Splitterwelt von angelneko ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Wie ein panisches Reh suchte ich nach einer Lücke im Gedränge. Die stickige Luft, das aufgesetzte Lachen, das geheuchelte Interesse... Ich hasste solche Empfänge. Doch mein Vater hatte nie ein Ohr dafür. Ich schob mich unauffällig zwischen den vielen Gästen hindurch. Endlich kam die Tür zum Balkon in mein Sichtfeld. Gleich! Nur noch am Buffettisch vorbei, ohne aufzufallen. Dann würde ich es geschafft haben - „Fräulein Lillja! Welch eine Überraschung!“ Die gekünstelte, flötende Stimme ließ mich zusammenzucken. Ich gab mir Mühe, mein freundliches Lächeln aufzusetzen, ehe ich mich ein wenig zu langsam umdrehte. Die Frau des Bürgermeisters und die Frau des Tuchhändlers standen vor mir. „Willkommen, die Freude ist ganz auf meiner Seite!“ Ich versuchte mein Bestes, keinen Ärger in meine Stimme einfließen zu lassen und deutete einen Knicks an. Meine verkrampfte Faust drückte ich in die Säume meines Kleides. „Es war wirklich sehr freundlich von Eurem Vater, uns einzuladen.“, heuchelte die Frau des Bürgermeisters weiter und fächelte sich mit ihrem kunstvoll verzierten Fächer etwas Luft zu. „Die Funde, die er uns heute präsentiert, sind wahrlich ungewöhnlich. Es ist beinahe, als würde man selbst in die entfernten Gegenden reisen, um solch faszinierende Abenteuer zu erleben!“, schwärmte sie. Als ob sie freiwillig auch nur einen Fuß vor die Stadttore setzen würde. „Ja, Vater ist länger unterwegs gewesen als üblich. Aber er hat dafür wirklich eine vielfältige Ausstellung vorbereitet.“, gab ich freundlich zurück. Hoffentlich würden sie mich schnell in Frieden lassen. Mein Blick huschte zur Balkontür. „Wart Ihr gerade auf dem Weg nach Draußen?“, fragte mich die Frau des Tuchhändlers, um das Thema zu wechseln. ...Oder hatte sie meine Blicke bemerkt? „Es ist ein wenig stickig hier drin, ich wollte kurz frische Luft schnappen.“ „Ihr solltet nicht allein hinausgehen, Kind!“ Die Frau des Tuchhändlers zog die Augenbrauen tadelnd hoch. „Wisst Ihr nicht, dass Piraten in der Stadt sein sollen?“ „Das sind sicher nur Geschichten. Außerdem haben unsere Diener ein Auge auf mich.“, gab ich beschwichtigend zurück, auch wenn das nicht stimmte. Frank und Wrone waren viel zu Beschäftigt, den Gästen hinterherzuräumen, als darauf zu achten, wohin ich ging. Die Frau des Bürgermeisters legte die Hand an ihre Wange und setzte einen besorgten Blick auf. „Passt auf Euch auf, Fräulein Lillja. Ihr seid so ein hübsches Kind. Es würde mich nicht wundern, wenn Diebe oder schmutzige Piraten versuchen würden, Euch zu bestehlen!“ „Vielen Dank für Eure Sorge, ich werde gleich wieder zurück sein!“ Ich knickste erneut, drehte mich um und ging zügig auf die Balkontür zu. Ein älterer Herr hatte sich den beiden Damen zugewandt und schien sich nett mit ihnen zu unterhalten. Piraten. So ein Unsinn. Ich nahm einen tiefen Atemzug der Abendluft und spürte sofort, das mein Korsett damit alles andere als Glücklich war. Hoffentlich würden die Gäste bald gehen, dann könnte ich dieses unbequeme Kleid mit samt dem ziependen Haarschmuck endlich ablegen. Ich legte die Arme verschränkt auf die Balkonbrüstung und stütze mich auf, was nicht sonderlich Damenhaft aussah. Doch die großen Säulen schützen mich vor Blicken von drinnen. Am Horizont konnte ich die zwei nächsten Inseln sehen. Die eine schwebte ein wenig höher als unsere, und ich betrachtete die Unterseite, die sich sanft wölbte. Die zweite Insel wirkte dort am Horizont so winzig, als könnte man sie mit der Hand umschließen. Ich konnte nicht sagen, ob sie höher oder tiefer lag als unsere. Irgendwo weit dort draußen war Vater unterwegs gewesen, um alte Kulturen zu erforschen und die Funde seiner Reisen bei uns zu präsentieren. Wie immer hatte ich ihn nicht begleiten dürfen. Das gehöre sich nicht für eine junge Dame. Das einzige, dass sich für eine junge Dame gehörte war, in ihrem Haus eingesperrt zu sein und zu warten, bis ein gutbetuchter Mann um ihre Hand anhielt. Hatte man das seltene Glück, einen Fuß vor die Tür setzen zu können, war man stets in Begleitung und wurde gemahnt die aristokratische Höflichkeit zu wahren, freundlich zu sein und zu lächeln. Immer dieses wächserne Lächeln... Ich hatte das Bedürfnis, mir die Augen zu reiben, doch das würde nur den Puder und die Farben in meinem Gesicht verschmieren, mit denen ich geschminkt war. Also seufzte ich, blinzelte mehrmals und starrte wieder auf den Horizont. Wie gerne ich von hier verschwinden