Schwarzes Licht von Okiro ================================================================================ Kapitel 2: Der Schmerz ---------------------- Ein, zwei Schritte durch das wabernde Tor und ich befand mich plötzlich in einer gänzlich anderen Welt namens Sirant. Die Farben meiner Umgebung waren deutlich blasser als diejenigen, wie ihr sie aus eurer Welt kennt. Allerdings war es hier deutlich farbenfroher als auf eurer Erde. Überall schwirrten kleine Farbkugeln in der Luft, die ihre Färbung regelmäßig wechselten. Auch der Himmel und der Boden hatten eine gänzlich andere Farbstruktur und würden auf euch einen eher verstörenden Eindruck hinterlassen. Doch dies waren Einzelheiten, mit denen ich euch nicht langweilen möchte. Fakt war, dass das Gras nicht grün, sondern rot und der Himmel nicht blau, sondern orange schimmerten. In diesem Moment befand ich mich auf einem kleinen Hügel, nicht weit von einer riesigen Halle, der großen Zentralhalle, entfernt. Dieser Ort war wiederum inmitten einer großen Stadt, die ihr wohl dem Aussehen nach in einem dieser Science-Fiction-Filme erwartet hättet. Aus dem Boden sprossen Türme gen Himmel, sodass man von unten nicht mal mehr das Dach ausmachen konnte. Diese Gebilde waren immer wieder mit einzelnen Überführungen verbunden, sodass man nicht erst ganz nach unten gehen musste, um das Gebäude zu wechseln. Dazwischen flogen und schwirrten in scheinbarem Chaos diverse Schatten umher, ohne sich gegenseitig zu treffen. Verrückt, nicht wahr? Ich sagte ja, es war ein Aussehen, wie ihr ihn wohl als futuristisch bezeichnen würdet. Noch immer erschöpft durch die Wunde schleppte ich mich zur Halle, die sich in einem der besagten Türme befand. Die Kapuze hatte ich vom Kopf gezogen und Knacks saß wieder auf seinem Lieblingsplatz. Von dort hörte ich in regelmäßigen Abständen ein besorgtes Klappern und ein „Uhh uhh... uhh“. Er wusste nur zu gut, dass ich verletzt war und dies verwirrte ihn mindestens ebenso sehr wie mich. Schließlich war dies das erste Mal meiner gesamten Existenz, dass ich verletzt geworden bin. Das Gefühl des Schmerzes war also etwas gänzlich Neues für mich. Müde schritt ich durch das Tor und blickte mich um. Wie erwartet, befanden sich dort meine, sagen wir mal, „Kollegen“ und eilten von einem Ort zum anderen. Wer meine Kollegen waren, fragt ihr euch? Nun, dies war ziemlich leicht zu beantworten. Ihr versteht sicherlich, dass es nicht nur mich, „den Tod“, geben kann, oder? Genau, es gibt auch „das Leben“, „das Glück“, „den Erfolg“, „die Trauer“ und was-weiß-ich-noch-alles für Zustände, wie ihr sie kennt. Und eben diese und noch viele, viele mehr waren meine Kollegen. Sie kümmerten sich ebenso um die Lebewesen eurer Welt wie ich, nur oblag mir als Einziger die Ehre, unter euch zu weilen und zu wandeln. Demnach besaß nur ich die Fähigkeit, zwischen diesen beiden Welten zu wechseln. Alle anderen blieben hier und steuerten die Geschicke von hier aus der Ferne. Doch es gab hier auch niedere Wesen wie Kobolde, die sich um diverse kleine Aufgaben kümmerten, wie das Protokollieren oder einfach nur Botengänge übernahmen. Es waren nicht gerade angenehme Gesellen, was ihrer überaus schlechten Laune zuzuschreiben war, die sie ständig an den Tag legten. Und, falls man doch mal einen netten Kobold traf, so hatte dieser nichts Gutes im Sinn. Ein Kobold war nicht gerade groß, in