Time to remember von seththos ================================================================================ Kapitel 1: Friedliche Schulzeit ------------------------------- Der Frühling kam. Krokusse. Sie waren ein paar der ersten Boten, die sich zaghaft in einigen Ecken und Nischen der Stadt bemerkbar machten, um mit ihren kleinen bunten Knospen die neue Jahreszeit zu verkünden. Sogar die Vögel pfiffen es fröhlich von den Dächern … ohne sich um den noch stellenweise vorhandenen Schnee zu kümmern.   „Guten Morgen meine Damen und Herren.“ Forsch schritt Frau Kurami in das Klassenzimmer, wobei sie arg damit zu kämpfen hatte, einigen der anwesenden Schülern auszuweichen. Nicht jeder schien bis jetzt das Schulklingeln für voll genommen zu haben und vor allem Joey Wheeler und Tristan wurden daraufhin mit einem strengen Blick der Lehrerin zur Ordnung gerufen. Leicht schuldbewusst stellten auch die zwei letzten Nachzügler sich hinter ihre Stühle und erwiderten murmelnd den morgendlichen Gruß.   „Kommen wir gleich zur Sache: Ihre Arbeiten sind korrigiert und ich muss sagen, dass ich dieses Mal im Großen und Ganzen einigermaßen zufrieden bin. Selbst die etwas Lernfauleren unter Ihnen, scheinen sich endlich damit abgefunden zu haben, dass schon in Kürze ihr nächstes und letztes Schulhalbjahr anbrechen wird und sie somit in der Lage sein sollten, einen vernünftigen Abschluss vorzuweisen.“ Leicht gelangweilt sah Joey aus dem Fenster. Es war sicher nicht das erste Mal, dass sie von Frau Kurami als auch von etlichen anderen Lehrern auf das baldige Ende ihrer Schulkarriere hingewiesen wurden. Mittlerweile konnte er viele der Sprüche auswendig und wenn er sich einmal in der Klasse umsah … Tea kontrollierte ihren frischen Nagellack, Kiris schien unter der Bank eifrig in einem spannenden Buch zu blättern, Tristan sah höchst interessiert aus dem Fenster und selbst Yugi kritzelte gelangweilt auf einem seiner Blätter herum … erging es nicht nur ihm so.  Müde ließ er seinen Blick auch kurz zu Kaiba schweifen, welcher eine Bankreihe links hinter ihm am Fenster saß, und stumm nach vorne sah. War ja klar. Grinsend schüttelte Joey den Kopf. Herr Direktor kam selbstverständlich auf Grund seines guten Rufes nicht drum herum, wenigstens ein wenig Aufmerksamkeit zu heucheln – auch wenn Joey hätte wetten können, dass dessen Augen zuweilen doch recht abwesend wirkten. Wahrscheinlich war er in Gedanken schon wieder bei irgendwelchen Zahlenkolonnen und Firmenübernahmen … oder, dachte er grinsend … bei einer seiner neuesten technischen Entwicklungen.   Gerade wollte Joey seinen Kopf wieder abwenden, als Kaiba ihn offensichtlich aus dem Augenwinkel heraus bemerkte. Die Augenbrauen leicht zusammengezogen, sah er zu ihm hinüber. Ohne, dass ein Laut über seine Lippen kam, meinte er: „Was willst du, Köter?“ Mit einem kurzen versichernden Blick zur Lehrerin, welche noch immer bei der Besprechung der Klausurergebnisse zu sein schien, widmete er sich wieder seinem Lieblingsfirmenchef. Ebenso lautlos, jedoch mit einem frechen Grinsen im Gesicht, meinte er: „Du hast da was…“ Mit einem Glitzern in den Augen, deutete er mit seinem linken Zeigefinger auf seine eigene Nase. Ein wenig irritiert, jedoch zu stolz um dies nach außen hin zu zeigen, glätteten sich die Falten auf Kaibas Stirn wieder, ehe er reflexartig zu seiner Nase griff und dezent darüber rieb. Joeys Grinsen wurde noch ein wenig breiter. Sobald Kaiba, inzwischen wieder ohne Hand an seiner Nase, zu ihm hinüberblickte, schnipste Joey ihm ein in der Zeit angefertigtes Zettelchen zu. Schmunzelnd konnte der blonde Junge beobachten, wie der andere es – unbemerkt von der Lehrerin – entfaltete. Es brauchte einen Moment, ehe die entsprechende Reaktion seitens des Älteren eintrat. Mit leicht gereiztem Blick, sah Kaiba zu seinem Kontrahenten, ehe er sich wieder dem Schnipsel zuwandte und etwas Kurzes dazu kritzelte. Kaum, dass die ‚stille Post’ ihren Weg wieder zu ihrem eigentlichen Urheber gefunden hatte, begann dieser interessiert zu lesen. Sich Innerlich zu seinem Einfall beglückwünschend las er noch einmal kurz das zuvor Verfasste durch. „Ach, sorry Großkotz – war doch nur deine Eitelkeit, die sich da auf deiner Nase festgesetzt hatte.“ Knapp darunter, in der eleganten Handschrift Kaibas: „Lieber ein wenig Eitelkeit im Leben, als wie ein verwahrloster Köter in dreckigen Mülltonnen herumzuschnüffeln.“ Er hatte gerade diesen empörenden Satz gelesen, als mit einmal Frau Kurami vor ihm auftauchte, um ihm einerseits mit Schwung seine Klausur auf den Tisch zu knallen und andererseits den kleinen Zettel zu entreißen und in der rechten Hand zu zerknüllen. „Herr Wheeler. Auf Grund dessen, dass sie anscheinend in der Lage sind, sich auf das Schreiben kleiner Zettel zu konzentrieren, nicht aber auf das Korrigieren Ihrer Klausur, nehme ich an, dass sie mittlerweile dazugelernt haben.“ Mit dem Fuß auf dem hellen Boden tippend und verschränkten Armen, bat sie ihn nach vorne, um eine der nächsten Aufgaben in korrekter Weise anzuschreiben. Genervt und müde drehte Joey seine Klausur kurz auf den Rücken, um somit nicht allen sein Ergebnis bekannt zu geben – vor allem nicht Kaiba – und machte sich auf den Weg an die Tafel. Dort schaffte er es mit viel Kraft und Überwindung ein paar der Aufgaben absolut falsch zu lösen, ehe er von der Lehrerin entlassen wurde. Resigniert ließ sich der junge Mann daraufhin wieder auf seinen Stuhl sinken und kam mit dem Kopf gähnend auf seinem Pult zum Liegen. Die Arme verschränkt, war er mittlerweile nicht einmal  gewillt, Kaiba noch auf seinen dummen Spruch zu antworten sondern entglitt langsam ins Traumland – Ägypten rief nach ihm, wie schon in vielen Nächten.   Kaiba indes kam nicht umhin, sich über die in letzter Zeit häufig zur Schau getragene Müdigkeit des Kleineren zu wundern. Sicher. Joey verschlief häufig. Er kam oft zu spät. Auch früher war er schon hin und wieder eingeschlafen, allerdings hielt sich das noch in Grenzen. Mittlerweile geschah es beinahe täglich! Er hatte noch nicht einmal auf seinen kleinen ‚Brief’ geantwortet. Seltsam. Aber gut. Seit wann interessierte es ihn eigentlich, was der Köter nachts trieb? Er hatte genug eigene Sorgen.   Eine seiner neuesten Entwicklungen trat gerade in die Endphase ein und bekanntlich ging am Ende gern auch das Meiste schief. Obwohl er sich momentan eigentlich nicht beschweren konnte. Im Gegenteil. Seit einigen Monaten lieferte seine Designfirma erstaunlich gute Ergebnisse und auch seine Grafikabteilung schien endlich aus dem Winterschlaf erwacht zu sein. Seit Neuestem hatte er sogar mal wieder Zeit für seinen kleinen Bruder gefunden. Es gab immer weniger, was er an den neuen Programmcodes noch einmal durchzusehen hatte. Auch der digitale Entwurf neuer Duel Monsters lief überraschend gut. Wenn er da an das Chaos im letzten Jahr zurück dachte…   Seufzend schüttelte er innerlich den Kopf. Wie gesagt: Das war letztes Jahr gewesen. Und dieses Mal würde alles glatt laufen. Das spürte er in den Knochen. Es musste einfach. Immerhin wollte er mit Hilfe dieses neuen Projektes auch den einen oder anderen Vertrag abschließen.   Zudem war sein kleiner Bruder auch nicht ohne. Mokuba hatte, keiner weiß wie, irgendwie Wind davon bekommen. Seitdem hatte er ihn beinahe täglich damit bedrängt, ihm etwas von seiner neuerdings übrig gebliebenen freien Zeit zu schenken. Verständlich, wenn man bedachte, dass er vor dem Fortschritt im letzten Jahr wirklich nur noch in Ausnahmefällen – z.B. Geburtstag - etwas mit seinem Kleinen unternommen hatte. Sich äußerlich nichts anmerken lassend dachte er mit Freude an den einen Tag zurück, an welchem er es seit langem sogar einmal wieder geschafft hatte, sich seinen eigenen Vergnügungspark aus der Nähe anzusehen. Dennoch … irgendetwas störte ihn.   Zum einen waren da diese seltsamen Träume über ein verstaubtes – gut, wenn man ehrlich sein wollte, ein eher sandiges – Land und zum anderen …  Verflixt! Zum anderen war da dieser kleine Junge, der in diesen Träumen bis jetzt mehr als nur einmal aufgetaucht war. Er konnte es nicht richtig beschreiben aber immer, wenn er an diese wirren Träume zurückdachte, war es, als hielte er ein Seil aus Seifenblasen in der Hand, welches ihn mit diesem Land und vor allem diesem Jungen verband. Ein Seil, das beim Aufwachen in kleine Wassertröpfchen zersprang und nichts als verschwommene und undurchsichtige Erinnerungen zurückließ. War er wach, konnte er sich nur schemenhaft an den Kleinen erinnern. Von den vagen Umrissen des Körpers ausgehend, müsste er 6 oder 7 Jahre alt sein. Vielleicht auch ein wenig älter. Normalerweise hätte er sich keine Gedanken über diverse merkwürdige Träume gemacht – sie einfach ignoriert. Nicht, dass er das nicht schon probiert hätte. Je öfter er es zu verdrängen versuchte, desto mehr bekam er das erdrückende Gefühl, dass er etwas Wichtiges – Lebenswichtiges – vergessen hatte, an das er sich besser erinnern sollte. Diese so schwerwiegende Ahnung ließ ihn nicht los und drohte zuweilen beinahe, ihm die Luft abzuschnüren.   Leicht seufzend sah Kaiba wieder zu Joey. Schule war mittlerweile neben seiner Arbeit und Mokuba das Einzige geworden, das ihn von diesem Gespinst aus Verwirrungen und Illusionen ablenken konnte. Aber nicht etwa, weil der Unterricht so überaus spannend gewesen wäre. Nein. Im Gegenteil. Meist wusste er schon beim Beginn eines neuen Themas, dass er den geforderten Lernstoff längst beherrschte. Es waren die Kleinigkeiten in dieser Schule, die ihn auf andere Gedanken brachten. Und diese Kleinigkeiten hießen Joseph Jay Wheeler. Sein Mundwerk, sein Verhalten, seine Ignoranz und … neuerdings sogar seine stetig zunehmende Übermüdung. Denn die machte nicht nur dem Jüngeren zu schaffen – sondern auch ihm. Seit er so oft im Unterricht einschlief waren sie kaum zu einem vernünftigen Streit gekommen.   Armselig, wer sich darüber aufregte, dass er sich mal nicht mit diesem Köter gestritten hatte. Aber in diesem Fall: Ja. Er war armselig. Immerhin brauchte er jemanden, um sich abzureagieren. Irgendwie musste er ja dieses unterdrückte Chaos in seinem Inneren ablassen und bis jetzt war Wheeler – der wohl am leichtesten zu reizende Junge in seiner Klasse – immer geradezu prädestiniert dafür gewesen. Und er sah nicht ein, warum er sich jetzt, nur auf Grund seiner schlaflosen Nächte, einen neuen Partner zum Streiten suchen sollte. Das kam überhaupt nicht in Frage!   Die Schulglocke ertönte und aufseufzend besah sich die Lehrerin noch einmal ihre unruhige und hibbelige Schülerschaft, ehe sie selbige entließ. Kopfschüttelnd registrierte sie auch einen ihrer größten Sorgenfälle: Joseph Wheeler. Ohne sich weiter um den Köter zu kümmern, schnappte Kaiba sich beim ersten Klingelton seinen Laptop und kontrollierte rasch, ob er die benötigten Speicherkarten eingesteckt hatte, auf denen seine momentane Arbeit – Quellcodes des neuen Programms – gespeichert waren. Mit einem höhnischen Grinsen sah er auf Joey hinunter. Sein Weg zum Ausgang des Raumes führte ihn geradewegs an dessen Platz vorbei. Sich versichernd, das gerade keiner hinsah – was nicht schwer war, da alle sich auf den Weg nach draußen begaben – schnappte er sich die Klausur des blonden Köters.   Mit einem siegessicheren Lächeln drehte er die Blätter um, um einen Blick auf die voraussichtlich miserable Note zu werfen. Gerade wollte er nebenbei schon einen gemurmelten Kommentar in Richtung des ‚Versagers’ abgegeben, als ihm die rote 1,0 ins Auge fiel. Himmel noch mal! Wie hatte der Kleine denn das hingebogen? Entweder, er hatte geschummelt und gespickt was das Zeug hielt … oder …   Höhnisch sah der Chef der Kaiba Corp. auf den noch immer dösenden Köter hinunter, ehe er diesem mit der Klausur auf den Kopf tippte. Leicht gähnend sah Joey zu ihm auf und registrierte erst kurze Zeit später, WAS Kaiba da in der Hand hielt.   „Gib her, du Arsch“, kam es einigermaßen mies gelaunt von ihm. Den dummen Kommentar, den Kaiba gleich ablassen würde, konnte er sich bereits lebhaft vorstellen. „Na, Köter?! Hast du deine verrosteten Gehirnwindungen doch noch in Schuss gebracht?“ Er hatte es gewusst. Was anderes hatte er von DEM auch nicht erwartet. Dennoch sah er wütend nach oben und schnappte sich, in Erwartung eines weiteren Kommentares,  seine Klausur. Dieser ließ selbstredend nicht lange auf sich warten. „Aber weißt du was, Hundchen? Ich denke, wenn du das Lernen in Zukunft auf vormittägliche Lerneinheiten schieben würdest, anstatt dich nachts mit dem Stoff von vor drei Jahren zu beschäftigen, könntest du sogar noch deinen verfehlten Abschluss aus der sechsten Klasse nachholen.“ Damit warf er dem Kleineren noch einen gehässigen Blick zu, ehe er sich gelassen umdrehte, nur um gleich darauf noch einmal im Schritt zu stocken. „Erstens Kaiba, kann nicht jeder so ein unverdientes Genie sein und alles einschließlich Wissen, Macht und Kohle mit Löffeln in sich hinein gestopft bekommen und zweitens … woher willst du wissen ob ich mich nachts nicht lieber mit anderen, erfreulicheren Dingen beschäftige, statt einen Stoff zu pauken, den ich bereits mit 10 konnte?“ Triumphierend stand Joey vor Kaiba und hatte - zumindest momentan - endlich  seinen alten Kampfgeist zurück. Herausfordernd blickte er zu seinem ‚Feind’. Dieser schien kurz an akuter Sprachlosigkeit zu leiden, ehe er sich wieder fing und überlegen entgegnete: „Den Stoff, den du mit 10 hattest schaffen wollen, wirst du auch in 10 weiteren Jahren noch nicht gefressen haben. Also kannst du auch abends meinetwegen Gassi gehen, wenn du unbedingt frische Luft brauchst. Denn du hast recht: Du wirst nie auch nur annähernd an mich heranreichen können, Straßenköter. Und nun entschuldige mich. Im Gegensatz zu dir, bin ich wach genug, um am Tage mein Imperium weiter ausbauen zu können.“ Gerade wollte Joey etwas Passendes erwidern, als er von seiner Lehrerin unterbrochen wurde. „Joseph Wheeler! Ich möchte mich einmal mit Ihnen unterhalten.“ Protestierend wandte sich Joey an die mit einem roten Blazer und schwarzem Rock gekleidete Frau, wurde jedoch sofort von Kaiba abgelenkt, welcher sich flüsternd zu ihm gelehnt hatte. „Nun denn, Köter. Lass dir von der netten Dame deine Zukunft prophezeien, auf dass wir uns irgendwann mit deinem IQ eines Streuners an einem Sushistand treffen, an dem du mir mein Essen servieren darfst.“   Mit diesen Worten und ohne Joseph noch die Möglichkeit zu geben, etwas zu entgegnen, schlenderte Kaiba mit einem leichten Nicken in Richtung besagter Dame vorbei und aus der Tür hinaus. Grummelnd blickte Joey ihm hinterher, ehe er seine Aufmerksamkeit seufzend der jungen Frau zu wandte. Diese sah dem braunhaarigen Mann noch einige schweigende Sekunden nach, ehe sie sich vollends auf Joseph Jay Wheeler konzentrierte. „Gut. Was ich mit Ihnen besprechen wollte…“, stockend hielt sie inne. Joey schwieg. Er war heute einfach nicht gewillt ihr weiterzuhelfen, indem er vielleicht durch ein verständiges und fragendes "Ja?" sein geheucheltes Interesse ausdrückte. Nachdem Frau Kurami das eingesehen hatte, überlegte sie scheinbar noch kurz, ehe sie entschlossen fort fuhr.   „Ich nehme an, du hast deine Klausurnote gesehen?“ Ein Nicken. Zögernd tastete Frau Kurami sich weiter vor und benutzte dabei bewusst das persönliche ‚du’, damit dem jungen Mann eventuell klar wurde, dass sie es gut mit ihm meinte. „Ich kenne dich nun schon, seit du auf diese Schule gekommen bist, Joseph. Ich bin Lehrerin. Seit du hier bist, kann ich sehen, wie wenig dich mein Unterricht – und nach Aussagen meiner Kollegen – auch der Unterricht anderer, zu interessieren scheint. Du kommst regelmäßig zu spät, schläfst im Unterricht ein oder legst dich mit anderen Schülern an. All die Jahre über hatte ich genügend Zeit, meine Schlüsse aus deinem Verhalten zu ziehen und sie in einer gänzlich überraschenden Verbindung zu deinen Noten zu bringen.“ Ohne ein Wort zu sagen sah Joseph sie an, ehe er zum Fenster ging und hinunter auf den Schulhof blickte. Yugi und die anderen hatten sich in der Nähe des Sportplatzes niedergelassen. Die Hände aufgestützt auf das Fensterbrett, sah er durch die geschlossene Scheibe hinunter, hörte der Frau aber weiter zu. „Korrigiere mich, wenn ich falsch liegen sollte, Joseph. Aber… du bist nicht dumm. Du bist es nie gewesen, nicht wahr? Und ich meine nicht dumm im alltäglichen Sinne. Ich denke, du weißt das.“ Ein leichter Seufzer entrann seinen Lippen und Frau Kurami sah, dass ihm diese Unterredung nicht sonderlich behagte. Langsam stellte sie sich neben ihn und blickte ebenfalls hinaus. Die Tür hatte Kaiba vorhin hinter sich zugemacht, von dieser Seite aus war also bis zum Ende der Pause keine Störungen zu erwarten.   Grübelnd sah sie zu ihrem Schüler. Sie mochte Joseph. Er war ein guter Junge, war sogar, seit er mit Muto und einigen anderen in der Klasse Freundschaft geschlossen hatte, erheblich ruhiger geworden. Doch auch wenn sie ahnte, dass die Freundschaft dieser kleinen Gruppe um den jungen Mann sehr tief ging, so glaubte sie doch zu wissen, dass keiner dieser Freunde wusste, wie schlau ihr ‚Kumpel’ wirklich war. Einige stumme Minuten später wandte Joey sich endlich von dem lustigen Anblick seiner Freunde ab – Yugi war mal wieder auf Grund seiner Größe nicht in der Lage, den Ball in den Basketballkorb zu befördern – und fragte: „ICH weiß das. Aber seit wann wissen SIE es?“ Froh darüber, dass endlich ein vernünftiges Gespräch zustande zu kommen schien, nahm Frau Kurami den Faden wieder auf. „Oh… schon länger, nehme ich an. Zumindest hatte ich verschiedene Ahnungen. Sicher, du hast nie so gute Noten geschrieben wie z.B. dein guter Bekannter Kaiba. Im Gegenteil. Deine Noten waren miserabel.“ Leicht schmunzelnd sah sie ihn von der Seite an. „Trotz allem war es beinahe erstaunlich zu bemerken, wie gut du werden konntest, wenn es um deine Versetzung ging. Du hast dir wahrlich Mühe gegeben, das muss ich dir lassen, um es zu vertuschen. Aber jede Prüfung, bei der es drauf ankam, hast du mit einem ‚sehr gut’ bestanden. Und erzähl mir nicht, du hättest vorher jedes Mal gelernt.“ Leicht bedauernd schüttelte Joey mit einem beinahe wehmütigen Lächeln den Kopf.   „Nein. Ich musste so gut wie nie lernen.“ Interessiert fragte sie: „Weißt du auch warum?“ „Photographisches Gedächtnis. Was ich einmal gelesen oder gehört und gesehen habe, merke ich mir einfach. Nicht steuerbar sozusagen. Funktioniert zwar nicht in allen Lebenslagen, aber so gut wie.“   Leicht verlegen und mit den Schultern zuckend sah er sie an. Und irgendwie konnte sie seine Haltung in diesem Augenblick verstehen. Vermutlich hatte wirklich keiner außer ihr je wirklich etwas mitbekommen und dementsprechend schien es ihm nun beinahe peinlich zu sein, sich so lange verstellt zu haben. Was sie zu der Frage brachte, warum er das überhaupt getan hatte. „Damit habe ich schon angefangen als ich noch klein war. Wissen Sie… ich wollte nicht alleine sein … Ich wollte Freunde, mit denen ich spielen konnte. Aber sie haben mich gemieden. Damals, in der Grundschule. Sie nannten mich einen Besserwisser oder Streber. Und das waren noch die netteren Bezeichnungen. Das war die Zeit, als ich anfing, mich zu prügeln.“ Grübelnd massierte er sich den Nacken, ehe er resigniert weitererzählte. „War schon komisch, das Alles. Nur um zu zeigen, dass ich nachmittags nicht irgendwo sitze, um zu lernen, begann ich mich immer mal wieder mit jemandem zu prügeln oder zu spät zu kommen. Sie sollten merken, dass ich auch nicht anders bin. Genauso wie alle. Jemand der Unsinn machen kann, der eigentlich nicht gerne lernt… alles so was halt. Aber wissen Sie was?“   Er drehte sich zu ihr und lehnte sich viel zu fröhlich und schwungvoll ans Fenster. „Es hat nichts gebracht. Als sie endlich einsahen, dass ich nicht lernte, sondern fast jeden Tag draußen war oder mich sogar öfter vom Unterricht fern hielt… da sahen sie auch ein, dass ich alles aus dem Stehgreif wusste. Dass ich eigentlich gar nicht lernen musste, so wie alle anderen. Sie kamen damit nicht klar… meine Mitschüler… und irgendwie stand ich auf einmal alleine da.“ Ruhig und auch ein wenig mitleidig lauschte die schwarzhaarige zierliche Frau dem Bericht. Nicht, ohne zu merken, dass sich hinter dem aufgesetzten Lächeln und der Fröhlichkeit, jemand verbarg, der sich anscheinend schon als Kind dazu gezwungen sah, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. „Als meine Eltern sich dann trennten, zog ich mit meinem Vater hier in die Nähe und kam in eine neue Schule. Da lernte ich Tristan kennen. Und mit Beginn dieses neuen Abschnitts entschloss ich mich, von jetzt an mit meinem Wissen ein wenig kürzer zu treten. Daher weiß eigentlich auch niemand davon. Außer vielleicht ein paar meiner alten Schulkameraden, die sich allerdings mit Sicherheit nicht mehr daran erinnern können.…“ Joseph hielt inne. Seine Geschichte war erzählt und er hatte nicht vor, dem noch groß etwas hinzuzufügen.   „Aber mittlerweile hast du hier an der Schule doch, wie ich denke, gute Freunde gefunden… Warum…?“ Er unterbrach sie. „Warum ich es Ihnen nicht gesagt habe? Ich weiß nicht. Vielleicht ist das Alles hier schon zu tief verwurzelt … vielleicht habe ich aber auch nur überlegt, wie das denn aussehen würde, wenn ich eines Tages zu ihnen gehe und ihnen mal die Relativitätstheorie auseinander nehme. Nein. Ich bin froh, dass sie mich so akzeptieren, wie ich jetzt bin. Und so … sollte es auch bleiben.“ Irgendwie konnte sie ihn mit einmal besser verstehen. Kein Wunder, dass er in ihrem Unterricht einschlief. Er hatte sich wohl schlicht gelangweilt. Ein leichtes Lächeln zierte nun ihr Gesicht, als sie das Gespräch auf den Punkt brachte. „Ich gehe also davon aus, dass die 1,0 heute keinem Zufall entspringt oder diverser Schummelei? Und dass es zudem einen guten Grund gibt, weswegen du in meinem Unterricht regelmäßig ein Nickerchen hältst?“ Nun doch mehr als verlegen und leicht rot im Gesicht konnte Joey nichts weiter als Nicken. Schwungvoll stieß sich seine Lehrerin daraufhin vom Fenster ab. In wenigen Minuten würde sich der Rest der Klasse wieder die Ehre geben und bis dahin wollte sie das geklärt haben. „Also, Mister Wheeler. Ich schlage Ihnen einen … nun, einen Deal vor. Ich schweige wie ein Grab und Sie nutzen die Ihnen angeborene Fähigkeit und gehen am Ende dieses letzten Jahres mit einem ‚Sehr gut’ aus dieser Schule. Was halten Sie davon?“ Freundlich grinsend wandte sie sich zu ihm um. Kurz überdachte Joey den Vorschlag, ehe er zustimmte. „Abgemacht. Aber nur wenn Sie keine weitergehende Mündlichkeit im Unterricht von mir erwarten und mich auch in Zukunft zusammenstauchen.“ Zwinkernd sah sie ihn an.   „Keine Sorge, Mister Wheeler. DAS mache ich mit Vergnügen, immerhin nehme ich nicht an, dass Sie vorhaben Ihre wie auch immer gearteten nächtlichen Tätigkeiten einzuschränken. Schlafende Schüler werde ich wohl nie wirklich tolerieren können. Trotzdem verraten Sie mir noch eins: Wieso auf einmal diese gute Note? Das war keine Abschlussprüfung…“ Leise schmunzelnd ließ sich Joey vorsichtshalber schon mal wieder an seinem Tisch nieder. „Naja, das war weniger Absicht als Zufall. Ich war schlichtweg zu müde an dem Tag, um richtig von falsch zu unterscheiden und anscheinend wollte meine Hand unbedingt das ‚Richtige’ schreiben. Wie sagt man doch gleich? Mein Geist war willig aber mein Körper war zu müde… oder so ähnlich.“ Für eine Lehrerin ungewöhnlich, sah sie feixend zu ihm hinüber. „Soso…“ Und kurz bevor die ersten Schüler wieder hineingestürmt kamen: „Ich halte mich an unsere Abmachung und werde vorerst keinem Ihrer Mitschüler Ihre endgültigen Noten mitteilen. Ihnen ist aber dennoch hoffentlich bewusst, dass am Ende des letzten Schuljahres alle Ergebnisse einsehbar sind und Sie spätestens dann, wenn Sie sich an unsere Abmachung halten, mit Ihren Freunden reden müssen?“ Plötzlich ernst geworden, sah Joseph zu ihr hinüber. „Dessen bin ich mir bewusst. Und keine Sorge: Ich WERDE mich an die Abmachung halten. Das hatte ich sowieso vor und da Sie nun sogar Bescheid wissen, fällt es mir umso leichter. Ich brauche einen guten Abschluss…“ Die Klinke wurde niedergedrückt und ohne den Grund für seinen plötzlichen Wunsch nach einem guten Abschluss näher erläutern zu können, blieb Joey nur ein entschlossener Blick, ehe er sich vollkommen unbeteiligt irgendeinem Buch zu wandte. Mit diesem letzten Satz bekam das Klassenzimmer auch seine alltäglichen Besucher zurück, welche sich schwatzend auf den verschiedenen Plätzen niederließen. Allein eine kleine Gruppe, nahm davon Kenntnis, dass Joey den Raum in der Pause offenbar nicht verlassen hatte, und befragte ihn auch sogleich nach seinem Verbleib. „Ich hatte da noch so ein Gespräch mit Frau Kurami…“, meinte dieser murmelnd… ehe er übertrieben fröhlich anfügte: „’Ging um meine Noten.“ Ganz nebenbei ließ er seine Klausur in seiner Tasche verschwinden, wobei die anderen ihn mitleidig ansahen. Immerhin tat er dies mit einem so übertrieben fröhlichen Lachen, dass seine Freunde zwangsläufig der Ansicht waren, es wäre mal wieder eine 6 geworden. Kapitel 2: Erinnerungen an eine vergessene Kindheit --------------------------------------------------- Vollkommen fertig ließ sich Joey am späten Nachmittag noch auf einen kleinen Schwatz mit seinen Freunden ein, ehe Yugi sie wenig später unterbrach. „Sagt mal… was ich euch fragen wollte…“ „Was ist denn?“ Fragend blickten seine Freunde ihn an. „Also mein Großvater macht doch bald Inventur im Laden… und da der ja in letzter Zeit doch recht gut besucht wurde… liegt da natürlich ne Menge rum und …also ich… wollte euch mal fragen…“ Joey schnallte es ein wenig schneller als die anderen der Gruppe und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Nun rück schon raus, Yugi! Du willst also, das wir deinem Großvater und dir bei der Inventur helfen, oder?“ „Naja… ich WILL in dem Sinne nicht. Weil wir euch auch nichts dafür zahlen können oder so. Es wäre halt einfach toll wenn wir ein bisschen Hilfe…“ „Na, das meinte Joey doch gerade, Yugi! Natürlich helfen wir euch gerne. Nicht wahr Tristan?“ Dieser konnte der einzigen Frau in ihrer Mitte nur zustimmen. Damit war das dann auch geklärt. Eine berechtigte Frage blieb jedoch noch: „Wann soll sie denn steigen, eure Inventur?“ erkundigte sich Joey. Kurz überlegte der Kleinste von ihnen, ehe er ihnen den nächsten Freitag als wahrscheinlichsten Termin angab. Zustimmend nickten alle, ehe sie sich weiter zum Ausgang der Schule begaben. In zügigen Schritten spazierte eine ihnen allen nur zu bekannte Person an den vieren vorbei. Kaiba. „Na Köter! Hast du gleich drei Kinder gefunden, die mit dir Gassi gehen?“ Sofort sprang Joey auf die Provokation an. „Bewegung ist gesund“ und mit einem verächtlichen Blick auf die wartende Limousine des Firmenchefs: „Das solltest du auch mal in Erwägung ziehen.“ Vielsagend sah er auf Kaibas’ Arme, Beine und Bauch ehe er sich mit einem siegessicheren Lächeln wieder seinen Freunden zuwandte. Natürlich war klar, das Kaiba DAS nicht ohne weiteres auf sich sitzen lassen konnte. Dazu liebte er es insgeheim viel zu sehr dem ‚Köter’ seine Überlegenheit zu demonstrieren. Schnell schlich er sich hinter den blonden jungen Mann und drehte diesem mit einer flinken Bewegung den Arm auf den Rücken und ließ ihn somit – da Joey seinen Arm hin und wieder noch gebrauchen könnte – in die Knie gehen. Der Rest war durch diese Aktion unvermittelt stehen geblieben und auch, wenn sie die ständigen Streitereien der zwei Duellanten schon gewohnt waren, versuchte Yugi wider besserem Wissen einzugreifen. „Kaiba. Lass ihn los, Kaiba. Du kugelst ihm ja sonst noch den Arm aus!“ Und wie immer hörte der nicht auf den Kleinen sondern hielt den Anderen lieber noch ein wenig fester – wobei er dennoch darauf achtete, ihm nicht zu sehr weh zu tun; auch wenn er nicht recht wusste, warum er darauf bitteschön überhaupt Rücksicht nahm. „Kaiba!“ knirschte Joey mit den Zähnen. Mit einem kaum sichtbaren Grinsen kam Angesprochener mit seinem Mund so nah wie möglich, ohne ihn jedoch zu berühren, an Josephs Ohr heran. „Merk dir eins: Um mit einem bissigen Streuner wie dir fertig zu werden, reicht meine Kraft noch lange.“ Daraufhin ließ Joeys Anspannung mit einmal merklich nach und auch wenn Kaiba es nicht sehen konnte, trat ein beinahe schadenfrohes und gleichzeitig auch gefährliches Funkeln in die Augen des Festgehaltenen. Kaiba, welcher schon glaubte, gewonnen zu haben, konnte nur noch überrascht gucken, als Joey es verflixt noch einmal schaffte, sich mit einer urplötzlichen Drehung aus seinem Griff zu befreien, nur um dafür Kaiba über die Schulter zu ziehen. Wortwörtlich. Wäre Kaiba nicht, entgegen Joeys Behauptung, recht gut auf dem Damm gewesen, wäre er wohl auf dem Rücken zum Liegen gekommen. So aber konnte er sich noch in der Hocke abfangen. Kurz nur blitzte Überraschung in den Zügen des Älteren auf, ehe der flüchtige Eindruck wieder verschwand. Mit hochgezogener Augenbraue besah er sich die schwarzen Flecken auf seinem blütenweißen Mantel. „Die Reinigung darfst du zahlen, Köter.“ Höhnisch sah Joey zu ihm hinüber, alle anderen hatten sich seit der unvermittelten Aktion seinerseits ruhig verhalten. „Was Besseres fällt dir nicht ein, Kaibalein? Oh wie schaaaade. Aber ich muss dich enttäuschen. Du wirst nicht einen Yen von mir sehen.“ Vielsagend sah er auf seine eigene Hose hinab. Auch diese war durch das unvermittelte Erlebnis auf Mutter Erde nicht gerade sauber geblieben. Schnaufend wandte Kaiba sich ab. „Du hast Recht Köter. Ich will dir schließlich nicht auch noch deinen letzten jämmerlichen Yen aus der Tasche ziehen. Immerhin wirst du den brauchen, um deine wohl einzige existente Hose zu ersetzen. Ich vergaß vorhin, dass du ja nur die eine hast.“ Und wieder ließ Kaiba ihm keine Zeit zum Reagieren sondern ging hocherhobenen Hauptes an dem ‚Kindergarten’ vorbei. „Arschloch!“ rief Joey ihm auf Grund mangelnden Vokabulars hinterher und stellte wieder einmal fest, dass Yugi keinen guten Einfluss auf ihn hatte. Früher wären ihm gewiss noch fantasievollere Bezeichnungen eingefallen. Kopfschüttelnd machte nun auch er sich auf den Weg Richtung Stadt, wobei seine Freunde sich ihm wieder anschlossen. Etwas mehr als nur ein wenig verwirrt und überrascht sahen diese Joey an. Endlich entschloss sich dann doch einer von ihnen zum Sprechen. „Sag mal Joey… seit wann kannst du denn das… mit diesem Überwurf … bzw. wie du dich aus Kaibas Griff gelöst hast… das war… wow“, erkundigte sich Tristan vollkommen verblüfft. Und es stimmte. Es hatte Zeiten gegeben, da Joseph sich Kaiba nicht so leicht hätte entziehen können. Über sich selbst sinnierend schwieg Joey erst einmal dazu. Jemand anderes war jedoch weitaus weniger ruhig. Zumindest innerlich. Sobald er wieder im Laden wäre, würde er einmal ein wenig mit Atemu plaudern. Er hatte da so einen Verdacht… Ein paar Ecken weiter mussten sie sich dann auch trennen. „Und du willst wirklich nicht mit ins Spielecenter?“ erkundigte sich Tristan zum wohl 5ten Mal. „Nein. Sorry, Alter. Aber ich muss noch ein bisschen was tun…“ Forschend sah Tea ihn an. „Sag jetzt nicht, dass du noch lernen willst oder so…“ Sich verlegen am Hinterkopf kratzend sah Joey die anderen an. Es gefiel ihm nicht wirklich die anderen – seine besten Freunde – anzuflunkern. Somit war seine Verlegenheit noch nicht einmal gespielt sondern durchaus ehrlich. „Warum denn nicht…“ Überrascht sog das braunhaarige Mädchen die Luft ein. „Dann stimmt es also, was Kaiba vorhin gesagt hat!“ „Was hat er denn schon wieder von sich gegeben?“ „Na, dass du deine Abende und Nächte wohl mit Lernen verbringen würdest, um bessere Noten zu bekommen und du wahrscheinlich deswegen auch immer so müde bist.“ Geschickt vermied Tea die dazugehörigen Beleidigungen und den offensichtlichen Fakt, dass Kaiba auch die Note von Joey nicht wirklich preisgegeben hatte. /Kaiba… wenn du wüsstest…/ dachte sich Joey, ehe er Tea und den Rest Schultern zuckend ansah. „Kann schon sein.“ /Das war nicht unbedingt gelogen…/ sinnierte er in Gedanken. „Cool Joey! Das finde ich echt klasse von dir!“ warfen Yugi und Tea da sofort ein und auch Tristan ließ es sich nicht nehmen, ihm zu seinem ‚tapferen Entschluss’ zu gratulieren. Sich innerlich schon mal entschuldigend, wandte sich Joey daraufhin von seinen Freunden ab und gab an, es inzwischen sehr eilig zu haben. Da alle erstmal davon überzeugt waren, er würde sich auf den Weg nach Hause machen, um über seinen Büchern zu brüten, ließen sie ihn ziehen und strebten gemeinsam den Spieleladen an. ********** Zur gleichen Zeit in einem der höchsten Gebäude in Domino. ********** Grübelnd saß Kaiba über den Quellcodes für sein neuestes Projekt. Gerade war er noch einmal alles durchgegangen, nur um festzustellen, dass seine Programmierer diesmal wirklich eine recht passable Arbeit abgeliefert hatten. ‚Recht passabel’ war für ihn bereits das höchste der Gefühle, wenn er eine Arbeit mit ‚gut’ bewertete. Sich die Schläfen massierend ließ es sich nun für ein paar Minuten in seinen Sessel sinken und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen… ~~~~~~~~~~ „Hey Seth! Seth! Wollen wir nicht was spielen?“ Grummelnd sah der kleine braunhaarige Junge zu dem blonden Schopf über ihm. „Jono… ich muss arbeiten.“ Ebenso verstimmt blickte benannter Jono von seinem Apfelbaum hinunter auf seinen Spielkameraden. „Och menno… so ist es aber laaaaangeweilig.“ Kopfschüttelnd harkte der in ein einfaches helles Gewand gekleidete Priesteranwärter weiter. In einiger Entfernung konnte er den Tempelkomplex ausmachen, welcher gemeinsam mit diesem weitläufigen Areal von einer hohen Mauer umgeben worden war. Überall, vor allem am Rand der Mauer, wo der meiste Schatten fiel, standen Apfelbäume. Bäume mit so süßen und saftigen Früchten, wie man sie in ihrem Land nur bekommen konnte. Dieser Tempel war einer der wenigen, die die Pflanze dazu züchteten. Immerhin hatte nicht jeder Tempel Ägyptens die Möglichkeit so viel Wasser vom Nil zu zapfen, wie sie brauchten, um die Bäume blühen zu lassen. Mit einmal landete Jono auf beiden Beinen neben ihm. Er war vom Ast gesprungen und hatte sich kurzerhand Seths Harke geklaut. „Hey! Was soll das?“ empörte sich der Gleichaltrige. „Na, was schon? Ich helfe dir und dafür spielen wir dann später was.“ „Und was, wenn dich jemand sieht?“ Sich nach allen Seiten versichernd, dass gerade niemand zusah, blickte Seth wieder zu Jono. Eigentlich war es Menschen außerhalb des Tempels verboten, hier zu sein. Jono hatte sich jedoch nie daran gehalten, seit er, Seth, ihn durch Zufall auf einem ihrer Apfelbäume hatte sitzen sehen. Seit damals waren sie sogar recht gute Freunde geworden. Allerdings hatte Jono sich auch schon oft verstecken müssen, da er und auch Seth eine große Strafe erwarten würde, wenn man sie hier gemeinsam erwischte. Jono würde für seine Anwesenheit im Tempelbezirk bestraft werden und Seth dafür, dass er diese Anwesenheit so offen toleriert hatte. Daher war es gefährlich für den Kleineren, sich so offen und ohne Schutz des Blätterdaches zu zeigen. „Ach was! Dann klettere ich einfach wieder auf den Baum und schwups sieht er mich nicht mehr.“ Die Logik war kindlich einfach und simpel. Aber was sollte man auch von zwei 7jährigen erwarten? Seth war schlau und er wusste genau was er wollte. Schlau genug, um seinen Freund behalten zu wollen. „Also gut“, gab er sich zähneknirschend, aber insgeheim erfreut zufrieden. Schnell stapfte er los, um sich eine neue Harke zu holen, während Jono mit der von ihm geklauten schon einmal weiterarbeitete. „Vergiss den Eimer nicht und denk auch dran … die … ha … mit… n“ Seth sah noch einmal leise lächelnd zu seinem Kameraden zurück und… er war verschwunden. ~~~~~~~~~~ Langsam verschwammen die Konturen einfach. Garten, Tempel und Bäume und von seinem Freund, dem blonden Jungen, konnte er gerade noch einige Kleinigkeiten in sich aufnehmen… ehe er erwachte. Gähnend und sich die Augen reibend sah Kaiba auf die Uhr. Er musste eingenickt sein. Mittlerweile war etwas mehr als eine Stunde vergangen und eigentlich konnte er froh sein, dass er nicht erst am nächsten Morgen erwacht war… aber trotzdem. Schon wieder so ein seltsamer Traum und wieder konnte er sich nur noch an nichtige Kleinigkeiten erinnern. Da war der Geruch nach frischen, süßen Äpfeln, hellem Sand unter seinen Füßen und heißer Sonne auf seinem Haupt. Und dann wieder der Junge, von dem er bereits unzählige Male geträumt hatte. Heute war ihm zum ersten Mal dessen Haarfarbe im Gedächtnis geblieben. Er war blond. Seto war sich ganz sicher: Er war schon immer blond gewesen. Strohblond. Seufzend und resigniert starrte er auf seinen mittlerweile auf Standby gegangenen Laptop. Das alles half ihm immer noch nicht weiter. Alles, was er wusste, war, dass er sich dort wohl gefühlt hatte. Bei dem kleinen Jungen. Schon seit langem wusste er, dass dieser andere kleine Junge, Seth, er selbst war. In welcher Form auch immer. In einem der Träume hatte er – aus der Sicht des Jungen – in einen Teich geblickt. Klares Wasser, welches ihm mit seinem eigenen Gesicht als Kind entgegensah. Sicher nicht mit so heller Haut wie heute, sondern eher einem gesunden Braunton, aber es war unzweifelhaft er selbst gewesen. /“Ich helfe dir und hinterher spielen wir…“/ erinnerte er sich an die Worte des anderen Jungen. Er hatte leider seinen Namen vergessen. Er musste schmunzeln. Genau so etwas Ähnliches hatte Mokuba und… oh! auch Joseph Wheeler einmal zu ihm gesagt. Ersterer hatte ihm immer helfen wollen, wenn er einmal so viel zu tun hatte und er ihn kaum noch zu sehen bekam. Immer wieder hatte Mokuba versucht ihm zu helfen. Und auch wenn er ihm wegen seinem Tatendrang immer wieder ein wenig was zum ‚helfen’ gegeben hatte, so hatte er doch nur wenig mit ihm spielen können. Anders bei Joseph, wie er sich erinnerte. Es war vor einigen Monaten gewesen. Er war gerade, beinahe wie jetzt, in der Endphase eines seiner Projekte gewesen und hatte furchtbar viel um die Ohren gehabt. Es war ein Tag wie jeder andere gewesen und er hatte sich demzufolge auch mal wieder mit dem Köter angelegt – eine von seiner Seite aus gern gesehene Abwechslung. An diesem Tag allerdings … „Kaiba! Wenn du glaubst, du kannst alles besser, irrst du dich!“ „Ich irre mich nicht, Köter, glaube mir. Ich KANN nicht nur alles besser als du es jemals können wirst sondern ich BIN auch besser als du!“ Naserümpfend und fies grinsend sah er auf den Kleineren hinab. Dieser hatte jedoch noch eine Antwort auf Lager. „Soooo? Wie wäre es dann mit einer Runde Fußball oder Basketball? Klar, in Duel Monsters bist du besser als ich, aber das ist auch das Einzige!“ Leicht überrascht von diesem so unangebrachten Vorschlag sah er mit verschränkten Armen auf den Köter hinab. Diese Spiele waren eindeutig unter seiner Würde und das würde er dem Köter auch sagen! „Für solche Spielereien habe ich keine Zeit, Streuner. Mag sein dass du den ganzen Tag Fang-den-ball spielen kannst, ich hingegen habe eine Firma zu leiten und muss arbeiten.“ Wütend und wild entschlossen sah der Kleine zu ihm auf. Ehe er mit einmal mit einem frechen Lachen meinte: „Du würdest also spielen, wenn du weniger Arbeit hättest?“ Gelangweilt sah er ihn an. Er war sich sicher, dass er wohl für den Rest seines Lebens nicht zum Fußballspielen kommen würde … wie gesagt: Arbeit. Somit beugte er sich zischend zu seinem Kontrahenten. „Wenn ich weniger Arbeit hätte, Wheeler, würde ich nicht nur spielen sondern dich auch noch besiegen!“ Siegessicher sah Joey ihn an. „Gut!. Dann werde ich dir bei deiner Arbeit helfen und danach spielen wir was und DU wirst verlieren!“ Ein beinahe schon diebisches Grinsen meißelte sich in die Züge des Blonden. Aufs Köstlichste amüsiert hatte Kaiba damals nur gemeint: „Nun gut, Hundchen! Sollte ich jemals eine Woche lang weniger als 20 Stunden am Tag arbeiten müssen, werde ich dir meine freie Zeit gerne mit einem kleinen Spiel versüßen, bei dem DU der Verlierer sein wirst.“ „Einverstanden.“ Mit diesen Worten hatte sich der Köter schließlich verabschiedet und hatte seitdem nie wieder etwas dazu gesagt Kopfschüttelnd dachte Kaiba an diesen Vorfall zurück. Zwar hatte er in der letzten Zeit ein wenig mehr Zeit für seinen Bruder, dennoch würde er mit Wheeler wohl nie ein Fußballmatch austragen. Obwohl das Hündchen an dem Tag damals schon recht erfreut schien über seinen Vorschlag. /Nun… Zu einer Hilfe ist es nie gekommen…nicht wahr, Hündchen?/ Sich abermals die Augen reibend sah er nach draußen. Mittlerweile war der Mond mal wieder in der Nähe und sah zu einem kurzen Plausch bei ihm herein. Es war spät geworden und während seiner Überlegungen hatte er kaum bemerkt, wie die Zeit verging. Für heute würde er Schluss machen, so dass vielleicht sein Bruder noch etwas mit ihm reden konnte. Das machten sie mittlerweile fast jeden Abend. Sich streckend und seinen Mantel überziehend schnappte er sich seine Aktentasche mit den wichtigsten Unterlagen, die er morgen während der Schulzeit würde durchsehen müssen und löschte das Licht seiner Schreibtischlampe. Auch seine zwei Sekretärinnen hatten sich bereits verabschiedet, wie er beim Hinausgehen bemerken konnte. Wahrscheinlich hatte er es einfach nicht bemerkt. Zumindest hatten sie ihm bis jetzt immer auf Wiedersehen gesagt – auch wenn er ihnen nur sehr selten antwortete. Aber sie kannten ihn ja… **********Etwas früher an diesem Tag********** Mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht tippte Joey bereits die 500dertste Zahlenkombi an diesem Tage ein, nahm das Geld der alten Dame vor ihm in Empfang, ehe er sich dem nächsten Kunden zuwandte. „Guten Tag. Sie wollen nur diese eine Flasche?“ „Ja.“ „Sehr gern.“ Schnell griff der blonde junge Mann nach der Ware, um sie einzuscannen. „Könnte ich schon mit Karte bezahlen?“ erkundigte sich der Mann mittleren Alters, der die Flasche nun in Empfang nahm. „Selbstverständlich, wenn Sie Ausweis oder Führerschein bei sich tragen“, leierte Joey seinen Text mit angemessener Freundlichkeit herunter. „Ja. Hier, bitte schön.