Unverhoffte Nachbarn von Jeanne-Kamikaze- (Wenn Nachbarn interessant werden) ================================================================================ Kapitel 22: Plan schmieden -------------------------- Das kleine Café war an diesem späten Frühlingstag gut besucht. Pärchen, Freunde und Familie drängten sich an die engen, runden Tische, tranken Kaffee und schwatzten über ihren Tag. Sherlock ließ seinen Blick über die belebte, bunte Masse treiben. Es war lange her, dass er sich offen an solchen Plätze aufgehalten hatte, dass er wie ein Schatten in dem Farbenspiel gesessen hatte und seine Beobachtungen durchführen konnte. Er löste seinen Blick von einer rundlicheren Frau aus Iowa, die hier auf Geschäftsreise war für eine Versicherung und lasziv mit dem Kellner flirte, der das freundlich erwiderte, aber in Wirklichkeit mehr als offenkundig schwul war. Catherine saß vor ihm und nippte an einer warmen Tasse Kaffee, während auf ihrem Teller ein Käseschinkensandwich lag und darauf wartete verzehrt zu werden, doch sie machte keinerlei Anstalten es zu essen. Erst jetzt, wo sie das tiefliegende Labor von Catherines Arbeitsgruppe verlassen hatten, hatte Sherlock die Zeit sie in Ruhe zu betrachten. Als er neben ihr im Labor gestanden hatte, hatte selbst den sonst bewusst distanzierten Sherlock eine Flut an Emotionen überrollt, dass er nicht in der Lage gewesen war klar zu sehen. Angst, Trauer Hilflosigkeit, Freude und Hoffnung, so nannte man wohl einige von ihnen. Es war seltsam gewesen wieder neben ihr zu stehen, wie er es oft am Wochenende getan hatte, wenn die Räume verwaist waren und sie ihm neue, biotechnologische Methoden gezeigt hatte. Erst hatte er nicht gewusst wie er sie hatte ansprechen sollen. Sie war so ruhig, so aufgehend in ihrer Arbeit gewesen, dass ihm erst dort bewusst geworden war wie sehr sie diese Arbeit liebte und wie sehr er sie oft davon abgehalten hatte, wie sehr er ihr Leben nach seinem Wunsch manipuliert hatte ohne Rücksicht auf sie zu nehmen. In diesem Moment hatte er gezögert und sich gefragt, ob es richtig wäre, wieder in ihr Leben zu treten. Dann jedoch, hatte sich etwas verändert. Als Catherine mit der Mikropipette etwas aus dem Reagenzgefäß nahm und es in ein Eppendorfgefäß überführte, durchdrang ein trauriger Blick ihre klaren Augen und zeigten Sherlock, dass sie nicht so glücklich war, wie er zunächst vermutet hatte. In diesem Moment hatte der egoistische Drang in ihm sein Leben wiederzubekommen, was er vorher geführt hatte, was er für all die Menschen um sich herum aufgegeben hatte, überhandgenommen und Sherlock hatte sich ihm nicht länger verweigern können. Catherine hatte auf seine Rückkehr emotionaler...glücklicher...reagiert als er es je erwartet hätte. Er hatte wirklich gedacht, dass ihr das Leben mit ihm als Nachbar eine Last gewesen wäre. Er hatte mit einer Ohrfeige, Rausschmiss oder anderem gerechnet, als er den Unglauben und Schock in ihren Augen gesehen hatte, doch das letzte was er erwartet hatte, waren eine Umarmung und ihre unterdrückten Schluchzer gewesen. Erst dort hatte er sich wieder daran erinnert, dass sie eine junge Frau war, die schon so viel Verlust hatte erleiden müssen und dennoch sogar noch daran gedacht hatte, dass er eigentlich Umarmungen nicht ausstehen konnte. Nach alledem, was Sherlock John, ihr und den anderen angetan hatte, dachte sie dennoch noch an ihn. All diese Eindrücke und Verwirrungen hatten es ihm unmöglich gemacht, den nötigen Abstand zu gewinnen um zu sehen wie es ihr ging. Um seine Deduktionen durchzuführen. Eigentlich hatte er sich zwar vorgenommen bei den wichtigen Menschen zurückzunehmen, doch als er sie ansah wie sie ihr heißes Getränk trank, konnte er sich nicht zurückhalten, denn erst jetzt bemerkte er wie schlecht Catherine aussah. Sie war dürr geworden in den drei Jahren. Catherine war immer schlank gewesen, doch sie hatte sicherlich noch einmal fünf Kilo verloren, seitdem er die Bakerstreet verlassen hatte. Ihre klaren, intelligent dreinsehenden Augen, lagen in dunklen Höhlen und sie war bleich wie der Schnee, der sich erst vor kurzem aus London verzogen hatte. Auch ihr sonst glänzendes Haar hing nun fettig und ungekämmt in einem schlichten Zopf, während sie nur einen Sweater und schlichte Jeans trug. Catherine war zwar nicht so dumm wirklich schlecht auszusehen, da es ihren Beruf geschadet hätte, doch es war offensichtlich, dass ihr in all der Zeit alles in den Sinn gekommen war, außer auf sich selbst zu achten. Sherlock entdeckte einen kleinen Senffleck auf der weißen Schrift auf dem Pullover, die das Wort College bildete, das zeigte, dass sie ihre Kleidung häufiger trug, sie eventuell sogar gar nicht wechselte. Nach alledem, was er im Labor gesehen und von ihr gehört hatte, war der Schluss leicht, dass sie sich wirklich in ihre Arbeit vergraben hatte und dabei alles andere um sich herum vergessen hatte. Als um sie herum alles zerbrach, hatte sie sich in die einzige Welt zurückgezogen, die noch heil zu bleiben schien und hatte sich an sie geklammert, wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Alles andere um sie herum hatte wohl aufgehört zu existieren. Sherlock unterbrach seine Deduktion und schloss die Augen. Er wollte nicht noch mehr Schlussfolgerungen ziehen. Er hatte viele Menschen damit verletzt und hatte mit ihnen diese ganze Misere überhaupt erst angezettelt, den Fehler wollte er nicht noch einmal machen. Zwar würde er sie niemals komplett abstellen können, wollte es auch gar nicht, doch er wollte versuchen nicht mehr die Gefühle der Menschen zu verletzten, die ihm nahe standen. Er wollte John zwar noch immer mit ihnen beeindrucken, aber ihn nicht mehr damit nerven. Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass Catherine ihn über den Rand ihrer Tasse beobachtete, aber schwieg. Mittlerweile hatte sie aufgegeben Sherlock zu überzeugen, seine Zeit nicht mehr mit ihr zu verschwenden, sondern stattdessen zu John zu gehen um seinen einzigen Freund endlich zu erlösen. Doch Sherlock wollte es nicht, noch nicht. Ihm war nun klar, dass er John schlimmer verletzt hatte, als alle anderen, dass er ihn noch mehr verletzten würde, wenn dieser erfuhr, dass ein bester Freund die ganze Zeit am Leben gewesen war und Sherlock wusste auch, dass eine einfache Entschuldigung nicht im geringsten reichen würde um das wiedergutzumachen- falls das überhaupt möglich war. Deshalb hatte er auch Catherine als erstes aufgesucht, nachdem er sich hatte sicher sein können, dass es gefahrlos möglich war. Drei Jahre hatte es ihn gekostet, die Scharfschützen und Hintermänner von Moriarty zu finden. Es waren drei Jahre voller Wechsel vom Gejagten, zum Jäger und wieder zurück gewesen. Sherlock war durch die ganze Welt gereist hatte sie gesucht, gefunden und eliminiert. Erst jetzt merkte er wie lange drei Jahre waren und wie sie reichten, damit alles fremd wurde. Das, was einst vertraut gewesen war, stand nun hinter einer Schlucht, die zu überqueren beinah unmöglich schien. Obwohl anscheinend sowohl John als auch Catherine oft an ihn gedacht hatten, waren ihre Leben weitergegangen, hatten einen Weg ohne Sherlock gefunden und er wusste nicht mehr wie er wieder dahin hinein kommen sollte. Nur eines hatte sich in all der Zeit nicht verändert: Sherlock hatte nur einen Freund. Einen einzigen. Seinen gutherzigen, loyalen John. Aus dem was Catherine ihm gesagt hatte, hatte er gelesen, dass John niemals in den Alltag zurückgefunden hatte und das war vielleicht das Problem. John hatte keine Ablenkung, keinen Alltag gefunden, hatte jeden Tag mit dem Schmerz gelebt. Das machte eine Rückkehr vermutlich schwerer, denn es zeigte wie wichtig Sherlock seinem Freund war ohne dass Sherlock es selbst je gemerkt hatte. Auch wenn er sich viel mit diesem Thema während seines vermeintlichen Todes beschäftigt hatte, verstand er noch immer viel zu wenig davon um wirklich Freundschaft zu begreifen. Das seltsame daran war, dass Sherlock in Catherine keine Freundin sah. Sie war eine Vertraute, ohne Zweifel, doch sie war nicht John. Manchmal hatte Sherlock sich gedacht, dass sie eine Art Bindeglied zwischen dem emotionalen John und ihm war. Catherine besaß einen nicht allzu langsamen Verstand und war dennoch in der Lage Emotionen zu verstehen und zu analysieren. Auch war sie es oft, die noch Spaß an seinen Spielen hatte, während John ihn schon längst getadelt hatte. Sie verstand die emotionale Welt, die John so sehr schätzte, doch sie spielte ebenso gerne damit, solange es nicht zu weit ging. Ein kleines Schmunzeln glitt über sein Gesicht, als er daran dachte wie sie den armen Nate einen peinlichen Abend beschert hatten. John hatte sie zwei Tage mit Schweigen gestraft und ihnen genervte Blicke zugeworfen, wenn sie darüber gesprochen und gelacht hatten. Catherine war wie eine Vermittlerinnen zwischen den beiden Freunden. Jemand, der John unterstützte, wenn Sherlock mal wieder zu weit gegangen war, ihm einen Spruch reindrückte oder mit Sherlock die Späße weitertrieb, während John sie schon längst genervt abgewandt hatte. Sie verstand beide Seiten. Catherine war eine Mischung aus ihnen beiden. Sie hatte es immer geschafft, ganz gleich in welcher Situation sowohl John als auch Sherlocks Sicht zu verstehen und das hoffte er auch dieses mal. Sie sollte Sherlock dabei helfen einen passenden Weg zu finden, wie er John zurückgewinnen konnte. Sie sollte Aspekte mit bedenken, die Sherlocks Verstand nicht begriff. Auch wenn er sich viel mit Gefühlen und Freundschaft beschäftigt hatte und versuchte es besser zu verstehen, gab es vieles was er nicht begriff und eines ganz besonders und er hoffte, dass Catherine es mit ihrem Mittelweg schaffen würde es ihm zu erklären. „Catherine...kann ich dich etwas fragen?“ „Hmmm?“ Sie neigte ihren schmalen Kopf und stellte leise die Tasse ab. „Sicher, Sherlock. Man kann immer fragen, die Frage ist, ob man eine Antwort bekommt.“ Sherlock sah sie an und nickte, überlegte wie er die Frage stellen könnte, beschloss dann aber sie gerade herauszustellen. „Warum vertraut ihr mir?“ Catherine blinzelte irritiert. Sie war verwirrt auf Grund der Frage und schien einige Zeit zu überlegen wie die Frage gemeint sein könnte. „Ich meine...alle Welt hat immer und immer wieder behauptet, dass ich lüge, doch ihr habt dagegen gekämpft, habt euch beschimpfen und demütigen lassen, anstatt einfach die bequeme Lüge zu akzeptieren, die ich sogar selbst noch bestätigt habe. Ich würde gerne verstehen, warum. John hatte mir ein paar Tage bevor das alles passierte, sogar erzählt, dass du verprügelt worden bist, weil du mich verteidigt hast.“ „Tja, gute Frage, was?“, begann sie nach einiger Zeit des Bedenkens und schmunzelte. „Du erinnerst dich sicher noch, dass ich dir genau diese Frage schon einmal gestellt habe. Ich habe danach oft darüber nachgedacht, warum es wohl so sein könnte. Ich meine, du hast dich niemals darum geschert was andere von dir dachten und auch nie irgendeinen Grund gegeben, dir zu vertrauen. Aber vielleicht ist genau das der Grund.“ Diese Erklärung verwirrte Sherlock. Sie hatte Recht, er hatte sich nie darum geschert, was andere von ihm dachten. Sie waren ihm alle zu langweilig gewesen, als dass es ihn interessiert hätte. Aber warum sollte genau das der Grund gewesen sein, warum man ihm vertraute? Wie immer waren Gefühle viel zu irrational, als dass er sie fassen konnte. Dabei waren es hier doch auch nur chemische Reaktionen. Ein Mix aus Hormonen, die eine Stimmung auslösten, doch er begriff sie nicht. „Das verstehst du nicht, richtig?“, hakte Catherine mit einem Schmunzeln nach und legte ihren Kopf auf die Hände. Sherlock sah sie an und nickte. „Ist auch gar nicht so einfach zu erklären, wenn man Jemanden wie dich vor einem sitzen hat. Nun, ich versuch einmal das Unmögliche.