Unverhoffte Nachbarn von Jeanne-Kamikaze- (Wenn Nachbarn interessant werden) ================================================================================ Kapitel 17: Wenn das Spiel ernst wird ------------------------------------- 17. Kapitel: Wenn das Spiel ernst wird Catherine saß am Fenster ihres Wohnzimmers, das einen Blick auf die Bakerstreet gewährte. Sie saß oft hier innerhalb der letzten zwei Wochen. Beobachtete das Leben wie es vorbeifloss, wie die Menschen ihrem Alltag nachgingen, während ihres verloren war. Sie hasste sich selber dafür, aber so war es. Ihr Leben kriegte sie schon lange nicht mehr auf die Reihe. Es war leer. Zwei Wochen voller Einsamkeit und Isolation hatten ihr nur zu deutlich gezeigt, dass ihr eine ganze Menge fehlte, dass ihre Nachbarn ihr Leben mehr bestimmt hatten, als es ihr recht war. Ohne sie bekam sie nichts auf die Reihe. Sie arbeite, lernte, schlief, arbeitete, lernte schlief. Oh ja, wie aufregend. War es wirklich so weit gekommen, dass sie ohne John und Sherlock verkümmerte? Sah beinahe danach aus, nicht wahr? Jetzt saß sie hier auf der Fensterbank, sah zu wie die Zwei immer wieder Verbrecherjagd aufbrachen und wünschte sich nichts mehr, als dass Sherlock wieder hereingeplatzt kam. Etwas, was sie früher verflucht hatte, war zu einer Gewohnheit geworden, die sie nun schmerzlich vermisste. Sie brauchte es, sie brauchte sie. Anfangs war sie so wütend gewesen. Sie hatte ihn gehasst, sie hatte sich- selbst schnellvertretend für ihn- im Spiegel angeschrien, doch sie war nie wütend gewesen. Nicht wirklich. Es war nur ein oberflächlicher Ausdruck ihres Schmerzes, ihrer Verwirrung und Verletzung gewesen. Warum hatte er es getan? Sie wollte doch nichts mehr als zu verstehen und begreifen. Was hatte sie getan? Sie wollte doch nur zurück, zurück dorthin, wohin sie gehörte, das spürte sie. Catherine hatte wirklich gedacht, dass sie mittlerweile einen Platz bekommen hätte. Dieser eine Tage, wo sie mit Sherlock über ihre Ängste, über ihr Scheitern gesprochen hatte, da hatte sie gedacht…ja was eigentlich? Dass sie jetzt Freunde wären? Sie schüttelte ihren Kopf. Sie würden niemals Freunde sein. Das war dumm. Was war sie denn schon? John war sein Mitbewohner, Vertrauter, Halt, Arzt, ehemaliger Soldat, intelligent, treu und so viel mehr. Es war nicht möglich, ihn nicht zu mögen und was war sie? Sie war ein Nichts. Eine verschüchterte, junge Frau, die von der Menschheit genervt war, einigermaßen intelligent, besessen von Biologie. Aber was war sie sonst noch? Was machte sie besonders? Nichts. Nur ihr beißender Sarkasmus, den sie selbst dann einsetzte, wenn sie selbst wusste, dass es nicht angebracht war. War sie denn nur etwas, wenn sie drüben war? Wenn sie sich mit ihnen rumärgerte? Verdammt! All das hatte sie tierisch verunsichert. Statt wütend zu sein, statt Sherlock zu hassen, hatte sie begonnen an sich zu zweifeln. Wieder einmal. Eigentlich hatte sie das erst in London hinter sich gelassen und wollte stark und selbstbewusst werden. Das konnte sie ja nun völlig knicken. ‚Sie haben einen starken Willen, Catherine. Einen der Stärksten, den ich bisher je gesehen habe. Lassen Sie nicht zu, dass dieser zerstört wird. Das wäre schade.‘ Catherine blickte wieder von ihrem Schoß auf, strich mit ihren Fingern gedankenverloren über das Glas. Traurig starrte sie auf die Straße, als sie diesen Satz wieder hörte, der ihr so viel bedeutet hatte. Von Sherlock war das ein großer Schritt gewesen, das hatte sie zumindest geglaubt, doch vielleicht hatte sie sich das nur eingebildet. Alles, was sie geglaubt hatte zu wissen, war nun erschüttert. Warum konnte sie sich nicht einfach abwenden und nach vorne sehen? Weil sie den Pfad verloren hatte. Sie wusste nicht wie ihr Leben weiter gehen sollte. All ihre Vorsätze für London waren eh unerreichbar, denn das was sie hier hatte werden wollen, war nur ein Versuch gewesen dazu zu gehören. Sie hatte nicht mehr einsam sein wollen und sie hätte sie sich lieber verstellt, als weiterhin allein zu sein. Dann hatte sie die beiden getroffen, die sie gemocht hatten wie sie wirklich war, und sie hatte ihren Plan verworfen. Catherine angelte ihr Handy aus der Hosentasche und las- wie so oft- erneut durch die SMS, die sie mit John und Sherlock ausgetauscht hatte. Sie sah wieder das Glück, was sie empfunden hatte, die Freude. Sie waren eine seltsame Konstellation, doch irgendwie hatte es funktioniert. Oder hatte sie sich das all die Zeit nur eingebildet? Eigentlich passte sie überhaupt nicht ins Bild. Hatte sie nie. Sie war jung, dumm und nun wieder allein. Vielleicht sollte sie sich wieder daran gewöhnen, dass sie auf sich gestellt war und in ihr langweiliges Leben zurückkehren. Doch nachdem sie die Abenteuer kennen gelernt hatte, wollte sie das nicht mehr. Es erschien ihr mittlerweile sinnlos, grau und fad und sie begann zu verstehen, warum Sherlock es über alles verabscheute. Plötzlich sah sie Sherlock aus der Tür stürmen, völlig aufgebracht rannte er davon, während die dunklen Locken völlig zerzaust wurden. Kurz sah Catherine ihn irritiert nach, dann wurde ihr plötzlich bewusst, dass das ihre Chance war. Es war das erste Mal, dass Sherlock alleine die Bakerstreet verließ. John folgte ihm nicht. Aber er war da, da war sie sich ziemlich sicher. Es war ihre Möglichkeit mit ihm zu reden. Ihr Herz begann zu rasen, als sie aufsprang und hinunter rannte. Sherlock hatte sie ignoriert, immer und immer wieder. Egal ob auf der Straße oder sonst wo, er zeigte nicht die leiseste Reaktion auf ihren Ruf. Es war, als würde sie nicht existieren und seit John sich nicht mehr meldete, könnte sie das beinahe wirklich glauben. Sie glaubte aber nicht, dass John das freiwillig tat, dennoch nagten Zweifel an ihr und dann noch Mycrofts seltsame SMS von gestern. ‚Es ist besser für Sie, wenn Sie Sherlock vergessen. Das ist ein gut gemeinter Rat. Mein Bruder ist gefährlich.