etwa – an eurer Menschengröße gemessen – kniegroß. Sie hatten unterschiedliche Hautfarben, doch sie alle besaßen am ganzen Körper hässliche Warzen und hatten überdimensionale Ohren. Ein Wunder, dass die Wächter solche Scheußlichkeiten unter uns wandeln ließen. Vorsichtig und angestrengt darauf bedacht, die Wunde nicht noch mehr aufzureißen, ging ich zu einem großen Stuhl, der am Rande der Halle stand, und ließ mich darauf nieder. Mein Blick wanderte ziellos umher. Eigentlich sollte ich weiter gehen und sofort Bericht erstatten, allerdings verspürte ich nicht gerade Lust dazu und ich wollte mich noch ein wenig ausruhen. Somit blieb ich noch sitzen und betrachtete all die Wesen, die in dieser Halle ein- und ausgingen. Diese waren recht schwer in euren Worten zu beschreiben. Die meisten hatten eine menschliche oder gar tierische Gestalt gewählt, die sich aber dennoch deutlich von einem normalen Aussehen unterschieden. Es gab auch ein paar wenige, die nur als Schemen oder blasse Wolken umher wanderten. Schwer seufzend nahm ich meine Doppelsensen vom Rücken und legte sie neben meinem Stuhl. Ich lehnte mich zurück und hob die Hand nach oben. Augenblicklich drückte der kleine Kauz seinen flauschigen Kopf in meine Handfläche und gurrte leise. Lächelnd kraulte ich die Federn hinter seinen Öhrchen. Ja, Knacks war einer der wenigen, die zu mir hielten. Auf ihn konnte ich mich verlassen, egal, was passierte! Auch, wenn er ein recht chaotischer Kauz war. Ein weiterer Seufzer ließ mich aufhorchen. Dieser war nicht aus meinem Mund gekommen. Ich wandte meinen Kopf nach rechts und musste kurz auflachen. „Hallo Soku. Lange nicht mehr gesehen, alter Freund!“, sagte ich und klopfte dem neben mir auf die Schulter. Dieser lächelte und antwortete mit ruhiger und leiser Stimme: „Oh ja, Zero, in der Tat. Hast dich lange nicht mehr hier blicken lassen, du Weltenwanderer.“ Soku wandte sich an Knacks und streichelte ihm über den Kopf. Er war neben mir der Einzige, den der Kauz an sich heran ließ. Jedem anderen würde er in die Hand zwicken, doch bei Soku klapperte er zufrieden mit dem Schnabel und schloss genüsslich die Augen. „Ach, wenn du wüsstest“, antwortete ich und blickte Soku nun direkt an. Neben mir war er wohl derjenige, der am menschlichsten in dieser Welt aussah. Außerdem konnte man auf dem ersten Blick sofort erkennen, dass er äußerlich das genaue Gegenteil von mir war. Er trug einen schlichten Anzug aus strahlendem Weiß. Seine Haare waren weißlich blond und seine Haut besaß eine gesunde Farbe. Soku sah einfach wie das pure Leben aus. Genau genommen absolut passend, denn Soku war schließlich „das Leben“, mein Gegenpart. Sicherlich fragt ihr euch jetzt, wie ich, der Tod, mit Soku so gut zurechtkam. Nun, sagen wir es so: Zwar nahm ich euch Lebewesen der irdischen Welt das Leben und führe es in die unsere, doch ihr dürft nicht denken, dass ich aus purer Lust, euer Leben auszuhauchen, handelte. Oh nein, ganz im Gegenteil. Es gab keinen anderen, der das Leben so sehr achtete wie ich. Und demnach achtete ich auch Soku. Soku wiederum wusste, dass er auf mich angewiesen war, denn ohne den Tod würdet auch ihr Lebewesen das Leben nicht achten. Und aus dieser Achtung zog Soku seine Kraft. Man könnte fast sagen, Soku und ich können ohne den anderen gar nicht sein. Wir waren verbunden wie Licht und Schatten, Schwarz und Weiß, Existenz