würde. Die Welt erkunden. Andere Menschen treffen. Vielleicht ein Abenteuer erleben. Fernab von meinem Vater und unseren Dienern, die mir auf Schritt und Tritt folgten. Vielleicht würde ich sogar einen Mann finden, der mir wirklich gefiel. Nicht irgendeinen Idioten, den mein Vater für angemessen hielt. Ich erinnerte mich, dass mein Vater mir gesagt hatte, der Sohn des Tuchhändlers habe ein Auge auf mich geworfen. Es schüttelte mich bei diesem Gedanken. Wrendon würde wohlhabend sein, denn er sollte bald das Geschäft seines Vaters übernehmen. Er war freundlich und mir gegenüber stets sehr zuvorkommend gewesen. Und es gab sicher so manchen Jungen, der ihn um sein Aussehen beneidete... Aber er war plump. Traditionell. Er würde nie Verständnis haben, wenn ich mir ein anderes Leben wünschte, als es für gute Ehefrauen üblich war. Ein leises Rascheln ließ die Büsche unterhalb des Balkons erzittern. Neugierig wandte ich den Blick nach unten. „Lillja! Fräulein Lillja, seid Ihr hier draußen?!“, erklang Wrones Stimme von der Balkontür. Von dem Rufen aufgeschreckt flatterte ein Vogel aus dem Gebüsch und verschwand in der Dunkelheit. „Wrone! Ja ich bin hier...“, antwortete ich halbherzig und richtete mich wieder auf. Der schlaksige Mann stürzte um die Ecke. Er war völlig außer Atem und eine Strähne seines dunklen, angegrauten Haares hatte sich aus dem Zopf gelöst. Wahrscheinlich hatten er und Frank mich schon überall im Haus gesucht. Ein schelmisches Grinsen huschte über mein Gesicht. Ich hatte es schon als Kind geliebt, mich vor den beiden Dienern zu verstecken. Und ich hatte es stets genossen, wenn Sie den halben Tag nach mir suchten, ohne mich zu finden. Ich mochte die beiden sehr, deshalb war ich immer rechtzeitig wieder zum Vorschein gekommen, ehe mein Vater etwas bemerkte. Die beiden hätten sonst womöglich eine Menge Ärger bekommen. „Fräulein Lillja, es ist kühl hier draußen. Wollt Ihr nicht wieder zu den Gästen kommen?“ Wrone war sichtlich erleichtert, dass er mich gefunden hatte. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ich würde lieber hier draußen in einem Schneesturm erfrieren als da wieder rein zu gehen.“ „Ich weiß. Aber Lillja, es war Eurem Vater wichtig, dass Ihr heute dabei seid...“ „Natürlich war es das. Ich soll einen guten Eindruck bei der Familie des Tuchhändlers machen. Und am besten noch bei anderen Familien mit unverheirateten Söhnen, damit er eine größere Auswahl hat. Vielleicht hätte ich mich einfach benehmen sollen, wie ein Bauerntrampel, dann wäre ich sie alle längst los...“ Trotzig lehnte ich mich wieder auf die Brüstung, egal wie unangemessen es aussah, es war bequem. Wrone kannte mich gut genug, um sich nicht daran zu stören. Er wusste um meine Wünsche und Ängste. Und auch, dass sich diese wohl nie erfüllen würden. Er und Frank waren wohl die einzigen, die mich wirklich gut kannten. Wrone trat neben mich und legte mir die Hand auf die Schulter. „Seid nicht so hart zu Eurem Vater.“ „Wie soll ich das anstellen? Er interessiert sich nur für seine archäologischen Funde und seine Reisen. Was ich mir wünsche ist ihm egal. Er hört mir ja nicht einmal zu...“ Ich vergrub den Kopf in meinen Armen. „Seit drei Tagen ist er nun zurück und er hatte nur Augen und Ohren für die Ausstellung seiner Funde. Und dass, obwohl die ganzen Leute hier kein einziges Stück wirklich zu würdigen wissen.“ Wrone seufzte. Natürlich wusste er das alles. Frank und er mussten oft genug als Vermittler zwischen mir und meinem Vater herhalten. Unsere Beziehung war schon sehr lange angespannt. Schließlich setzte er ein schiefes Lächeln auf und gab sein Bestes, mich aufzumuntern. „Nun kommt schon. Die Gäste werden nicht mehr lange bleiben, es ist schon spät. Verabschiedet sie wenigstens...“ Mit genervter Miene sah ich ihn an. Wir wussten beide, dass die Gäste sicher noch ein oder zwei Stunden hierbleiben würden. Doch wieder einen Streit mit meinem Vater anzuzetteln machte auch keinen Sinn. Schließlich gab ich nach. Langsam, wie ein altes Weib richtete ich mich auf und ließ mich von Wrone zurück in den Saal führen. Die letzten Gäste waren vor einer halben Stunde gegangen. Mein Vater hatte mir tonlos eine gute Nacht gewünscht und mich dann im Saal stehen lassen. Er hatte gesehen, dass ich versucht hatte, mich vom Empfang zurückzuziehen. Das hatte er mir wieder einmal übel genommen. Doch das störte mich nicht. Ich hatte seinen bösen Blick genau so störrisch erwidert wie immer. Ob er mir nun auswich weil er wütend war oder weil er Wichtigeres zu tun hatte, machte ohnehin keinen Unterschied. Vielleicht würde er sich auch bis morgen beruhigt haben. Frank strich sich eine seiner widerspenstigen hellen Locken aus dem Gesicht. Er war deutlich jünger als Wrone – höchstens fünf oder sechs Jahre älter als ich - und war damals als Botenjunge bei uns eingestellt worden. Er hatte gerade die letzten Teller weggetragen. „Ist alles in Ordnung mit Euch, Fräulein Lillja? Ihr seht sehr erschöpft aus.