“ Sie lachte leise und biss, zur Sherlocks Erleichterung, in das Sandwich, kaute genüsslich darauf und schluckte dann den Bissen herunter. „Wie gesagt, du hast dich nicht drum geschert wie du dich verhältst. Hast dich nie um Grenzen und Moral gekümmert, solange du an dein Ziel kamst. Normalerweise vermittelt solches vor den Kopf stoßen kein Vertrauen, aber ich denke, dass es bei dir anders war. Dadurch hast du dich nie verstellt, Sherlock. Du hast nicht, wie die anderen Menschen, darauf geachtet wie du nach außen hin wirkst. Du bist oft angestoßen, aber auf Grund dieser Ehrlichkeit, wusste man auch immer, woran man bei dir war.“ „Das...verstehe ich nicht...“, antworte Sherlock und sah sie mit großen, hilflosen Augen an. Gott, dieser Blick war total amüsant und beinahe schon niedlich. Sie schüttelte bloß den Kopf. „Donovan und Anderson hatten das auch und sie haben es nur zu gerne geglaubt.“ „Das ist ja auch was andres.“, seufzte Catherine und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Diese beide kannten dich nicht...ok, niemand tut das. Ich sage besser: Die beiden wollten dich nicht kennenlernen. Dich sehen wie du warst, wie wir dich gesehen haben. Donovan ist halt...nun ja Donovan. Sie hatte Angst vor dir, glaubte immer, dass du irgendwann die Seiten wechseln würdest, weil sie dich nicht verstand, dich nicht begreifen konnte und Anderson...ist einfach...“ „...ein Idiot.“, sagten sie beide zeitgleich und lachten. „Das natürlich vorrangig.“, fuhr Catherine glucksend fort und nahm einen Schluck Kaffee. „Aber, was ich glaube, was noch mitschlug, war wie du ihn behandelt hast. Es gibt ein Sprichwort: ‚So wie du in den Wald rufst, so schallt es zurück‘ Du hast ihn immer niedergemacht und da hat er natürlich gerne geglaubt, dass all das gelogen war. So hatte er noch einen weiteren Grund dich zu hassen. Das ist ja an sich auch nicht von Belang, denn um die geht es ja nicht.“ Sie holte tief Luft und beorderte sich eine Cola. Sie genoss es, sich wieder mit ihm zu unterhalten, seine Stimme zu hören und es erfüllte sie schon ein wenig mit Stolz, dass sie ihm etwas erklären sollte und er ihr auch noch bereitwillig zuhörte. „Hoffentlich nicht.“, schmunzelte Sherlock. „Fünf Vertraute sind schon anstrengend genug.“ Catherine lachte leise. „Und viele sehen das als viel zu wenig.“ „Ihr Menschen seid verrückt.“, erwiderte Sherlock. „Das sagt ausgerechnet einer der Holmes Brüder.“, grinste sie ihn frech an und hob eine Augenbraue. „Nun gut...was ich eigentlich versuche zu sagen ist...uff...wie mach ich das einem Sherlock verständlich?“ „Jetzt tu nicht so, als wär ich geistig zurückgeblieben.“, murrte er verstimmt und seine Augen funkelten Catherine an. Diese kicherte wieder und sie aß scheinheilig die Hälfte ihres Sandwiches. „In der Beziehung bist du aber wirklich geistig zurückgeblieben, Sherlock.“ Sherlock seufzte, lächelte dann aber. Auch er hatte es vermisst. Catherine hatte sich nie von ihnen beindrucken lassen. Wo John sonst immer beeindruckt war, hatte Catherine meist nur gelangweilt dreingesehen und etwas wie „war das alles?“ gesagt. Bei ihrer ersten Begegnung hatte Sherlock nichts mehr gewollt, als sie zu Boden zu zwingen bis sie wimmerte. Er hatte wirklich alles aufgedeckt, wollte sie demütigen, bis sie seinen überragenden Intellekt anerkannte, doch es dauerte nicht allzu lange, bis er erkannte, dass Catherine ihn mehr bot als ein kurzzeitiges Opfer. Sie liebte es, sich mit ihm anzulegen und auch er hatte in Laufe der Zeit Spaß an ihren Spielen gefunden. „Dann lass mich mal teilhaben.“ „Ooooh...“, sagte sie, als hätte sie etwas ganz niedliches gesehen. Irritiert schüttelte Sherlock den Kopf und sah sie fragend an. „Dass ich das jemals von Sherlock Holmes hören würde...das muss ich gleich in meinen Kalender eintragen.“ „...Catherine Amell, treib es nicht zu weit.“ „Aber das macht Spaß.“ „Cath...!“, warnte er sie. Hmm? War das jetzt ein Spitzname für sie, wenn sie zu weit ging? Aber im Labor hatte er sie auch Cath genannt, als er ihr gesagt hatte, dass sie ihm wichtig war. Was bedeutete dieses Kürzel dann? Er hatte es völlig unbewusst genutzt. Nur beim ersten Mal hatte er es bewusst gewählt, um sie innehalten zu lassen. „Bitte, Sherlock. Du hattest ein halbes Jahr lang dieses Vergnügen, lass es mich wenigstens ein paar Minuten genießen.“ Große, blaue Augen sahen ihn bittend an und ein seltsames Gefühl breitete sich in Sherlocks Magen aus, dass er nicht kannte. „Du siehst gerade verdächtig wie diese Grinsenkatzen im Chinamarkt aus.“, seufzte er. „Ok, ok.“ Sie hob abwehrend die Hände und rollte mit den Augen. „Ich fahr ja schon fort. Also was ich meinte ist, dass John, Miss Hudson, Lestrade und ich einfach keinen Grund hatten daran zu zweifeln. Es gab zu viele Dinge, die du einfach nicht hättest selbst inszenieren können...auch wussten wir, dass du dir nie etwas aus Ruhm gemacht hast. Klar, du hast es genossen deine Deduktionen durchzuführen, den Menschen klar zu machen, dass sie dir unterlegen sind, sie vorzuführen und zu zeigen, was du alles über sie herausfinden kannst. Wie dumm wir sind, dass wir es nicht selbst bemerkten, aber du wolltest nie Ruhm. John war es doch erst, der dich berühmt gemacht hatte mit seinem Blog. In Wahrheit hat es dich doch nur genervt, besonders als die Sache mit dem Hut kam, oder lieg ich da falsch, Sherlock?“ Sherlock lehnte sich zurück, nahm seine Nachdenkpose ein und ließ sich das gesagte durch den Kopf gehen. Natürlich hatte sie Recht. Ruhm war ihm zu wider gewesen. Er erschwerte nur seine Arbeit. Er brauchte die Tarnung als Detektiv. Catherine schien ihn wirklich zumindest ein bisschen verstehen, dennoch begriff er nicht alles von dem, was sie ihm versuchte zu erklären. „Aber...warum habt ihr mich nicht einfach verstoßen, warum habt ihr für mich gekämpft, selbst als ich tot war? Warum habt ihr die Häme und Spott ertragen? Es wäre doch so viel leichter gewesen, wenn ihr einfach gegen mich gehetzt hättet.“ „Warum John und ich das taten?