-MH‘ Was sollte das denn bitte schon wieder bedeuten? Erst antwortete die verdammte Britische Regierung mehrere Tage nicht und dann kam so was. Sollten sie sie doch alle für dumm halten, Catherine wusste, dass irgendetwas dahinter steckte. Selbst ein Sherlock änderte nicht so rapide seine Meinung wie er es an diesem Tag getan hatte. Hoffte sie zumindest. Wenn dahinter wenigstens ein Plan stände, wäre es leichter zu ertragen. Ihr Herz hämmerte noch schneller, als sie vor der Tür stand. Sie holte tief Luft, zögerte und betete, dass er da war, bevor sie anklopfte. Es dauerte einige Momente, dann vernahm sie Schritte. Erleichtert atmete sie aus, als John die Tür öffnete. Seine Augen weiteten sich, als er sie erkannte. „Catherine!“ „John…“, flüsterte sie und ihre Stimme zitterte mehr, als sie gedacht hätte. „Kann ich bitte reinkommen?“ Zu ihrer Überraschung zögerte John keinen Moment, sondern trat sofort zur Seite. Noch einmal erleichtert Luft holend, trat sie ein und sah sich in dem üblichen Chaos wieder. Es schien sogar noch unordentlicher als sonst. John schloss die Tür hinter ihr. „Kommt man ja kaum mehr durch…“, murmelte Catherine. Eigentlich war das gerade nicht angebracht, aber sie konnte nicht anders. „Deshalb hab ich beschlossen aufzuräumen. Ich würde ja gerne einen Stuhl anbieten, aber…“ John wedelte durch die Luft. Überall lagen Akten, Notizen, Bücher oder andere Sachen verstreut. „Wie Sie sehen ist auf keinem mehr Platz.“ „Ich kann Ihnen helfen.“, schlug Catherine vor. Auch wenn eine bedrückende Schwere herrschte, versuchte sie sie so gewohnt wie möglich werden zu lassen, denn wenigstens für eine kurze Zeit wollte sie die Illusion genießen. „Das wäre großartig.“, antwortete John und lächelte beinahe unsicher. „Dem Chaos wird Niemand alleine Herr. Aber seien Sie vorsichtig. Beim letzten Mal hat mich eine Spinne gebissen, die Sherlock als Lesezeichen verwendet hat. Kein Witz.“ Catherine blinzelte kurz, musste dann aber leicht lächeln, selbst wenn es ein Hauch wehleidig blieb. „Irgendwie wundert mich das nicht.“, murmelte sie leise zu sich selbst. „Wo soll ich anfangen?“ „Könnten Sie die Bücher bitte wieder ins Regal räumen?“ „Klar.“ Catherine ging zu den fünf Stapeln an Büchern, die John bereits auf dem Boden aufgetürmt hatte. Sie hob die ersten von ihnen auf und überflog die Titel nur. Wie vergifte ich am besten meinen Nachbarn- eine theoretische Abhandlung haushaltsüblicher Chemikalien; Ein Lexikon der Mikroausdrücke- Wann lügt Ihr Gegenüber; Ein illustriert Bildband verschiedener Foltermethoden. Also echt, Sherlock. Sie schüttelte nur den Kopf, als sie die Bücher ins Regal stellte. Die restlichen Titel besah sie sich gar nicht erst. Eine unheimliche Büchersammlung, definitiv, aber zu Sherlock mehr als passend. So verging einige Zeit, indem weder John noch sie sprachen. Catherine räumte die Bücher ein, während John damit beschäftigt war Wege freizulegen, die sie benutzen konnten, abzustauben und die Dinge einigermaßen zu sortieren. „Wie geht es Ihnen?“, fragte dann John doch zögerlich nach einigen Minuten und warf ihr einen seltsamen Blick zu. Catherine hielt in der Bewegung inne das Buch Die besten Gerichte zum Vergiften wegzustellen, blinzelte und drehte sich zu John um. Seine Augen betrachteten sie beinah schon wehleidig und sie seufzte. „Wie soll es einem schon gehen als Verstoßene?“, antwortete sie nach einigen Moment des Überlegens mit monotoner Stimme, während sie nun doch das Buch wegstellte. John warf ihr kurz einen traurigen Blick zu und stoppte. Er sah ihr Leid, obwohl sie es zu überspielen versuchte. Verdammt, manchmal war John wirklich zu empathisch. Sie wollte sich doch selbst nicht eingestehen wie sehr sie mit der ganzen Situation haderte. „Catherine…es…“ Er zögerte und versuchte die richtigen Worte zu finden um das auszudrücken, was er fühlte. „Es tut mir leid.“ Catherine seufzte und lehnte sich gegen das Bücherregal. „Ich weiß, John…“, sagte sie müde und schloss die Augen. „Ich weiß…“ „Ich wollte mich bei Ihnen melden…“, setzte er schnell nach, getrieben von seinen Schuldgefühlen. „Aber Sherlock…er…“ Er haderte. Wahrscheinlich wollte er nicht ausdrücken was für ein Terror die letzten zwei Wochen geherrscht hatte. Egal was der Arzt sagte, er mochte Sherlock und er wollte nichts wirklich Schlechtes über ihn sagen. Catherine nickte nur knapp und gab ihm zu verstehen, dass sie wusste, was er meinte. Sherlock hatte dafür gesorgt, dass John sich nicht bei ihr melden konnte. Er setzte immer seinen Willen durch, egal was es kostete. Selbst wenn es auf Kosten seines einzigen, besten Freundes ging. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, fing sie wieder an aufzuräumen. Es half ihr sich von der seltsame Stimmung in der Bakerstreet abzulenken und von ihren sich drehenden Gedanken. Sie musste nicht denken, wenn sie Sache verstaute und sich nicht weiter Gedanken machen, was Sherlock mit dieser Aktion bezweckt hatte. Wenn er denn überhaupt etwas bezweckt hatte. „Sherlock hat sich verändert innerhalb der letzten zwei Wochen.“, setzte John dann nach einigen Minuten an, nachdem er einige Papierstapel auf den mittlerweile aufgeräumten Schreibtisch gehievt hatte. Wieder hielt Catherine inne und sah ihn irritiert an. Er erwiderte ihren Blick nachdenklich und runzelte seine Stirn. „Inwiefern?“ „Er wirkt…ruhelos, nervös. Er ist noch zerstreuter, in sich gekehrter und nachdenklicher als sonst. Irgendetwas braut sich zusammen, Catherine.