“ Sanft legte er eine Hand auf meine Schulter. Ich lehnte mich kurz an ihn. „Nein, schon gut. Du kannst dich schlafen legen. Ich werde auch gleich auf mein Zimmer gehen!“, lächelte ich und gähnte demonstrativ. Frank sah mich besorgt an. Schließlich nickte er mir zu und ging. Nun war ich allein im Saal. Die Leuchter waren bereits gelöscht, nur das Licht des Mondes und der Sterne fiel zu den großen Fenstern herein. Ich betrachtete die Fundstücke, die mein Vater auf den Tischen rings um den Raum präsentiert hatte. Schmuckstücke mit handgeschliffenen Holzperlen waren darunter. Verzierte, ungewöhnlich geschwungene Dolche. Schnitzereien aus einem sehr hellen Material – vermutlich Knochen oder Horn. Auch ein paar Skulpturen waren dabei und Bögen aus ungleichmäßigem Papier, die mit seltsamen Zeichen beschrieben waren. Allesamt Zeugnisse anderer Kulturen, die auf den Inseln der äußeren Bereiche lebten. Mein Blick fiel auf ein dünnes Lederband, dessen Anhänger besonders schön gearbeitet war. Eine Feder, aus einem durchscheinenden Kristall geschliffen. Die Ränder waren so fein, dass sie völlig durchsichtig waren. Fasziniert streckte ich die Finger danach aus und strich vorsichtig darüber, um nichts abzubrechen. Ein warmer Lufthauch. Der Geruch des Waldes. Ich blinzelte. Was war das für ein Gefühl gewesen?! Als mein Blick auf das halb geöffnete Fenster hinten im Raum fiel, beruhigte sich mein Herzschlag wieder. Ein Windhauch. Vom Garten her. Vermutlich war ich einfach zu müde. Vorsichtig ließ ich die Kette wieder auf den Tisch zurückgleiten. Ihr Anblick ließ mich nicht los. Vielleicht sollte ich Vater morgen Fragen, ob er sie mir schenken würde? Dafür würden wir uns wieder ein wenig versöhnen müssen, doch ich hatte schon eine Idee, wie ich das bewerkstelligen konnte. Ich gähnte erneut, diesmal ernsthaft, und riss mich vom Anblick des filigranen Anhängers los. Mit leisen, schlurfenden Schritten ging ich zu meinem Zimmer. Das Korsett samt Kleid und den Schuhen ließ ich dort liegen, wo ich es abgestreift hatte. Ich würde morgen noch genug Zeit haben, alles aufzuräumen. Es gab ja sonst kaum etwas, das ich tun konnte. Ich trat vor den Spiegel und rieb die Stellen, an denen das Korsett mich eingeschnürt hatte. Mit einer knappen Bewegung löste ich den Haarschmuck und mein hellbraunes Haar fiel in sanften Wellen über meinen Rücken fast bis zur Hüfte. Besser. Viel besser. Nachdem ich mein Gesicht gewaschen hatte und in mein Nachthemd geschlüpft war, ließ ich mich aufs Bett fallen und löschte das Licht. Ich hatte den Vorhang nur halbherzig zugezogen, so dass nun ein Strahl Mondlicht auf die Decke fiel. Müde kuschelte ich mich in mein Kissen. Eine warme Brise weht durch den Wald. Sie nimmt mich mit sich. Unter mir fliegen Felder, Wiesen und Städte dahin. Sie trägt mich am Rande der Berge hinauf und in Schluchten hinab. Von einer fliegenden Insel zur nächsten. Wir landen auf einem der schwebenden Felsen, die eine grüne Insel umgeben. Alte Bäume und Kletterpflanzen recken sich in den Himmel. Plötzlich zieht sich eine Erschütterung durch die Idylle. Ein lautes Krachen. Es war gleich Zeit zu Frühstücken. Ich stand wieder vor dem Spiegel und betrachte genervt die Ringe unter meinen Augen. Ich hatte schlecht geschlafen. Ein seltsamer Traum hatte mich verfolgt, aber ich konnte mich nicht erinnern, wovon er gehandelt hatte. Sollte ich heute wirklich in die Stadt gehen, würde ich eine zusätzliche Schicht Puder benötigen. Ich ließ davon ab, mein Gesicht mit den Händen zu Grimassen zu verziehen und griff zu einem einfachen, bequemen Kleid, wie ich es üblicherweise zu Hause trug. Beim Frühstück erwartete mich mein Vater bereits. Seine Stimmung hatte sich wieder gehoben. „Guten Morgen Lillja!“ „Guten Morgen Vater. Ich wollte dir gestern keinen Ärger bereiten.“ Vater musste wissen, dass ich log, denn er sah mich grimmig an. Dennoch winkte er ab. „Schon gut.“ Nach einigem Schweigen überlegte ich, ihn auf den Anhänger anzusprechen. „Du bist diesmal sehr lange unterwegs gewesen, Vater.