“, wiederholte sie und plötzlich war aller Spaß aus ihrem Gesicht verschwunden. Ihre blauen Augen wurden zu einem tiefen See in dem er unmöglich ablesen konnte, warum sie das machten. Nachdenklich holte sie ihren Zopf hervor und fuhr sich fahrig durch die Haare, schien mit sich zu hadern. „Catherine?“, fragte er sie irritiert und beugte sich etwas vor. Sie hob den Blick und sah ihm direkt an, doch er fühlte beinahe schon die Unsicherheit, die sie plagte. Sherlock verstand jedoch nicht wieso. „Alles in Ordnung?“ „Ich...nun...ja...also...“ Sie holte tief Luft und knetete unsicher in ihren Händen. „Also...warum John und ich das machen ist...weil du uns...gerettet hast.“ „Gerettet? Ich hab euch doch immer nur in Gefahr gebracht.“ Catherine sah ihn aus unergründlichen Augen an und trank aus ihrer Cola. Als sie das Glas absetzte, strich sie sich den Pony aus dem Gesicht. „Stimmt...du bist nicht wirklich ein Engel, Sherlock, und das würdest du wohl auch nie behaupten, aber dennoch bringst du Licht in die Dunkelheit.“, erklärte sie mit dunkler Stimme. „Sicherlich hast du manchmal Dinge gemacht, die uns verletzt haben, die uns vor den Kopf gestoßen haben, das in Baskerville mit John zum Beispiel.“ „Das war ein Experiment.“, verteidigte Sherlock sich. „Ich weiß, dennoch hatte er Todesangst.“, sagte sie streng und zog ihre Augenbrauen hinab. „Sherlock, eine Frage interessiert mich schon länger. Damals, als die Serben mich entführt hatten wegen der Sache mit meinem Bruder...hättest du mich auch gerettet, wenn die Täter dir dadurch entwischt wären? Aus damaliger Sicht. Jetzt bin ich mir fast sicher, dass du es tun würdest, aber hättest du es auch vor drei Jahren?“ Ihre Stimme war todernst und ihre Augen sahen ihn hilfesuchend an, warteten auf eine Antwort. Sherlock betrachtete sie nachdenklich, wog die Begebenheiten ab. Die Situation war damals prekär gewesen. Catherine war von einem Tag auf den anderen ins Koma gefallen und es wurde festgestellt, dass sie vergiftet worden war. Es hatte so aussehen sollen, als ob sie einer Krankheit erlegen wäre. Ohne John oder ihn wäre es niemanden aufgefallen, dass nicht alle Fakten ins Bild passten. Nachdem Sherlock also seinem Bauchgefühl nachgegangen war, hatte er herausgefunden, dass Jeffrey ein Spion gewesen war. Ihr Bruder hatte Dokumente kopiert, die zeigten, dass seine Firma illegal Drogenhandel mit einem riesigen Serbenring betrieben hatte. Catherine hatte sie zufällig bei einer Aufräumarbeit entdeckt, sie aber nicht verstanden und Sherlock gegeben. Danach war es passiert. Catherine hatte diese Dokumente für sie finden sollen, doch als sie diese an Sherlock weitergegeben hatte, hatte die Bande sie als unnütz eingestuft hatte. Sie hatten sie nur nach Serbien verschleppt und nicht direkt getötet, weil sie noch gehofft hatten, dass sie weitere Informationen besaß. Über Sherlock, ihren Bruder, was sie generell über den Prototyp einer neuen Droge wusste. Sie hatten sie verprügelt, mit simuliertem Ertrinken gefoltert und doch hatte Catherine zu John und ihm gehalten, hatte versucht sie mit all ihren zur Verfügung stehenden Mitteln zu beschützen. Würde eine solche Situation noch einmal auftreten, würde Sherlock sie auf jeden Fall retten, das wusste er, aber hätte er es damals getan? Wenn er zwischen der Killer- und der unbedeutenderen Verhörzelle hätte wählen müssen? Normalerweise ging ihm nichts darüber den Fall zu lösen, den Täter zu fangen. Hätte er also Catherine sterben lassen, wenn er dafür die Übeltäter hätte stellen können? Er wusste es nicht. Nichts erregte ihn mehr, als endlich einen Fall abzuschließen, aber Catherine war...ja, was war Catherine für ihn? Er konnte die Frage nicht beantworten, aber er versuchte sich zurückzuerinnern, was er damals für sie gefühlt hatte. War sie ich wichtig genug gewesen, dass er das riskiert hätte? Wäre es ein ihm unbekannter Mensch gewesen, hätte er ihn ohne schlechtes Gewissen geopfert, aber bei Catherine, er wusste es nicht. Da war alles komplizierter. „Würde dich jetzt wieder Jemand entführen, Catherine, würde ich alles tun um dich zu finden und zu retten.“, begann er langsam seine Antwort zu formulieren. Noch während er sprach, überlegte er noch immer, doch in diesem Moment konnte er sich auf seinen Verstand nicht verlassen. Er musste wohl...seinem Gefühl vertrauen, denn nach alldem, was passiert war, verdiente Catherine zumindest eine ehrliche Antwort. „Damals...ich weiß es nicht...wirklich nicht. Ich denke aber schon...doch...“ Als er es aussprach fühlte es sich immer richtiger an. „Ich hätte es getan. Dann hätte ich die Täter später gefangen.“ „Siehst du?“, lächelte sie ihn freundlich an. „Auch wenn du uns oft in Gefahr bringst, so können John und ich uns auch darauf verlassen, dass du uns wieder raus boxt. Manchmal zwar auf ziemlich seltsame Art und Weise, aber wir können dir dabei vertrauen. Auch wenn es dir sicher schwer fällt, das einzugestehen, Sherlock. Du bist unser Freund und zur Freundschaft gehört Vertrauen. Ich meinte aber nicht nur das mit retten, Sherlock. Was ich jetzt sage...fällt mir nicht leicht, weil ich Angst habe, du könntest vor aufgeblasenen Ego und Lob platzen.“ Sie grinste schief, doch selbst Sherlock nahm es ihr nicht ab, denn ihr Blick verriet, dass all das viel tiefer ging. Dass sie sich darauf vorbereitet, ihm ein großes Geständnis abzulegen. „Sherlock...ich...“ Sie fuhr mit den Zähnen über ihre Lippen und zögerte. Catherine holte tief Luft und sammelte sich. „Ich habe meine Eltern nie wirklich kennengelernt. Mein Vater war kaum zu Hause und Mutter ist nur ein Schatten aus der frühen Kindheit...zur Schule ging ich in ein Internat zusammen mit meinem Bruder...sodass er mein einziger Kontakt war zu meiner Familie war...wie du richtig feststelltest...war ich sehr schüchtern, sehr zurückgezogen, sodass ich keine wirklichen Freunde hatte. Jeffrey war der einzige mit dem ich reden konnte. Doch er war fünf Jahre älter und eigentlich in einem anderen Trakt untergebracht, sodass ich immer fürs Lernen lebte um meine Eltern so zumindest stolz zu machen. Als sie starben...ich weiß auch nicht...es war seltsam. Ich hatte kaum Erinnerungen an sie und dennoch riss es ein tiefes Loch in mein Herz. Es waren immerhin meine Eltern, dank ihnen lebe ich...und obwohl ich kaum etwas von ihnen wusste, habe ich sie geliebt. Das klingt sicher seltsam für dich, oder?