“ Sie nickte bedächtig. „Ja, den Eindruck hab ich auch. Besonders nach Mycrofts SMS gestern.“, murmelte Catherine nachdenklich. „Mycrofts SMS?“ „Ich hab ihm eine SMS geschickt, nachdem Sie mich unwillentlich ignoriert haben. Er hatte immer etwas gegen mich und wollte mich loswerden, deshalb hab ich ihn gefragt, ob er etwas damit zu tun hat.“ „Hat er Ihnen darauf geantwortet?“, fragte John irritiert. „Mycroft und eine klare Antwort? Nie im Leben. Er schien nur wirklich froh, dass Sherlock mich nun ignoriert. Dann kam einige Tage nichts mehr und dann habe ich plötzlich diese Nachricht bekommen gestern…“, erklärte sie und zog ihr Handy aus der Hosentasche, rief die SMS auf und zeigte sie John, der sie interessiert musterte. „Es ist besser für Sie, wenn Sie Sherlock vergessen. Das ist ein gut gemeinter Rat. Mein Bruder ist gefährlich. Mycroft Holmes.“, las John leise vor und legte die Stirn in noch tiefere Falten. „Was soll das denn schon wieder bedeuten?“ „Genau das frage ich mich auch, John. Ich dachte, Sie hätten eine Ahnung, was hier vorgeht.“ „Nein…ich habe absolut keine Ahnung. Sherlock redet kaum noch, erst recht nicht mit mir und wenn, dann endet es meist im Streit.“, sagte John nüchtern und verschmälerte die Augen. „Es tut mir leid.“, sagte Catherine ein wenig geknickt. Sie konnte sich vorstellen, was das Streitthema war. Sie. Nun gut, nicht sie an sich, sondern was Sherlock getan hatte. John würde auf diese Weise auch bei jeder oder jedem reagieren, der von Sherlock so behandelt worden wäre. „Das ist meine Schuld. Ich wollte das nie…“ „Hören Sie auf, Catherine!“, unterbrach er sie streng. „Es ist nicht Ihre Schuld.“ „Aber…“ Sie brach ab, als sie hörte wie ihre Stimme zitterte und dass ihr die Tränen kamen. John hielt damit inne Staub zu wischen, legte den Wedel weg und ging auf sie zu. Catherine hatte die Arme um sich geschlungen und es noch nicht einmal bemerkt. Ihr ganzer Körper hatte mittlerweile angefangen unkontrollierbar zu zittern. Dass sie wieder hier war, machte ihr nur allzu deutlich wie sehr sie es vermisste. „Kommen Sie her…“, flüsterte John sanft und zog Catherine leicht an sich ran. Kurz versteifte sie sich in seinen Armen, doch dann entspannte sie sich, als sie endlich wieder körperliche Nähe spürte. Diese Wärme, die von John kam, war zu angenehm, als dass sie sich weiter verwehren könnte. Ihre Isolation war eiskalt. Seit zwei Wochen hatte sie keine Wärme, keine Wohlgesinnung mehr gespürt und eigentlich sehnte sie sich so sehr danach. Vorsichtig lehnte sie ihren Kopf gegen Johns Schulter, der seinen Arm locker um ihre Schulter legte. Ihr Körper zitterte, doch es tat ihr gut. „Sie trifft keine Schuld, Catherine.“, flüsterte er leise. „Ich möchte es doch nur einfach verstehen, John.“, antwortete sie leise und vergrub ihren Kopf auf seiner Schulter. „Wissen, was los ist. Ich ertrag die Einsamkeit nicht mehr. Ich war viel zu lange alleine. Ich vermisse das alles hier. Verdammt, ich habe sogar Sherlock und Mycroft angebettelt, dass sie mir helfen. Ich habe vor den Holmes Brüdern gebettelt!“ Sie schnaubte und lachte verbittert auf. „Da bin ich wirklich tief gesunken und ich wollte mir doch ein wenig Stolz bewahren.“ Wieder lachte sie und schniefte. John sah sie mitleidig an und hielt sie weiterhin fest. „Das wird bei den beiden schwer. Wie Sie sagten, Catherine. Sie sorgen dafür, dass man ein Holmzentrisches Weltbild akzeptiert.“ Er lächelte schwach, doch ihnen beiden war nur zu gut bewusst wie gefangen sie in der Gravitation von Mycroft und Sherlock waren. Ihre Masse, ihre Kraft reichte nicht um auszubrechen, die Umlaufbahn zu verlassen und wieder ihr eigenes Leben zu leben. Sie vereinnahmen es komplett und dirigieren es so stark, dass man lebensunfähig wurde, sobald sie einen verließen. Catherine nickte nur stumm und genoss für einige Momente noch Johns Nähe, bevor sie sich dann löste. Als sie seinen verwirrten Blick sah, schüttelte sie nur den Kopf. Das hier war nur eine Illusion. Auch wenn es sich anfühlte, als wäre alles wie immer, so war es das überhaupt nicht. In höchstens ein paar Stunden würde Catherine wieder allein sein und da wollte sie den Schmerz nicht noch größer machen, als er ohnehin schon war. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, begann sie wieder aufzuräumen, nahm sich diesmal der Fallakten von Sherlock an. Es waren dutzende. Catherine sah, dass die meisten davon aus Scotland Yard entwendet worden waren. Kein Wunder, dass Lestrade oft genervt war, aber Sherlock tat, was er wollte. Nichts anderes hatte er mit ihr auch gemacht. Die Minuten verstrichen, in denen Sherlocks Rückkehr wie ein Schwert über ihren Kopf hing, getragen von einem seidenen Faden, der jeder Zeit zerreißen und somit die Illusion zerschneiden könnte. Catherine nahm die Fallakten, verstaute sie in einer Schublade, während John einige Klamotten einsammelte. Die Stimmung war alles andere als harmonisch. Sie war angespannt und Catherines Gedanken kreisten, doch sie blendete das aus. Es half doch eh nicht. Sie war nicht bei der Sache, denn ihr Herz schmerzte jetzt wo sie wieder hier war. Plötzlich fiel ihr eine Akte aus der Hand. Sie segelte durch die Luft, fiel zu Boden, obwohl Catherine alles versuche sie zu greifen. Blätter ergossen sich wie ein kleiner Regen über den Boden und bedeckten den Fleck, den sie so mühsam freigeräumt hatten. „Mist!