“ „Das mag sein. Es kam mir vor, als hätten die Reisen zwischen den Inseln eine Ewigkeit gedauert. Die Flugmaschinen und Luftschiffe werden wohl einfach alt und taugen nichts mehr.“ „Allerdings hast du diesmal einige sehr schöne Stücke mitgebracht!“ „In der Tat. Das Volk der Mouq‘wee ist sehr kunstfertig. Auch ihre Göttergeschichten sind äußerst interessant. Vielleicht kann ich die eine oder andere noch übersetzen.“ Mein Vater musterte mich abschätzend. Wieder einmal war seine Antwort sehr knapp ausgefallen. Ich nickte nur und nippte an meiner Tasse. „Eine der Halsketten hat mir sehr gut gefallen. Würdest du sie mir überlassen?“ Er zog die Augenbrauen hoch, aber sagte nichts. Ich hatte mir schon gedacht, dass es nicht so einfach werden würde. Ich gab mein Bestes beiläufig zu klingen. „Ich dachte mir, sie würde sich sicher gut an mir machen, wenn ich heute in die Stadt gehe um mir die neuen Stoffe anzusehen. Ich brauche unbedingt ein luftigeres Kleid für den Sommer.“ Mein Vater biss an. Ich konnte es an dem Aufblitzen in seinen Augen sehen. Wenn ich den Sohn des Tuchhändlers treffen würde, war ihm alles recht. „Natürlich, mein Kind. Natürlich! Nimm, was dir gefällt. Frank wird dich sicher begleiten, ich habe ihn gebeten ein paar Besorgungen zu machen.“ „Danke Vater!“ Ich lächelte meinen Vater an und widmete mich dann meinem Frühstück. So sehr ich es auch verabscheute, das falsche Lächeln war mir schon in Fleisch und Blut übergegangen. Ich war sicher, dass Frank noch nichts von diesen Besorgungen wusste, aber Vater würde sich noch etwas einfallen lassen, wonach er ihn ausschicken konnte. Ich genoss die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Nachdem mich Frank zum fünften Mal gebeten hatte, meinen Sonnenschirm aufzuspannen, hatte er es aufgegeben. Vornehme Blässe mochte in der Mode sein, doch die Sonne war einfach viel zu angenehm. Die Kette, mit dem Federanhänger lag leicht um meinen Hals und ich konnte sie auf meiner Haut spüren. Kühl und beruhigend. Wirklich ein schönes Schmuckstück. Gemächlich schlenderten wir durch die Gassen, an deren Rand sich die vielen Geschäfte, mit ihren alten, gemauerten Fassaden befanden. Der Duft von fremden Gewürzen mischte sich mit dem geräucherter Fische, die eine alte Frau am Gassenrand feil bot und dem Geruch des Schuhleders, dass der Stiefelmacher hinter offener Ladentür zuschnitt. Das laute Treiben in den Gassen war Balsam für meine Seele. „Es freut mich, Euch wieder glücklicher zu sehen.“, sagte Frank und lächelte mir zu. „In all dem Trubel hier ist wenig Platz für Sorgen. Fernab von unseren schweren Mauern fühle ich mich einfach besser.“ Frank zögerte. Schließlich sagte er leise: „Und unser Ziel? Freut Ihr Euch schon darauf, den Stoffhändler zu besuchen?“ Mein Gesichtsausdruck wurde schlagartig angespannt. „Nein, sicher nicht. Frank, du weißt, dass ich ihn nicht heiraten will.“ Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie sich Frank entspannte. Er wirkte erleichtert. Ich hatte mich bei ihm eingehakt und er legte vorsichtig seine Hand auf meine. Wir gingen ein Stück schweigend weiter. „Wisst Ihr, ich würde alles dafür tun, Euch Glücklich zu sehen.“ Seine Stimme war leise, doch sie bereitete mir Unbehagen. Ich löste mich von ihm und blieb stehen. „Frank. Du weißt, das geht nicht. Ich bin sicher, dass du immer Verständnis für mich hättest und gut für mich sorgen würdest. Aber unser Stand ist zu unterschiedlich. Außerdem bist du so etwas wie ein Bruder und guter Freund für mich.“, ich lächelte ihm tröstend zu. Natürlich hatte ich schon öfter bemerkt, wie Frank mich ansah, aber es war ihm auch klar, dass so etwas für ihn nur ein Wunschtraum bleiben konnte. Selbst wenn unser Stand nicht dagegen spräche, könnte ich ihn doch nie heiraten. Er war von klein auf für mich dagewesen. Ich liebte ihn wie einen Bruder. Für andere Gefühle war dort kein Platz. Frank lächelte ebenfalls wieder, doch ich konnte auch die Enttäuschung in seinen Augen sehen. Die Augenblicke, in denen einem klar wurde, dass Träume immer Träume bleiben würden, waren nie besonders schön. „Was musst du noch für meinen Vater besorgen?“, fragte ich Frank schließlich um das Thema zu wechseln. „Ich habe hier eine ganze Liste an Kleinigkeiten. Als Wrone die letzten Botengänge erledigt hat, hatte der Krämerladen noch keinen Nachschub erhalten. Dabei war der Nachschub schon zwei Tage überfällig gewesen. Wirklich eigenartig.“ „Aha.