400 Jahre später von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 2: Freund oder Feind ---------------------------- „Was ist das?“ Maya seufzte. Diese Frage hatte er in den letzten anderthalb Stunden – solange hatten sie für die paar Meter nach Hause gebraucht – schon gefühlte 200 Mal gehört. Shinda kannte wirklich überhaupt nichts. Keine asphaltierten Straßen, keine Hochhäuser, keine Ladenstraßen, keine Haustürschlüssel, keine Handys oder Autos, nichts was auch nur ansatzweise an Technik grenzte. Es war, als käme er von einem anderen Planeten. Schaudernd dachte Maya an die Wandzeichnungen im Hexenhaus zurück. Ein Dämon mit schwarzen Haaren und roten Augen, gebannt vor ca. 400 Jahren. Langsam drängte sich ihm der grauenvolle Verdacht immer nachdrücklicher auf, so sehr er es auch mit seinem rationalen Verstand wegzuleugnen versuchte. Shinda kannte auch nichts, was es vor 400 Jahren noch nicht gegeben hatte. „Das ist ein Sofa, Shinda.“, beantwortete er betont ruhig die Frage. „Wozu dient es?“ „Man setzt sich darauf.“ Shinda wuselte begeistert zu dem Möbelstück hinüber und nahm theatralisch Platz, sprang aber sofort wieder hoch. „Es weicht vor mir zurück!“ „Nein, es ist nur gut gepolstert. Das ist Absicht, damit man es darauf bequemer hat.“ Skeptisch lies sich der Schwarzhaarige wieder auf das Sofa sinken und wippte dann darauf herum wie auf einem Trampulin. Dann grinste er breit und entblößte dabei ein paar außergewöhnlich spitze Eckzähne. „Hier, lass dich ein bischen bespaßen, ich hab noch zu tun.“, meinte Maya seufzend, schaltete den Fernseher an und drückte Shinda die Fernbedienung in die Hand. „Wenn´s langweilig wird, dann drück einfach eine der Zahlen oder Pfeile.“ , fügte er in Gedanken an. Au man, was sollte er mit diesem Kerl bloß anfangen? Er wagte gar nicht darüber nachzudenken, daß er morgen früh wieder zur Uni musste und der dann den ganzen Tag alleine hier in seiner Wohnung rumspukte. Oder noch schlimmer – draußen! Ob er ihn einfach zur Uni mitnehmen konnte? Maya rieb sich müde die Augen und warf einen kurzen Blick zum Fenster, als er die Tür klappern hörte. Es war stockdunkel draußen, wahrscheinlich schon nach Mitternacht. Er spürte, wie Shinda hinter ihn trat und ihm interessiert über die Schulter schaute. „Das ist ein Laptop.“, erklärte Maya matt, obwohl die übliche Was-ist-das?-Frage diesmal ausblieb. „Das sehe ich. Was googlest du denn da?“ Verwundert drehte er sich auf dem Stuhl um und sah seinen neuen Mitbewohner an. „Du kennst Google?“ „Ja, hab im Fernsehen was darüber gesehen. Internet scheint ja eine nützliche Sache zu sein.“, gab Shinda zurück. Seine Haare stachelten pitschnass und schwarzglänzend in alle Richtungen. Er war wohl inzwischen duschen gegangen. „Du lernst schnell!“, fand der junge Student anerkennend und wandte sich wieder dem Computer zu. „Internet ist super. Aber leider nützt es mir gerade nicht viel. Ich hatte gehofft, etwas über dich herauszufinden. Wer du bist und warum ich dich im Hexenhaus gefunden habe und sowas.“ „Und du meinst, sowas steht im Internet?“ „Nun, offensichtlich nicht. Ich werde wohl morgen an der Uni Professor Undo fragen müssen, unseren Dozenten für Lokalgeschichte.“ „Warum willst du einen Geschichte-Professor nach mir fragen? Ich bin doch kein Relikt.“, erwiderte Shinda etwas missmutig. Mayas Gesicht wurde weicher, als er versuchte, sich das Lachen zu verkneifen. „Doch, ich fürchte schon. ... Darf ich mal?“ Er stand auf und griff nach Shindas Gesicht, um ihm die wilden Haare aus den Augen zu streichen und die geschwungene Tätowierung um das rechte Auge genauer zu mustern. Dabei fiel sein Blick auf die Ohren, die er dabei ebenfalls mit freilegte. Sie waren spitz. Kein Mensch hatte solche spitzen Ohren. Was auch immer Shinda war, ein Mensch ganz bestimmt nicht. Nun ja, Maya hatte sich inzwischen damit abgefunden, einen Dämon in seinen vier Wänden zu haben. Und da der bisher auch keinen Ärger gemacht hatte, konnte er vorerst damit leben. Lange würde der ja hoffentlich nicht hier bleiben. „Hör auf, mich anzugrabschen.