Mit dem Schönsten beginnen und aufhören von Newt ================================================================================ Mit dem Schönsten beginnen und aufhören --------------------------------------- „Ein Rauch verweht, ein Wasser verrinnt, eine Zeit vergeht, eine neue beginnt.“ Die Luft war schneidend kalt und obwohl der Schneefall sich zum ersten Mal in den Tagen seit Weihnachten eine kleine Pause zu gönnen schien, konnte man geradezu riechen, dass der nächste Flockentanz nicht lange auf sich warten lassen würde. Nicht, dass es den beiden Gestalten, die stumm nebeneinander auf dem Balkon des Einfamilienhauses standen, etwas ausgemacht hätte. Obwohl sich ihr Atem zu kleinen Dampfwölkchen auflöste, sobald er ihre Lippen verließ, war keinem von ihnen kalt. Ihre Finger waren fest miteinander verschränkt, sodass man nicht wirklich sagen konnte, wessen Wärme dabei auf wen überging. Aber letztlich war das wohl auch nicht wichtig. Ein kurzer Knall zerschnitt die friedliche Stille der Nacht, und ein einzelner, fehlgezündeter Feuerwerkskörper verpuffte vor der schwarzen Kulisse der Kleinstadt. “Da kann es wohl jemand gar nicht erwarten”, bemerkte Mozart mit einem milde amüsierten Ausschlagen seines flauschigen, geringelten Schweifs und warf einen Blick auf die etwas kleinere Gestalt neben sich. Fawnien blinzelte ein wenig irritiert, beinahe so, als ob der zu früh gezündete Silvesterböller ihn gewaltsam aus seinen Gedanken gerissen hätte.  “Ähm...ja”, beeilte der Katzenhybride sich zu antworten und schickte ein kurzes, etwas verlegenes Lächeln zu seinem Freund hoch, welcher dies ohne Umschweife erwiderte. “Es müsste bald soweit sein, denke ich”, fügte Mozart noch hinzu und begann etwas umständlich, den Ärmel seiner Winterjacke mit der freien Hand etwas hochzuschieben und einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen, ohne die Verbindung ihrer Hände zu lösen. Dies ließ Fawnies Lächeln noch eine Spur wärmer werden und er übte mit seinen Fingern für einen kurzen Moment sanften Druck auf die des Hundehybriden aus.  Mozarts Uhr zeigte zehn Minuten vor Mitternacht an. Eigentlich war es vollkommen bescheuert, bei dieser Eiseskälte hier draußen zu stehen, wenn sie den Beginn des neuen Jahres genauso gut drinnen, im Warmen, erwarten könnten. Aber das war schließlich Tradition. Zumindest der weniger angenehme Teil der Silvestertradition, die sie schon viele Jahre hindurch immer und immer wieder durchführten, obwohl es ihnen mit schönster Regelmäßigkeit verkühlte  Ohren und Füße einbrachte. Dennoch wussten sowohl Fawnie als auch Mozart, dass keiner von ihnen diese Momente gegen ein lauschiges Plätzchen am Kamin eintauschen würde. Kaminfeuer war toll, sicherlich. Aber es gab schönere Dinge, mit denen man ein Jahr verabschieden konnte. Sehr viel schönere Dinge. “Anscheinend gibt es hier noch jemanden, der es gar nicht erwarten kann”, bemerkte Mozart erneut in die Stille hinein, und erst das leise Schmunzeln in seiner Stimme machte Fawnie bewusst, dass er gerade gedankenlos ein gutes Stückchen näher an seinen Freund herangerückt war und nun leicht gegen dessen Schulter gelehnt dastand. Der Katzenhybrid spürte, wie langsam ein wenig Wärme in seine Wangen kroch, weswegen er verlegen versuchte, sein Gesicht noch etwas tiefer in seinen Schal einzugraben. “Sei doch still”, murmelte er etwas unwirsch, lehnte sich aber bewusster noch etwas näher gegen Mozart, was diesem ein leises,  raues Lachen entlockte.  “Ist doch in Ordnung”, erwiderte der Größere und stupste mit seiner Nase leicht gegen eins von Fawnies defensiv zurückgelegten Katzenohren, “Es ist auch mein liebster Teil von Neujahr...” Fawnies weiche Öhrchen zuckten einmal leicht, während ihr Besitzer versuchte, ein leises Schnurren zu unterdrücken, das ihm über die Lippen kommen wollte. Egal, wie lange sie sich schon kannten und egal, seit wann sich ihr Verhältnis auf diese Art und Weise irgendwann gewandelt hatte, es machte Fawnie noch immer verlegen, wenn Mozart seine Gedanken einfach so aussprach. Wenn jedes einzelne seiner Worte von der Zuneigung sprach, die der Hundehybride für seinen Jugendfreund empfand. Das war eine Ehrlichkeit, mit der Fawnie noch immer schwer umgehen konnte, weil sie ihn einfach so schrecklich nervös zurückließ und ihm das Gefühl gab, selbst vollkommen unzulänglich zu sein. “Noch fünf Minuten.” Die Nervosität kroch in Fawnies Magen hoch wie ein Schwarm flatternder Insekten, die hektisch versuchten, nach draußen zu gelangen. Ein widerliches Bild, aber ein durch und durch gutes Gefühl. Und während sie hier standen und die