Das war die berühmte Dose Mitleid. Ein ohrenbetäubender Pfiff ertönte, alle zuckten zusammen. Es öffnete sich wie von Geisterhand die Tür. Es war keiner zu sehen. Dann erschien ein Arm – offensichtlich männlich – der stellte eine Tüte hinein, vollgestopft mit Geschenken. Hide-zou verteilte erst mal Kopfnüsse an alle, an die er gerade herankam. Alle lachten. Eineinhalb Stunden später bereitete man sich dann im Backstagebereich weiter vor. Die Gitarrenfraktion hatte warme Finger und war eingespielt. Hiroki machte noch ein paar Dehnungsübungen. Asagis Lethargie hatte nachgelassen. Seine Aufregung wich Euphorie, so sehr der eher ruhige Sänger eben euphorisch aus sich herauskommen konnte … Sie waren als Vorletzte an diesem Abend dran. Morgen gab es dann das große Finale mit »the GazettE« auf derselben Bühne. Ruiza hatte die Headliner heute schon im Backstagebereich gesehen. Er verfolgte stumm, aber mit einem Lächeln das Publikum in der Halle über den Monitor, der abbildete, was die Kamera am oberen Bühnenrand einfing. »Cool, oder?« Hide-zou stand plötzlich dicht hinter ihm, hatte das Kinn auf seiner Schulter abgelegt. Ruiza hielt die Luft an, musste schlucken. »Ja, es sind megaviele«, meinte er nur, aber in Gedanken war er weit weg. Sein Puls beschleunigte. Dann riss Hide-zous Finger ihn zurück in die Realität, der ihn in die Seite piekte. Er hörte den anderen Gitarristen freundlich lachen. Eine kleine Weile schaute er ihm hinterher, als er sich wieder entfernte. Dann brachte er sich selbst zur Raison, schüttelte leicht den Kopf. »Hör auf mit dem Scheiß«, murmelte er vor sich hin und wurde ein wenig rot, dann besann er sich wieder und stürzte sich noch mal auf die Setlist, um den Ablauf auf der Bühne und die Reihenfolge der Lieder zu verinnerlichen. Tsunehito blätterte das neue Pamphlet von »the GazettE« durch, das auf dem Tisch zum Anschauen neben anderen lag, da blieb er mit seinem Blick an Uruha hängen. »Also wenn das mit dem Gitarrespielen irgendwann mal nichts mehr ist, dann kann der immer noch Model werden«, sprach er mehr oder weniger in Gedanken für sich. »Ja … am besten für Brautkleider«, schnackte Hide-zou hinter ihm und warf ebenfalls einen Blick in das hochwertige Fotobuch. »Hast du was gegen Kleider?«, kam die prompte Reaktion von Tsune. Er liebte pompöse Damenrobe. Hide-zou erstarrte und zuckte zusammen. »Nein, nein, gar nicht«, meinte er schnell beschwichtigend. »Ich finde nur, dass er sich elegant bewegt.« Dann sprang er mit einem Satz zu seiner Gitarre und legte sie sich um. Er setzte ein Katzenlächeln auf und fummelte ein paar Strähnen rechts und links vom Kopf aus seinen Haaren heraus, die sich dadurch und durch ihre mittlerweile natürlich gewordene Getränktheit mit Haarspray aufstellten. Nun war er das (fast-)perfekte Uruha-Double. Er begann Uruhas Part von »Nausea & Shudder« zu spielen und drehte den Arm wie eine kleine Windmühle, »So looong~«, ganz wie Uruha, nach dem zweiten Mal bewegte er sich dann auch schon wie der Leadgitarrist von »the GazettE«. Beim fünften Mal überzog er die Rolle gnadenlos und sie ins Lächerliche. Alle grinsten breit, aber es lachte niemand. Hide-zou schaffte es tatsächlich noch ein Stück weiter zu überziehen und trieb seine Vorstellung nun auf die Spitze, indem er noch dazu katzenhaft im Takt miaute. Nun bekam sich Hiroki nicht mehr ein und entschuldigte sich beim Lachen. Ruiza griff ein. Er packte Hide-zou in dessen Wahn am Arm. »Hide- … Hide-zou!« Der Gitarrist hielt inne, lachte aber nun auch schon über sich. »Wahahahas denn?« Ruiza sagte nichts, er zeigte nur stumm in Richtung Tür. Hide-zou drehte sich um. Und dort stand Uruha … bereits seit einer halben Minute und etwa seit fünfzehn Sekunden mit vor der Brust verschränkten Armen und mahnend wippendem Fuß – und mit undefinierbarem Gesichtsausdruck. »Oh … ähm …« Ein verlegenes Lachen folgte. »Ja, bitte?