“, nörgelte Shinda und zog unwillig seinen Kopf weg. „Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch. Du behandelst mich wie einen Außerirdischen. Nur weil ich nicht mehr weis, wie ich in die blöde Ruine gekommen bin, bin ich nicht weniger wert als du.“ „Das sagt doch auch keiner. Komm, geh ins Bett, Shinda. Wir müssen morgen früh raus.“ „Du glaubst doch nicht etwa, daß ich recht zeitig aufstehe!“ Maya schaute ihn kurz verdutzt an. Er hatte nicht erwartet, daß der Kollege eine so große Klappe hatte. „Doch, wirst du. Ich lass dich nicht alleine in meiner Wohnung.“, stellte er also betont klar. „Und ich lass mich nicht zur Uni schleppen. Was soll ich auch da?“ „Schaden wird es dir nicht, du hast viel nachzuholen, was Geschichte angeht.“ „Quatsch. Sag mir lieber, wo die Polizeiwache ist, damit ich meine Identität feststellen lassen kann und damit mir irgendjemand sagt, was passiert ist.“ „Das können wir gern nach der Uni machen, ist das ein Deal?“ Shinda zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Was ist denn bitte ein Deal?“ Seufzend schaute Maya am nächsten Morgen auf seinen Sitznachbarn im Lesesaal. Nicht nur er, wohlbemerkt. So mancher Blick ruhte missbilligend auf Shinda. Der lag nämlich gemütlich auf der Tischplatte und schlief den Schlaf der Seligen, während der Dozent vorn etwas über Hexenverfolgung im Mittelalter erzählte. Nun, wenigstens war Shinda jetzt wieder ruhig, dachte Maya und lies ihn schlafen. Er hatte einen riesigen Aufriss gemacht, als Maya ihn heute früh halb gewaltsam aus dem Bett geholt hatte, hatte sich ausführlich über das Frühstück beschwert, hatte fast eine halbe Stunde mit ihm diskutiert ob er seine schmuddeligen schwarzen Lederklamotten weiterhin tragen durfte und hatte auch die ganze Fahrt und die ersten beiden Vorlesungen über nur gemeckert. Aber das war wohl purer Trotz, weil Maya immer noch darauf beharrte, daß der Geschichte-Professor ein besserer Ansprechpartner als die Polizei wäre. Leider war Professor Undo heute nicht an der Uni, der kam erst morgen wieder, wie Maya inzwischen wusste. Irgendwie musste er Shinda nachher klarmachen, daß er sich also in die Bibliothek setzen und selber recherchieren würde. Er wurde von hinten angestuppst. „Ey man, wer is´n der Vogel?“, raunte ihm einer seiner Kommilitonen leise zu, um die Vorlesung nicht über Gebühr zu stören. „Ein Freund.“, gab Maya nach kurzem Hadern knapp zurück. Er entschied sich doch dagegen, Shindas Bekanntschaft zu verleugnen, auch wenn er den Drang danach gerade sehr eindeutig verspürte. „Ist er Gasthörer an der Uni? Der studiert doch nicht hier, oder? Den hab ich ja noch nie gesehen.“ „Er ist nur zu Besuch.“ „Hab ich vorhin richtig gesehen? Hat er rote Augen?“ „Das sind Kontaktlinsen.“, log Maya unbehaglich. „Und die Tätowierung am Auge?“ „Wie du schon sagst, eine Tätowierung eben.“ „Der ist ja krass drauf man. Was treibt er so?“ Maya drehte sich auf dem Sitz um und wollte eine patzige Antwort geben, obwohl das sonst gar nicht in seiner Natur lag. Aber langsam fühlte er sich mit den Fragen dermaßen in die Ecke getrieben, daß er das Gespräch irgendwie abbrechen musste. Aufstehen und gehen konnte er ja nicht, genauso wenig wie er denen sagen konnte, daß Shinda allem Anschein nach ein Dämon war, der bis gestern noch in einer Ruine im Wald eingemauert gewesen war. Aber als er sah, wer da eigentlich gerade hinter ihm saß und mit ihm sprach, blieb ihm die patzige Antwort im Hals stecken. Duncan. Einer dieser dämlichen Säcke, die von ihren Papis in die Uni eingekauft worden waren, obwohl sie den numerus clausus bei weitem nicht erfüllten. Duncan verpatzte jede Prüfung mit meisterlicher Bravur, wohl weil er seine Zeit lieber im Uni-Boxclub als in den Vorlesungen verbrachte. Warum musste der Typ ausgerechnet heute mal im Unterricht sitzen? Der war doch sonst nie anwesend. „Er ... treibt gar nichts so richtig ... Er ... ähm ... ist ein Gothic und ... lebt so in den Tag hinein.