“ Schnell nahm er Karte und Ausweis, verglich beide mit geübtem Blick miteinander, ehe er die Zahlkarte ihrer Bestimmung zuführte und sie in den Schlitz steckte. Während der alte kleine Drucker zu seiner linken noch am ackern war, sah er sich kurz nach seinen zwei Kollegen um, die irgendwo im Laden Ware auspacken mussten. Sebastian, ein netter junger Mann, der ein Austauschjahr in Japan machte, packte gerade die Flaschen ab. Um sein Taschengeld aufzubessern, hatte er, ebenso wie Joey, seit einiger Zeit als Aushilfe in dem kleinen Supermarkt angeheuert. Kari, welche die frisch gelieferten Süßigkeiten in die Regale räumte, leistete ihm Gesellschaft. Der Drucker war fertig. Mit einer flinken Bewegung riss er das Papier ab und ließ den anderen Mann unterschreiben. „Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch.“ „Ihnen auch. Tschüss.“ Damit war der nächste zufriedene Kunde verabschiedet. Nun… bestimmt 12 weitere warteten bereits in einer etwas längeren Schlange darauf, ebenfalls von ihm verabschiedet zu werden. Kassierer sein war ja zuweilen ganz lustig, dennoch schaute Joey nun immer öfter auf die Uhr. Ganz egal wie der Tag lief; ob gut oder schlecht. Ging es auf die letzte Stunde seiner Schicht zu, wurde er immer wieder zusehends hibbeliger und wollte einfach nur noch hier weg. Kein Wunder. Versteckt und unbemerkt von den Kunden beobachtete er etwas weiter hinten in der Schlange ein paar der Stammgäste des Geschäfts: Betrunkene. Überall schienen sie aus dem Boden zu sprießen und seit er hier angefangen hatte waren es immer mehr geworden. Nicht, dass er etwas gegen die Menschen an sich hatte, immerhin war sein eigener Vater lange Zeit einer von ihnen gewesen. Er wusste, dass – zumindest die Meisten von ihnen – eigentlich sehr nette Kerle waren, die einfach eine Menge hatten durchstehen müssen, ehe sie so tief sanken. Wenn sie nur jemanden hätten, der ihnen da wieder heraus half… Sein eigener Vater hatte es geschafft, den Berg wieder hinaufzusteigen, nachdem er eine ganze Zeit lang eine Talfahrt gemacht hatte. Eine Entziehungskur und viel Stärke und Unterstützung seitens seines Sohnes hatten ihm schließlich geholfen. Auch Serenity hatte ihren Vater nach Kräften unterstützt. Serenity… Etwas wehmütig dachte er an seine kleine Schwester in Amerika. Sie hatte sich ihren Wunsch erfüllt und einen Ausbildungsplatz an einer renommierten Schule für Blindenhunde erhalten. Schon vor einem Jahr. Und er… Er hoffte nur, dass seiner kleinen Schwester, die bittere Wahrheit noch ein wenig länger verwehrt blieb. Grimmig schüttelte er die trüben Gedanken ab. Jetzt war nicht die Zeit dafür. „Auf Wiedersehen. Einen schönen Abend wünsche ich…“ Gerade wollte er sich dem nächsten Kunden zuwenden, als ein neu eingetroffener Kollege ihn grinsend von der Seite ansah. „Oh! Hi Yuki! Löst du mich ab?“ „Yap. Ich bin dran. Ab mit dir nach Hause.“ Der lustige Junge mit den Rasterlocken sah ihn grinsend an. Ein Amerikaner, wie Joseph wusste. Oder zumindest ein halber. Manchmal hatte er das seltsame Gefühl, dass sie bald aus jedem Kontinent einen Vertreter hier beschäftigten. Aber gut. Er mochte Yuki. Er war keine aufdringliche Persönlichkeit, auch wenn man das bei seiner seltsamen Frisur kaum annehmen konnte. Aber immer, wenn bei Joey mal Not am Mann gewesen war, war es Yuki gewesen, der für ihn einsprang. Erleichtert grinsend grüßte Joey noch kurz den nächsten Kunden und entschuldigte sich für die kurze Unterbrechung, ehe er sich seine Kasse schnappte, um seinem Nachfolger Platz zu machen. Der Wechsel ging schnell vonstatten und schon wenige Minuten später konnte Joey nach hinten in einen kleinen – für die Kunden nicht zugänglichen – Raum verschwinden, in welchem er sich mit seiner heutigen Abrechnung beschäftigte. Ab und zu verweilte er in Gedanken bei Kaiba, als er die großen Geldbündel in seiner Hand zu zählen begann. /Der feine Kerl sitzt jetzt bestimmt in seinem schicken mit Leder überzogenen Chefsessel und häuft seine nächste Million an…/ Kopfschüttelnd und innerlich grinsend überreichte er die gezählte Summe seiner Chefin, welche beides, die Computerdaten und seine eigene Rechnung, miteinander verglich. „Du hast 20 Yen minus. Aber ansonsten stimmt es. Kannst dann Feierabend machen.“ Dankend sah er zu seiner so jugendlich erscheinenden Chefin hinüber. Rosa Haare … Aber gut. Es passte zu ihr. Schnell schnappte er sich seine Jacke, Schlüssel und Rucksack, ehe er sich mit einem „Bis Morgen!“ aus dem Staub machte und seine kleine Wohnung am Rande der Stadt ansteuerte. Der 24-Stunden-Laden lag nicht weit entfernt, so dass er binnen 10 Minuten ankam. Schnell holte er noch die Post, wobei er sich wohl zum tausendsten Mal darüber ereiferte, dass die Boten das Schild: ‚Bitte keine Werbung’ wohl in 100 Jahren noch nicht würden entziffern können. „Ah! Herr Wheeler!“ Fragend sah Joey zu der älteren Dame, welche gerade mit ihren zwei Hunden durch die Eingangstür spaziert kam. Er mochte sie und ihre Hunde sehr. Ganz süß die beiden… die Hunde. Schmunzelnd wagte er einen kurzen Blick auf ihren neuesten Kopfschmuck. Soso… heute hatte man also mal die Schotten im Visier gehabt. Auf dem Kopf der alten Dame prangte eine riesige Schottenmütze in rot-schwarz und grün karierter Ausführung – geziert von einer kitschigen pinken Blüte, welche seine Nachbarin wohl noch zusätzlich angenäht hatte. Unbemerkt die Augen verdrehend auf Grund ihres irrsinnig seltenen und … auserlesenen Geschmackes, sah er auf die kleine Frau hinunter; sie ging ihm gerade bis zu den Schultern. „Was kann ich denn für Sie tun, Frau Moki?“ „Ich wollte mich doch mal wieder erkundigen wie es Ihrer Schwester geht. Sie haben mir schon so lange nichts mehr von ihr erzählt. Sie sind ja auch immer so oft unterwegs seit ihre… nun ja… also…“ Mitleidig sah er die ältere Dame an. Scheinbar ging es nicht nur ihm nicht vollständig aus dem Kopf. Aber das war ja normal. Kurz mit sich ringend setzte er schließlich ein nettes Lächeln auf, ehe er ihr mit scheinbar sorgloser Stimme antwortete. „Seit dem Unfall?“ „Ja also…“ „Keine Sorge Frau Moki. Sie müssen in der Hinsicht keine Rücksicht auf mich nehmen. Ich bin darüber hinweg. Und Serenity wohl auch. Ihr geht es gut in Amerika. Sie lässt Sie übrigens lieb grüßen. In einer Karte meinte sie sogar, dass ihr Ihre Plätzchen furchtbar fehlen würden.“ Nun wieder fröhlicher werdend nickte Frau Moki bestätigend. „Ja ja… das liebe Mädchen hat meine Plätzchen immer in sich hinein gegessen, das war eine Freude zu sehen… Aber Sie mein lieber, waren ja um einiges schlimmer…“ Zwinkernd sah sie zu dem jungen Nachbarn hinauf. Sie kannte die Wheeler Kinder schon seit sie 10 waren. Oft hatte das braunhaarige Mädchen ihren Bruder hier besucht, als die Eltern der beiden sich damals getrennt hatten. „Und dann seid ihr immer zu mir gekommen und habt die viel zu heißen Leckereien stibitzt.“ „Dass Sie sich daran noch erinnern können, Frau Moki.“ Schmunzelnd dachte Joey an diese alte Zeit zurück. Schmunzelnd und wehmütig, denn diese Zeiten waren vorbei… „Aber natürlich!“ rief sie lachend aus und drohte ihm spielerisch mit dem Finger. „Immer waren Sie es, der als kleiner Junge seine Finger etwas zu tief in die Keksdose steckte und als ich Ihnen damals das Backen hatte beibringen wollen!“ Lachend klatschte sie vor Übermut in die Hände und als Joey sich an das Desaster von damals erinnerte konnte er nicht mehr anders und musste einfach mitlachen. Kurz sah er zwischendurch auf seine Uhr und musste feststellen, dass er durch das – zugegebenermaßen erfrischende – Gespräch, merklich an Zeit verloren hatte. Immerhin musste er noch einmal weg. Also verabschiedete er sich von der netten Dame mit dem Versprechen, ihr bald einen Besuch abzustatten und stürmte in alter Manier die Treppen hinauf. Und, wie es so seine Art war, kam er nicht umhin die letzten Stufen auch noch mit seiner Nase zu begrüßen, da er in seiner ganzen aufgestauten Energie immer drei Stufen auf einmal genommen hatte. Fluchend erhob er sich wieder, stürmte in die Wohnung und warf Post und Tasche in die nächste Ecke. „Bin wieder dahaaaa!“ rief er fröhlich durch die stille Stube und sah leise lächelnd auf das Bild seiner Eltern auf dem Tisch. Eines der wenigen, auf welchem seine Eltern gemeinsam zu sehen waren. Es war vor einigen Monaten entstanden, als seine Eltern sich nach Jahren des Streites und einer Entziehungskur seines Vaters endlich ausgesöhnt hatten. Für einen kurzen Moment hielt der junge Mann inne, ehe er schließlich mit Schwung und Elan durch die Wohnung wuselte, um seine Sachen aus seinem Zimmer zu holen. Einige kleinere Ordner und ein paar CDs später, hatte er schließlich alles in seinem Rucksack verstaut und machte sich nach einem „Komme heute später! Tschühüüsss!“ auch schon wieder auf den Weg in Richtung Stadt. Heute Abend war er mit einer ganz besonderen Person verabredet, und diese Verabredung würde er sich um nichts in der Welt entgehen lassen. Nach Überquerung zahlreicher Straßen und zweier Brücken kam er schließlich an seinem Ziel an. Schnell schwang er sich von seinem Rad und stellte sich vor das Eisengitter, welches ihm den Zugang zum Anwesen versperrte. Aber er wusste ja, was zu tun war… Umgehend schritt er zu einer kleinen gut versteckten Klingel an der rechten Seite des Tores und konnte schon kurz darauf eine Kamera über sich surren hören. Grinsend winkte er in den Fokus derselbigen hinein. „Hi Niles! Kann ich rein?“ Eine sonore Stimme erklang aus einem der kleinen Lautsprecher. „Master Kaiba ist momentan nicht anwesend, Mister Wheeler.“ Mit diesen Worten öffnete sich das Tor und Joey hörte noch hinter sich die Worte: „Also treten Sie ruhig ein, Master Mokuba erwartet Sie bereits.“ Zwar war es bei der leicht elektronisch entstellten Stimme nicht wirklich auszumachen, aber Joey war sich sicher, einen belustigten Unterton in der Stimme des wohl dienstfertigsten Butlers des Hauses Kaiba vernommen zu haben. Geschwind beförderte er nun sein Rad auf das Anwesen und stellte es in einer wenig einsichtigen Nische ab, ehe er sich dem Portal – anders war der Eingang wirklich nicht zu bezeichnen – zuwandte. Kaum, dass er die ersten Stufen erreicht hatte, wurde ihm bereits geöffnet und mit einem dankenden Nicken trat er an dem ebenfalls blonden Mann mittleren Alters vorbei. „JOEY!“ In rasender Geschwindigkeit kam der längst nicht mehr so kleine Mokuba die Treppe hinuntergestürmt. „Hi Winzling.“ Erfreut über soviel Begeisterung nahm Joey ihn in Empfang. Mit viel Kraft wurde er übermütig einmal in der Gegend herum gewirbelt, ehe er sanft wieder auf dem Boden abgestellt werden musste. Er war halt nicht mehr so leicht wie früher. Jeder wurde älter. Kapitel 3: Halluzinationen -------------------------- Fröhlich plaudernd zog Mokuba Joey in die Küche. „… und dann hat er neulich tatsächlich zugestimmt, mit mir den Vergnügungspark zu besuchen! Du glaubst gar nicht, wie toll das war! Und er hat sich ausnahmsweise mal wie ein richtiger Bruder verhalten - nicht wie ein Geschäftsführer zwischen zwei Verhandlungsterminen. Das war Wahnsinn. Ich glaube, so entspannt wie an dem Tag, war er lange nicht mehr!“ Dem Bericht des erheblich Jüngeren lauschend, schlürfte Joey in aller Ruhe seinen extra für ihn zubereiteten Kakao. Auch Niles hatte sich leise zu ihnen gesellt. Er war keineswegs unerwünscht. Immerhin war er seit Setos Ankunft in dieser Villa in diesem Haushalt angestellt und kannte die beiden Kaibas somit schon einige Jahre. Zudem hatte er sich als Verbündeter ein paar sehr gute Freunde gemacht. Ganz oben auf der Liste: Joey und Mokuba. „Das freut mich wirklich Mokuba. Dann scheint er ja in letzter Zeit wirklich mehr Zeit zu haben.“ ********** Inzwischen konnte man, zwei Straßen entfernt vom Anwesen der Kaibas, einen schwarzen Wagen ausmachen, der auf direktem Wege nach Hause fuhr. In ihm verborgen saß ein schon leicht müder und gereizter Seto Kaiba, welcher es kaum erwarten konnte, noch ein wenig mit Mokuba zu plaudern und dann bald im Bett zu verschwinden. Kaum 5 Minuten später fuhr der Wagen auf das große Privatgelände der Kaibas. Desinteressiert betrachtete Seto sein Grundstück, während sie langsam die Auffahrt hinauf fuhren. Bäume, Sträucher, Rasen, ein Rad, einige kleinere Blumen, ein paar zurechtgestutzte Hecken… Irritiert kniff er die Augen zusammen. Moment mal! /Habe ich jetzt schon Halluzinationen, oder stand da eben tatsächllich ein altes Fahrrad?/ Grübelnd sah Kaiba zurück, konnte aber im Dunkel der Nacht nichts weiter erkennen. /Habe ich mich geirrt? Vielleicht bin ich einfach zu müde ... / Schnell verwarf er seine seltsamen Gedanken. Er hatte all die merkwürdigen Träume in den letzten Nächsten akzeptieren können. Ein am Tag herbei halluziniertes Fahrrad sollte da eigentlich kein größeres Problem mehr für ihn darstellen. Endlich vorm Haupteingang angekommen, stieg er aus, streckte seine Glieder und entließ den Fahrer aus seinem Dienst. Er brauchte ihm nicht zu sagen, dass er morgen früh wieder anwesend zu sein hatte. Sein Fahrer kannte ihn seit Jahren. Dementsprechend schenkte er sich weitere Worte und begab sich auf direktem Weg in die Villa. Das Gebäude hatte ihm früher nie wirklich gefallen. Und selbst jetzt, da Gozaburo Kaiba schon längst fort war, wirkte das Haus bisweilen unheimlich auf ihn. Besonders, wenn er abends alleine war. Sicher gab es einige Angestellte und auch einen kleinen Sicherheitsdienst, welcher über Nacht und teilweise auch am Tage anwesend war, dennoch konnte er das zehrende Gefühl, das etwas Wichtiges fehlte, einfach nicht abschütteln. Besonders penetrant wurde dieser Verdacht dann, wenn Mokuba für ein paar Tage unterwegs war – Klassenfahrt oder Ähnliches. An solchen Tagen verblieb er des Öfteren lieber im Büro. Seufzend und die Tür hinter sich schließend, begab er sich auf die Suche nach seinem kleinen Bruder. Im Bett war er mit Sicherheit noch nicht, das konnte er sich an allen 10 Fingern abzählen. Somit blieben nur noch … ungefähr 34 Zimmer übrig, von denen allerdings nur 2 wirklich in Frage kamen. Zumindest im Augenblick. Ganz oben auf der Liste standen das Wohnzimmer und die Küche. Er wusste längst, dass sein Kleiner sich immer mal wieder abends in die Küche schlich, um sich dort noch das eine oder andere mit Nutella beschmierte Brötchen vor dem Einschlafen zu genehmigen. Aber… solange er nicht vollkommen aus dem Leim ging und sich ansonsten gesund ernährte, wollte er ihm sein Vergnügen gerne lassen. Schmunzelnd sah er kurz in das private Wohnzimmer der Kaibas, ehe er sich dann, innerlich frohlockend, auf den Weg zur Küche machte. Heute endlich, würde er seinen Bruder mal zum Spaß auf ‚frischer Tat’ ertappen. Und er sollte Recht behalten. Er ertappte ihn. Jedoch bei etwas gänzlich Anderem, als zuvor vermutet. Mitten im Schritt innehaltend, starrte er auf die drei Menschen vor ihm. Genauso gut hätten an deren Stelle drei Außerirdische sitzen können. Oder zumindest ein Außerirdischer. Sein Gesichtsausdruck wäre wohl ähnlich entglitten. Wobei ein Besuch von Wesen eines andren Planeten, bei seiner Vergangenheit und seinen Erlebnissen, durchaus im Bereich des Möglichen lag. Insgeheim hatte er mit so etwas in seinem Inneren bereits des Öfteren gerechnet. Joey, Mokuba und auch der Butler sahen auf. Keiner von ihnen hatte den Firmenchef gehört. Weder ihn noch den Wagen, der ihn hergebracht hatte. Erst als dieser wie eine aus Marmor gemeißelte Kopie seiner selbst vor ihnen erschien, sahen sie ein, dass ihr 'geheimes' Treffen wohl nicht mehr ganz so geheim war. Und das Donnerwetter ließ nicht lange auf sich warten. „KÖTER! WAS. MACHST. DU. UM. DIESE. ZEIT. IN. MEINEM. HAUS?“, tönte es laut und deutlich aus Kaibas Mund. Der junge Firmenchef betonte jedes einzelne Wort, um sicher zu gehen, dass seine Frage auch in aller Klarheit bei dem blonden jungen Mann ankam. Joey, selten auf den Mund gefallen, ließ es sich nicht nehmen, den Braunhaarigen noch ein wenig mehr aus der Fassung zu bringen. Interessiert wanderte sein Blick zu seiner Uhr. „Um diese Zeit? Du hast Recht. Es ist spät. Ich komme morgen einfach ein bisschen früher, einverstanden? Wäre gegen 18 Uhr ok?“ Schnaufend und LEICHT wütend sah Kaiba auf den Blonden hinab, welcher ihm gelassen entgegensah. Geschäftig erhob sich derweil der Butler, um die leeren Tassen abzuwaschen. Erzürnt über die Unverfrorenheit, mit der Joey ihm begegnete, griff der Größere den Faden mit knirschenden Zähnen auf. „Du hast hier zu KEINER Zeit irgendetwas verloren!“ „Entschuldige Kaiba, aber diese merkwürdige Uhrzeit ist mir nicht geläufig. Weil, wie du siehst, BIN ich zu EINER Zeit hier.“ Ein weiterer Blick auf die Uhr. „Um genau zu sein ist es jetzt 21 Uhr und 13 Minuten und ich muss dir sagen, dass ich hier in der Gegend noch NIE etwas verloren habe. Was heißt… warte mal… Weißt du eigentlich, wie gut du aussiehst, wenn du so wütend schaust? … Wo war ich? Ach ja! …mein Fahrrad steht draußen, aber weißt du… rein technisch gesehen, habe ich DAS ja noch nicht verloren, weil ich ja weiß, DASS es draußen steht und…“ „WHEEEEEELEEEEEERRRR!“ unterbrach Kaiba ihn in seinem Redeschwall. /In Ordnung. Beruhige dich Seto. Es war heute ein laaaaanger Tag. Du wolltest einen ruhigen Abend mit Mokuba verbringen. Ein bis eben noch unbekanntes Halluzinations – Fahrrad … Stopp! Zurück! Das war ja echt …Jedenfalls steht es vor deinem Anwesen. Mitten in der Nacht. Du kommst in dein eigenes Haus rein und dein kleiner Bruder sitzt mit dem Butler und einem vollkommen übermüdeten Hündchen in der Küche und trinkt … was auch immer... und dann textet dich auch noch… Ich bin überfordert. Eindeutig./ Erneut holte Kaiba tief Luft, um seine verworrenen Gedanken zu einem halbwegs vernünftigem Schluss zu bewegen. /Zusammengefasst: Ich habe keinen Schimmer WAS hier los ist…/ Diesem groben Fazit folgend, sah Kaiba direkt in Joseph Wheelers Gesicht. Mit einigermaßen ruhiger Stimme, rang er sich die für ihn momentan wichtigste Frage ab: „Alsooo… Wheeeler… Was zum Teufel, macht ein vollkommen übermüdeter junger Welpe wie du, zu dieser Uhrzeit auf MEINEM Anwesen, ohne MEINE Erlaubnis und schläft noch nicht zu Hause in SEINEM Bett?“ Grinsend sah Joey ihn an. /Soso… warum ich hier bin, will er wissen… na auf die Antwort wird er wohl warten können, bis er schwarz wird... Aber gut. Müde Drachen soll man nicht reizen.../ Weiterhin grinsend, besah er sich Kaiba noch einmal genauer. Die Arme verschränkt, den Mantel über einen der Arme liegend und in einen schicken schwarzen Anzug gekleidet, sah er sogar ganz passabel aus. Sein erster Hemdknopf war geöffnet und keine elendige Krawatte oder Fliege versperrte die Sicht auf seine pochende Schlagader am Hals. Weiter ließ Joey seine Augen zum Gesicht des Drachen wandern. Dieses schien für ungeübte Zuschauer ein vollkommen normaler und sogar leicht ins Desinteresse abrutschender Gesichtsausdruck sein – für ihn war er das nicht. Kaiba gefiel es nicht, dass er hier war. Und auch wenn ihm das einen kleinen widerlichen Stich versetzte, kam er nicht umhin, sich im Inneren über die lodernden Flammen in Setos sonst so kühlen Augen zu freuen. Seine Beobachtungen ließen ihn einen schwer wiegenden Entschluss fassen… /Müde Drachen sollte man vielleicht nicht reizen… aber ein wenig ärgern ist in Ordnung/ „Nun, da DU offensichtlich nicht in der Lage gewesen bist, dich ein wenig um dein kleines Brüderchen zu kümmern, musste ICH wohl oder Übel einspringen.“ „Sag mir nicht, wie ich mit meinem Bruder umgehen soll.“ Feixend schnappte sich Joey einen von Mokubas Armen und zog ihn zu sich an die Brust. „Wo wir beide doch sooooo gut miteinander auskommen. Kaiba! Du wirst einem deiner besten Freunde doch wohl noch ab und zu deinen Bruder überlassen. Wo du selbst schon so wenig Zeit für ihn hast.“ Fröhlich weiter stichelnd knuddelte er nebenbei den kleineren Kaiba. Dieser hatte indes etwas ganz Entscheidendes begriffen. Während er sich widerstandslos noch einmal von Joey in den Arm nehmen und anschließend durch die Haare wuscheln ließ – eigentlich mochte er das sonst nicht besonders – dachte er kurz an die Wortwahl seines Bruders. /'Was … macht ein vollkommen ÜBERMÜDETER junger Welpe wie du … und schläft noch nicht zu Hause in seinem Bett?' Irre ich mich oder sorgt sich mein großer Bruder um Joey?! Zumindest ein klitzekleines Bisschen?/ Interessiert verfolgte er den weiteren Verlauf des Gespräches. Auf ihn würde hier vorerst ohnehin kaum jemand hören. Er hatte schon seit geraumer Zeit festgestellt, dass Joey großen Gefallen daran fand, seinen Bruder auf die Palme zu bringen und da es sich bei ihm um ein recht verständiges kleines Kerlchen handelte, hatte er einsehen müssen, dass es seinem Bruder selten anders ging, wenn er in Joeys Nähe war. Diese Beiden konnte nur ein Erdbeben oder der liebe Gott voneinander trennen – wenn überhaupt. /Seit wann lässt es sich Moki gefallen, wenn man ihm durch die Haare wuschelt… außer von mir?/ Zu Kaibas Wut gesellte sich durch diese Beobachtung ein Hauch Verblüffung und ein kleines Päckchen Eifersucht. Irgendetwas stimmte nicht. Er wusste nur noch nicht was. Allerdings hatte er auch das untrügliche Gefühl, dass es ihm 1. keiner sagen würde und er heute 2. keinen Nerv mehr hatte, nachzuforschen. Flugs nahm er daher den Fehdehandschuh von Joey wieder auf, um diesen merkwürdigen Abend ein schnelles Ende zu bereiten.. „Ich habe sehr wohl Zeit für meinen Bruder! Außerdem kann er sich jederzeit Freunde nach Hause holen, solange es sich dabei nicht um wild herumlaufende und herrenlose Hunde handelt.“ „Schön. Wenn du so viel Zeit hast, dann geh doch mit mir Fußballspielen.“ Funkelnd sah Joey ihn an und erinnerte Kaiba mit seinen Worten gezielt an ihre Abmachung. „Nur noch mal zum Mitschreiben, Köter: meine Worte waren, wenn ich kurz daran erinnern darf: ‚Zeit für meinen Bruder’. Der Name WHEELER kam nicht im Geringsten in meinem Satzgefüge vor. Außerdem kann ich leider nicht ausmachen, wobei DU mir geholfen hättest.“ Verschmitzt und verschwörerisch lächelnd, sah besagter Wheeler ihn an. „Beim Abreagieren zum Beispiel. Das erspart dir immerhin die Zeit, ins Fitnessstudio zu gehen. Wobei ich sagen muss, dass du wohl noch etwas üben musst, wenn man bedenkt, wie leicht man dich über den Tisch… oh entschuldige... es war ja die Schulter … ziehen kann.“ Bezeichnend sah Kaiba auf Joeys Hose. „Immerhin bin ich noch nicht so schwach, dass ich mich mitten auf den Weg werfe, um nicht nur meine Hose, sondern auch mein Knie endgültig zu ruinieren. Ich bin wenigstens fit genug, um mich abzufangen, wenn ich schon falle.“ Für den Moment aus dem Konzept gebracht, besah Joey sich sein rechtes Knie. /Oh oh. Das muss vorhin auf der Treppe passiert sein... Shit. Doch ne neue Hose. Und durchgeschrammt hat’s auch … hab’ ich bis eben gar nicht gemerkt…/ Da nun für einen Moment Ruhe einkehrte, wagte es auch Mokuba, sich wieder zu Wort zu melden. Flink löste er sich aus der Umklammerung von Joseph und rannte zu seinem älteren Bruder. Treubrav, als wäre nie etwas gewesen, umarmte er ihn liebevoll und verpasste ihm anschließend noch ein kleines Begrüßungsküsschen auf die linke Wange. „Großer Bruder ICH hab ihn eingeladen. DU hast gesagt ich darf das, wenn mir langweilig ist.“ Schmollend und mit Augen in dreifacher Größe, blinkte der Kleine ihn an. Resigniert seufzend machte Kaiba ihn daraufhin auf den kleinen aber feinen Unterschied aufmerksam. „Ich dachte da aber eher an ein paar deiner Freunde oder zumindest Leute in deinem Alter. Und nicht an streunende Hunde.“ Verächtlich sah er zu Joey hinüber, welcher derweil kurz sein aufgeschrammtes Knie untersuchte. „Aber Setooohooo!“ Maulend und schmollend sah der Kleinste der Versammlung zu dem Blonden hinüber. „Er IST doch einer meiner Freunde.“ „Aber Moki…“, wollte Kaiba abermals protestieren, wurde aber sofort wieder unterbrochen. Joey war inzwischen mit seiner Inspektion fertig. Schweigend besah er sich einen Augenblick die traute Zweisamkeit der Kaibabrüder. In einer Ruhe, welche ihm sonst gänzlich uneigen war, schnappte er sich kurz darauf seine mitgebrachte Tasche und reichte Mokuba seine Hand. „Es ist spät. Ich werde jetzt auch verschwinden. Ich will nicht, dass ihr euch vielleicht noch wegen mir streitet. Daher: Auf Wiedersehen und schlaf gut Moki.“ Aufmerksam sah Kaiba zu Joey. So viel Verständnis hätte er dem Kleineren gar nicht zugetraut. Ohne Joeys Einmischung wäre die Länger der Diskussion mit Mokuba kaum absehbar gewesen. Darauf konnte er verzichten. Mokuba war alles, was ihm von seiner Familie geblieben war. Wenn möglich, wollte er jeden Streit zwischen ihm und seinem Bruder vermeiden. Vielleicht, so dachte Kaiba, ging es Joey mit Serenity ähnlich. Auch wenn er seine Eltern noch hatte, so konnte er vielleicht das Band zwischen Geschwistern nachvollziehen, das zwischen ihm und Mokuba bestand. Kaiba ergriff die ihm von dem Blonden gebotene Gelegenheit und begleitete ihn, diesmal ohne weitere Sticheleien, gemeinsam mit Moki zur Tür – wenn auch widerwillig. Dort angekommen wandte sich der Schüler noch einmal an die zwei Brüder. Kurz umarmte er den schwarzhaarigen Jungen und flüsterte ihm, so kam es seinem älteren Bruder vor, wohl einen Gute - Nacht - Wunsch ins Ohr. Immerhin erhob sich sein Kontrahent kurz darauf wieder und reichte ihm beinahe freundschaftlich die Hand. Zögernd griff Kaiba zu. /Wie weich seine Haut ist! Hätte ich dem Köter gar nicht zugetraut. Von weitem sah das nie so aus./ Schnell und mit festem Händedruck schüttelte Joseph dem anderen Duellanten die Hand. Dessen miese Laune verpuffte spätestens jetzt in der Luft. „Also Gute Nacht dann, Kaiba und entschuldige noch einmal, dass ich um diese Zeit in dein Haus eingedrungen bin.“ Gnädig nickte der Angesprochene, ehe er seine Hand wieder zurückzog. Joey schien in diesem Augenblick ein kleiner Teufel zu reiten. Plötzlich schelmisch lachend prophezeite er: „Das nächste Mal komme ich früher, damit wir uns nicht begegnen, einverstanden?“ Über so viel Frechheit sprichwörtlich sprachlos sah Seto dem Anderen hinterher, als dieser in der Dunkelheit verschwand. Der Blonde hatte ihm noch nicht mal die Zeit gegeben, etwas Passendes zu erwidern. Er hasste es, wenn der Kleinere das letzte Wort hatte. Grummelnd schloss er die Tür hinter dem jungen Mann und kam nicht umhin, sich leise zu fragen, ob dieser mit der Schürfwunde am Knie schmerzfrei nach Hause kommen würde. /Was kümmer es mich…?/ Mittlerweile wieder voller Elan, wandte er seine volle Aufmerksamkeit seinem kleinen Bruder zu. „Also Moki! Dann erzähl mal. Wie war dein Tag und was möchtest du am Sonntag gern machen?“ Hoch erfreut endlich alle möglichen Neuigkeiten erzählen zu können, wollte Mokuba gerade loslegen, als ihm der Rest des Satzes auffiel. Stockend hielt er inne. „Also ich habe… Sag mal. Wie meintest du das jetzt? Am Sonntag?“ Liebevoll zu ihm hinunter lächelnd, sah der Größere ihn an. „Ich dachte, wir könnten mal wieder etwas zusammen machen. Der Ausflug in den Vergnügungspark ist nun auch wieder eine ganze Weile her und da heute mein Termin für Sonntag abgesagt worden ist…“ Unausgesprochen ließ er den Rest des Satzes in der Luft hängen. Vollkommen überrascht und aufs höchste durch seine Vorfreude erregt, sah der Kleine Seto mit blitzenden Augen an. Gerade wollte er mit einem Vorschlag herausplatzen, als er sich zögerlich dazu entschloss, mal etwas Anderes auszuprobieren. Selbstverständlich blieb auch dem Älteren das wechselhafte Mienenspiel nicht verborgen. „Was ist los Mokuba? Nur raus damit! Was würdest du gern machen?“ Ihn mit kleinen Hundeaugen ansehend, druckste Moki ein wenig herum. Erst nach ein wenig gut Zureden seitens des Anderen, rückte er mit der Sprache raus. „Also weißt du… ich würde gern mit dir in den Park gehen und… und Fußball spielen oder auch Frisbee. Einfach so. Vielleicht mit einem kleinen Picknick oder so…“ Erst etwas verwundert über den seltsamen Vorschlag, studierte Kaiba das Gesicht des mittlerweile vor ihm zurückgelehnt in einer Couch Sitzenden ganz genau. /Woher hat er denn die Flausen schon wieder? Obwohl./ Kaiba seufzte still in sich hinein. /Ich ahne es schon. Aber gut… ich habe es vorgeschlagen… Und wenn er gerne Ball spielen möchte… spielen wir halt Ball./ Abermals ein Seufzen. /Gut, dass der Köter das hier nicht mehr mitbekommen hat. Das wäre jetzt ein gefundenes Fressen. Ich kann mir seine Klage geradezu bildlich vorstellen./ „Also gut, Moki. Meinetwegen. Aber warum können wir das nicht auf unserem Anwesen machen? Ehrlich gesagt, bin ich vom Park nicht gerade angetan. Ständig läuft dir irgendein Dummkopf in den Ball hinein oder diverse Hunde schnappen sich deine Frisbee – Scheibe. Wie wäre es, wenn wir das hier auf unserem Anwesen machen? Da haben wir unsere Ruhe.“ „Aber SETO! Ich will doch…“ Seufzend und bettelnd sah er zu seinem Bruder. „Was willst du?“ „Ich will doch einmal wie eine ganz normale Familie mit dir spielen. Und normale Familien haben keinen eigenen 200 Hektar großen ‚Garten’ sondern gehen in den Park.“ Eine Augenbraue lupfend blickte Seto berichtigend zu ihm hinüber. „Die Fläche beträgt 245 Hektar.“ „SETO!“ Lachend ergab sich der Braunhaarige als Moki schmollend und mit in die Seite gestemmten Armen vor ihm stand. „Also gut also gut. Ich gebe auf. Am Sonntag gehen wir in den Park und spielen Fußball und Frisbee und Alles, was du sonst noch machen willst. Einverstanden?“ Jubelnd sprang der Kleine ihm in die Arme und schmiegte sich an den Älteren. „So. Aber jetzt ab ins Bett. Wir müssen morgen beide wieder in die Schule.“ Nach diesem aufregendem Tag hatte ausnahmsweise auch der kleinere der Kaibabrüder nichts einzuwenden und begab sich ohne Widerstand zu leisten direkt ins Bett und unter seine Kuscheldecke. Kapitel 4: Vertretung --------------------- Es war bereits nach 24 Uhr, als auch Kaiba an diesem Abend wieder seinen Schlaf fand – wenn auch durchsetzt von wirren Träumen und Erinnerungen an blonde Schöpfe und Apfelduft… ~~~~~~~~~~ „Jono! Gib mir sofort mein Band wieder!“ „Hols dir doch!“ Schnell wie der Wind raste Jono zwischen den zahlreichen Bäumen hindurch, nicht ohne darauf zu achten, dass er zwischendurch stoppte, um seinen Freund näher kommen zu lassen. Doch stets bevor dieser ihn erwischen konnte, entzog er sich wieder seinen Fingern und schwenkte provozierend das rote lange Band hinter sich her. Es war das Band, das Seth nun schon einige Monate tragen durfte, da er mittlerweile in den Stand eines Priesters aufgestiegen war. Seine bisherigen Pflichten waren in diesem Zuge durch ein paar neue ergänzt. Dennoch fand er nach wie vor die Zeit, sich mit seinem heimlichen Freund zu raufen. Schnaufend hielt schließlich auch Jono nach einer weiteren wilden Jagd inne und überreichte ihm übermütig grinsend sein rotes Band. Schnell schlang sich Seth dasselbige um seine Taille, ehe sich beide Kinder wieder ins Gras sinken ließen, um zu verschnaufen. Kinder aus heutiger Sicht. Sie waren gerade erst 12 Jahre alt geworden. Als sich beide etwas beruhigt hatten, sah Jono seinen besten Freund traurig an. Beide Arme um eines seiner Knie schlingend, blickte er schwermütig in die untergehende Sonne. „Hey Jono! Was hast du?“ Mit einem schnell aufgesetzten Lächeln sah der Blonde ihn an. „Nichts. Was soll sein?“ Übertrieben fröhlich schnappte sich Jono einen Apfel und biss herzhaft hinein. „Ich muss dann langsam los…“ „Hmhm. Schon klar… deine Mutter.“ Für einen Augenblick kam es Seth vor, als würde ein tiefer Schmerz über das Gesicht von Jono zucken. Doch der Eindruck war so schnell vorbei, wie er gekommen war. Jono nickte bestätigend und begab sich kurz darauf zum Rand der Tempelmauern. An dieser einen Stelle befand sich einer der höchsten und ältesten Apfelbäume. Er war gerade groß genug, um Jono einen sicheren Überweg zu ermöglichen. „Also dann Jono! Wir sehen uns morgen, ja?“ Stumm auf seinen Apfel schauend biss Jono noch einmal kräftig hinein, ehe er die Reste in die nächste Ecke beförderte. Seth noch einmal die Hand gebend und ihn sogar flink in eine Umarmung ziehend, verabschiedete er sich. Ein wenig irritiert sah Seth zu dem Anderen hinüber. Nie zuvor hatte er ihn umarmt, ehe er sich auf den Heimweg machte. Jedenfalls nicht so… Dann plötzlich wieder voller Energie, hangelte Jono sich auf ein paar der höchsten Äste hinauf, bis er auf dem Einzigen stand, der gerade noch sein Gewicht tragen konnte, ohne zu brechen. Geschickt griff der Blonde nach dem Rand der Mauer und zog sich mit einem kräftigen Ruck nach oben. Kurz sah er noch einmal über den großen ‚Garten’, wie er ihn oft nannte, ehe sein Blick auf Seth ruhen blieb. Irritiert sah dieser zu ihm hinauf und fragte sich, was sein Kumpel noch wollte, als er etwas Rotes in dessen Hand ausmachte. „HEY! WAS SOLL DAS? GIB ES ZURÜCK!“ Lachend winkte ihm Jono und wedelte dabei mit dem breiten Band, das er während der Umarmung heimlich und unbemerkt vom Priester von Seths Taille gelöst hatte. „Keine Sorge! Du bekommst es zurück.“ Mit diesen Worten war er verschwunden und mit ihm das Band. Seufzend und resigniert sah Seth ihm hinterher. Sein Freund brachte ihn noch in ernste Schwierigkeiten. Er brauchte das Teil. Der Oberpriester würde sauer werden, wenn er es nicht schnell wiederbekam. Wehe Jono brachte es ihm morgen nicht zurück! Der nächste Tag brach an. Das Band kam nicht zurück. Ebenso wie Jono. Auch am nächsten Tag und dem Tag darauf, war nichts von ihm zu sehen. Tag für Tag kam Seth zu den Apfelbäumen, in der Hoffnung, sein Freund säße in einer der Kronen und würde ihn nur veralbern. Aber so war es nicht. Nach mehr als einem Jahr, musste auch Seth einsehen, dass sein Freund ihn wohl verlassen hatte und er noch nicht einmal die Möglichkeiten besaß, den Grund herauszufinden. Von da an konzentrierte er sich vollends auf seine Ausbildung und wurde zusehends verschlossener. Jono. Er war sein Freund gewesen. Nicht ohne Grund der einzige. Auch wenn Seth ihm den Verrat nicht vergessen konnte, so nahm er sich doch vor, sobald wie möglich herauszufinden, was geschehen war. Er war nicht dumm. Des Öfteren hatte ihm der Kleine von seinem schweren Leben hinter diesen hohen Mauern berichtet. Als halbes Kind eines Ausländers hatte man es in den Straßen der kleinen nahe gelegenen Stadt Asyut wohl eher schwer. Doch wie schwer, das ahnte Seth, der bis dahin ein eher behütetes Leben geführt hatte, nicht. Und auch wenn er sich fest vorgenommen hatte, ihn auf keinen Fall zu vergessen, so verdrängte er doch unbewusst die Erinnerung an ihn. Von dem Augenblick an, da er das Fortgehen und den Verlust seines besten Freundes akzeptierte, begann er nach vorne zu blicken. Immer wieder kamen im Laufe der Jahre, da er seine Ausbildung zum Priesteramt bestritt, Nachrichten von Krieg und Verwüstung zum Tempel. Damals entschloss sich Seth, seine ihm angeborene Gabe zu nutzen und erbat sich vom obersten Priester des Tempels die Erlaubnis, nach seiner Ausbildung in der Hauptstadt sein Wissen zu erweitern. Dieser stimmte dem freudig zu, sah er in dem jungen Mann doch großes Potenzial. Und er sollte mit seiner Ahnung Recht behalten… ~~~~~~~~~~ Sich unbewusst in alle Richtungen dehnend, erwachte Seto langsam aus seinem so unruhigen Schlaf und konnte wider Erwarten einen schmerzhaften Stich und das Gefühl eines großen Verlustes in seiner Brust spüren. Diese ‚erträumte’ Geschichte, erschien ihm nicht zum ersten Mal so real wie sein gegenwärtiges Leben. „Jono“, murmelte er leise den Namen des blonden Schopfes vor sich hin. Dieses Mal hatte er den Namen nicht vergessen, auch wenn die Gestalt des Jungen für ihn schemenhaft und wie im Nebel verborgen blieb. Immer seltener dachte er an einen eventuell vorhandenen ‚merkwürdigen Zufall’. Am Anfang hatte er dem Vollmond, dann dem Neumond und schließlich seiner neuen Matratze die Schuld gegeben, bis er einsah, dass diese Träume nur halb so wirr waren, wie sie schienen. Hatte er mit der Zeit nicht schon längst akzeptiert, was um ihn herum geschah? Er war keineswegs ignorant. Selbst ihm war die große Ähnlichkeit zwischen Atemu und Yugi aufgefallen und dass ein vermisster Bruder einfach so vom Himmel fiel – sollte jemand anderes glauben, er jedenfalls tat es nicht. Im Gegenteil. Inzwischen war er sogar bereit anzunehmen, dass diese Träume ihm bruchstückhaft seine eigene Vergangenheit zeigten, und auch, wenn das für ihn beinahe unvorstellbar erschien, so wusste er im Innersten doch, dass dies die Wirklichkeit war. Wenn er sich nur an die ganzen Träume erinnern könnte! Er hatte sogar schon angefangen, Buch zu führen. Gleich nach dem Aufstehen schnappte er sich dasselbige von seinem Nachtschrank und lehnte sich kritzelnd in die Kissen zurück. Gleich unter seinen letzten Eintrag ‚Blondes Haar’ ‚Tempelbezirk’ setzte er nun die Worte: ‚Jono’ ‚Rotes Band’ ‚Priesteramt’. Mehr fiel ihm nicht mehr ein. Er wusste weder, warum ihm immer wieder ein rotes Band vor Augen erschien, noch was es bedeutete oder den Grund, warum er sich gerade dieses Mal an den scheinbaren Namen des Spielkameraden erinnern konnte. Aber er spekulierte einfach mal, dass es mit den immensen zwiespältigen Gefühlen in seinem Innern zusammenhing, welche er vorhin zu spüren bekommen hatte. Nachdem das erledigt war, widmete er sich wieder dem momentanen Jahr und der momentan realen Stadt, welche ihn jeweils beide aus verschiedenen Gründen in die Schule riefen. ********** Etwas später am Tag ********** Wie immer vor Beginn der ersten Stunde saß Kaiba, mit Handy, Laptop und diversen Datenträgern bestückt, etwas weiter entfernt von den Heerscharen an Schülern, welche zu dieser Zeit einzutrudeln pflegten, auf einer Bank des Schulgeländes. Wiederholt ging er einige Daten durch und konnte beim besten Willen keine Fehler in dem Modul entdecken. Es war nicht so, dass ihn das störte, im Gegenteil, aber irgendwie… Früher hatten seine Mitarbeiter mehr als genügend Fehler für ihn übrig gelassen, für die er sie zusammenstauchen konnte und jetzt? /Verdammt. Eigentlich sollte doch alles in Ordnung sein. Keine Fehler = mehr Freizeit und = weniger zum Korrigieren und somit auch weniger Sorgen… Warum macht mich die Abwesenheit von diversen Programmierblackouts so misstrauisch? Oder sollte ich sagen: besorgt?/ Seufzend schloss er vorerst seinen Laptop. Es hatte zum Unterricht geklingelt. /Wahrscheinlich machen mich die Sorgen meines kleinen Alter – Ego auch noch in der Wirklichkeit so richtig schön fertig. Ich sollte wirklich bald irgendwas gegen diese Träumerei unternehmen…/ Nachdem er zu diesem Entschluss gekommen war, packte er auch den Rest seiner Sachen zusammen und begab sich langsam, um nicht mit einem dieser Nieten, die hier so rumstromerten, in Kontakt zu kommen, in Richtung Schulgebäude. Vorbei an den Fahrradständern und einigen mickrigen Beeten, wollte er gerade elegant die Tür öffnen, als er mit einmal quietschende Bremsen hinter sich vernahm. Nun… auch ein Kaiba war ein Mensch und da gleich danach auch noch ein herzhaftes Fluchen hinterher kam, obsiegte letztlich doch die angeborene Neugierde. Diese hätte er sich allerdings sparen können. Aus Kaibas Sicht, gab es nur einen Schüler an dieser Schule, welcher mit guter Regelmäßigkeit zu spät kam und dabei auch noch so viel Aufmerksamkeit auf sich zog, dass selbst manch Lehrer nicht umhin kam, seine verspätete Ankunft zu registrieren. Auch diesmal sollte er Recht behalten. „Wheeler.“ Ein klein wenig hämisch grinsend konnte er sehen, wie dieser gerade sein Fahrrad wieder in eine aufrechte Position brachte, um sich gleich darauf den Staub von der Hose zu klopfen. Es gelang ihm mehr schlecht als recht, so dass der kleine Tollpatsch hinterher sogar teilweise noch dreckiger war als vorher. „Es ist nicht nötig den Boden zu küssen, auf dem ich vor dir wandelte.“ Zornig zuckte der Kopf des Hingefallenen hoch. Streit am Morgen, genau DAS was er jetzt gebrauchen konnte. „Hör zu, du Arschloch, ich würde noch nicht mal freiwillig dein Haus betreten, wenn ich es deinem kleinen Bruder nicht versprochen hätte, geschweige denn den Boden küssen, auf den du deine Stinkstiefel gesetzt hast.“ Mit diesen Worten machte er sich daran, sein Fahrrad anzuschließen, hielt aber noch in der Bewegung inne. Ungesehen von Kaiba huschte ein kleiner Schatten über das Gesicht des Blonden und seine Augenbrauen zogen sich überlegend und mit einem Hauch von Sorge in Richtung Nasenspitze. Schnell kaschierte er seine Gedankengänge durch das Befestigen des Schlosses. Schon Sekunden später, als er sich wieder an den Firmenchef wandte, war von all dem nicht mehr viel zu sehen. Seine Stirn präsentierte sich glatt und ohne Falten und seine Mundwinkel versuchten mit aller Macht das linke und rechte Ohr zu erreichen. „Und außerdem…“, so grinsend griff er nach einem großen Umschlag, der bis eben noch ungesehen in seinem Fahrradkorb geruht hatte. „An deiner Stelle würde ich seeeehrrrr vorsichtig sein, was ich zu mir sage. Sonst landet das hier“, angelegentlich hielt er das braune Papier an zwei spitzen Fingern hoch, "umgehend in der nächsten Müllverbrennungsanlage." Mit beinahe unbewegtem Gesichtsausdruck starrte Kaiba auf den Kleineren. Warum hatte er gerade das untrügliche Gefühl, verarscht zu werden? Und das mal nicht aus dem Grund, weil Wheeler das IMMER tat. Merkwürdig… Aber seine Grübeleien wurden von Joey schon kurz darauf zerstreut. Mit beinahe schon beschwingtem Schritt kam der Blonde auf ihn zu und hielt ihm den Umschlag direkt unter die Nase. Einen großen Umschlag. Einer der, wie er bemerken konnte, an ihn, Seto Kaiba, PERSÖNLICH adressiert war. Und nicht an verdreckte blonde Köter. Trotz der Tatsache, dass Kaiba diesen Titel sonst nur Joey Wheeler zugedachte, fing er an, den etwas Kleineren bitterböse anzuknurren wie … ein Hund. Ein gereizter Hund. Auch Joey bemerkte diesen Umstand sofort und verbuchte es als Pluspunkt auf seinem „Streitkonto“. Als er sich mit einmal am Kragen gepackt fühlte, kam er nicht umhin – als Ausgleich sozusagen – Kaiba vollkommen ruhig und kühl anzustarren. „Ich frage dich das nur EIN Mal, Wheeler. Seit wann hast du PERSÖNLICHE Post der Kaiba Corporation und WIE bist du an sie herangekommen? An Sachen, die in deinen Händen nicht das Geringste verloren haben? ALSO? ANTWORTE!!“ /Wow. Der ist ja geladen. Gut gemacht, Joey. Das solltest du unbedingt demnächst wiederholen.../, gratulierte er sich im Stillen. /Aber wenn er unbedingt eine Antwort haben will… / Sich dem anderen gerade um ein Vielfaches überlegen fühlend, wedelte er mit dem Umschlag vor Kaibas Nase herum. „Sollte ich dich fragen.