«, gab der Leadgitarrist von »the GazettE« ohne jede Gesichtsregung zurück. Dann hob er wie zum Nachdruck die Augenbrauen. Hirokis Kichern war die perfekte Geräuschkulisse für diese Situation. Die anderen mussten sich schwer zurück-halten. »Uruha-san … ich …« »Ach, weißt du«, lenkte der GazettE-Gitarrist ein, »du machst das falsch …« Schon sprang er neben den anderen. Ruiza wich erstaunt zur Seite. Es folgte eine Einweisung in »perfekter Uruhahaftigkeit«. Tsunehitos Hand klatschte ohne Umwege an seine Stirn. Das war wieder soo typisch. Na ja, zumindest schien der GazettE-Gitarrist nicht böse zu sen. »Der Arm muss graziler ausgestreckt werden … etwa so …« Hide-zou fühlte sich seltsam … blinzelte verlegen, dann grinste er kumpelhaft und lachte. Er hatte nicht erwartet, dass der Mann, der nun neben ihm stand, so unkompliziert war. Sein Katzenlächeln war einfach nur süß und seine Bewegungen weich, seine Stimme klang angenehm in Hide-zous Ohren. Nach einer Weile schneite Aoi-san, der Rhythmusgitarrist von »the GazettE« herein und sagte kurz Hallo. Nein, er wunderte sich gar nicht über diese zwei Hampelmänner, kicherte ebenfalls vor sich hin, nachdem Tsunehito ihm die Situation erklärt hatte, und setzte ein unbeschreibliches (zugegeben selbstgefälliges) Aoi-Lächeln auf. Mit der Tasse Cappuccino in der Hand und einer Spange im Haar, die wohl noch vom Stylen übrig geblieben war, gab er zwischendurch mal Tipps. Nur beiläufig bemerkte er Ruizas sehnsüchtige Blicke in der Ferne, die offensichtlich Hide-zou galten. Das verstand er sofort. Er kannte diesen Zustand von sich selbst … Sein Blick wurde umsichtig. Ruiza schien diesen ihm geltenden Blick verstanden zu haben. Sofort schoss ihm alle nur mögliche Röte ins Gesicht. Er drehte sich weg und räumte weiter. Aoi tat es nun leid, dass Ruiza seinen Blick sofort gedeutet hatte – richtig gedeutet hatte – und umgekehrt. Er konnte sehen, dass sich sein Herz fast überschlug, seine Hände zitterten sofort heftig – ihm fiel sogar etwas herunter. Betreten wandte er den Blick ab und drehte sich wieder dem tänzelnden Gitarristengespann zu. Hiroki hatte die ganze Szenerie beobachtet und konnte sich nur wundern. Was war denn hier los? Sein Interesse war geweckt. Ein Mann vom Festival-Staff kam herein. Er gab durch, dass es Zeit wurde, in den Backstagebereich zu wechseln. Die Quelle der Heiterkeit versiegte allmählich und wich schleichend der Konzentration. Aoi zog leicht an Uruhas Oberteil. Uruha streckte Hide-zou die Hand hin, um sich von ihm zu verabschieden. Als dieser beherzt zugriff – ein freches Grinsen auf den Lippen – zog Uruha ihn dicht zu sich heran. Uruhas Gesicht machte dicht neben seinem Halt und kurz darauf – Hide-zou kam geradeso dazu, erschrocken zu schauen – hörte er Uruhas weiche Stimme an seinem Ohr. »Meine Rache wird furchtbar sein …« Es wechselte von leisem Raunen zu einem verführerischen Flüstern. Gleichzeitig verwandelte sich der Händedruck der beiden in ein sanftes Miteinanderringen. Uruha entfernte sich langsam wieder. Das Funkeln in seinen Augen traf Hide-zou wie ein Schlag in den Solar Plexus, ließ ihn wanken. Das anzügliche Grinsen in Uruhas Gesicht verhieß ihm ein: »Wir sehen uns noch …« Der Ältere musste schlucken. Was war das denn jetzt? Die Tür fiel hinter Uruha zu. In seiner Hand fand Hide-zou einen Zettel. Vorsichtig faltete er ihn auseinander. »23 Uhr 30 – am Ausgang H32, sei pünktlich!« Nun hatte er Herzklopfen. Was hatte das zu bedeuten? Wollte er ihm eine Falle stellen? Sollte er hingehen? Oder nicht? Er hatte das Gefühl, dass er es nicht besser machen würde, wenn er nicht hinginge. Warum war er so nervös? Er hatte die ganze Zeit über doch geglaubt, dass er ihm nicht böse war? War das nur Show? Und wann bitte hatte er diesen Zettel geschrieben? Hiroki rempelte ihn an. »Hey, Schlafmütze … es geht los!« Hide-zou erwachte aus seiner Starre. Dann räumte er aufgeregt seine Sachen zusammen. Auf dem Flur kam ihm schon Reita-san entgegen. The GazettE würden nun also in ihren Raum einziehen. Als der Flurabschnitt zu Ende war und in einen anderen Gang mündete, bog er in genau die entgegengesetzte Richtung ab, aus der die GazettE-Members kamen. Sein Blick traf für eine Sekunde den des Leadgitarristen. Uruha hatte ein Funkeln in den Augen und sein Katzengrinsen war wieder da. Hide-zou blinzelte nur – irgendwie verlegen. Er würde hingehen und über sich ergehen lassen, was auch immer sich dieser Mann für ihn ausgedacht haben mochte. Aois aufmerksamen Blick hatte er nicht bemerkt. ~~~ Nach ihrem Konzert war Hide-zou aufgekratzt, jedoch nicht gerade müde. Nur fünf ihrer Lieder konnten sie zum Besten geben, aber die Atmosphäre in der Halle war großartig gewesen. Besonders bei ihrem letzten Song »Guardian« hatte es für das Publikum kein Halten mehr gegeben. Am liebsten würde er noch mal und noch mal und noch mal auf die Bühne stürmen, um im Applaus und der Energie zu baden. »Du bist heute echt ein kleiner Traumtänzer!