“, stammelte Maya also schnell eine Antwort zusammen. „Ah ja? Wie kommt denn ein Streber wie du an so einen Typen?“, hakte Duncan gehässig nach. „Ich dachte du gibst dich nur mit den anderen Schnöseln ab, die auch so ein schickes Stipendium haben wie du.“ Maya schnaubte nur beleidigt und drehte sich wieder um, um weiter dem Unterricht zu folgen. Na und, dann war er eben ein Streber mit Stipendium. Wenigstens musste er sich an dieser Uni seinen Abschluss nicht kaufen. „Du hast doch nichts mit ihm am Laufen, oder?“, legte Duncan unbarmherzig und lauter als nötig nach und brachte damit andere in seiner Umgebung zum Lachen. „Ich wusste gar nicht, daß du auf Kerle stehst!“ Maya stieg die Verlegenheitsröte ins Gesicht, da er aber stur weiter nach vorn starrte und nicht mehr reagierte, sah es zum Glück keiner. „Hör dir das an, Shinda. Im Jahre 1607 gab es hier in der Gegend eine ganze Reihe von Massenmorden, es herrschte zeitweilig ein bürgerkriegartiger Zustand. Die Morde hörten schlagartig auf, nachdem das Hexenhaus und der halbe Wald niedergebrannt sind. Man geht davon aus, daß der Mörder in dem Feuer mit umgekommen ist. Zu seiner Identität wurden nie Aussagen getroffen.“ Der Schwarzhaarige zuckte gelangweilt mit den Schultern. „Na und?“, gab er nur zurück. „Kommt dir das irgendwie bekannt vor?“ „Nö.“ Maya starrte ihn durchdringend an. „Moment mal. Du denkst doch wohl nicht ernsthaft, daß ich das ... Das war 1607, man!“ „Wie alt werdet ihr Dämonen denn?“ „Ich BIN kein Dämon!“ „Hast du mal in den Spiegel geschaut, Shinda?“, konterte Maya. Da es schon spät war und sie die letzten in der Bibliothek waren, sprach er ganz ungeniert aus, was er dachte. Es hörte ja keiner. „Deine spitzen Eckzähne, deine Ohren, deine roten Augen! Ein Mensch bist du jedenfalls nicht.“ Shinda verschränkte nur mürrisch die Arme. Darauf konnte er natürlich nichts kontern. „Na schön, lassen wir dich aus dem Spiel. Sagen wir mal . Wie alt werden die?“, lenkte Maya schließlich ein und erhob sich auf der Suche nach ein paar okkultistischeren Büchern. „Ein paar hundert Jahre.“, gab Shinda trotzig zurück. „Sind Dämonen denn sterblich?“ „Natürlich. Es werden ja auch immer neue geboren. Wenn dafür keine anderen sterben würden, wäre die Welt bald überbevölkert mit denen. ... Was willst du jetzt mit dem ?“, hakte er nach, als der Student mit einem dicken, alten Buch zurückkam. „Willst du jetzt nachlesen, wie du mich wieder loswirst?“ „Nein, Shinda.“, gab Maya ruhig zurück und versuchte dabei so glaubwürdig und beruhigend wie möglich zu klingen. „Ich will dich nicht loswerden. Ich mag dich. Ich versuche lediglich herauszufinden, wer du bist und warum du im Hexenhaus eingemauert warst.“ „Mit einem Buch über die eindeutige Erkennung und zuverlässige Vernichtung von Hexen!?“ „Willst du nicht wissen, wer du bist?“, gab Maya ruhig zurück, die beißend zynische Tonlage seines Gegenübers ignorierend. „Nicht aus solchen schwachsinnigen, abergläubigen Schinken, nein.“ Maya seufzte. „Hast wohl recht. Der Hexenhammer ist da nicht die richtige Literatur. Hier steht aber leider auch nichts anderes über die lokale Geschichte. Also müssen wir wohl doch morgen Professor Undo fragen.“ „Tu was du nicht lassen kannst.“, murrte Shinda und erhob sich, um sein Buch über mittelalterliche Folterpraktiken zurückzubringen, mit dem er sich die Zeit vertrieben hatte. „Gehen wir jetzt endlich heim, oder was?“ „Ja, lass uns heimgehen.“, stimmte Maya zu. „Sei mal ehrlich, magst du mich?