“ Sie lächelte müde und fuhr sich durch ihr Haar, legte ihren Kopf in die Armbeuge, als sie sich zu erinnern begann. „Als dann noch Jeffrey ermordet wurde, verlor ich komplett den Boden unter den Füßen. Er war mein einziger Vertrauter, meine einzige Bezugsperson. Nach dem Umzug hierher fühlte ich mich einfach alleine. Ich war nie in London gewesen, kannte Niemanden und mir war klar, dass ich auch nicht wirklich Freunde finden würde, weil ich halt so anders bin...und dann habe ich euch kennengelernt. Auch wenn du mir ziemlich oft tierisch auf den Geist gingst und ich wie John so schön sagte: „die Hälfte der Zeit daran dachte, dir ins Gesicht zu schlagen“, so hatte ich wieder Spaß, lachte. Dank dir wurde es nicht langweilig, ich hatte wieder eine Aufgabe und in John fand ich Jemanden, mit dem ich reden konnte. Ihr habt meinen Käfig der Einsamkeit geöffnet.“ Catherine hob den Kopf und sah ihn tief in die Augen. „Ihr seid meine Ersatzfamilie geworden und ich hätte alles für euch getan.“ Sie holte tief, zitternd Luft und in diesem Moment wirkte sie zerbrechlich wie eine Puppe, wie damals, als sie sich Sherlock anvertraut hatte. „Catherine...ich...“, doch Sherlock brach ab. Er wusste nicht was er sagen sollte. In all der Zeit, seit er lebte, hatte er Menschen vertrieben, hatte sie verletzt und gedemütigt, doch fünf Menschen schafften es in seiner Nähe nicht verrückt zu werden, fünf Menschen, die an ihn glaubten, selbst als er selbst gesagt hatte, dass er ein Betrüger wäre. „Verstehst du nun, Sherlock?“, sprach sie mit zitternder Stimme. „Warum ich all das auf mich genommen habe? Warum es mir egal war? Mir ist es egal, was Menschen von mir denken...aber mir ist es nicht egal, was sie von meiner Familie denken...deshalb...habe ich all meine Kraft zusammengenommen, damit ich deinen Wunsch erfüllen konnte...damit...damit...ach, verdammt!“ Catherine packte eine Serviette, zerknüllte sie und warf sie auf den Teller. „Bitte, Sherlock. Rede endlich mit John...lass es wieder so wie früher werden...bitte...ich bitte dich, Sherlock.“ Ihre Stimme versagte. Sherlock konnte nur hilflos zusehen wie seine Ziehtochter- jetzt konnte er endlich benennen, was es all die Zeit gewesen war - unter der Last, die er ihr aufgebürdet hatte, zerbrach. Er hatte damals bei seiner Bitte wirklich als unsensibler Eisklotz erwiesen, doch das wurde ihm erst jetzt bewusst, nachdem sie sich ihn offenbart hatte. Er hatte zu einer 22 Jährigen, die ihre gesamte geliebte Familie grausam verloren hatte und die in ihn einen Ersatz dafür gefunden hatte, gesagt, dass sie doch bitte auf ihren Ersatzvater achten sollte, wenn dieser um ihn trauerte. Sie würde es ja schließlich nicht tun. //Großartig deduziert, Sherlock.//, schollt er sich selbst gedanklich. //Manchmal bist du wirklich ein blinder Idiot.// Sie holte tief Luft, wischte sich die Tränen aus den Augen und lächelte leicht. Wie im Labor. Sie wollte sich vor Sherlock nicht die Blöße geben, hatte er doch oft genug betont wie jämmerlich er das empfand. In dem Moment war sie ein kleines Kind, was die Tränen unterdrückte, damit sein Vater es als tapfer ansah. Sherlock wusste mit all dieser Zuneigung nicht umzugehen. Er hatte nie etwas getan um sich ihre Hingabe zu verdienen, genauso wenig wie Johns, und nun saß sie hier und flehte ihn an, dass er bitte ihre Welt retten sollte. „Deshalb bin ich erst zu dir gekommen.“ Sherlock wusste nicht wie er sie trösten sollte. Er hätte ihre Hand nehmen sollen, er wusste das, doch er konnte es nicht, weshalb er versuchte seine Stimme so ruhig klingen zu lassen wie es ihm möglich war. Sherlock wusste noch genau, dass es Catherine immer geholfen hatte, wenn sie aufgewühlt gewesen war. Etwas, was er vorher nur am Rand wahrgenommen hatte, erwies sich nun als nützlich. „Ich brauche deine Hilfe, Catherine.“ „Meine...Hilfe...“, schluchzte sie und zog dabei unbewusst die Nase hoch. Schnell fasste Sherlock in seine Manteltasche und reichte ihr ein Taschentuch. „Danke...“, schniefte Catherine und putzte sich die Nase. Sherlock bemerkte wie die anderen Gäste, denen die aufgelöste Catherine nicht entgangen war, ihm misstrauische Blicke zuwarfen, doch es war ihm egal. Es ging ihm nur noch darum, seine dummen Fehler wieder geradezubiegen. Wenn die sonst sich immer so kalt gebende Catherine, unter seinem Tod gelitten hatte, obwohl sie selbst sagte, dass sie nie daran geglaubt hatte...wie sollte es dann John gehen? Wie hatte Sherlock nur so lange die Wahrheit übersehen können? „Ich weiß...ehrlich gesagt nicht wie ich es John sagen soll. Eine SMS wie sonst...oder einfach in der Bakerstreet auftauchen...kann ich wohl schlecht.“ „Nein...wohl nicht.“, sagte sie nachdenklich und rieb sich die leicht geröteten Augen. Da war wieder das, was er an Catherine so sehr schätzte. Sie schaffte es ihre Gefühle zu kontrollieren. Er spürte förmlich, dass noch immer ein Sturm in ihr brodelte, doch sie konnte das ausblenden und sich aufs Denken konzentrieren und sachlich analysieren. „John...“ Sie schüttelte nur den Kopf. „John ist einfach nur noch ein Geist...es ist, als hättest du seine Seele mitgenommen, Sherlock.“ „Und ihr meine...“, antwortete er traurig und eine kleine Träne brannte in seinem Auge. Er begann zu begreifen, was Verlust bewirken konnte, wie sehr er schmerzte. Er hatte seine Freunde schmerzlich auf der Flucht vermisst, hatte immer noch gehofft Johns schnelle Schritte hinter sich zu hören oder Catherine, die plötzlich neben ihm stand und ihm einen sarkastischen Spruch an den Kopf warf. Die Ungewissheit, das Kontaktverbot hatten ihn fast zerrissen. „Ich bitte dich, Catherine. Ich will John nicht noch mehr verletzten mit meiner Rückkehr. Was kann ich tun?