« Tsunehito stupste ihm in die Seite. »Vor dem Auftritt und jetzt schon wieder …« Der rothaarige Bassist schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Sag, wo bist du mit deinen Gedanken?!« »Ich träume gar nicht!« Hide-zous Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich schwelge in Erinnerung und Euphorie …« »Und ich wundere mich manchmal, welche Worte du so kennst«, schmunzelte Asagi, der recht gelassen auf einem der Stühle saß, die Beine übereinandergeschlagen hatte und sich abschminken ließ, während er gelegentlich aus seinem höchst eleganten Plastikbecher ein Schluck Wasser nahm. »Der arme Kerl, ihr seid heute echt wieder so fies zu ihm!«, maulte Hiroki und stopfte sich eine Teigtasche in den Mund. »Das sagt der Richtige«, murmelte Hide-zou und schürzte die Lippen, ehe ein kleines Gebäckstück vor ihm erschien. Er blinzelte es an, es war eine Teigtasche, augenscheinlich mit Hühnchen und Brokkoli gefüllt. Dann taxierte er die schwarz manikürten Finger, die sein Essen hielten. »Für mich?« Ruiza lächelte sanft und nickte. »Du hast seit heute Nachmittag nichts mehr gegessen. Und diese kleinen Dinger sind wirklich lecker. Jetzt nimm schon«, fügte er noch hinzu, als Hide-zou ihm immer noch so schrecklich interessiert in die Augen sah. »Danke dir«, sagte er herzlich, nahm die Teigtasche, biss herzhaft hinein und stieß ein genussvolles Stöhnen aus. Sich ans Herz fassend drehte Ruiza sich weg und schloss die Augen. Er war albern, sich so zu fühlen und sich so zu verhalten. Früher war er doch nicht so leicht zu beeindrucken gewesen, oder? Jetzt reichte schon ein Lächeln, ein Laut, eine kleine Berührung, dass sein Herz anfing zu hüpfen. Wie anstrengend … wie schmerzvoll süß … Hide-zou sprang auf und eilte auf den Catering-Tisch zu. Wie es immer so ist … man arbeitet, arbeitet und arbeitet – und hat man einen Bissen gegessen, fällt einem ein, dass man ja Hunger hat. Und nach geschlagenen sieben Minuten und sechs weiteren Teigtaschen fiel sein Blick auf die Uhr und er fühlte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Fast hätte er sich verschluckt, er war schon hochrot angelaufen, was jetzt Dank einiger Abschminktücher hervorragend zu sehen war. Doch Asagi kam zu ihm, streichelte seinen Rücken und hielt ihm einen weiteren Becher Wasser hin. »Was ist los? Hast du so geschlungen?« »Ähm …« Moment, er konnte ja nicht erzählen, dass er sich noch eine Abreibung abholen musste. »Ja, es schmeckt einfach zu gut, nicht wahr?« Wie zum Beweis schob er sich das verbliebene Stück zwischen die Lippen. »Na dann … schön vorsichtig!« Und nach dem Motto: Immer voran!, schlug Asagi ihm mit der flachen Hand freundschaftlich auf die Schulter. Hide-zou zog die Schultern an und schmollte leicht, ehe er verstohlen auf die Uhr blickte. Es war kurz vor elf Uhr abends. Sie waren heute sehr spät dran. Wie konnte er sich unauffällig zurückziehen, ohne dass seine Kollegen mitbekamen, wohin er mit oder zu wem ging? Wie konnte er unauffällig zu Ausgang H32 gelangen? »So, Leute, ich will los. Mag jemand mitkommen? Hier in Chiba sollte es doch auch noch mindestens eine Möglichkeit geben, um etwas zu feiern!« Hiroki hatte sich schon seine Lederjacke übergezogen und sah aufmunternd in die Runde. »Ja, du hast Recht«, klinkte Tsunehito sich ein, stand von seinem Sessel auf und streckte seine Arme über seinem Kopf aus. »Taka, Yuki-chan, kommt ihr auch mit? Hide, du?« Asagi grinste. Er fand es so schön familiär, wenn sie sich untereinander mit ihren Vornamen ansprachen. Wobei es sich Hide-zou bei seiner Namenswahl einfach gemacht hatte. Von Hidenori, sprich Hide, nach Hide-zou, sprich Hide, gab es ja keinen Unterschied. Ruiza blinzelte. Er war gerade damit beschäftigt gewesen, sich beim Ausziehen seines Bühnenkostüms nicht in den Ärmeln zu verfangen. »Bitte? Feiern gehen?« Ablenkung? Hurra! »Ein bisschen das V-Rock zu feiern?« Der Bassist zwinkerte ihm zu und der blonde Gitarrist reagierte mit einem strahlenden Lächeln, was ihn erleichterte. »Ich bin dafür! Gebt mir noch zehn Minuten, dann bin ich soweit!