letzten Minuten bis Neujahr zählten, erinnerte sich Fawnie lächelnd daran, dass alles eigentlich genau hier angefangen hatte. Auf diesem etwas morschen, hölzernen Balkon seines Elternhauses, vor ziemlich genau zehn Jahren... ---------------------------------- “Bist du dir wirklich sicher, dass wir ihn hier alleine lassen sollten?” Feenien Blakemore stand mit verschränkten Armen in seinem Wohnzimmer und blickte zweifelnd auf den Hinterkopf seines Freundes, der gerade dabei war, den Schlafanzug ihres gemeinsamen sechsjährigen Adoptivsohnes richtig zuzuknöpfen. Es war der 31. Dezember und sie hatten von gemeinsamen Freunden eine Einladung zu einem Silvesteressen bekommen. Nun, eigentlich waren es Fawkes’ Freunde und Fee legte wenig Wert darauf, sich in lärmende und potentiell lästige Gesellschaft zu begeben, aber sein Freund hatte es wieder einmal geschafft, ihn zu überreden. Seitdem das Kind im Haus war, waren sie nur sehr selten einmal ausgegangen, hatte Fawkes argumentiert. Und jetzt, wo Fawnie langsam in ein Alter kam, wo man ihn auch mal für ein paar Stunden alleine lassen konnte, sollten sie mal wieder ein wenig unter Leute kommen. “Wir sind ja nach Mitternacht wieder da”, erwiderte Fawkes gerade unbekümmert und schloss den obersten Knopf des Katzenschlafanzugs, der besonders niedlich wirkte, da der kleine Junge, der ihn trug, selbst ein paar Katzenöhrchen und einen weißen Schweif mit rotbrauner Spitze vorzuweisen hatte. Fawnie blinzelte ihn mit seinen großen, goldenen Augen ein wenig verloren an und Fawkes konnte nicht anders, als ihm mit warmem Lächeln auf den Lippen einmal durch die Haare zu streichen. “Versprochen, Fawnie.” Fees skeptischer Ausdruck wurde daraufhin ein wenig weicher, und er war nur froh, dass Fawkes ihm gerade den Rücken zukehrte und dies nicht sah. Er war noch immer manchmal ein wenig erstaunt darüber, wie gut sich Fawkes - der Volltrottel Fawkes, der manchmal vor lauter Flausen im Hirn kaum geradeaus gehen konnte - als Vater machte. Viel besser als er selbst, fand Fee insgeheim. Aber das würde er dem Vogelhirn sicherlich nicht auf die Nase binden, egal wie sehr er den Rothaarigen tatsächlich für das, was er für Fawnie und ihn tat, liebte. “Außerdem”, plapperte Fawkes währenddessen sorglos und ungewahr von Fees Gedanken weiter und wandte sich schließlich zu seinem Freund um, “Ist er ja nicht ganz alleine hier.” Wie auf ein stummes, beinahe gruselig perfekt abgestimmtes Stichwort kratzte es leise an der Terrassentür, und sofort richteten sich die Katzenohren von Fawnie aufmerksam auf. Fawkes erhob sich vom Boden und beeilte sich, der kleinen, vierbeinigen Gestalt die Tür zu öffnen. “Hallo, Mozart”, begrüßte Fawkes den weißen Samojedenwelpen schmunzelnd, während er dabei zusah, wie dieser sehr vorbildlich zunächst alle seine Pfoten an der Fußmatte abrieb, um sie vom Schnee zu befreien. Mozart war vermutlich der besterzogendste Hund, den man sich vorstellen konnte... was vielleicht auch daran liegen konnte, dass er zur Hälfte ein Mensch war. Aber offensichtlich bevorzugte er bei diesem Wetter seine vierbeinige Gestalt mit dem weichen, dichten Fell, das im Winter noch wuscheliger zu sein schien als sonst.  Mozart wuffte eine leise Antwort und tapste dann mit trippelnden Schritten ins Haus, was sehr witzig aussah, denn irgendein Elternteil hatte ihm einen kleinen Rucksack auf den Rücken geschnallt. Ehe Fawkes oder Fee reagieren konnten, gab es ein lautes, erfreutes Miauen und ein kleiner, rot-weißer Schatten schoss an ihnen vorbei und auf den Neuankömmling zu. “Ach, Fawnie!”, stöhnte Fawkes und starrte auf den Kleiderhaufen zu seinen Füßen, den sein Pflegesohn bei seiner Verwandlung zurückgelassen hatte, “Wir hatten den Schlafanzug doch gerade erst angezogen...!” Aber was sollte man machen, gegen die Wiedersehensfreude zweier bester Freunde war man eben machtlos und als Vater sowieso erst einmal abgeschrieben. Aber es war schon herzallerliebst, wie die beiden fröhlich maunzend und bellend umeinander herum streiften, das Kätzchen anschmiegsam und der Welpe mit schnell hin- und herwippendem Schweif.  Es dauerte noch fast eine ganze Stunde, bis sie es schließlich mit vereinten Kräften schafften, die beiden inzwischen wild herumtobenden Hybridenkinder zu überreden, sich wieder in ihre menschliche Gestalt zu begeben und bettfertig zu machen. Genauer gesagt war es schließlich ein Machtwort von Fee, das den Ausschlag gab, während Fawkes die schweißtreibende Aufgabe zufiel, Fawnie von dem Schrank herunterzuholen, auf den er im Eifer des Gefechts geklettert war.  “Okay, Zapfenstreich, ihr beiden...!”, gab der Rothaarige schnaufend von sich, während er seinen Sohn auf den Arm hob und in sein Bettchen setzte, wo bereits sein hündischer Freund auf ihn wartete. Zwar existierte im Haushalt Waters und Blakemore tatsächlich ein zusammenklappbares Gästebett, aber keiner von ihnen hatte die beiden Kinder jemals daran hindern können, sich im selben Bett zusammenzukuscheln. Sie waren schließlich beste Freunde, schon immer.  So krabbelte Fawnie auch diesmal gehorsam zu Mozart und schmiegte sich an dessen Seite in die Kissen. Fawkes tauschte einen geschafften, aber zufriedenen Seitenblick mit Fee aus, bevor er die Bettdecke über den beiden Kindern ausbreitete. “Wenn ihr doch immer so folgsam wärt...” “Gut, dann können wir ja jetzt endlich los”, schnaubte Fee mit in die Hüften gestemmten Händen, als ob er den ganzen Abend nur so darauf gebrannt hätte, endlich das Haus zu verlassen. Dass die Wahrheit ganz anders aussah, wussten sie beide, aber wenn sie schon einmal so sehr darum kämpfen mussten, konnten sie auch genauso gut wirklich gehen. “Stellt nichts an, verstanden?” Eifriges Nicken von beiden Hybriden. Wie zwei kleine Engelchen saßen sie dort, als ob sie kein Wässerchen trüben könnten. Fee fragte sich schon jetzt, von welchen Gardinen er sich in Gedanken schon einmal besser verabschieden sollte. Nachdem Fawkes es endlich geschafft hatte, seinen Freund aus dem Zimmer zu schieben und sie das Haus verlassen hatten, dauerte es nicht ganz fünf Minuten, bis Fawnie sich wieder aus den Laken hervor wühlte und begann, auf die Rückenlehne seines Bettes zu klettern, um an die Spielzeugkiste zu gelangen, die auf einem Beistelltisch stand. Sechseinhalb Minuten später war beinahe der gesamte Boden des Kinderzimmers von Spielzeugen übersät, und die beiden Kinder mittendrin. Ihr Spiel war friedlich, und es ging diesmal kein einziges Stück Inneneinrichtung kaputt... zumindest, bis Fawnie den bunten Stoffball entdeckte, der beim Ausschütten der Kiste unter dem Kleiderschrank gelandet war. Er wusste, dass Mozart Bälle liebte und nichts lieber tat, als den lieben langen Tag hinter rollenden, fliegenden und geworfenen Gegenständen hinterherzujagen.  “Mozi, guck mal!” Der Angesprochene hob den Kopf und stellte angesichts des runden Gegenstands in Fawnies Händen die Ohren auf. Nun, zumindest versuchte er es. Mozarts Hundeohren schienen immer ein wenig zu groß für seinen Kopf zu sein, und das linke schaffte es nie so recht, der Schwerkraft ganz zu trotzdem, sodass es immer wieder umklappte. Fawnie musste leise kichern und hob den Ball mit seinen kleinen Händen in die Höhe. “Fang!” Wenig später sah es in dem Zimmer aus, als ob ein Erdbeben stattgefunden hätte, und als schließlich doch die Nachttisch-Lampe zu Bruch ging, beschlossen die beiden kleinen Naturkatastrophen einvernehmlich, dass es jetzt genug wäre mit Spielen. Überhaupt wurden sie langsam müde, denn es war schon weit nach ihrer eigentlichen Zubettgehzeit. Mit einem leisen Gähnen krabbelte Fawnie über den Teppich und bettete seinen Kopf schnurrend auf Mozarts warmen Bauch. Sein Freund döste bereits inmitten eines Haufens Legosteine und Fawnie konnte sich keinen gemütlicheren Ort auf der Welt vorstellen. Wenig später waren sie beide fest eingeschlafen. Mozart wusste nicht so recht, ob es die lauten, krachenden Geräusche von draußen waren, die ihn irgendwann aufweckten, oder doch die Kälte, die über seinen zusammengerollten Körper strich. Ebenso verwirrt wie verschlafen setzte sich der kleine Hundehybride auf, aber von seinem Spielgefährten war weit und breit nichts zu sehen. “Fawnie...?”, fragte er leise in den Raum hinein, aber das einzige, was zu hören war, war das Zischen und Explodieren der Feuerwerkskörper, das offenbar aus irgendeinem Nachbargarten stammte. Langsam erhob sich Mozart und drehte sich einmal um sich selbst, bis seine empfindlichen Hundeohren ein viel leiseres, gedämpftes Geräusch auffingen. Ein Wimmern, und es kam aus dem Kleiderschrank. Verwundert tapste Mozart auf das mit Stickern und selbstgemalten Bildern beklebte Möbelstück zu, wobei er feststellte, dass eine der Schranktüren einen Spalt breit offen stand. Kurzentschlossen streckte er die Hand aus und ließ die Tür aufschwingen, und tatsächlich, da saß Fawnie, vollkommen eingegraben in einem Haufen Kleidung. Seine goldenen Augen waren riesig, noch riesiger als sonst, und blickten Mozart völlig verängstigt entgegen. “Was hast du denn...?”, fragte dieser verständnislos und noch immer etwas verschlafen, denn er konnte sich auf dieses Verhalten keinen Reim machen. Fawnie antwortete nicht