“, machte ich knapp. Vielleicht hatte ich mich doch getäuscht und Vater hatte tatsächlich einen Grund, Frank loszuschicken. Wir waren nicht weit gekommen, als ich an einem Obststand inne hielt. Ein älterer Herr mit grauen Haaren, gepflegtem Vollbart und schelmischen Augen sprach mich an. „Gefallen euch meine Früchte, Mylady?“ „Sie sehen ungewöhnlich aus. Woher stammen sie?“ „Aus den äußeren Bezirken.“, sagte er lächelnd und deutete auf einen seiner Körbe. „Möchtet ihr vielleicht eine kosten?“ Ich beugte mich nach vorn und der Anhänger um meinen Hals klimperte leise. „Gerne!“ Der ältere Herr nahm eine Frucht aus dem Korb und schnitt sie in Stücke. Der Mann kam mir ein wenig bekannt vor. War er auf Vaters Empfang gewesen? Nein, sicher nicht. Einen Obsthändler würde mein Vater sicher nicht einladen. Der Herr legte die Stücke auf ein hölzernes Brettchen und reichte sie mir. Frank wurde ungeduldig. „Fräulein Lillja, Ihr wisst, dass wir noch etwas zu tun haben.“ „Oh ja, aber ich habe es damit nicht eilig.“, antwortete ich zwischen zwei Bissen. Ich kaufte dem freundlichen Mann noch zwei weitere Früchte ab, ehe ich mich von Frank weiterschieben ließ. Als ich mich umsah und bemerkte, wie weit mich meine Füße bereits getragen hatten, verlangsamte ich meinen Schritt wieder, doch Frank zog mich sanft weiter. „Kommt schon. Wir beide wissen, dass es nicht anders geht.“ Vor uns war die Tür zum Geschäft des Tuchhändlers. Der Rahmen war erst kürzlich frisch gestrichen worden und das große Schaufenster, dass die Familie nachträglich hatte einbauen lassen, bot einen großzügigen blick auf viele leuchtende bunte Stoffbahnen. Als Frank die Tür aufzog, streifte sie eine Glocke, die mit einem hellen Klang Kundschaft ankündigte. Wrendon, der gerade seinem Vater geholfen hatte eine Stoffbahn aufzuwickeln, ließ von dem Ballen ab und kam auf uns zu. „Seid gegrüßt, Fräulein Lillja! Welch eine Freude, dass Ihr uns besucht!“ Er lächelte breit und verbeugte sich. „Es ist uns eine Ehre.“, nickte auch der alte Tuchhändler zu uns herüber. „Was kann ich für Euch tun?“, fragte Wrendon eifrig. Er gab sich Mühe, mir zu gefallen. Zumindest würde er mich als Ehefrau schätzen, dachte ich schicksalsergeben. Wenn es doch nur einen Ausweg gäbe... Ich trug dem jungen Mann vor, wonach ich suchte und Wrendon eilte ins Lager, um uns passende Stoffe vorzustellen. Währenddessen betraten zwei weitere Frauen das Geschäft. Ich lauschte ihrem Gespräch ein wenig und wartete darauf, dass Wrendon mit den Stoffen zurückkehrte. „Diesmal waren es schon drei Tage Verspätung!“ „Ihr solltet Preisnachlass von diesen Händlern verlangen, wenn sie ihre Waren nicht rechtzeitig besorgen.“ „Er hat es auf die Lieferanten geschoben. Er könne nichts dafür, hat er gesagt.“ „Dann muss er eben zusehen, dass er seine Lieferanten in den Griff bekommt. Wenn ihr nur die Hälfte bezahlt, trefft ihr ihn dort, wo es besonders schmerzt.“ „Ja vielleicht hast du recht...“ Die beiden Frauen lachten. „Übrigens ist mir zu Ohren gekommen, dass dieser Wissenschaftler, verschwunden sein soll. Du weißt schon, der der vor ein paar Monaten behauptete einen neuen Antrieb für Flugschiffe erfunden zu haben.“ In diesem Moment polterte auch Wrendon wieder herein, mit drei verschiedenen, weichen Stoffballen beladen. Ich gab mich erfreut und wählte den aus, der am feinsten gewoben war. Die Verhandlungen des Preises überließ ich Frank. Wie schon die letzten Male genügte meine bloße Anwesenheit, um ein günstiges Angebot zu bekommen. So machten wir – trotz der Unannehmlichkeiten, die mir dieser Besuch bescherte - ein gutes Geschäft. „Ich hoffe, Ihr beehrt uns bald wieder?“, fragte Wrendon zum Abschied und legte mehr Leidenschaft und Hoffnung in die Frage als mir lieb war. „Natürlich.“, antwortete ich freundlich, was ihn noch breiter strahlen ließ. Als wir das Geschäft verließen, fühlte ich mich grauenhaft. Ich seufzte und Frank sah mich mitfühlend an, aber er sagte nichts. Ich versuchte das gute Gefühl der Sonne in meinem Gesicht und des lauten Treibens um uns herum wieder zurückzuholen, doch es gelang mir nicht. Frustriert griff ich nach einer Frucht vom Obststand des netten alten Herrn und überlegte, noch weitere zu kaufen. Doch von dem Stand war weit und breit nichts mehr zu sehen. Als Vater gehört hatte, dass ich bei der Schneiderin gleich ein Kleid für den Stoff in Auftrag gegeben hatte, war er sehr erfreut gewesen. Das kam selten vor. Vermutlich glaubte er nun, ich würde mich endlich meinem Schicksal fügen. Wahrscheinlich tat ich das auch. Was konnte ich schon anderes tun, als auf diesen Abgrund zuzugehen, bis er