“ Nun doch etwas aus dem Konzept gebracht, ließ Kaiba vorerst zumindest den Kragen des Blonden los. In aller Ruhe knöpfte sich Joey sogleich wieder ordentlich zu und noch während er seinen Kragen mit einer Hand wieder versuchte zu richten, fuhr er fort. „Seit wann…“, er richtete seinen absolut empörten Blick wieder auf Kaiba „werde ich hier als dein persönlicher Postbote beschäftigt?“ /Drehen wir den Spieß doch mal um./ Nun erst richtig in Fahrt gekommen, drückte Joey die scheinbar wichtigen Papiere in diesem Umschlag an dessen Brust, wobei der Braunhaarige diese unwillkürlich festhielt. „Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich einem eiskalten Arschloch wie dir, ständig die Post hinterher tragen soll, nur weil wir zufällig in dieselbe Klasse gehen und ich mich ein paar mal mit dir ‚unterhalte’. Wobei ich nicht behaupten könnte, dass wir je ein ernsthaftes Gespräch geführt hätten. Streit trifft es eher. Und ich bin gerade ziemlich wütend, wenn man bedenkt, dass du jetzt auch noch drauf und dran gewesen wärst, mein Hemd zu ruinieren, nur weil ich ausnahmsweise zu deinem Briefträger berufen wurde. Du kannst froh sein, dass ich das Zeug nicht in den nächsten Gulli geworfen oder die Zeichnungen verschandelt habe. Aber NEIN! Anstatt dessen werde ich auch noch halb von dir in die Mangel genommen, anstatt auch nur ein kleines DANKE von dir zu hören, was ja meiner Meinung nach durchaus angebracht gewesen wäre, wenn man bedenkt, dass ich wegen dieser bescheuerten Unterlagen beinahe zu spät gekommen und auch noch fast hingefl…“ Genervt legte Kaiba dem unter einem Rede-Bann zu stehenden Joey eine Hand auf den Mund. „Ist ja gut. Ich hab’s verstanden.“ Mit funkelnden Augen und in die Seite gestemmten Händen sah Joey herausfordernd auf die Hand auf seinem Mund und danach in Kaibas Augen. Dieser Blick war bezeichnend. Sogleich wurde die Hand wieder entfernt, als hätten sich gewisse Personen die Finger verbrannt. In der anderen Hand die erbeuteten Unterlagen und den Laptop, wandte sich der Firmenchef nun endgültig um und schritt in das Gebäude. Ein läppisches ‚Danke’ an den obligatorischen Briefträger zurückwerfend, begab er sich ins Klassenzimmer. Nachdem er kurz die Zeiger seiner Uhr kontrolliert hatte, bemühte er sich schließlich sogar, einen Schritt zuzulegen, so dass er das freche und irgendwie auch erleichterte Grinsen seines Klassenkameraden gar nicht mehr registrierte. /Mokuba hatte doch Recht. Eine Runde zutexten und alles ist in Ordnung./ Tja, Joey konnte wirklich zufrieden sein, immerhin hatten diverse Firmenchefs durch gedachtes ‚zutexten’ nicht einmal bemerkt, dass er eigentlich noch längst keine Antwort auf seine Frage erhalten hatte. Wie war Joey an die Unterlagen gekommen? Das würde wohl für eine Weile noch das Geheimnis des Kleineren bleiben. Mit diesem letzten Gedanken marschierte nun auch Joey den Rest des Weges entlang und kam nur ein paar Sekunden nach seinem Kontrahenten in der Klasse an. Der Lehrer sagte ausnahmsweise nichts … beziehungsweise konnte es nicht tun, denn, wie Joey kurz darauf mitgeteilt bekam, war heute Freiarbeit angekündigt: Ihr Lehrer war plötzlich erkrankt und hatte nur noch ein paar Aufgaben für die Schüler durchgefaxt, welche diese dann am Ende der Woche im Sekretariat abgegeben sollten. Im Stillen freute sich der Blonde, da er auf diese Weise wenigstens in seinem eigenen Tempo arbeiten konnte. Sobald Joey seine Aufgaben allerdings in der Hand hielt, verging ihm das Lachen. Bereits beim Durchlesen zog sich sein Gesicht merklich in die Länge. Yugi und Tea, die sein immer muffligeres Antlitz bemerkten, versuchten, ihn ein wenig aufzumuntern. „Ach komm schon Joey! Das schaffst du schon.“ „Ja genau! Yugi hat Recht und wenn nicht, dann helfen wir dir später.“ Derweil ging Joey etwas ganz anderes im Kopf herum, als seine Freunde es vermuteten. /Man man man… die Arbeitsblätter kenn’ ich doch! Alles Wiederholung. Das hatten wir doch in der 8. schon mal irgendwann. Können die sich nicht mal was Neues ausdenken?/ Resignierend sah Joey zu seinen Freunden und bemühte sich um ein zerknirschtes Gesicht. Wobei dies noch nicht einmal gespielt war, denn die vor ihm liegenden Arbeitsblätter schafften es tatsächlich seiner vormals guten Laune ein Ende zu bereiten. „Ne, lasst man Leute. Ist echt nett gemeint, aber ich pack das schon…“ /…in weniger als ner halben Stunde./ Es waren gerade 10 Minuten vergangen, da legte Joey bereits das dritte Blatt beiseite. Ein anderer Lehrer hatte sich nach den ersten 5 Minuten zu ihnen gesellt, um sie zu beaufsichtigen. Es handelte sich um einen recht stattlichen älteren Herren, der es voraussichtlich nicht dulden würde, wenn er versuchte, früher abzuhauen. Joey kannte ihn… Also wandte er sich dem nächsten Blatt mit hochgezogenen Augenbrauen zu. /Oookaay… selbst wenn ich mich richtig anstrenge…/ er starrte konzentriert auf die 5 Textaufgaben aus dem Physikbereich. /… und so langsam schreibe wie möglich…/ Die letzte Aufgabe war durchgelesen… /gebe ich diesem Blatt im höchsten aller Fälle…/ und ein kurzer Blick auf den Sekundenzeiger seiner Uhr folgte… /sagen wir... 7 bis 8 Minuten./. Er war erledigt. Eindeutig. Dennoch fing er so langsam an zu schreiben, wie es ihm möglich war, und versuchte zwischendurch immer wieder, sich durch Kritzeleien am Rand abzulenken und Zeit schindend zu beschäftigen. Nebenbei frönte er noch zwei weiteren Hobbys: Kaiba beobachten, wie er, ebenso wie er selbst, seufzend auf seine Unterlagen sah, die direkt neben ihm auf dem Tisch lagen und … zeichnen. Kritisch blickte er auf das bis eben noch weiße Blatt herunter, welches er heimlich unter den Arbeitsblättern postiert hatte, um einen weiteren Strich in Augennähe hinzuzufügen. Immer wieder korrigierte er verschiedene Kleinigkeiten, fügte Neues hinzu und radierte Verworfenes weg. Es waren nicht mehr als Skizzen, aber sie hatten Potential, wie er nach einiger Zeit zufrieden feststellte. Nebenbei löste er immer wieder irgendeine der vor ihm liegenden Aufgaben und merkte gar nicht, wie er nach etwa einer halben Stunde gänzlich zum Zeichnen überwechselte. Mit einem weiteren, etwas länger ausfallenden Blick, betrachtete er Kaibas Profil. Eben jener war gerade ebenfalls in Zeichnungen vertieft. So schien es jedenfalls, denn interessiert und konzentriert blätterte er immer wieder in seinen Unterlagen, was Joeys Vermutung bestätigte, dass dieser schon seit geraumer Zeit mit den Aufgaben fertig war. Des Öfteren konnte der Kleinere auch einen Blick auf die Bilder werfen, wenn er eine der Grafiken wendete, um sich der nächsten zu widmen. Ab und zu fuhr er scheinbar sinnierend und in Gedanken versunken einige Konturen nach, setzte hier einen kleinen Hinweis, dort kleine Verbesserungen, aber im Großen und Ganzen schien ihm zu gefallen was er sah. /Ja. Ja, das gefällt mir. Diese Neukreation des ‚schlafenden Dachses’ oder … wo war es doch gleich…/ Suchend ging Kaiba noch einmal die Illustrationen durch. /…ahja da! Genau. Die ‚singende Harfe’ und der ‚verschlossene Krieger’. Gar nicht schlecht. Ich denke, dass kann ich größtenteils schon an die Techniker schicken. Da muss ich wirklich nichts mehr machen. Einzig wären noch die Beine von… wo war doch gleich die Stelle?/ Wieder folgte dem Gedanken eine suchende Hand, die schon nach kurzer Zeit Ziel gerichtet nach einem kleinen Gnom auf einem Baum griff. /Ja, die war es. Hier müsste dann noch…/ Geschwind überzeichnete er ungefähr – mit Bleistift – wie er sich die Beinbekleidung eher vorstellen könnte. /Ja. So geht’s. Sah doch vorher eher wie ein Affe aus… mit der Beinbekleidung wirkt es gleich irgendwie … komisch, aber alles was mir dazu einfällt ist … menschlicher… Na gut. Soll ja eben kein Affe sein, der sich auf Bäumen lang hangelt sondern eher ein ziemlich … verkniffener kleiner Mensch./ Zufrieden mit seiner Idee, schob Kaiba den Entwurf zur Seite und wandte sich der nächsten zu, ohne den Blick zu bemerken, der noch immer auf ihm ruhte. /Wie es ausschaut wird seinen Technikern demnächst wieder viel Arbeit ins Haus stehen… Na, wir werden sehen…/ Mit diesen Gedanken schickte Joey sich an, weiter an seiner Skizze und seinem fast fertigen Entwurf herumzukritzeln, als unvermittelt Herr Koriami vor ihm auftauchte. „Ich nehme an, Sie sind Herr Wheeler?“ kam die von Joey bereits seit einer halben Stunde erwartete bescheuerte Frage. „Ja.“ /Blitzmerker. Wo ich doch an dieser Schule seit 6 Jahren Unsinn am laufenden Band produziere und Sie im letzten Schuljahr sogar einen meiner Fußbälle abbekommen haben.../ Nicht, dass es damals seine Absicht gewesen wäre. Aber er musste zugeben, dass sein kurz aufflackerndes Mitleid für den Lehrer ,nicht dazu geführt hatte, dass er ihn länger als eine Vertretungsstunde in seiner Nähe wissen wollte. Er verabscheute den Kerl. Der Mann schikanierte alle Schüler, die er nicht leiden konnte und hofierte lediglich seine mehr als offensichtlichen Lieblinge. Er war ein Arsch, wenn es darum ging, Schülern zu helfen und meist mehr daran interessiert, selbst in einem guten Licht zu glänzen, statt tatsächlich seiner Aufgabe als Lehrperson nachzukommen. Auch Joey hatte er bereits das ein oder andere Mal mit einem Überraschungstest oder Ähnlichem bloßstellen wollen. Damals hatte es ihn bereits in den Fingern gejuckt, den Spieß einfach umzudrehen. Bisher hatte er sich noch zurückhalten können. Ob er das heute auch schaffen würde… lag allein an ihm. Mit diesem letzten Gedanken nahm das Unglück des Mannes seinen Lauf. „Nun, Sie wundern sich sicher, woher ich das so genau weiß, wo wir doch seit einigen Jahren so kaum das Vergnügen miteinander hatten.“ /Hat er gerade wirklich die verkorkste Satzstellung …’so kaum’ verwendet?/ Joey verdrehte innerlich die Augen und ermahnte sich selbst zur Ruhe. Der Blonde wollte sich eigentlich mit niemanden mehr anlegen. Die Phase der Rebellion hatte er hinter sich. Der Einzige, bei dem es Spaß machte, ihn zu reizen, war Kaiba. Bei allen anderen hielt er sich bereits seit Langem zurück. „Um ehrlich zu sein: Ja.“ „Nun, das mag verständlich sein. Immerhin hatten Sie seit der achten Klasse keinen Unterricht mehr bei mir. Ich hätte Sie bei der Masse an Schülern, die ich täglich unterrichte, wohl auch fast vergessen können, wenn da nicht dieser eine Vorfall vor einem Jahr gewesen wäre…“ /Ein Vorfall, den man nicht vergessen kann? Ich kann NICHTS vergessen, das ist ja mein Problem! Schon gar kein knallrotes Gesicht, das von einem Fußball getroffen wurde!/ Bei dem Gedanken an dieses schöne Bild vor seinem geistigen Augen zuckten seine Mundwinkel verdächtig. Doch Joey hielt sich weiterhin zurück, wusste er doch, dass er den Lehrer sonst des Vergnügens beraubte, ihn über seine fehlenden Erinnerungen aufzuklären. Ein wenig Spaß wollte er dann doch noch haben. /Nicht grinsen Joey! Ganz ernst aussehen…na klappt doch… Und jetzt noch die Mundwinkel etwas nach unten… / Beinahe bedauernd sah er zu dem Lehrer hinauf… und fast alle anderen Schüler der Klasse zu ihnen hinüber. Natürlich mit einem Gesichtsausdruck, als würde ihnen das alles eigentlich am Arsch vorbei gehen, was hier gerade geschah. Wahlweise taten sie auch so, als würden sie angestrengt über ihren Aufgaben brüten. Spanner! „Also ich muss sagen… dass ich Sie wohl TATSÄCHLICH nicht mehr so recht in Erinnerung behalten konnte. Aber ich glaube, dass SIE mir da sicher weiterhelfen können.“ Als könne er kein Wässerchen trüben, sah Joey zu Herrn Koriami. Dieser überschlug sich fast vor Hilfsbereitschaft und klärte ihn gern auf. Den unterschwelligen Sarkasmus in der Wortwahl Joey entging ihm dabei offenbar vollkommen. „Nun, vielleicht hilft Ihnen die Erinnerung an einen Fußball und eine kaputte Brille weiter. Immerhin war es Ihr Ball, der für mich zu einem längeren Aufenthalt in einem Krankenhaus führte. Ich bin sicher, Sie erinnern sich noch an das Gespräch mit dem Direktor.“ /... wie … subtil … Aber gut./ Joey atmete einmal tief durch, ehe er seinen besten ‚Es-tut-mir-ja-alles-so-schrecklich-leid-Blick‘ aufsetzte. Eines von Herrn Koriamis Markenzeichen war seine gestelzte Art zu reden. Joey ließ es sich nicht nehmen, ihm in dieser Hinsicht einen Spiegel vorzuhalten. Allerdings bezweifelte er, dass der Mann schlau genug war, um das zu registrieren. „Oh ja! Jetzt, wo Sie es erwähnen! Also SIE waren derjenige welcher damals… oh das tut mir so schrecklich leid! Ich bitte natürlich noch einmal aufs allertiefste um Vergebung, aber wie ich sehe, scheinen ja keine weiteren Narben verblieben zu sein. Somit freut es mich natürlich umso mehr, Sie heute hier bei bester Gesundheit anzutreffen. Wo Sie doch gewiss wenig Zeit haben und dass Sie sich DARAN erinnern… also wirklich ich meine… das tut mir SO UNENDLICH leid… und…“ Der Mann nickte zufrieden. Großzügig abwinkend sah der ältere Herr zu Joseph Wheeler. Die offen zur Schau getragene Ehrerbietung Joeys schien ihm einerseits zu schmeicheln andererseits auch peinlich zu berühren. „Schon gut, mein Junge. Wenden wir uns nun anderen Dingen zu, das sind doch alte Geschichten.“ /Treffer. Versenkt./ „Oh danke, Herr Koriami. Wirklich sehr freundlich von Ihnen.“ „Jaja, schon gut. Also, was ich wissen wollte ist der Grund, warum Sie sich so gar nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Wie man mir zu Ohren trug, täte es Ihnen wirklich gut, vor allem jetzt im Abschlussjahr, ein paar gute … Tendenzen aufzuzeigen.“ /Ich WUSSTE es. Also DOCH noch Standardtext. Das ist schlecht. Für ihn./ „Ja ich weiß, dass es mit meinen Noten nicht zum Besten steht…“ Joey schaute scheinbar zerknirscht zu Boden. „Köter. Nicht zum Besten? Du stehst ganz unten in der Nahrungskette und darüber solltest du dir im Klaren sein“, mischte sich Kaiba von der Seite ins Gespräch mit ein. /Das Gelaber vom Köter war ja nicht zum Aushalten. Kann ihn ja irgendwie verstehen… bei dem Typ. Aber den Mann so an die Wand zu reden… Immerhin kenne ich das Hündchen gut genug, um zu wissen, wann er jemanden auf die Schippe nimmt. Das macht er mit mir schließlich schon seit Jahr und Tag. Auch wenn er sich bei dem Koriami schon arg zusammenreißt, wie mir scheint./ „Was mischst du dich da bitteschön ein? Was gehen DICH bitte meine Noten an, Mister Super – Intelligent?“ „Du sagst es. Ich bin intelligent im Gegensatz zu dir. Jedes Genie braucht einen Gegenpol, jemanden am hinteren Ende der Schlange und DU bist geradezu prädestiniert dazu. Denn du stehst ganz unten. Nenn es ‚strohdumm’, falls dir gerade keine andere Bezeichnung für das Gegenteil zu ‚intelligent’ einfallen sollte.“ Sofort angestachelt ging Joey auf den Streit ein. Endlich ein Gegner, mit dem sich das Messen lohnte. „Lieber strohdumm als so ein verkorkster Eisklotz zu sein wie du. Allein an der Spitze? Genau da passt du hin. Der Kopf einer Schlange wird immer als erstes abgeschlagen, während der Schwanz noch zuckt. Vergiss das nie, oh großer Kaiba.“ „Ja. Weil der Schwanz zu dumm ist, um zu wissen, wann er verloren hat.“ „Nein. Er will nur lieber den Rest seiner Kraft dazu nutzen, dem Schlangenkopf noch mal eins auf den Schädel zu geben, für die Dummheit, sich abtrennen zu lassen.“ „So was kannst natürlich nur du von dir geben, Köter!“ Höhnisch sah Kaiba zu ihm hinüber. „Seine letzte Lebenskraft für so einen Firlefanz zu verbrauchen… tz.“ Spöttisch zuckten seine Augenbrauen. Doch Joey strahlte ihn nur besserwisserisch an. Schief grinsend meinte er: „Na klar. Immerhin soll sich der Schlangenkopf im nächsten Leben doch daran erinnern, was er falsch gemacht hat, um seinen Fehler nicht zu wiederholen und sich wieder töten zu lassen.“ Verblüfft sah Kaiba ihn an. Vollkommen mit sich zufrieden widmete Joey seine volle Aufmerksamkeit dem wieder nicht minder still gewordenen Lehrer zu, der nach wie vor an seinem Tisch verweilte. „Wo waren wir? Bei meinen Noten, nicht wahr?“ Zuvorkommend half Joseph dem leicht desorientierten Mann auf die Sprünge. „Ja! Genau. Also, was ich sagen wollte… Sind Sie im Lösen der Aufgaben bereits so weit voran geschritten, dass Sie es sich erlauben können, sich diversen anderen Aktivitäten zuzuwenden und…“ Wortlos reichte Joey dem nun ganz aus dem Konzept gebrachten Herrn seine Blätter. Schnell steckte er seine Stifte ein. Die Lust daran, den Mann auflaufen zu lassen, war ihm vergangen. Streit mit Kaiba war eindeutig interessanter. Er hatte auf einmal wahnsinnigen Hunger. Und da man bei Hunger für gewöhnlich essen sollte, wollte er dem Anrecht seines Magens nicht durch langes Geplänkel im Wege stehen. Kurz nur beugte er sich zu ihm hin und gab ihm durch ein paar wenige geflüsterte Worte zu verstehen, dass er durchaus wusste, mit wem er gesprochen hatte. „Sie sind 52. Sie verdienen genügend Geld um sich und Ihrer Tochter Sarah einen angenehmen Lebensstandard zu sichern. Sie sollten Ihr Leben genießen, statt sich über meine Noten den Kopf zu zerbrechen. Einen schönen Tag noch. Ich habe Hunger.“ Joey ließ ihn, auch wenn der andere etliche Versuche startete, nicht noch einmal zu Wort kommen. In diesem Moment wollte er nur noch raus, und da er bereits seit Längerem mit dem Schreiben fertig war, hatte er nicht mehr den Nerv, sich in Unwissenheit zu üben. Der Lehrer konnte darauf so schnell nichts entgegnen und starrte stumm auf die geschäftigen Hände, welche die wichtigsten Sachen - Jacke, Portemonnaie und Schlüssel - zusammenkramten, um sich gleich darauf noch einmal zu verabschieden. „Nun, wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich meinem Verlangen nach Essen den Vorzug geben und mich, da ich Ihnen meine Aufgaben hiermit alle überlassen habe – gleich ob nun richtig oder falsch /natürlich sind sie richtig, aber das müssen SIE ja noch nicht wissen/ bis auf Weiteres in die Mensa zurückziehen. Guten Tag.“ Immer noch sprachlos über so viel Unverfrorenheit, konnte er dem jungen Mann nur hinterher starren. Ebenso wie alle anderen in der Klasse, sah Kaiba ihm nach. /Dabei dachte ich wirklich, du hättest inzwischen was dazugelernt. Nach der Eins gestern… aber anscheinend… habe ich mich geirrt. … … Schade./ Mittlerweile vollends aus dem Konzept gebracht, sah Kaiba ein letztes Mal auf seine Unterlagen, ehe er sie resigniert zusammenpackte. Er würde sich momentan sowieso nicht länger konzentrieren können. Schnell griff er sich seine Laptoptasche, steckte die Unterlagen sorgfältig in eine der Seitentaschen und begab sich anschließend auf direktem Wege zu Herrn Koriami, welcher sich inzwischen wieder an seinem eigenen Tisch befand – und die Blätter von Joey durchsah. Kühl blickte Kaiba auf den Hinterkopf des Mannes hinunter, ehe er diesem seine eigenen Aufgaben auf den Tisch legte. Entgegen seiner Erwartungen, sah der ältere Herr jedoch nicht einmal auf. „Ich werde mich dann ebenfalls zum Essen begeben.“ „Jaja… gehen Sie nur. Sie wissen ja wo die Tür ist. Morgen wieder pünktlich. Hier.“ Ohne Sinn und Verstand zusammengesetzte Worte quollen aus dem Mund des Sitzenden hervor, welcher sich vollkommen in die Aufgaben vertieft zu haben schien. In diesem Augenblick konnte der Firmenchef nicht mehr widerstehen und riskierte ebenfalls einen Blick. Langsam beugte er sich vor und nahm Einsicht in die eigentlich vertraulichen Blätter. Zwar lag nur eines oben, dennoch war sich Kaiba beim Überfliegen mit einmal vollkommen sicher, dass dieses Blatt keinen einzigen Fehler enthielt. Aber gut. Das musste nichts heißen. Immerhin handelte es sich dabei um den Kunst – Fragebogen. Und, wie alle wussten, war Kunst eines der wenigen Fächer, in welchen sich Joey Wheeler schon immer angestrengt hatte. Trotzdem… irgendwas war hier merkwürdig. Noch war dieser Gedanke, den er nicht in Worte kleiden konnte, schlüpfrig wie ein Fisch und entglitt unentwegt seinen Händen. /Aber um die Lösung diverser Knoten in meinen Gedanken, werde ich mich später kümmern müssen. Ich habe noch zu arbeiten./ Kapitel 5: Sonntagsausflug -------------------------- Über die ganzen Grübeleien und einem großen Arsenal an Arbeit verging die Zeit in den folgenden Tagen schneller als gedacht. Der Sonntag brach an. Die Sonne schien vom Himmel. Die Vögel lachten und nur einige wenige Schäfchenwolken drehten auf herrlich blauem Grund ihre Runden. Ein wunderbarer ruhiger Sonntag eben, wie er im Buche stand. „SEEEEEETOOOOOOOOOOOOOO!!!!!!“ Nun ja... Vielleicht mehr laut als ruhig.... Aber es blieb unzweifelhaft Sonntag. Grummelnd erhob sich gerufene Person von seiner Bettstatt und sah sich blinzelnd um. Nein. Nein, er war definitiv nicht mehr im Tempelbezirk des Anubis und ja, er wollte unbedingt dorthin zurück. Auf der Stelle. Ganz fest kniff Kaiba die Augen zu, in der Hoffnung, der Anblick eines kleinen schwarzhaarigen Jungen in Shorts und T-Shirt würde verschwinden. Hatte schon jemand etwas von dem Fußball erwähnt, welcher unter dem linken Arm des Jungen seinen Schrecken verbreitete? Oder von der quietsch orangen Frisbeescheibe, die einem Schutzhelm gleich auf Mokubas Haupt saß? Nein? Dann sollte man das auch lieber lassen, denn es flößte gewissen Firmenchefs eine höllische Angst ein. Aufstöhnend ließ sich Kaiba sogleich wieder in seine Kissen sinken. Das hier war ein Alptraum. Und ein versprochener Alptraum noch dazu. Zumindest ahnte er, dass der Hinweis darauf nicht lange auf sich warten lassen würde. Unnütz zu erwähnen, dass er Recht behalten sollte. „SETO! Aufstehen! Los. Hopp. Raus aus den Federn. Du hast es VER. SPRO. CHEN.“ /Oh ja! Und ich frage mich noch immer was mich an jenem Tag geritten hat, diesem Todeskommando ZU.ZU.STIM.MEN…/ Aber gut. Er würde sich vor seinem Bruder keine Blöße geben und den Feigling spielen. Davon einmal abgesehen hatte er dem Kleineren gegenüber noch nie ein Versprechen gebrochen - es sei denn, es war unausweichlich. Leider hatte er vergessen seiner Sekretärin für heute entsprechende Anweisungen zu geben. Anweisungen, die sich darauf hätten belaufen können, dass diese sie auf halbem Weg zum Park anrufen sollte. Dann wäre Seto auf Grund der Tatsache, dass sein Imperium ohne seine Anwesenheit gleich den Bach runter gegangen wäre, dieses peinliche Gerenne nach einem Gummiball erspart geblieben. Aber NEIN! ER musste sich ja von diversen Träumereien und jungen Hunden ablenken lassen. /Ein Glück, dass Wheeler nichts hiervon weiß…/ Mit diesem wenig ermunternden Gedanken machte sich Kaiba letztlich doch daran, mit seinem Kleinen ein knapp bemessenes Frühstück einzunehmen und gemeinsam Brötchen fürs Picknick zu schmieren. Ganz Recht. Mokuba wollte einen Familienausflug der normalen Art. Und da gehörte gemeinschaftliches Brötchenschmieren und das Zusammenstellen eines Picknickkorbes nun einmal dazu. Ein Butler, der ihnen beim Losgehen noch schnell den fertigen Korb in die Hand drückte, um sie dann an den Chauffeur ihrer Limousine zu übergeben, passte in diese Idealvorstellung von Mokuba einfach nicht hinein. Egal, wie sehr Kaiba auch versuchte, seinen Bruder diesen Gedanken schmackhaft zu machen. Somit dauerte es noch eine weitere Stunde, bis beide soweit waren und losziehen konnten. „Mensch Seto, muss das sein?“ „Mokuba. Ich habe versprochen einen Ausflug mit dir zu machen und ich halte mich daran. Was also ist dein Problem?“ „Ausflug: ja. Aber musst du unbedingt SO rumlaufen?“ „Wieso? Die einfache Jeans und das T-Shirt waren deine Idee, schon vergessen?“ Mit einem Blick, der dem seines großen Bruders schon sehr nahe kam, sah Mokuba mit mehr als kritischen Augen in Setos Gesicht – oder was davon zu sehen war. „Ich habe aber nicht gesagt: Such dir den größten Hut und die dunkelste Sonnenbrille raus.“ Erhobenen Hauptes spähte Kaiba durch die Sonnenbrille zu ihm hinunter. „Es ist notwendig. Das weißt du.“ „Es sieht bescheuert aus. Und das wiederum weißt DU.“ „Mokuba. Streite nicht mit mir. Entweder so oder gar nicht.“ Grummelnd gab sich Mokuba damit vorerst zufrieden. Er würde sich schon noch etwas einfallen lassen. Vorerst würde er seinen Bruder aber noch in Sicherheit wiegen. „Also gut. Fahren wir.“ /Na geht doch. Warum der Kleine wegen solcher Sachen immer mit mir streiten muss…/ Schnell wurde der Rest des Picknicks in den Satteltaschen verstaut, ehe beide anfingen, ordentlich in die Pedale zu treten. Noch so einer von Mokubas Geistesblitzen. Mit Fahrrad in den Park. /Ich wusste schon, warum ich auf meinen Hut und die Brille bestehe. In dieser Konstellation würde sich jeder Papparazzi die Finger lecken, wenn er ein Foto schießen könnte. Obwohl… Schon allein die Zusammenstellung… Wahrscheinlich würde eh niemand glauben, dass ich das bin. Ich meine: Wer bringt schon ein - zugegebenermaßen teures – Designerfahrrad, schwarze alte Jeans (von Boss), ein langes tiefblaues Shirt (von Geromé) und einen Picknickkorb im Gepäck mit dem Namen ‚Seto Kaiba’ zusammen? Eben. Trotzdem - man kann nie wissen./ Erst exakt 48 Minuten und 53 anstrengende und schweißtreibende Sekunden später kamen die Kaibas im Park von Domino City an und mussten noch einige Schleichwege fahren, ehe sie die größte Masse an Besuchern hinter sich lassen konnten. Doch die Mühe lohnte sich. Ein sonniges Plätzchen, eine riesige Trauerweide und ein einigermaßen vernünftiger Rasen, um darauf tatsächlich Fußball spielen zu können erwarteten sie bereits. Trotzdem die Weide mehr als verlockend war, entschieden sich die Kaibas für ein eher sonniges Plätzchen in der Nähe einiger kleinerer Sträucher. Immerhin wollten sie beim Essen nicht frieren, denn ganz gleich wie schön die Sonne vom Himmel schien, war es doch erst Frühling und noch kein Hochsommer. „Los Seto! Fußball!“ Mit lachendem Gesicht hüpfte sein kleiner Bruder vor dem Älteren auf und ab, der gerade die letzte Ecke der Decke zurechtgezupft hatte und nun keine wirkliche Ausrede mehr finden konnte. Seufzend ergab er sich somit seinem Schicksal und folgte seinem Bruder auf ein relativ ebenes Stück Wiese. Schnell wurde mit einfachen Steinen ein Tor markiert und kurz darauf pfiff Mokuba zum Anstoß. Nicht weit von ihnen entfernt, gut verdeckt durch herabhängende Zweige, saß ein blonder junger Mann und neben ihm, halb vergessen, ein Geschichtsbuch über das alte Ägypten. Joey war bereits seit einiger Zeit hier. Immerhin war dies sein Lieblingsplatz, von dem allerdings außer seiner Schwester niemand etwas wusste. Die Weide lag weitab aller gängigen Wege und kaum ein Besucher drang bis hierhin vor. Wie sooft in letzter Zeit kam er her, um zu lesen und zu zeichnen oder um einfach nur nachzudenken. Die stickige Luft in seiner Wohnung entriss ihm beinahe schmerzhaft die Fähigkeit zu atmen und zu viele ungeliebte Gedanken schwirrten ihm an diesem Ort durch den Kopf. Er hatte längst akzeptiert, dass er mal wieder kein wirkliches zu Hause mehr hatte. Das war nicht mehr zu ändern. Grinsend richtete er seinen Blick weiter auf die zwei tobenden Gesellen, welche den Rasen vor der Weide als persönlichen Fußballplatz auserkoren zu haben schienen. Somit hatte Joey den perfekten Logenplatz. Schon längst war er dahinter gekommen, wer sich unter dem Hut und der schwarzen Sonnenbrille zu verstecken versuchte. Immerhin hielt Mokuba sich bei ihm auf und daher war es nicht schwer zu erraten, was da vor sich ging. Heimlich, ohne dass jemand außer ihm selbst und dem alten Baum es bemerkte, schlich sich ein liebevolles Lächeln auf das Gesicht von Joey, während er Kaibas Bewegungen auf Schritt und Tritt folgte. Zu niedlich, wie er immer mal wieder affektiert hinfiel, um seinen Bruder glauben zu machen, er sei zu ungeschickt, den Ball zu treffen. Immer wieder sah er den Braunhaarigen in sich hinein lachen und auch wenn der Hut und die Brille sein Gesicht gut verbargen, konnte man doch erahnen, dass es dem Größeren sogar begann, Spaß zu machen. Genüsslich betrachtete Joey das Treiben der Beiden, während er überlegend sein mittlerweile recht langes Haar zusammenband. Und mit einmal, mitten in seinen Überlegungen, passierte es. Joey fiel überrascht zurück ins Gras, als, beinahe schon zielsicher, ein Ball in seinen Armen landete. „Entschuldige Seto! Ich hol’ ihn zurück.“ Damit wusste Joey, was gleich auf ihn zukommen würde und ehe er sich’s versah, stand Moki bereits vor ihm. „OH! HI Joey! Was machst du denn hier?“ Mit abschätzend geschürzten Lippen sah Joey zu dem Jungen auf, während er den Ball überlegend mit den Händen festhielt. Schließlich schien er zu einer Entscheidung zu kommen. „Hier Moki.“ Mit einem freundlichen Lächeln überreichte er Moki den Ball. „Aber sag IHM nichts davon, ja?“ Grinsend sah Mokuba siegessicher auf den Ball. „Und ob ich das werde. Komm einfach und spiel ne Runde mit.“ Lachend zog der kleine Schwarzhaarige an einem der langen Arme Joeys. „Nein Mokuba. Das ist nicht richtig. Das dort…“, er deutete auf die Wiese und auf Kaiba, welcher gerade einige Fressalien auf der Decke drapierte „… ist doch ein Familienausflug. Und ich denke nicht, dass Seto einverstanden wäre, wenn du MICH jetzt auf einmal mit anschleppen würdest.“ Man sah Mokuba an, dass er bereit war, alle Kräfte zu mobilisieren, um Joey zu überreden. Gerade wollte er es mit seinem treuen Chibi - Blick versuchen, als er lieber den ich-kann-kein-Wässerchen-trüben und du-musst-mich-lieb-haben-auch-wenn-dir-das-was-ich-gleich-tun-werde-gar-nicht-gefallen-wird- Blick einsetzte. Joey ahnte Schreckliches. „SETOOOOO!!! ICH KANN DEN BALL NIRGENDS FINDEN!“ rief es da auch schon, ehe Joey es verhindern konnte. /Ich bin tot. Eindeutig und unwiderruflich mausetot. Das heißt… nein. Wenn ich mich beeile und SEHR schnell laufe… vielleicht kann ich dann noch…/ „Wheeler.“ /Memo an mich selbst: Erst handeln, dann drüber nachdenken./ „Hi… Kaiba.“ „Darf man fragen, was du hier zu tun gedenkst?“ Hilflos sah Joey zum kleineren Kaiba hinüber, ehe er sich den Ball von ihm zurückschnappte und ihn beinahe zögernd empor hielt. „Ähm… Ball spielen?“ „Witzig Köter. Such dir ein anderes Herrchen.“ „Hey Seto! Er kann doch mitspielen! Ich mag es sowieso nicht, wenn du ständig mit Absicht gegen mich verlierst und wenn Joey noch mitspielt…“ Kritisch besah sich Seto den Blonden vor ihm auf dem Boden. Langsam ließ er seinen Blick über die schlanke Gestalt wandern und verweilte auch kurz auf dem Buch neben ihm. Und dann, die Argumente seines Bruders vollständig ignorierend: „Seit wann interessierst DU dich bitte für das alte Ägypten?“ „Ist das ein Verbrechen?“ trotzig erwiderte Joey den Blick Kaibas. „Nein. Wohl nicht.“ Grübelnd sah Kaiba noch einmal auf das Buch, ehe er sich abwandte und langsam dem Picknickkorb entgegen schritt. „Meinetwegen.“ Der Eine aufs höchste erfreut, der Andere unendlich zufrieden, sahen sich die zwei Fußballfans an, ehe sie sich ebenfalls zu Kaiba gesellten. Dort angekommen, zückte Joey erstmal seine Wasserflasche und begann in kleinen Schlucken zu trinken, während die Kaiba - Brüder sich über die Brötchen hermachten. Interessiert betrachtete Joey die vielen kleinen belegten Brote und auch die eine oder andere Konfitüre, die gemeinsam mit ein paar noch nicht verwerteten Stücken, eingepackt worden war. Und auch wenn er es in seinem Magen auf Grund der leckeren Aussicht merklich rumoren hörte, nahm er sich doch nichts weg, sondern sah den Anderen mehr oder minder zufrieden zu. Er war es gewohnt, weniger zu essen. „Sag mal Mokuba: Wer von uns beiden hat eigentlich DIE hier beschmiert?“ Mit einem leicht angeekeltem Gesicht besah sich Kaiba ein paar Weißbrotscheiben, welche mit einer recht ansehnlichen Portion Erdbeerkonfitüre ausgestattet waren. Fröhlich sein Brötchen mümmelnd, warf der Kleine einen fachkundigen Blick darauf. „Du.“ „Was hat mich denn da geritten?“ Überlegend wog er die Schnitten in seiner Hand, ehe er sie vor Joey ablegte. „Hier Hündchen. Da hast du ein paar Knochen.“ Irritiert sah Joey auf das leckere Brot hinunter. Er wusste nicht, ob er annehmen sollte, aber da es Kaiba anscheinend nicht schmeckte, würde es sonst wahrscheinlich ohnehin nur verkümmern. Aber so was Leckeres verkümmern lassen… Kam für ihn gar nicht in Frage. Zudem hatte sich sein Magen sowieso schon mehr als zu Wort gemeldet. Grinsend ergriff er sich somit die Leckereien, er liebte Erdbeerkonfitüre, und biss herzhaft hinein, ehe er mit vollem Mund Kaiba sein Kontra gab. „Also wenn dich öfter so was reitet, dann nur her mit dem Gaul!“ Kopfschüttelnd sah der Firmenchef zu ihm hinüber. Darauf würde er jetzt mit Sicherheit nicht näher eingehen. Gerade wollte er sich nun selbst an einer weiteren Stulle – mit Blaubeermarmelade – vergehen, als Joey entsetzt aufsprang. „Scheiße! Hab mein Buch liegen lassen.“ Und mit den Worten „Bin gleich wieder da“, sprang er auf und lief auf direktem Weg zu Mutter Weide. Mokuba ‚plagten’ indes ganz andere Dinge. „Großer Bruder.“ „Was ist?“ Fragend blickte er zu einem wie ein Honigkuchenpferd grinsenden Jungen hinunter, bei dem er sich auf Nachfragen geweigert hätte, ihn als seinen Bruder zu bezeichnen. „Erdbeerkonfitüre.“ „Was ist damit?“ Seto ahnte bereits, was kommen würde. „Es ist deine Lieblingskonfitüre.“ „Und?“ gereizt und mit einem Ausdruck in der Stimme, der jeden anderen zum Schweigen gebracht hätte, nagte Kaiba weiter an seinem Brötchen. „Nur so…“ Nun auch noch schlecht gelaunt, ließ der Ältere den Rest seiner Nahrung in einem kleinen Beutelchen verschwinden und nahm sich einen Schluck Kaffee aus der Thermoskanne. /Komisch dieses Blaubeer – Zeug. Die sollte man wegen Geschmacksverirrung verklagen./ Derweil hatte sich auch der Dritte im Bunde wieder zu ihnen gesellt und gemeinsam schafften sie es, mindestens die Hälfte aller Mitbringsel zu vernichten. Doch Joey wäre nicht Joey, wenn er sich nicht gleich nach dem Essen auf etwas Anderes konzentriert hätte. „Kaiba.“ „Ja?“ „Du siehst bescheuert aus.“ Was für ein Thema für den großen Seto Kaiba! Aber dennoch traf Joey den Nagel auf den Kopf. Noch immer zierten Hut und Sonnenbrille das Haupt des Älteren. „Seit wann interessiert gerade DICH mein Aussehen?“ Verschmitzt betrachtete der Angesprochene ihn aus dem Augenwinkel. „Schon immer…“ Kurz innehaltend maß er ihn ein weiteres Mal. „Der weiße Mantel steht dir übrigens definitiv besser als das komische lila Teil, dass du früher getragen hast. Und wenn ich das eben sagen darf: OHNE Mantel – schaust du auch gar nicht mal so übel aus.“ Hatte Kaiba ihm anfangs noch ins Wort fallen wollen, hielt er nun verblüfft den Atem an. Zumindest solange, bis auf Joeys Gesicht mit einmal ein kleines aber feines belustigtes Grinsen auftauchte. Schelmisch lachte er den Braunhaarigen an, welcher sich in Folge dessen ‚leicht’ veräppelt vorkam. „Aber wie gesagt…“, der Blonde beugte sich zu dem anderen hinüber „siehst du mit dem Kram“ er führte seine Hände zu Sonnenbrille und Hut… „einfach nur scheiße aus.“ Damit schnappte er sich besagten Kram von Nase und Kopf und sprang auf, noch ehe Kaiba dessen Flucht verhindern konnte. „KÖTER! Gib das her und zwar SO.FORT.“ „Dann hol es dir doch, wenn dir deine Maskerade so wichtig ist.“ Und damit verschwand Joey in Richtung Weide. Selbstredend, dass der Firmenchef das unmöglich auf sich sitzen lassen konnte. Flugs sprang er auf die Beine, um die Kriegsbeute des Anderen zurückzuerobern. Mokuba sah dem Treiben indes eher interessiert zu und schnappte sich heimlich das Nutella Glas, um seinem Magen die nötigen Suchtmittel zuzuführen. Sollte sein Bruder ruhig mal mit jemand anderem toben, er würde schon noch zu seinem Recht kommen. Das Ganze ging jedoch – wie kaum anders zu erwarten, wenn zwei gegensätzliche Elemente aufeinanderprallen – nicht lange gut. Mittlerweile hatten Joey und Kaiba bereits eine beachtliche Strecke bis zum nahe gelegenen See hinter sich gebracht, als Joey, vollkommen unbeabsichtigt stolperte, um sich seiner Errungenschaften nur Sekunden später mit Hilfe des Sees zu entledigen. Nicht, dass er das wirklich gewollt hätte… Aber es löste einen höchst interessanten Farbeffekt bei Kaiba aus. Nicht jeden Tag kam man in den Genuss eines beinahe blau anlaufenden Konzernchefs, der stinksauer vor einem tiefen See stand, um seinem einzigen Schutz gegen den Rest der Welt nachzuschauen. Joey betrachtete sich den Farbwechsel für einen Moment hoch erfreut, war er doch lange nicht mehr in den Genuss gekommen, dieses beachtliche Mienenspiel aus nächster Nähe zu erleben. Doch durch jahrelanges Training und Erfahrung wusste er auch, wann es Zeit war, die Beine in die Hand zu nehmen. Spätestens, wenn aus Blau Rot wurde, sollte man sich in Sicherheit bringen. Trotz allem gelang es ihm diesmal nicht, rechtzeitig das Weite zu suchen. Ein Moment der Unaufmerksamkeit und ein unbedachter Schritt in Richtung von Kaiba genügte, und dieser hatte ihn am Haken … Kragen … und zischte ihn gefährlich leise zusammen. Wortwörtlich ‚zischte’, denn vor lauter Empörung über diese Missetat, brachte er kaum mehr als ein ersticktes Flüstern hervor. Nach einigen kleineren Namen wie Gucci, Prada und Boss, konnte Joey sich dann endlich doch aus seiner Trance befreien, um lakonisch einzuwerfen: „Man, du kannst dir tausende dieser Teile leisten.“ Die Augen zu Schlitzen verengt, rückte Kaiba sein Gesicht näher an das des Anderen – ohne eine erkennbare Regung, von dem hübschen Farbmuster zuvor einmal abgesehen, durchscheinen zu lassen. „Darum geht es mir nicht.“ „Worum dann?“ „Ums Prinzip.“ „Und was ist ‚im Prinzip’ los?“ „Ein Köter wie DU hat MEINE Sachen nicht einfach in einen See zu verfrachten.“ „Ach, und ein anderer Köter dürfte das, oder was?“ „NIEMAND sollte das wagen, was du gerade verbrochen hast.“ „Mach nicht so einen Aufstand. Es war eine Brille. Und ein Hut. Ich kauf dir was Neues. Nen Astronautenhelm oder so. Damit fällst du dann bestimmt auch nicht mehr so auf.“ „Köter, bring mich nicht auf die Palme.“ „Eisblock, hier wachsen nur Eichen. Und nebenbei gesagt, stehst du auf ner Wiese. Also könnt ich dich höchstens auf einen Halm bringen.“ „Du willst also für meine Sachen zahlen?“ „Erwähnte ich das nicht bereits?“ „Dann kannst du mir auch gleich noch einen neuen Mantel und eine Krawatte besorgen.“ Argwöhnisch sah Joey ihn an. „Warum sollte ich?“ Fies grinsend: „Zinsen.“ „Also gut: Spielen wir ein Match. Gewinne ich, zahle ich gar nichts. Gewinnst du, sollst du deinen Mantel haben.“ „Mit Krawatte.“ „Jap. Mit Krawatte. Meinetwegen.“ „Abgemacht.“ „Abgemacht.“ Kaiba ließ von Joey ab und wandte sich wieder Richtung Picknick, während Joey – seinen Kragen richtend – in kleinerem Abstand hinterher trottete. „Hoffentlich gibt euer Ball auch was her." „Wieso Ball?“ Irritiert blieb der Braunhaarige stehen. „Das Ma~atch. So jung und doch schon so alt. Bedauerlich.“ „Moment mal! Du sagtest ein Match. Also spielen wir Duel Monsters.“ „Richtig. Ich sagte Match. Aber ich habe keine dazugehörigen Waffen näher spezifiziert. Da wir nun aber gerade mal auf einer so schönen Wiese hocken, ein Ball dort hinten auf der Decke liegt und zufälligerweise schon die ‚Pfosten’ gekennzeichnet wurden – bietet sich doch ein kleines Fußballmatch geradezu an.“ Es geschah - bei Rah - wirklich nicht oft: aber dies war nun eine dieser seltenen Gelegenheiten. Kaiba. War. Sprachlos. Über soviel Dreistigkeit. Aber gut. Er brach selten sein Wort und so hielt er es auch diesmal. Sollte der Köter sein anscheinend heiß ersehntes Match bekommen. Aber ER würde gewinnen. Und dann sollte das Hundchen sehen, wo es die Kohle für den Mantel überall zusammenkratzte. Kapitel 6: Arbeitseifer ----------------------- @Sy: Hi! ^_^ Danke für deinen lieben Kommi. Es freut mich, dass dir meine Geschichte bis hierher gefällt. Ich werde mir Mühe geben, möglichst regelmäßig die nächsten Kapitel hochzuladen. Ich sehe das mit Joey übrigens ähnlich. Genau deshalb habe ich die Story genau so geschrieben: ^.~ wg. zu vieler Storys, die Joey als den Dummen dargestellt haben. Der Gedanke war, eine Geschichte zu entwerfen, in der sich die beiden ebenbürtig sind. @Lunata: Tjaja das Match. *G* Sorry, dass ich da mit dem nächsten Kapitel womöglich enttäuschen werde. Aber ich hoffe, dass es dir trotzdem gefällt. Mit 'zuhören' meinst du ihre ständigen Neckereien, oder? *_* Ich mag das auch. Intelligente Neckereien finde ich viel amüsanter, als sich ständig nur mit Ausdrücken zu belegen - auch wenn 'Hündchen' bei Joey natürlich vollkommen legitim ist. *G* Euch beiden viel Spaß beim Lesen! ^___^ ____________________________________________________________________________ **********3 Wochen später********** Es war warm geworden in Domino – City und schon längst hatten schwere Blumendüfte wie die der unzähligen Rosen, den zarten Geruch der Krokusse abgelöst. Hochsommerlich warm schlugen sich die Menschen der Stadt mit je einem Fächer in der einen und einer Flasche mit längst nicht mehr kaltem Wasser in der anderen Hand, durch die Straßen – immer auf der Suche nach einem etwas schattigeren Plätzchen.   Da lobte sich Joey doch seinen Arbeitsplatz. Hier an der Kasse war es einigermaßen kühl – auch wenn sie keine Klimaanlage hatten. Er war zwar längst nicht so empfindlich gegenüber der Hitze, wie einige seiner Leidensgenossen, dennoch machte auch ihm das Wetter relativ gut zu schaffen. Immer mal wieder griff er nach der seitlich deponierten Flasche, um sich ein paar Schlucke von seinem Eistee zu genehmigen. Die Kunden sahen es ihm nach, waren sie doch selbst teilweise am verdursten. Eine Augenbraue andeutungsweise hochgezogen, besah er sich den Korb mit Getränken vor sich, die er gerade abkassierte. Noch während er den Inhaber zur Kasse bat, grübelte er weiter darüber nach, ob er Whisky und eine Flasche hochprozentigem Schnaps wirklich zu ‚Getränken’ oder doch lieber ‚Spiritus’ rechnen sollte. Innerlich die Schultern zuckend nahm er das Geld in Empfang und wandte sich dem nächsten Kunden zu. „Shiro! Hör sofort auf damit! Hier wird nicht mit dem Ball gespielt. Das kannst du machen wenn wir da sind!“ „Aber Mamaaaa…“ Sein inneres Lachen gekonnt verbergend betrachtete er sich die junge Mutter mit dem kleinen Jungen namens Shiro genauer. Anscheinend wollten sie in näherer Zeit ein Picknick machen, wenn er deren Waren auf dem Fließband so betrachtete. Ein bisschen Butter, ein paar Reisbällchen, dann noch etwas Kaltes zu trinken und einen Ball… Oh ja! Der Ball erinnerte ihn an das Match zwischen ihm und Kaiba vor fast drei Wochen… Oder waren es schon mehr als drei? Es war wirklich interessant gewesen… Und lustig, und anstrengend… und schön… Er hatte sich ehrlich gefreut, als er das erste Tor gemacht hatte … als Kaiba dann aber schon kurz danach den Ausgleich erzielte, machte es gleich noch einmal so viel Spaß. Es hatte nicht nur ihn gereizt zu gewinnen, sondern auch Kaiba. Jedoch nicht um des Gewinnens Willen, sondern um des Kampfes Willen. Selbst Mokuba hatte - zum Schiedsrichter beordert - am Ende das ein oder andere kleinere Foul schlichtweg bewusst übersehen, weil es einfach viel interessanter war, zuzuschauen, als ständig den Nörgler zu mimen. Aber wenn er bedachte wie das Spiel letztlich ausgegangen war dann … „Junger Mann, was bekommen Sie?