« Und dann verschwand Ruiza in den nebenan liegenden Duschräumen. »Ich folge ihm mal zufällig«, flötete Asagi und ging Ruiza hinterher. »Tut nichts, was wir nicht auch tun würden!«, rief Hiroki, der sich so wie Tsunehito und Hide-zou schon vorher umgezogen hatte. »Na, Hide? Kommst du mit?« »Ich komm mit raus, ja, aber feiern werde ich heute nicht.« Ein »Awww« erfüllte den Raum, doch Hide-zou schüttelte den Kopf. »Mir saust es etwas in den Ohren. Ich geh schon mal los und spaziere etwas durch die Gegend.« So stand er auf, jubelte innerlich, dass er wohl kein Aufsehen erregte und tigerte zur Tür. »Habt noch viel Spaß! Wir sehen uns spätestens morgen zum Frühstück!« »Hast du den Hotelschlüssel dabei?«, fragte Tsunehito schnell. »Hm …« Er sah an die Decke, während seine Hand in seine Hosentasche wanderte, fündig wurde und eine Chipkarte zu Tage beförderte. »Alles da. Mata ne.« Und damit machte er sich auf den Weg. Nur ein paar Minuten später hoppelte Ruiza auf einem Bein in den Schminkraum zurück, um seinen Stiefel in die richtige Position zu bekommen. »Wo ist Hide?« ~~~ Es war drei Minuten vor halb zwölf. Er kam sich vor wie ein Verbrecher, wie er so mit aufgestelltem Kragen durch die Nacht wanderte, vom Backstageausgang nach vorn, zum von Uruha bestimmten Treffpunkt. Hier war niemand zu sehen. Außer ihm. Die Fans waren weg und die Security auch. Und wie er sein Glück kannte, würde er wahrscheinlich um ein Uhr morgens immer noch hier stehen und seine Rache war gewesen, dass er in der Kälte gewartet hatte. Es war Ende Oktober. Okay, es war nicht schrecklich kalt, aber wesentlich lieber wäre er lieber in sein wohl temperiertes Zuhause geschlüpft. Oder in ein Hotelzimmer. Warum noch mal übernachteten sie im Hotel, wenn sie doch hier in Tokio spielten? Hatte das etwas mit Bandzusammenhalt zu tun? »Ich mag eure kleinen D-Fähnchen.« »Uruha-san!« Der Gazette-Leadgitarrist war tatsächlich hier! Er hatte ihn nicht einfach so hier herkommen lassen! Innerlich führte Hide-zou einen Freudentanz auf. Uruha trug einen schwarzen Trenchcoat und einen dieser modernen Loopschals. Seine Haare wehten im leichten Wind, der auf dem freien Platz mehr Kraft entwickelte als in der Stadt. »Du siehst überrascht aus.« »Oh, ich … also … ja.« Hide-zou biss sich auf die Unterlippe. Seine Hormone spielten hier eindeutig verrückt. Seit wann bitte bemerkte er das wehende Haar eines Mannes, das er gern berühren würde? »Ich hatte gedacht, du willst mich hier stehen lassen und siehst das als deine Rache.« Einen Moment lang sah Uruha ihn nur erstaunt an, doch dann begann er zu lachen. »Oh, du hast keine Ahnung. Meine Rache sollte zwar furchtbar sein, aber nicht aussichtslos. Komm mal weiter hier ran, da weht es nicht so sehr.« Sie gingen zusammen in die Eingangsgasse und lehnten sich nebeneinander an die Wand. Sie schwiegen. Und dann hielt es Hide-zou nicht mehr aus. »Also los, was hast du Schreckliches für mich geplant?« Uruha antwortete nicht, sondern wippte wieder nur mit dem Fuß und sah hinauf in den sternenklaren Himmel. Der ältere D-Gitarrist kam nicht umhin, das Profil des Jüngeren zu bewundern. Er war perfekt für ihr Genre. Die hübschen Augen, die glatte Stirn, die vollen Lippen. Verdammt. Nicht an Lippen denken. Er hatte hier eine Strafe entgegenzunehmen, da sollte er nicht an irgendwelche Lippen denken, die wahrscheinlich geschickt genug waren, um seine Welt aus den Angeln zu heben. Und heute sollte er überhaupt genug von solchen Bekenntnissen haben, nach dem, was Tsunehito mit ihm veranstaltet hatte. Ja, er war vom Küssen mindestens für die nächsten acht Wochen geheilt. Ein Schatten schob sich vor das Licht einer Laterne auf dem Vorplatz. Er sah zu ihm auf und blickte in blitzende Augen und sich hebende Mundwinkel. »Uruha-san?