mich irgendwann verschlang? Mir blieb nichts als ein paar Wunschträume. Unerreichbar. Unerfüllbar. So kniete ich auch an diesem Abend wieder im Nachthemd vor einem Pergament, auf dem ein großer Teil der schwebenden Landmassen kartografiert worden war. Viele ungleichmäßige Flecken, die die Inseln darstellten, waren über die ganze Karte verteilt. Nach außen hin wurden es immer weniger. Es gab nicht viele, die so weit reisten, um die Inseln zu kartografieren. An ein paar Stellen hatte mein Vater selbst Inseln hinzugefügt, die er einmal besucht hatte. Große Zahlen gaben an, ob sich die Inseln oberhalb oder unterhalb der Flughöhe jener Insel befanden, auf der die Hauptstadt Mescalone erbaut worden war. Die Insel auf der ich lebte befand sich nicht weit entfernt, und leicht oberhalb. Wrone betrat den Raum mit einem Glas Wasser und stellte es auf meinen Nachttisch. Er seufzte hörbar und blickte auf mich herunter. „Ihr tut Euch damit keinen Gefallen, Fräulein Lillja.“ Trotzig sah ich zu ihm hoch. „Wenn ich das Träumen auch noch aufgebe, verliere ich auch das Letzte, was mir lieb und heilig ist. Wahrscheinlich stehe ich schon bald genug vor dem Scherbenhaufen in meinem Leben und stürzte in einen tiefen Abgrund, ohne Hoffnung, dass mich jemand auffangen wird. Lass mich die Zeit nutzen, die mir noch bleibt.“ Wrone kniete neben mir nieder. „Ihr werdet auch in Eurem neuen Leben Glück finden. Lasst es zu. Ihr werdet es schaffen.“ Ich sah ihn nur kurz an und ging nicht weiter auf seine Worte ein. Schwerfällig erhob er sich wieder, schüttelte den Kopf und wünschte mir eine gute Nacht. Dann verließ er das Zimmer. Auf der Karte verfolgte ich die Reiseroute meines Vaters anhand der Orte, die er diesmal beiläufig erwähnt hatte. Seit er begriffen hatte, dass es mich in die Ferne zog, hielt er sich mit den Erzählungen sehr zurück. Er wollte mich nicht verderben, wie er einmal erwähnt hatte. Sich von mir abzuwenden war jedoch kein Stück besser und hatte ihm genau so wenig Erfolg gebracht. Bei einer der Inseln, die mein Vater erst kürzlich nachgetragen hatte, hielt ich inne. Mouq-co‘on war als Name angegeben. Ich griff in meinen Nacken und nahm den Anhänger ab. Die Mouq‘wee seien sehr Kunstfertig, hatte Vater erzählt. Dies musste ihre Insel sein. Dort stammte die schöne Kette also her. Ich schätzte den Abstand zu unserer Stadt. Es würde viele Tagesreisen mit den Luftschiffen brauchen, um dort hin zu gelangen. Enttäuscht packte ich die Karte wieder weg. Von oben fällt mein Blick auf die grüne, verwachsene Insel. Ein friedlicher Anblick. Die Sonne wärmt mich. Der Wind streicht sanft über meine Haut. Langsam ebbt er ab. Mein Blick wird aufmerksamer. Der Wald erbebt. Bäume brechen. Felsen knirschen. Die Sonne verschwindet und lässt nichts als Dunkelheit zurück. Mit einem lauten Krachen reißt der Boden auf. Lange Spalten teilen den Untergrund. Die Insel zerbricht vor meinen Augen. Felsen und Geröll stürzen in die wolkenverhangene Tiefe. „Aaah!“ Ich riss entsetzt die Augen auf. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und mein ganzer Körper zitterte. Ich sah mich hektisch um, doch ich befand mich in meinem Zimmer und es war noch immer Nacht. Ich versuchte mich zu beruhigen und rutschte langsam an den Bettrand um aufzustehen. Ich war erleichtert, als ich feststellte, dass meine Beine mich trugen. Vorsichtig ging ich zum Tisch hinüber und goss mir ein Glas Wasser ein. Die kühle Flüssigkeit tat gut. Langsam schien mein Körper wieder ruhiger zu werden. Ich starrte das Glas an. Was war nur los mit mir? Wieso verfolgten mich solche Träume? War das ein Aufschrei meiner Seele, weil mein Vater mich bald zu einer Heirat drängen würde, die ich nicht wollte? Ein Leben das ich nicht wollte? Ich wusste nicht, wie lange ich so dagestanden hatte, doch ein knirschendes Geräusch an meinem Fenster riss mich aus meinen Gedanken und brachte mich ins hier uns jetzt zurück. Erschrocken drehte ich mich um. Das Glas glitt mir aus der Hand und zersprang in viele Scherben, als unerwartet das Fenster aufgerissen wurde und eine dunkle Gestalt in mein Zimmer sprang. Ich wollte aufschreien, doch eine mit Lederhandschuhen bekleidete Hand wurde auf meinen Mund gepresst, so dass ich kaum ein Geräusch von mir geben konnte. Ich war zu geschockt, um mich ernsthaft zu wehren. Die Gestalt stopfte mir einen Lappen in den Mund und stülpte eine Kapuze über meinen Kopf, so dass alles um mich dunkel wurde. Ich vermutete noch, dass sie mich zum Fenster zerrte, doch in welche Richtung ich dann geschleppt wurde, konnte ich nicht sagen. Was, wenn Frank und Wrone nichts gehört hatten und mir nicht zur Hilfe kommen würden?! Panisch versuchte ich mich gegen die Umklammerung zu wehren. Daraufhin fluchte mein Entführer. Wenige Augenblicke später setzte er mich ab und fesselte mich. Um mich herum war es kalt. Ich spürte Wind auf meiner Haut, der durch den Stoff meines Nachthemds drang. Der Angstschweiß machte die Kälte noch schlimmer. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, ehe mir jemand die Kapuze wieder vom Kopf zog. Mit tränennassen Augen versuchte ich durch meine wirren Haarsträhnen etwas zu erkennen. Ich befand mich auf einem Schiff. Ich saß auf dem Boden und war mit dem Oberkörper an eine Art Mast gefesselt worden, der den Schwebeballon in der Mitte am Schiff hielt. Der Mann, der mir die Kapuze abgenommen hatte, beuge sich zu mir herunter. Er hatte schulterlanges, dunkles Haar und ein paar Bartstoppeln zierten sein Kinn. Er war jung, wohl nur wenig älter als ich. Seine Augen waren dunkel umrandet und in eine seiner Haarsträhnen waren Perlen eingeflochten worden. Sein Gesicht hätte schön gewirkt, wenn es nicht zu einer wütenden Grimasse verzogen gewesen wäre. „Miststück! Kannst du nicht still halten und wimmern wie es sich gehört?!“, knurrte er mich an. Was fiel diesem dreckigen Kerl ein?! Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt, doch der Knebel in meinem Mund verhinderte das bedauerlicher Weise. Also schwang ich mein Bein nach oben und trat im so fest wie möglich in den Bauch. Ich verzog mein Gesicht so gut es ging zu einer Grimasse der Befriedigung, als er keuchend und fluchend auf die Knie sackte. Zumindest dafür war der Tanzunterricht gut gewesen. „Lokan! Was soll das? So kannst du doch keine Lady behandeln!“, scholt eine Stimme hinter uns. Einen Augenblick später trat ein älterer Herr in mein Blickfeld. Sein kürzeres graues Haar und der gepflegte Vollbart passten gut zu den schelmischen Augen, die sich hinter einer schmalen Brille verbargen. Er hatte ein Tuch um den Kopf gebunden und das weite Hemd unter seiner dunklen Weste blähte sich im Wind. Der Mann vom Obststand! Der Jüngere richtete sich mit düsterem Gesichtsausdruck wieder auf und zupfte seinen dunkelroten Mantel mit den goldenen Stickereien zurecht. Mit dem schwarzen Hemd und der dunkelgrauen weiten Hose sah er edel aus. Doch die Palette an Flüchen, die er von sich gab, zerstörten diesen Eindruck umgehend. Der ältere Herr setzte seine Standpauke fort. „Du kannst eine Lady doch nicht einfach im Nachthemd entführen und an den Mast binden. Du brauchst dich nicht zu wundern, dass sie davon wenig begeistert ist.“ „Verdammt, Ravio!“, schimpfte der ungehobelte junge Mann weiter, doch sein Gesprächspartner drehte sich zu mir um und würgte damit eine erneute Schimpftriade ab. „Entschuldigt ihn, Mylady. Er ist jung und ungestüm.“ Ravios breites Grinsen beunruhigte mich ein wenig. Er machte sich daran die Fesseln zu lösen, während Lokan ihn wütend beobachtete. „Lass die Prinzessin lieber angebunden, sonst fallen ihr nur noch mehr Dummheiten ein.“, murmelte der jüngere Mann leise. Kurz bevor er die Fesseln locker ließ, sprach der Ältere weiter: „Ihr braucht nicht wegzulaufen oder loszuschreien. Es würde Euch nichts bringen. Wir befinden uns bereits zu weit von Eurer Stadt entfernt. Bestenfalls fallt Ihr über die Reling in die Tiefe.“ Ich deutete ein Nicken an. Sollte er doch denken, dass ich das Spielchen mitspiele. Er ließ die Fesseln locker und entfernte den Knebel. Als ich anschließend aufsprang und auf die Reling zurannte bedachte er mich nur mit einem schiefem Grinsen. Doch als ich über die Brüstung blickte erstarrte ich. „Ihr dürft mir ruhig glauben.“, rief Ravio mir nach. Vor mir erstreckte sich nichts als Wolken und Leere. In der Ferne sah ich meine Heimatinsel immer kleiner werden. Auch die beiden anderen Inseln, die sich nahe bei uns befanden, hatten wir bereits überquert. Meine Hoffnung, fliehen zu können, brach in sich zusammen. Verängstigt drückte ich mich an die Reling und drehte mich zu den beiden Männern um. „Ihr habt mich in den letzten Tagen verfolgt, nicht wahr? Ihr wart sogar auf dem Empfang meines Vaters und habt mit der Frau des Bürgermeisters gesprochen! Was wollt ihr?“, fragte ich und konnte dabei das Zittern in meiner Stimme nicht verbergen. „Wir möchten, dass Ihr uns einige Zeit begleitet.“ „Und dafür entführt ihr mich? Ihr hättet mich auch freundlich fragen können.