Das Leben Hält Manche Überraschungen Bereit von laleo ================================================================================ Kapitel 3: ----------- * * * Vor Justins letztem Wochenende fasste ich mir ein Herz und jetzt, Freitagmittag, als Carola gerade aus dem Auto gestiegen war und die Kinder bei Uschi abholte, drehte ich mich zu Justin um, sah ihn einen Augenblick lang an und hörte ich mich sagen: „Justin, das ist jetzt kein schlechter Scherz und die Situation ist gerade total beschissen. Trotzdem möchte ich dir sagen, dass ich mich in dich verliebt habe. Ich würde gerne weiter mit dir darüber sprechen, natürlich ohne Carola und die Kinder. Wenn es dir recht ist, kann ich etwas später zu dir kommen? Bitte, Justin.“ Neben mir im Sitz sah ich Justin zitternd seine Hände ineinander schlingen und sie hin und her winden. Ich hatte mich selbst mit meinem plötzlichen Geständnis überrascht, dass ich doch so gar nicht preisgeben wollte. Schon erst recht nicht unter solchen Umständen. Jetzt war es aber geschehen. Die Worte waren aus meinem Mund geschlüpft und ich konnte sie nicht mehr zurückholen. Justin drehte sich zu mir um, um mir eine Antwort zu geben, da pochten auch schon kleine Fäuste gegen seine Fensterscheibe. Es war keine Zeit mehr, sich ausführlich zu unterhalten oder auf Justins Antwort zu warten. Sein Nicken musste mir genügen. So sprang ich aus dem Auto, schnappte mir Jan (Warum ich die Zwillinge schon immer auseinander halten konnte, wusste ich auch nicht, doch es war schon so, seit sie auf der Welt waren.) und bugsierte ihn auf seinen Kindersitz. Wir waren alle eingestiegen und kurz darauf hielten wir auch schon an Justins Ecke. Gerade als er nach seinem Ausstieg die Tür zuschlagen wollte, rief ich ihm hinterher: „Nicht vergessen, um 19:00 Uhr heute Abend.“ Meine Stimme klang dabei selbst in meinen Ohren drängend. Das Nicken seines Kopfes, sein eiliger sich entfernender Schritt, mein Anfahren des Wagens, Carolas Frage, was ich denn noch heute Abend bei Justin Sieler machen wollte und der Ausbruch eines kleinen Kinderweltkriegs auf der Rückbank unseres Autos ließen mir keine Zeit für eine vernünftige Antwort. Jedes Wort würde in diesem Chaos untergehen und so schwieg ich, froh, gerade nichts sagen zu müssen. An unserem Haus angekommen, stürmten unsere kreischenden Jungen quer über den Rasen in Richtung auf den Schuppen im hinteren Teil des Gartens zu und stürzten sich auf die davor befindliche Sandkiste. Der Kinderweltkrieg Teil unendlich ging in die nächste Runde. Carola sah mich verwundert von der Seite an, sagte aber nichts, schnappte sich ihre Tasche und einen Ordner aus dem Kofferraum und ließ mir den Vortritt, um die Haustür für sie zu öffnen. In unserem gemeinsamen Arbeitszimmer angekommen, warfen wir erst einmal unsere Taschen neben unsere Schreibtische, legten Unterlagen, Ordner und was wir sonst noch Wichtiges dabei hatten, oben drauf und stürmten unser jeweiliges Schlafzimmer. Wir warfen uns in unsere Freizeitkluft und Carola machte sich ans Kartoffel schnippeln. Ich stand neben ihr an der Arbeitsplatte und putzte das Gemüse, panierte die kleinen Fischfilets, die es heute geben sollte und stellte anschließend schon mal alles für eine schnelle Senfsoße und eine leichte Sauce fürs Gemüse bereit. Die Eier brodelten im Kocher, alles lief ab, wie ein Uhrwerk. Mittlerweile saßen wir am Tisch in der Küche und putzten zusammen das restliche Gemüse, das gleich in den Dampfgarer gegeben werden sollte. Carola blickte auf und ich konnte ihre Augen eindringlich auf mir spüren. Verlegene Röte schoss mir in die Wangen, obwohl ich mir nichts vorzuwerfen hatte, außer einem Wandel in meinen Gefühlen. „Du hast dich verändert, Morten.“ Da waren sie. Die Worte, die alles Neue einleiten würden. „Irgendwie bist du seit ein paar Wochen anders, gefühlvoller, aufgeschlossener. Was hat diese Veränderung hervor gebracht? Justin Sieler?