und Nichts. Soku war auch derjenige, der euch Menschen die Engel zuwies, damit sie über euer Leben wachten und ihm Bericht erstatteten. Demnach wurde ab und zu einer seiner Untergebenen mein Feind, doch das nahm mir Soku nicht übel, denn er wusste, dass ich eine Pflicht zu erfüllen hatte, die seine Engel manchmal nicht verstanden. Er ging sogar so weit, zu behaupten, dass es gut sei, wenn jemand seine Leute hin und wieder zurechtwies, denn er selbst konnte es ja nicht tun, da die Engel auf der irdischen Welt blieben und nicht zu uns gelangen konnten. Vom Ton meiner Antwort verwirrt, blickte auch Soku in meine leer wirkenden, schwarzen Augen und ließ anschließend den Blick an mir herunter wandern. Der weiße Verband und das Blut, das noch immer an meinem Umhang klebte, sprachen wohl für sich. „Eine Wunde? Du hast dich verletzt? Aber wie konnte das sein?“, rutschte es Soku heraus. Seine Stimme war nun nicht mehr so ruhig und beherrscht wie eben. Nun war es wieder an mir, zu seufzen. „Glaub mir, wenn ich das wüsste, würde ich es dir sagen, mein Freund. Ich und auch Knacks sind ebenso sehr verwirrt und überrumpelt wie du. Aber eines weiß ich ganz sicher: Es tut verdammt weh!“ Soku sprach kein weiteres Wort, sondern hob langsam die Hand und legte sie vorsichtig an meine Schulter. Zuerst zuckte ich zurück, als erneuter Schmerz meinen Körper durchflutete, doch dann ließ ich meinen Freund doch die Wunde berühren. Sanftes weißes Licht quoll unter der Handfläche des Lebens hervor. Sofort durchflutete meinen sonst so kalten Körper Wärme, die meiner Wunde offenbar gut tat. Nach einer Weile nahm Soku die Hand wieder runter und schaute sich kritisch sein Werk an. „Nun, leider konnte ich nicht viel ausrichten, da du wohl mein Gegenpart bist und ich kaum Einfluss auf dich habe. Aber ich konnte wenigstens die Blutung stoppen und die Schmerzen etwas lindern. Pass aber dennoch auf, dass die Wunde nicht wieder aufreißt!“, meinte er und lächelte schwach. Man konnte ihm ansehen, dass es ihm leidtat, nicht mehr für mich tun zu können. Doch ich war schon wegen dieser kleinen Tat unendlich dankbar. „Das macht nichts, Soku. Vielen Dank hierfür!“, antwortete ich und stand langsam auf. Knacks auf meinem Kopf protestierte, blieb aber eisern sitzen. „Ich muss nun weiter, Bericht erstatten!“ Man konnte offenbar meiner Stimme anhören, wie wenig Begeisterung ich hierfür verspürte, denn Soku lachte kurz auf. Er wusste genau, was auf mich zukam. „Na, dann wünsche ich dir mal viel Glück bei deinem Vorhaben! Denn das wirst du wohl brauchen. Ich für meinen Teil muss nun auch weiter. Es gibt wie immer viel zu tun für mich“, meinte Soku neckend und stand nun ebenfalls auf. Wir beide verabschiedeten uns mit einem Handschlag – natürlich mit den linken Händen aufgrund meiner Verletzung – und gingen nun wieder eigene Wege. Mein Weg führte mich tiefer in die Halle, auf das andere Ende zu. Vorbei an meinen anderen hunderten Kollegen steuerte ich den größten Gang an, der aus der Halle führte. Dieser Gang war – anders als die restlichen – absolut leer und, sobald ich einen Schritt hinein machte, umgab mich eine drückende Stille. Zwar konnte ich das geschäftige Treiben in der Halle noch hören, doch die Geräusche waren gedämmt, als würde eine Watteschicht zwischen ihr und mir liegen. Unbeirrt ging ich weiter den weißen Gang entlang. Er war schmucklos, nicht