“ Flugs kehrte Joey nun lieber wieder in die Gegenwart zurück und widmete sich seiner Arbeit. „750 Yen bitte.“ Sobald er das erforderliche Geld erhalten hatte, verabschiedete er die junge Familie mit einem neckischem Zwinkern und einem bewundernden Blick in Richtung des kleinen Jungen, welcher ihm gerade stolz seinen Ball gezeigt hatte. Dessen Brust schwoll daraufhin noch ein wenig weiter an, ehe er sich auf Drängen seiner Mutter – samt seinem gerade bewunderten Lieblingsball – wieder zu seiner Familie begab. Erst ganze zwei Stunden später kam Joey endlich wieder dazu, auf die Uhr zu blicken. An der Kasse lebte er schon fast zeitlos, denn die einzige vorhandene Uhrzeit, auf die er ab und zu einen Blick werfen konnte, war die auf den Kassenzetteln der Kunden.   /Noch eine halbe Stunde./ Kurz überdachte Joey sein weiteres Pensum für heute und überschlug die Dinge, die er noch würde erledigen müssen, ehe es zurück in seine Wohnung ging. /Na gut. Das müsste ich schaffen. Wenn heute alles stimmt in meiner Kasse, müsste ich das mit der Abrechnung schnell hinter mich bringen können./ „Macht dann 325 Yen bitte.“ Und schon war Joey wieder mitten im Geschehen.   Ganz anders als Kaiba, der gerade die von ihm einberufene Betriebsversammlung aufgelöst hatte und nun seinem Büro entgegen strebte, in welchem er vorhatte, bis hinein in den späten Abend zu verweilen. Es war schon beinahe 24 Uhr, als er wieder von seinen Unterlagen aufsah. Es hatte einigermaßen lange gedauert, aber mittlerweile hatte er bereits die Hälfte aller neueren Verträge durchgearbeitet. Da sie im letzten Jahr ein weiteres Mal expandiert waren und einige weitere Filialen eröffnet hatten, wurden Unmengen neuer Mitarbeiter gebraucht.   Da Kaiba nun einmal in vielerlei Hinsicht Perfektionist war, kam er nicht umhin, sich jeden Lebenslauf einzeln anzusehen und noch einmal durchzugehen, ehe er sein S.K. unter die einzelnen Verträge setzte. Es war alles in allem eine langwierige und nervenaufreibende Arbeit, aber auch sie musste eben gemacht werden. Dennoch würde er für heute aufhören. Nachdenklich glitten seine kalten Augen durch das große Büro. Allein die Beleuchtung über seinem Schreibtisch war noch an und tauchte somit alles, was außerhalb des Lichtstrahls war, in schummrige Schatten. Überlegend zwirbelte Kaiba den Kugelschreiber in seiner rechten Hand und wandte sich, seinen Stuhl geschickt mit einem leichten Schubs drehend, der großen Fensterfront in seinem Rücken zu. Mehr oder weniger oberflächlich vertieft in den Anblick des nächtlichen Dominos, vergaß er abermals die Zeit über diverse Grübeleien, und zog somit seinen Aufenthalt eher ungewollt in die Länge. Somit war es bereits 0.32 Uhr, als er sich endlich aus seinem Sessel erhob und mit langsamen Schritten dem Ausgang entgegenging. Zwischendurch warf er immer wieder einen kurzen Blick in die verschiedenen Räumlichkeiten und nahm leicht resigniert zur Kenntnis, dass er wahrscheinlich mal wieder der Letzte war. Kopfschüttelnd sah er in einem der größeren Räume noch die Monitore zweier einzelner Computer vor sich hinflackern. Er wollte eigentlich gar nicht wissen, wer diesmal vergessen hatte, sie auszumachen. Gemächlich ging er weiter. Er würde Herrn Sokumoto darum bitten müssen, ein wenig mehr darauf zu achten, wo die Stromkosten um diese Zeit hinwanderten.  Somit bog er kurz entschlossen noch einmal in den Sicherheitsbereich ab, in welchem sich zu dieser späten Stunde wohl nur noch Sakumoto aufhalten dürfte, war er doch der Sicherheitschef und in 2 von 3 Fällen für die Nachtschicht eingeteilt.   „Oh, guten Abend Herr Kaiba. So spät noch unterwegs?“ Grüßend neigte der Schwarzhaarige sein Haupt und widmete seinem Chef seine volle Aufmerksamkeit.   „Ja. In Zukunft möchte ich, dass Sie ein wenig mehr durch die Räume gehen, wenn Sie ihre Runde drehen.“ „So? Warum?“ „In der Programmierabteilung zum Beispiel, wurden mal wieder einige Monitore nicht abgeschaltet. Ich mag es nicht wenn das Geld meiner Firma sinnlos im Nirwana verschwindet.“ Schuldbewusst sah der ältere Herr seinen Chef an.   „Sicher doch. Ich werde mich sofort darum kümmern. Ich bedaure zutiefst, dass MIR das bis jetzt noch nicht aufgefallen ist. Es wird nicht wieder vorkommen.“ Zufrieden nickte Kaiba ihm noch einmal zu, ehe er sich ohne ein weiteres Wort zu verschwenden, auf den Weg nach Hause begab. Leicht erstarrt verfolgte Herr Sakumoto den Weg des jungen Mannes, ehe er sich wieder seinen Monitoren zuwandte. Gerade konnte er sehen, wie sein Chef im Erdgeschoss den Fahrstuhl hinter sich ließ. Aufseufzend wandte der Mann sich daraufhin einem nahe gelegenem Schaltpult zu. Noch während er einen der Knöpfe gedrückt hielt, fragte er in die Stille hinein: „Ist alles in Ordnung?“ Einigermaßen klar verständlich drang eine weitere Stimme aus einem nicht sichtbaren Lautsprecher in der Wand. „Jap. Das war ziemlich knapp.“ „Entschuldige Joseph.“ „Nicht weiter schlimm.“ „Nein wirklich. Nächstes Mal sag ich dir eher Bescheid.“ Ein leichtes Lachen folgte.   „Er hat nichts gemerkt, oder? Das ist die Hauptsache.“ Schmunzelnd sah Herr Sakumoto auf einen der Monitore, welcher einen guten Einblick in die Räumlichkeiten der Programmierer bot. Leicht grinsend blickte ihm ein junger Mann mit blondem Haar entgegen, welcher sich wenig später umwandte, um sich dann vor einem der flackernden Rechner niederzulassen. „Wie lange willst du heute noch machen? Es ist schon bald 1 Uhr.“ Nun mit dem Rücken zur Kamera meinte Joseph: „Weiß nicht. Aber eigentlich wollte ich heute wenigstens noch den Fehler in der Random – Schleife beheben. Mit der haut noch was nicht hin. Dadurch wird das ganze Spiel viel zu langsam und…“ „Schon gut Junge. Ich habe sowieso keine Ahnung von dem, was du da von dir gibst. Mach, solange du brauchst. Aber an deiner Stelle würde ich für heute ehrlich gesagt lieber Schluss machen.“ „Wieso? Kaiba ist doch weg, oder nicht?“ „Das schon. Aber musst du nicht morgen in die Schule?“ „Ja …“ Damit war das Gespräch vorerst beendet. Herr Sakumoto kannte das nur zu gut. Das ging nun schon so, seit Mokuba ihn das erste Mal mitgebracht hatte. Das war inzwischen länger als 5 Monate her. Wenn der Junge sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte oder ein Problem in einem der Systeme auftauchte, hörte er meist nicht eher auf, bis genau dieser Fehler behoben war.   Seufzend schüttelte er den Kopf und schaltete das Licht in dem großen Raum wieder an. Er hatte es bei Kaibas Anblick auf einem der Monitore gelöscht. Es war heute ziemlich knapp gewesen, da er gerade 5 Minuten zuvor seine Runde beendet hatte. Er wollte nicht wissen, was geschehen wäre, wäre Herr Kaiba einige wenige Minuten früher nach Hause gegangen. Schließlich, hätte er denselben Weg eingeschlagen wie zuvor, und wäre zu ihm gekommen, hätte er auf einem der Monitore mit Sicherheit den jungen Mann ausmachen können. Und was dann geschehen wäre, das wollte er sich nicht ausmalen.   Immerhin lief das Ganze hier inoffiziell ab, auch wenn er sich zeitweise schon wunderte, wieso eigentlich. Schließlich arbeitete der junge Mann hier so oft er konnte und mittlerweile beinahe jede Nacht. Und, soweit er das von den verschiedenen Mitarbeitern gehört hatte, sogar zu jedermanns Zufriedenheit. Selbst er hatte mitbekommen, dass es weit weniger Versammlungen gab, als noch vor einiger Zeit. Mussten früher oft alle möglichen Programmierer antreten, um gemeinsam die verschiedenen Mängel zu beheben, geschah dies nun gerade einmal alle zwei Wochen. Und selbst dann schien es nie wirklich tiefer gehende Probleme zu geben, denn immerhin lösten sich die Versammlungen merklich schneller auf als noch zuvor. Wie viel Anteil der Blonde daran jedoch tatsächlich hatte, vermochte er nicht zu sagen. Abermals seufzend sah er wieder auf den Monitor, auf welchem Joseph Wheeler, so hieß der junge Mann, wie er inzwischen wusste, sich durch einige Unterlagen wühlte, ehe er sich abermals dem Rechner zuwandte. Kopfschüttelnd wandte Herr Sakumoto sich wieder seiner eigenen Aufgabe zu.   /Warum nur tut der Junge das? Und dann auch noch ohne Bezahlung… Verrückt./ **********am nächsten Morgen********** Gähnend streckte Joey seine Glieder. Man was war er müde. Mit leicht verklebten Augen sah er auf die blauen Zeiger seiner Uhr. Es war beinahe 7 Uhr. Das hieß dann wohl aufstehen. Dabei war er erst gegen 3 Uhr von Herrn Sakumoto nach Hause geschickt worden. Er wäre ja gern noch ein wenig geblieben, um diesem einen Problem mit den flackernden Sequenzen auf die Spur zu kommen, aber der ältere Herr hatte darauf bestanden.   Zu Recht wie er an seinen steifen Gliedern bemerken konnte. Irgendwie waren zwei Jobs, selbst wenn der zweite mehr oder weniger freiwillig war, irgendwie ziemlich viel. Aber dagegen konnte er vorerst nichts machen. Er brauchte das Geld als Kassierer. Und wenn er irgendwo in Kaibas Gehaltslisten auftauchen würde, würde er mit Sicherheit auffliegen und hätte eine Menge zu erklären. Bei dem Gedanken daran, dass jemand davon erfuhr, wie umfassend sein Wissen und seine Fähigkeiten waren, drehte sich ihm der Magen um. Zumindest, wenn es um seine Freunde und Bekannten ging – und ganz besonders um Seto Kaiba. Außerdem wollte er von dem Braunhaarigen kein Geld. Er half freiwillig. Es wäre keine Hilfe gewesen, wenn er dafür Geld genommen hätte. Außerdem machte ihm die Arbeit Spaß. Seufzend wandte er sich wenig später seinem unausgeschlafenen Spiegelbild zu, wo ihm ein gerade mal halbwegs menschenähnliches Wesen beinahe grotesk entgegen blinzelte.   „Junge. Du siehst echt scheiße aus.“ Resigniert schnappte er sich daraufhin Zahnbürste und Kamm und widmete sich der widerspenstigen Zähmung seines Selbst.   /In Zukunft sollte ich wohl wieder vorsichtiger sein./ Kapitel 7: Retter in der Not ---------------------------- @Lunata: Jap. Ungeduld ist offenbar dein 2. Vorname. *GGG* ^_^ Zu deiner Frage nur so viel: Es dauert noch, bis sie zusammenkommen - sowohl bei Seth und Jono als auch bei Seto und Joey. *fg* Aber ich beeile mich ja mit dem Hochladen. ^_+ Die bisherigen Träume hatte übrigens Seto - nicht Joey. @Sy: Den Ausgang des Matches wirst du auf jeden Fall noch erfahren. Nur eben noch nicht jetzt. ^_^ *fg* Wie gesagt gibt noch einige Kapitel - Kaiba, Joey, Seth und Jono brauchen Zeit, um ihre Gefühle zu entwickeln/ zu entdecken. Es soll ja nachvollziehbar bleiben. ^.~ Ich freue mich, dass dir der Aufbau der Geschichte gefällt. *smile* Viel Spaß beim Lesen und danke für die 2 lieben Kommis. *freu* _____________________________________________________________ Ein Murmeln erklang in der Stille und ein leises Rascheln folgte. Sanft wehten die blauen Vorhänge vor dem offenen Fenster und das Flüstern der Bäume vermischte sich mit den Klängen des Regens. Es war Nacht und nur wenige Menschen schlichen oder tanzten noch durch die Straßen. Seto Kaiba gehörte nicht zu den wenigen, sondern war einer der vielen, die bereits seit einiger Zeit ihre Bettstatt aufgesucht hatten, um zu schlafen. Dennoch war es kein ruhiger Schlaf. Ein aufmerksamer Beobachter hätte im Licht der Laternen, welche ihre Strahlen vereinzelt durch das offene Fenster warfen, gesehen, wie der junge Mann sich immer wieder im Bett herumdrehte – beinahe, als würde er nicht an diesen Ort gehören. Oder als wäre er tief versunken in einem Gespinst aus Träumen. Gleichwohl man das durchaus glauben könnte, so waren es doch keine Träume, die Kaiba immer wieder verschiedene minimale Regungen in das sonst beinahe emotionslose Gesicht zauberten. Es waren Erinnerungen… ~~~~~~~~~~ Langsam und andächtig schritt der nun erwachsene Seth durch die Gemäuer eines riesigen Palastes. Denn direkt unter ihm, hätte er sich neben eine der stützenden Säulen niedergelassen, erstreckte sich der Garten des Pharaos, des Lichtes von Ägypten. Atemu. Seth war noch nicht lange hier. Ein halbes Jahr. Vielleicht. Länger auf gar keinen Fall. Sinnend sah er der untergehenden Sonne direkt entgegen. Es dauerte seine Zeit, ehe er es für angebracht hielt, den Blick zu senken und somit seinen Respekt vor Rah zu bezeugen. Der Anblick seiner blauen Robe ersetzte nunmehr das Bild der goldgelben Scheibe am Himmel. Blau … Eine stolze Farbe. Blau wie der Himmel. Blau wie seine eigenen Augen. Blau wie die See. Ja. Blau war wirklich eine mächtige Farbe. Mächtig genug, um damit einen Hohepriester des Pharaos zu kleiden. Wieder sah er hinaus. Diesmal blieben seine Augen jedoch an dem Grün der Bäume hängen, welche aus dem Garten des Pharaos hinausragten. „Über was denkt Ihr nach, Seth?“ Ruhig wandte sich der Angesprochene um und sandte einen ehrerbietigen Gruß in Richtung des Pharaos. Er fiel längst nicht mehr auf die Knie, wenn sie unter sich waren. Eine kurze Senkung seines Hauptes genügte vollkommen. „Nichts Wichtiges, nehme ich an. Vielleicht über mein Leben.“ „Seid ihr also nicht zufrieden, Hohepriester?“ Mit festem Schritt trat Atemu neben seinen neuen Hohepriester und Freund. Denn ein Freund war er seit seiner Ernennung geworden – auch wenn man das der förmlichen Anrede untereinander schwerlich entnehmen konnte. „Doch. Es gibt wohl kaum etwas, was mich mehr ausfüllen könnte, als an eurer Seite zu dienen, Atemu“, versicherte ihm Seth mit selbstsicherer und ehrlicher Stimme. Der Pharao beließ es dabei. Er wusste längst, dass sein Hohepriester ein eher schweigsamer Mensch war und richtete somit das Gespräch auf ein anderes Thema. „Du weißt, dass morgen der Empfang ist?“ Es war eine mehr oder weniger rhetorische Frage. Sicher wusste er über die Willkommensfeier der siegreichen Reiter bescheid. Immerhin war er es, der morgen den Segen über alle Gefallenen und alle Überlebenden sprechen würde. Mittlerweile, auch wenn es sich wohl für manches Ohr grauenhaft anhören musste, war es Routine. Es hatte Zeiten gegeben, als es ihn noch traurig gestimmt hatte, wenn er die toten Krieger in die Hände der Götter hatte geleiten müssen, doch das war vorbei. Dazu tat er dergleichen nun schon zu lange. Immerhin war dies schon eine seiner Aufgaben gewesen, noch bevor ihn der Pharao in das Amt eines bzw. seines einzigen und persönlichen Hohepriesters berufen hatte. „Sicher.“ „Gut.“ Der kalte Blick des Priesters, welcher der heißen Luft um sie herum Lügen strafen wollte, richtete sich auf den Pharao, als dieser in leisem Ton fortfuhr. Es war selten notwendig, dass er seine Stimme erhob, denn seine Worte wurden stets ehrfurchtsvoll vernommen. „Nun wird morgen auch der Krieger des Anubis wieder eintreffen.“ „Seit der Zeit, da ich hier bin, höre ich von seinen großen Heldentaten. Es ist eigentümlich für mich, nun morgen diesen Mann kennen zu lernen.“ „Eigentümlich? Wie kann ich das verstehen, Hohepriester?“ Ein feines Lächeln stahl sich in die Züge des Angesprochenen. „Nun, immerhin ist er der Anführer Eurer Truppen und ich nehme an, Ihr erwartet eine gute Zusammenarbeit zwischen uns.“ Es war eine Feststellung. Nichts weiter. Und Atemu konnte nicht anders, als das feine und doch so kalte Lächeln zu erwidern und somit die Worte des Anderen zu bestätigen. „Ja. Es wäre durchaus wünschenswert. Mehr als das. Denn in der jetzigen und in allen zukünftigen Situationen, ist es von großer Wichtigkeit, dass Ihr und auch Anoubis Ano – Oobist sich verstehen, um gemeinsam handeln zu können.“ „Nun, um diese schwere Aufgabe bewältigen zu können, wird es wohl besser sein, mich nun in meine Gemächer zurückzuziehen. Denn, mit Verlaub, Pharao Atemu, ich bezweifle, dass Ihr zu morgiger Stunde einen unausgeschlafenen Hohepriester an Eurer Seite wünscht.“ Leicht lachend stimmte Atemu dem zu, ehe er sich mit forschem Schritt seinem weiteren Rundgang widmete und Seth nunmehr allein ließ. ~~~~~~~~~~ Langsam löste sich Seto aus den Fängen der Träume und blickte leicht desorientiert umher. Ehe er den alles entscheidenden Gedanken in seinem Kopf formulierte. /Schon wieder./ Leicht grummelnd erhob er sein Haupt von seinem Kissen und sah hinüber zum Wecker. Es war gerade einmal 4:21 Uhr. Nicht, dass er sonst kein Frühaufsteher wäre, aber das überschritt sogar sein Empfinden für Tüchtigkeit. Zumal nach diesem verwirrenden Gespinst von Erinnerungen. Immer noch müde und die Augen leicht verklebt vom Schlaf, griff er in seinen Nachtschrank neben sich und förderte nach einigem Kramen das kleine Büchlein zu Tage. Überlegend blätterte er darin herum und hielt schließlich beim letzten Eintrag inne. Das war ungefähr vor einer Woche gewesen. Natürlich hatte er alles fein säuberlich mit Daten versehen, so dass er den ‚Fortschritt’ mehr oder minder genau registrieren konnte. /Jono. Verschwunden. Priesteramt. Hauptstadt. Pharao?/ Die Stirn runzelnd ging er die einzelnen Stichworte noch einmal durch, ehe er den blauen Kugelschreiber auf dem kleinen Schränkchen ergriff und das Fragezeichen hinter ‚Pharao?’ in ein Ausrufezeichen verwandelte und den Namen Atemu dahinter setzte. Hinzu kamen weitere Fetzen wie ‚Palast’ ‚Empfang’ und ‚Krieger des Anubis = Anoubis’ /Was soll nur mal aus mir werden? Wenn das so weitergeht dann … Nein. DARÜBER sollte ich wohl lieber nicht nachdenken./ Leicht genervt schlug er das Buch wieder zu und beschloss für sich - nach einem weiteren Blick auf die Uhr – dass er sich ebenso gut erheben und anziehen könnte. Etwa eine Stunde und – Kaiba sah auf die Uhr – exakt 34 Minuten 12 Sekunden und 45 Millisekunden später war es dann auch soweit. Kaiba war bereit, sich selbst als absolut wahnsinnig einzustufen und einweisen zu lassen. Er war tatsächlich so weit gegangen – was übrigens genau dem richtigen Wortlaut entsprach – zur Schule zu GEHEN! Was hatte ihn da nur geritten? Nicht, dass er sonst lauffaul war oder dergleichen. Mit der Limousine ging es nur wesentlich schneller. Dabei hatte er, nach seinem nächtlichen Erlebnis und der darauf folgenden kurzen Nacht, eigentlich angenommen, noch genügend Zeit für einen gesunden Spaziergang zur Schule zu haben. Nun musste er jedoch zugeben, dass sein Einschätzungsvermögen durch die tägliche Fahrt in der Limousine eindeutig leicht bis schwer gelitten hatte. Mittlerweile war er sogar schon in einen leichten Laufschritt verfallen. Immerhin rückten die Zeiger seiner Rolex unaufhaltsam in Richtung Stundenbeginn und wenn er sich nicht schwer beeilte, war es gut möglich, dass er sich vor dem Köter eine Blöße gab. Wer jetzt dachte, es würde ihm hier nur um diesen kleinen blonden Streuner gehen, hatte sich allerdings geschnitten. Es kam einfach nicht gut an, wenn ein Firmenchef und fast reichster Mann Japans später als so ein verlaustes Flohbeutelchen in den Klassenraum stürmte. Er hatte nicht vor, solche unrühmlichen Sitten einzuführen. Nicht jetzt und auch nicht später. Nie. Ein weiterer Blick auf die Uhr folgte. Zwei weitere Schritte wurden zugelegt. Vor sich konnte er mittlerweile das Straßenschild zu seiner dazugehörigen Schule ausmachen und gab sich Mühe, spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem er in besagte Straße einbog, seine Geschwindigkeit ein wenig zu drosseln. Es sah zwar dämlich aus, wenn er zu spät kam, aber noch dämlicher wäre es wohl, nur wegen dem Stundenbeginn wie ein Irrer die Straße runterzupreschen. Er war Seto Kaiba! Nicht Joey Wheeler, der … Also wenn er es sich recht überlegte dann… War er genau der Wheeler nicht, der… sich dort hinten in der Querstraße gerade prügelte. Verwundert blieb er stehen und lauschte noch einmal genauer, während er mit seinen kalten Augen die besagte Querstraße fixierte. Nach genauerem Hinsehen beschloss Kaiba allerdings, von diesem schmalen Ding eher als ‚Gässchen’ denn als Straße zu denken. Ruhigen Schrittes näherte sich Kaiba einige bedächtige Sekunden später der Eingangspforte der Schule und zog ein weiteres Mal seine Rolex zu Rate. Er hatte noch genau 6 Minuten und 33 Sekunden, um in dieses Gebäude und hinter diese Tore zu kommen. In der Nähe des Schulausganges konnte er bereits die Hilfsschüler ausmachen, welche sich beinahe schon bedrohlich – so zumindest empfand es Kaiba momentan – der Pforte näherten. Sie würden die Tür schlichtweg vor seinen Augen zuschlagen, nur um ihm eins auszuwischen. Immerhin wäre es ein gefundenes Fressen, wenn ein weltbekannter Millionärssohn zu spät zum Unterricht kam. Firmenleiter hin oder her. Kopfschüttelnd und der festen Überzeugung, dass derjenige, der da auch immer mit der Frisur des Köters herumlief, schon zurechtkommen würde, wandte er sich dem Eingang zu und ließ die Pforte hinter sich. Derweil, auf der anderen Straßenseite, verpasste Joey seinem Gegenüber gerade ein Veilchen in den Modefarben grün und rot, auch wenn es später wohl bei richtiger Wassertemperatur ein zauberhaftes Blau annehmen würde. Hinter ihm, in einer kleinen Ecke, drängte sich ein kleiner Junge samt einem Hundebaby dicht an eine der Mülltonnen. Immer wieder jaulte das kleine Bündel leise vor sich hin und schien die Wärme des Menschenkindes zu suchen. „Na warte, Kleiner! Stell dich auf ne Tracht Prügel ein!“ Warnend rückten die zwei Burschen in diesem Augenblick näher. Sie waren vielleicht gerade mal 20 Jahre alt, hatten aber dennoch bereits ein recht stämmiges Aussehen. Während der eine noch kurz sein angeschlagenes Auge befühlte holte der andere einmal kräftig aus und schlug erbarmungslos … ins Leere. Joey hatte sich so schnell er konnte geduckt und zog noch nebenbei sein Bein quer nach vorne um mit voller Wucht gegen das Schienbein des Angreifers zu treten. Man sollte ihn nie unterschätzen. Nur weil er mittlerweile versuchte, sich aus Straßenkämpfen herauszuhalten, hieß das noch lange nicht, dass er sich nicht zur Wehr setzen konnte. Und dass er dazu noch ohne größere Schwierigkeiten in der Lage war, bewies ihm das schmerzerfüllte Stöhnen des Schwarzhaarigen - gleich nachdem er ihm sein Bein ein wenig verschönt hatte. Lila sollte ja im Kommen sein. Ein zufriedenes Grinsen auf den Lippen sah Joey zu den zwei jungen Männern hinüber. „Niemand vergreift sich ungestraft an einem kleinen Jungen.“ Seine Gegner hatten sich inzwischen wieder gefangen und sahen nicht aus, als würden sie die blauen Flecken auf sich sitzen lassen wollen. „Der Kleine hätte sich halt nicht einmischen sollen, dann wär’ ihm auch nichts passiert. Das Selbe gilt für dich!“ In diesem Moment konnte man den kleinen Mischlingshund ziemlich deutlich wimmern hören und auch der kleine Junge zuckte merklich zusammen, als einer der Angreifer plötzlich nach ihm trat. Schnell ging Joey dazwischen, fing den Tritt mit seinem eigenen Magen ab und schnappte merklich nach Luft. Der zweite im Bunde wusste seine Chance zu nutzen, schlug ein weiteres Mal in seine Richtung und erwischte ihn dieses Mal hart am Kinn. Dennoch wich Joey keinen Zentimeter zurück. /Scheiße. Wenn ich aufstehe treffen sie beim nächsten Schlag tatsächlich noch den Kleinen./ Wütend blickte Joey hinauf in das Gesicht seines Gegners. Ein feines Blutrinnsal floss an seinem Kinn hinunter. Seine Lippe war bei dem letzten Schlag leicht aufgeplatzt. Das hatte er schon mal besser hinbekommen… /Verdammt nochmal. Und sowas ausgerechnet heute. Wo ich eh schon müde bin./ Noch während er darüber nachgrübelte, packte der andere, welcher zuvor nach dem Jungen mit dem Hund getreten hatte, ihn am Kragen und presste ihn an die Wand. Im gleichen Atemzug rammte er ihm sein Bein in den Magen und Joey stöhnte schmerzerfüllt auf. Die Luft wurde ihm erbarmungslos aus den Lungen gepresst. Ungeachtet seiner dadurch entstandenen Blessuren wusste Joey sich jedoch zu helfen und griff sich das hochgezogene Bein des Blonden, hielt es fest und zog es mit einem kräftigen Ruck nach oben in die Senkrechte ehe er es kräftig nach links drehte. Das Knacken der Knochen war mit Sicherheit noch drei Straßen weiter zu hören. Aufjaulend wurde er augenblicklich losgelassen und beinahe schon erbärmlich winselnd umklammerte der Angreifer stattdessen das geschundene Bein. /Memme. Die paar Knochen…!/ Nun wieder selbst im aufrechten Stand schob er sich schnell wieder vor den Jungen und blieb in einer schweratmigen Abwehrhaltung stehen. Immerhin war auch der Gegenschlag des Anderen nicht ohne Folgen geblieben und sein Magen krampfte sich noch immer zusammen. Gut, dass er heute noch nichts gegessen hatte. Indes hatte der Schwarzhaarige verblüfft und ohne Gegenwehr bei dem vorangegangenen Handgemenge zugesehen und war nun umso wütender, da er nun auch das Bild seines verletzten Kameraden vor Augen hatte. „Na warte, elender Köter!“ Grimmig und entschlossen rückte er näher. „Das möchte ich doch bezweifeln“, ertönte eine eiskalte und scheinbar gelassene Stimme aus dem Hintergrund. Irritiert durch die unerwartete Unterbrechung, sahen die Angreifer zu dem Neuankömmling. Doch sie erholten sich schnell von ihrer Überraschung. Joey war mittlerweile zwar leicht erschöpft aber noch schnell genug um aus dem Augenwinkel zu sehen wie der Blonde seine Chance nutzen wollte, um dem kleinen Jungen doch noch etwas anzutun und reagierte augenblicklich. Schnell griff er nach dem Arm, welcher sich soeben den Jungen schnappen wollte und hielt ihn mit aller Kraft fest. Der Andere lenkte seine Kraft jedoch um und ballte seine Hand noch während dessen zur Faust. Erst jetzt nahm Joey das kleine Butterfly richtig wahr, welches gefährlich vor seinem Gesicht aufblitzte. Derweil hatte Kaiba längst die Lage sondiert und war trotz der Gefahr für Joey zu dem Entschluss gekommen, sich lieber zuerst um den zweiten Mann zu kümmern. Er vertraute Joey – vielleicht zum ersten Mal, seit sie sich kannten - dass dieser mit dem anderen fertig werden würde, bis er selbst mit dem Typen abgerechnet hatte. Eben jener kam nun bedrohlich auf ihn zu. „Und warum, Schlaumeier, bezweifelst du das, hä?“ Innerlich den Kopf schüttelnd, fragte er sich, wie doof ein Mensch eigentlich sein konnte, sich mit ihm anzulegen. Joeys Treffer vor ein paar Wochen war eine Ausnahme. Dieser hatte ihn durch seine unvorhersehbare Schnelligkeit überrascht. Doch jetzt wusste er, was auf ihn zukommen würde und besah sich die ‚Annäherungsversuche’ des Anderen ohne mit der Wimper zu zucken. Während er nach außen hin immer gelassener und ruhiger zu werden schien, begann es in ihm jedoch zu brodeln. Er wusste nicht warum, aber für die Erforschung seiner Gefühlswelt würde er sich später noch genügend Zeit nehmen. Jetzt begrüßte er das heftige Gefühl mit offenen Armen. In diesem Augenblick holte der Typ mit seiner Rechten zum Schlag aus. Kaiba entkam diesem durch eine flinke Wendung und ergriff den Arm des Mannes. Kurzerhand drehte er ihn auf den Rücken und presste seine Visage mit der anderen Hand fest gegen die Wand. Seine Wange würde sich später noch in Form und Farbe mit einem gut durchgebratenen Pfannkuchen messen können, wenn er noch stärker zudrückte. All das geschah in nur Bruchteilen von Sekunden und der ehemalige Angreifer hatte kaum realisiert, warum jetzt er derjenige war, der an einer Wand in der Falle saß. Während er das Gefühl hatte, sein Kopf würde gleich, ähnlich einer Mandarine, an der Wand zerquetscht werden – mit Hilfe nur einer Hand des Braunhaarigen – konnte er den heißen Atem des Firmenbesitzers im Nacken spüren. Ein Schaudern durchlief ihn, als dessen eiskalte Stimme eine Warnung in sein Ohr flüsterte. „NIEMAND außer mir nennt Wheeler einen Köter. NIEMAND. Hast du mich verstanden, du Wurm?!“ Kaiba wurde nicht laut. Nur der ‚Gefangene’ konnte ihn hören. Seine Stimme war bar jedweder Emotionen und vielleicht war seine Warnung gerade deshalb so gut verständlich. Hätte er die Warnung in Neonfarbe an die Wand gesprüht, hätte man sie nicht weniger überhören können. Würde er sich noch einmal mit dem Blonden anlegen, würde dieser Typ hinter ihm ihn vermutlich töten. Ein Schauer lief über seinen Rücken. Da er keinen Ton herausbrachte deutete er nur ein abgehacktes Nicken an. Seine Wange schabte bei dieser Bewegung unangenehm über den schwarzen Stein. Er schwieg. „Und jetzt…“, Kaibas Stimme war mittlerweile gefährlich leise „nimm dir deinen Kumpanen und LAUF!“ Noch einmal stieß Kaiba den Mann hart gegen die Wand und ließ ihn seine Kraft spüren, ehe er ihn losließ und mit verschränkten Armen wartete. Er sagte nichts. Das war nicht nötig. Alles, was wichtig war, war ausgesprochen worden. Und der Schwarzhaarige hing an seinem Leben. So schnell er konnte hechtete er zu seinem Partner und hielt ihn dazu an, sofort das Messer fallen zu lassen und zu verschwinden. Dieser war sich zunächst noch unsicher, was er tun sollte. Schließlich war es sein momentan größter Wunsch, diesem Köter einen Denkzettel zu verpassen. Doch schließlich hörte er die Angst aus der Stimme des Anderen heraus und sah auf. Da Joey mittlerweile mit dem Rücken zu ihm stand, konnte er nichts weiter wahrnehmen als das Gesicht des Schwarzhaarigen. Dieser wiederum hatte jedoch perfekte Sicht auf die Augen des Firmenchefs, welche ihn in diesem Moment förmlich aufzuspießen schienen. Auch er spürte die Gefahr, die von dem Braunhaarigen ausging und ließ beinahe augenblicklich von dem kleinen Jungen, dem Hund, dem jungen Mann und sogar von seinem Butterfly ab und gab auf. Binnen weniger Minuten ließen die zwei, ohne einen Blick zurück, die Gasse hinter sich und verschwanden um die nächste Ecke. Der Blonde wurde dabei, auf Grund seiner vermutlich gebrochenen Knochen, von seinem Kumpanen gestützt. Immer verfolgt von dem eiskalten Blick Seto Kaibas. Dieser wandte sich erst um, als er, samt dem Jungen und dem Hund, alleine mit Joey in der Gasse war. Der Blonde hatte sich derweil neben dem kleinen Jungen niedergelassen, der noch immer vollkommen verängstigt das kleine Hundebaby im Arm hielt. Doch so verkrampft er auch war, das Hündchen hielt er ganz sanft. „Shh. Ganz ruhig. Tut dir was weh?“ Ein erstes Schniefen folgte und der Junge warf sich in den Arm von Joey. „Ist ja gut. Schon in Ordnung. Du warst wirklich tapfer Kleiner.“ Vollkommen unbeeindruckt von Kaiba oder seinen eigenen Blessuren und Schrammen wiegte Joey den ‚Kleinen’ hin und her. Wobei er selbstverständlich nicht vergaß, auch dem noch jungen Hund immer mal wieder die Ohren zu kraulen. Dieser dankte es ihm, indem er sich noch näher an seine zwei Retter kuschelte und sogar leicht mit dem Schwanz wedelte. Über den Kopf hinweg sah Joey nun zu Kaiba. Der hatte indes seinen typischen arroganten Blick aufgesetzt und sah grimmig auf die Dreiergruppe hinunter. Noch immer hatte er die Arme verschränkt und sagte keinen Ton. Leise, und ohne dass er es laut aussprach, formte Joey ein einziges Wort mit seinen Lippen. „Danke.“ Nur das. Nichts weiter. Er fragte weder, warum Kaiba ihm geholfen hatte, noch woher er gekommen war oder warum die Typen so schnell Reißaus genommen hatten. Es war ihm egal und Kaiba war ihm in gewisser Hinsicht genau DAFÜR genauso dankbar. Er selbst hätte wohl keine dieser Fragen beantworten können. Ebenso wenig, wie er die abermalige Wut einordnen konnte, die ihn ergriff, als er das Blut in Joey Gesicht sah. Er wollte jetzt einfach nicht darüber nachdenken. Sich seinen Fragen zu stellen, hätte bedeutet, mit den Antworten leben zu müssen. Er wusste nicht, ob er dazu schon bereit war. Kapitel 8: Draußen vor der Türe... ---------------------------------- @ Closer: Wow. Gleich 3 Kommentare und ich konnte mich im öetzten Kapi noch nichtmal dafür bedanken, da sich mein Hochladen mit deinem Kommi überschnitten hat. Daher an dieser Stelle nochmal in aller Form: Dankeschön! *verbeug* ^_^ Es freut mich, dass außer Lunata und Sy auch noch andere die Geschichte lesen - umso schöner, wenn der von mir entworfene Seto euren Vorstellungen entspricht. ^_~ Aber er wird sich ja im Verlauf der Geschichte auch noch ändern... zumindest ein wenig. Aber wegen der Schmerzen *streng kuck*: In Zukunft wird nicht mehr gelacht beim Lesen! Am Ende muss ich sonst an jedem Ende noch sowas schreiben wie 'Bitte suchen Sie nach dem Lesen Ihren Arzt oder Apotheker auf' - das macht dann immer einen schlechten Eindruck. =^_^= @Sy: Eine 'ästhteische' Prügelei? Gibt es das überhaupt? *nachdenk* *schulternzuck* Zumindest farblich gesehen könntest du Recht haben. *G* Tjaja... Joey ist in jedem Fall Setos Revier, so viel steht fest... auch wenn er selbst das ja erstmal noch nicht bemerkt... bemerken will. ^_^* Viel Spaß beim Lesen!! _________________________________________________________________ Erst später erfuhr Kaiba dann relativ ‚elegant’ was geschehen war und warum Joey Wheeler sich mit den Männern angelegt hatte. Da nun aber sowohl Kaiba als auch Joey selten in der Lage waren, sich in ein anständiges Gespräch zu vertiefen, kam es, wie es kommen musste. Unnütz zu erwähnen, dass der kleine Junge mittlerweile in seiner Schule war. Denn es stellte sich heraus, dass eben dieser Junge in die Grundschule nebenan ging. Dorthin hatte Joey auch den Hund gebracht - immerhin war das kleine Fellbündel ziemlich mitgenommen. „Kannst du mir bitte noch einmal sagen, warum ich wegen einem Köter wie DIR diese Schmach über mich ergehen lassen muss?!“ Wütend starrte Kaiba vor sich hin. „Ich weiß nicht. Vielleicht weil du zu doof bist, um deine Nase aus anderer Leute Angelegenheiten zu lassen.“ Joey sah ebenfalls vor sich hin. Wenn auch eher ein wenig k.o.. „HA! Wenn ICH mich nicht eingemischt hätte, hätten die aus dir Hundefutter gemacht.“ „Na und? Was geht es dich an? Dir müsste es doch eine Freude sein, wenn ich dich nicht mehr nerven kann.“ „An sich ja, aber nicht, wenn die Köter in der Nachbarschaft die ganze Nacht durchheulen, nur weil sie verdorbenes Fleisch gefressen haben.“ Friedlich schob sich die Sonne durch das Fenster und tauchte die zwei Streithähne, welche nun nach und nach wieder in den täglichen Trott zurückgekehrt waren, in einen feinen hellen Schimmer. Eigentlich also alles wie immer um diese Tageszeit, außer dass diese Sonne nicht in das Klassenzimmer sondern in den Schulgang außerhalb des Zimmers fiel. Für Kaiba war dies eine vollkommen neue Erfahrung. Eine, auf die er gern auch den Rest seines Lebens verzichtet hätte. Er hatte sich während einer laufenden Unterrichtsstunde noch nie VOR dem entsprechenden Raum befunden. Diverse Termine, wegen denen er hin und wieder aus dem Klassenraum gestürmt war, einmal außer Acht gelassen. Aber wegen VERSPÄTUNG! Das war lächerlich. Einfach lächerlich. Und wieso? „Dann such dir halt neue Nachbarn, wenn dich das so stören würde. Genug Kohle hast du ja.“ /Genau! Nur wegen dieser Flohschleuder darf ich mein ‚erstes Mal’ hier draußen verbringen. Grandios! Wirklich!/ „Nein. Die Lösung ist viel einfacher. DU musst einfach aufpassen, dich nicht ständig in sinnlose Prügeleien zu begeben.“ „Sinnlos ist ja vieles Kaiba – CHAN - im Übrigen würde ich unser jetziges ‚Gespräch’ DEFINITIV dazurechnen – aber DAS war es mit Sicherheit nicht!“ „Und was bitte hat dich dann dazu veranlasst, in dieses NICHT sinnlose Gemetzel kopfüber hineinzuspringen?“ „Wenn es dich so brennend interessiert: Der kleine Junge hat den kleinen Hund und ich den kleinen Jungen samt Hund vor den Schlägern beschützt.“ Aufstöhnend griff Kaiba sich an den Kopf. „Was mischt der Bengel sich auch in solche ausweglosen Situationen ein und bringt auch noch andere Menschen damit in Gefahr!?“ Arrogant wie eh und je verleierte Kaiba gekonnt die Augen. „Ach! Aber DU hättest es zugelassen, dass man ihn verprügelt, ja?“ „Wenn du es so genau wissen willst: Ich hätte sogar beinahe zugelassen, dass sie DICH verprügeln. Ich war schließlich schon fast im Klassenraum.“ „Nein!“, gespielt entsetzt sah Joey ihn an. „Warum nur habe ausgerechnet ICH die unermessliche Ehre, dass ein KAIBA sich dazu verpflichtet fühlt, MIR zu Hilfe zu eilen?“ „Alles andere hätte schlechtes Karma gegeben.“ „Du glaubst doch überhaupt nicht an Karma.“ „Was nicht heißt, dass es das deswegen nicht gibt, Köter.“ „War das gerade ein Eigentor?“ „Wohl kaum, denn ich wiederhole niemals einen Fehler das zweite Mal.“ „Wieso das zweite Mal? Bei unserem Match … das war kein Eigentor ge…“ „Nein. Aber ich war dumm genug, dir ein zweites zu genehmigen.“ „Jetzt hast du es mir schon ‚genehmigt’! Wow. Mensch Kaiba. SOVIEL Großzügigkeit auf einen Haufen, das hätte ich dir echt nicht zugetraut.“ „Und ich hätte nicht gedacht, dass so viel Blödheit in nur einem Köter auf einmal zu finden ist. Gab’s die im Sonderangebot?“ „Ja. Genauso wie Weisheit. Nur die hat man DIR wahrscheinlich vor der Nase weggeschnappt.“ „Ich habe davon mehr als DU in…“ „JOSEPH JAY WHEELER! MISTER KAIBA!“ Die Tür flog auf und augenblicklich sahen sich die zwei Streithäh… Kontrahenten einer wütenden Frau Somi gegenüber, welche, die Arme in die Hüften gestemmt, wütend zu den Beiden hinüber blickte. „Könnten Sie mir wohl erklären, weshalb Sie es für nötig halten, einen solchen Radau während meiner Unterrichtszeit abzuhalten? Und das NACHDEM Sie beide heute vollkommen zu spät gekommen sind und sich allem Anschein nach auch noch direkt vor meinem Unterricht haben prügeln müssen.“ „Er hat…“, setzte Joey an. „ER wollte…“, versuchte Kaiba automatisch etwas lauter entgegenzusetzen. Doch Frau Somi hatte kein Erbarmen. Augenblicklich unterbrach die ansonsten eher zierliche Frau jegliche Erklärungsversuche. Sie schätzte Verspätung nun einmal nicht. Egal aus welchen noch so guten Gründen. „Es ist mir wirklich VOLLKOMMEN egal, wer von Ihnen beiden nun diesmal das Kriegsbeil ausgegraben hat. Schlimm genug, dass sogar SIE…“, sie wandte sich direkt an Kaiba „…sich von JOSEPH WHEELER zu einer ebensolchen Schlampigkeit verleiten lassen, wie er sie täglich zur Schau trägt. Von IHNEN hätte ich wahrlich mehr erwartet.“ Mit diesen Worten wandte sie sich um und knurrte nur noch etwas von „Entweder es ist jetzt Ruhe hier draußen oder ich werde…“. Leider oder auch zum Glück verschluckte die zufallende Tür weitere Drohungen und somit alle eventuell anfallenden was-wäre-wenn-Strafen. Kaiba stand regungslos da und starrte die Tür an. /Irgendetwas stimmt hier nicht./ Die gesamte eben stattgefundene Situation im Kopf noch einmal abwägend sah er kurz zu Joey hinüber und kam zu einem folgenschweren Schluss. /Verdammt, ich bin nicht mal sauer, dass sie MICH dermaßen beleidigt hat. Ich bin vielmehr sauer weil…/ „Da siehst du, was du wieder angerichtet hast, Kaiba.“ Sofort fuhr Kaiba bei den leise genuschelten Worten herum. „Bitte? Es liegt ja wohl klar auf der Hand, dass DU hier die Mutter aller Probleme bist, Köter.“ „Es heißt ‚Mutter der Porzellankiste’ – und nicht ‚aller Probleme’“, korrigierte ihn Joey geflissentlich. „Wenn schon, dann bist du der sprichwörtliche ELEFANT in der Porzellankiste.“ „Laden.“ „Was?“ „Es heißt‚ Elefant im PorzellanLADEN’. In meinem Fall dann aber eher eine Gasse. Und wenn man deine täglichen Beleidigungen noch hinzuziehen will: Ein Hund in einer Gasse. Auch wenn ich nicht behaupten kann, dass das eine besonders sinnvolle Formulierung wäre.“ „Das hast ja auch DU gesagt. Nicht ich. Aus deinem Mund kommt selten etwas Sinnvolles.“ „Na, aber offensichtlich öfter als aus deinem, wenn du noch nicht mal die einfachsten Sprichwörter zitieren kannst.“ „Das bin ich durchaus. Sinnvoller Weise wollte ich jedoch darauf hinweisen, dass DU der Ursprung aller Probleme, des absoluten Chaos und jedweder Katastrophe in meinem Leben bist.“ „Freut mich, wenn ich dir behilflich sein kann“, warf Joey daraufhin nur lakonisch ein. „Fakt ist doch, dass DU Schuld bist, dass ICH jetzt hier draußen mein Schäferstündchen mit dir abhalten muss.“ „Also, wenn du alle deine Schäferstündchen so ablaufen lässt, wundert es mich ja nicht, dass du noch keine Freundin hast.“ „Wer sagt dir bitte, dass ich noch keine Freundin habe?!“ „Mokuba.“ „Hä?“ Seufzend lehnte sich Joey an die Wand und schwieg verbissen. Kaiba brauchte in diesem Moment einige Sekunden um sich in Gedanken ein wichtiges Memo in Telegrammstil zu diktieren. /Nie wieder Mokuba etwas über mein Liebesleben erzählen. Stop. Informationen könnten an die falschen Leute gelangen. Stop./ Schließlich jedoch konnte Joey seine Klappe nicht länger halten und durchbrach die Stille mit einem in seinen nicht vorhandenen Bart gemaulten Kommentar. „Außerdem … Hättest du nicht mit deinem Gemaule begonnen dann…“ Kaiba sprang sofort darauf an. „Und hättest du nicht so ein übermäßiges Helfersyndrom dann…“ „Lieber ein zu großes Helfersyndrom als gar keins“, unterbrach ihn Joey abrupt. „Lieber keins als tot in der Ecke zu liegen.“ „Lieber tot als mit Schuldgefühlen - größer und schwerer als dein Berg von Geld - ein Leben lang durch die Gegend zu kriechen.“ „Lieber ein paar Schuldgefühle mehr, als ein paar Tropfen Blut zu wenig.“ „Mimst du jetzt den blutrünstigen Vampir oder was?“ „Nein, aber irgendwann bringt dich dein Mitgefühl und deine ach so rührende Selbstlosigkeit noch einmal um!“ kam es von Kaiba daraufhin zurückgezischt. „Lieber sterbe ICH als jemand, den ich hätte beschützen können, an meiner Stelle.“ /Gut. Was ist das für ein Gespräch. … … … Und warum bei Gott, Rah oder allen Göttern des Himmels führe ich es mit einem HUND???/ „Weil ich kein Hund bin, du Eisklotz, sondern ein Mensch. Und wie wir alle wissen, können Menschen sprechen. Folglich könntest du mit einem wirklichen Hund kein wirkliches Gespräch führen.“ Murrend sah Joey Kaiba rechthaberisch in dessen strahlend blaue Augen, welche sich nun gerade zu zwei überlegenden Schlitzen verengten. „Moment mal! Habe ich das gerade gesagt?“ „Was gesagt?“ „Na, was ich gerade gedacht habe?“ „Und was HAST du gerade gedacht?“ Gespielt gelangweilt und zugleich mit einer Spur von Neugierde sah Joey Kaiba aus den Augenwinkeln an. „Na ,warum ich dieses Gespräch überhaupt mit einem …“ Weiterhin interessiert zu dem Braunhaarigen sehend tat Joey nichts außer warten. „Moment mal! Wenn ich das eben laut gesagt hätte, dann WÜSSTEST du, was ich gedacht habe und dann müsste ich es jetzt nicht noch einmal wiederholen. Also woher…“ „… ich wusste, was du gedacht aber nicht laut gesagt hast?“ Nun doch langsam leicht von seinen eigenen Worten verwirrt, sah der Firmenchef den Kleineren an. Das interessierte ihn gerade wirklich. „Na, weil ich deine vollkommen abstrusen Gedankengänge an deinen Augen ablesen konnte.