« Der blonde GazettE-Gitarrist beugte sich über Hide-zou, stützte sich mit beiden Händen seitlich von seinem Kopf ab und fixierte ihn. Er hielt seinen Blick fest, befeuchtete sich die Lippen, eine Geste, die Hide-zou von sich selbst kannte und prompt nachahmte, was Uruha sofort wahrnahm und mit einem Grinsen quittierte. Und dann berührten seine Lippen die von Hide-zou, zart und ganz vorsichtig, wie um abzuwarten, ob er zurückgestoßen oder abgewiesen wurde. Doch dem war nicht so, ganz im Gegenteil. Hide-zou spürte die zarte Haut auf seinem Mund, erahnte die Leidenschaft, die in diesem Mann steckte. Es knisterte. Es kribbelte in seinen Lippen und seinen Fingern. Er sehnte sich danach, sich fallen zu lassen, Dinge zu tun und zu fühlen, die er viel zu lange gemisst hatte. Er wusste nicht, warum Uruha das hier tat. Wusste nicht, warum er selbst ihn nicht zurückstieß, schließlich war das hier mehr als unprofessionell. Und wenn das hier seine Rache war? Sollte er sich doch weiter rächen! Wenn er ihn nach kurzer Zeit zurückwies? Sollte er doch machen! Für Hide-zou gab es dann immer noch zwei Möglichkeiten. Die eine war, damit klarzukommen, darüber zu lachen, sich nochmals höflich bei Uruha zu entschuldigen und dann darüber nachzudenken, was hätte passieren können, wenn er die zweite Möglichkeit genutzt hätte. Um Uruha gar nicht erst auf die Idee kommen zu lassen, ihn zurückzuweisen oder sich von ihm zu entfernen, hob Hide-zou beide Hände und schob sie in den blonden Haarschopf, öffnete die Lippen und drängte seinen Körper an den des jüngeren Gitarristen. Er küsste gern, er küsste wirklich gern und das hier machte ihm Spaß. Uruha schmeckte nach einer Mischung aus Cola und Pfefferminzkaugummi. Ihre Zungen berührten sich sanft, aber dann gab es so etwas wie einen Blitzschlag, eine auf grün umschaltende Ampel, die ihnen gewährte, dass sie sich gegenseitig verschlangen. Uruhas Hände waren von der Wand etwas abgekühlt, doch sie erhitzten sich schnell, als er diese unter Hide-zous Jacke und sein Oberteil auf dessen Rücken schob. Hide-zou zischte vor Kälte und Uruha entschuldigte sich, indem er seine Hand auf den Stoff des Oberteils zurücklegte und diesen bewegte. »Nein«, sagte Hide-zou leise und schob Uruhas Hände zurück auf seine Haut. »Berühre mich, Uruha-san …« Der Jüngere lachte rau auf und biss ihn in den Hals knapp unterm Ohr. »Ich glaube, spätestens, wenn wir hier fertig sind, kannst du dir das –san sparen, Hide …« Um seine Worte zu unterstreichen, verstärkte er seine Küsse und seine Hände wanderten zu den Schulterblättern des Älteren, der diese sanfte und doch fordernde Berührung genoss und in ihre Küsse keuchte. Seine eigenen Hände zerrten an Uruhas Mantelknöpfen, dann schob er sie unter Uruhas Armen hindurch, hakte seine Finger unter die Gürtelschlaufen und zog ihn näher an sich, damit sie sich in der Körpermitte berührten. Sie waren nett anzusehen. Sie passten zusammen. Das dunkle Haar zerzaust, die blonden Strähnen von Händen verwühlt, der eine größer als der andere. Ihr harmonisches Keuchen, das durch die kleine Eingangsgasse hallte. Als Uruha dann Hide-zou gegen die Wand drängte und sich vor ihn kniete, konnte er nicht mehr hinsehen. Aoi drehte den Kopf weg. Diese Szene war ein schlechter Witz. Uruha in den Armen eines anderen Gitarristen, eines anderen Rhythmusgitarristen als in seinen, diesen Gedanken konnte er nicht ertragen. Er war sich nicht bewusst gewesen, dass Uruha keine Hemmungen hatte, außerhalb der Bühne andere Männer zu küssen. Und jetzt hatte er augenscheinlich seine Chance verpasst. Er kannte ihn zu gut. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er auch in homosexueller Beziehung nicht dazu in der Lage, Gefühle rauszuhalten. Also selbst dann, wenn er in diesem Moment mit Hide-zou nur Spaß hatte, wäre dies keine einmalige Begegnung. Kurz musste er an Ruizas sehnsüchtigen Blick denken. Wenn er hiervon erfuhr, wäre er genauso geschockt wie er es jetzt war. Anscheinend war das mit den Gitarristen ein- und derselben Band immer eine komplizierte Angelegenheit. ~~~ »Guten Morgen, alle zusammen!« Uruha stürmte mit einem breiten Grinsen in den Backstagebereich, während sich drei Köpfe langsam und müde erhoben, um dieses Spektakel zu betrachten. Und dann war da noch Frühaufsteher-Kai. »Nicht doch«, stöhnte Ruki und ließ sich gegen die Couchlehne fallen, wo er liegen blieb und so aussah, als würde er sich für mindestens acht Stunden nicht rühren wollen. »Guten Morgen, Uruha!