gleich, sondern gab nur ein kleines, jämmerliches Miauen von sich und knautschte leicht bebend an einem Paar Socken herum. Mozart wartete geduldig, und als der Katzenhybride schließlich seine Sprache wiederfand, war sie sehr leise, fast verschwörerisch, als ob er Angst hätte, dass ihn jemand außer Mozart hören könnte. “Draußen ist Krieg”, wisperte er. Mozart blinzelte. “Quatsch.” “Wohl, hör doch...!” In diesem Moment zündeten die Nachbarn einen weiteren Böller, der mit jaulendem Gepfeife und einem anschließenden lauten Knall in den Himmel schoss und das Kinderzimmer für einen Moment lang in rotes Licht tauchte. Fawnie zuckte erschrocken zusammen und versuchte unter ängstlichem Gemieze, sich noch tiefer in seinem Sockenfach zu vergraben. Mozarts blick wanderte nachdenklich zum Fenster, wo immer weitere Lichter zu sehen waren, bevor er sich wieder zu seinem Freund umwandte. “Das ist doch kein Krieg...” Mozart wusste, was Feuerwerk war. Seine Eltern hatten ihn im vergangenen Jahr in einen Park mitgenommen, wo jedes Neujahr ein großer Feuerwerkswettbewerb stattfand, und er hatte auch eine kleine Knallerbse werfen dürfen. Böller waren nichts, was Mozart Angst machte, zumindest, wenn sie ihm nicht zu nahe kamen. “Das ist nur Feuerwerk.” Wenn es möglich war, wurden Fawnies Augen noch ein Stückchen größer und angstvoller, denn diese Aussage trug nicht im Geringsten dazu bei, ihn irgendwie zu beruhigen. Sicher, er hatte schon andere Silvesterabende erlebt. Aber da waren immer seine Papas anwesend gewesen, sie hatten lustige Sketche im Fernsehen gesehen und Bleigießen gemacht. Feuerwerk war etwas, was Kindern verboten war, zumindest hatte ihm das Feenien immer wieder eingeschärft und Fawkes sehr böse dabei angesehen. Dieser hatte daraufhin immer tief und schwer geseufzt und irgendwie sehnsuchtsvoll auf das Feuerzeug auf dem Tisch gestarrt.  “Feuerwerk verbrennt kleinen Hybriden das Fell...!”, wiederholte Fawnie leise und fiepsig vor Mozart das, was sein Vater ihm immer wieder eingeschärft hatte. Er wollte nicht, dass sein Fell brannte. Das tat sicherlich sehr weh. Nachdenklich und ein wenig betroffen betrachtete Mozart währenddessen seinen eingeschüchterten Freund, der sich offenbar nicht so richtig von seinem Beruhigungsversuch überzeugen lassen wollte. Dabei war Feuerwerk doch wirklich sehr hübsch. Wenn Fawnie nur einmal aus dem Schrank herauskommen und sehen könnte, wie schön bunt die Farben waren, die die Böller auf den nachtschwarzen Himmel zeichneten.  Er hielt kurz inne und sein Gesicht hellte sich merklich auf, als ihm eine Idee kam. Das war es, Fawnie musste das Feuerwerk nur erst mal sehen, dann würde er sicherlich seine Angst davor verlieren! “Fawnie, komm.” Mit einem leisen Schniefen blickt der Angesprochene auf und blinzelte einmal verwirrt, als er sah, wie sein Freund ihm lächelnd die Hand hinstreckte. “Wohin denn...?”, fragte er unsicher, denn am liebsten würde er sich für den Rest der Nacht hier im Schrank verkriechen, wo ihm nichts passieren konnte. Er maunzte leise und erschrocken auf, als Mozart kurzerhand zu ihm kletterte und begann, ihn an den Händen aus seinem Versteck hervorzuziehen. “Wir gehen uns das Feuerwerk angucken.” “Was...?!” Fawnie schaffte es nicht einmal mehr, zu protestieren, als er auch schon zusammen mit mindestens zehn Paar Socken mehr aus dem Schrank kullerte, als dass er hinausstieg. “Aber...!”, fiepte er panisch, während seine goldenen Katzenaugen schon begannen, sich mit Tränen zu füllen, und klammerte sich zitternd an Mozart fest, “Ich will das nicht! Ich hab Angst, Mozi!” Mozarts verschiedenfarbige Augen, ein braunes und ein blaues, lagen ruhig auf seinem Freund und er hielt dessen Hände fest mit seinen eigenen umschlossen. “Du brauchst keine Angst haben, Fawnie”, sagte er mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen, “Ich beschütze dich doch.” Schniefend sah Fawnie ihn an, suchte nach irgendeinem Zeichen von Unsicherheit in dem vertrauten, rundlichen Gesicht seines Freundes. Aber Mozart schien wirklich keine Angst vor dem Feuerwerk zu haben. Ohnehin war der Welpe sehr viel mutiger als er selbst. Mutig, aber niemals unbedacht. Sicher, sie hatten sich schon öfters in blöde Situationen gebracht, aber immer hatten sie diese zusammen durchgestanden. Mozart würde ihn doch niemals zu etwas überreden, was ihn wirklich in Gefahr bringen könnte, oder?  