“ Kurz nur kam Kaiba nach dieser Antwort ins Stocken, ehe er den Faden wiederfand. „Wann habe ich dir bitteschön die Erlaubnis gegeben, in meinen Augen nach Lust und Laune herum zu stöbern?!“ Überlegend legte Joey seinen Zeigefinger ans Kinn und tat als müsse er darüber erstmal ernsthaft nachdenken. „Hmmm… lass mich überlegen. Ich würde sagen … ja… jaa… das kommt ungefähr hin …“ Vollkommen emotionslos wandte Joey seine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder dem Chef der Kaiba Corporation zu. „Gar nicht.“ „Und warum zum Teufel tust du es dann?“ „Was kann ich dafür, wenn du ständig versuchst, mich mit deinen Blicken zu erdolchen?“ Schulterzuckend wandte Joey sich nun endgültig von Kaiba ab und sah auf seine Uhr. /Mist. Schon wieder so spät. Ich muss doch noch kurz in die Firma. Das hatte ich wegen dem ganzen Schlamassel fast vergessen./ „Du hast da was missverstanden Köter. Ich versuche nicht, dich zu erdolchen. Das einzige, was ich möchte, ist, dass ich nicht länger gezwungen bin, die gleiche Luft wie du zu atmen und dich dahin zurückzuschicken, wo du herkommst!“ Seine liebste Waffe, in Form seines losen und viel zu schnell sprechenden Mundwerkes, zückend, blickte Joey nun wieder auf und schob elegant den Ärmel über die Uhr. „Ja Kaiba. Da wirst du wohl lange drauf warten müssen. Denn falls du es noch nicht weiß, wir atmen ALLE dieselbe Luft. Was heißt, dass selbst wenn ich mich jetzt nach Amerika oder Ägypten beamen könnte, wäre es noch immer DIESELBE Luft wie in Japan. Ein bisschen gewaschen vielleicht oder auch ein bisschen staubiger, aber es wäre auf jeden Fall dieselbe Luft. Glaub mir. Wenn es dir allerdings nur darum geht mich dahin zu schicken wo ich hergekommen bin, ist das wirklich ein gutes Stichwort denn ICH habe nicht vor, hier zu versauern und werde diesen unsittlichen Ort nun lieber verlassen.“ Mit diesen Worten wandte Joey sich um, ohne eine Antwort abzuwarten und ging lässig an Kaiba vorbei Richtung Treppe, als er auf einmal etwas Weiches auf seinem Kopf landen fühlte. Nun ja… eigentlich traf es ihn relativ hart, doch als er auf seinen Kopf griff, konnte er ein kleines weißes Taschentuch mit dem gestickten Emblem S.K. ausmachen. Verwundert sah er nach oben und entdeckte Kaiba am Treppenabsatz, der sich gerade mit wehendem Mantel wieder in Richtung Klassenraum begab. „Wisch dir wenigstens das Blut vom Gesicht ab. So einen hässlichen Anblick würde ich nicht mal meinem ärgsten Feind zumuten.“ Mit diesen mehr oder minder geknurrten Worten war er kurz darauf hinter der nächsten Ecke verschwunden und konnte somit weder das leise und feine Lächeln sehen, das sich auf Joeys Gesicht ausbreitete, noch beobachten, wie dieser das Taschentuch wieder sauber faltete und ordentlich in seine Jackentasche steckte. Kapitel 9: Intermezzo --------------------- @Lunata: *G* Nein, kann er nicht - aber er kennt Seto eben ziemlich gut. ^_^* Tjaja... Joey ist eben nicht der Einzige Hitzkopf - unter der kühlen Oberfläche von Kaiba brodelt es auch ganz schön, wenn man ihn nur genügend reizt. Und hey... immerhin wurde sein Hündchen verletzt. *smile* Da kann man es schon verstehen, wenn er mal etwas von seiner Coolness einbüßt, oder? ^_~ Es freut mich, wenn es dir Spaß gemacht hat, zu lesen. Und nun wie gewünscht dein nächstes Kapitel, wenn auch etwas kürzer diesmal. @Closer: Nix da! Apotheker kommt nicht gut. ~.~ Hinterher wird meine ff von den lieben Betalesern noch für gemeingefährlich erklärt. ;_; Ich gebe zu, die Szene mit Kaiba vor dem Raum zu schreiben hat mir immens viel Spaß gemacht - gerade weil Joey mal die Oberhand hatte und es für Seto so eine ungewohnte Situation war. Es bereitet mir ein immenses Vergnügen, mir Kaiba in solchen für ihn eher untypischen Situationen vorzustellen und mir auszumalen, was er wohl sagen würde. ^_^ Schön zu lesen, dass es auch bei ein paar Lesern gut ankam. ^.~ Viel Spaß beim Lesen! _______________________________________________________ Kurz darauf machte sich Joey eiligen Schrittes auf den Weg in Richtung der Kaiba Corporation.   Noch in der Schule hatte er in der unteren Etage Kaibas ‚Rat’ befolgt, und sein Gesicht sorgfältig von den noch verbliebenen Blutresten befreit. Prüfend hatte er auch seine Lippen und seine Bauchdecke untersucht, musste jedoch feststellen, dass er wahrlich schon schlimmer ausgesehen hatte.   Von dem Taschentuch machte er keinen Gebrauch.   Zwischendurch schaute er auf seinem Weg zur Kaiba Corporation noch kurz bei seinem ‚offiziellen’ Arbeitsplatz vorbei. Dort, in einem kleinen Hinterraum, gab es Schließfächer, die es ihm ermöglichten, einige persönliche Dinge auch außerhalb seiner Arbeitszeit darin zu deponieren. Praktischerweise lag der Laden direkt auf dem Weg zur Kaiba Corporation.   Nach einem kleinen Gruß in Form eines kurzen Nickens in Richtung einer seiner Kolleginnen, es war Kari, holte er einige benötigte Unterlagen aus seinem Fach und machte sich dann gleich weiter auf den Weg. Er war kaum ein paar Meter vom Laden entfernt, als er es in seiner Nähe leise summen hören konnte. Schon vor längerer Zeit hatte er sich einen Pieper, ähnlich dem von Kaiba, zugelegt, um besser erreichbar zu sein. Kurz entschlossen steuerte er die nächste Telefonzelle an.   „Hallo. Was willst du?“ „…“ „Ja.“ „…“   „Nein. In Ordnung. Ich wollte eigentlich zu…“ „…“ „Ist gut. Ich komme.“ „…“ „Wo sagtest du?“ „…“ „Das ist in der Nähe. 10 Minuten.“ „…“ „Ja, bis gleich.“   Joey verabschiedete sich noch schnell von seinem Gesprächspartner und noch während er den Hörer wieder auf die Gabel legte, schnappte er sich sein an die Seite von der Telefonzelle gelehntes Rad, fuhr zu einem in der Nähe gelegenem Café und … wartete. Allerdings nicht lange, denn bereits nach weniger als drei Minuten konnte man in der Ferne einen jungen Mann im Anzug winken sehen, welcher nun eilig auf ihn zukam.   „Hallo Joey.“ „Kirian.“   Leicht grinsend reichte der junge Mann Joey die Hand. Das falsche Grinsen des Anderen war Joey zuwider. Sich innerlich schüttelnd erwiderte Joey den Händedruck und gemeinsam ließen sie sich schließlich im Inneren des Straßencafés nieder. Verständlich, wenn man bedachte, dass es draußen teilweise noch stickiger und wärmer war als drinnen. Dann doch lieber krank durch die Klimaanlage, als tot durch einen Hitzeschlag.   Kaum, dass sie sich niedergelassen und ein kühles Getränk geordert hatten, widmeten sich beide angelegentlich dem eigentlichen Grund ihres Treffens.   „Also, pass auf. Ich habe noch einige Unterlagen, die du dir ansehen musst. Es sind nur einige Kleinigkeiten, meinte Nana, aber ansonsten schien der Boss wohl mit allem ganz zufrieden zu sein.“ „Dachte ich mir schon. Gerade gestern habe ich es endlich geschafft, die Repeat - Schleife in Ordnung zu bringen. Aber zeig erst mal her.“   Interessiert sah Kirian zu ihm hinüber und ein paar lose Blätter wechselten den Besitzer. Während er wartete, nahm er immer wieder einen kleinen Schluck von seiner eiskalten Cola zu sich – sagte aber kein Wort. Mittlerweile wusste er, dass man Joey lieber nicht unterbrechen sollte, wenn er sich seiner Arbeit widmete.   Daher stützte der ebenfalls Blonde sein Kinn überlegend auf seine Hände und betrachtete das gesenkte Profil des Anderen. Schweigend ließ er seine Gedanken in ein Alles-und-Nichts abdriften, bis Joey sich nach Minuten des Schweigens wieder bemerkbar machte.   „Alsoo… die Sache mit den Sequenzen habe ich gestern schon in Angriff genommen. Läuft aber immer noch nicht so ganz, wie ich das wollte. Naja. Konnte mir ja schon denken, dass er da auch Probleme sehen würde… Das war klar. Immerhin ist das noch in so einem altertümlichen Programmiercode geschrieben… Ich meine hier…“, Joey deutete flüchtig auf eine der langen Zahlenkolonnen auf einem der Blätter. „Das betrifft vor allem die Digitalisierung. Sie wird, denke ich, dadurch schwieriger… das könnte also noch ein bisschen dauern. Aber ich werde mal sehn, was sich machen lässt.“   Joey ließ ein unbestimmtes Seufzen hören und machte nur eine vage Handbewegung in Richtung der Unterlagen. Kirian kannte ihn mittlerweile recht gut und wusste, was diese Geste bedeutete. Er sagte nichts. Im Prinzip konnten er und die anderen Mitarbeiter froh über die Mithilfe des Schülers sein. Noch vor ein paar Monaten hatten sie in einer absoluten Sackgasse, was das Programmieren anbelangte, gesteckt. Immer wieder hatten sich unsinnige Fehler eingeschlichen und durch die Arbeitsüberlastung waren viele von ihnen schon beinahe ‚betriebsblind’ geworden.   Der Ursprung allen Übels war, dass Seto Kaiba eigens für seine Firma zwei neue Programmiersprachen entwickelt hatte. Jeder von ihnen war dazu angehalten worden, die neuen Programme nur mit DIESEM Code zu schreiben und zu speichern. Der Firmenchef wollte damit verhindern, dass sich seine Programme und Entwicklungen zu schnell abkupfern ließen. Das war an sich ein guter Gedanke und sicherte sie natürlich einerseits auch ab, aber andererseits…   Es gab einfach nicht so viele Menschen, die eine oder sogar zwei solcher ‚scharfen’ Programmiersprachen einfach so erlernen konnten.   Viele ihrer Programmierer hatten eine jahrelange Ausbildung hinter sich und waren von Kaiba persönlich auf ihre Kenntnisse überprüft worden. Hätten sie zugegeben, dass sie mit den momentanen Anforderungen einfach überfordert waren … oh, er wollte sich die Reaktionen von Kaiba nicht ausmalen. Sicher. Er war nur ein halb so ‚schlechter’ Chef, wie diverse Gerüchte es vermuten ließen, dennoch konnte er sich seinen ‚Kälteausbruch’ geradezu bildhaft vorstellen. Auch wenn er nur halb so schlimm war, so war er doch nicht zimperlich beim Entlassen, wenn die erforderlichen Ziele und Leistungen nicht erbracht wurden. Und Kirian hatte vorerst noch nicht vor, aus der Firma auszuscheiden. Sinnierend sah er ein weiteres Mal zu seinem Gegenüber, welcher sich gerade ebenfalls an seiner Cola gütlich tat und diese in einem Zug leerte. Als er Joey vor ein paar Monaten getroffen hatte, hätte er nicht gedacht, dass er ihm je eine so große Hilfe sein würde. Und genau das ließ er den Blonden nun auch wissen.   „Joey. Ich bin dir wirklich dankbar, dass du das alles für uns tust. Denn wenn du nicht…“ „Kirian.“   Mit ruhigem Blick erhob sich Joey und packte nebenbei die Unterlagen ein. Irritiert stoppte der Programmierer in seiner ‚Rede’ und sah zu, wie ein Blatt nach dem anderen in dem großen mitgebrachten Ordner von Joey verschwand.   „Ich mache das hier sicher nicht für dich … auch nicht für irgendeinen anderen aus der Abteilung.“ „Ja, das war mir schon klar, aber warum…“, setzte der Mann stockend an, wurde jedoch sofort ein weiteres Mal unterbrochen.   In ruhigem und beherrschtem Tonfall erklärte Joey: „Kirian, in der Schule hast du mich früher mehr als einmal verspottet und beinahe täglich versucht zu verprügeln. Du warst schon damals ein Feigling und obwohl du älter und größer warst, hast du dir immer Rückendeckung bei den anderen geholt. Glaube nicht, dass ich das vergessen habe, nur weil du hier noch in einem Stück sitzt und noch nicht im Krankenhaus liegst.“   Kirian erschauerte. Mittlerweile hatte sich Joey von seinem Platz erhoben und klemmte sich die Unterlagen unter den Arm. Aufrecht vor dem noch Sitzenden stehend erwiderte er den fragenden Blick des Anderen ohne mit der Wimper zu zucken und ließ ihn auch dieses Mal nicht zu Wort kommen.   „Der letzte, dem ich helfen wollen würde, bist du. Aber ich habe ein Versprechen gegeben. Ich gedenke, es zu halten.“ Gemächlichen wandte sich Joey von Kirian ab und klopfte ihm beim Weggehen noch einmal auf die Schulter. „Wir sehen uns dann. Wenn etwas ist… Du weißt ja, wie du mich erreichen kannst.“ Mit diesen Worten verschwand der Blonde zur Tür hinaus und nur das leere Glas und das bisschen Geld daneben, erinnerten noch an seine Anwesenheit. Joey wollte so wenig Zeit wie möglich in der Nähe dieses Mannes verbringen.   Noch erstarrt bis in alle Glieder sah Kirian nach draußen. Das, was er gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Er selbst hatte die Schule schon relativ früh gelassen. Sein Herz hatte nicht gerade an dieser Institution gehangen und früher hatte er alle verachtet, die besser gewesen waren als er. Joey eingerechnet. Lange Zeit hatte er ihn mit seinen Kumpanen immer wieder getriezt und geärgert, wo er nur konnte. Zu gut konnte er sich an all die kleinen Gemeinheiten gegenüber dem jüngeren Schüler erinnern. Wie er ihn immer wieder beim Lehrer angeschwärzt und sich mit ihm geprügelt hatte. Es war nicht fair gewesen. Umso mehr hatte es ihn verwundert, als er Joey vor einiger Zeit an der Seite von Mokuba Kaiba in der Firma antraf. Damals waren seine ersten Worte bei ihrer Begegnung gewesen: „Ich würde gerne helfen.“ Nachdem schon einige Monate ins Land gegangen waren, hatte er angenommen, dass Joey ihn vielleicht nicht wiedererkannte. Doch wie er soeben erfahren musste, war dies anscheinend nicht der Fall.   In diesem Augenblick ließ sich ein anderer Mann neben ihm nieder und schob ihm seine Visitenkarte zu. „Herr Kirian, nehme ich an? Guten Tag, mein Name ist Huromu Toshi. Ich arbeite für die Tome Corporation. Ich würde mich gern einen Augenblick mit Ihnen unterhalten.“ Kapitel 10: Anoubis ------------------- Hallo an alle und einen schönen dritten Advent. ^_^ Wie viele andere stecke ich derzeit in ziemlichem Stress und kam daher ein paar Tage nicht zum Veröffentlichen, ich hoffe aber, euch mit diesem Kapitel entschädigen zu können. ^.~ @Lunata: Jup. Die Arbeit macht ihm Spaß. Auch wenn er es für Kaiba tut, denke ich, dass er auch diese Art von Versteckspiel genießt... das liegt irgendwie in seinem Charakter (zumindest mit dem Hintergrund, den ich ihm gegeben habe ^.~) Tjaja Kirian... Wie soll ich sagen... ich mag ihn nicht. ^_^ Warum und wieso, klang ja schon LECIHT an. ^^* @Closer: Tja... Kirian wird hier das erste Mal vorgestellt, sein 'richtiger Auftritt' kommt erst noch ... doch auch der ist nicht sehr lang. Lass dich überraschen. GLG an alle Leser und danke ganz besonders an Lunata und Closer, die mir lieberweise immer einen Kommi hinterlassen. __________________________________________________________ ~~~~~ 5 Tage später ~~~~~ Eine innere Unruhe befiel Kaiba, als er, frisch geduscht, sein Schlafzimmer betrat. Mokuba hatte er bereits vor einer Stunde ins Bett geschickt, auch wenn er sich nicht sicher war, ob der Kleine schon schlief. Beflissen sah er sich kurz in der Dunkelheit um. Das Mondlicht tauchte alles in weiche, ineinander überfließende Schatten. Es wirkte einladend auf ihn und sein Unterbewusstsein sehnte sich nach seinem Bett. Kaiba war sich in diesem Augenblick vollkommen sicher, dass er in der kommenden Nacht wieder träumen würde. Er hatte nun schon seit einer Woche nichts mehr zusammenfantasiert. Also ungefähr seit dem Tag, an dem Joey unbedingt den Helden hatte spielen müssen. /Dummer Köter…/ Seufzend sah der Braunhaarige sich noch einmal um, ehe er so entschlossen, als hätte er eine schwere Verhandlung vor sich, auf sein breites Bett zutrat. Beinahe andächtig legte er vorsichtshalber noch sein kleines Büchlein samt Stift neben sich und bettete sich anschließend zur Ruhe. Er konnte nicht sagen warum, aber ihn ließ das Gefühl nicht los, dass der nächste Traum in irgendeiner Weise wichtig sein könnte. Vielleicht noch wichtiger als die vorigen.   Aufgrund seiner fast schon greifbaren inneren Aufregung, befürchtete Kaiba mittlerweile, er würde vielleicht keinen Schlaf finden können. Seine Bedenken erwiesen sich jedoch als unbegründet. Bereits kurz nachdem sein Kopf leicht in das dunkelblaue Kissen eingesunken war, wurden seine Lider schwerer und der Schlaf übermannte den jungen  Firmenbesitzer.   _____________________________________________________ „Hohepriester. Man erwartet Euch.“ Noch immer ein wenig müde erhob Seth sich von seinen Knien und warf beim Aufstehen ein letztes Mal einen andächtigen Blick zu der Götterstatue des Horus, des ersten menschlichen und zugleich göttlichen Herrschers über Ägypten. Bereits seit zwei Stunden hatte er in diesem kleinen Tempel für die sichere Ankunft der Soldaten gebetet. Als neuer Hohepriester des Pharaos stellte dies nur eine seiner zahlreichen Pflichten dar.   Seufzend wandte er sich ab. Und einer weiteren Pflicht würde er nun nachgehen müssen. Mit festem Schritt begab er sich in den Thronsaal des Pharaos, des Lichtes von Ägypten. Dort ließ er sich kurz, dem offiziellen Protokoll entsprechend, einige Meter vor dem Thron auf seine Knie sinken, ehe er sich auf ein Zeichen des Pharaos wenig später erhob und zu ihm trat. „Ihr habt mich rufen lassen.“ „Ja Hohepriester. Wie ich soeben hörte, durchquerte der Rote Schakal mit seinen Männern gerade das nördliche Tor. Er wird wohl schon bald auf dem Platz der Siegreichen eintreffen und wie es seit dem Bestehen Ägyptens vereinbart ist, werden wir diesen mutigen Kämpfern unseren Segen geben, noch bevor sie die obere Stadt erreichen.“ „Wie ihr wünscht.“ Schon dieser kurze Dialog war Teil einer Zeremonie, die bereits seit Jahrhunderten bei der Ankunft von Soldaten abgehalten wurde. Seth wusste das und trat daher hinter den Pharao, als dieser sich auf den Weg machte, um seine Krieger auf dem großen Platz zu empfangen. Der Platz galt seit der Gründung der Hauptstadt als von den Göttern gesegnet und diente nicht das erste Mal als Stätte für heilige Segnungen. Auf eben jenem Platz hatte Atemu auch Seth auserwählt, sein neuer Hohepriester zu werden und ihn anschließend dem Volk präsentiert.   Er lag nicht weit vom Palast entfernt. Der Schatten auf der Sonnenuhr hatte sich nur ein wenig verschoben, als die kleine Gefolgschaft dort eintraf. Gleich bei seiner Ankunft begab sich der Pharao zum höchst gelegenen Teil des Platzes. Eben jener Teil ragte aus der Mitte des Areals fast eineinhalb Meter in die Höhe und konnte nur über ein paar steinerne Stufen an der rechten Seite betreten werden. Von hier aus würde Atemu von jedem Punkt der näheren Umgebung zu sehen sein. Seth stellte sich hinter ihn. Bereits jetzt konnte er aus der Ferne das Jubeln und Schreien der Menschenmassen in seinen Ohren klingen hören. Hinter dem Pharao und seinem Hohepriester hatte sich derweil die Palastwache postiert und wartete ebenfalls schweigend auf die Ankunft der Siegreichen. Es sollte jedoch noch fast eine viertel Stunde vergehen, ehe man die ersten Menschen auch mit den Augen ausmachen konnte. Selbst Leute aus den umliegenden Dörfern und Städten hatten es sich nicht nehmen lassen, am heutigen Tage in die Hauptstadt Ägyptens zu streben, um die Heimkehrer zu begrüßen. Nicht ein einziger war in seiner Hütte oder seinem Haus geblieben; sie alle umringten die Krieger, schenkten ihnen frische Blumen, überreichten ihnen kleinere Palmwedel und kühles Trinkwasser in Bechern aus Ton. Noch war alles nur schemenhaft, aber… Seth kniff die Augen leicht zu zwei Schlitzen zusammen. Dort. Ganz vorne. An der Spitze des Zuges von Kriegern saß ein Mann auf einem schwarzen Pferd und ließ sich anscheinend ebenso feiern wie seine Männer. Der ‚Rote Schakal’. Anoubis. Auch die Augen des Pharaos verengten sich, als der Tross näher kam. Im Gegensatz zu Seth jedoch kam beim Pharao noch ein verärgertes Stirnrunzeln hinzu, wie der Hohepriester nach einem kurzen Seitenblick erkennen konnte. Anscheinend hieß Atemu es nicht wirklich gut, dass der Tross sich dermaßen lange von der Menge aufhalten ließ. Und doch sagte er nichts.   /Er weiß, dass sein Volk feiern will. Sie wollen sie bejubeln. Die Toten und die Lebenden./ Endlich, nach weiteren Minuten des Wartens, betraten die ersten Menschen den weitläufigen Platz, welcher seit jeher die Begrenzung von Ober- und Unterägypten repräsentierte. Endlich, nachdem Seth schon so zahlreiche Geschichten über ihn vernommen hatte,  konnte Seth den ‚Roten Schakal’ einmal aus der Nähe ansehen. Er ließ sich nichts anmerken, doch seine Augen fixierten den heran reitenden Mann sehr genau. Das also war der Krieger, auf dessen Rückkehr der Pharao wohl schon bald länger als ein dreiviertel Jahr gewartet hatte. Ein breites rotes Band, wohl sein Markenzeichen, zierte die Rüstung des Kriegers. Langsam kam Anoubis näher und die unzähligen Menschen, die ihn bis hierher begleitet hatten, strömten nun mit ihm auf den Platz. Einige, so registrierte Seth, ergatterten sogar einen Logenplatz auf den Dächern umliegender Häuser. Alle warteten gespannt auf die Zeremonie des Segens, denn danach würde heute die Arbeit ruhen und jeder, selbst der Niedrigste unter ihnen, würde die Rückkehr der Brüder, Väter und Söhne angemessen feiern dürfen. Dabei war die Art der Rückkehr vollkommen egal. Einige kehrten nur in der Form ihrer Schwerter oder Helme wieder - waren doch viele im Kampf gefallen. Andere, die mehr Glück und Geschick gehabt hatten, hielten ihre Schwerter fest in der Hand und tiefe Dankbarkeit für den Schutz der Götter stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Eine Dankbarkeit, welche heute in langen Feiern und Gebeten ihren Höhepunkt erreichen würde.   Doch noch war es nicht soweit. Stille legte sich über alle Anwesenden, als der Anführer auf seinem Pferd langsam dem Pharao und dessen neuem Hohepriester entgegen ritt. Direkt vor dem Podest zügelte der Mann sein Pferd und verweilte ruhig im Sattel. Allein sein Haupt neigte sich in Richtung des Lichtes von Ägypten. Absteigen brauchte er am heutigen Tage nicht. Auch aus praktischen Gründen. Stand doch Atemu noch immer über ihm und eine zu große Entfernung zwischen den beiden hätte eine Segnung wohl merkwürdig distanziert erscheinen lassen. Als der Pharao zum rituellen Gruß anhob, verstummte auch das letzte Flüstern in den hintersten Reihen und kaum einer der Anwesenden hatte jemals zuvor solch eine schon fast greifbare Stille erlebt.   Die Augen noch immer leicht zusammengekniffen, blickte Atemu zu seinen wartenden Truppen, sowie zum Anführer eben dieser Männer hinunter. Seth allein war es unter all den anwesenden Menschen möglich, in dem scheinbar undeutbaren Gesichtsausdruck seines Herrschers den Ärger abzulesen, der sich in seinem Inneren auszubreiten schien. Für alle anderen musste es so scheinen, als sei Atemu äußerst konzentriert, während er die heimgekehrten Männer musterte. Nun… Seth würde ihn später darauf ansprechen. Momentan war er mehr damit beschäftigt, den vor ihm sitzenden Mann genauer zu begutachten. Starke sehnige Arme lagen ruhig auf dem Rücken des gut ausgebildeten Pferdes. Die Beine, eingehüllt in einen ledernen Schutz, hingen leicht an den Seiten des schwarzen Tieres hinunter. Ebenso schwarz wie das Fell des Pferdes, schien auch das Haar des Mannes zu sein. Einzelne Haare hatten sich unter dem Helm hervor gekämpft und schmückten nun die Stirn des Mannes. Beim Heben des Kopfes, hinauf zu Atemu, konnte Seth auch ein markantes Kinn sowie blaugraue Augen erkennen, die dankend aufblitzten, als der Pharao ihn begrüßte. Die Haut von Anoubis war anscheinend eingeölt worden, wie es sich zu einer solchen Feier geziemte. Nun schimmerte sie gleich dunkler Bronze im Licht der Sonne.   Während der gesamten Zeremonie wandte Seth den Blick nur selten von dem Mann ab. Den ‚Roten Schakal’ schien das bisweilen einigermaßen nervös zu machen. Immer öfter huschten seine Augen kurz zum Hohepriester und auch das Pferd begann unruhig mit den Hufen auf dem Boden zu scharren. /Das also ist Anoubis Ano - Oobist… Seltsam. Ich hatte mir von ihm in gewisser Hinsicht… mehr erwartet. Ein Mann, der in der Lage ist, seine Truppen so rühmlich in den Sieg zu führen, sollte auch in der Lage sein, meinem Blick standzuhalten… Da dies jedoch so offensichtlich nicht der Fall ist… Wir werden sehen… inwieweit ich Atemus Wunsch Folge leisten und mich mit ihm verständigen kann…/ Noch während Seth dies dachte, beendete Atemu seinen Segen und entließ sein Volk für heute aus jeglicher Verpflichtung. Bis in die Nacht hinein sollten Gesang und Tanz die Straßen mit Leben füllen und alle eingetroffenen Krieger hatten von jedermann so viel Speise und Getränke zu erhalten, wie es ihr Wunsch war. Kaum, dass die Massen dies vernommen hatten, jubelten sie dem Pharao und den Rückkehrern lauthals zu und führten die Männer in den verschiedenen Ecken der Stadt an reich gedeckte Tische. Erst jetzt wurde Seth klar, dass er selbst seinen Segen gar nicht gesprochen hatte. Irritiert aber wortlos und auch weiterhin mit einer Maske aus Eis sah er zu Atemu. Dieser hatte sich soeben abgewandt, um im Folgenden den ‚Roten Schakal’ noch einmal persönlich in die Gemächer seines Palastes zu bitten. Ehrfurchtsvoll wurde dieses Angebot angenommen  und in einigen Schritten Abstand folgte er dem Pharao gemeinsam mit der Palastwache. Seth, sich seiner Stellung weitaus mehr bewusst, als der Rote Schakal, schloss dicht zum Licht Ägyptens auf und ging raschen Schrittes neben ihm und seinem Pferd her.   Kaum wieder im Palast angekommen, eröffnete Atemu in kleiner Runde die Tafel und hieß seine erhabenen Gäste und allen voran seinen Anführer mehr oder weniger herzlich willkommen. Sogleich, von den einladenden Worten beflügelt, bedienten sich alle nach Herzenslust an Speise und Trank, welches im Übermaß vorhanden war. Allein Atemu schien aufgrund der langen Wartezeit noch immer leicht verstimmt und wechselte wohl wenig mehr als zwei Worte mit Anoubis. Je weniger er aber mit ihm sprach, desto öfter beobachtete er den Mann, der sich in diesem Augenblick zögerlich an einer Weinrebe bediente. Inzwischen hatte er sich auch seines Helmes entledigt und Seth sah seine Vermutung bestätigt: Schwarzes kurzes Haar prangte auf dessen Haupt und buschige Augenbrauen ragten aus einem sehr männlich und grob geschnitztem Gesicht hervor.   Es vergingen fast zwei Stunden, in welchen auch Seth nicht ein einziges Wort mit dem Kommandanten wechselte. Wozu auch? Dazu würden sie später noch genügend Zeit haben und Atemu hatte seit ihrer Ankunft auch nicht darauf bestanden. Im Gegenteil. Nicht nur gegenüber Anoubis, sondern auch gegenüber allen anderen Anwesenden hüllte er sich in Schweigen. Selbst als Seth nach besagter Zeit seine vorläufige Abwesenheit kundtat, hatte er keinerlei Einwände.  Gemächlich schritt Seth daraufhin dem erst kürzlich bewunderten Garten entgegen. Schon in den riesigen Säulengängen konnte er den Geruch schwerer Blütendüfte wahrnehmen. Bewegt durch den warmen Wind der Wüste, wogten lange durchsichtige Vorhänge leicht in der schwülen Luft umher. Zielsicher ging Seth der Stille entgegen und war dankbar, als der Garten seine innere Ruhe mit ihm zu teilen schien.   Tief atmete Seth ein. Solch große Versammlungen waren nichts für ihn. Er war in der Abgeschiedenheit eines Tempels groß geworden. Da passte er nicht in solcherlei Feierlichkeiten hinein. Hier, in diesem Meer aus Grün, fühlte er sich wesentlich wohler, denn es erinnerte ihn in gewisser Weise an sein früheres Zuhause.   Gemächlich wanderte er an den zahlreichen Pflanzenarten vorbei. Rhododendren und Kakteen wechselten sich ab mit kleinen Palmen und Obstbäumen. Wie immer, wenn er hier für einige Augenblicke zu verweilen gedachte, steuerte er den nahe gelegenen Teich an und ließ sich in seiner Nähe unter einem der zahlreich vorhandenen Apfelbäume nieder. Schweigend genoss er die Ruhe um sich herum. Hier, fernab der Stadt, innerhalb der Palastmauern, drang nur wenig von dem Lärm hinüber. „AUA!“ Mit einmal landete etwas relativ hartes auf seinem Kopf und kullerte von da weiter in seine Hand. Leicht genervt rieb er sich die lädierte Stelle.   /Kaum will man einige Minuten ruhen, verschwören sich selbst die Bäume gegen einen./ Grummelnd betrachtete er sich den Apfel und schließlich, ohne weiter darüber nachzudenken, biss er hinein.   „HEY! Das war meiner!“ Der Bissen blieb Seth wortwörtlich im Halse stecken, als er die empörte Stimme über seinem Kopf vernahm. Sofort begann er kläglich zu husten und bemühte sich, das Stückchen Apfel hinunterzuschlucken. Trotzdem dauerte es noch mehrere Sekunden, ehe er wieder zu Atem kam. „Entschuldige Priester. Ich wollte dich nicht so erschrecken. Aber mal ehrlich: Wie würdest DU denn reagieren, wenn dir jemand deinen Apfel vor der Nase wegschnappt, nur weil er dir aus der Hand gefallen ist? Das war bestimmt der erste genießbare in diesem Jahr…“, drang abermals eine Stimme aus der Krone des Baumes.   /Jetzt wird es mir wahrlich zu bunt./ In einer fließenden Bewegung kam Seth auf die Beine und wandte seinen Blick nach oben. Dort, mitten in den Ästen des Baumes, hockte doch tatsächlich ein junger Mann. Gegen das Licht der bereits recht niedrig stehenden Sonne konnte er dessen Gesicht leider nicht näher sehen, aber er war sich ziemlich sicher, dass, wer auch immer da oben saß, nicht da hingehörte! „Was fällt dir eigentlich ein?! Erst lädierst du meinen Kopf mit deinem dummen Apfel und dann gibst du auch noch mir die Schuld dafür, dass ich ‚deinen’ Apfel anrühre?“ „Falsch. Du trägst die Schuld daran, dass du dich unter meinen Lieblingsbaum gesetzt hast.“ „Wie kommst du dazu mich zu duzen?“  „Wieso nicht? Du duzt mich doch auch.“ „Ich bin Hohepriester des Pharaos und stehe noch weit über dir.“ „Wenn man es genau betrachtet, dann wohl momentan eher unter mir. Immerhin sitze ICH hier oben und du meckerst da UNTEN.“ „Nun, das wird sich ändern lassen. Komm sofort herunter.“ Wenn ihm seine Augen nicht gerade einen Streich spielten, wagte es dieser Junge doch tatsächlich, mit den Schultern zu zucken! Seth täuschte sich nicht. Denn prompt erklang abermals eine mehr als belustigte Stimme aus der Krone des Baumes.   „Komm du doch herauf.“ „Ich werde gleich…!“ Nun, der oben Sitzende sollte nicht mehr erfahren, was er gleich tun würde, denn in diesem Augenblick vernahm Seth die Stimme des Pharaos im Garten. „Seth!“ Der Angesprochene wandte sich um und konnte in ein paar Metern Entfernung Atemu erkennen. Wütend funkelte er daraufhin noch einmal irgendwo in das Geäst hinein, ehe er seinen Pharao mit einem Kniefall begrüßte. Immerhin waren Fremde anwesend und solange das der Fall war, war es sein Pflicht, den alten Bräuchen zu folgen. Verwundert besah sich Atemu seinen vor ihm knienden Hohepriester und gab ihm mehr nebenbei das Zeichen, sich erheben zu dürfen. „Was soll das, Seth? Wir sind unter uns.“ „Leider nicht, Licht Ägyptens. Ihr habt einen Eindringling in Eurem geheiligten Garten.“ Eine Augenbraue verärgert hochziehend, sah Atemu seinen Priester an. Streng forderte seine Stimme den Aufenthaltsort des Eindringlings zu erfahren. „Dort oben. Er sitzt im Apfelbaum.“ „Soso. Im Baum also.“ Missmutig sah Atemu in besagte Krone und verschränkte die Arme. Schließlich jedoch, nachdem er einige Augenblicke schon beinahe wütend nach oben gestarrt hatte, lehnte er sich aufseufzend an den relativ breiten Stamm und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Die Sonne um diese Zeit fühlte sich einfach wunderbar auf seiner Haut an und auch er genoss anscheinend die Abgeschiedenheit seines Gartens. Seth sagte nichts dazu. Zwar hätte er gedacht, Atemu würde weitaus empfindlicher auf Eindringlinge reagieren, doch letztlich war dies nicht sein Garten und somit ging es ihn nichts an. Noch einmal sah er in die Krone und konnte den Schatten mittlerweile auf einem der größeren Äste des Baumes ausmachen. Liegend. Anscheinend fühlte sich die Person nicht gerade dazu aufgefordert, seinem Pharao die entsprechende Ehrerbietung zu erweisen. Schließlich schien auch der Pharao einzusehen, dass der Junge auf dem Baum wohl nicht eher hinabsteigen würde, als bis er ihm einen direkten Befehl dazu erteilt hatte. Die Augen schräg nach oben gerichtet, erhob er in aller Ruhe seine Stimme. Nicht laut. Nur so, dass er sicher sein konnte, dass der Andere dort oben ihn verstehen würde.   „Komm da runter.“ Kapitel 11: Wiedersehen ----------------------- @Sunny-Valentine: Interessant? ^_^ Danke. Ich hoffe, dass dir die FF auch weiterhin gefällt, allerdings ist Joey tatsächlich... nun ja... ziemlich schlau. Wenn man sie miteinander vergleicht, ziehen Seto und er gleich. Mir ist es wichtig, beide auf eine Stufe zu stellen und sie als einander ebenbürtig zu zeichnen. Ich bin gespannt, wie du die Darstellung der zwei noch finden wirst. ^_^* @Closer: Sorry, viel Stress. Schneller veröffentlichen ging leider nicht. dafür will ich vlt. morgen oder zu Weihnachten nochmal was hochladen. Ich hoffe, das entschädigt. ^.~ Ich mag eine Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart auch. Ich liebe 'Zeit-Geschichten'. ^.~ Also Storys, bei denen Vergangenheit und Gegenwart oder Zukunft und Gegenwart auf einander Einfluss haben. Aber ich selbst schreibe sowas zum ersten Mal. Manchmal ist es knifflig, den Überblick über beide zu behalten, zumal mein Seth und Jono von früher ja schon auch gleichzeitig Joey und Seto sind, aber eben mti anderen Erfahrungen und 5000 Jahren dazwischen - und in 5000 Jahren kann man sich schonmal ein bisschen verändern. ^_^* Aber ich hoffe, dass ich dieser großen Vorfreude auf die Wiederbegegnung auch gerecht werden kann... @Primavera: Oh. Hi! Noch ein neuer Kommischreiber ^_^ *freu*. Was war denn deine Vermutung? *neugierig ist* Jup... ich kann es gar nicht oft genug betonen, ich mag es auch nicht, wenn einer von zwei Charakteren immer als 'dumm' dargestellt wird - oder als zu naiv. Ein bisschen kann ja ganz reizvoll sein aber zu viel... Und Joey hat einfach zu viel hinter sich (nicht nur bei mir, auch im Anime), genauso wie Kaiba, um dumm oder naiv zu sein. Und in meinem Fall trifft das sowohl auf die Personen in der Vergangenheit als auch Gegenwart zu. ^.~ @Lunata: Noch jemand mit Vermutungen... *g* Bin gespannt, wie du die Auflösung findest und ob du wohl enttäuscht bist, wenn es um Kaibas Reaktion geht. ^_^* Wie gesagt, bei mir entwickeln sich Geschichten immer langsam... _________________________________________________________________- Nichts rührte sich. Kein frecher Bengel, der sich ehrfurchtsvoll vor die Füße des Pharaos begab und um Vergebung ersuchte, sprang herunter. Nicht den geringsten Laut gab der Junge von sich. „Deine Eskapade von heute hat mich verärgert“, ergriff der Pharao erneut das Wort, ohne auf die nicht erfolgte Reaktion weiter einzugehen. Diesmal kam die Antwort sofort. „Eine notwendige Vorsichtsmaßnahme.“ Seth zog verblüfft die Luft ein. Die Stimme des „Jungen“ klang auf einmal sehr viel ernster und erwachsener, als noch vor wenigen Minuten. Er musste seine Einschätzung, was das Alter des Anderen anging, wohl nach oben korrigieren. Vermutlich handelte es sich eher um einen jungen Mann statt um einen Jungen. „Warum?“ „Um mich zu schützen“ Der Hohepriester hätte schwören können, dass die Stimme des ‚Gastes‘ einen fast schon schmollenden Unterton angenommen hatte. Er war nahe daran, seine eben gefasste Einschätzung abermals einer Prüfung zu unterziehen. Galant wanderte eine Augenbraue des Pharaos ein Stück nach oben. „Dich?“ „Für Euch waren ja genügend Soldaten anwesend.“ „Und wovor musstest DU dich schützen?“ „Vor allem. Zum Beispiel vor der Feier…“ „… die ein Willkommensgeschenk für eure Siege ist…“ „…dem Trinkgelage…“ „Es liegt bei dir, ob du einen Tropfen anrührst.“ „… und nicht zu vergessen diesem verdammt lästigen Zeremoniell.“ „Das lästige Zeremoniell dient dazu, den Göttern für Ihre Hilfe zu danken.“ „Ich erweise den Göttern meinen Dank auf meine Weise." "Im Apfelbaum, soso..." "Wenn ich vor Langeweile sterbe, ist den Göttern auch nicht gedient.“ Kopfschüttelnd lauschte Seth diesem aus seiner Sicht sehr seltsam anmutenden Gespräch. Den Worten Atemus entnahm er, dass dieser mit dem jungen Mann dort oben sehr vertraut sein musste. Niemand sonst hatte je gewagt, dem Licht Ägyptens mit solchen Widerworten zu begegnen. Inzwischen war er neugierig, das Gesicht des Anderen zu sehen. Er wollte wissen, wer es wagte, dem Pharao - und auch ihm gegenüber - so furchtlos aufzutreten. Der Tonfall des Kletterers wurde abermals eine Spur ernster. „Vor den Blicken der Menschen. Vor ihren Augen, die sich dafür bedanken, dass ich tausende von Männern mit meinen Händen abgeschlachtet habe.“ „Du hast sie im Kampf besiegt.“ „Und sie getötet.“ Für einen Moment breitete sich wieder Schweigen aus. Anscheinend hatten ähnliche Gespräche zwischen den beiden bereits öfter stattgefunden. Kurz glitt der Blick des Pharaos über den noch immer wartenden Seth. Schließlich, beinahe resigniert, wandte er sich abermals nach oben. „Komm da runter. Ich will dich jemandem vorstellen.“ „Kenn ich schon.“ „Sofort.“ Seth sagte nichts angesichts dieses so eigensinnigen Charakters. Diesmal jedoch duldeten die Worte des Pharaos keinen weiteren Widerspruch. Das wusste wohl auch der ‚Apfeldieb’, denn kurz darauf konnte Seth es erneut, diesmal deutlich lauter, rascheln hören. Mit einem beherzten Sprung landete ein junger Mann direkt vor den Füßen des Pharaos. Einige grüne Blätter segelten, auf Grund der plötzlichen heftigen Bewegung, leise mit ihm zu Boden. Den Rücken Seth zugewandt, kniete sich der Blonde, wie der Hohepriester jetzt deutlich sehen konnte, vor seinen Pharao. Dieser gab auch ihm wenig später die Erlaubnis sich zu erheben. „Nun Jono…“ Wie ein Stromschlag schoss Seth der Name durch die Glieder, doch nichts ließ er sich nach außen hin anmerken. Es konnte einfach nicht DER Jono … SEIN Jono sein! „… dies ist Seth. Mein Hohepriester.“ Langsam wandte der junge Mann sich dem Braunhaarigen zu. Ein freches und zugleich leicht hinter der aufgesetzten Fassade leicht verunsichertes Grinsen zierte das Gesicht des Mannes, den Seth bereits seit über 10 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Jono. Wahrlich, es war Jono! So eindeutig und unverwechselbar stand er mit einmal vor ihm. Und anscheinend hatte er in all den Jahren nichts von seinem frechen Wesen eingebüßt. Der Hohepriester war wie erstarrt. Sein Körper rührte sich keinen Millimeter. Seine Augen zuckten nicht. Nichts verriet seinen inneren Aufruhr. Er sah ihn nur an. Wie hypnotisiert nahm er das Bild des jungen Mannes in sich auf. Kein Laut verließ seine Lippen, denn er wusste nicht, was er in diesem Moment hätte sagen können. Nicht nur einmal hatt er sich ausgemalt, wie es wohl wäre, seinem Kindheitsfreund wieder gegenüber zu stehen. Das Wiedersehen hatte er sich jedoch vollkommen anders ausgemalt. Der Anblick vor ihm, brachte ihn aus seinem inneren Gleichgewicht. Dennoch ließ er sich nach außen nichts anmerken. Seine kalte Maske beibehaltend, sah er ihn einfach nur an. Einerseits war da diese Freude, ihm nach all der Zeit wieder gegenüber zu stehen. Andererseits diese bohrende Wut im Bauch. Wut, auf den Jungen, der damals ebenso unvermittelt verschwunden war, wie er jetzt wieder auftauchte. Noch Monate später war er damals immer wieder zu ihrem Treffpunkt gegangen, in der Hoffnung, ihn doch noch einmal wiederzusehen – nur, um jedes Mal erneut enttäuscht zu werden. Jono hingegen schien ihr Wiedersehen weitaus gelassener aufzunehmen. Sollte es anders sein, ließ auch er sich nichts anmerken. Leicht wedelte er mit der einen Hand vor dem Gesicht des Anderen herum, bevor er die Schultern zuckte und sich einfach, dreist wie er war, den Apfel von Seth zurückholte. Denn dieser hatte bis eben immer noch in dessen Hand geruht. Alle Ernsthaftigkeit, die bis eben noch in der Luft gelegen hatte, löste sich auf wie ein verwehter Sandsturm. Herzhaft biss Jono von der Frucht ab und kam zu einer wichtigen Erkenntnis: „Also, ich bin nicht Schuld, dass dir der Bissen eben im Hals stecken geblieben ist.“ Leicht angeekelt verzog sich das Gesicht des mittlerweile erwachsen gewordenen Blonden zu einem säuerlichen Lächeln. „Es mag ja der erste Apfel in diesem Jahr sein, aber der leckerste mit Sicherheit nicht.“ Langsam fing sich Seth wieder und sah erst noch einen Moment ihn und schließlich den Apfel an. Schnell griff er zu und entriss nun wiederum ihm das gewünschte Stück. „Was geht es dich an“, grummelte er vor sich hin und hatte in diesem Augenblick gänzlich die Anwesenheit des Pharaos vergessen. „Was machst du hier eigentlich?“ „Na… einen Apfel essen. Das hast du doch gesehen.“ „Aus dem Garten des Pharaos.“ „Von meinem Baum.“ „Vom Baum des…“ Stockend hielt Seth inne. „Von wessen Baum bitte?“ hakte er dann ohne Umschweife nach. „Meiner. Ich habe ihn ja schließlich gepflanzt. Also war es rein theoretisch auch MEIN Apfel, den du da essen wolltest und den du immer noch in der Hand hältst.“ Seth gab auf. Er war schlichtweg überfordert. Und das war ihm schon seit Jahren nicht mehr passiert! Beinahe Hilfe suchend sah er zu Atemu hinüber, welcher sich bis dato schweigend im Hintergrund gehalten hatte. „Ich gehe richtig in der Annahme, dass ihr euch kennt?“ „Ja“ „Nein“, antwortete Seth im selben Augenblick wie Jono. Und es stimmte. Er war sich gerade nicht wirklich sicher, ob er DIESEN Jono noch kannte. Seufzend besah sich Atemu die beiden Männer vor sich. Das konnte ja noch heiter werden. Tief einatmend beschloss er, zumindest ein paar kleinere bis größere Missverständnisse aus der Welt zu schaffen, ehe er die beiden wieder ihrer „Wiedersehensfreude“ überließ. „Jono. Während deiner Abwesenheit habe ich Seth zu meinem Hohepriester berufen, also sei dir bewusst, dass du dich mit ihm wirst arrangieren müssen.“ Schweigend nahm Jono die Worte seines Pharaos zur Kenntnis. Seth sagte nichts. „Seth“, wandte sich Atemu nun an ihn. „Ich weiß nicht, woher ihr euch kennt und vielleicht kommt irgendwann die Stunde, in welcher ihr beide mir das sagen wollt, doch momentan zählt die Gegenwart.“ Mit einem schiefen Grinsen und einer weisenden Hand deutete der Pharao lakonisch auf Jono. „Darf ich dir Anoubis Ano - Ooobis, den ‚Roten Schakal’, vorstellen?“ „WAS?!“ Die Augen verdrehend betrachtete sich Jono die Gestalt seines alten Freundes. Denn DESSEN Augen waren plötzlich weit aufgerissen. Ein lila Riesenaffe mit Löwenkopf und Krokodilschwanz hätte vermutlich eine ähnliche Reaktion auf ihn gehabt. Wüsste er es nicht besser, würde er meinen, in dessen Augen stünde blankes Entsetzen. Aber er täuschte sich sicher. Den letzten Strohhalm greifend, deutete Seth in das Innere des Palastes. Nur vage konnte man annehmen, dass er wohl auf den Thronsaal zu zeigen versuchte, in dem die Feier des Pharaos noch immer in vollem Gange war. „Das kann nicht sein. ER ist Anoubis. Ich meine…“ „Nein, Seth“, begann der Pharao ihn aufzuklären und mit einem leicht verstimmten Seitenblick zu Jono meinte er: „Das dort drinnen kann jeder sein. Jeder aus der Truppe von Jono. Aber wenn ich mich recht erinnere, hieß er doch Tephtis, nicht wahr?