“, fluchte sie und hockte sich wieder hin. John hatte es noch nicht einmal mitbekommen. Catherine versuchte die Papiere wieder aufzusammeln. Meine Güte. Sherlock war nicht nur bei seiner Wohnung unordentlich. Diese Wortfetzen in seinen Notizen konnte man ja kaum entziffern. Dabei hatte er doch gar nicht so eine unordentliche Handschrift, aber auf den weißen Blättern waren wirre Zeichnungen und Gedankengänge, unzählige von ihnen durchgestrichen. Wie konnte man sich denn damit zu Recht finden? Catherine erkannte Wörter, die aus den Fällen: Eine Studie in Pink; Der blinde Banker und irgendeinen Fall, den Sherlock nur Das große Spiel genannt hatte, zu tun hatten. Catherine hielt inne und blinzelte verwirrt. Großes Spiel? Sie runzelte die Stirn und hob die Notizen dazu hoch. Sie hatte echt gedacht, dass John ihr von allen Fällen Sherlocks erzählt hätte- oder sie hatte über sie gelesen-, doch von diesem hatte sie noch nie gehört. Das große Spiel? Spiel? Für Sherlock war doch ein Fall nie ein Spiel. Und mit wem hatte er gespielt? Aus den Notizen wurde das nicht klar. Moment! Sie hielt inne und zog die Akten der anderen beiden Fälle hervor. Sie meinte doch, sie hätte das Wort schon einmal gelesen. Dieses Wort, was bei dem großen Spiel mehrfach unterstrichen war. „John…?“, frage sie irritiert. „Ja?“ „Wer oder was ist Moriarty?“ Nachdenklich sah sie von den Akten auf und blickte ihn an. Augenblick hielt er inne, schien sogar ein Husten zu unterdrücken. Jedenfalls spannte sich seine Körperhaltung deutlich an, das entging Catherine nicht. Sie blinzelte verwirrt und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während Johns Augen nun einen unruhigen Ausdruck bekamen. „Was?“ „Wer oder was ist Moriarty?“, wiederholte sie, dieses Mal nachdrücklicher. Irgendetwas Großes steckte dahinter, sonst würde er sich nicht so seltsam verhalten. „Woher haben Sie denn das?“ „Hier…“ Sie deutete auf die Akten, stand auf und breitete sie aus dem Tisch aus. John trat an sie heran und betrachtete sie. „Bei der Studie in Pink…da steht es noch mit Fragezeichen dahinter versehen…aber hier beim Großen Spiel…“ Sie tippte mit den Fingern auf das Wort Moriarty, das beim ersten Fall von anderen überlagert wurde, doch hier beinahe das Zentrum bildete. „Hier ist es dreifach unterstrichen. Was immer es also ist, für Sherlock war es wichtig.“ John schwieg eine Weile. Sherlock und er hatten sich darauf geeinigt, dass sie Catherine nichts von Moriarty erzählen wollten. Keiner der beiden wusste wann oder wie Sherlocks Erzfeind und gleichzeitig größter Fan zurückschlagen würde und sie wollten Catherine so wenig wie möglich in die Sache hineinziehen. Sherlock hatte ihr die Geschichte erst erzählen wollen, da es ja doch einer seiner größten Erfolge gewesen war und er sie wohl beeindrucken wollte, doch John hatte ihm klar gemacht, dass die Sache noch zu gefährlich war. „Keine Ahnung.“, sagte er deshalb bemüht ruhig und zuckte mit den Schultern. Catherine hingegen zog nur eine Augenbraue hoch und sah ihn skeptisch an. Sie glaubte ihm kein Wort, das war nicht zu übersehen. „Sie wissen sehr genau, was es mit Moriarty auf sich hat und nach Ihrer Reaktion würde ich vermuten, handelt sich dabei um eine Person. Also, wer ist er?“ „Sie klingen schon wie Mycroft.“ „Versuchen Sie nicht davon abzulenken, indem Sie versuche mich damit zu provozieren, John. Ich werde auf die Finte nicht eingehen.“, sagte sie verstimmt und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Arzt runzelte die Stirn und drehte sich von ihr ab. „John!“, rief sie und packte ihn am Arm, drehte ihn wieder zurück. „Wer ist er? Was macht ihn so gefährlich?“ „Ich habe keine Ahnung, wo Sie sich reinsteigern, Catherine.“, antworte John mit seltsam schwebender, ruhiger Stimme. Es klang beinah wie eine Computerstimme. „Keine Ahnung, warum Sherlock das aufgeschrieben hat. Als ob ich wüsste, was in seinen Kopf vorgeht.“ „Verkaufen Sie mich nicht für dumm, John. Das kann ich nicht ausstehen.“, knurrte Catherine und sah ihn aus wütenden Augen an. „Ich weiß nicht, was Sie beide vereinbart haben, aber ich lasse mir nicht gerne mein Leben bestimmen.“ John schüttelte kurz den Kopf und ging zum Sessel. „Ich habe wirklich keine Ahnung, Catherine. Sie steigern sich da nur rein. Seit Sherlock Sie verbannt hat, sehen Sie in allem eine Verschwörung gegen sich. Das ist verständlich, aber nicht wahr.“ Seine Augen betrachteten sich nachdenklich und jetzt, wo jegliche Unruhe und Angespanntheit aus Johns Körpersprache verschwunden war, begann Catherine es auch zu glauben. Müde ließ sie sich in den zweiten Sessel fallen. Es passte nur zu gut. Sie hatte wirklich das Gefühl ein wenig paranoider seitdem geworden zu sein. Sie hatte alles in Ordnung geglaubt und dann war ihre seltsame, heile Welt zerbrochen und seitdem hatte sie begonnen sich zu fragen was Schein und was Realität war. „Vermutlich haben Sie recht…“, gestand sie nach einigen Momenten ein und seufzte. Als sie die Augen schloss, sah sie nicht Johns wehleidigen, traurigen Blick und als sie wieder aufblickte, war er verschwunden. „Mir wird das alles einfach ein wenig zu viel.“ Sie schloss müde die Augen und vergrub eine Hand im Haar. Ihre Seele war verwundete und blutete schon einige Zeit. Es hatte sie verletzt, als sie in die kalte Isolation gestoßen worden war, wo sie doch einmal glücklich gewesen war. Als sie wieder einmal in ihren Gedanken verschwand und sich fragte, was sie nur getan hatte, bemerkte sie nicht wie John sie traurig ansah und sein Blick einen seltsamen Ausdruck zu kam. Er haderte mit sich und dem, was er selbst beschlossen hatte. Als er jedoch sah wie erschöpft und traurig Catherine war, wie sehr sie unter der Situation litt, da überlegte er ernsthaft, ob er es ihr doch erzählen sollte. Gerade, als John sich wirklich beschloss sie aufzuklären, sah er, dass Sherlock hinter ihnen stand und einen seltsamen Blick auf die Situation warf. Geschockt weitete John die Augen, als er seinen Freund erblickte