«, strahlte Kai zurück, der ihm einen Becher Kaffee in die Hand drückte, welche der Gitarrist mit Freuden entgegennahm und sogleich einen Schluck daraus genoss. »Leute, mein Kopf tut weh, nicht so laut«, maulte Aoi im Kansaidialekt und versteckte seine Ohren unter einem Kissen. Dank des vorgeschriebenen Zeitplans hatte er noch nicht mit einer Standpauke ihrer Stylistin zu rechnen. Die er ganz nebenbei sowieso auf »lautlos« stellte. »Ich kann es nicht glauben!«, empörte sich der Leadgitarrist und zog an einer der blonden Strähnen seines Lieblingsbassisten. »Ihr habt gestern nicht wirklich ohne mich gefeiert?!« - Und das vor diesem Auftritt heute. »Schrei doch bitte nicht so!«, brummte Reita und versuchte mit einem geöffneten Auge an Uruhas Haaren Rache zu üben. »Nur, weil du mal einen Spaziergang machen willst, heißt das ja nicht, dass wir auch Askese betreiben müssen.« »Aki~« Ihr gelockter Sänger machte eine Schnute. »Solche Worte übersteigen meinen Wortschatz für diese frühe Morgenstunde.« Leader-sama verschränkte die Arme. »Es ist fast elf. Und ganz nebenbei kommen um elf unsere Leute her, damit sie bis heute Abend fertig werden.« »Warum habt ihr euch eigentlich so sehr betrunken?«, fragte Uruha in die Runde und wunderte sich sehr, da er doch normalerweise derjenige war, der nichts vertrug. »Weil … da war so ein Getränk! Und das war so lecker …« Aoi setzte ein schiefes Grinsen auf und unterdrückte jeglichen Kommentar darüber, dass Uruha schuld daran war, dass er einen Kater hatte. »Ganz nebenbei«, kam es von der Couchlehne mit erhobenem Finger: »Ich glaube nicht, dass Uruha das gemacht hat.« »Was gemacht hat?«, fragte Kai und war kurz davor, einen von Staff anzurufen, damit er noch zur Apotheke ging, um Aspirin einzukaufen. »Na ja …« Der Finger schwang im Kreis. »Das betrieben hat!« »Was betrieben?« »Das, was Aki gesagt hat!« »Askese?« »Ha!«, stieß Ruki aus. »Genau! Seht ihn euch doch mal an: Er strahlt wie ein Honigkuchenpferd! Und so guckt er meist dann, wenn er erfolgreich geflirtet hat!« Aoi schnappte sich die nahestehende Wasserflasche und hielt sie wie ein Mikrofon vor Uruhas Mund. »Uruha-sama, möchten Sie sich uns gegenüber zu Ihrem Sexleben äußern?« Uruha blinzelte, seufzte und schloss die Augen. »Kein Kommentar.« »Ich gebe zurück an Ruki-sama«, ahmte Aoi einen Nachrichtenmoderator nach und warf die Flasche Reita zu, der sie an Rukis Lippen hielt. »Das glaube ich nicht. Aber es reicht auch wieder mit dem Katerdasein.« Der Sänger streckte sich und stand auf, ehe er im Badezimmer verschwand. »Genau.« Aoi gähnte herzhaft und als er die Augen wieder öffnete, stand da ein Asagi in der Tür, begleitet von Tsunehito und Hiroki. »Oh, hallo! Was macht ihr denn hier?« Er stand auf und begrüßte die drei D-Members mit einem Handschlag, Kai und auch Reita und Uruha taten es ihm gleich. »Wir sind nur hier, um die Meister bei der Arbeit zu bewundern.« »Danke, danke, aber euer Auftritt gestern war doch auch nicht von schlechten Eltern.« Kai lächelte wohlwollend und bot ihnen an, Platz zu nehmen. »Wo habt ihr eure Gitarristen gelassen?«, fragte Uruha und sah sogar auf dem Flur nach. Wenn Aoi eine schwule männliche, eifersüchtige Ziege gewesen wäre, hätte er jetzt schnippisch gefragt: >Was, vermisst du ihn schon so sehr? Willst du ihn gleich hier wieder bespringen?< »Die kommen nach. Hide-zou hat verschlafen und Ruiza wollte auf ihn warten.« Hiroki sah Uruha dabei in die Augen, Uruha nickte und wandte sich dann von ihnen ab, tat so, als ob er etwas in seiner Tasche suchen müsste. »Reita, wo habe ich meinen neuen Plektrensatz hingelegt?« »Warte, ich glaube, der ist …« Und so verloren sich die beiden Freunde im unendlichen Universum von Uruhas Handtasche. ~~~ »Hidenori! Hey, jetzt wach endlich auf!« Ruiza hatte das nicht tun wollen, er wollte Hide-zous Privatsphäre schützen. Ehrlich. Aber es war spät und er war ungeduldig. Also musste er seine Trumpfkarte zücken: Den Generalschlüssel. Die Karte hielt er vor den Scanner, das Licht wurde grün und er trat ein. Die Vorhänge waren geschlossen und die Bettlaken waren zerwühlt. Doch nicht nur das. Im Bett lag ein Hide-zou auf dem Bauch und auf seinem Oberarm war hervorragend das Phönixtattoo zu erkennen. Wieso hielt es dieser Kerl nicht für nötig, seinen Körper mit einem Stück Stoff zu bedecken? »Hide …« Sehnsüchtig betrachtete er die Schultermuskulatur seines Gitarrenpartners, wollte die Haut berühren, die Bewegung spüren. Ruiza setzte sich zu ihm auf die Bettkante und betrachtete