“ Sie verschwendete nie viele Worte, um auf den Punkt zu kommen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr mit einem stummen Nicken zuzustimmen. Dann hörte ich sie leise sprechen. „Es tut mir leid, dass du jetzt in dieser Beziehung mit mir gefangen bist. Damals wollte ich so unbedingt zu dir gehören, gönnte keiner anderen Frau den Platz an deiner Seite. Schon als ich noch auf dich aufpassen durfte oder musste, wollte ich immer bei dir sein. Dabei wusste ich, dass du keine Mädchen mochtest. Wusste es schon sehr lange.“ Mit einem kleinen Lacher beendete sie den nächsten Satz. „Schließlich habe ich lange genug auf dich aufgepasst. Aber du warst, du bist mir so wichtig. Morten, es tut mir leid, aber ich konnte nicht anders.“ Sie atmete tief ein. „Was ich dir jetzt sage, ist dir sicher nicht verborgen geblieben. Ich kann mich nicht nach Sex verzehren, trage diese Leidenschaft einfach nicht in mir. Das ist schon so, seit ich als Babysitter einmal von einem der Väter, der unter viel Frust und Alkohol stand, brutal vergewaltigt wurde. Es tut mir leid, dir das ebenfalls erst jetzt zu sagen. Aber – du warst meine Rettung. Meine Eintrittskarte, um von meiner Familie, meinem Umfeld wegzukommen. Bei dir fühlte ich mich immer sicher, immer geborgen.“ Erstaunt sah ich auf und blickte direkt in Carolas leicht schwimmende Augen, die ihr einfach überliefen. Meine Hand reichte unwillkürlich zu ihrer herüber, griff nach ihr, hielt sie fest in meiner und streichelte sanft mit einem Finger über ihren Handrücken. Dann stand ich auf und eilte um den Tisch herum, nahm sie fest in meine Arme und hielt sie nur einfach fest. Worte waren gerade überflüssig. Dann nahmen wir wieder Platz. „Du musst dir gar nichts vorwerfen. Ich habe, genau wie du vor dem Altar geschworen, dir treu zu sein“, erwiderte ich leise. „Und das kannst du in deinem Herzen jetzt nicht mehr, stimmt's?“ fragte sie mit kleiner Stimme. Wieder konnte ich nur stumm nicken. Dann sah ich auf und direkt in ihre braunen Augen. „Carola, es ist schade, dass du mir erst jetzt etwas so unendlich Wichtiges und doch so Furchtbares sagen konntest. Doch besser spät als nie. Vielleicht ändert sich auch bei dir etwas mit der Zeit. Aber Carola, es ist irgendwie komisch. Ich liebe dich und gleichzeitig verzehre ich mich nach Justin. Auch, wenn dich das jetzt sehr schmerzen wird, aber so habe ich nie für dich gefühlt. Es tut mir leid, dir damit so weh zu tun, aber die Gefühle, die ich für Justin habe, könnte ich für niemand anderen aufbringen. Auch für keinen anderen Mann. Ich glaube, du hast damals etwas erkannt, das mir erst seit ein paar Wochen Probleme bereitet. Worüber ich grübele und mich verzweifelt im Bett herumwälze.“ Etwas atemlos brach ich ab, da ich doch sehr harte Worte gebraucht hatte. Ich hätte mir keine Sorgen machen brauchen. Carola war Carola und so war ihre Antwort: „Warum fragst du ihn nicht, ob er zu uns ziehen möchte? Falls du so weit überhaupt schon gedacht hast. Ich war ja eigentlich daran schuld, dass du dich nie selbst finden konntest und ich wusste es, als ich mit dir zum Altar schritt. Es ist mir recht und solange es keine andere Frau ist, bin ich bereit, dich mit jedem Mann zu teilen, der dich liebt und der mit unseren Kindern zurechtkommt. Es wäre schön, wenn du darüber nachdenken könntest…“ sie stand auf. „…und die Eier abschüttest. Der Ton des Eierkochers geht mir auf die Nerven.