und automatisch wirbelte Catherine im Sessel herum. Auch ihre Augen weiteten sich vor Schock. Keiner der beiden hatte bemerkt wie er zurückgekehrt war. „Sherlock…es…“, setzte John an und versuchte einer Eskalation entgegenzuwirken. Sherlock stand noch immer schweigsam da, seine Stirn in tiefste Falten gelegt. „Sherlock…ich…“, flüsterte Catherine nur. Sie rechnete mit allem. Mit Wut, mit Zorn, mit Hass, doch was dann kam, traf sie härter als alles andere. Sherlock sah sie nicht an, grüßte John wie gewohnt und verschwand in der Küche. In keinem Moment seit er wieder zurück war, hatte er erahnen lassen, dass Catherine da war. Er ignorierte sie vollkommen. Noch nicht mal für den Hauch eines Augenblickes hatte er sie angesehen oder Emotionen in seinen Augen gezeigt. Catherine erstarrte in ihrem Sitz und ertrug es kaum noch. Was war hier nur los? Warum tat Sherlock ihr das an? Was hatte sie verbrochen? Ignoranz war noch schlimmer, als Verachtung, denn sie bedeutete, dass man nicht mehr existierte. Sie hatte in Sherlocks Leben keine Existenzberechtigung mehr. „Sherlock!“, rief sie ihm noch einmal verzweifelt hinterher, doch der Detective hielt noch nicht einmal inne. Er fing sogar an seine üblichen Monologe zu halten, die gelegentliche Fragen an John beinhalteten, doch dieser war zu irritiert, als zu reagieren. Aufgeregt werkelte er durch die Küche und sprach mit sich selbst. Catherine sah hilflos zu John. Ihre Augen brannten wieder, denn mit einer solchen Kälte hatte sie niemals gerechnet. John zuckte nur mit den Achseln und schüttelte mit dem Kopf. Er selbst wusste auch nicht, warum sein Freund sich so verhielt und war ebenso geschockt von seinem Verhalten. „Sherlock!“, sagte sie noch einmal, diesmal flehend. „Bitte! Was ist hier los?“ Wieder nichts. Sherlock redete seelenruhig weiter, als hätte sie nichts gesagt. Er kam wieder zurück ins Wohnzimmer, lief schnurstracks an ihr vorbei, schnappte sich eines der weggeräumten Büchern und murmelte was von: „Sie haben meine ganze Ordnung durcheinander gebracht, John.“, bevor er wieder zurück in die Küche lief. Catherine hielt es nicht mehr aus und sprang vom Sessel auf. Sie musste es wissen und was hatte sie schon zu verlieren? Sie war es nicht mal wert verachtet zu werden. Was gab es denn noch schlimmeres als ignoriert zu werden? Sie wusste nichts. Sie rannte Sherlock hinterher, packte ihm am Ärmel seines Hemdes und hielt ihn fest. „Sherlock! Hören Sie auf mich zu ignorieren! Was soll das alles? Erklären Sie es mir endlich!“ Sherlock hielt kurz inne, doch noch immer sah er sie nicht an, sondern schüttelte sich nur, sodass er ihren Griff loswurde, dann ging er wieder in die Küche. „Sherlock!“, rief sie noch einmal mit aller Kraft, während er sie völlig unbeachtet im Wohnzimmer stehen ließ. John stand auf und trat an ihre Seite. Auch er erschien verwirrt von dem Verhalten seines besten Freundes. Plötzlich wirbelte Sherlock herum, rannte mit vor Wut brennenden Augen zurück, packte Catherine und drückte sie gegen die Wand. Sie ächzte, als ihr Kopf gegen die Wand knallte und schloss die Augen. Sherlock stand gefährlich nah vor ihr, raubte ihr jegliche Freiraum, während seine eisblauen Augen sie durchbohrten. Catherine zitterte und wich seinem Blick aus. Sie ertrug diese schrecklichen Gefühle nicht, die ihr entgegen schlugen. „Was von ‚ich will Sie nie wieder sehen‘ verstehen Sie eigentlich nicht, Miss Amell?“, schrie er sie voller Zorn an, während seine Finger sich in ihren Arm gruben. „Was fällt Ihnen eigentlich ein, in meine Wohnung zu kommen?“ „Sherlock!“, rief John entsetzt. „Lassen Sie Catherine los!“ „Sie hat es doch gewagt hierher zu kommen, obwohl ich mich unmissverständlich ausgedrückt habe.“, knurrte Sherlock und zog seine Augenbrauen zusammen. „A…aber!“, erwiderte sie völlig überfordert und versuchte dem stechenden Blick standzuhalten, schaffte es aber nicht. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.“ Plötzlich war Sherlocks Stimme leise, gefährlich leise. „Sherlock, es war meine Schuld. Ich habe sie reingelassen. Ich lasse dieses Spiel nicht mehr zu.“, fuhr John dazwischen und verteidigte Catherine. Seine dunklen Augen funkelten aufgebracht, als Sherlocks Handgelenke umfasste und daran zog, doch der Detective gab nicht nach. Eisern hielt er Catherine an die Wand gedrückt, welche noch immer unter seiner überschäumenden Wut zitterte und versuchte nicht noch mehr Hass auf sich zu ziehen. „John…“, sagte Catherine flehend und sah ihn an. Er sollte sie rausholen, sie retten. Sie hatte das Gefühl überschwemmt zu werden und unterzugehen. „Was auch immer das hier werden soll, Sherlock, ich mach da nicht mehr mit und ich habe es Ihnen schon mal gesagt: Wenn Sie das unbedingt durchziehen müssen, dann tun Sie es, aber ICH werde es nicht tun.“ Johns Augen verschmälerten sich und er starrte seinen Freund an. Dessen Augen waren noch immer außer sich. Seine Naseflügel bebten, ebenso wie sein Körper, doch dann ließ er Catherine los und wandte sich wütend ab. „Gehen Sie, Miss Amell! Ich sage es nur noch einmal. Wenn Sie jemals wieder in meine Wohnung kommen, dann werden Sie mein nächstes Studienobjekt und ich werde das wahr machen, was ich vor unserem Spiel mit Nate im Scherz sagte…nur DAS es dieses Mal kein Spaß sein wird.“ Seine Stimme war dunkel und bedrohlich geworden. Nur ein Hauch von Eis. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Angst vor Sherlock. Seit den fünf Monaten, die sie nun in der Bakerstreet lebte, hatte sie ja wirklich vieles gegenüber Sherlock Holmes empfunden, doch eines noch nie: Angst. Nein, sie war zwar häufig wirklich beunruhigt von einer seiner Handlungen gewesen, doch diese hatten sich nie gegen sie gerichtet und waren auch meist nur von kurzer Dauer. Sollte dies nun ein permanenter Zustand werden? „Was?