“ „Na...eine Ohrfeige oder einen Schlag wirst du sicher kriegen, Sherlock, und ehrlich, das verdienst du auch. Du weißt wie emotional John ist und du hast ihm alles bedeutet. Er wird sich im ersten Moment verraten fühlen, wenn du wieder vor ihm stehst. Aber glaub mir, das wird nicht lange währen. Er wird verwirrt sein, unruhig, wahrscheinlich auf und abrennen, aber er wird überglücklich sein, Sherlock. Ganz bestimmt.“ „Ich...möchte einfach etwas Besondres machen.“, erklärte Sherlock unruhig. „Ach, die große Show also.“ Sie blinzelte ihn an und er nickte. „Der große Auftritt für den gottgleichen Sherlock?“ Ihre Stimme nahm wieder den vertrauten, spöttischen Ton an. „Gottgleich?“ „Ach komm schon. Ist das nicht beabsichtigt? Du liebst es dich darzustellen, Menschen zu deduzieren bis sie entweder vor Schock erstarren oder sich vor dir in den Staub werfen und sagen: Oh, großer Sherlock, wir sind deiner nicht würdig. Erleuchte uns mit deiner Genialität. Und dann willst du mir sagen, dass du dir nicht den dritten Jahrestag ausgesucht hast, weil 3 einfach so symbolisch ist im Christentum? Drei Tage bis zur Widerauferstehung, Dreifaltigkeit? Das war alles nicht beabsichtigt?“ Sherlock blinzelte ernsthaft irritiert. „Bewusst ausgesucht hab ich mir nur den Todestag. Es hat einfach so lange gedauert alle Beteiligten seitens Moriarty zu finden.“, sagte er kalt. „Wirklich jetzt?“ „Wenn ich gekonnt hätte, dann wär ich letztes Jahr schon wiedergekommen, wenn es euch nicht in Gefahr gebracht hätte.“ „Sherlock...es...tut mir leid.“ „Schon gut...“, seufzte er. „Es wäre bei meinem Verhalten ja durchaus denkbar gewesen. Also hilfst du mir?“ Sie nickte schnell. „Ich hab schon eine Idee. Lass uns gehen.“ Hastig stand sie auf und verstaute einige ihrer Sachen in der Tasche. Sherlock legte in der Zeit das Geld auf den Tisch und folgte ihr dann. Die beiden liefen durch einen Park. Die Blätter raschelten leise im Wind, die Vögel sangen ihren frisch geschlüpften Jungen ein Lied und Jogger liefen an ihnen vorbei. Normalerweise hätte Sherlock direkt ein Taxi gerufen, doch Catherine schien der Sinn nach Bewegung zu stehen und er würde ihr das nicht verwehren. „Und welche Idee hast du?“, fragte er dann schließlich und er konnte seine Neugierde nicht verbergen. „John hat mir einmal erzählt, dass es eine Sache gibt, die er an dir mehr schätzt als alles andere...wobei er alle Sorgen vergisst und einfach nur entspannt ist.“ „Die Violine...“, erkannte Sherlock und ließ ein kleines Aaah hören. Catherine nickte. „Er liebt es, wenn du spielst, deshalb hab ich eine Idee. Ich werde versuchen ihn anlässlich der drei Jahre aus der Wohnung zu holen, damit wir zusammen was trinken.“, erklärte sie, während sie ihr Handy aus der Tasche holte und begann eine SMS zu schreiben. „Und dann soll ich anfangen zu spielen? Wie soll ich an meine Violine kommen?“ „So ähnlich...“, lächelte sie, während sie weiterhin umständlich versuchte zu tippen, sodass Sherlock es fast nicht mit ansehen konnte, obwohl es ihn auch ein klein wenig amüsierte. „Weißt du noch, was du als erstes festgestellt hattest, was ich tue, nachdem du in meine Wohnung gekommen warst?“ „Dass du Klavier spielst. Die Notenhefte waren ziemlich eindeutig.“ „Mittlerweile habe ich sogar ein Klavier.“, lachte sie. „Und nicht nur die Noten...“ „Ich glaube, ich ahne in welche Richtung es geht.“ „Es ist nicht ganz uneigennützig, gebe ich zu.“, lächelte sie verlegen. „Ich wollte schon immer einmal mit dir spielen. Wenn du spielst...ist es, als wenn die Zeit stehen bleibt. Ich...ich hab zwar lange nicht mehr gespielt...und werde es vermutlich nur versauen...a...aber...dennoch...nun was ich mir dachte ist, ich hol ihn rüber. In der Zeit holst du deine Violine. Das Klavier steht so, dass du dich gut im Schatten verstecken kannst, ohne gesehen zu werden. Es gibt ein Lied...was ich als passend empfinde und es ist auch für Klavier und Violine ausgelegt und dann...könnte ich es doch anfangen zu spielen und...du stimmst ein. John wird glauben, dass es ein Playback war, er kennt sich mit Musik ja nicht aus und dann...kommst du aus den Schatten...wä...wär das nicht was?“ Ihre Wangen wurden rot, als sie ihren Vorschlag ausgesprochen hatte. Schüchtern hatte sie den Blick abgewandt und schützend die Schultern hochgezogen. Sherlock sah sie lächelnd an und wuschelte ihr- zu seiner eigener Überraschung- kurz über den Kopf. „Das klingt nach einer guten Idee, Catherine. Ich spiele gerne mit dir.“ Catherine sah zu ihm auf und blinzelte überrascht. „Wirklich?“ „Ja, wirklich.“, erwiderte er sanft. Sie strahlte ihn an, nickte eifrig, blickte dann aber wieder auf ihr Smartphone. „Ok, warte kurz...“ ‚Hey, John. Haben Sie heute Abend Zeit? Will nicht alleine sein.- CA‘ Sie überprüfte kurz noch einmal die SMS und schickte sie dann ab. „Jetzt heißt es abwarten, ob er antwortet.“, sagte Catherine. „Aber allzu große Hoffnung mache ich mir ehrlich gesagt nicht.“ Langsam ließ sie ihr Handy wieder in die Jackentasche gleiten und schlurfte durch den mittlerweile dunkel werdenden Park. Sherlock lief neben hier, zog tief den Duft von London ein, den er so lange nicht mehr gerochen hatte. „Danke, Catherine, du bist mir eine große Hilfe.“ „Schon gut...“, erklärte sie ruhig und strich ihr Haar aus dem Gesicht, was ihr der Wind vor die Augen blies. „Ich wünsche mir seit drei Jahren an Heiligabend, dass es rückgängig wird, dass ich meine Familie wiederhabe. Dass ich euch wieder habe.