Plötzlich kam sich Fawnie ein wenig dumm vor, dass er seinem Freund nicht vertraute. Aus diesem Grund rang er sich schließlich noch dazu durch, einmal zaghaft zu nicken und sich sogar an einem kleinen, wackeligen Lächeln zu versuchen. “Und du passt wirklich auf?” “Klar.” Mozart stupste seine unsicher zurückgelegten Katzenohren einmal aufmunternd mit seiner Nase an, bevor er im Brustton der Überzeugung hinzufügte: “Ich bin schließlich der Ältere.” “Vier Monate nur...”, schniefte Fawnie, aber sein Lächeln wurde ein wenig ehrlicher. Er ließ zu, dass Mozart ihn daraufhin wieder zurück zum Schrank zog, damit sie sich dick einpacken konnten. Das war ein bisschen schwierig, weil Fawnie es nicht gewohnt war, sich alleine anzuziehen, aber mit der Hilfe seines Freundes stand er schon bald wie eine kleine Mumie in drei Pullover, zwei Schals und eine Pudelmütze gekleidet da. Mozart beeilte sich, sich ebenfalls die Kleidung anzuziehen, die ihm seine Eltern in den Rucksack gepackt hatten, und zog zum Schluss noch einen alten Anorak von Fawnie über.  Dieser musste wider Willen leicht kichern, denn die Jacke hatte eine Kapuze mit Katzenohren, sodass Mozart nun aussah wie ein seltsamer Mischling aus Hund, Katze und Junge. Sein Beschützer nahm es gelassen und baute sich mit entschlossenem Gesichtsausdruck vor Fawnie auf. “Bereit?” Ein wenig zögerlich nickte Fawnie, obwohl ihm vor Aufregung beinahe ein wenig schlecht war. Dennoch griff er sofort nach Mozarts Hand, als dieser sie ihm hinhielt, und Hand in Hand gingen sie langsam auf die Tür des Balkons zu, der an das Kinderzimmer grenzte. Fawnie durfte eigentlich nicht ohne Aufsicht dort hin, was, wie er selbst fand, ein ziemlich doofes Verbot war. Immerhin war er ein Kater, er würde schon nirgendwo herunterfallen.  Dennoch überkam ihn der Hauch eines schlechten Gewissens, als Mozart sich ein wenig reckte, um den Türgriff umzulegen. Bevor er es sich jedoch anders überlegen und doch zurück in seinen Schrank kriechen konnte, war es auch schon passiert - die Tür öffnete sich mit einem knirschenden Geräusch und ein eisig kalter Luftzug fegte zwischen den beiden Hybridenkindern hindurch.  “Komm.” Mozart übte einen leichten Zug auf die Hand seines Freundes aus, und gemeinsam betraten sie den schneebedeckten Balkon. Zu Fawnies großer Erleichterung war den Nachbarn wohl vorerst die Munition ausgegangen, denn man hörte nur aus weiter Entfernung leises Knallen, und auch die wild leuchtenden Farben hatten sich verabschiedet. Dies schien Mozart bei weitem nicht so erleichtert zu stimmen wie seinen Freund, und sein Gesicht nahm einen etwas unzufriedenen Ausdruck an. “Bestimmt ist es noch gar nicht Mitternacht. Bis dann müssen wir noch warten, dann geht es richtig los...!” Fawnie fragte lieber nicht nach, was ‘richtig’ bedeutete, denn irgendwie hatte er so eine Ahnung, dass es ihm bestimmt nicht gefallen würde. Aber Mozart zuliebe nickte er einmal und sah dann dabei zu, wie der Hundehybride umständlich versuchte, die Sitzbank, die sich auf dem Balkon befand, so gut wie möglich von Schnee zu befreien. “Komm, hilf mir!”, forderte er seinen besten Freund auf und dieser beeilte sich, der Bitte nachzukommen. Gemeinsam fegten sie den kalten Schnee mit bloßen Händen von der Sitzgelegenheit und mehr als einmal wünschten sie sich beide in ihre Tiergestalt zurück. Wenig später hatten sie vor Kälte gerötete Finger, aber dafür von der Bank aus einen phänomenalen Ausblick auf die Gärten der Nachbarschaft.  Schweigend saßen sie einen Moment lang da, bis Mozart einen Seitenblick auf seinen Freund warf und bemerkte, dass dieser ein wenig zitterte und versuchte, seine Hände in seinen Ärmeln verschwinden zu lassen. “Frierst du?”, fragte er Fawnie und dieser blickte ihn leicht jämmerlich an. Daraufhin zögerte Mozart sich lange, sondern griff nach den Händen des Katzenjungen und schloss seine eigenen Finger fest darum. Zwar hatte er selbst keine besonders warmen Hände, aber gemeinsam würden sie es schon schaffen, dass ihnen wieder warm würde.  Ein dankbares Schnurren war Fawnies Antwort, und er rutschte noch etwas näher an seinen Freund heran, sodass sie schließlich gegeneinander gekuschelt da saßen und erwartungsvoll in den schwarzen Nachthimmel hinaufblickten. Vielleicht würde es ja doch nicht so schlimm werden, dachte Fawnie bei sich, und murmelte dann leise und zufrieden in die Stille hinein: “Ich hab dich lieb, Mozi.”  “Ich dich auch”, kam es ohne zu Zögern von Mozart zurück, und in diesem Moment waren beide gleichsam davon überzeugt, einfach den besten Freund auf der ganzen Welt zu haben.  “Was wohl unsere Eltern gerade machen?”, fragte Fawnie nach einem weiteren Moment der Stille ohne besonderen Grund. Normalerweise fand er es ganz schrecklich, wenn seine Väter für längere Zeit aus dem Haus waren, aber diesmal war alles etwas anders. Diesmal war er ja auch nicht alleine. “Irgendwelche komischen Silvesterbräuche, bestimmt”, musste Mozart nicht lange überlegen und zog damit die Neugier seines katzenohrigen Freundes auf sich: “Was denn für Bräuche?” Fawnie war sich nicht einmal ganz sicher, ob er wirklich wusste, was ein Brauch war, aber es klang auf jeden Fall spannend. “Naja, du weißt schon. Wenn das alte Jahr zuende ist, muss man es richtig verabschieden, und dann dem neuen Jahr ‚Hallo‘ sagen. Irgendwie so.” Das klang ein wenig eigenartig, aber Fawnie wollte trotzdem mehr wissen, weswegen er leicht den Kopf schieflegte und noch einmal nachhakte: “Und was macht man da so?” Das schien Mozart auch nicht so richtig zu wissen, denn er schwieg einen Moment lang, um angestrengt zu überlegen. “Hm... mein Papa sagt immer, man soll das alte Jahr mit der schönsten Sache, die man kennt, verabschieden und das neue Jahr auch mit der schönsten Sache beginnen. Und dann verschwinden die beiden immer nach oben und schließen die Tür ab.” Hm. Das war in der Tat sehr seltsam.  Fawnie wollte gerade etwas sagen, als ihm etwas einfiel, das er bisher noch nicht mit den neuen Informationen in Verbindung gebracht hatte, die Mozart ihm geliefert hatte. Aufgeregt wandte er sich zu seinem Freund um und plapperte los, bevor er groß darüber nachdenken konnte: “Oh! Ich weiß! Letztes Jahr, weißt du, da hat mein Papa sowas Ähnliches gesagt und dann, dann haben...haben...” Der Rest des Satzes ging in einem abgewürgten Gehaspel unter und die Wangen des Katzenjungen begannen plötzlich, trotz der Kälte, wie Feuer zu glühen, während er um Worte rang. Mozart beobachtete das Ganze einen Augenblick lang verwundert. “Haben was? Was haben sie gemacht?” “S-sie...naja.” Fawnie rutschte unwohl auf seinen Platz herum und schien sich gerade äußerst unwohl zu fühlen, während sein Schweif aufgeregt hin- und herwedelte und dabei noch etwas Pulverschnee aufwirbelte. “Sie haben sich...” Seine Stimme senkte sich zu einem nervösen Flüstern herab und er sah sich einmal prüfend um, so als er sicher gehen wollte, dass auch wirklichniemand sonst zuhörte, bevor er das Wort aussprach. “...geküsst.” Es fühlte sich schrecklich verboten an, Mozart dieses Geheimnis anzuvertrauen. Küssen, das war so ein Erwachsenending. Es war abstrakt und irgendwie seltsam. Zumindest die Art von Küssen, die seine Väter manchmal austauschten, wenn sie dachten, dass Fawnie gerade einmal nicht hinsehen würde.  Eine Weile lang starrten sich die beiden Freunde peinlich berührt an und sagten kein Wort. Mozarts weißer, gekringelter Schweif hatte ebenfalls begonnen, ruhelos hin und her zu wedeln. Sein Gesicht zeigte denselben, leicht betroffenen Ausdruck, den auch Fawnie zur Schau trug, und schließlich brach das Eis zwischen ihnen. “Ugh.”“Ja, total komisch.” “Erwachsene sind so seltsam.” Sie blickten sich erneut an und mussten auf einmal wie auf ein stummes Kommando loslachen. Es war ein leises, unsicheres Lachen, aber es half, der ganzen Sache den Schrecken zu nehmen und sie spüren zu lassen, dass das zwar alles ziemlich peinlich war, aber sie sich immerhin sehr einig über diese Tatsache waren.  “Warum sollte man sowas überhaupt tun wollen?”, fragte Fawnie übermütig und mit einem kleinen Glucksen, nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatten. So ganz uninteressant war dieses Thema für die beiden Hybridenkinder dann doch nicht, was wohl zum größten Teil daran lag, dass es den Hauch des Geheimnisvollen mit sich trug. Sowohl Fawnie als auch Mozart hatten in ihrem kurzen Leben bereits einige Küsschen bekommen. Auf die Stirn, auf die Wange, auf die Nase... Fawnie erinnerte sich mit kurzem Schaudern an die überschwänglichen Begrüßungsküsse seines Großonkels Godric. Das war immer ganz schön eklig.  Mozart indes zuckte nur leicht mit den Schultern und erwiderte: “Weiß nicht. Aber sie scheinen es irgendwie zu mögen.”  Fawnie verzog wieder leicht das Gesicht und schüttelte sich. “Auf den Mund? Das ist doch total widerlich!” Sein Freund wandte sich leicht zu ihm um, sodass sie sich auf der Sitzbank beinahe gegenübersaßen, und blickte ihn mit neu erwachter Neugier an. “Hast du schon mal einen bekommen?” Hastig beeilte sich Fawnie, den Kopf zu schütteln, wobei er eine solche Heftigkeit an den Tag legte, dass ihm seine Pudelmütze vom Kopf flog und irgendwo in der Dunkelheit landete. “Spinnst du?” “Wie kannst du dann wissen, ob es echt so eklig ist?” Gute Frage. Fawnie stutzte und wusste für einen Moment nicht, was er darauf erwidern sollte. Irgendwie war er immer automatisch davon ausgegangen, dass alles, was Erwachsene taten, irgendwie komisch und unlogisch war. Und der Mund, hallo? Damit wurde man gezwungen Lebertran zu trinken und Spinat zu essen, und im Kindergarten sagten die Erzieherinnen manchen Kindern, dass sie ein schmutziges Mundwerk hätten. Schmutzig. War doch irgendwie klar, dass das kein Körperteil war, von dem und auf den man gerne einen Kuss bekommen würde.  