“, frage John verwirrt nach, doch als er sah wie blass sie geworden war, wusste er, dass das eine schlimme Drohung gewesen war. „Aber warum? Sagen Sie mir wenigstens warum!“, schrie Catherine mit aller Kraft, während ihre Verzweiflung sie überschwemmte. Sie wurde gerade aus der Umlaufbahn verstoßen und würde wie ein einsamer Planet in den ewigen Weiten verloren gehen und irgendwann von einem schwarzen Loch verschluckt werden und das Schlimmste war: So gut wie Sherlock sich mit Astronomie auskannte, war er sich dessen wohl nicht mal bewusst. Augenblick wirbelte Sherlock auf den Absatz rum, packte Catherine am Arm, bevor überhaupt John und sie reagieren konnten. Mit einer unerwarteten Kraft zog er sie aus der Wohnung, schmiss sie aus dem Wohnzimmer und knallte die Tür zu. Für einen kurzen Moment blieb Catherine davor stehen, als es schien, als würde der Knall der Tür ihre Welt in Scherben zerbrechen lassen. Dann sah sie jedoch ein, dass es keinen Sinn mehr machte und verschwand wieder in ihre kleine, langweilige, einsame Welt zurück. ~*~ Sherlock warf die Tür hinter Catherine ins Schloss, doch dann lehnte er sich erschöpft mit dem Rücken gegen sie und schloss die Augen. Er holte tief Luft, versuchte sich zu beruhigen, doch sein schnellschlagendes Herz wollte nicht auf ihn hören. Es war richtig so, das wusste er und immer wieder sagte er sich das wie ein Mantra, doch es brachte nichts. Tief in seinem Inneren wollte er Catherine hinterherlaufen, sie zurückholen, doch dieses Gefühl war unvernünftig. „Sherlock?“, drang Johns Stimme zu ihm durch und ließ ihn blinzeln. Sherlock hatte damit gerechnet, dass er wütend wäre, dass er ihn wieder anschreien würde, doch in seiner Stimme lag Verwunderung. Als er langsam seine Augen wieder öffnete, blickte er in fragende, dunkelblaue Augen. Noch einmal holt er tief Luft und löste sich dann von der Tür. „Ich habe doch gesagt, ich will sie nicht mehr hier sehen.“, versuchte er das Spiel wieder zu spielen, doch seine Stimme klang zu gepresst, als das seine Wut glaubwürdig wäre. Verdammte Gefühle! Sie vermasselten ihm den einzigen rationalen Weg. „Was ist wirklich los?“ John zog eine Augenbraue hoch und beobachtete ihn genau. Wie sehr Sherlock das hasste. Als ob John ihn verstehen könnte. „Wie oft soll ich es noch wiederholen, bis Sie es endlich begreifen?“, schnauzte er seinen einzigen Freund an. Sie hatten diese Diskussion oft geführt, John hatte mit dem Thema niemals locker gelassen, sodass es Sherlock in Bedrängnis gebracht hatte. Sein Mitbewohner hatte gewusst, wo er hatte graben müssen um die Maskerade wackeln zu lassen und es hatte Sherlocks gesamte mentale Stärke gekostet um das Theater weiter aufzuführen, um die Wut tief aus ihm aufsteigen zu lassen. „Sie langweilt mich und sie ist mir lästig geworden.“ „Sie lügen.“, widersprach John schlicht und blickte ihn an. „Warum tun Sie das wirklich, Sherlock? Sie haben verzweifelt, beinah traurig ausgesehen, nachdem Sie die Tür geschlossen haben.“ Sherlock erstarrte, als er diese ruhige Feststellung von John hörte und fluchte innerlich. Verdammt! Für den Hauch eines Moments hatte er sich von seinen Gefühlen hinreißen lassen und schon war seine Maskerade aufgeflogen. Genau deswegen hasste er Gefühle so sehr. Sie waren selbstzerstörerisch. Für einen Moment ihnen nachgegeben und alles Rationale war vergebens. Ein Blick in Johns Augen bestätigte es. Sherlock sah genau, dass die Lüge keinen Sinn mehr hatte. Er würde es ihm nicht mehr abnehmen, dass er wirklich auf Catherine wütend war, dass er sie verabscheute. Müde seufzend ließ sich der einzige Consulting Detective der Welt auf die Couch fallen und fuhr sich mit beiden Händen durch die Locken. „Könnten Sie es verantworten, wenn ihr etwas passiert?“ „Was?“ Sherlock stöhnte, als er John verwirrt nachfragen hörte. „Ob Sie es sich verzeihen könnten, wenn Catherine etwas passiert.“, wiederholte er, dieses Mal ruhiger und langsamer. „Ich kann es nicht.“ „Wovon reden Sie, Sherlock?“ John blinzelte ihn fragend an. Sherlock seufzte und presste die Lippen zusammen. „Weil es beginnt…“, sagte Sherlock ominös und nahm seine übliche Nachdenkerpose ein. „Reden Sie endlich Klartext, Sherlock!“ „In letzter Zeit Nachrichten gehört oder Zeitungen gelesen haben Sie wohl nicht, was John?“ Sein Freund blinzelte verwirrt und schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Sie haben mich ja viel zu sehr beschäftigt.“ „Kommen Sie her!“, forderte Sherlock ihn auf, als er seinen Laptop hervorzog und ihn hochfuhr. Mit einem Mal klang seine Stimme matt und müde. „Ich muss Ihnen etwas zeigen.“ John zögerte kurz, ein wenig überrumpelt davon, dass Sherlock plötzlich eingesunken und erschöpft wirkte, doch dann stand er auf und ging zu ihm. Kurz sah der Dunkelhaarige zu ihm auf, dann drehte er den Laptop um und zeigte John die Startseite einer beliebigen Londoner Zeitung. Es war völlig irrelevant welche, sie sahen eh alle gleich aus. John betrachtete die Homepage, brauchte nur die Schlagzeile zu lesen, dann taumelte er erschrocken zurück. Sherlock blickte zu ihm auf, während der Arzt blass wurde und seine Augen erschrocken geweitet waren. „Moriarty…“, flüsterte John atemlos. „Er…ist zurück?“ Sherlock nickte knapp und schloss den Laptop wieder. „Ich hab es vor zwei Woche gelesen, als ich etwas für den Fall des toten Wissenschaftlers im Universitätslabor recherchieren wollte.“ „Ach dieser Fall benötigte einen Elektro…“, antworte John wie automatisch, dann blinzelte er, als eine neue Erkenntnis seinen Geist erreicht und er blickte Sherlock überrascht an. „Moment! Heißt das, Sie haben Catherine wegen Moriarty aus Ihrem Leben verbannt?