“ Er nickte und lief mit ihr weiter über den Schotterweg in Richtung der Bakerstreet. Einige Minuten liefen sie still nebeneinander, sprachen kein Wort miteinander und warteten auf eine Antwort von John. Auch wenn sie beide sich anschwiegen, so war da ein starkes Gefühl der Vertrautheit. Allerdings wurde der Drang in Sherlock nach Hause zurückzukehren, zurück in seine Wohnung immer stärker, wodurch er seine Schritte beschleunigte und Catherine hinter sich ließ. So dauerte es einige Momente, bis Sherlock bemerkte, dass Catherine nicht mehr hinter ihm herlief. Irritiert blieb er stehen und drehte sich zu ihr um, wollte sie anhalten schneller zu gehen, doch als er sie sah, drang kein Wort über seine Lippen. Catherine war zu Boden gesackt, kauerte auf dem Schotter, während ihr ganzer Körper zitterte. Ihre Haut war nun fahl, bleich wie ein Laken, als würde sie sich jeden Moment übergeben und unaufhaltsam rannen Tränen aus ihren Augen, ließen ihren Körper bei dem Weinkrampf gnadenlos zittern. „Catherine! Hey, Catherine!“, rief Sherlock und rannte zu ihr. Hastig kniete er sich neben sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Alles in Ordnung?“ Er ohrfeigte sich innerlich für diese dumme Frage, doch er wusste sich nicht anders zu helfen. Es schien, als würde sie unter körperlichen Schmerzen leiden. „Cath! Sieh mich an! Sieh mich an!“ Sherlock legte seine Hände an ihr Gesicht und zwang sie aufzusehen. Sie schluchzte heftig, schüttelte sich immer weiter. Ihre Augen waren stark gerötet, während die Tränen erbarmungslos aus ihren Augen liefen. Er verstand nicht, was plötzlich passiert war, doch er spürte, dass Catherine ihre Gefühle nicht mehr im Zaum halten konnte. Hilflos krallte sie sich an ihn, verkrampfte ihre zarten Hände in dem groben Stoff seiner Jacke. Es schien als wollte sie ihren Kopf ablegen, am liebsten umkippen, doch sie kämpfte dagegen an und blickte ihm in die Augen, hielt sich an ihnen fest. „H...heißt das...eigentlich es ist vorbei? Nach drei Jahren ist es endlich vorbei? Du...gehst nicht mehr weg?“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein ersticktes Flüstern, kaum zu verstehen, doch die Worte durchdrangen selbst Sherlocks sonst so hartes Herz. Sie waren wie ein leises Flehen, eine stille Angst, dass er sie wieder verließ. Traurig blickte er sie an, schüttelte den Kopf und zog sie in seine Arme. Zitternd drückte Catherine ihren Kopf auf seine Schulter, hielt sich an ihm fest. „Ich lasse euch nicht mehr alleine, versprochen, Catherine. Es ist vorbei.“, flüsterte er leise und strich ihr nach einigen Momenten des Zögerns über ihren Rücken. Die irritierten Blicken der Passanten, die ihnen zugeworfen hatten, erwiderte er mit einem kalten Blick, während er sich um Catherine kümmerte, leise auf sie einsprach. „E...entschuldige...“, lachte sie leise zwischen ihren Weinkrämpfen mit einer Stimme, die zeigte, dass sie von sich selbst angewidert war. Hatte Sherlock sie wirklich schon so verdorben? Hatte seine Kälte schon so auf sie abgefärbt, dass sie sich ihrer Gefühle schämte, wo er doch nun beginnen wollte von John und ihr zu lernen? Es war doch normal, menschlich, dass man weinte, wenn ein totgeglaubter Mensch wiederkehrte, dass man Angst hatte, ihn wieder zu verlieren, doch sie schämte sich dafür, dass sie das vor Sherlock zeigte, dass sie ihm zeigte, wie wichtig er ihr war, wie er jetzt erst verstand. „Das alles ist unglaublich du...“, setzte sie an, versuchte die Tränen mit ihren Handballen zu stoppen. „Sag jetzt nicht dumm...“, unterbrach er sie sanft und strich kurz über ihren Kopf. Irritiert sah sie zu Sherlock auf. „Du bist nicht dumm, Cath. Alles andere als das.“ „A...aber es...es nervte dich immer...und ich...“ „Ich war derjenige, der dumm war.“, erklärte Sherlock nüchtern und strich ihr sanft die Tränen aus den Augen. „Ich habe mich immer über die lustig gemacht, die emotional waren. Ich habe das nie verstanden wie man so etwas Unlogisches tun konnte, doch ich habe vieles gelernt in den drei Jahren. Ich habe gelernt zu vermissen, zu trauern, zu verzweifeln und mittlerweile beginne ich zu verstehen. Ich bin derjenige gewesen, der anders war, der unlogisch war. Es ist gar nicht so unlogisch erleichtert, traurig und wütend zu sein, wenn man Jemanden wiedersieht, der einen viel bedeutet, das habe ich nun begonnen zu begreifen. Es hat mich damals genervt, doch das hätte nicht sein dürfen. Erst jetzt, wo ich diese Gefühle erfahren habe, die Sorge, den Verlust, merke ich wie unsensibel ich oft war. Ich hätte damals nicht zu dir sagen sollen, wie brillant Waterboarden doch sei. Ich entschuldige mich für all die Male wo es mich irritiert, verärgert oder ich über dich gelacht habe.“ Seine Stimme war ruhig und sanft, während er ihr unnachgiebig in die Augen sah. „Ich werde nie all das wirklich verstehen und es wohl immer ein wenig als störend betrachten, Catherine, aber das ist nicht normal. Verstehst du?“ Eindringlich sah er sie an, hielt sie bestimmt fest, während er versuchte, sie zu beruhigen. Auf seine seltsame Sherlock Art, doch er wusste es nicht besser. Catherine erwiderte seinen Blick, ihre Augen noch immer in Tränen schwimmend, doch sie nickte langsam, reagierte wieder auf ihn. Er musste das jetzt klarstellen, das spürte Sherlock instinktiv, sonst würde er Catherine nur noch mehr verderben. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn er nie in ihr Leben getreten wäre, doch Sherlock würde sie nicht mehr hergeben. Nicht seine kleine, nicht ganz so dumme Biologiestudentin, die ihn immer wieder die Stirn bot. Also musste er Schadensbegrenzung betreiben. „Ich beginne erst langsam zu akzeptieren, dass ich ein Herz habe, aber werde es nie völlig begreifen, verstehen oder akzeptieren können, dann wär ich nicht mehr ich. Aber eines weiß ich: es ist völlig normal, dass du nun weinst, dass du verzweifelt bist. Nur ich bin es, der das nicht begreifen kann. Ich bin es, der nicht normal ist, ok? Nicht du. Es gibt nichts, dessen du dich schämen musst.“ „Wow...so viel Selbstkritik von Sherlock Holmes...ich beginne allmählich echt zu glauben, dass ich träume und einfach nur mal wieder im Labor eingeschlafen bin.