ein einziges Bild, Fenster oder gar eine Säule waren zu sehen. Nein, er war einfach nur kahl. Das einzig Farbliche waren die blutroten Fliesen auf dem Boden, die sich mit weißen abwechselten. Dieser Gang führte zu einem Teil des Gebäudes, der sich hauptsächlich mit meiner Arbeit befasste. Die dort arbeitenden Wesen kümmerten sich um die Verwaltung der einkehrenden Toten und überreichten mir die Aufträge, die die Wächter für mich hatten. Ihr mögt vielleicht denken, dass ich wohl der Chef von dieser Abteilung war, doch dem war nicht so. Ich hatte auch eine Art untergeordnete Rolle und musste nur Aufgaben erledigen. Befehle an andere waren da kaum beinhaltet. Ich weiß, es mochte für euch sehr abstrakt wirken, aber auch der Tod unterlag gewissen Regeln. Eure Todeszeitpunkte und –ursachen waren normalerweise strickt festgelegt und wurden durch meine Macht eingehalten. Und, falls mal doch was schief laufen sollte, so bin ich da und werde euch persönlich besuchen. Endlich war ich am Ende des Ganges angelangt, der in einen ebenso kahlen Raum führte, in dem ein einziger Schreibtisch stand. Hinter diesem Schreibtisch saß eine alte Kobolddame namens Härla, deren grünliches Gesicht von Falten übersät war. Obwohl ein Kobold an sich schon hässlich war, war dieses Exemplar besonders scheußlich. Was sagt ihr da? Ich sollte nicht so gemein zu dieser grässlichen Schrulle sein? Na, wartet es einfach nur ab. Als ich an den Schreibtisch trat, beachtete mich die Kobolddame überhaupt nicht. Erst, als ich das dritte Mal ein Räuspern von mir gab, sah sie zu mir auf. „Ah, ist denn unser blasser Trottel auch wieder eingekehrt? Ich dachte, du könntest diesen Auftrag schneller erledigen. Was ist nur aus dem guten, alten Tod von früher geworden? Wirst du etwa müde auf deine alten Tage?“, richtete sie das Wort an mich. Unbewusst ballte ich meine Faust. Ja, das waren die üblichen Begrüßungsworte, die sie an mich richtete. Seid ihr immer noch davon überzeugt, dass ich mich ihr gegenüber unfair ausgedrückt habe? Diesem überaus netten Kobold? Nein? Dann waren wir ja einer Meinung. Wütend über diese Unhöflichkeit wollte ich schon zu einer Antwort ansetzen, doch sie unterbrach mich. „Los und beeil dich! Falru wartet schon ungeduldig auf deinen Bericht, damit er ihn den Wächtern vorlegen kann!“ Sie wies auf eine weiße Tür, die man aufgrund der ebenso weißen Wände auf den ersten Blick nicht sah. Am liebsten wollte ich über den Tisch springen und sie mit meinen Sensen einen Kopf kürzer machen, doch das würde mich in weitaus mehr Probleme verstricken, als dass es sie löste. Demnach wandte ich mich ohne eine Antwort um und schritt durch die Tür. Wie erwartet befand sich dort ein weiterer Schreibtisch. Hinter diesem saß Falru, der Protokollant, und wartete schon eifrig auf meinen Bericht. Man konnte es kaum glauben, aber Falru war so ziemlich der einzige Kobold, der annähernd nett war. „Ah, guten Tag Zero! Setzen Sie sich, setzen Sie sich und berichten Sie mir von Ihrem Ausflug“, war die wesentlich nettere Begrüßung an mich. Ich setzte mich auf einen Stuhl, der auf der anderen Seite des Schreibtisches stand und begann mit meinem Bericht. Natürlich erzählte ich Falru alle Kleinigkeiten von dem Vorfall mit dem verrückten Mann. Was er gesagt hatte, welche Regungen er gezeigt hatte, wie ich ihn zur Strecke brachte und in unsere Welt übergeführt hatte. Nur