“, gab ich argwöhnisch zurück. „Wenn deine Familie ein kleines Lösegeld bezahlt hat, darfst du wieder in dein Schloss zurück, Prinzessin.“, warf der jüngere erneut ein. Angesichts meines ängstlichen Verhaltens grinste er nun. Ravio lächelte wieder: „Wie Ihr seht, hatten wir unsere Gründe anzunehmen, dass Ihr uns nicht freiwillig begleiten werdet. Aber habt keine Angst, wir werden Euch nichts zuleide tun. Und wenn Eure Familie das Lösegeld schnell beschafft, seid Ihr in kurzer Zeit wieder zu Hause.“ Das klang alles andere als Aufbauend. Noch immer suchten meine Blicke hektisch einen Ausweg aus dieser Situation. Doch so lange ich keine Möglichkeit fand zu fliehen, wäre es wohl das Beste, möglichst viel über meine Entführung herauszufinden. „Wer seid ihr? Und warum entführt ihr ausgerechnet mich?!“ Diesmal schaltete sich der junge Mann wieder ein: „Du sahst ausreichend wohlhabend aus, um uns ein hübsches Sümmchen zu bringen. Auch Luftpiraten möchten ein schönes Leben führen.“ Er grinste. Ich war an Piraten geraten geraten. Grausame Piraten, die mich verfolgt und entführt hatten. Was hatten sie wirklich mit mir vor?! Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie mich tatsächlich einfach gehen lassen würden, sobald sie von meinem Vater Lösegeld erpresst hatten. Noch weniger traute ich der Aussage, Sie würden mir nichts antun. Verunsichert stand ich da und starrte zu den beiden Männern hinüber. Meine Hände krallten sich noch immer in das Holz der Reling. Ein Luftstoß ließ mein Nachthemd flattern und machte mir die nächtliche Kälte wieder bewusst. Der Jüngere wurde schließlich des Schweigens überdrüssig und ging auf mich zu. „Drinnen gibt es eine warme Kabine für dich. Zwar kannst du auch hier an Deck nicht fliehen, aber erfroren bringst du uns kaum einen Gewinn, Prinzessin.“ Er streckte die Hand aus, um meinen Arm zu ergreifen, doch ich schlug seine Hand weg und fauchte ihn an. „Lasst Eure schmutzigen Finger von mir.“ Für einige Augenblicke lieferten wir uns ein wortloses, giftiges Blickgefecht. Langsam begann ich vor Kälte zu zittern, deshalb knurrte ich schließlich: „Bringt mich zu der Kabine. Aber wehe Ihr versucht noch einmal, Euch an mir zu vergreifen!“ Was sollte ich auch sonst tun? Meine Situation hier an Deck dieses Schiffes war wahrhaftig aussichtslos. Ich konnte mich bestenfalls in die Tiefe stürzen oder hier sitzen bleiben und hoffen, dass ich nicht erfror. Es war wohl das beste, fürs Erste folge zu leisten. Vielleicht ergab sich ja irgendwann eine Fluchtmöglichkeit? Der junge Mann schnaubte kurz, dann rief er seinem älteren Kumpanen zu, er solle vorangehen. Immer wieder warf ich misstrauische Blicke nach hinten, während ich dem älteren Herrn folgte. Der Jüngere verriegelte umgehend die Tür zum Deck, als wir den Bug betraten. Die beiden Männer öffneten eine der vielen Türen, die vom Gang abzweigten und geboten mir, in den Raum zu gehen. Kaum hatte ich die Kammer betreten, verriegelten die Männer die Tür hinter mir. Ich seufzte und sah mich im Raum um. Neben einem Bett und einer spärlichen Möblierung hatte ich zumindest eine Truhe mit Kleidungsstücken entdeckt. Ich zog eine weite Bluse und abgetragene Lederkleidung hervor und streifte sie über. Auch wenn es noch so schäbig aussah, alles war besser und wärmer, als im Nachthemd herumzulaufen. Ich wühlte noch weiter in der Kiste, fand aber nichts, was mir geholfen hätte geschweige denn etwas, das ich als Waffe hätte benutzen können. Die Tür ging nach innen auf, also verbarrikadierte ich den Eingang mit einem kleinen Schrank und einem Tisch. Falls diese Kerle vorhatten, in der Nacht über mich herzufallen, würde das einen Strich durch ihre Rechnung machen. Schließlich setzte ich mich aufs Bett, zog die Beine nah an meinen Körper und behielt die Tür im Blick. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen. Die beiden Halunken waren mir seltsam vorgekommen. Der Jüngere hatte sich vom Älteren einiges gefallen lassen. Trotzdem folgte der ältere Herr den Anweisungen des jungen Widerlings. Ob einer von Ihnen wohl der Anführer der Truppe war? Sicher waren die beiden nicht die einzigen auf diesem großen Luftschiff. Wie viele Männer mochten noch zur Besatzung gehören? Ob ich wohl irgendwann würde fliehen können? Wenn sie Lösegeld für mich verlangen wollten, mussten sie meiner Familie eine Nachricht schicken. Und dafür mussten sie auf einer der Inseln anlegen. Wenn sich eine Chance ergab, würde ich diese unbedingt ergreifen müssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)