“ Sherlock nickte wieder. Genau so war es. Als er gesehen hatte, dass sein Erzrivale wieder da war und als er gehört hatte, dass Catherine wie selbstverständlich in seiner Küche saß und sich fröhlich mit John unterhalten hatte, hatte er einen Entschluss getroffen. Einen, der sich als schmerzhafter herausgestellt hatte, als er gedacht hätte, der aber notwendig gewesen war. Innerlich lachte Sherlock. Was würde Mycroft nur sagen, wenn er wüsste, dass ausgerechnet Catherine ihn einmal dazu veranlassen würde verantwortungsbewusst zu handeln? Wo er doch meinte, dass sie das Mädchen wäre, dass seine Maroden nur verstärken würde- dies hatte er zumindest einst in einem Nebensatz gemurmelt, als er Sherlock nach ihr gefragt hatte. „Sie wollen sie beschützen…“, murmelte John ein wenig überfordert, als er sich in den Sessel fallen ließ und Sherlock ungläubig ansah. Himmel noch eins! War es so unvorstellbar, dass er etwas zum Wohl eines anderen tat? Wo John doch all die Zeit so stur darauf beharrte hatte, dass sie Sherlock etwas bedeutete? Und nun tat er, als hätte Sherlock etwas Unbegreifliches getan. Beinahe hätte er frustriert geschnaubt, ließ es dann aber lieber. „Natürlich will ich das.“, sagte Sherlock dann aber doch ein wenig gereizt. „Was denkt ihr eigentlich alle von mir? Ich halte ja nicht viel von gesellschaftlichen Normen und diesen ganzen Unsinn, aber ich habe ihr ein Versprechen gegeben und das halte ich.“ John schwieg und beobachtete ihn genau. Jede Regung in seinem Gesicht und Sherlock hoffte, dass er nicht zu viel verriet. Etwas seltsames ging in ihm vor, etwas, dass ihn schon seit zwei Wochen unruhig werden ließ. War es, weil er sich auf das Bevorstehende freute, auf die Herausforderung oder war es etwas anderes? „John, wir beide wissen, was beim letzten Mal passiert ist. Wir beide wissen, dass das Spiel in die zweite Runde geht, aber das hier wird kein Spiel mehr sein, das wird ein Krieg werden. Moriarty wird alles gegen mich nutzen um es zu beenden. Unser letztes, großes Problem.“ Sherlocks Stimme schwebte durch den Raum und John sah ihn überrascht an, als er zu begreifen begann, was hinter Sherlocks Verhalten steckte. Es war kein seltsames Spiel gewesen, sondern Sorge. Sorge um Catherine. „Sie wollen sie aus der Schusslinie wissen.“ Wieder nickte Sherlock schlicht und er faltete seine Hände im Schoß. „Catherine wird aus seiner Sicht das schwächste Glied sein, deshalb wird er vermutlich sie als erstes gegen mich verwenden und ich habe ihr versprochen, sie vor meiner Welt zu beschützen, falls Sie sich erinnern, John.“ „Aber…warum so? Warum erklären Sie es ihr nicht einfach?“, fragte John atemlos und er blickte Sherlock mit verwirrten Augen an. Sherlock seufzte und schloss die Augen. Wenn es denn so einfach wäre. Doch weder mit Catherine noch mit Moriarty war es so einfach. Bei beiden konnte man sich keine halben Sachen erlauben. „Sie kennen Catherine doch, John.“, seufzte Sherlock. „Glauben Sie ernsthaft, sie hätte es akzeptiert, wenn ich ihr sagen würde, dass sie uns nicht mehr sehen kann? Gerade bei Ihnen, John? Also bitte.“ Er schnalzte abschätzend und John seufzte. „Nein…wohl kaum.“, gestand er schließlich ein und rieb sich über den Kopf. „Aber warum so abrupt? Sie leidet darunter. Sehr sogar.“ „Weil Moriarty alles weiß, vielleicht weiß er auch schon von ihr.“, erklärte Sherlock trocken und stützte den Kopf auf seine gefalteten Hände. „Also musste ich den Bruch so klar wie möglich ziehen. Er soll nicht denken, dass sie mir etwas bedeutet. Dass sie nicht mehr für mich ist als ein gewöhnlicher Mensch.“ „Und das ist sie nicht?“ John blicke Sherlock durchdringend an. Sherlock seufzte und warf ihm einen leicht genervten Blick zu. Natürlich war sie das nicht. War das nicht offensichtlich? Was sollte er dennoch tun? Wie sehr sollte er sich noch verändern, bis John endlich aufhörte ihn damit zu nerven? „Würde ich mir sonst solche Mühe machen?“, sagte Sherlock schlicht. Er schwieg eine Weile. Es hatte ihn auch lange gewundert, dass er sie beschützen wollte. Es lag nicht nur, weil er ihr das Versprechen gegeben hatte. Es war, weil er es wollte. Hätte er vor ein paar Monaten nicht gedacht. Aber mittlerweile hatte er eingesehen, dass es nicht mehr länger nur um ihn ging. Auch wenn er sich auf den bevorstehenden Showdown mit Moriarty freute, er war nicht mehr allein und Moriarty würde jedes Mittel recht sein würde. Es hatte lange- und eine Gefahr gebraucht- bis Sherlock sich eingestanden hatte, dass Catherine ihm nicht egal war, dass sie mehr für ihn war, als eine Nachbarin, doch nun wollte er eben das bewahren. Mit allen Mitteln und wenn sie ihn dafür hassen musste, dann war er bereit diesen Preis zu zahlen. Es wäre ohnehin von Anfang an besser für Catherine gewesen, wenn sie sich nie auf ihn eingelassen hätte. Doch was für eine Wahl hatte er ihr schon gelassen? „Catherine ist jung…“, begann er dann schließlich zu erklären, weil er das Gefühl hatte, dass John zwar verstand, warum er es tun musste, aber nicht seine Beweggründe. „…und unerfahren. Sie wird in diesem Kampf nicht bestehen. Sie sind Soldat, John. Sie kennen die psychischen Belastungen und wissen zeitgleich sich zu verteidigen. Catherine hingegegen nicht. Außerdem ist sie noch immer angeschlagen von dem, was in Serbien passiert ist. Egal, was sie uns glauben lassen will.“ John holte tief Luft und stieß sie aus. Er nickte leicht und Sherlock beobachtetet nun ihn. In wie weit verstand John das Problem, dem sie nun gegenüber standen? „Wollen Sie wissen, warum Catherine an jenem Tag vor eineinhalb Monaten zu mir kam?