sein ruhiges Gesicht, das ihm seitlich zugewandt war. Die Haare, die sich sanft über seine Schultern und ein bisschen über das Kissen ergossen, fühlten sich mit Sicherheit wunderbar an. Die langen Wimpern, die auf seinen Wangen ruhten, waren schön. Er genoss es, in seiner Nähe zu sein, genau so sehr wie es ihn schmerzte. Vielleicht konnte er ihn berühren, ohne ihn zu wecken und sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen? Vorsichtig hob er eine Hand und streichelte den Phönix, dann wanderten seine Finger hinauf zu den Strähnen, die er mit einem erleichterten Seufzen hinter Hide-zous Ohren strich. Dann sah er etwas, das er bei Hide-zou und auch bei jedem anderen Bandmember schon lange nicht mehr gesehen hatte. Hide-zou summte, ehe er die Augen öffnete. Sie leuchteten erfreut, ohne dass Licht auf sie fiel. »Yoshiyuki …« Er gähnte, drehte sich um gab den Blick auf seinen Oberkörper frei. Ruiza versuchte, sich auf sein Gesicht zu konzentrieren. »Guten Morgen, Hide.« »Es ist schon spät, oder?« »Ja. Die anderen sind schon los und bewundern die Gazetto-Jungs.« Einen Moment wartete er noch, dann sprach er aus, was sein musste: »Komm, steh auf.« »Okay.« Er schnurrte und streckte sich wie eine rollige Katze, was nur mehr Bilder in Ruiza erweckte. »Hide-zou?« »Ja?« »Du hast da rote Flecken. Das sind Knutschflecken, oder?«, fragte er und deutete auf seinen Hals und Teile seiner Brust. »Ich wusste nicht, dass du so darauf stehst, selbst geküsst zu werden.« Er kicherte. Hide-zou räusperte sich und streichelte seine Flecken liebevoll. Wenn du wüsstest, Ruiza … Wohl hatte er auch bemerkt, dass der Mann, der vor ihm saß, ihn liebevoll berührt hatte. Er wunderte sich kurz über diese Geste. Der blonde Gitarrist sah heute rosig aus, aber im gleichen Moment bemerkte er auch Anspannung in seinem Gesicht, Unsicherheit und auch die leichte Röte auf seinen Wangen wich. Der Kleinere wirkte plötzlich wie unter Strom, saß wie starr auf dem Bett. Eine seltsame Wandlung binnen weniger Sekunden. Ruiza war mit einem Mal entrüstet. Gerade war ihm eingekommen, was diese Flecken auf Hide-zous Brust zu bedeuten hatten: Der Gitarrist, den er heimlich anhimmelte, hatte sich heute Nacht wohl nicht allein vergnügt. Er selber hatte im Nebenzimmer geschlafen, aber nichts bemerkt. »Alles okay, was ist denn auf einmal mit dir?«, fragte Hide-zou sehr umsichtig. Seit gestern Abend schienen seine Sinne wieder geschärft zu sein. »Nichts … ich bin nur ein wenig müde …«, erwiderte der andere schnell und drehte sich ein wenig weg. Hide-zou wusste, dass es gelogen war. Einen Moment lang wusste er nicht, was er sagen sollte. »Du, Hide-zou ...« Ruiza versuchte wieder ein optimistisches Lächeln, wollte nicht, dass der andere Gitarrist wieder anfing zu bohren. »Wo warst du denn gestern noch? Ich hab dich auf dem Flur gar nicht zurückkommen gehört.« Wie ein Blitzlicht schossen Bilder des vergangenen Abends durch seinen Kopf. Es waren zwei Stunden – zwei Stunden, in denen er sich bedingungslos dem GazettE-Gitarristen Uruha hingegeben hatte – aber dennoch hatte er damit ebenso auch seine eigenen Bedürfnisse gestillt. Er erinnerte sich an ein intensives Gefühl nach dem anderen. Die unzähligen Küsse, das seidige Gefühl seiner Haare, seine Hände, den weichen Stoff des Oberteils unter Uruhas Trenchcoat. Zwei Stunden hatten sie schlicht damit zugebracht, Zärtlichkeiten auszutauschen und sich, die Zeit und die Welt um sich herum zu vergessen. »Ähm … ich bin nicht ...« »Was …? Nicht allein nach Hause gekommen?«, riet Ruiza vorsichtig und suchte beiläufig nach Indizien einer zweiten Person in dem Hotelzimmer. »Dann hätte ich ja zumindest Absätze von Stöckelschuhen und Gekicher hören müssen ...«, überlegte er laut. »Sie war wohl eher eine ruhige … « Hide-zou begann wieder sich zu räuspern. »Na ja, die Liebesflecken auf deinem Oberkörper sprechen eine andere Sprache ...« Je mehr der süße blonde Gitarrist darüber nachdachte, desto mehr Farbe bekam sein Gegenüber. »Sie war keine Sie ...«, nuschelte er verlegen. Ruiza hatte es verstanden. Sein Herz macht einen Sprung. Das erklärte so einiges; zum Beispiel auch, warum der brünette Gitarrist bei Tsunehitos Angriff auf seinen Mund nicht einmal gezuckt hatte. »O-okay ...