“, lachte sie leise und wischte sich wieder die Tränen aus den Augen. Sherlock strich ihr mit seinen feingliedrigen Fingern die Haare aus dem Gesicht. „Ich bin wirklich wieder da, Catherine Amell.“, hauchte er und zog sie wieder an sich, versuchte ihr Wärme, Halt und Trost zu schenken. Er verstand sich selber kaum, doch es fiel ihm überraschend leicht offensichtlich richtig zu reagieren, wenn er seinen Verstand abschaltete. Das war zwar nicht so einfach, doch wenn er damit den Menschen, die ihm nah standen, helfen konnte. „Sherlock...“, sagte sie nach einigen Minuten, als das Zittern allmählich nachließ und sie immer wieder tief Luft holte um sich zu beruhigen. Sherlocks Bein war mittlerweile eingeschlafen und pochte unangenehm, doch es interessierte es nicht, er ignorierte es einfach. „Ja?“ „Das Leben war verdammt langweilig ohne dich.“ Plötzlich sahen sich die beiden an und fingen an zu lachen. „Keine Verfolgungsjagden? Keine Todesspiele? Keine verrückten Attentäter als Nachbarn? Keine Entführungen?“ „Nein. Das schlimmste was ich hatte war, dass ich von einem Taxi fast umgefahren worden wäre auf dem Weg zur Arbeit. Schon erschreckend langweilig.“ „Wirklich nicht sehr spannend.“ Sherlock schnalzte mit der Zunge. „Zeit das zu ändern.“ „Jahuuu!“, jubelte sie sarkastisch. „Ich freu mich schon, wenn der nächste Geheimdienst auf der Matte steht und dich mal wieder im Laken abholt.“ Wieder lachten sie beide. „Du willst doch nur einen Blick erhaschen.“ „Ich hoffe es ist gemütlich in deinem Traumschloss, Sherlock, und das es noch lange Bestand hat.“, grinste sie und versuchte langsam aufzustehen. Sherlock ging mit hoch, stützte sie, als sie begann zu schwanken. „Vorsichtig...“ Er packte ihren Arm vorsichtig und hielt sie fest. „Nur einen Moment...“, flüsterte sie, als sie ihren Kopf noch einmal gegen seine Schulter legte. Sherlock griff nach ihrem Arm, schob den Sweater hoch und fühlte ihren Puls. Er raste vor lauter Gefühlschaos. „Du bist völlig durch den Wind, Catherine. Hast du in letzter Zeit genug geschlafen und gegessen?“, fragte er besorgt. „Das sagst ausgerechnet du, Sherlock.“, lachte sie leise und rieb sich über die Augenbrauen. „Ich hatte viel Arbeit, aber ich habe darauf geachtet.“ „Du musst mich doch nicht in allem nachmachen.“, schmunzelte er und tippte ihr gegen die Stirn. „Als ob ich Sherlock sein wollte. Dieses rastlose Gehirn muss echt anstrengend sein. Ständig den Drang zu haben, jeden zu beeindrucken, dem man über dem Weg läuft, damit sie mein Genie erkennen. Nee...“ Sie winkte hastig ab. „Nur dich konnte ich damals nicht beeindrucken.“, erwiderte Sherlock. „Oh, ich war damals mehr als beeindruckt. Nur wollte ich es diesem arroganten Mistkerl, der meine Sachen durchwühlte und mein Privatleben auf öffentlicher Straße ausbreitete, nicht zeigen.“ Überrascht sah Sherlock sie an und fing laut an zu lachen. „Oh, du hast mich ausgetrickst. Ich habe echt gedacht, dass es dich gelangweilt hätte und wollte dich dafür büßen lassen.“ „Das hast du ja wohl auch getan.“, lächelte sie und unbewusst schmiegte sie den Kopf an seine Schulter. „Ich hab mich ein wenig...vergewaltigt gefühlt, als du wirklich ALLES ausgepackt hattest, selbst mein nicht vorhandenes Sexualleben.“ „Soll ich mich entschuldigen?“, fragte Sherlock. „Würdest du das denn?“ Catherine blickte zu ihm auf und ihre Augen funkelten herausfordernd. Ein freches Grinsen zuckte um ihre schmalen, aber schön geschwungenen Lippen. „Nein, denn ohne meine Deduktionen hätte ich dich niemals wahrgenommen.“ „Richtig.“, lächelte sie und sah mit einem wohlgesonnen Blick zu ihm auf. Sherlock wusste noch immer nicht, womit er so etwas verdiente, aber offensichtlich war Loyalität nicht rational erklärbar, deshalb akzeptierte er sie einfach. Egal was passieren würde, Catherine würde zu ihm halten, das wusste er nun sicher. Molly und sie würden zu ihm stehen und da sollte noch einer sagen, Frauen seien sprunghaft. Hoffentlich könnte er John auch heute Abend in diese Liste aufnehmen, er flehte, dass er ihm vergeben würde. Vorsichtig lehnte er sich vor und hauchte ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn. „Danke, Cath. Für dein Vertrauen. Ich weiß jetzt wie viel ich von dir verlangt habe in all der Zeit und wie stark du hast sein müssen.“ Überrascht sah sie Sherlock an, doch dieser ließ sie stehen und setzte seinen Weg fort. Er brauchte endlich Gewissheit wegen John. Die Unsicherheit brachte ihn fast um, zerriss ihn innerlich. Auch wenn es ihn erleichterte, dass die Sache mit Catherine geklärt wär. „Sherlock...eine Sache noch.“, hielt sie ihn auf und er drehte sich frustriert schnaubend um, warf ihr kurz einen wütenden Blick zu. Kurz schien Catherine erschrocken zu sein, doch dann seufzte sie. „Ich wollte mich nur bedanken. Deine Informationen haben dazu geführt, dass Lestrade den Mörder fassen konnte.“ Trauer und Erleichterung flammten durch ihre Augen, als sie daran zurückdachte. Sherlock stockte, sah sie überrascht an. „Der Mörder von deinem Bruder ist gefasst?“ Catherine nickte schnell und wischte sich wieder die Tränen aus dem Gesicht. Tränen des Glücks, vermutete Sherlock. „Danke, Sherlock. Du hast mehr bewirkt, als ich vor dem Umzug je erwartet hätte.“ Bling! Sie blinzelte schnell und holte ihr Handy aus der Tasche und starrte aufs Display. „Von John.“, erklärte sie schnell und öffnete die SMS. ‚Lieber nicht. Möchte Niemanden sehen. Sorry.- JW‘ Sherlock schloss die Augen, als sie die Nachricht vorlas. Er konnte den Schmerz hören, den John erlitt. „Nun...“, murmelte Catherine wieder, als sie das Handy in die Tasche steckte und weiterlief. „Dann muss ich wohl härtere Geschützte auffahren um ihn aus der Wohnung zu bekommen.“ „Meinst du, du schaffst das?“ Catherine lachte und drehte sich beim Laufen zu ihm um. „Bitte, Sherlock. Du weißt doch, mit wem du hier redest.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)