“ „Sie sagte, Sie hätten sich nur unterhalten.“, erwiderte er und zuckte mit den Schultern. „Und das glauben Sie ihr?“ „Nicht wirklich.“ „Und ich war schon kurz besorgt um Ihren Verstand, John.“ Er zeigte kurz sein Lächeln. In Empathie war John ihm wirklich überlegen und wenn er Catherine diese mehr als schlechte Ausrede abgekauft hätte, hätte Sherlock ihn vielleicht doch einmal untersuchen lassen. Nicht dass all der Wahnsinn von ihm Johns Urteilsvermögen verschleiert hätte. „Was hat sie von Ihnen gewollt, Sherlock?“ „Hilfe.“, antworte schlicht und für einen kurzen Moment genoss er den leicht genervten Ausdruck in dem Gesicht seines Mitbewohners. „Was?“ Er seufzte und rieb sich über die Augenbrauen. „Sie wollte meiner Hilfe bei Trauma Bewältigung.“ „Von Ihnen?“ John konnte nur mit letzter Kraft ein Lachen bewältigen. „Sie war wohl wirklich verzweifelt…Moment…Was haben Sie getan, Sherlock?“ Seine eisblauen Augen betrachteten ihn ungerührt und Sherlock zuckte leicht mit den Schultern. „Schocktherapie.“ „Das ist nicht Ihr Ernst?“, rief John entsetzt aus, während seine Augen sich vergrößerten. „Nun…es hat doch funktioniert.“ Wo lag also das Problem? Catherine hatte doch gesagt, dass es ihr danach besser ging. Natürlich würde sie niemals ganz vergessen, aber sie konnte es mittlerweile verdrängen. Warum also regte John sich so auf? „Ja, sicher es funktionierte…toll…und dafür setzen wir sie gleich nochmal ihrem Alptraum aus. Wundervoll.“ Er rollte mit den Augen und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Offensichtlich beschloss er aber, das Thema erst einmal a Acta zu legen. „Warum haben Sie es mir nicht erzählt?“ Nun zögerte er doch und verschmälerte kurz die Lippen. Das war nicht so einfach zu erklären, denn es würde eine Erkenntnis voraussetzen, die er zu gerne noch etwas länger verleugnet hätte. Aber ausweichen hatte keinen Sinn. Das wusste er nur zu genau und John kannte ihn, leider, nur allzu gut. „Weil ich Sie da nicht mit hineinziehen wollte.“ Er versuchte seine Stimme möglichst ruhig klingen zu lassen um den Sturm zu verbergen, der all das zur Folge hatte. „Das ist nicht wahr. Das ist Ihnen doch sonst auch immer egal.“ „Es war leichter…“, versuchte Sherlock es erneut. John lehnte sich etwas vor und zog eine Augenbraue hoch. „Sicher doch…noch ein Versuch und Sie verraten sich endgültig. Vergessen Sie nicht, ich kenne Sie schon fast ein Jahr.“ Sherlock holte tief Luft und legte seine Finger vor sein Gesicht. Wieder holte er tief Luft und beschloss mit der Wahrheit herauszurücken. „Wie ich sagte, ich wollte Sie nicht damit hereinziehen. Was ich Catherine antun musste, ist grausam und ich wollte Sie darin nicht involvieren. Sie mögen Catherine sehr und wenn ich Sie dazu zwingen würde Catherine anzulügen, würde das Ihnen nur Schuldgefühle bescheren. Es ist einfacher für Sie, wenn Sie mich dafür verachten… außerdem machte es das Schauspiel überzeugender.“ Mit dem Nachsatz versuchte er halbherzig den besorgten Aspekt zu überspielen. Er hatte einfach nicht gewollt, dass der hochmoralische John sich die Bürde auferlegen musste, das Mädchen anzulügen um sie beschützen, welches er so schätzen gelernt hatte. Es würde ihn für eine lange Zeit verfolgen, während Sherlock von sich selbst wusste, dass er damit umgehen konnte. Schließlich konnte er seine Gefühle verdrängen, wenn es dafür einen logischen Grund gab. John hingegen sah ihn nur aus überraschten Augen an, dann runzelte er die Stirn. „Moment…was? Sie haben lieber meine Verachtung auf sich gezogen, anstatt mir die Schuldgefühle auf zu bürden?“ Sherlock nickte nur schlicht. Er sah keine weitere Notwendigkeit darin es weiter auszuführen. War ja schon unangenehm genug, dass er es hatte sagen müssen, doch John hätte nicht locker gelassen. „Wow…“, sagte John nur und sah ihn noch immer mit einem Mix aus Faszination und Überraschung an, als wäre Sherlock ein Alien, das gerade auf der Erde gelandet wäre. Er schnaubte und rollte mit den Augen. Jeder um ihn herum bestand doch darauf, dass er Gefühl zu entwickeln begann und dann waren sie doch jedes Mal darüber überrascht. Musste schon wirklich seltsam sein ein Mensch zu sein. Wenn einen jede Kleinigkeit überraschte. „Also wie soll es nun weitergehen, John?“ „Bitte?“ „Wie soll es nun Ihrer Meinung nach weitergehen? Es liegt nun in Ihrer Hand. Ich habe Ihnen den Grund gesagt, warum ich das getan habe. Nun müssen Sie entscheiden, ob Sie ihr die Wahrheit sagen oder nicht.“ John schloss die Augen und lehnte sich in Sessel zurück. Er schwieg für eine lange Zeit während seine Augen hinter den geschlossenen Lidern rannten. Sein Atem ging schwer, während er zwischen Drang Catherine nicht zu verletzen und ihrer Sicherheit zu gewährleisten hin und her gerissen war. Er rieb sich über die Stirn und seine Augenbrauen immer und immer wieder, während sein Kopf sich schüttelte. Es war nicht schwer zu erkennen, dass John es ihr am Liebsten erzählen würde, doch Sherlocks Argumente waren zu logisch, als dass er sie einfach ignorieren konnte. Fünf Minuten verstrichen, bis er tief ausamtete und seine Körperhaltung entspannte, aber ihn auch zeitgleich erschöpft aussehen ließ. Sherlock betrachtete ihn genau und wusste schon im Vorfeld, was er sagen würde. „Es gibt keinen anderen Weg…“, murmelte der Arzt leise und rieb sich den Nasenrücken. „Nein…“, antworte Sherlock bloß schlicht und ruhig. Er hatte alle Möglichkeiten schon vom Weg aus dem Wohnzimmer in die Küche durchkalkuliert. Sein Mitbewohner atmete resigniert aus. „Dachte ich mir…“ Dann rieb er sich wieder die Augenbrauen und blickte dann zu Sherlock auf. „Dann ist es wohl am besten so, Sherlock.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)