“, wollte Shinda gedankenversunken wissen, als sie durch die leeren, nur noch mit Notbeleuchtung erhellten Gänge der Universität spazierten. Maya hoffte, daß der Sicherheitsdienst das Gebäude noch nicht abgeschlossen hatte, es war schon verdammt spät. „Wieso fragst du? ... Ich weis schon, weil ich Recherchen über Dämonen anstelle, was? Mach dir keine Sorgen, Shinda. Ich will dich nicht wieder verbannen. Ich vertraue dir.“ „Weist du, wenn ich wirklich ein Dämon bin ... Nein, anders. Daran, daß ich einer bin, besteht ja wohl inzwischen kein Zweifel mehr. Aber wenn ich ein Dämon bin, dann heißt das auch, daß ich nirgends hin kann. Ich hab kein zu Hause, an das ich mich aufgrund meines Gedächtnisverlustes einfach nur nicht mehr erinnere. Ich habe keine menschliche Abstammung, also kriege ich auch keine Papiere. Das heißt, ich werde hier nie ein normales oder auch nur legales Leben führen können. Allerdings habe ich auch keine Ahnung, wo es noch andere wie mich geben könnte, zu denen ich zurückkehren könnte. Hast du eine Idee, wo man Dämonen suchen müsste, wenn man welche finden will?“, dachte er laut nach. „Darum müssen wir uns momentan keine Sorgen machen, Shinda. Du wohnst ja bei mir, und da kannst du doch auch erstmal bleiben. Du störst mich nicht. Im Gegenteil. Also, ja, so gesehen mag ich dich wirklich. Bleib ruhig bei mir.“ „Dann sind wir demnach Freunde?“, hakte Shinda nach. Maya zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich schätze schon.“, gab er unbeholfen zurück und drückte die große Eingangstür auf, die sie inzwischen erreicht hatten. Zum Glück war noch nicht abgeschlossen. Er trat in den Hof hinaus und atmete tief durch, oder holte viel mehr Luft, um an das Freundschaftsversprechen noch die eine oder andere Bedingung anzuknüpfen, aber er kam nicht mehr dazu, denn schon griff aus der Dunkelheit eine Hand nach ihm und zerrte ihn am Jackensaum aus der Tür heraus. „Maya, hat ja lange gedauert!“, vernahm er die höhnische Stimme und erkannte auch endlich das dazugehörige Gesicht, nachdem er seine Gedanken wieder geordnet hatte. „Wir dachten schon, wir hätten dich verpasst oder du wärst durch den Hintereingang abgehauen!“ „Duncan ...“, seufzte Maya und hob ergeben die Hände, während der andere ihn noch immer am Kragen gepackt hielt. „Was willst du heute?“ Langsam war er es fast gewöhnt, in gewissen Abständen von Duncan und seinem Boxclub aufgelauert zu bekommen. Manchmal wollten sie Geld, manchmal Hausaufgaben, manchmal einen anderen Gefallen ohne Gegenleistung, ab und zu wollten sie auch einfach nur irgendwen sinnlos verprügeln. Maya war ihr beliebtestes Opfer, wenn auch nicht ihr einziges. Aber er wehrte sich am wenigsten. Wie auch, so ein Hämpfling wie er war? Meistens wählten sie den, der zuletzt aus der Uni herauskam, weil es weniger Zuschauer gab wenn schon alle weg waren. Anfängerfehler, dachte Maya, sauer auf sich selbst. „Reden! Heute wollen wir nur Infos. Und vielleicht ein bischen Spaß.“, grinste Duncan zurück und seine Bande hinter ihm johlte auf. Neben sich hörte er Shinda ein empörtes „Aua!“ von sich geben, als sie ihn überfielen und radikal zu Boden rangen. Aber er kam nicht dazu, sich groß darum zu kümmern, denn Duncan schüttelte ihn bereits wieder am Kragen. „Spuck´s schon aus! Wer ist dein kurioser Kumpel hier? Nur irgendein Gothic, der so in den Tag hineinlebt, was?“, verlangte der Kerl zynisch. Shinda gab ein Knurren von sich, das einem Löwen nicht unähnlich klang, und katapultierte die vier Schläger, die ihn am Boden hatten halten wollen, mit einer brachialen Windung von sich herunter. Dann fuhr er, der Schwerkraft trotzend, hoch wie ein Vampir und stürzte sich brüllend auf Duncan. Maya sah noch seine rotglühenden Augen in der Dunkelheit des Kampus. Fangzähne blitzten in der spärlichen Notbeleuchtung, entsetzliche Schreie, hässlich reißende Geräusche, wieder Schreie. Er wurde losgelassen und sank ohnmächtig in sich zusammen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)