«, sagte der Jüngere schnell, versuchte nicht nervös zu wirken, Hide-zou sollte nicht bemerken, dass ihn das Thema mehr berührte und beschäftigte, als gut für ihn war. Ruiza fühlte sich unbehagen. Sein Herz klopfte unentwegt schneller und schneller. Er kam sich seltsam ertappt vor. Hoffentlich bemerkte Hide-zou seine aufkeimende Panik nicht. Zu spät: »Wirklich? Oder sagst du das nur so?« »Nein, ich meine, es kann doch jeder machen … was ihm gefällt … und … also ...« Hide-zous eindringlicher Blick verunsicherte ihn so sehr, dass seine Ausführung allmählich erstarb. Was blieb, war ein intimer Blickwechsel. Hide-zou hatte die Beine aufgestellt und die Arme darumgeschlungen. Doch seine Haltung signalisierte klar: Ich bin hellwach und habe deine Unsicherheit bemerkt, äußere dich dazu! »Komm schon. Da ist doch noch etwas anderes.«, fing Hide-zou wieder vorsichtig an. Ruiza zitterte. Hide-zou hatte lange schon bemerkt, dass ihn irgendwas bedrückte – ihm war nur nie bewusst gewesen, dass es etwas mit diesem Thema zu tun haben könnte. Der kleine Gitarrist mit den irre schnellen Fingern war doch sonst für jeden Spaß zu haben, wenn die Bandmember miteinander kokettierten. Was war denn das auf einmal für ein Stolperstein? »Ich … ich ...« Was sollte Ruiza denn nun sagen? »Ich habe kein Problem damit – noch nie gehabt – ich bin nur zur Zeit durch den Wind …« Er hoffte, dass er, wenn er nun einfach aufstand, das Thema schneller wechseln und der Situation entfliehen konnte. Aber das war grad nicht drin – Hide-zou hielt ihn am Ärmel fest. »Du solltest dich anziehen – die anderen warten bestimmt schon auf uns«, versuchte er es erneut. Doch Hide-zou ließ ihn nicht gehen. So ernsthaft hatte er den Gitarristen nicht so oft gesehen. »Ich kann darüber nicht reden … Akzeptiere das bitte.« Damit hatte er ihn. Hide-zou ließ ihn los. Ohne Knurren, aber mit ernstem Blick und ohne Worte verschwand er im Badezimmer und wenig später hörte Ruiza das bekannte Geräusch der laufenden Dusche. Er war extrem verunsichert, hatte das Gefühl, den anderen beleidigt zu haben. Er fühlte sich elend. Seine Gedanken flogen hin und her. Er könnte sich ihm auch immer noch anvertrauen. Wovor hatte er Angst? Die Chance, dass er zurückgewiesen werden könnte, hatte sich dezimiert - er wusste ja nun, dass Hide-zou Männern gegenüber nicht abgeneigt war, wenn es um Körperlichkeiten ging. Immerhin hatte er gerade die Nacht mit einem Fremden verbracht. Da war es: Er hatte Angst vor der Zurückweisung, Angst vor einem gebrochenen Herzen … In Gedanken versunken schaute er aus dem Fenster des Hotelzimmers hinaus in die regengraue Stadt. Gerade hatte er das Bedürfnis, in die nächste Metro zu steigen und nach Hause zu fahren. Er wollte sich einfach verkriechen. Dabei war er von einem gebrochenen Herzen noch lange entfernt. Ehe er sich versah, stand Hide-zou fertig angezogen vor der Tür. »Kommst du? Ich hol mit unterwegs was zum Frühstück ...« Obwohl er es nicht erwartet hatte, schwang in Hide-zous Worten keine Kälte mit. Im Flur sprachen sie nicht, auch nicht, als sie auf den Fahrstuhl warteten. Die Türen gingen zu. Eine freundliche Frauenstimme erzählte munter, in welcher Etage sie sich befanden. »Ruiza.« Hide-zou starrte auf den Aufkleber an der Wand vor sich. Er hatte die letzten dreißig Minuten im Bad damit zugebracht, nachzudenken. Wenn ihn eines auszeichnete, dann dass er wusste, was er wollte (meistens zumindest) und dass er bekam, was er wollte (absolut immer). »Was ist denn?« »Ich habe nicht mit Uruha-san geschlafen.« Ruizas Augen wuchsen zu Tellern heran. Er hatte sich gestern mit URUHA-san getroffen?! Das konnte er gar nicht glauben. »Wir sind auf mein Zimmer gegangen und haben rumgemacht. Irgendwann bin ich aber eingeschlafen, weil ich so müde war ...«, gab er zu. Hide-zou wartete aber eine Reaktion des anderen nicht ab. Er machte eine fließende Bewegung und drückte den Stoppknopf an der futuristischen Touchleiste des Fahrstuhls. Dieser hielt fühlbar und hörbar an. »Was machst du?! Hide-zou?!« Der Größere drehte sich zu ihm um und drängte Ruiza an die Wand hinter ihm, ließ dem Blonden durch seine schamlose Nähe keinen Platz zum Fliehen. »Beruhigt dich das jetzt? Los, raus damit! Was ist mit dir los? Oder besser mit uns?!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)