Dennoch ließ ihn Mozarts Frage irgendwie unsicher werden und er murmelte nur ein trotziges “Weiß ich eben!”.  Daraufhin herrschte wieder einige Minuten komplette Stille zwischen ihnen. Sie wagten es nicht einmal mehr, sich zu rühren. Blöde Erwachsene mit ihren blöden Erwachsenendingen. Und dann tat Mozart etwas, was Fawnie beinahe von der Bank fallen ließ. “Wollen wir’s mal probieren?” “Häh?!” Irgendwie wusste Fawnie sofort, worauf sein bester Freund anspielte, und es war so ungehörig, dass sich sein Schweif erschrocken sträubte. Als sein Blick zu Mozart rüber huschte, sah dieser beinahe so aus, als ob es ihm jetzt schon peinlich wäre, überhaupt gefragt zu haben. Seine weißen, zerzausten Ponysträhnen hingen ihm in die Augen und unter der Kapuze mit den Katzenöhrchen schaute sein einzelnes, abgeknicktes Hundeohr hervor. Wenn die Situation nicht so seltsam gewesen wäre, hätte Fawnie ihn am liebsten in den Arm genommen und getröstet. Stattdessen blieb er stumm, während die Gedanken in seinem kleinen Kopf zu kreisen begannen. Küssen.Mozart küssen. Das war doch ein total abwegiger Gedanke, immerhin waren sie doch beste Freunde. Ob es so viel anders wäre, als ihm über die Wange zu schlecken? Fawnie war immerhin ein Katzenhybride, das war ihm vertraut, auch wenn seine Eltern immer versuchten, es ihm abzugewöhnen. Aber ein Kuss, ein richtiger Kuss, das wäre doch etwas komplett anderes. Unsicher schielte Fawnie zu seinem Freund hinüber. Sein Papa hatte ihm einmal erklärt, dass man solche Dinge wie Küssen und Abschlecken nur bei Leuten machen durfte, die man sehr lieb hatte. Und er hatte Mozart wirklich sehr gern.  Unweigerlich rutschte Fawnies Blick etwas tiefer. Mozarts Mund sah auch gar nicht schmutzig aus. Vielleicht wäre es ja doch gar nicht so schlimm...? “Wenn...”, begann er leise und mit einem aufgeregten Zittern in der Stimme, “Wenn es aber doof ist, dann hören wir auf.”  Mozart hob den Kopf und sah ihn für einen Moment lang verblüfft an, als ob er schon jede Hoffnung aufgegeben hätte, dass der Katzenjunge auf seinen zugegebenermaßen ziemlich impulsiven Vorschlag eingehen würde. “Klar...”, brachte er schließlich leise hervor und ein kleines, wackeliges Lächeln bildete sich auf seinen Zügen. Wie auf ein stummes Signal rutschten sie beide ein Stückchen herum, sodass sie sich nun direkt gegenüber saßen, und starrten sich einen Moment lang unentschlossen an. Es lag eine gewisse Spannung in der Luft, die diesmal allerdings hauptsächlich von der Neugier dominiert wurde, die die beiden Hybridenkinder empfanden. “Okay...” Fawnie atmete einmal tief ein und zupfte rastlos an dem kleinen Zöpfchen in seinen Haaren herum, “Ähm...wann fangen wir an?” “Auf Drei?”, schlug Mozart vor und Fawnie nickte einmal nervös. “Eins...”, begann der Hundejunge flüsternd zu zählen, während sich sein Blick sich angespannt in Fawnies goldenen Augen verhakte.  “Zwei...”  Fawnie war wahrscheinlich noch nie in seinem Leben so schrecklich aufgeregt gewesen, aber einen Rückzieher würde er jetzt nicht mehr machen. Deswegen nahm er einen tiefen Atemzug, bevor sich seine Stimme zu Mozarts gesellte, um die letzte Nummer anzusagen. “Drei.” Wie auf Kommando kniffen beide die Augen zu und beugten sich hastig vor. Es war eigentlich ein Wunder, dass ihre Köpfe dabei nicht zusammenstießen und eine doppelte Gehirnerschütterung produzierten, aber irgendwie schafften sie es tatsächlich auf Anhieb. Der Kuss war kurz und sehr unschuldig. Eigentlich mehr eine flüchtige Berührung ihrer Lippen, und dennoch konnte Fawnie nicht umhin zu bemerken, wie verwirrend warm sich Mozarts Lippen anfühlten.  Dennoch dauerte es nicht sehr lange, bis sie sich schnell und sehr, sehr verlegen wieder voneinander trennten. Fawnie suchte den Blick von Mozarts verschiedenfarbigen Augen und stellte fest, dass sich auch auf die Wangen seines Freundes ein deutlich sichtbarer Rotschimmer gelegt hatte. “...und?”, traute Mozart sich schließlich leise zu fragen. “War nicht eklig.” “Hm.”