meine Verletzung erwähnte ich nicht. Dies wollte ich vorerst für mich behalten. Falru schrieb alles, ohne eine Regung zu zeigen, auf. Die Spitze seiner Schreibfeder flog geradezu über das Papier. Im Grunde fand ich diese ständigen Berichterstattungen abgrundtief langweilig. Ich konnte einfach nicht nachvollziehen, wieso es so wichtig war, genau zu wissen, wie ich meine Opfer zur Strecke brachte. Aber das musste leider so sein – Anweisung von ganz oben – und somit konnte ich nichts dagegen machen. Um mir die Zeit etwas zu vertreiben, spielte ich mit Schattenpartikeln und kleinen schwarzen Flämmchen herum, die ich erschuf und wieder zu Staub zerfallen ließ. Knacks beobachtete mich fasziniert und klapperte aufgeregt mit dem Schnabel. Ich musste grinsen. Es gab nach all diesen Jahrtausenden immer noch Dinge, die diesen alten zerzausten Kauz beeindruckten. Plötzlich zuckte sein Kopf vor und er versuchte, ein Schattenpartikel aus meiner Hand zu schnappen, welches ich sofort wieder verschwinden ließ. Verwirrt blickte mein kleiner Freund um sich und gurrte auf. Nun musste ich ein Lachen unterdrücken. Er würde wohl nie erwachsen werden. Als er bemerkte, dass sein Spielzeug verschwunden war, ließ er missbilligend sein Genick knacksen und flatterte aufgeplustert mit den Flügeln. Ein strenges Räuspern ließ mich wieder aufblicken. Falru hatte uns beide beobachtet und wartete nun auf eine Antwort. „Oh, entschuldige, was war die Frage noch einmal?“, sagte ich etwas überstürzt und richtete mich erschrocken auf. „Ich habe gefragt, ob Sie noch etwas hinzufügen möchten oder mit ihrem Bericht nun zu Ende seien.“ „Achso, also ich bin am Ende und habe nichts mehr zuzufügen. Sie können ihn nun den Wächtern zukommen lassen“, meinte ich mit nun festerer Stimme. „Alles klar, dann können Sie sich nun entschuldigen und sich zurückziehen. Falls ein neuer Auftrag reinkommt, werden wir Sie so schnell wie möglich in Kenntnis setzen.“ Erleichtert stand ich auf und stieß ein Seufzen aus. Endlich konnte ich nach Hause gehen! Ich war ohnehin schon geschwächt genug von der Wunde, da konnte ich etwas Ruhe auf alle Fälle gut gebrauchen. Langsam schleppte ich mich nach draußen. Härla, die mir einen missbilligenden Blick zuwarf, ignorierte ich. Sogar, als sie einen Kommentar murmelte, das wie „Dieser Trottel saut den ganzen Boden ein!“ klang, blieb ich gleichgültig und ging weiter den Gang zurück zur großen Halle. Knacks auf meinem Kopf wurde immer beunruhigter, zumal mein Gang zunehmend schleppender wurde und ich nun sogar meinen Oberkörper vor Schwäche krümmte. Kurz blieb ich an einer Ecke stehen und atmete tief durch. Ich musste Kraft schöpfen, bevor ich in die Menge tauchte, die die Zentralhalle füllte. Was war nur mit mir los? Konnte eine Wunde jemanden so sehr Schwächen? Ich fühlte mich, als hätte von meinem Stuhl im Büro von Falru bis hierher einen Marsch hinter mich gebracht, der Ewigkeiten gedauert hatte. Knacks beugte sich nach vorne und starrte mir ins Gesicht. „Huhu? Huuuuhuuuhuuuhu!! Huhu....hu!!!“ „Schon gut, Kleiner. Mir geht es gut. Wir zwei müssen nur schnell nach Hause, dann kann ich mich dort ausruhen. Das wird schon wieder, mach du dir da mal keine Sorgen“, versuchte ich, meinen Freund zu beruhigen, und kraulte ihn mit der linken Hand zwischen den Ohren. Doch dies schien Knacks nicht sonderlich ruhig zu stellen. Unruhig flatterte er von meinem Kopf und schwirrte um mich herum. „Hu! Huuuuuu!!