“ Carola ging aus der Küche und ließ mich total geschockt und in einem Zustand der totalen Ungläubigkeit zurück. Schlafwandlerisch trat ich an den Küchenschrank, schaltete den Eierkocher aus, goss Wasser auf die Kartoffeln, stellte sie auf die Herdplatte, die ich anschaltete. Dann gab ich etwa einen Viertelliter Brühe in den Dampfgarer und legte das Gemüse auf das Sieb, das etwas später im Garer verschwinden würde. Alle meine Handgriffe tat ich automatisch und mit einer Abwesenheit, die mich verwunderte. In meinem Kopf sprangen die Gedanken herum, wie Kinder in einer Hüpfburg, kreuz und quer durcheinander, sich manchmal anstoßend, manchmal auf das weiche Gummi fallend. Konfusion machte sich immer mehr in mir breit, als die Jungs laut johlend zur Küchentür hereinstürmten und etwas zu Essen verlangten. Das Gemüse verschwand im Garer, ich mixte die Soße dafür zusammen, machte eine schnelle Senfsoße und briet vorsichtig die Fischfilets in einer Pfanne an, während Carola zurückgekommen war und den Jungen beim Tisch decken half. Alles wie immer, alles ganz normal. Nur konnte ich mich nicht dazu bringen, mich zu ihnen an den Tisch zu setzen. Ich entschuldigte mich, eilte in mein Schlafzimmer, schloss die Tür ab und versteckte mich in meinem Bett. Endlich, nach gefühlten Jahren des Nachdenkens, klärten sich meine Gedanken ein wenig. Carola wusste schon lange vor mir, dass ich keine Mädchen mochte, dass ich Jungen oder Männer interessanter fand. Doch sie liebte mich so sehr, dass sie das Risiko einging, mich trotzdem zu heiraten, obwohl ich mich jederzeit in einen Mann hätte verlieben können. Was war dann mit unserem Sexleben? War das dann auch von ihr so gewollt worden? Hatten wir wegen ihrer Vergewaltigung oder wegen ihres schlechten Gewissens so wenig Sex? Antworten würde mir nur Carola geben können, doch das stand gerade nicht zur Diskussion. Ein Blick auf meinen Radiowecker zeigte mir nämlich, dass es höchste Zeit würde, mich zu Justin aufzumachen. Hastig sprang ich unter die Dusche, seifte mich rasend schnell ein, immer darauf achtend, trotz allem gründlich zu sein. Blitzartig suchte ich Kleidungsstücke aus den Schränken, eifrig darauf bedacht, zusammenpassende Farben zu wählen. Zwischendurch blickte ich immer wieder prüfend in den Spiegel um zu sehen, ob meine Frisur auch zu meiner Zufriedenheit lag. Zum guten Schluss strich ich mir doch noch einmal durch die Haare, um sie nicht ganz so ordentlich wirken zu lassen. Überstürzt polterte ich die Treppe ins Erdgeschoss hinunter und rief einen lauten Abschiedsgruß in den hinteren Teil der Wohnung, wo die beiden Jungen durch die Zimmer tobten. Den Schlüssel zu schnappen und mich ins Auto werfen war praktisch eine einzige Bewegung. Oder so kam es mir vor. Ohne weiter darüber nachzudenken, stand ich auch schon vor Justins Tür. Nur - was sollte ich ihm sagen? Mit einem Kopfschlenker fegte ich die schlechten Gedanken weg, öffnete die Wagentür, stieg aus, schloss ab und ging mit weit ausgreifenden Schritten den schmalen Weg auf Justins Haustür zu. Einen kurzen Moment zögerte ich, doch dann drückte ich entschlossen auf die Klingel. Ich musste da jetzt durch. Hoffentlich war Justin auch da. Noch hatte ich mir nicht überlegt, was er mir überhaupt für eine Antwort geben könnte, doch war ich tief innen davon überzeugt, dass er mich in seiner Wohnung und vielleicht in seinem Leben willkommen heißen würde. Irgendwie. Den Knopf der Schelle ein wenig länger haltend hörte ich, wie das Gebimmel durch die Wohnung dröhnte. Nur – kein Justin kam heraus. Langsam stiefelte ich ums Haus, bückte mich und blickte in die Fenster der tieferliegenden Einliegerwohnung, die Justin gerade bewohnte. Alles war dunkel dort drinnen und mein Herz brach. Ich hatte mir wohl doch etwas vorgemacht. Justin würde meine Gefühle nicht erwidern, es würde keine Liebe für mich geben. Nur weiterhin dieser freundschaftliche Zusammenhalt mit Carola. Sex konnte ich mir momentan so gar nicht mit ihr vorstellen und so sackte ich neben dem Blumenbeet vor seinem Schlafzimmerfenster zu Boden und weinte. Die Tränen strömten nur so aus mir heraus, ließen keinen Aufhalten zu. Jeder hätte mich so sehen können, doch mir war alles egal. Die Verzweiflung hatte mich fest im Griff und schüttelte meinen Körper. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)