“...eigentlich war es ganz okay.” “Hmhm.” Eigentlich hatte Mozart noch etwas sagen wollen, aber bevor er die Chance dazu bekam, fing hinter ihnen der Nachthimmel Feuer und die Nachbarschaft flog in die Luft. Zumindest kam es Fawnie so vor, als er unter erschrockenem Miauen beinahe von der Bank fiel und nur Mozarts geistesgegenwärtiges Zupacken ihn davor bewahrte, im Schnee zu landen. Er wusste kaum, wie ihm geschah, als der Hundehybrid ihn auch schon hektisch hochzog und zum Geländer des Balkons zog. “Es ist Mitternacht, Fawnie, sieh doch!”, rief er aufgeregt und ließ seinen leuchtenden Blick über das Farbspektakel in den Hinterhöfen schweifen. Fawnie jedoch hatte seine Augen fest zusammengekniffen und versteckte sich zitternd an Mozarts Schulter, um dem angsteinflößenden Krach zu entgehen. “Fawnie...”, hörte er seinen Freund schließlich leise sprechen und seltsamerweise konnte er ihn selbst durch das Getöse der aufsteigenden Feuerwerke gut verstehen, “Mach die Augen auf, Fawnie.” Und als er nach einigen angstvollen Momenten immer noch am Leben war, öffnete Fawnie die Augen. Was er erblickte, war ein vollkommen anderer Himmel, als er ihn je gesehen hatte. Nicht schwarz, nicht grau und auch nicht strahlend blau wie an einem Sommertag. Es war, als ob sich alle Farben, die man sich nur vorstellen konnte, von der Erde gelöst hätten, um in einer glitzernden Kaskade über den Himmel zu tanzen.  Staunend und mit leicht geöffnetem Mund starrte Fawnie das Feuerwerk an und bemerkte dabei nur am Rande, dass Mozart erneut seine Hand ergriffen hatte. “Ich habs doch versprochen, oder?” Und der Katzenhybride konnte nur nicken, während sich langsam ein strahlendes, glückliches Lächeln auf seine Lippen legte. Wenn man das neue Jahr mit dem Schönsten beginnen sollte, was man kannte, dachte er, dann hatte er wohl alles richtig gemacht. Auch wenn er noch immer nicht wusste, was genau ein Brauch war.  “Frohes neues Jahr, Mozi”, schnurrte Fawnie und kuschelte sich leicht gegen die Schulter seines besten Freundes. Dieser antwortete mit einem Lächeln. “Frohes neues Jahr, Fawnie.” ---------------------------------------------------- Über diesen ersten, unbeholfenen Kuss hatten sie in den Jahren darauf nicht wieder gesprochen, obwohl Fawnie ab und zu daran zurückdachte. Bis zu ihrem nächsten Kuss hatte es dann ganze acht Jahre gedauert, und dieses Mal war es alles andere als ein verunglücktes Experiment gewesen. Das war vor zwei Jahren, und in dieser Zeit hatten sie nicht nur gelernt, dass dieser ganze Erwachsenenkram gar nicht so seltsam war, sondern auch, dass es wirklich eine Menge Arten von Küssen gab, die allesamt zusammen mit der richtigen Person alles andere als eklig waren. Es hatte zwar eine Zeit lang gedauert, aber mittlerweile hatten sie vollkommen verstanden, was es bedeutete, das Jahr mit dem Schönsten, was man kannte, zu beenden und zu begrüßen. “Gleich ist es soweit”, unterbrach Mozarts Stimme ihn in seinen Überlegungen und Fawnie hob den Kopf, um seinen Freund anzusehen. Mozarts Gesicht hatte mittlerweile jede Spur von Welpenspeck verloren, für den Fawnie ihn jahrelang immer wieder aufgezogen hatte, aber dieses eine, widerspenstige Ohr schaffte er noch immer nicht aufzustellen, ohne dass es sofort wieder herunterklappte.  “Sollen wir runterzählen?”, schlug Fawnie in einem Anflug von Nostalgie vor und er konnte an dem Schmunzeln in Mozarts Mundwinkeln erkennen, dass dieser sich gerade ebenso wie er an dieses besondere Silvester vor zehn Jahren erinnerte, mit dem alles irgendwie begonnen hatte. “Klar. Auf Drei?” Er wandte sich dem Katzenhybriden gänzlich zu und blickte einen Moment lang auf seine Armbanduhr, um den richtigen Moment zu erwischen, bis er schließlich mit dem Zählen begann. “Drei.” Er legte beide Arme um Fawnies Taille und zog ihn so ein Stückchen näher an sich heran, während sein Blick den des Katzenhybriden warm festhielt. “Zwei”, stimmte Fawnie lächelnd in ihren besonderen Countdown ein und ein erwartungsvolles Kribbeln begann sich in seinem Magen auszubreiten, als er Mozarts Hand warm an seiner kühlen Wange spürte. “Eins”, beendeten sie gemeinsam die Zahlenfolge und noch ehe die ersten Feuerwerke in die Luft stiegen, waren ihre Lippen bereits in einem innigen, ganz und gar nicht unbeholfenen Kuss verschmolzen. Auch dieses Mal schien der Himmel wieder zu brennen, und Fawnie mit ihm. Jedoch war es diesmal ein durch und durch gutes Gefühl, auch wenn kein Farbspektakel der Welt ihn gerade von dem Jungen ablenken konnte, der ihn küsste.  “Frohes neues Jahr, Fawnie”, murmelte Mozart schließlich leise gegen die Lippen seines Freundes und schenkte ihm diesen warmen, zuversichtlichen Blick, wegen dem Fawnie ihm schon immer überall hin gefolgt wäre. “Frohes neues Jahr.” ------ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)