“, war seine Antwort und er stupste mich leicht und vorsichtig an der linken Schulter an, ehe er sich dort wieder nieder ließ. Ich wusste, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als mir zu helfen. Seinen gelben Augen war anzusehen, dass er sich am liebsten verwandeln und mich tragen würde. Doch neuerdings hatte er Probleme damit, die Gestalt zu wechseln. Ich wusste nicht, wieso, aber es gelang ihm momentan nur dann, wenn er sehr aufgebracht und wütend war. Zu früheren Zeiten konnte er sich aber problemlos jederzeit verwandeln. Ihr fragt euch, in was er sich verwandelte? Nun, das war eine Information, die ich nicht vorneweg nehmen wollte. Ihr werdet es sicherlich noch früh genug erfahren. Aber eines konnte ich euch versichern: Knacks sah in seiner anderen Gestalt wesentlich furchteinflößender und größer aus, als es jetzt der Fall war. Schwach lächelte ich noch einmal und wagte nun meine ersten Schritte in die Halle. Es war noch immer ein ganz neues Gefühl für mich, so schwach zu sein. Ja, ich musste sogar zugeben, dass mich das ziemlich beunruhigte. Immer wieder schwirrte in meinem Kopf die Frage, was mich nur so verletzten konnte. Normalerweise konnte mir kein Gegenstand, keine Waffe und nicht einmal eine Krankheit, die auf der Erde und hier in dieser Welt zu finden war, etwas anhaben. Also, was war das? Wisst ihr etwas? Nein? Nun, das hatte ich erwartet. Auch, wenn ich ziemlich durcheinander war, so versuchte ich, mir möglichst wenig anmerken zu lassen. Mir gelang dies zwar nicht komplett, aber immerhin so, dass es keiner der anderen - sehr beschäftigten - Wesen in der Halle bemerkte. Nur Knacks konnte ich nichts vorspielen. Nichtsdestotrotz zwang ich mich zu einem schwachen Lächeln und machte die ersten Schritte hinaus in die Zentralhalle. Noch immer durchstieß mich ein stechender Schmerz, als würde mich etwas von innen zerreißen wollen. Etwas wankend wagte ich mich in die Menge. Zum Glück stieß mich keiner an, denn sonst hätte ich nicht garantieren können, dass ich das Gleichgewicht nicht verloren hätte. Zu diesem Glück trug Knacks erheblich bei, denn ich konnte aus dem Augenwinkel heraus sehen, wie er jeden, der mir zu nahe kam, äußerst böse ansah. Das lag zum einen darin begründet, dass es mir nicht gut ging und zum anderen, dass er eine Art Beschützerinstinkt für mich entwickelt hatte. Nach einer Ewigkeit, so schien es mir, erreichte ich das große Tor. Erleichterung durchflutete mich und ich atmete – so gut es mir möglich war – tief durch. „Siehst du, Knacks, den schwierigsten Teil haben – “, ich unterbrach mich, denn plötzlich durchzuckte mich eine erneute Schmerzwelle. Diese war heftiger als alle anderen zuvor. Sogar so heftig, dass ich erschrocken nach Luft schnappte und ein Stöhnen ausstieß. Als ich wieder aufsah, bemerkte ich, dass sich alles um mich herum drehte. Mein Sichtfeld wurde trüb und mir wurde schlecht. Hilfesuchend wollte ich meine linke Hand nach der Wand ausstrecken, doch ich erreichte sie nicht. Als ich einen weiteren Schritt versuchte, zog es mir geradezu den Boden weg. Ich fiel und plötzlich wurde mir Schwarz vor Augen. Das Einzige, das ich noch wahrnahm, war das verzweifelte und erschrockene Kreischen von Knacks. Dann legte sich Dunkelheit über mich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)