“ Bestätigend nickte der Angesprochene. „Es ist nicht das erste Mal, dass Jono mich bei seiner Ankunft zum Narren hält.“ Mit einem weiteren Blick auf den verlegen lächelnden Jono: „Bis heute weiß ich nicht, ob das entweder seine verquere Art ist, seine Rückkehr zu feiern, oder ob er seinen Pharao einfach nur ärgern und Sorgen bereiten möchte. Derzeit nehme ich an, dass es wohl ein wenig von beidem ist.“ Tief Luft holend betrachtete sich Seth den vor ihm stehenden Jono angesichts des neuen Hintergrundes noch einmal ganz genau. Diesmal beschränkte er sich nicht nur auf das Gesicht sondern ließ seinen Blick auch über dessen Körper schweifen. Ein leichter Schutz aus Leder war um die jeweils untere Hälfte der Beine gebunden. Kleinere Armschützer sowie breite Lederarmbänder, um jedes der beiden Handgelenke, stellten wohl einen nur geringen Schutz vor Waffen dar. Hinzu kamen das Hemd und die Hose aus gegerbtem hellbraunen Leder und ein Tuch um den Hals. Es war in einem dunklen fast schon schwarzen Grün gehalten. Unendlich langes strohblondes Haar war im Nacken mit einem einfachen braunen Band zusammengebunden worden und schlängelte sich hinab bis zur Hüfte des Mannes. Kein Schwert, nur ein Dolch hing an der Seite eines schwarzen Gürtels. Alles in allem eine sehr leichte Bekleidung für einen Krieger des Pharao. „Keine Sorge. So sehe ich natürlich nicht in einer Schlacht aus.“ Belustigt hatte Jono die Musterung stillschweigend über sich ergehen lassen. Schließlich jedoch entließ Seth die angestaute Luft wieder aus seinem Inneren und … schwieg. Zumindest einige Sekunden lang. „Und DU willst ein Schwert halten können.“ „Sicher.“ „So wie du gebaut bist, kannst du wahrscheinlich froh sein, dass du unter der Last deines Dolches nicht zusammensackst.“ „Was soll ich sagen? Du trägst doch vorsichtshalber lieber gar nichts außer deiner Kleidung mit dir, oder? Aus Angst der Atem des Seth könnte dich aus deinen Schuhen werfen.“ „Wie ich sehe werdet ihr wunderbar miteinander auskommen“, unterbrach Atemu seine wohl zwei wichtigsten Gefolgsleute seufzend. Wie schon gedacht: Das würde noch heiter werden… ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Langsam streckte Seto seine Glieder. Blinzelnd öffnete er die Augen und griff noch im Halbschlaf nach seinem Büchlein. Zu vieles ging ihm momentan im Kopf herum und wollte unbedingt aufgeschrieben werden. Immerhin: Seine Ahnung vor dem Einschlafen hatte sich wohl bestätigt. Es war etwas Wichtiges geschehen, auch wenn er gerade noch nicht wirklich zuordnen konnte, was genau es war. Schnell griff er nach seinem Stift, denn er spürte schon wie einzelne Traumsequenzen sich wieder seinem Zugriff entzogen. Immer wieder murmelte er die wichtigsten Dinge vor sich hin. „Jono ist zurück. Er ist Anoubis. Nicht der andere. JONO ist Anoubis. Langes blondes Haar. Ähnlichkeit… Ähnlichkeit mit wem…?… blondes Haar… Roter Schakal ist … ist Jono…“ Mehr bekam er nicht mehr zusammen. Immer wieder, wie schon in früheren Träumen, wenn es mit dem Jungen namens Jono zusammenhing, entglitt ihm das Bild des nun erwachsen gewordenen Mannes, sobald er versuchte es festzuhalten. Warum nur konnte er sich an die Umgebung, den Garten und Ähnliches erinnern, nicht aber an das wahre Antlitz von Jono? Am liebsten würde er es einbrennen und nie wieder vergessen. Denn irgendwie ahnte… nein… WUSSTE er…, wie wichtig es war. Aber warum um Gottes Willen verschwanden die Eindrücke dann so schnell? Ändern konnte er daran wohl nichts. Er hatte Zeit. Und irgendwann würde auch ‚Jono’ ihm alle seine Geheimnisse offenbaren… Zumindest hoffte er das. Kapitel 12: Schulfest --------------------- @Anju: Es freut mich, wenn dir das Kapi gefallen hat. ^.~ Ich habe ja schon angedeutet, dass ich die nächsten Tage ausnahmsweise mal mehr veröffentlichen werde. Ich hoffe, dass die Admins trotzdem Geschichten on stellen und diese Story wirklich am 24.12. zu lesen ist. ^_^ Dann ist es nämlich ein richtiges Weihnachtsgeschenk. *smile* Viel Spaß beim Lesen. Allen Lesern 'Frohe Weihnachten'! __________________________________________________________- Tief atmete Joey durch. Noch einmal warf er einen letzten Blick in den Spiegel. Für den heutigen Tag hatte er sich für seine letzte ordentliche Jeans, ein weißes kurzärmeliges T-Shirt sowie für eine zur Jeans passenden Jacke aus demselben Material entschieden. Wegen der Wärme hatte er die Jacke jedoch lediglich über den Arm gelegt. Prüfend drehte er sich einmal im Kreis, wobei seine Augen auf den Spiegel gerichtet blieben. /Ja. Ich denke, so kann ich mich sehen lassen./ Leise vor sich hinsummend verabschiedete Joey sich noch kurz von seinen Eltern, ehe er sich beschwingten Schrittes in Richtung Schule aufmachte. Heute war der letzte Tag vor den Ferien. Wie jedes Jahr war eine große Abschlussfeier geplant, an der jeder teilnehmen durfte. Junge und Alte, Schüler und Ehemalige, Lehrkörper und Direktor. Zwar würde der Morgen noch eher ruhig ablaufen, doch spätestens mit dem Nachmittag begann das eigentliche Fest. Auf Grund dessen war es ihnen auch gestattet zu kommen, wie sie gerade lustig waren. Zumindest was die Anzugsordnung betraf. Denn pünktlich sollten sie selbstredend trotzdem sein. Des Öfteren hatten einige Schüler aus diesem letzten Tag eine regelrechte Modenschau gemacht.   Grinsend dachte Joey an das seltsame Outfit einiger Klassenkameraden im letzten Jahr zurück. /Kamiro sah wirklich zum Anbeißen aus in dieser abgedrehten Ledermontur. Oder Yoshiro in dem Minirock und der gelben Bluse … zum Schießen…/ In sich hineinlachend zog Joey die Tür von außen zu und schwang sich, man wollte ja fit bleiben, elegant die Treppen hinunter. Auch dieses Jahr würden wohl einige wieder als Kanarienvögel gehen. Denn diese Aufgabe aller Anzugsordnung verleitete ziemlich viele seiner Mitschüler immer wieder dazu, einen reinen Mummenschanz daraus zu machen. Joey sollte es recht sein. So hatte er wenigstens viel zu lachen. Fröhlich schnappte er sich, unten angekommen, seinen Drahtesel und gab sich heute ausnahmsweise mal besondere Mühe, pünktlich zu kommen. Er fragte sich, ob Kaiba wohl auch auftauchen würde. Es hatte Jahre gegeben, in denen er sich elegant gedrückt und sich sein Jahreszeugnis nach Hause hatte schicken lassen. Trotz vormittäglicher Anwesenheitspflicht. Immerhin hatte er ja ‚eine Firma zu leiten’.   Schon eine viertel Stunde später fuhr Joey auf dem Hof der Schule ein. Wie er es vermutet hatte: Der reinste Mummenschanz. Während sich in der hinteren linken Ecke des Hofes einige augenscheinliche Transvestiten über die neuesten Schminktipps austauschten, konnte man irgendwo in der Nähe der großen Eiche einige Gothic-Mädels herumstehen sehen. Größtenteils in Leder oder weite Kleider gehüllt und elegant schwarz geschminkt, bildeten sie einen wunderbaren Kontrast zu den bunten Schildern und Ständen um sie herum. Einige Außerirdische sowie diverse Obstsorten – keine Ahnung warum Kai heute als Banane zur Schule kam – und berühmte Gesichter, hatten sich ebenfalls unter die Leute gemischt. Zwar hatte das eigentliche Fest noch nicht angefangen, aber die Vorbereitungen waren bereits in vollem Gange. Schon jetzt freute er sich insgeheim auf die Theatergruppe an ihrer Schule, welche sich in jedem Jahr immer wieder was ganz besonderes zum Abschluss einfallen ließ. Geschwind schnappte sich der Oberschüler seine Jacke und trat eiligen Schrittes in das eigentliche Hauptgebäude ein. Im Gegensatz zu allen anderen Schülern, hatte seine Klassenstufe sich noch eine Moralpredigt vom Direktor anzuhören, ehe es Zeugnisse gab. Von wegen bald letztes Schuljahr, immer fein artig sein, keine kleinen Kinder verprügeln, Ernst des Lebens beginnt… etc. pp. Was man sich halt so anhören musste… Seufzend erreichte er wenig später die Aula, in welcher sich bereits einige seiner Mitschüler versammelt hatten. Sagte er einige? Er meinte selbstredend: So gut wie alle. Schnell und ohne erwischt zu werden, suchte er die Reihe seiner Klasse und stellte sich hinter Yoshiro. Dieser hatte es sich auch in diesem Jahr nicht nehmen lassen, einen ganz besonderen neuen Trend zu kreieren. Diesmal bot er zwar keine grellgelbe Bluse feil, doch eine Lack- und Lederuniform in tiefem Rot – samt Peitsche an der Seite – reichte vollkommen, um mehrere Blicke auf sich zu ziehen. Darunter auch die Blicke einiger männlicher Klassenkameraden.   „Schicker Hintern“, begrüßte Joey ihn grinsend und lachend wandte sich der Angesprochene um. „Ich weiß. Musste auch lange dafür arbeiten.“ „Wie lange hast du denn diesmal gebraucht, um dich da rein zu quetschen?“ erkundigte Joey sich interessiert und musterte das hautenge Teil von oben bis unten. „Du meinst einschließlich der Zeit, in der ich meinen Hintern in Form gebracht habe?“ „Jap.“ „Nun, ich würde sagen so ungefähr 5 ½ Monate und eine Stunde.“ Grinsend wies Yoshiro auf den beinahe unsichtbaren Reißverschluss auf der rechten Seite und neugierig wurde dieser auch sofort von Joey unter die Lupe genommen. Er zog sich wirklich, angefangen von der Schulter Yoshiros, hinunter bis zu den Fersen. Das Ding war praktisch in der Mitte geteilt.   „Cool.“ „Was man von deinem Anblick nicht gerade behaupten kann, Köter.“ Überrascht wandte Joey sich um.  Kaiba.  War ja klar.  Welche Überraschung, dass er sich natürlich genau hinter seine Wenigkeit einreihen musste.  Gerade in ziemlich guter Stimmung, was das Streiten anbelangte, wies Joey auf seine Wenigkeit und drehte sich nun vollends zu seinem ‚Widersacher’ um. „Wieso? Gefällt dir nicht was du siehst?“ „Und was bitte soll ich sehen?“ „Einen gut aussehenden jungen Mann mit einem absolut süßen Hintern und langem seidig golden glänzendem Haar“, zwinkerte Joey ihm belustigt zu. Kaiba musterte ihn, ohne eine Miene zu verziehen, einmal von oben bis unten.   „Mann? Wo? Ich sehe hier nur ein unreifes Hündchen in einer abgetragenen Jeans und einem absolut unmodischem T-Shirt.“ „Nun, es stimmt natürlich, dass nicht jeder in der Lage ist, sich mit Hilfe von Milliarden von Yen eine schicke Designer Hose und ein vorbildliches aber hässliches Hemd zu holen.“ „Dass ein Köter wie du keinen Geschmack hat, war anzunehmen.“ „MEINE VEREHRTEN SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER!!!“ machte der amtierende Direktor auf sich und sein Verlangen nach Ruhe im Saal aufmerksam. Selbst Kaiba und Joey hielten inne und der Blonde stellte sich mit dem Gesicht wieder in Richtung Bühne. Trotzdem die Schüler die Belehrungen bereits von ihren eigenen Lehrern oft genug vernommen hatten, war es doch etwas anderes, es in diesem großen Saal und vom Direktor persönlich gesagt zu bekommen.   Dennoch: Mehr als die Rede des Direktors, fesselte in diesem Augenblick die Rückansicht von Joey Wheeler den wohl bekanntesten Firmenbesitzer der Stadt. Nicht etwa, weil er dessen Hintern, wie Joey es vorhin so galant ausgedrückt hatte, so ‚süß’ fand. Nein. Es war etwas anderes, was seine volle Aufmerksamkeit beanspruchte.   Beinahe andächtig und ohne, dass es irgendjemand seiner Nachbarn oder Joey selbst bemerkte, berührte er das blonde Haar seines Vordermanns. Doch genau das war ihm nur möglich, weil Joey längst nicht mehr so kurze Haare hatte wie früher. Mittlerweile reichten sie ihm bereits bis zur Hälfte seines Rückens.   Erstaunt betrachtete Kaiba sich die Spitzen und hielt die blonden Strähnen beinahe andächtig in der Hand. Noch immer hatte niemand etwas bemerkt, denn aller Schüler Aufmerksamkeit galt weiterhin den Worten des Direktors.   /Warum ist mir das früher noch nicht aufgefallen?/ Grübelnd dachte er an die letzten Wochen zurück. Immerhin waren lange Haare an der Schule eigentlich verboten… Aber plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen! DESHALB hatte Joey trotz der Wärme immer das Hemd mit dem leichten Kragen angehabt! Sicher, die Uniform musste bei jedem gleich sein, aber das weiße Hemd, das passend zur Jacke überzustreifen war, das konnte sich jeder kaufen wie er gerade Geld hatte und lustig war. Und Joey, da war sich Kaiba mit einmal vollkommen sicher, hatte sich nicht umsonst für ein Hemd mit leichtem Kragen entschieden.   Jetzt erinnerte er sich plötzlich auch wieder an die Tatsache, dass er Joey ja schon einmal mit etwas längeren Haaren gesehen hatte. Und zwar bei ihrem Fußballspiel vor ein paar Monaten! Da war es ihm nur nicht weiter aufgefallen, da die Haare da bestimmt nur halb so lang gewesen waren. Und heute durften sie ja hier erscheinen wie sie wollten.   Noch einmal betrachtete Kaiba intensiv das lange Haar von Joey. Es war keineswegs so, dass man es auf Anhieb hätte bemerken können. Denn nur das hintere untere Haar, hatte Joey anscheinend wachsen lassen und trug es am heutigen Tage mit einem kleinen blauen Band locker zusammengebunden. Von vorne sah seine ‚Frisur’ noch immer so aus wie zuvor. „Sagte ich nicht, ich hätte langes golden glänzendes seidiges Haar?“ Schelmisch grinsend und leise flüsternd wandte Joey seinen Kopf leicht zu Kaiba um. Als hätte er sich verbrannt ließ Kaiba von seinen Haaren ab. „Nur, weil du verpasst hast, zum Hundefriseur zu gehen, musst du dir noch lange nicht einbilden sie seien ‚seidig’. Ich würde das dann schon eher als ungewaschen bezeichnen, aber ich will dich ja nicht deiner Phantasien berauben Hündchen.“ „Nun, sie schienen dir aber gewaschen genug, um sie mit deinen zarten edlen und hochwohlgeborenen Händen zu berühren und festzuhalten.“ „Wer so etwas Hässliches direkt unter die Augen geschoben bekommt, kann zuweilen vor lauter Entsetzen nicht anders.“ „Nun, wenn das so ist, müsste ich dich ja ständig anspringen, sobald ich dich sehe.“ „Was bei einem Hund wie dir wohl kaum auffallen würde. Immerhin springst du sonst ja auch fast täglich auf irgendwas an.“ „AUF etwas anspringen und JEMANDEN anspringen …Kaiba… selbst DU müsstest den Unterschied eigentlich kennen.“ „Ich weiß was ICH kenne, aber was läufige Hunde wie DU kennen und denken, das weiß ich nicht. Dieses niveaulose Art entzieht sich meiner Vorstellungskraft.“ „…UND DARUM IST ES MEIN AUSDRÜCKLICHER WUNSCH, DASS SIE IM KOMMENDEN SCHULJAHR, EINANDER HELFEN, EGAL WO AUCH IMMER HILFE GEBRAUCHT WIRD. DENN ICH DENKE, ES LIEGT IM INTERESSE EINES JEDEN VON IHNEN, EINEN GUTEN ABSCHLUSS ZU ERHALTEN.“ „Warum schreit der so?“ Beide Streithähne hatten ihre Aufmerksamkeit abermals nach vorne gewandt. Dort, vor dem Mikrofon, stand noch immer der Direktor und schien gerade zum glorreichen Ende seiner Rede zu kommen.   „Wer soll denn hier bitte wem helfen? Pah! Entweder man hilft sich selbst oder man geht unter.“ Ruhig hatte Joey die gegrummelten Worte des Firmenbesitzers hinter sich vernommen. Doch er schwieg und sagte nichts weiter dazu.   Selbst die schlimmste und eindrucksvollste Rede endete einmal und nachdem jeder von ihnen sein Zeugnis entgegengenommen hatte, zerstreute sich die Schülerschar und wandte sich dem fröhlicheren Teil des Tages zu. Einige wenige fuhren bereits nach Hause, um gleich am Abend in den Urlaub oder sonst wohin zu fahren. Selbst Joey und Kaiba verloren sich im folgenden Gewusel vollkommen aus den Augen. Nicht, dass sie nacheinander Ausschau gehalten hätten… Der Rest tummelte sich umgehend an den selbstgebauten Ständen einiger Schüler der Schule. Es gab verschiedene Spiele, die an den einzelnen Buden ausgeübt werden konnten und reichlich Stände mit Speis und Trank. Goldfischfangen, Lehrerbilder abschießen und Türme - bedruckt mit roten Noten - einwerfen, waren nur einige der lustigen Veranstaltungsideen, welche die Schüler umgesetzt hatten.   Gemütlich schlenderte Joey von einer der Buden zur nächsten. Schon an der vorletzten hatte er sich reichlich mit Reisbällchen versorgt und tat sich nun, gemeinsam mit seinen Freunden, daran gütlich. „Sag mal Thea… wir wissen ja alle wie du das Tanzen liebst… aber…“ Grinsend und stolz zugleich sah Thea auf ihr pastellgelbes Tütü.   „Ja Joey? Willst du mir was sagen?“ „Ja, also eigentlich…nein.“ Ein weiteres Mal musterte Joey seine Freundin von oben bis unten. „Ist auch besser für dich.“ Lachend drehte sie eine kleine Pirouette in der Menge. Es sah nicht schlecht aus, ohne Zweifel… aber dieses Tütü… „Keine Sorge Joey. Ich habe nicht vor, damit nachher auf die Straße zu gehen. Aber ich mache später noch beim Bühnenprogramm mit.“ Beinahe erleichtert sah Joey sie an. „Gut so. Ich weiß nämlich nicht, ob ich mich mit dir in meiner Nähe vor unser Schultor gewagt hätte.“ Ein gut gemeinter Knuff in die Seite war die Antwort Theas auf das grinsende Gesicht des Blonden. Immer noch lachend und feixend wollten sie sich bereits zum nächsten Stand begeben, als Yugi plötzlich stehen blieb und nach vorne starrte. Seine Freunde taten es ihm gleich, denn in diesem Augenblick bahnte sich die Gestalt eines stolzen Pharaos durch das Gedränge und hielt offensichtlich Ausschau nach seinem älteren ‚Bruder‘. Trotzdem alle um Yugi herum wussten, wer Atemu früher einmal gewesen war, war der Anblick des jungen Mannes momentan doch ziemlich ungewöhnlich.   Feiner Goldschmuck zierte seine Arme und Beine und ein leichtes helles Gewand umhüllte wallend seinen Körper. Fein lächelnd blieb Atemu vor den anderen stehen und drehte sich, ähnlich wie Thea kurz zuvor – nur ohne Pirouette – um seine eigene Achse.   „Na? Was meint ihr?“ erkundigte sich der ehemalige Pharao und wies auf seine Kleidung. Auf diesem Hof, am heutigen Tag, würde er damit wohl kaum mehr auffallen, als all die anderen sonderbaren Gestalten, die ihm auf dem Weg hierher begegnet waren. „Großartig Atemu!“ beschloss Thea. „Ja! Du siehst wirklich wie ein Pharao aus“, setzte Tristan hinzu. „Der Goldschmuck steht dir gut“, ergänzte Yugi noch, während er prüfend einen der Oberarmreifen auf der rechten Seite von Atemu noch einmal leicht zurechtrückte. Dieser sah derweil herausfordernd in Richtung Joey. Der blonde Mann, der für seine Kommentare zu solchen Aufmachungen innerhalb der Gruppe bekannt war, hielt sich zunächst zurück. Erst als ihre Blicke sich trafen, nickte Joey in einer schon beinahe als ehrerbietig zu bezeichnenden Geste.   „Mein Pharao.“ Jeder andere hätte hinter den Worten wohl Spott oder Belustigung vermutet. Atemu brauchte dem Anderen jedoch nur in die Augen zu sehen, um zu wissen, dass Joey es ernst meinte. Aufmerksam musterte er die vor ihm stehende Gestalt von unten bis oben und nahm jedes Detail, angefangen bei seiner geraden Haltung bis hin zu seinen blonden langen Haaren und dem ernsten Blick, in sich auf. Ungezählte Sekunden vergingen, in denen er dem Anderen nur in die Augen sah, als würde er nach etwas – oder jemandem - suchen. Ein sanftes Lächeln blitzte auf. In demselben respektvollen Tonfall, wie dieser zuvor ihn gegrüßt hatte, antwortete nun auch der Pharao mit einem leichten Neigen seines Kopfes. „… Joey.“ Nun lächelte auch der Blonde leicht und der Zauber des Augenblicks verflog von den anderen unbemerkt. Letztlich wandte sich Atemu wieder Yugi zu, der, inzwischen leicht rot im Gesicht, immer noch mit dem Oberarmreifen des Pharaos beschäftigt war.   „Lass Yugi. Ich richte das schon.“ Mit einem gezielten Handgriff schloss der Pharao den Reif abermals fest um seinen Arm, so dass das verschlungene ausgearbeitete Symbol des Udjat – Auges sichtbar an der Seite prangte.   „Kommt. Wolltet ihr nicht gerade zu diesem Stand? Ihr müsst mir alles zeigen.“ Zustimmend bewegte sich die kleine Gruppe daraufhin weiter in Richtung der nächsten Stände. In den folgenden Stunden amüsierten sich alle nach Herzenslust bis in die Abendstunden hinein. Zu späterer Stunde war unter anderem noch ein Feuerwerk geplant, was natürlich keiner von ihnen verpassen wollte. Dennoch verabschiedete sich Joey bereits gegen sieben Uhr von seinen Freunden. „Was denn? Du willst schon gehen?“ Alle machten große Augen. Jeder von ihnen wusste, wie sehr der Blonde Feuerwerk liebte.   „Ja leider.“ Grinsend erklärte er kurz seine Beweggründe. „Ich habe mich bereiterklärt, die Ablösung für Ushio zu übernehmen. Sie hat mich bereits vor ein paar Wochen darum gebeten. Ich werde das Feuerwerk dann von da aus verfolgen.“   Wie nebenbei wies er in Richtung der großen Eiche, in deren Nähe sich, wie alle wussten, der leckere Reisbällchenstand befand. „Schade. Aber da kann man wohl nichts machen“, bedauerte Yugi und verabschiedete sich von seinem Freund. „Schöne Ferien, wünsche ich dir. Nur für den Fall, dass wir uns nicht noch mal sehn - vorm neuen Schuljahr.“ „Ach, ich denke doch, dass wir das werden. Ich wohn’ ja nicht weit weg.“ Schnell schüttelte Joey alle Hände und umarmte den ein oder anderen seiner Freunde noch einmal ganz fest. Es war schon schade. Er wusste, dass Yugi und Atemu nach Ägypten und Thea und Tristan nach Amerika fliegen würden. Thea, um sich in Los Angeles eine Tanzschule näher anzusehen und Tristan, um dort an dem ein oder anderem schönen Strand auszuspannen. Er selbst würde wohl hier bleiben. Sein Geld reichte nicht für große Sprünge. Aber letztlich war es egal, denn er hatte sowieso viel zu viel zu tun und vielleicht würde ihn ja seine Schwester Serenity besuchen kommen. Schließlich hatte er beinahe jeden seiner Freunde verabschiedet und stand nun nur noch vor dem letzten in der Runde. Atemu. Dieser zog ihn überraschend ebenfalls in eine Umarmung und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.   „Es war schön, dich wieder zu sehen.“ Der Angesprochene umarmte ihn ebenso freundschaftlich und fest wie dieser ihn. „Ja. Sehr schön.“ Dann ließen sie einander los. Zwei Meter abseits warteten die anderen bereits auf Atemu, als dieser sich von dem Blonden abwandte, um sich ihnen wieder anzuschließen. Gerade wollte er ansetzten, etwas zu Yugi zu sagen, als noch einmal die Stimme von Joey erklang. „Atemu!“ Fragend wandte Atemu sich um. An derselben Stelle wie zuvor, die Hände in die Taschen der Jeans gesteckt und die Jacke immer noch unterm Arm tragend, sah Joey zu ihm hinüber. Leise und so, dass alle anderen sich anstrengen mussten, um ihn zu verstehen, floss dem jungen Mann nur ein einziges Wort über die Lippen.   „Danke.“ Ein sowohl schmerzliches als auch glückliches Lächeln, das sich wohl nur zwei der Anwesenden wirklich erklären konnten, war auf dem Gesicht des Blonden erschienen. Atemus rechte Hand glitt daraufhin erst zu seiner Stirn, dann weiter zu seinem Herzen, ehe er kurz, die Augen geschlossen, den Kopf senkte. Ein uralter Brauch, der verschiedene Bedeutungen hatte. Der Pharao verstand, was Joey ihm sagen wollte. Es brauchte keine weiteren Worte. Verständnisvoll nickte er noch einmal hinüber, ehe er sich nun wirklich mit den anderen zum nahe gelegenen Feuerwerk aufmachte. Keiner der Freunde wagte es, dieses Schauspiel zu hinterfragen. Irgendwie wussten sie, dass das Mienenspiel der Beiden mit Dingen zu tun hatte, die sie wohl nie erfahren würden. Es war eine Sache zwischen Joey und Atemu und alle Anwesenden akzeptierten das. Kapitel 13: Bogenschießen ------------------------- @Closer: *G* Die Szene mit Atemu ist auch eine meiner Lieblingsszenen. Ich weiß nicht, ob du das kennst, aber selbst als derjenige, der etwas geschrieben hat... Es gibt einfach Teile einer Geschichte, die einem besser gefallen als andere, Teile, die einem besser gelungen sind und von denen man denkt, dass sie nicht besser zu formulieren wären. DAS ist eine meiner Stellen, wo mir das so ging. ^_^* Was Kaibas Auftritt anbelangt, war das natürlich noch nicht alles. ^.~ Hier kommt sein zweiter Part auf dem Schulfest. Ich wünsche dir auch nochmal schöne Weihnachten. *smile* Wenn du schnell liest, veröffentliche ich auch schnell weiter, wie du siehst. *G* @Lunata: Du hast Recht. Die Zeugnisse sind hier nicht zur Sprache gekommen. o.Ô Du bist die Erste, die mich darauf hinweist... danke dafür. Irgendwie... Stimmt. Da fehlt was. Aber das kommt wohl daher, weil es in meinem Kopf relativ klar war, dass Joeys Zeugnis in diesem Schuljahr noch schlecht ist - also gerade so 'gut' dass er versetzt wird. Da gibt es für die Anderen halt nichts zu sehen oder festzustellen. Die Lehrerin hatte ihn je erst für das Abschlusszeugnis, was ja erst im nächsten Schuljahr kommt, das Versprechen abgenommen, sich anzustrengen. ^.^ Die Enthüllung kommt aber in jedem Fall... aber das dauert noch seeeeeehhhhhhhr viele Kapis. ^_^* Sorry, wie gesagt, ich mag lange Geschichten, die sich langsam entwickeln. Was Atemu und Joey angeht... ^_^ Ich sag da mal nichts dazu. *fg* Bei mir muss man aufpassen, der Teufel steckt bei mir oft im Detail, ich arbeite gern mit zahlreichen Hinweisen (Gesten, Blicken, Formulierungen etc.) um auf Hintergründe hinzuweisen. In diesem Sinne kannst du dir deine Vermutung bestimmt selbst als richtig oder falsch deklarieren. ^.~ Manche Kapis werden auch mal länger sein, aber im Allgemeinen bewege ich mich zwischen 5-8 Seiten/Kapi (A4 in Word). Sonst verliere ich irgendwann meinen Vorsprung. Die ff ist ja noch nicht fertig und ich schreibe ständig weiter. Würde ich zu viel Veröffentlichen, hätte ich keine Zeit mehr, Dinge nochmal zu überarbeiten oder doch nochmal in eine andere Richtung zu lenken. Sorry. Aber jetzt hat ja erstmal Seto einen etwas größeren Auftritt. Viel Spaß beim Lesen. Ich wünsche allen Lesern einen schönen 2. Weihnachtstag! ________________________________________________________________________ „SEEEEETOOOOO…“ Grummelnd sah Mokuba zu seinem großen Bruder. Seit mittlerweile mehr als 5 Minuten, versuchte er standhaft, dessen Aufmerksamkeit zu erringen. Abermals erfolgte keine Reaktion. Still ging der Braunhaarige neben ihm und ignorierte geflissentlich alles um sich herum. Mokuba gab auf. Resigniert schüttelte er den Kopf und wandte sich dem nächsten Stand zu. Ein Schießstand, auf welchem geübte und ungeübte Bogenschützen ihr Können erproben konnten. Schnell hatte der Schwarzhaarige sich für einen der zur Verfügung stehenden kleineren Bögen entschieden und wollte gerade den Pfeil anlegen, als sein großer Bruder dazwischen ging.   „Mokuba!“ „Och man, Seto!“ quengelte der andere und sah ihn mit verstimmter Miene an. „Die ganze Zeit ignorierst du mich und kaum, dass ich mal was finde, was mir Spaß machen könnte, nimmst du mir das Zeug einfach weg.“ „Natürlich. Immerhin hast du den Bogen vollkommen falsch gehalten.“ Die Arme verschränkt und einigermaßen empört fixierte der Kleine seinen großen Bruder. "Ach. Und DU weißt, wie man das macht, ja?“ „Pass auf…“ Seufzend schnappte sich Kaiba einen der größeren Bögen und spannte ihn. Gleich darauf legte er geschickt einen der herumliegenden Pfeile auf und zielte auf die runde Scheibe ein paar wenige Meter vor sich. Vollkommen ruhig und konzentriert nahm er das Ziel ins Visier… und entließ das Geschoss aus seiner Hand. Sicher und schnell glitt der blaue Pfeil davon.   „Super Seto!“ Staunend sah Mokuba dem Pfeil hinterher. Zwar hatte er nicht genau die Mitte getroffen, aber er war immerhin ziemlich nahe heran gekommen.   „Ein guter Schuss, Herr Kaiba“, erklang es auch von Seiten des Lehrers, der die Aufsicht über den Schießstand hatte. „Ich nehme an, das machen sie öfter?“ Den Lehrer beinahe eben so kalt ins Visier nehmend, wie zuvor die Zielscheibe, gab Kaiba ihm den Langbogen zurück und verneinte die Annahme des Mannes. „Es war mein erster Versuch.“ „Nun, dafür muss ich sagen… haben Sie den Bogen aber schon ganz gut im Griff. Die meisten Anfänger greifen falsch um oder versuchen es wie in irgendwelchen Robin Hood Filmen. Sie hingegen…“ „Glauben Sie ihm ruhig. Hätte er das schon öfter gemacht, hätte er auch das Schwarze in der Mitte getroffen und nicht nur den daneben liegenden Außenring. Er kennt bestimmt noch nicht mal den Unterschied zwischen einem Lang- und einem Kurzbogen, geschweige denn weiß er, wie man vernünftig zielt“, gesellte sich eine beinahe schon gelangweilt klingende Stimme dazu. „Joey!“ Freudig sprang Mokuba zu seinem blonden Freund herüber. „Was machst du denn hier?“ „Reisbällchen verkaufen, sieht man das nicht?“ Belustigt wuschelte der Ältere dem Kleinen einmal durch die Haare und reichte ihm eines der leckeren Bällchen über die hölzerne Theke. Ruhig maß Kaiba den Blonden am direkt gegenüberliegenden Stand. Er hatte ihn bis eben gar nicht bemerkt - was an sich nicht weiter verwunderte, wenn man bedachte, dass er vor ein paar Minuten noch in Gedanken versunken gewesen war. Woran hatte er eigentlich die ganze Zeit gedacht? Egal. „Wenn du so viel weißt… ich bin gern bereit dazuzulernen. Zeig uns doch, wie man es richtig macht – wie man einen Pfeil genau ins Schwarze setzt.“ Grinsend und beide Ellenbogen auf die Theke gestützt, sah Joey zu ihm hinüber. „Nein, lass mal Kaiba. Du hast gerade so ein tolles Lob bekommen. Ich will dich ja nicht beschämen.“ „Nur zu Wheeler. Keine Sorge. Ich kann eine Niederlage wegstecken. Auch wenn ich bezweifeln möchte, dass du zu einer solchen Niederlage beitragen könntest.“ „Oh, du verstehst mich falsch… wenn, dann würde ich wohl die Hauptschuld an deiner Niederlage tragen.“ „Och komm schon Joeeeey!“ schloss sich Mokuba der ‚Bitte’ seines Bruders an. „Nein Mokuba. Ich kann doch nur wegen dem Ego deines Bruders nicht einfach meine Pflichten vernachlässigen und diese schönen leckeren Reisbällchen aus den Augen lassen. Hinterher klaut mir die noch einer“, lehnte Joey lachend ab. Doch wenn er dachte, so einen kleinen Frechdachs wie Mokuba damit überzeugen zu können, hatte er sich geirrt. Er konnte gar nicht so schnell gucken, wie der Kleine zu ihm hinter die Theke geschlüpft war und mit einem tolldreisten Lachen verkündete: „Ich passe auf.“ Überrascht sah Joey zu ihm hinunter und musste eingestehen, dass er wohl mit den denkbar einfachsten Mitteln geschlagen worden war: einem Hundeblick aus großen schwarzen Augen und einem übermäßig unschuldigen Lächeln. Zufrieden sah Mokuba wenig später zu, wie Joey sich zum Lehrer und damit auch zu Kaiba und dem Schießstand begab. Flüchtig musterte er die angebotenen Bögen, eher er sich für einen der längeren mit blauer Schnitzerei entschied. Nachdem er zudem noch drei der etwas älteren Pfeile neben sich gelegt hatte, wandte er seinen Kopf ein letztes Mal zu dem Braunhaarigen. „Na? Lust auf eine Wette?“ Stumm warf Kaiba einen kurzen Blick auf die Zielscheibe, wo sein eigener Pfeil noch steckte und dann noch einen weiteren auf das Gesicht und die langen Haare von Joey.   „Nein.“   „Wie du meinst. Vielleicht hättest du sogar gewinnen können.“ „Sicher. Doch ich bezweifle, dass es bei dir etwas zu holen gäbe.“ Ebenso geschickt wie Kaiba zuvor, spannte Joey seinen Bogen und legte den Pfeil an. „Stimmt. Du hast dir von mir ja auch bereits mehr als genug genommen.“ Ohne seine Worte näher zu erläutern, kniete sich Joey auf das rechte Bein und steckte das eine Ende des Bogens direkt vor seinen linken Fuß in den Boden. Mit dieser kleinen Hilfestellung war es ihm möglich, den Bogen weitaus ruhiger zu halten, als Kaiba kurz zuvor. Durch die neu entstandene Stabilität wurde auch das Zielen um ein Vielfaches erleichtert. Konzentriert und ohne sich weiter durch die kalten Augen des Anderen aus der Ruhe bringen zu lassen, überprüfte er noch einmal die ungefähre Entfernung zur Scheibe. Dann, nach weiteren gespannten Sekunden, zog er die Sehne samt Pfeil dicht an seinem rechten Ohr vorbei … und schoss. Nur einen Wimpernschlag später ragte der Pfeil direkt aus der Mitte des schwarzen Kreises heraus.   Anerkennend beglückwünschte der Lehrer ihn zu diesem gelungenen Schuss. Selbst der Braunhaarige, der ihn die ganze Zeit über genau beobachtet hatte, konnte die Geschmeidigkeit und die Sicherheit, mit welcher der Schuss gesetzt worden war, nur bewundern. Selbstredend, dass er von dieser Bewunderung nur wenig spüren ließ. „Wie es scheint, hättest du wohl die Wette gewonnen.“ „Oh Kaibalein! Höre ich da etwa einen HAUCH von Respekt aus deiner Stimme oder ist dir die Abendluft nicht bekommen?“ „Respekt muss man sich verdienen, Hündchen und das wird dir mit nur einem geglückten Schuss nicht gelingen.“ Lachend sah der immer noch am Boden Kniende zu ihm auf und griff sich den zweiten Pfeil. Diesen, wie auch den nächsten und letzten, setzte er ebenso schnell und sicher ins Ziel, wie zuvor den ersten.   „Und? Habe ich jetzt deinen Respekt verdient?“ „Wirklich ausgezeichnet, Herr Wheeler. Ich kann mich nicht daran erinnern, Sie je in meinem Kurs begrüßt zu haben. Warum nicht?“ Beinahe bedauernd sah Joey zu dem älteren Herrn, während er sich mehr nebenbei den Dreck von der Hose klopfte. „Für so etwas habe ich leider keine Zeit.“ Andächtig sah er sich noch einmal den Bogen an, der noch immer fest in seiner Hand lag.   „Ihre Schießkunst lässt mich jedoch glauben, Herr Wheeler, dass Sie diese Zeit durchaus schon einmal aufzubringen bereit gewesen sind.“ Den Kopf schüttelnd und ein bedauerndes Lächeln im Gesicht, reichte Joey seinem Lehrer den Bogen zurück. „Sie irren sich. Ich habe in diesem Leben noch keinen Bogen in der Hand gehalten. Das hier…“, er deutete auf die drei Pfeile „…war demnach wohl reines Glück.“ Grinsend sah er zu Kaiba und es war nicht sicher, ob er noch immer mit dem Lehrer, oder mit dem jungen Mann vor ihm sprach, als er beinahe flüsternd ergänzte: „Vielleicht bringen die paar Robin Hood Filme ja doch etwas?“   Seltene Stille trat zwischen die beiden Kontrahenten, während der Lehrer den Bogen wieder sicher verstaute und die vier Pfeile aus der Scheibe entfernte. Erst durch das beginnende Feuerwerk, schienen sie wieder aus ihrer Starre zu erwachen und schauten gemeinsam in den Abendhimmel, als die ersten Lichter ihren Weg nach oben fanden. Auch Mokuba kam hinter der Theke hervor und wurde von seinem großen Bruder sogar auf die Schulter genommen, damit er besser sehen konnte. So standen die drei in einträchtigem Schweigen beisammen und vergaßen für diese wenigen Minuten alle Streitereien und selbst die leckeren Reisbällchen. Bei jedem neuen Knall und jeder neuen Feuerblume – denn Blumen waren das diesjährige Thema – leuchteten die Augen des Blonden und des Schwarzhaarigen ein kleines bisschen mehr.   Kaiba hielt sich mit Kommentaren zurück. Zwar war er nur ein halb so großer Freund von Feuerwerk, wie seine zwei Begleiter, aber auch er kam nicht umhin, die Schönheit dieser Nacht zu bewundern. Ab und zu glitt sein Blick nachdenklich zu Joey, doch da dieser voll und ganz mit den bunten Funken beschäftigt war, bemerkte er davon nichts. /Langes blondes Haar… Es erinnert mich irgendwie an IHN…/ Seufzend wandte er den Blick wieder nach oben.   /Selbst in der Wirklichkeit verfolgt mich dieser Jono… / In sich hinein grummelnd widmete Kaiba seine volle Aufmerksamkeit wieder seinem kleinen Bruder, der gerade aufgeregt zur rechten Seite des Himmels wies. „Schau mal Seto! DA!“ Staunend betrachtete der Kleine den Drachen, der in diesem Moment am Himmel erschienen war. Gekleidet in die Farben Blau und Gelb, war er wirklich wundervoll anzusehen. Aufmerksam gemacht durch die Worte des Schwarzhaarigen, richtete Kaiba seinen Blick ebenfalls in die angegebene Richtung. Während der Firmenchef das Tier weitaus interessierter beobachtete, als die vielen Blumen zuvor, musste Joey schmunzeln.   „Denen erschien eine Blume als Abschluss des Feuerwerks wohl als zu langweilig.“ Als er die Worte des Blonden vernahm, kam auch Kaiba nicht um ein schiefes Grinsen herum. Der junge Mann hatte Recht. Ein Drache nach all den Chrysanthemen und Rosen, war wohl wirklich ein ziemlich starker Themen – Bruch. Auch wenn er die zuständigen Schüler für dieses Schauspiel beglückwünschte. Denn…   „Wirklich. Ein schöner Drache. Stolz und erhaben. Genau wie er sein sollte“, erklang da die Stimme von Joey. Weder Hohn noch Spott spiegelte sich in seinem Gesicht, als Kaiba zu ihm hinübersah. Er meinte, was er sagte und Kaiba stimmte ihm innerlich zu. Nicht umsonst liebte er seine gesammelten Drachen, allen voran den Drachen mit dem eiskalten Blick, so sehr. Er empfand den Anblick dieser einzigartigen Geschöpfe einfach als unvergleichlich schön. Aber ganz gleich wie schön sie auch waren, dieser eine spezielle Drache bildete den Abschluss des gesamten Feuerwerks und somit auch des letzten Schultages und schon bald waren auch die restlichen Funke erloschen. Nach und nach setzten sich die zuvor stehen gebliebenen Besucher wieder in Bewegung und all jene, die sich auf dem Rasen niedergelassen hatten, sammelten ebenfalls ihre Habseligkeiten zusammen, um kurz darauf aufzubrechen.  Langsam löste auch Joey sich aus seiner Starre und streckte noch einmal seine Arme von sich, ehe er wieder gemütlich zu seinem kleinen Reisbällchenstand hinüberschlenderte. „HEY JOEY! Wo willst du denn hin?“ erkundigte sich der Kleine, während er gerade wieder auf dem Boden abgesetzt wurde. Langsam begann Joey damit die übrig gebliebenen Reisbällchen in kleine Schachteln zu packen. Lächelnd sah er zu dem jungen Kaiba hinüber. „Das Fest ist vorbei Moki. Es wird Zeit, dass ich zusammenpacke. Und ihr werdet euch jetzt auch auf den Weg machen, nehme ich an?“ Fragend sah er zu Kaiba, welcher daraufhin nickte. Er war schon lange genug hier geblieben. Eigentlich hatte er auch gar nicht kommen wollen. Das er überhaupt hier war, war eigentlich nur seinem Bruder zu verdanken.   „GAR NICHT!“ ereiferte sich Mokuba in diesem Moment und schlüpfte abermals zu Joey hinter die Theke. „Ich helfe dir.“ Entschlossen sah er den Blonden an, welcher daraufhin nur liebevoll lachte. Er hatte den Kleinen inzwischen verdammt gern. „Aber Mokuba… Ich denke du hast deinen Bruder für heute genug beansprucht. Ich bezweifle, dass er jetzt noch Lust hat, hier ewig auf uns zu warten. Der ganze Stand muss noch abgebaut und das Essen ordentlich verstaut werden. Das dauert jetzt viel zu lange. Sieh lieber zu, dass du ins Bett kommst.“ Schelmisch blinzelte Mokuba zu ihm hinauf. „Seto langweilt sich bestimmt nicht! Er wird uns nämlich auch helfen und dann geht alles viel schneller.“ Eine Augenbraue hebend betrachte Kaiba sich das Geschehen aus sicherer Entfernung. Joey hatte nun schon zum zweiten Mal bewiesen, dass er sich, wenn es um Mokuba ging, nicht von ihren sonstigen Streitereien beeinflussen ließ. Im Gegenteil, er stellte sich sogar ausnahmsweise auf die Seite von Kaiba. Wahrscheinlich rührte das vor allem daher, mutmaßte der Firmenchef, dass Joey selbst eine kleine Schwester hatte – auch wenn diese längst nicht mehr so jung war wie Mokuba. Dennoch war er nicht bereit für Joey jetzt den barmherzigen Samariter zu spielen und beim Abbau zu helfen. Selbst Schuld, wenn der sich freiwillig meldete. „Ich denke nicht, Mokuba. Dein Bruder hat dazu, wenn ich dessen sauertöpfische Miene da hinten richtig beurteile, weder Zeit noch Muße.“ Kaiba war sich nicht sicher, ob Joey sich bewusst war, dass er alles hören konnte, auch wenn er ein paar Meter entfernt stand. Heute, so beschloss er, würde er auf die kleinen Sticheleien jedoch nicht mehr reagieren. Inzwischen war es spät geworden. Schmollend sah der Schwarzhaarige zu Joey. „Aber DU hast ihm doch auch die ganze…“ Weiter kam er nicht, denn Joey ging sofort dazwischen. „Mokuba! Ich denke WIRKLICH NICHT, dass er das will“, unterstrich Joey seine zuvor gefasste Meinung und brachte den Kleineren damit auch gleichzeitig zum Schweigen. Schuldbewusst sah dieser ihn an und schwieg verbissen. Beinahe wäre ihm etwas rausgerutscht und das, obwohl er versprochen hatte, es für sich zu behalten. Seto indes nickte zustimmend. „Mokuba, ich möchte jetzt wirklich nach Hause.“ „Aber…“, beinahe traurig sah Moki zu der vielen Arbeit, die Joey heute Abend noch mit dem Abbau haben würde und auch Kaibas Blick streifte kurz die Bretterbude. Während Joey zu dem Kleineren der beiden hinuntersah musste er plötzlich herzhaft lachen. Irritiert sahen die Beiden zu ihm. Wobei der Ältere sich selbstredend keinerlei äußerliche Gefühlsregung anmerken ließ. „Ach, Mokuba. Glaubst du denn, ich würde das alles hier ganz alleine abbauen? In ein paar Minuten kommen doch noch Yugi und die anderen und helfen mir. Mach dir also keine Sorgen und verschwinde nach Hause.“ Schwungvoll klopfte er dem Jüngeren noch einmal auf die Schulter, ehe er ihn mit einem kleinen Schubs in den Rücken in die Richtung seines Bruders dirigierte. Anscheinend hatten seine Worte ganz gut gefruchtet, denn schließlich ging Mokuba die restlichen Schritte sogar ohne weitere Mäkeleien zu dem Wartenden hinüber. Dieser sah kurz verstimmt auf den Schwarzhaarigen hinunter – immerhin war er nicht mal entfernt nach seiner Meinung gefragt worden, bevor sein Bruder seine Hilfe so mir nichts dir nichts feilgeboten hatte – und überreichte ihm dann seine zuvor stehen gelassene rote Schultasche. Schnell streifte sein Blick noch einmal Joey, welcher schon mit dem Einräumen weitermachte, ehe er sich ohne weiteren Gruß in Richtung Ausgang begab.   „SCHÖNE FERIEN!“ rief Joey ihnen da noch hinterher. Artig bedankte sich Moki bei ihm und erwiderte den Wunsch in voller Lautstärke. „DIR AUCH!“ Seto nickte nur und befürwortete somit indirekt und ohne sich eine Blöße zu geben, die Worte seines Begleiters.   Einen Moment sah Joey ihnen noch nach, ehe die Beiden ganz von der Masse verschluckt wurden. Seufzend besah er sich die Dekoration um sich herum und machte sich an die Arbeit. Es gab noch viel für ihn zu tun, denn entgegen seiner Worte war klar, dass seine Freunde heute nicht mehr vorbeischauen würden. Immerhin hatten sie sich bereits für die Dauer der Ferien voneinander verabschiedet. Zwar wäre es schön gewesen, noch ein bisschen Gesellschaft zu haben, doch er kam damit zurecht. Um ihn herum herrschte noch genügend Trubel und Aufbruchstimmung, da kam schon keine Langeweile auf. Außerdem musste noch das ganze übrig gebliebene Essen verstaut werden. Noch einmal sah er kurz in die Richtung, in welcher die anderen beiden Schüler eben verschwunden waren.   /Eine Stunde…/ stellte er gedanklich fest. /Eine ganze Stunde, in der wir uns nicht ein einziges Mal an die Gurgel gegangen sind./ Zufrieden holte er einige leere Verpackungen aus der rechten Ecke des Standes. Kapitel 14: Hilfe ----------------- @Astera: *freu* Danke, dass du mir einen Kommi hinterlassen hast! *verbeug* Als Autor freut man sich über soetwas immer diebisch, zumal es einem hilft, seine Geschichten noch weiter zu verbessern. Ich hoffe, dass du dich auch morgen wieder freuen kannst (denn ich nehme nicht an, dass diese Story heute noch von irgendwem Beta-gelesen wird). Man könnte auch sagen, kein unintelligenter Mensch wäre in der Lage, Kaibas Interesse zu wecken. Und das macht Joey im Anime ja wirklich durchweg. Egal wie brenzlig die Situation, Kaiba hat Joey gegenüber immer einen kurzen Spruch oder Kommentar auf den Lippen, triezt ihn gern oder sieht ihn an - selbst, als Mokuba in Gefahr ist. Und Joey lässt es sich nicht nehmen, ihn auch immer wieder dazu zu reizen. ^_^ Wer steht schon drauf, um solche Kommentare (und um Aufmerksamkeit dieser Art) förmlich zu betteln? *lach* Es sei denn, da steckt etwas anderes dahinter. @Closer: Ich gebe mir Mühe, mit der Geschwindigkeit, aber nach heute wird es wohl erst wieder Silvester etwas und danach muss ich sehen. Bald muss ich wieder arbeiten und dann wirds wohl nur noch am WE was mit dem nächsten Kapitel werden. ^_^* Ich hoffe, du hälst dann solange durch. Was die Muse anbelangt, kenne ich das gut. Ich habe mich schon an verschiedenen Arten von Geschichten versucht, auch Gedichte waren bei mir mal eine zeitlang aktuell. Momentan gefällt mir mein jetziger Stil relativ gut, aber er ist definitiv noch ausbaufähig und oft schreibe ich einen Teil nochmal komplett neu, weil ich so unzufrieden bin. Auch die so spontan erscheinenden Wortgefechte... für die brauche ich meist die längste Zeit. *seufz* Aber umso schöner ist es dann zu lesen, wenn selbst die persönlichen Durststrecken doch halbwegs so gelungen sind, dass sie dem Leser gefallen. ^_^* Im nächsten Kapitel wirst du sehen, dass du gar nicht so Unrecht hast und dein Gedächtnis topfit ist. Es kann gut sein, dass du die ersten Kapitel schon kennst. Ich hatte sie vor Jahren mal auf yaoi.de veröffentlicht, musste dann aber 2 Jahre aufhören und habe erst jetzt wieder angefangen. Zudem hat yaoi.de inzwischen ja leider geschlossen. Es kommen in jedem Fall noch ein paar Kapis, die du schon kennst, danach folgen aber zahlreiche neue, die ich erst jetzt weitergeschrieben habe. ^_^ @Primavera: *lach* Ich bin auch erstaunt, dass die lieben guten Geister bei Animexx auch zu Weihnachten nicht ruhen und weiter online stellen. An dieser Stelle ein DANKESCHÖN an den, der auch immer das hier lesen muss! Gut. Zurück zu dir. Danke für deinen Kommi! *smile* Meiner Ansicht, das habe ich auch schon Astera geschrieben, kann Joey gar nicht dumm sein. Dumme Menschen würde Kaiba gar nicht beachten - und dabei macht er das ständig. Was mich zu dem Schluss bringt, dass er Joeys Fähigkeit insgeheim anerkennt, es aber nicht zugeben will und von ihm fasziniert ist, so dass er trotzdem er ihn gern ignorieren würde, ihn trotzdem nicht aus den Augen lassen kann. *G* Tja das mit der Zeremonie... ^_^ Ich bin erstaunt, dass sich das so viele wirklich durchgelesen haben. Ich habe tatsächlich lange überlegt, wie ich das schreibe. In meinem Kopf läuft bei sowas immer ein Film ab und ich habe alles genau vor Augen, aber es fällt schwer, dass dann auch zu Papier zu bringen. *seufz* Ich befürchte immer, dass das dann zu ausschweifend und eher langweilig ist. Umso schöner, wenn dir die Beschreibung gefallen hat. Ich selbst neige als Leser ja dazu, solche Beschreibungen bisweilen auch nur zu überfliegen. Daher versuche ich selbst, es ein wenig anders zu machen. Ob mir das gelingt... das solltest lieber du, als Leser, beurteilen. Allerdings denke ich auch, dass alle Charaktere ja nicht im luftleeren Raum agieren und ihre Handlungen kann man nur verstehen, wenn man sich ihre Umgebung vorstellen kann. Ok. Ich schweife schon wieder ab. ^_^* *räusper* Viel Spaß beim Lesen! _______________________________________________ Im Großen und Ganzen dauerte es eine weitere Stunde, bis er auch das letzte Körnchen Reis entsorgt oder verstaut hatte und die Theke gesäubert war. Sicher wäre es schneller gegangen, wenn er nicht zwischendurch immer mal wieder bei den anderen Ständen mit angepackt hätte. Aber er half gern und schließlich wollten viele der anderen freiwilligen Helfer auch endlich nach Hause gehen. Nach einer weiteren halben Stunde stand daher nur noch sein eigener Stand in der näheren Umgebung, als Kimi sich dankend von ihm verabschiedete. „Danke, dass du uns geholfen hast, Joey. War echt nett von dir.“ „Keine Ursache und noch schöne Ferien.“ „Ja. Wünsch ich dir auch.“ Freundlich lächelte sie noch einmal zu ihm hinüber und schloss sich dann ihrer kleinen Freundestruppe an, welche nun ebenfalls nach Hause gehen würde. Friedlich ein Liedchen summend, wandte Joey sich den Girlanden an seiner kleinen Bude zu. Geflissentlich sah er noch kurz auf die Uhr, ehe er begann, den Schmuck an der rechten Seite abzunehmen. Es störte ihn nicht sonderlich, dass es bereits kurz nach Mitternacht war. Die Stirn runzelnd sah er nach oben. Welcher Idiot hatte denn unbedingt direkt unter dem Dächlein noch etwas befestigen müssen? Seufzend sah er sich nach einem Stuhl um, denn ohne würde er da wohl nur schwer heranreichen. Aber wie sollte es anders sein? Es gab keinen. Nicht einmal einen ganz kleinen Hocker. Wahrscheinlich hatten die anderen schon alles weggeräumt. Er hätte zur Theatergruppe gehen können, die auch noch am Einpacken war, aber das erschien ihm zu umständlich. Immerhin hatten diese ausreichend mit der Bühne zu tun, um sich auch noch um einen Stuhl für ihn zu kümmern. Entschlossen stellte er sich vor seinen Stand und streckte seinen Arm so weit es ging nach dem kleinen Schmuckstück aus. Es handelte sich um eines der Plakate, die später wieder in den Kunstraum kommen sollten. Der Lehrer würde ihm wahrscheinlich das Genick brechen, wenn er das Teil kaputt machte. Daher wagte er es auch nicht, einfach nach oben zu springen und es herunterzureißen. So kam er allerdings auch nicht weiter, wie er nach ein paar Minuten intensivster Bemühungen feststellte. Grummelnd und leicht gereizt versuchte er das Plakat mit seinen Augen zu Asche zu verbrennen. Das durfte doch nicht wahr sein! Er kam einfach nicht ran. Gerade wollte er es resigniert noch ein letztes Mal versuchen, als eine Hand an ihm vorbei und nach oben griff. Geschickt angelten zwei lange Finger nach der einen Ecke des Kunstwerks und zogen es mit Hilfe einer zweiten Hand dann vorsichtig von dem Holz ab. Verwundert sah Joey zu der schemenhaften Gestalt, die durch die Dunkelheit der Nacht zu ihm gekommen war. „Kaiba. Was machst du denn noch hier? Ich dachte ihr wärt längst nach Hause gefahren?“ Ihm einen seiner kältesten Blicke zuwerfend, drückte der Angesprochene ihm das abgenommene Plakat in die Hand. „Hier.“ Sorgsam legte Joey das lange Etwas zusammen und packte es in eine der vielen herumstehenden Schachteln, während er auf eine wie auch immer geartete Antwort von Kaiba wartete. Dieser fand sich jedoch zu keiner Stellungnahme bereit und löste – bei allen Göttern! - sorgsam die ersten Bretter von der Bude. Joey war in diesem Augenblick zu verblüfft, um nur ein einziges Wort über seine Lippen zu bringen. Schnell stellte er die letzte Schachtel mit zu den anderen und packte ebenfalls mit an. Eine Zeit lang arbeiteten sie auf diese Weise schweigend nebeneinander. Der Blonde hatte die Hoffnung auf jedwede Erklärung für das Verhalten seines Kontrahenten schon fast aufgegeben, als dieser mit einmal mit immer noch unterkühlter Stimme zu einer Frage anhob. „Warum hast du behauptet, dass deine Freunde dir helfen würden?“ Verlegen hielt Joey inne. Er hatte ja mit allem gerechnet. Aber mit so was? Zumal die Frage ernst gemeint war und nicht nur, um ihn in irgendeiner Weise zu provozieren – das hörte er schon am Tonfall. „Warum nicht? Du wolltest nach Hause. Das habe ich an deinen Augen gesehen und Mokuba…“, antwortete er daraufhin beinahe trotzig. Er wusste nicht warum, aber irgendwie vermittelte Kaiba ihm gerade das unbestimmte Gefühl, sich verteidigen zu müssen. „Ich habe dir schon einmal nahe gelegt, nicht in meinen Augen lesen zu wollen“ unterbrach Kaiba ihn gereizt. Verdutzt hielt Joey inne. Zuvor war es mehr ein stummer Verdacht gewesen, doch nun WUSSTE er, dass Kaiba über irgendetwas sehr verärgert war. Und wenn er ihr ‚Gespräch’ noch einmal Revue passieren ließ, kam er zu dem starken Verdacht, dass er speziell wegen seiner Wenigkeit sauer war. /Warum?/ fragte er sich und wenig später auch seinen Gegenüber. Er war noch nie der Typ gewesen, der solch eine, für ihn unbegründete, Wut auf sich sitzen ließ. „Ok, Kaiba. Was ist los?“ Abwartend sah er dem Angesprochenen in die eisblauen Augen. Dieser versuchte einige Sekunden lang, ihn nieder zu starren, ehe er einen inneren Entschluss zu fassen schien. „Das geht dich nichts an. Machen wir weiter“, bestimmte er harsch und wollte sich gerade wieder den Balken zuwenden, als er an der Schulter zurückgehalten wurde. „Oh nein. Wir klären das jetzt. Denn, wie es scheint, bist du ja offensichtlich sauer. Und noch dazu auf mich und ich finde, DAS geht mich eine ganze Menge an.“ Abermals sah Kaiba zu dem Kleineren. Er würde sich wohl nicht eher rühren, bevor er nicht eine zufrieden stellende Antwort erhalten hatte. Nun gut. „Warum belügst du Mokuba und behauptest, dass deine ‚Freunde’ noch antanzen würden?“ erkundigte er sich ein weiteres Mal. „Bitte?“ blinzelnd und kurzzeitig aus dem Konzept gebracht, sah Joey ihn an. „Was hätte ich deiner Meinung nach sonst machen sollen? Außerdem: Seit wann geht es dich was an, wann ich wen anlüge?“ „An sich? Gar nichts. Meinetwegen kannst du belügen, wen du willst. Aber Mokuba ist zufälligerweise mein Bruder.“ „Ein Bruder, der wohl nicht mit dir mitgegangen wäre, hätte er nicht gedacht, dass mir noch jemand hilft. Schließlich kommt er nicht nach DIR!“ Kurz fühlte Kaiba einen kleinen Stich in seinem Herzen, ignorierte das aber geflissentlich. „Ach? Und wer hilft dir dann hier gerade? Der heilige Nikolaus?“ „Ich wäre auch gut ohne deine Hilfe zurechtgekommen. Danke.“ „Keine Sorge. DAS habe ich ja vorhin gesehen“, erwiderte Kaiba voller Sarkasmus. Nun war es an Joey, wütend zu sein. „Ich hätte das Teil auch ohne deine großherzige Hilfe da runter bekommen!“ „Sicher.“ Spöttisch maß Kaiba Joey von oben bis unten. „Und Krokodile können fliegen.“ Joey stank das gewaltig. Denn: Kaiba hatte durchaus Recht. Im Gegensatz zu seinem fast einen Kopf größeren Kontrahenten, hätte er sich einen Stuhl nehmen müssen. Zumindest früher oder später. Mit sich selbst kämpfend, ballte er die Fäuste zusammen. Am Ende gewann jedoch sein Gerechtigkeitssinn. Und gerechter Weise musste er Kaiba nun einmal zugestehen, dass dieser mit seiner Behauptung ins Schwarze getroffen hatte. Nicht mit den Krokodilen… aber es stimmte, dass er ohne dessen Hilfe wohl noch längst nicht so weit gekommen wäre. Im Gegenteil. Wahrscheinlich würde er immer noch versuchen, an dieses Plakat und später dann an die Dachbalken heranzukommen. Die Arme verschränkt starrte Joey resigniert zur Seite. „Danke.“ Die Stirn runzelnd nahm der Firmenchef diese plötzliche Wendung ihres Streites zur Kenntnis. Er sagte nichts dazu. Auch nicht, als Joey sich ohne ein weiteres Wort der rechten Hälfte der Bude zuwandte – die linke hatten sie bereits vor ihrem Streit auseinander genommen - und mit seiner Arbeit weitermachte. Anscheinend erwartete er auch keine weitere Hilfe von Kaiba, denn er versuchte schon wieder, an die obersten Balken heranzukommen. Kopfschüttelnd und ohne weiter über sein Handeln nachzudenken, wischte der Größere Joeys Hand beiseite und griff nun selbst wieder nach den Holzstreben. Joey nahm das bis zu einem gewissen Grat dankbar zur Kenntnis und kümmerte sich derweil schon einmal um die Nägel in den unteren Balken. Er würde heute nichts mehr zur ungewohnten Hilfsbereitschaft des anderen sagen. Dazu war er mittlerweile dann doch zu müde. /Sonst kann ich das Teil hier hinterher doch noch alleine auseinander nehmen. Außerdem weiß ja jeder: Einem geschenkten Drachen schaut man nicht in den Rachen./ Doch auch wenn sie kein lautes Wort mehr wechselten, hatten sich in Kaibas Innerem noch längst nicht alle Wogen geglättet. /Ich fasse es immer noch nicht. Wenn ich nicht zufällig dem Kindergarten begegnet wäre, hätte das Hündchen wahrscheinlich noch bis morgen früh hier gestanden! Von wegen, er kommt ohne meine Hilfe klar. Anstatt mal zu fragen… Nein! Da liest der Kerl lieber in irgendwelchen Augen. Ich fass es nicht. Dämlicher Köter…/ Dass Kaiba noch vor wenigen Stunden tatsächlich nur nach Hause gewollt hatte, ließ er bei seinem inneren Disput einfach mal völlig außer Acht. Schnaubend griff er sich stattdessen die Kneifzange und entfernte einen der etwas widerspenstigeren Nägel aus dem Holz. Joey war indes gerade dabei, den zuletzt gelockerten Balken zu einem bereits recht ansehnlichen Haufen zu tragen. /Obwohl… Eigentlich wäre genau das ja noch so eine Frage. Wer von uns beiden ist eigentlich dümmer? Immerhin mache ich diesen Scheiß hier mit. Ich meine, das ist nicht meine Sache. Wenn er so bescheuert ist, sich für diesen Mist freiwillig zu melden, kann ich ja nichts dafür… Ich bin einfach viel zu weich! Eindeutig. Oder überarbeitet… mal wieder./ Gekonnt schnappte sich Joey das nächste große lange Brett und schleppte es weg. Unterwegs kam er auch an Kaibas Mantel vorbei, den dieser bei seiner Ankunft wohl ausgezogen hatte. Gleich, nachdem er seine Last losgeworden war, griff er danach und hängte ihn vorsichtshalber an einen der Äste der Eiche. Man musste das Teil ja nun nicht noch mehr beschmutzen, indem man es auf dem Schulhof liegen ließ. Nicht, dass Kaiba hinterher noch ihm die Schuld gab, wenn sein geliebter Panzer… Mantel, vollkommen verdreckt war. Er kannte den Firmenbesitzer. Der war durchaus zu solch unfairen Beschuldigungen fähig. Kurz sah er hinüber und stellte zufrieden fest, dass sie schon fast alles geschafft hatten. Nur noch der Boden der ehemaligen Bude war noch abzubauen, dann konnten sie endlich nach Hause gehen. Morgen würden dann Männer von der Stadt die Einzelteile abholen und lagern. Glücklicherweise stellte Domino City nämlich jedes Jahr ein paar der eigentlichen Weihnachtsbuden für ihr kleines Schulfest bereit. Das kostete zwar Miete, aber es war wohl noch einigermaßen erschwinglich. Dadurch, dass sie selbst auf- und abbauten, sparte die Schule erheblich an Geld und es konnte mehr in die eigentliche Veranstaltung gesteckt werden. So lief das schon, seit er hier Schüler war, auch wenn Joey momentan nicht behaupten würde, dass dieses heutige Fest für ihn mit den vorangegangenen zu vergleichen war. Es war schon etwas Besonderes und wirklich Eigentümliches, dass Kaiba ihm half – wenn auch mit einer Miene und einer Laune, als hätte er gerade wegen ihm einen Milliardenabschluss in den Sand gesetzt. Sich dennoch im Stillen über die stumme Hilfe freuend, packte Joey nun auch bei den verbliebenen Resten mit an und gemeinsam mit Kaiba war es erst kurz nach ein Uhr, als sie fertig wurden. Er wollte lieber nicht wissen, wie lange das alles gedauert hätte, wäre er hier allein geblieben. Schon seine Größe war da ein immenses und nicht zu unterschätzendes Problem. Sicher: Er war nicht wirklich klein, aber dass er auch nicht wirklich groß war, hatte seine Plakataktion ja bewiesen. Dankbar sah er zu Kaiba, als sie auch das letzte Stück Holz auf den Haufen warfen. Gereizt blickte dieser zurück und schnappte sich nebenbei seinen Mantel vom Baum. „Sag nichts. Und nur ein Wort von dieser Nacht gegenüber von IRGENDJEMANDEM und du wirst wirklich nicht mehr sein, als ein streunender Hund in einer Ecke.“ Frech grinsend sah Joey ihn an. Schließlich waren sie jetzt fertig mit Aufräumen, da konnte er es auch mal wieder riskieren, einem immer noch leicht geladenem Kaiba Kontra zu geben. „Soll heißen, momentan bin ich kein streunender Hund für dich?“ „Momentan bist du vor allen Dingen ein DUMMER Hund für mich, der nicht weiß, wann er lieber die Klappe halten sollte. Geh nach Hause.“ Damit wandte der Braunhaarige sich ab und strebte ohne weiteres das zweite Mal an diesem Tag dem Ausgang zu. Und Joey? Der schwieg tatsächlich. Auch er machte sich kurz darauf auf in sein Bett. Kapitel 15: Die Maske des Heerführers ------------------------------------- Ich wünsche allen Lesern schon jetzt ein frohes neues Jahr! @Anyu: Hi. ^_^ Ich kann da ebenfalls auf Erfahrungen zurückgreifen. Allerdings auch nicht als Betreiber eines Standes sondern als Darsteller bei Theater (als Schüler) oder Organisator eines Standes (als Erwachsener). Meine Erfahrung besagt, dass die meisten froh und dankbar sind, wenn sie Hilfe bekommen, sind aber danach auch meistens ziemlich schnell verschwunden, wenn sie die Arbeit bei anderen Ständen sehen. Wenn alle bei Allem helfen würde, ginge es oft viel schneller. Dem entsprechend finde ich es ebenfalls bemerkenswert, dass Kaiba freiwillig hilft - auch wenn er selbst in dem Moment noch keine Ahnung hat, warum er sich das eigentlich antut. *G* @Closer: Tjaja... die gute alte yaoi.de - Zeit. Gott, was war ich da noch jung! *krückstock zur seite stell* *hörgerät lauter dreh* *lach* Nein im Ernst, die Geschichte habe ich irgendwann zu Zeiten meines Abis begonnen online zu stellen - oder sogar schon davor. ^_^* Nojo... Schön, dass du dir trotzdem nochmal alle bisherigen Teile antust. Inzwischen habe ich sie ja auch nochmal überarbeitet, so dass nicht alles bekannt sein dürfte. Noch 4 Kapitel, dann kommt alles das, was du noch nicht kennen dürftest. ^_~ @Astera: Die Begegnung mit dem Kindergarten ist vermutlich eher ernüchternd ausgefallen, da Joey da nicht mit dabei gewesen ist. Es gibt eigentlich immer nur zwei Gründe, weshalb er sich mit einem aus der Gruppe während der Serie unterhält: Grund 1 ist Yami (Atemu), mit dem er sich anlegt und mit dem er sich messen will. Dieser Grund entfällt inzwischen weitestgehend, da das Ganze ja nach Atemus Rückkehr spielt. Und Grund 2 ist *trommelwirbel*: Joey. ^_^ Mal im Ernst, wenn er sich an die Gruppe wendet (Yugi/Yami ausgenommen) dann meist an Joey mit irgendeinem Kommentar. Dementsprechend hat er, als er mit Moki später auf den Kindergarten traf, vermutlich eher etwas abseits gestanden, emotionslos in die Gegend gestarrt und nebenbei trotzdem zugehört, als es um Joey ging. Den Hauptteil des Gesprächs hat dementsprechend mit Sicherheit Mokuba bestritten ^.~ @Sy: Hey! Kaiba IST nett, auch wenn er redet. ô.ó Naja... vielleicht ist das, was er sagt nicht besonders freundlich und vielleicht hackt er auch ganz schön auf Joey rum... aber... aber... *seufz* ... ok. Er ist nicht nett. NOCH nicht. Aber Handlungen sagen mehr als Worte, also ist er ja zumindest auf einem guten Weg. ^_^ @Lunata: Jap. Soziale Ader. Oder sollte man sie doch lieber die 'Joey-Ader' nennen? Ich bezweifle, dass er irgendwem sonst beim Abbau geholfen hätte. Tja... und Mokuba hat seinen ganz eigenen Kopf. Er ist eben ein waschechter Kaiba - auch wenn er lieb und unschulig erscheint. Ich persönlich bin ja immer neugierig. Die letzte Ausstrahlung von Yu Gi Oh mit Seto Kaiba und Joey Wheeler ist nun auch schon einige Zeit her... daher meine etwas indiskrete Frage an alle Leser: Wie alt seid ihr eigentlich? ^___^ ________________________________________________________ Leise betrat Kaiba sein Anwesen. Er war bis nach Hause gelaufen. Seinem Fahrer hatte er schon vor Stunden Feierabend gegeben. Entgegen landläufiger Meinung war er kein Tyrann, der einen seiner Angestellten noch nachts um 2 behelligte – es sei denn es handelte sich um einen dringenden Notfall. Es war ihm wichtiger, dass sein Chauffeur am Morgen pünktlich vorm Haus stand und auf ihn wartete, statt wegen Übermüdung einen Verkehrsunfall zu provozieren. Leicht schläfrig rieb er sich die Augen. Es war schwer, sich nachts in seiner dunklen Villa zurechtzufinden. Immerhin hatte er auf dem Weg hierher die Möglichkeit gehabt, sich über sein plötzliches Interesse am Tierschutz klar zu werden. Ein Kaiba ließ sich schließlich nicht alle Tage dazu herab, sich um streunende Hunde zu kümmern. Nun, er war zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine einmalige Aktion seinerseits gehandelt hatte. Eine Kurzschlussreaktion sozusagen. Auch ein Kaiba hatte Aussetzer. Das kannte er von sich bereits. Nur, dass diese Aussetzer knappe vier Stunden anhielten und sich auch noch durch übermäßige Hilfsbereitschaft äußerten, war ihm neu. Nun ja, er kam darüber hinweg. Endlich ertasteten seine Hände ein kleines unscheinbares Gerät, welches sich nur wenige Schritte rechts von der Tür auf einem kleinen Tischchen befand. Er hatte darauf verzichtet, im gesamten Haus Licht zu machen. Das wäre, seiner Meinung nach, eine unnötige Stromverschwendung. Deshalb hatte er schon vor einigen Jahren ein kleines handliches Gerät entworfen, welches es ihm ermöglichte, nur die Räume zu erleuchten, die tatsächlich genutzt wurden. Das Gerät reichte knapp 5 km weit, was ihn dazu in die Lage versetzte, bei Bedarf das Licht schon in der Schule anzustellen. Auch die Heizung, das Wasser und der Strom konnten damit gesteuert werden. Besonders praktisch erwies sich allerdings sein eingebautes Lesegerät für diverse Geräte wie Fernseher oder Computer. Was Moki nicht wusste: Das Gerät zeichnete jede Sekunde auf, die dieser entweder vor der Playstation, der Wii, dem Computer oder dem Fernseher verbrachte. Das Gerät versah seinen Dienst nun schon seit drei Jahren. Damals war Moki nicht von seiner geliebten Playstation wegzubewegen gewesen. Ständig hatte er, wenn sein großer Bruder nach Hause gekommen war, dementiert, die Spielkonsole überhaupt angesehen zu haben. Schmunzelnd dachte Kaiba an diese Zeit zurück während er das Licht im oberen Flur und seinem eigenen Zimmer langsam angehen ließ. Nur wenige Minuten später hatte er bereits sein Zimmer im oberen Stockwerk erreicht und ließ alles Licht im Haus mit einem einfachen Abdecken des Touchpads wieder erlöschen. Seufzend ließ er sich auf sein Bett nieder und streckte die Arme über den Kopf. Den Mantel und andere Sachen hatte er angelassen. Sinnend sah er an die Decke seines Zimmers als ihm bereits die Augen zufielen und er sanft in die Arme des Schlafes glitt. ____________________________________________ Wütend stieß Seth die Tür auf. „In Ordnung! WO. IST. ER?!“ Seufzend ließ sich Amhotep auf die Knie sinken. Ebenso wie Iridis und Hassis neben und hinter ihm. Es war wie verhext. Sei vier Monat nun war der oberste Anführer der Garde des Pharaos wieder im Palast zugegen und seit diesem unglückseligem Tag war wohl kaum eine Woche vergangen, in welcher der Hohepriester nicht in diese Gemächer gekommen wäre. Ergeben ließ er sich auf seine Knie sinken und erkundigte sich mit vollendeter Höflichkeit nach dem Wunsch des stolzen Mannes vor ihm. „Hohepriester Ägyptens und rechte Hand des Pharaos, des Lichtes dieses …“ „Komm zum Punkt.“ „… nun ähm… Womit kann ich dien…“ „Sag mir, wo dein Herr ist.“ „Der derzeitige Aufenthaltsort des ehrenwerten Jono ist mir nicht bekannt, Hohepr….“ „Dann finde ihn! Sofort.“ Gerade wollte Amhotep etwas erwidern, als eine neue Stimme sich in das Gespräch einmischte und die zwei anderen augenblicklich verstummen ließ. Nun sank auch Seth kurz auf seine Knie, nur um wenig später wieder von Atemu zum Aufstehen aufgefordert zu werden. „Auch Amhotep wird dir bei deiner Suche nicht weiterhelfen können, Hohepriester.“ „Mein Pharao. Wer sonst, wenn nicht sein persönlicher Diener, sollte mir sagen können, wo ich Ano… Jono finden könnte?“ Ernst sah Atemu zu dem jungen und, seitdem Jono sich in seiner Nähe aufhielt, scheinbar auch leicht reizbaren, Mann hinüber. „Ich nahm an, dass du inzwischen gemerkt hast, dass Jono selten jemanden von seinen Vorhaben unterrichtet.“ Seth zwang sich zum Durchatmen und vergegenwärtigte sich die Tatsache, dass er hier mit dem Pharao und nicht mit Jono sprach. „Gewiss, mein Pharao, dennoch hatte ich gehofft, diese Tatsache ein wenig ändern zu können.“ Der rechte Mundwinkel des Pharao hob sich zum Zeichen seines sichtbaren Amüsements. „Nun, dann möchte ich dir viel Erfolg bei diesem mir doch recht schwierig erscheinenden Unterfangen wünschen.“ Immer noch sehr erheitert, so schien es, wandte sich der Pharao zum Gehen. Bevor er den Raum verließ wandte er sich noch ein letztes Mal leicht nachdenklich an seinen Priester. „Ach, Hohepriester.“ Angesprochener, welcher in Gedanken bereits schon wieder bei seiner Suche nach Jono war, sah hinüber in das leicht lächelnde Gesicht des Pharao. „Ja, mein Pharao?“ „Jono neigt bisweilen dazu, zu vergessen, wer er ist.“ „Das ist mir nicht entgangen, mein Pharao“, stimmte ihm Seth zähneknirschend zu. Überlegend hielt der Pharao inne und es schien, als wolle er seinen Gedankengang noch einmal überprüfen, während er Seth einige lange Sekunden in die Augen sah. Doch dieser senkte den Blick nicht, sondern begegnete Atemu mit Ruhe und äußerlicher Gelassenheit. Schließlich fuhr der Pharao fort. „Wenn es wieder einmal soweit ist, tu mir den Gefallen und erinnere ihn daran.“ Seth konnte ihm nur zustimmen und er musste daran denken, dass Jono es vor 4 Monaten noch nicht einmal fertig gebracht hatte, sich am eigenen Festumzug zu beteiligen. Geschweige denn an das, was er heute wieder versäumt hatte, dieser kleine… Er war sich anscheinend einfach nicht bewusst, dass er als Anführer der Truppen des Pharaos gewisse Pflichten hatte, die es zu erfüllen gab. Pflichten, welche sich auch auf Aktivitäten außerhalb des Schlachtfeldes beliefen. Sich wieder bewusst werdend, in wessen Gesellschaft er sich befand und vor allem weshalb, begab er sich wieder auf seine Suche nach dem scheinbar vom Erdboden verschluckten Jono. Doch ganz gleich, wie sehr er sich auch bemühte, Jono war einfach nicht aufzutreiben. Innerlich hoffte Seth für Jono, dass dieser sich nicht schon wieder auf eine seiner kleineren Erkundungsgänge durch die Stadt begeben hatte. Zwar konnte er sich das im Gegensatz zu Seth und dem Pharao erlauben, da nur eine handvoll Menschen wussten, wer der junge Mann war, dennoch fand Seth es unverantwortlich von Jono, ganz ohne eine Leibwache aus dem Umfeld des Palastes zu verschwinden. Immerhin konnte jederzeit jemand herausfinden, wer er war und wenn man ihm dann zu mehreren in einer der kleinen Gassen auflauerte, hätte selbst Jono seiner Meinung nach keine wirkliche Chance. Kopfschüttelnd dachte Seth an ihre letzte Auseinanders… ihr letztes Gespräch zurück, wobei genau dieses Thema im Mittelpunkt gestanden hatte. Bis zuletzt hatte ihm Jono in allen wichtigen Punkten widersprochen und sich absolut uneinsichtig gezeigt. Langsam fand Seth seine Gelassenheit wieder. Das Herumstreifen in der heißen Wüstensonne hatte ihn erschöpft. Er zog sich vorerst in einen der etwas schattigeren Säulengänge des Palastes zurück und nahm sich vor, erst einige Minuten zu ruhen, ehe er Jono weitersuchen würde. Sinnierend blieb er stehen und sah hinauf in den nun gerade über ihm stehenden Sonnenwagen. „Oh Rah!“ bat er den Sonnengott am klaren Himmel in einem kleinen Anflug von Selbstironie. „Bitte lass mich diesen Jungen…“, dass er Jono, der eigentlich lediglich wenige Monate nach ihm geboren worden war, in diesem Augenblick als Junge bezeichnete, tangierte ihn wenig, da dieser seiner Meinung nach die geistige Reife eines Kleinkindes hatte „…wenigstens heute einmal finden, damit ich ihm für seine Abwesenheit gehörig in seinen…“. Kopfschüttelnd hielt Seth inne. „Nein. Lassen wir das.“ Es war normalerweise nicht seine Art und sollte es auch nicht sein, einen hohen Gott wie Rah wegen solch einer Lappalie zu behelligen. Aber Jono brachte ihn eben manchmal zur Weißglut und beschwor solch unbedachte Taten geradezu herauf. Wer konnte ihm das auch verübeln? Immerhin war er klein, lästig, frech und tanzte dort oben im Sonnenlicht gerade scheinbar völlig todessehnsüchtig auf den Zinnen des höchsten Palastturmes herum. „Aber das…!“ Seth wagte kaum zu atmen, während er einen weiteren Blick nach oben warf. Schnellen Schrittes löste er sich aus den Schatten und lief in Richtung des Turmes, auf den er den Schatten Jonos schemenhaft hatte tanzen sehen. Zumindest konnte es sich dabei nur um Jono handeln, da dieser der einzige war, dem er solche Dummheiten ohne weiteres zutraute. Von neuer Kraft beseelt und ein Dankgebet an Rah auf den Lippen, weil dieser ihm auch bei solch schweren Prüfungen zur Seite stand, schritt er Stufe um Stufe den Turm hinauf. Schon nach der Hälfte der Strecke triefte er vor Schweiß. Zwar war es innerhalb des Mauerwerks angenehm kühl, doch strengte zu dieser Tageszeit jeder Schritt an, weshalb viele der Bewohner sich normalerweise um die Mittagsstunden in ihre Häuser zurückzogen. Endlich sah er die letzten aus Stein gehauenen Treppen vor sich und schob gerade Kopf und Schultern durch die schmale Öffnung, als er mitten im Schritt verharrte. Wie erstarrt stand er da und betrachtete die tatsächlich beinahe tanzende Gestalt vor sich. Es handelte sich eindeutig um Jono und doch… Sein Atem blieb stehen und sein Herz setzte kurz aus, all das in der Erwartung, ihn in jedem Augenblick fallen zu sehen. Scheinbar weitab von der Wirklichkeit bewegte sich der Anführer der Truppen auf einer nur zwei Fuß breiten, blassgelben Zinne vor und zurück. In beiden Händen hielt er zwei sehr lange gebogene Waffen, Chepesch genannt. Seth kannte diese Waffen, welche im letzten großen Krieg von der Armee als Beute mitgebracht worden war. Nur wenige wussten die sichelförmigen Krummschwerter effektiv und sinnvoll im Kampf einzusetzen. Jono führte sie jedoch mit Leichtigkeit und einer Eleganz, wie der Hohepriester es noch nie bei jemandem gesehen hatte. Er schwang sie umher, wirbelte sie in der Luft und fing eines der Krummschwerter ein ums andere Mal sogar blind mit der vorrangig hinten agierenden Hand auf. All das in einer Geschwindigkeit, dass das bloße Auge den Bewegungen kaum folgen konnte. Und, wenn Seth genauer hinsah,  hätte er schwören können, zuweilen sogar zwischen dem Hochwerfen und dem Auffangen der zwei Waffen, auch noch den einen oder anderen Dolch aufblitzen zu sehen. Bei der Betrachtung seiner geschmeidigen Bewegungen begriff Seth, dass wohl niemand Jono fallen sehen würde. Es war schlicht ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man den sandfarbenen Umhang und das gleichfarbige Tuch vor Augen und Nase bedachte, hinter dem Jonos gesamte Gestalt beinahe bis zur Unsichtbarkeit mit der Umgebung verschmolz. Kein Wunder also, dass niemand gewusst hatte, wo Jono sich aufhielt. Und auch Seth hätte ihn ohne sein magisch geschultes Auge kaum erkennen können, dessen war er sich bewusst. Noch immer hielt Seth den Atem an. Jono hatte ihn offenbar noch nicht bemerkt, denn er hielt in seinem gefährlichen Tun nicht eine Sekunde inne. Zwar konnte er dessen Gesicht durch den Umhang nicht erkennen, doch war die Konzentrationen des Blonden beinahe körperlich spürbar und ließ ihn in jeder Faser seines Körpers erzittern. Immer schneller und wilder wurden seine Bewegungen. Immer öfter drehte er sich, ließ sich zuweilen kurz in die Hocke sinken, duckte sich weg, vollführte eine Drehung oder einen Tritt ins Leere und das alles auf nur wenigen Zentimetern Boden. Es war beinahe, als würde er mit einem unsichtbaren Gegner einen unerbittlichen Kampf auf Leben und Tod ausfechten. Endlich riss sich Seth von dem faszinierenden Anblick los und schob auch den Rest seines Körpers durch die Öffnung. Seine Wut vom Morgen war durch diesen Anblick wie weggeblasen. Langsam und vorsichtig ging er die wenigen verbleibenden Schritte auf seinen ehemaligen besten Freund zu. Gerade wollte er anheben etwas zu sagen, als er sich auf einmal von einer schmalen Hand am hinteren Haaransatz gepackt fühlte und sein Kopf mit einem Ruck nach hinten in den Nacken gebogen wurde. Überrascht riss Seth kurz die Augen auf und sah sich einem überaus scharfen Chepesch gegenüber. Seine Augen wanderten am Rücken des Krummschwertes entlang, direkt auf die Augen seines Gegenübers zu und was er sah erschrak ihn zutiefst. Das war nicht Jono, der sich nun über ihm erhob. Nicht der Jono, den er in den letzten Monaten wieder neu kennen gelernt hatte. Nichts Freundliches oder Freches oder gar Aufmüpfiges und Störrisches war mehr in seinem Blick zu finden. Die Augen dieses Jono waren kalt und leer. Kein Funken Leben schien in ihnen zu sein. Kein Quäntchen Mitleid blitzte auf. Das Gesicht war schweißüberströmt und doch atmete er vollkommen ruhig und gleichmäßig. Nichts deutete darauf hin, dass dieser junge Mann bis kurz zuvor noch intensiv im Angesicht der hoch über ihnen stehenden Wüstensonne gegen ‚Etwas’ gekämpft hatte. Seth erkannte: Ein falsches Wort, eine falsche Bewegung oder gar das Zucken seiner Augenlieder würden genügen, um die Säbelspitze in seiner Kehle versinken zu lassen. Nur dank seines jahrelangen Trainings und seiner Erfahrung mit Trancezuständen - und Jono war in einem solchen beinahe bis zur Selbstaufgabe versunken - gelang es ihm, ruhig zu bleiben und diesem gefühllosen Blick zu begegnen. „Jono.“ Leise, flüsternd, sprach er den Namen seines ehemaligen Freundes aus. „Willst du mich töten?“ Einen Moment lang blieb alles still und nur der aufkommende Wüstenwind fegte um die Mauern. Wenn jemand von unten in diesem Augenblick zu ihnen hinaufsehen würde, wären sie für diesen so gut wie unsichtbar. Selbst Seth, mit seinen dunklen blauen Gewändern, würde nur ein Schemen von vielen sein. Er könnte auf der Stelle sterben und niemand würde es bemerken. Ein Ruck ging durch den Körper hinter ihm. Seth konnte es an der Hand spüren, die noch immer seinen Kopf nach hinten bog. Die Kälte zog sich aus Jonos Augen zurück. Die Pupillen weiteten sich ein Stück und sein Atem wurde unregelmäßiger. „Schleich dich niemals wieder so an mich heran“, befahl Jono mit tonloser Stimme und drückte, zur Warnung, noch einmal kurz mit der Säbelspitze gegen Seths Kehle, ehe er sie abrupt senkte und sich abwandte. Schnell verschwand das Chepesch wieder in der zweiten Scheide aus Leder auf seinem Rücken, welche sich danach wieder vollständig unter einem weiten Umhang verbarg. Mit flinken Fingern nahm er das sandfarbene helle Tuch von Mund und Nase, welches er bei solchem Training stets umband, um nicht am Abend jedes Sandkorn einzeln aus seinem Gesicht schälen zu müssen. Zudem war es ein weiterer Garant für seine Unauffindbarkeit. Es kam einem kleinen Wunder gleich, dass Seth ihn hier oben dennoch aufgetrieben hatte. Seine Beobachtungsgabe war gut. Ohne sein Verhalten von eben weiter zu kommentieren, wandte Jono sich wieder dem Hohepriester zu. „Also, Seth. Was willst du diesmal?“ erkundigte er sich gespielt desinteressiert und packte derweil seine weiteren Sachen zusammen. Sein Training war für heute beendet. Er musste sich schnellstens hinlegen. Von seinem Unglauben wieder erholt und äußerlich vollkommen unbeeindruckt, sah Seth ihn noch kurz überlegend an, ehe er sich wieder an den eigentlichen Grund für seinen kurzen Aufenthalt auf diesem Turm erinnerte. „Warum warst du heute nicht bei der Zeremonie?“ „Welche meinst du?“ erkundigte Jono sich, wobei er klar durchblicken ließ, dass ihn diverse Zeremonien, gleich welcher Art auch immer, so wenig interessierten wie ein weiteres Sandkorn in seinen Schuhen. „Die Zeremonie zu Ehren deines Gottes. DES Gottes, dem DU unterstellt bist, wenn ich dich daran erinnern darf ANOUBIS“, stellte Seth fest, der immer noch gern eine Erklärung für die mittlerweile vierte Abwesenheit haben wollte. „Ach DIE!“ Jono sammelte die letzten herumliegenden Kurzdolche auf. „Vergessen.“ „Jono, dir ist klar, dass du die Götter und speziell DEINEN Schutzgott mit deinem Verhalten und deiner ständigen Abwesenheit bei wichtigen Zeremonien verärgerst?“ „Sein Problem.“ Sprachlos im Angesicht solcher Gleichgültigkeit und Missachtung der Götter, sich jedoch äußerlich nichts anmerken lassend, sah Seth Jono nach, als dieser bereits wieder im Inneren des Turmes verschwand. Kopfschüttelnd ging er ihm kurze Zeit später hinterher, holte ihn schließlich auf der Hälfte des Abstieges ein und packte ihn grob an der Schulter. „Der Pharao wird das nicht gutheißen.“ „Stimmt. Aber er kennt meine Einstellung bereits und akzeptiert das.“ „Ach? Und welche Einstellung soll das bitte sein?“ Kurz blieb es still, ehe Jono schließlich wieder das Wort ergriff und seine Augen schienen für einen winzigen, kaum merklichen Augenblick, in die Ferne zu sehen. An einen Ort, den Seth nicht kannte. „Die Götter Seth… Die Götter helfen denen, die sich selber helfen. Und sonst niemandem.“ Kurz schenkte er Seth noch ein schiefes und aufgesetztes freches Grinsen aus einem unter der ägyptischen Bräune unnatürlich blassem Gesicht, ehe er sich abwandte. Er wusste sehr gut, dass sein Anblick, gemeinsam mit der trotz der Wärme so kalten Hand, mit welcher er nun die Hand Seths von seiner Schulter streifte, ausreichen würde, um Seth endgültig zum Schweigen zu bringen. Er brauchte jetzt unbedingt Ruhe. Normalerweise holte er sich diese oben auf dem Turm, doch heute blieb ihm diese Möglichkeit verwehrt. Lange noch blieb Seth auf der Treppe stehen und dachte über Jono, sein merkwürdiges Verhalten, den Ausdruck in seinen Augen, seine kalten Hände und seine folgenschweren Worte nach. Doch er kam zu keinem Ergebnis. Sein Verstand weigerte sich, den fröhlichen und sonst so unbekümmert erscheinenden jungen Mann, wie er ihm seit seiner Kindheit begegnet war, mit dem Jono in Vereinbarung zu bringen, der ihn, und da war er sich sicher, ohne mit der Wimper zu zucken beinahe umgebracht hätte. Er begann, sich zu fragen, ob in den Worten seines Pharaos noch eine ganz andere Wahrheit gesteckt haben mochte. Derweil war Jono in seinen hellen und riesigen Gemächern angelangt. Kaum, dass er seine drei Diener, einschließlich Amhotep nach draußen geschickt hatte, schloss er eigenhändig die Tür hinter ihnen und sank gleich darauf vollkommen erschöpft an ihr hinunter. Seine Kraft war mittlerweile restlos erschöpft. Seine freundliche Maske fiel von ihm ab, als hätte jemand einen Vorhang aufgezogen und sein wahres Ich kam zum Vorschein. Schon wenig später verfiel er in einen leichten Dämmerschlaf - nur wenige Meter von der Tür entfernt auf den angenehm kühlen Fliesen. Bis zum Bett hatte er es nicht mehr geschafft. Kapitel 16: Totensonntag ------------------------ Ich wünsche allen Lesern ein frohes neues Jahr und hoffe, dass ihr alle eine gute Portion Schlaf erhalten habt! ^_^ @Lunata: *G* 'zu alt' für das Wort 'jugendlich'? *lach* Ich sag immer, man ist so jung wie man sich fühlt. Alter Spruch, aber er stimmt. Ich freue mich ehrlich gesagt richtig, dass ich hier auf so viele Leser treffe, die NICHT jugendlich sind. Ich selbst bin 26. ^.~ Ich finde Seto in der deutschen Synchro auch toll. In der japanischen Originalfassung soll er ja noch fieser sein. Mal abgesehen von der ersten Staffel - Seto jünger und mit grünen Haaren *schüttel* ... nein, ich bin froh, dass sie das hier nie gezeigt haben. ^_^* Seto ist auch einer meiner Lieblingscharaktere. Ich habe was übrig, für Charaktere, die nach außen beherrscht, überlegt und kalt wirken, aber einen weichen Kern haben. Was Jono angeht, so hat er tatsächlich seine ganz eigene Geschichte hinter sich - allerdings schon als kleiner Junge, was Seth damals nur nicht wusste. Aber dazu später noch mehr, sonst verrate ich hier zu viel. ^_~ Und was das Band anbelangt, das spielt später noch eine kleine Rolle. ^_^ Und wie Jono zu Anoubis wurde? *überleg* Ich weiß noch nicht... ich wollte das entweder von Jono selbst schildern lassen (Kurzfassung) oder es ihn in einer Rückblende nochmal erleben lassen (Langfassung). Würde dir auch die Kurzfassung reichen? *smile* Das Kapitel ist noch nicht geschrieben, daher überlege ich noch... @Anyu: Cool. Danke, dass du mir die Frage trotzdem beantwortet hast. Ich bin auch 26! Zufall! *G* Ich bin richtig erstaunt und glücklich hier von so vielen zu lesen, die ebenfalls schon dem Jugendalter entwachsen sind. Manchmal komme ich mir doch merkwürdig vor, mit meiner Geschichte immer noch Serien aus meiner Jugendzeit hinterherzuhängen. *lach* Aber jetzt bin ich langsam beruhigt. Darf ich deine Andeutung in Bezug auf die Kita evtl so verstehen, dass du Kindergärtner bist? Das wäre dann noch ein Zufall. *lach* Und was Joey/Jono anbelangt: Jap. Da hast du Recht. Genau so war es auch geplant. Ich mag Seth/Seto in beiden Leben (also in den Varianten, wie er bei mir im Kopf aussieht), daher muss er leiden. *fG* Das ist immer so bei meinen Lieblingscharakteren. *neugierig ist* Warum klingt Seth für dich zur Zeit eigentlich wie eine 'Schallplatte mit Sprung'? @Closer: JA! Ich LIEBE es, wenn ein Charakter eine Seite an sich hat, die kein anderer kennt, aber unheimlichen Einfluss auf die Geschichte hat. *ggg* Und besonders bei Jono hat es mir in den Fingern gejuckt, eine andere, ernste und nicht ganz so fröhliche Seite an ihm hervorzukitzeln - wobei er seine Frechheit und Dreisitgkeit natürlich nicht einbüßen sollte. 23. Nur drei Jahre jünger als ich. ^_^ Hach, schön zu wissen, dass diese Geschichte von so vielen gelesen wird, die in einem ähnlichen Altersabschnitt sind. Ich habe mir YGO früher meist nur wg. Seto oder Atemu angesehen. Die ganzen Kartenspiele waren auch nicht schlecht, aber durchgesehen habe ich da nie so ganz. Tja, außerdem mochte ich Seto in seiner Form als reicher Firmenchef mit seinem ganzen Selbstvertrauen - ich mag solche Charaktere, besonders allerdings, wenn sie von ihrem absolutem Gegenteil aus dem Konzept gebracht werden bzw. wenn es eine Person schafft, sie noch zu überraschen. Das gelang ja auch in der Serie hin und wieder. Besonders schön fand ich es - du magst mir verzeihen - wenn Seto leiden musste. ^_^ Sein trauriger Gesichtsausdruck oder sein leichtes Lächeln waren einfach toll und so selten, dass man sich immer gefreut hat, wenn er mal nicht arrogant aussah. Daher konnte ich mich auch nie mit den nachfolgenden Serien identifizieren, denke ich. Da gab es solch einen Charakter nicht mehr. Außerdem habe ich zu der Zeit mit meinem Studium begonnen. Da hat man weniger Zeit. Leider. @Primavera: Jup. Schnell schon - aber das ändert sich ja auch bald wieder. Gerade waren ja viele Tage frei. Ich bin froh zu lesen, dass du es nicht zu viel findest, was ich da so drumherum beschreibe. Ich überlege wirklich jedes Mal, ob ich das jetzt noch so stehen lassen kann und ob es wirklich wichtig ist zu wissen. *schulternzuck* Die Entscheidung fällt nie leicht, daher bin ich froh, dass es mir bisher gelungen zu sein scheint. Was den Turm anbelangt, musst du dir einfach vorstellen, dass sich Ägypten ja zurzeit nicht im Krieg mit irgendwem befindet. Dem entsprechend sind die Türme nicht mit Wachen besetzt und es geht da auch kaum jemand rauf - vor allem bei der Hitze. Daher hat Jono da seine Ruhe und niemand stört ihn. Es ist sein Ort zum Zurückziehen und üben, ohne dass ihn jemand bemerkt. Und in einer Welt voller Sand und Wüste, in welcher selbst Gebäude eine ähnliche Farbe wie die Umgebung haben, verschwindet er mit seiner angepassten hellbraunen Tunika ebenfalls nahezu. ^_^ Danke für das viele Lob zu meinen Beschreibungen! *STRAHL* _______________________________________________ Schwerfällig rieb Seto sich die Augen. Es war schon helllichter Tag. Das Sonnenlicht schimmerte sacht durch die blauen Vorhänge und ein kleiner vorwitziger Sonnenstrahl leistete ihm auf seinem Bett Gesellschaft. Er war es wohl auch gewesen, der ihn letztlich geweckt hatte, überlegte Seto träge und immer noch in Gedanken bei seinem Traum. Gähnend streckte er sich und griff, wie schon so oft, nach seinem kleinen Büchlein neben dem Bett.   ‚Suche. Turm. Fliesen. Tränen.’ 4 weitere Wörter, die er den unzähligen anderen in seinem Buch hinzufügte. Es war das erste Mal, dass er eine Erinnerung gesehen hatte, die nicht seine eigene gewesen war. Sondern eine Erinnerung Jonos. Er war sich sicher, dass niemand es damals gewusst hatte. Noch einmal besah er sich das letzte Wort. Kurz überlegte er. Fast wollte er es wieder durchstreichen… Doch schließlich schüttelte er den Kopf und schloss das Buch wieder. ‚Tränen’ blieb als letztes Wort in dem Buch stehen. Jono hatte geweint, als er auf die Fliesen gesunken war. Stumm und leise. Er hatte das salzige Wasser auf seinen Wangen spüren können, als wären es seine eigenen Tränen gewesen, die er aus einem ihm unerfindlichen Grund vergoss. Wenn er sich auch an sonst kaum etwas erinnerte. Hierin war er sich vollkommen sicher. Einen kurzen Moment noch hielt er das Büchlein in der Hand, ehe er es wieder an seinen alten Platz zurücklegte. Heute würden bis zum Abend keine weiteren Erinnerungen dazukommen. Es war Zeit aufzustehen. Mit Schwung richtete Seto sich auf und war schon kurz darauf auf dem Weg in das an sein Zimmer angeschlossene Bad. Schnell gab er sich einer kleinen Morgenwäsche hin, ehe er sich einen seiner feineren Anzüge aus dem Kleiderschrank griff und sich für einen neuen ‚aufregenden’ Tag voller Arbeit und anderer Besorgungen, Kündigungen und Einstellungsgesprächen vorbereitete. Die Ferien waren nun schon bereits seit einer Woche im Gange und viele seiner Mitschüler fuhren entweder in den Urlaub irgendwo an die Küste, verbrachten ihre Zeit auf Balkonien oder an anderen amourösen Plätzen. Nun, er gehörte nicht zu dieser Anzahl glücklicher Schüler, welche die Ferien in vollen Zügen genießen konnten. Im Gegenteil. Gerade in den allseits gepriesenen Ferien gab es ungeheuer viel für ihn zu tun. Immerhin musste schon frühzeitig an das nächste Weihnachtsgeschäft gedacht werden. Grübelnd griff er sich einen der wichtig aussehenden schwarzen Ordner auf seinem kleinen Couchtisch, über dem er schon gestern noch bis spät … oder vielmehr früh in der Nacht gesessen hatte. Er enthielt einige Screenshots und neue Programmiercodes für sein neuestes Spiel, welches hoffentlich noch in diesem Winter auf den Markt kommen würde. Zumindest hatte Seto das geplant und wenn seine Mitarbeiter sich auch weiterhin so gut ins Zeug legten, wie bisher, würden sie das auch schaffen. Gerade besah er sich einen der Gnome, die er selbst noch vor einigen Wochen in ihrem Aussehen leicht verbessert hatte. Mittlerweile hatte einer seiner Programmierer ihn bereits computertauglich gemacht und so lugte nun auf einem der Screenshots eine gehässig dreinblickende menschenähnliche Figur hinter einem herumliegenden Stein hervor. Er war sehr gut und realistisch gestaltet worden, stellte Seto zufrieden fest. Was die ihn umgebende Umgebung anging, war allerdings noch viel zu tun. Außer dem Stein und dem Gnom dahinter war auf dem Bild noch nicht viel mehr als graue Farbe zu sehen. Die Spieloberfläche und die Umgebung, in welcher der Gnom voraussichtlich zum Einsatz kommen würde, musste erst noch programmiert werden. Ein Manko, an dem er heute zu arbeiten gedachte. Doch zunächst hatte er etwas sehr viel Wichtigeres zu erledigen. ***********Ein paar Stunden früher an diesem Tag********** Immer wieder blickte Joey auf die Uhr. Er saß nun schon seit einer geschlagenen Stunde hier herum und nichts tat sich. Nervös blickte er immer wieder zur Anzeigetafel hinauf. Ihm schien es, als wäre er hier auf einem Busbahnhof gelandet, denn er hätte schwören können, dass die Digitalanzeige vor zwei Minuten noch behauptet hätte, es wären nur noch 5 statt 7 Minuten Verspätung. Warum dieser Vergleich? Ganz einfach: Zuweilen bedienten sich bestimmte Busunternehmen, er wollte da keine Namen nennen, derselben Hinhaltetaktik. Joey war sich mit den Jahren immer sicherer geworden, dass in jeder Digitalanzeigetafel auch eine Kamera integriert war. Und diese registrierte es sofort, wenn man mal gerade nicht auf die Tafel sah und mogelte einem dann immer noch 2 bis 3 Minuten mehr Wartezeit unter. Irgendwann einmal würde er denen auf die Schliche kommen, diesem ganzen kriminellen Verein und dann würde er ein dickes schweres Enthüllungsbuch schreiben und die ganzen Unternehmer verkla… Aber da! Endlich! Joey stoppte seinen Gedankengang. Die Anzeige schaltete gerade auf ‚Ankunft’ um. Der Blonde sprang von seinem Sitz auf und umklammerte fest die Blumen in seiner rechten Hand. Er wollte es endlich hinter sich bringen. Flink wand er sich durch die ganzen Menschenmassen, die nun dem angezeigten Ausgang entgegen strebten. Geschickt wie er war, hatte er sich schon bald bis in die vorderste Reihe der Suchenden gedrängt und hielt nun ebenfalls Ausschau. Doch es sollten noch einige Minuten vergehen, ehe die ersten Menschen die Sicherheitskontrolle des Domino-Flughafens passiert hatten und das ersehnte Gesicht kurz neben der korpulenten Gestalt eines älteren Herrn aufblitzte. Kaum, dass er sie gesehen hatte, begann er auch schon wie wild mit den Armen zu winken und auf sich aufmerksam zu machen. „SERENITY! SERENITY!! HIIIHIIIEER!!!“ rief er durch das ganze Terminal und störte sich überhaupt nicht daran, dass sein linker Nachbar ihn missbilligend ansah und seine rechte Nachbarin, eine kleine alte Dame, zur Sicherheit ihr Hörgerät etwas leiser stellte. Immerhin hatte sie nicht vor, sich auch noch den Rest ihres Trommelfelles zerschrei… zerstören zu lassen. Selbst Schuld. Joey interessierte das in seinem Eifer herzlich wenig. Was drängten die sich auch so neben ihn? Inzwischen hatte Serenity ihn ebenfalls gesehen und kam nun freudig auf ihn zu. „Joey! Wie schön dich zu sehen!“ Vollkommen hibbelig umarmte sie ihren Bruder und nahm dankend die schönen mitgebrachten Veilchen entgegen. „Oh Joey, ich freue mich ja so, dich wiederzusehen! Wie geht es Mama? Wie geht es Papa? Warum sind sie nicht gleich mitgekommen? Was macht die Schule? Ihr habt hier gerade Ferien, oder? Womit fahren wir nach Hause? Ich muss noch…“ „HAAALT. Stop.“ Halb grinsend hielt Joey seine kleine Schwester in ihrem Redefluss auf. „Ich habe nur die eine Zunge, Schwesterherz, und die breche ich mir wirklich sehr ungern, wenn ich versuche, das alles in derselben Geschwindigkeit zu beantworten, in der du gerade die Fragen gestellt hast.“ „Oh!“ Prompt schlug Serenity sich schuldbewusst die Hand auf den Mund. „Entschuldige Joey… es ist nur… Ich freue mich einfach so, mal wieder hier zu sein! Es muss doch unheimlich viel passiert sein, seit ich vor einem Jahr weggeflogen bin.“ Kurz nur huschte ein dunkler Schatten über das Gesicht ihres Bruders, ehe er wieder ein Grinsen aufsetzte und sie in Richtung Kofferband zog. „Du glaubst gar nicht WIE viel Schwesterherz. Aber lass uns das bitte zu Hause besprechen. Komm. Holen wir erstmal deine Koffer, einverstanden?“ Serenity hatte nichts bemerkt. „Ja. Und dann nehmen wir uns ein Taxi und fahren erstmal nach Hause, ja? Und dann müsst ihr mir alles erzählen!“ „Ja Serenity. Ich werde dir alles erzählen, was du wissen möchtest … und auch das, was du wissen solltest.“ Kurz sah Serenity ihn noch an und wollte etwas fragen, überlegte es sich dann jedoch anders und ging dem Fließband mit ihrem Koffer entgegen. Immerhin hatte sie ihn schon einmal vorbeituckeln sehen und wollte ihn kein zweites Mal verpassen. Karussell fahren konnte der schließlich auch zu Hause. ********** später am Tag ********** Geschwind stieg Seto die Treppe hinab und fand sich wenige Stufen später seinem Bruder gegenüber. „Na Seto? Aufgewacht?“, fragte ihn das kleine Schokomonster, welches noch über und über mit den Früchten seiner Vernichtungsaktion bedeckt war. „Mokuba! Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst nicht das ganze Nutella-Glas auf einmal essen?“ Überlegend legte Mokuba die mit Schokolade beschmierten Finger aneinander und fing leise an zu zählen. Als er nach anderthalb Minuten immer noch nicht fertig war, gab Seto seufzend auf. „Lassen wir das Thema.“ „Genau Seto. Ist doch gar nicht so wichtig.“ Frech grinsend blickte Mokuba zu ihm auf. Zurechtweisend sah Seto ihn an. „Gut ist es höchstens, wenn du dir nach solch einer verbotenen Tat wenigstens die Hände und den Mund waschen würdest.“ Völlig selbstvergessen nahm Mokuba daraufhin einen seiner Finger in den Mund und lutschte ausgiebig daran, während er mit vollem Mund die Ansicht verkündete, dass das doch „reinge verpfängung ift, daf feug abfuwaffen“. Kopfschüttelnd widmete Seto sich seinem Kaffee. „Also, pass auf Mokuba. Ich fahre jetzt noch einmal kurz ins Büro und hole dich dann in circa einer Stunde wieder hier ab. Bis dahin bist du bitte schokoladenfrei und ziehst etwas…“ Prüfend sah Seto ihn an. „…weniger schokobraunes an.“ Schmollend sah Mokuba zu ihm auf, während er dann jedoch leise zustimmte. Seto hatte ja Recht. Aber was konnte er denn dafür, wenn die das Zeug doch so lecker machten? Sollte sein großer Bruder die doch einfach verklagen… oder am besten gleich aufkaufen. Dann kam er, als armer kleiner am Frühstückstisch stets sträflich vernachlässigter kleiner Bruder, wenigstens nicht auf solch komische Gedanken. Doch alles Schmollen half nichts und somit machte sich Mokuba auf direktem Weg in das nächste Bad. Derweil trat Seto seinen kurzen Weg zur Arbeit an. Durch den langen Schlaf war er später dran als sonst, was seinen eigentlichen Plan für heute zwar durcheinander brachte, doch er würde es überleben. Immerhin war heute Sonntag und noch dazu ein besonderer. Es war Totensonntag und er und sein Bruder würden heute, wie viele andere in der Stadt auch, im Laufe des Tages auf den Friedhof gehen um zum Gedenken an geliebte Verstorbene Blumen niederzulegen. Es war ein Brauch, den er und sein Bruder gepflegt hatten, seit ihre Eltern verstorben und sie in ein Waisenhaus gekommen waren. Selbst in der Zeit bei Gozaburu Kaiba hatten sie sich oft aus dem Haus geschlichen und immer einen Weg gefunden, an diesem Tag zu ihren Eltern zu gehen. So auch in diesem Jahr. Kaum, dass er die letzten Aufgaben für die wenigen anwesenden Mitarbeiter verteilt und zwei Vorstellungsgespräche für die bei ihm freie Stelle als Grafiker geführt hatte, zog er sich wieder seinen Mantel über und ließ sich von seinem Chauffeur nach Hause fahren. Dort erwartete ihn bereits Mokuba mit einem leicht trotzigen Gesichtsausdruck und hatte, wie Seto innerlich lachend feststellen musste, zwar eine blaue Jeans, dazu jedoch ein braunes T-Shirt mit Nutella Aufdruck angezogen. Schmunzelnd meinte er nur: „Trotzkopf.“ Doch Mokuba machte sich daraus nicht viel und stieg zufrieden mit sich und seiner Idee in den wartenden Wagen ein. „Besserwisser.“ Schon nach knapp einer halben Stunde hatten sie den etwas außerhalb gelegenen Friedhof erreicht. Er war klein und wirkte eigentlich mehr wie ein Park, was man in Domino und auch allen anderen größeren Städten kaum noch finden konnte. Die meisten neueren Friedhöfe für die Zivilbevölkerung muteten bereits jetzt eher wie Militärfriedhöfe an. Wollte man den Stein eines Verwandten finden, musste man sich an die entsprechende Verwaltung wenden, da ein Stein aussah, wie der andere. Anders auf diesem Friedhof, auf welchem man noch die Möglichkeit hatte, kleine Steine anfertigen zu lassen, welche der Individualität der Verstorbenen mehr gerecht wurden, als die schönen aber schnöden Einheitssteine. Lange mussten sie nicht suchen, ehe sie die zwei Steine ihrer Eltern fanden. Beide legten jeweils einen Kirschbaumzweig, umwunden mit einem blassgelben Band, nieder. Ihre Mutter, das hatte Seto sich als Kind einmal gut eingeprägt, hatte die Blüten der Kirschbäume geliebt, während ihr Vater eine Vorliebe für Gelb gehabt hatte. Nachdem sie beide jeder ein leises Gebet für sich gesprochen hatten, ließen sie sich auf der nächsten Bank nieder und genossen für wenige Minuten die friedliche Stille um sich herum. Sie verloren schon lange keine vielen Worte mehr über den Tod ihrer Eltern. Manchmal, wenn einem von ihnen danach war, gingen sie zu dem anderen und erzählten sich Dinge, an die sie sich noch erinnern konnten. Daran, wie ihre Mutter immer gerochen hatte, welche Seife ihr Vater benutzt hatte oder wie es war, als sie am Sonntag immer gemeinsam am Frühstückstisch gesessen hatten. Und dann gab es da noch die ganz persönlichen Erinnerungen. Von Mokuba zum Beispiel, der damals noch sehr klein gewesen war. Dennoch konnte er sich noch genau daran erinnern, wie er mit ihrem Vater einmal einen kleinen bunten Drachen gebaut hatte. Er war gelb gewesen. Aber er hatte einen großen langen roten Schwanz gehabt. Aus Papierfetzen. Sein Bruder gab ihm bei derlei Erinnerungen oft ein Gefühl der Sicherheit. Da er damals schon um einiges älter gewesen war, konnte er sich noch ein bisschen besser an viele Dinge erinnern und ihm versichern, dass er sich die Erinnerung an dieses oder jenes Ereignis nicht nur einbildete. Er brauchte das. Niemand sonst war da, den er hätte fragen können, ob das, an was er sich zu erinnern glaubte, Einbildung oder Wahrheit war. Seto ging es nicht anders. Er erinnerte sich zum Beispiel noch schwach daran, dass er mit seiner Mutter häufig gesungen hatte und wenn ihm keines der Lieder mehr einfiel, fragte er seinen Bruder. Dieser hatte begonnen, ihre Erinnerungen aufzuschreiben und sich auch solche Liednamen notiert. Beide hatten Angst, ihre wertvollen Erinnerungen sonst zu vergessen. Langsam glitt der Blick Mokubas über die wenigen anderen Besucher. Das Grab ihrer Eltern, da es schon etwas älter war, war weiter hinten auf dem Friedhof angesiedelt. Hierher kamen nur wenige Menschen. Zumindest um diese Tageszeit. Vollkommen in seinen Erinnerungen versunken legte Seto den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Mit einmal tippte Mokuba ihn leise an. „Du Seto…“ „Hm?“ Seto sah auf. „Sind das nicht Joey und Serenity dahinten?“ Seto sah in die angegebene Richtung. Tatsächlich. Sein kleiner Bruder hatte Recht. „Ich wusste gar nicht, dass Serenity wieder hier ist.“ „Ich auch nicht Mokuba, ich auch nicht.“ Überlegend blickte Seto weiter in die Richtung der Geschwister. Joey hatte den Arm um seine Schwester gelegt und schien seine heimlichen Beobachter nicht zu bemerken. Nachdem sie noch wenige Schritte weitergewandert waren, blieb Joey mit seiner Schwester vor einem kleineren Grabstein stehen. „Wen die beiden heute wohl besuchen?“ fragte Mokuba sich laut und sah weiter in die Richtung der beiden. Das fragte sich auch Seto. Vielleicht eine entfernte Bekannte? Denn soweit Seto informiert war, gab es außer den Eltern der beiden keine weiteren Verwandten. Leider war von ihrem Sitzplatz aus nicht viel zu sehen. Seto bemerkte jedoch, dass es Serenity scheinbar nicht gut ging und fühlte sich schon wenig später in seiner Vermutung bestätigt, als er sie vor dem angesteuerten Grabstein niedersinken sah. Ihr Bruder hockte sich ebenfalls mit einem Bein hin und schloss sie von hinten in seine Arme. „Du Seto?“ „Hm?“ „Ich glaube sie weint.“ „Hm.“ Anscheinend ging ihr der Tod der verstorbenen Person noch recht nahe, denn selbst sein Bruder weinte heute nicht mehr, wenn sie vor dem Grab ihrer Eltern standen. Schließlich, nach einer halben Ewigkeit wie es schien, in welcher sowohl Seto als auch Mokuba kaum ein Auge von den trauernden Geschwistern abgewandt hatten, erhob Serenity sich mit der Hilfe ihres Bruders wieder vom Boden. Ihre Schultern bebten noch immer und schutzsuchend drängte sie sich in die Arme ihres Bruders. Nachdem er sie eine zeitlang in den Arm genommen hatte, gingen sie schließlich langsam wieder in Richtung Ausgang. Keiner der beiden hatte sie bemerkt. Nach weiteren Minuten des Wartens, in welchen Seto und Mokuba das Gesehene nicht weiter kommentierten, erhoben sich auch die zwei Brüder. Anstatt wie sonst den direkten Weg zurück in Richtung Ausgang zu nehmen, wählte Seto diesmal einen, der sie an der Stelle vorbeiführen würde, an der Serenity gekniet hatte. Das Verhalten von Joeys Schwester hatte ihn neugierig gemacht. Langsam ging er mit seinem kleinen Bruder die Grabsteinreihen entlang. Zwei niedergelegte Rosen schmückten das noch frisch aussehende Grab. Das Gras, das darauf wuchs, war noch jung. Interessiert sah Seto auf den Grabstein und bemerkte zunächst flüchtig, dass es sich scheinbar sogar um ein Doppelgrab handeln musste. „Seto! Sieh doch!“ Irritiert sah Seto in das tief erschütterte Gesicht seines kleinen Bruders und folgte dann seinem Finger, welcher in diesem Augenblick auf die Namen des Grabsteins deutete. Kapitel 17: Traurige Nachricht ------------------------------ @Astera: Es freut mich, dass dir das Kapitel gefallen hat. ^_^ Mokuba ist in jedem Fall nicht auf den Mund gefallen. So leicht wird er sich das Nutella von seinem großen Bruder nicht vom Brot nehmen lassen. *G* Mal sehen... ob du mit deiner Vermutung Recht hattest. @Lunata: In Ordnung, dann werde ich es kurz halten. Ungefähr in Kapitel 55 - 60 wird es dann auftauchen. ^_^ Hoffentlich hält deine Neugierde bis dahin an. @Closer: Genau diese dunklen ernsten Episoden von Joey mag ich besonders. Vor allem von der grafischen Umsetzung her. Sailor Moon war übrigens auch mein erster Manga den ich gelesen habe und der erste Anime, den ich bewusst als solchen wahrgenommen habe. Biene Maja etc. waren ja auch alles Anime, aber das wusste man als Kind ja noch nicht. *lach* Ich muss zugeben, dass ich mich von der Mangareihe bis heute nicht trennen kann und die Serie... es gibt da so ein oder zwei Lieblingsfolgen, die ich mir manchmal noch auf Youtube ansehe (als Bunny Messias wird oder der Film 'Gefährliche Blumen', als ihr Silberkristall zerspringt... überhaupt, da wo sie oder ihre Freunde sterben -_-* ... Ich mag diese Szenen. Böse, oder? Aber auch da überzeugt die Grafik am meisten.) Seto, Atemu und Joey sind auch meine Favos, aber vor allem in meiner Fantasie. ^_^ Das bringt meine Geschichte für mich wohl so mit sich. Danke, dass du mir verzeihst. *g* Was die Serie anbelangt... ich weiß gar nicht was vorher da war - erst der Anime oder erst der Manga? Gibt es überhaupt einen Manga zu Yugioh DX oder wie das heißt? Gut, aber nu will ich dich nicht weiter vom nächsten Kapi abhalten, du wolltest ja unbedingt, dass ich weiterschreibe. ^.~ Solchen Hundeaugen kann ich eh nie lange widerstehen. @Rockryu: Danke für den spontanen Kommi. *lach* Also ICH sage das nicht... Obs wer anders sagt, weiß ich nicht. *fg* @sorakovar: Hi! Danke für die ENS, habe sie erhalten. *freu* Danke für das Lob, ich hoffe, ich enttäusche dich mit den nächsten Kapiteln nicht. In jedem Fall wird es noch viele davon geben. Derzeit bin ich bei Kap. 52 - aber zu meinem Bedauern ist die Story auch da noch nicht zu ende. ;_; In jedem Fall viel Spaß beim Lesen. ^_^ __________________________________________________________________ ***********Etwas früher am Tag********** Mit viel Schwung hievte der junge Taxifahrer die zwei schweren Koffer in das kleine Gefährt, während Serenity und ihr Bruder schon einstiegen. Mit dem Taxi dauerte es vom Flughafen kaum eine halbe Stunde, bis sie zu Hause ankamen. Schnell war ihnen der Taxifahrer noch beim Ausladen behilflich, ehe er die Geschwister am Straßenrand zurückließ. Weitere Neuankömmlinge warteten bereits am Flughafen. Auf der gesamten Fahrt hatten Joey und seine Schwester kein Wort gewechselt. Serenity besah sich in stummer Freude ihre geliebte Heimatstadt und klebte mit ihrer Nase während der gesamten Fahrt förmlich an der Fensterscheibe. Nun nach Beendigung der Fahrt, hatte sie ihre Sprache wiedergefunden, und ging an der Seite ihres Bruders fröhlich plappernd Richtung Fahrstuhl. „…und du glaubst gar nicht wie lieb die Hunde da alle sind. Es macht richtig Spaß mit ihnen zu arbeiten. Ich habe zwar noch einige Probleme mit Richard, das ist ein etwas größerer Labrador, aber Lexi und Stupp machen inzwischen alles, was ich sage. Ich bin sicher, es dauert nur noch ein paar Wochen, wenn ich wiederkomme, bis sie soweit sind und vermittelt werden können. Ich kenne da sogar schon einen kleinen blinden Jungen, sein Name ist Charlie, der hat sich mit Lexi schon richtig gut angefreundet und…“ „Ähm… Serenity…“ „Ja?“ „Wir sind da“, stellte Joey lakonisch fest und stellte die Koffer zunächst neben der Tür ab um aufzuschließen. „Oh.“ Verblüfft sah Serenity sich um. „Aber habt ihr nicht mal eine Etage weiter oben gewohnt?“ Leicht lächelnd schloss Joey auf. „Ja, aber kurz nachdem du damals abgefahren bist, hat man uns diese Wohnung hier angeboten. Sie war preiswerter und da du ja erstmal für drei Jahre weg sein würdest und Mutter und Vater ja wieder zusammen leben wollten…“ Joey sprach nicht weiter. Serenity verstand ihn auch so. „Ja. Stimmt.“ Schnell trugen sie die Koffer herein und Joey begab sich in die Küche, um seiner Schwester erstmal etwas zu trinken zu bereiten. Heiße Milch mit viel Schokolade. Die würde sie brauchen. Ruhig und doch mit allmählich immer schneller klopfendem Herzen wartete er, bis die Milch kochte und rührte schließlich den Kakao ein. Wie sollte er ihr das nur schonend beibringen? Verbissen starrte er in die heiße Milch, ohne zu bemerken, wie die Minuten verstrichen. „Joey? Wo bleibst du?“ schaute seine Schwester in die Küche herein. Joey fasste sich wieder, hörte mit dem Rühren auf und riss sich von seinen trüben Gedanken los. Es gab keine andere Möglichkeit. Er musste es ihr einfach irgendwie sagen und das am besten so bald wie möglich. Je länger er wartete, desto schwerer würde es für ihn werden. „Joey, setz dich doch.“ Angesprochener nickte. Schnell reichte er ihr den Kakao hinüber, den sie dankend annahm. Gemütlich das heiße Gebräu schlürfend, sah sie sich in der für sie neuen Wohnung um. Derweil zog Joey sich ein Bild ihrer Eltern heran, welches auf einer nahe gelegenen Schrankwand stand. Lange sah er es an, doch kein Wort verließ seine Lippen. „Ach, zeig mal!“ jauchzte Serenity und zog ihm das Bild aus der Hand. „Ach, das ist ja süß! Die scheinen ja richtig neu verliebt zu sein!“ Joey konnte das nur bejahen, denn dieses Bild zeigte genau das. Eine wieder aufgelebte Liebe. Es war in den letzten Sommerferien auf einem Jahrmarkt von ihm aufgenommen worden, als die beiden sich liebevoll in der Gondel eines Riesenrades in die Augen geblickt hatten. Schließlich fasste er sich ein Herz. „Ja Serenity… aber… ich muss dir etwas Wichtiges sagen.“ Ernst sah er zu ihr hinüber. Verwirrt sah seine kleine Schwester ihn an. Sie sah ihn selten mit diesem Gesichtsausdruck, auch wenn sie im Gegensatz zu vielen anderen wusste, dass ihr Bruder im Grunde ein sehr bedachter ernster junger Mann war. Zudem hatte sie ja geahnt, dass er ihr irgendetwas mitteilen wollte. Schon auf dem Flughafen war er so seltsam gewesen. Daher fragte sie nur vorsichtig: „Was denn?“ „Serenity, dieses Bild… es ist… ich habe es in den letzten Sommerferien von ihnen aufgenommen.“ „Ja. Und?“ erkundigte sich Sernity, als Joey nicht wagte, weiter zusprechen. Serenity konnte unsäglichen Schmerz in seiner Stimme hören und setzte sich langsam zu ihm hinüber auf die Couch. „Serenity, dieses Bild… es ist das letzte.“ „Wie?“ Tränen traten ihm in die Augen und in ihren Augen konnte er Unverständnis und Unglauben erkennen. „Es ist ihr letztes Bild, das ich gemacht habe bevor…“ Mittlerweile fing Serenity an, ganz leicht zu zittern. Doch noch ging sie nicht von etwas wirklich Schlimmen aus. Vielleicht hatten sie sich ja wieder gestritten und lebten eigentlich schon wieder getrennt und Joey hatte es ihr nur nicht sagen können. Etwas anderes konnte ja kaum so wichtig sein, dass Joey deswegen so… Aber als sie in seine Augen sah, wusste sie unweigerlich, dass sie falsch lag. „… bevor was, Joey? Bevor was?“, flüsterte sie nun leise. Sie musste es ausgesprochen hören. Joeys Hände zitterten, als er ihre in seine nahm. „Auf dem Rückweg…“ Bisher hatte er mit niemandem außer einem Betreuer vom Krankenhaus und einem Polizeibeamten darüber gesprochen. Es fiel ihm unsäglich schwer, für all das, was geschehen war, die richtigen Worte zu finden, um es seiner kleinen Schwester zu erklären. „Auf dem Rückweg von diesem Jahrmarkt…“ Das, was er nun sagen würde, war in Anbetracht der langen Entziehungskur, die sein Vater zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich gehabt hatte, reine Ironie und er wusste es. „…ein betrunkener Fahrer ist auf der Gegenfahrbahn von der Straße abgekommen. Er ist uns mitten ins Auto gefahren.“ Serenitys Augen wurden immer größer. Das durfte… das KONNTE nicht sein. Ihr Herz setzte aus. Sie hatte sie doch noch gesund verabschiedet! Niemand hatte sie angerufen. Joey hätte sie doch in Amerika angerufen, wenn so etwas passiert wäre! Das, was sie da hörte, KONNTE einfach nicht wahr sein! Schockiert starrte sie ihren großen Bruder an. Vereinzelte Tränen liefen ihm über die Wangen und bestätigten, dass er die Wahrheit sprach. Dennoch musste sie erneut heftig schlucken, als Joey auch die letzten Worte noch über die Lippen brachte. „Sie sind noch dort gestorben, Serenity, direkt auf der Autobahn.“ Die Tränen schossen ihr in die Augen und sie schlug die Hände vor den Mund, denn sie hätte schreien wollen vor Entsetzen. „Nein!“ Ihre Stimme war heiser, nur ein Krächzen kam über ihre Lippen. „Bitte nicht.“ Joey nahm sie in die Arme. Sie weinte eine lange Zeit. Joey gab ihr den Halt, den sie so dringend benötigte. Langsam fand Serenity unter Tränen ihre Stimme wieder. „Aber die Wohnung, das Geld, die Briefe…“ Serenity konnte es einfach nicht begreifen. Joey sah sie ebenso traurig an. Auch wenn er mit dieser Realität schon länger als sie gelebt hatte, hatte er bisher nicht geweint. Er hatte es einfach nicht gekonnt. Egal, wie sehr er es sich manchmal gewünscht hatte. „Ich habe gearbeitet, Serenity. Du solltest dort in Amerika ohne diese Last in dein neues Leben starten. Hätte ich es dir gesagt… was hätte es geändert? Und außerdem… wusste ich es zunächst lange Zeit selbst nicht, Serenity und…“ „Aber wie…“, wollte Serenity ihren Bruder schon unterbrechen, doch dieser sprach unbeirrt weiter, als wolle er in diesem Moment einmal alles loswerden, was er ihr das ganze Jahr über nicht hatte sagen können. „Ich arbeite neben der Schule als Kassierer in einem kleinen Supermarkt. Die zahlen ganz gut. Außerdem haben Mutter und Vater auch ein bisschen Geld hinterlassen. Genug, um dir das Geld für deine Ausbildung zu schicken und um diese Wohnung zu unterhalten. Die Wohnung wollte ich aber nur solange noch behalten, bis du wiederkommst. Ich dachte…vielleicht willst du sehen, wie sie die letzte Zeit gelebt haben. Ich habe ihre Zimmer so gelassen, wie sie waren… also wenn du noch rein sehen willst dann…“ „Ja.“ Serenity war ihrem Bruder dankbar dafür, dass er ihr diese Möglichkeit mit der Aufrechterhaltung der Wohnung freigestellt hatte. Sie würde diese Chance nutzen, um sich noch einmal in Ruhe umzusehen. Zwar konnte sie es noch immer nicht ganz begreifen und erfassen, der Gedanke war noch zu frisch, aber vielleicht würde es helfen. Lange sah sie in das Gesicht ihres großen Bruders. Sie konnte nur ahnen, was er in dem letzten Jahr alles durchgemacht hatte. Ihre Ausbildung zur Blindenhund-Trainerin war nicht billig und die Miete dieser Wohnung, auch wenn sie am Rande der Stadt lag, bestimmt auch nicht. Sie brauchte einige Zeit, um all das, was ihr Bruder ihr erzählt hatte, verarbeiten zu können. Nach ein paar weiteren stillen Minuten, in denen sie einfach nur nebeneinander auf der Couch gesessen hatten, fühlte sie sich stark genug, um eine weitere Frage zu stellen. „Du hast bei ihnen im Auto gesessen. Aber du sagtest, dass du lange Zeit nicht wusstest, dass sie tot sind. Das verstehe ich nicht.“ Joey überlegte, ob er ihr die Wahrheit sagen sollte. Insgeheim hatte er gehofft, dass sie diese Frage nicht stellen würde, da er ahnte, dass sie sich dadurch noch schlechter fühlen würde. Sie war ein Mensch, der sich vermutlich Vorwürfe machen würde, nicht dagewesen zu sein. Ein Blick in ihre bittenden Augen sagte ihm jedoch, dass sie ein Recht darauf hatte, alles zu wissen. Auch, wenn er ihr damit wehtun würde. „Koma, Serenity. Ich lag im Koma. Drei Wochen lang.“ „Was?!“ Erschrocken sah seine kleine Schwester ich an. Tief einatmend begann Joey, auch diesen Teil der Geschichte zu erzählen. „Als der Unfall geschah, saß ich hinten im Wagen. Das hat mir, laut der Ärzte, wohl mein Leben gerettet. Allerdings war ich zwischen dem Fahrersitz und der Rückbank eingequetscht und bei dem Aufprall hat mein Kopf wohl auch ganz schön was abbekommen. Meine Verletzungen waren, bis auf ein paar geprellte Rippen und einige Blessuren, nicht weiter dramatisch, trotzdem bin ich drei Wochen lang nicht aufgewacht. Nach drei Wochen hatte sich mein Zustand schließlich stabilisiert und ich bin ohne Einfluss von außen wieder wach geworden. Danach haben sie mich sicherheitshalber noch zwei Wochen zur Reha geschickt. Tja und danach begann die Schule wieder. Die Beerdigung war schon während ich noch im Koma lag von unserem Familienanwalt in die Wege geleitet worden. Er hat sie mit dem Geld aus der Lebensversicherung bezahlt und sie ihrem notariellen Wunsch gemäß, auf dem alten kleinen Friedhof in Domino bestattet. Deine Kontaktdaten waren bei niemandem hinterlegt, daher hat dich auch keiner informiert und ich hielt es später für besser, dich erst mal in Ruhe deine Ausbildung weitermachen zu lassen.“ „Und Yugi und die anderen? Wissen die Bescheid? Ich telefoniere noch ab und zu mit Tea, aber die hat mir auch nichts davon gesagt…“ Verneinend schüttelte ihr Bruder den Kopf. „Nein. Ich habe ihnen nichts gesagt.“ „Aber warum? Sie hätten dich trösten können. Immerhin seid ihr Freunde!“ Ein zerknirschtes Lächeln huschte über die Lippen des Blonden. „Ja. Schon. Aber zuerst… konnte ich nicht darüber sprechen Ich musste es erst mal selbst verarbeiten… Tja und dann… Ich dachte, dass du die erste sein solltest, die von dem Tod unserer Eltern erfährt – und zwar von mir und nicht von unseren Freunden.“ Serenity wusste, was er meinte. Liebevoll strich sie, immer noch mit Tränen in den Augen, mit einer Hand ganz sacht über die Wangen ihres Bruders. „Es tut mir leid“, flüsterte sie und im Geiste führte sie den Satz zu Ende. /…dass ich nicht für dich da war./ Doch er schüttelte nur den Kopf. Er verstand sie. „Du hättest nichts tun können, Serenity. Weder für mich, noch für sie. Es ist besser so, wie es gekommen ist. Und wenn dein Urlaub vorbei ist, möchte ich, dass du wieder nach Amerika zurückfliegst und deine Ausbildung beendest. Mutter hätte es nicht anders gewollt“ Tapfer nickte sie. **********später am Tag – auf dem Friedhof********** Geschockt sah Seto auf den Grabstein direkt vor seinen Augen. Er starrte mittlerweile schon drei geschlagene Minuten darauf und konnte doch nicht begreifen was er dort sah. „In neuer und alter Liebe stets verbunden – Eheleute Wheeler“, stand dort in einen schwarzen kleinen Stein geätzt. Das konnte nicht sein! Mokuba ging es nicht anders. Auch er war wie vom Donner gerührt. „Aber Seto! Das sind… das sind ja Joeys Eltern!“, stellte er erschüttert fest. Immer wieder sah Seto auf die zwei Rosen und die Inschrift. Warum hatte er nichts bemerkt? Aber Joey war so wie immer gewesen. Nichts hatte ihn anders wirken lassen. Er hatte Witze gemacht und sich mit ihm angelegt… eigentlich alles, wie sonst auch. Warum hatte er es nicht bemerkt? Immer wieder dieselbe Frage. Er hatte eigentlich immer angenommen, dass, wenn Joey etwas, egal was, zustieß dann… würde er es merken. Er wusste nicht, woher dieser Gedanke kam, aber er war immer… irgendwie in ihm gewesen. Doch so war es nicht gekommen. Er dachte zurück. Da war nichts. Gar nichts. Vielleicht eine kleine Bemerkung am Rande. Ein kurzer trauriger Blick… nur eine schwache Erinnerung. Er wusste es einfach nicht. NICHTS hatte er bemerkt. GAR NICHTS! Vielleicht war es dieser Gedanke, der ihn in diesem Moment am meisten schockierte. Er hatte immer angenommen, dass er Joseph Jay Wheeler kennen würde, mit all seinen – zugegebenermaßen wenigen – Stärken und vielen kleinen Schwächen. Joey war für ihn immer ein offener und leicht zu durchschauender Mensch gewesen – ganz anders als er selbst. Etwas, worum er ihn immer beneidet hatte, war seine Fähigkeit, all seine Gefühle und Ansichten in die Welt hinauszuschreien. Auch ihm gegenüber hatte er nie ein Blatt vor den Mund genommen. War das alles nur eine Fassade? Eine Maske, ebenso wie er selbst jeden Tag eine trug, seit er mit seinem Bruder bei Gozaburo Kaiba gelebt hatte? Was hatte Joey noch alles hinter dieser Maske versteckt? „Komm Mokuba, lass uns gehen“, meinte Seto nach einer Weile und als Mokuba zu ihm aufsah konnte er nichts als Entschlossenheit in dem Gesicht seines Bruders ausmachen. „Ich habe noch einiges zu tun.“ Das hatte Seto immer, doch heute schien es eines der wenigen Male zu werden, in denen dieses ‚etwas zu tun’ nichts mit seiner Arbeit zu tun haben würde. Und Mokuba nickte stumm. **********wenig später in der Villa der Kaibas********** Forschen Schrittes ging Seto in Richtung seines Hausbüros. Er hatte ein wichtiges Telefonat zu führen, ehe er sich wieder seiner eigentlichen Arbeit zuwenden würde. Erst nach dreimaligem Freizeichen wurde am Ende der Leitung abgenommen. „Kaiba Corporation, was kann ich für Sie tun?“ „Miss Yoko, ich möchte, dass Sie etwas für mich recherchieren.“ „Ah! Herr Kaiba! Ja, natürlich. Um was geht es dabei?“ „Stellen Sie mir eine Akte mit den wichtigsten Informationen zu einem Herrn und einer Frau Wheeler zusammen. Beide verstarben letzten Sommer. Das dürfte nicht schwer sein, da es den Namen in Domino wahrscheinlich nicht allzu oft gibt.“ „Ja, Herr Kaiba. Und in welchem Zusammenhang soll ich nach den Akten suchen?“ Seto konnte hören wie sie bereits am anderen Ende der Leitung die kurzen Informationen, die er ihr gab, in den Computer einspeiste. Gut so. „Suchen Sie nach allem was in Verbindung mit ihrem plötzlichen Tod steht. Die Todesursache und die genauen Hintergründe bitte vorn angestellt.“ „Ja…jah… ist gut.“ Schnell gab Seto ihr noch die Daten durch, die auf dem Grabstein zu lesen gewesen waren. Ebenso schnell schrieb die junge Frau am anderen Ende der Leitung mit, ehe sie sich höflich erkundigte, ob er noch mehr Wünsche habe. Es brauchte nur einen kurzen Moment Bedenkzeit, ehe Kaiba auch die letzte Anweisung durchgab. „Ja. Suchen Sie mir auch gleich alle Informationen heraus, die Sie zu den Wheeler-Kindern auftreiben können. Ihre Namen lauten Joseph Jay Wheeler und Serenity Wheeler. Das wäre dann vorerst alles.“ „Jawohl, Herr Kaiba.“ „Aufwidersehen.“ Ruckartig legte Seto den Hörer wieder auf. Er fühlte sich ausgelaugt und leer. Nachdem der Firmenchef einige Minuten beinahe vollkommen gedankenfrei aus dem Fenster geblickt hatte, wandte er sich schließlich einigen Geschäftsakten zu, die er eigentlich erst morgen hatte bearbeiten wollen. Erst am Abend, als bereits das erste Mondlicht durch sein Fenster fiel, streckte er seine Glieder in alle Richtungen und massierte seinen mittlerweile verspannten Nacken. So langsam war es an Zeit, sich wieder der Realität zu stellen. Darum klappte er seine Ordner zu und schritt gemächlich hinunter in die Küche. Unterwegs erkundigte er sich noch bei seinem kleinen Bruder, ob dieser mit ihm Abendbrot essen wolle. Freudige Zustimmung erklang aus dem Mund des kleinen Quälgeistes, da ein gemeinsames Essen im Hause Kaibas Seltenheit war. Doch auch er schien noch immer tief in Gedanken an das heute durch Zufall Erfahrene versunken zu sein. Seto merkte es ihm an. „Sag mal Seto“, erkundigte sich der Kleine bei Seto, während er sich Happen für Happen an einer kleinen Stulle mit Käse gütlich tat. „Meinst du Joey hat seinen Freunden gesagt, dass seine Eltern gestorben sind?“ Seto hatte sich über diese Frage bisher auch schon seine Gedanken gemacht. Doch ebenso wie Mokuba, war er noch zu keinem wirklichen Ergebnis gekommen. „Ich weiß es nicht Mokuba. Aber ich denke, wir sollten es ihnen gegenüber lieber nicht erwähnen. Wenn er ihnen noch nichts gesagt hat, sollten wir das Joey überlassen.“ Überrascht sah Mokuba in das nachdenkliche Gesicht seines Bruders. Das war ausgesprochen rücksichtsvoll und sensibel von Seto. Eine Seite, die selbst Mokuba selten zu sehen bekam. Aber wenn er nun seinen Bruder so anblickte, war er sich sicher, dass Seto sich dessen gar nicht bewusst war. Mokuba meinte sogar, einen sorgevollen Unterton in der Stimme seines Bruders wahrnehmen zu können. Tja und wie kleine Brüder nun mal waren, wollten sie natürlich alles ganz genau wissen. „Seto?“ „Was denn, Mokuba?“ „Machst du dir Sorgen um Joey?“ Erst leicht irritiert, dann fast schon verärgert, herrschte Seto seinen kleinen Bruder an. „Natürlich nicht! Er ist alt genug. Und wenn er meint, es ist besser, sich niemanden weiter anzuvertrauen, dann ist das sein Problem.“ Mit Schwung stellte er den noch halbvollen Kaffee wieder auf die Anrichte und wünschte seinem Bruder eine Gute Nacht, bevor dieser noch auf weitere absurde Gedanken kam. Die heißen Tropfen auf seiner Haut, die über den Tassenrand beim Abstellen geschwappt waren, bemerkte er kaum. /Sorgen?! Pah! Nein. Warum auch? Seine Eltern waren auch tot. Na und? Änderte das irgendetwas? Wohl kaum./ „Gute Nacht, Mokuba.“ „Gute Nacht, Seto.“ Schnell lief der Kleinere noch einmal zu ihm hin und gab ihm einen kleinen Kuss auf die linke Wange. „Du bist lieb, großer Bruder“, flüsterte er ihm, beide Hände jeweils um das linke Ohr Setos gelegt, leise zu, ehe er, mittlerweile sogar schon wieder mit einem fröhlicheren Lächeln auf dem Gesicht, flugs in Richtung Schlafzimmer verschwand. Sprachlos schüttelte Seto den Kopf. Seufzend machte auch er sich schließlich wieder auf den Weg in sein Zimmer. Für heute würde er die Arbeit erst einmal Arbeit sein lassen und sich früh in sein Bett packen. Morgen war Montag. Da gab es wahrlich genug für ihn zu tun. Kapitel 18: Audienz ------------------- @Lunata: *G* Dass ich bereits an Kapi 52 schreibe und hier trotzdem erst bei... dem 11. oder so bin... Das liegt eher daran, dass ich als Autor ja auch einen gewissen Vorsprung brauche. Es fallen mir zu oft Dinge ein, die vorher schonmal hätten erwähnt werden müsse oder eine Reaktion passt nicht so ganz in den Ablauf bzw. würde nicht zu demselben Ergebnis führen und dann schreibe ich eben alles nochmal um bzw. ändere einzelne Textabschnitte. ^_^ Und ich selbst muss ein Kapitel mindestens 20mal gelesen und kontrolliert haben, um so viele Formulierungs-, Ausdrucks- und Inhaltsfehler bzw. logische Fehler wie möglich zu finden und auszumerzen. Du siehst also, ich mache das nicht aus böser Absicht, sondern um eine gute Geschichte online zu stellen. ^.~ Ich hoffe daher, dass du mir nochmal vergeben kannst. *g* @Astera: Sorry, dass du Recht hattest. Aber das war von Anfang an von mir so geplant. ^_^* Jup, viele Eigenschaften blieben auch nach x-Tausend Jahren erhalten und die innere Stärke Jonos angesichts solcher Schicksalsschläge gehört dazu. Danke für den Rechtschreibfehler. *seufz* Selbst nach dem xten Mal lesen ... irgendwie überliest man solche Sachen doch immer wieder. Ich werde es korrigieren. ^_^ Außerdem, wenn ich den Satz da so einzeln stehen sehe... schlechtes Deutsch. Ich überarbeite das nochmal. -_-* Warum sollte ich dir böse sein? Wie soll man sich denn verbessern können, wenn keiner einem was sagt? ^_~ @Sy: *verwirrt ist* Du BIST nahe ans Wasser gebaut, oder NICHT nahe am Wasser gebaut? Sorry, aber ich habe deinen Satz nicht ganz verstanden. ^_^* Einen Oscar? Na, ich weiß nicht. So etwas ist, denke ich, reiner Selbstschutz. Erstmal musste er es ja selbst verstehen, dass sie tot sind und Männer neigen dazu, viel mehr in sich hinein zu fressen als Frauen. Bei Joey ist das eben auch sehr ausgeprägt - er hat ja über tausend Jahre Übung darin, Dinge für sich zu behalten, die ihn selbst betreffen, da kommt er wohl nur schwer wieder raus. Was deine Einschätzung von Seto anbelangt, glaube ich ja, dass du Recht hast. Er ist ein Arbeitstier und die Arbeit sein einziger Freund. Oder außer Mokuba zumindest das Einzige, das ihm etwas zurückzugeben scheint, ihm Erfolgserlebnisse beschert. Jup. Seto IST nett. Harte Schale... Man kennt das ja. Außerdem ist sein Seth ja auch... nein. Das lasse ich an dieser Stelle mal noch. Das verrät zu viel. ^.~ @Closer: Hi. Also Biene Maja mochte ich als Kind, glaube ich. Dazu kamen dann später noch 'Katzenauge', 'Kamikaze Kaito Jeanne', 'Zorro', 'Robin Hood', 'Saber Rider ?', 'Mrs. Jo und ihre fröhliche Familie', 'Wunderbare Pollyana', 'Stern der Seine', 'Lady Oscar', 'Georgie' und mein persönliches Highlight 'Kleine Prinzessin Sara'. Wie du siehst, kenne ich noch fast alle Namen. Auch 'Hikari' hieß glaube ich mal eine Serie und 'X 1999', aber die kam ja erst später auf den Markt. Ich finde es schön, dass es inzwischen auch mal der ein oder andere Anime in unsere deutschen Kinos geschafft hat. 'Das wandelnde Schloss' ist mein Liebling von den wenigen, die es geschafft haben. Bei Sailor Moon fand ich Seiya auch klasse. Immer frech und gut gelaunt. Aber ich muss ehrlich zugeben, dass ich durch unsere Synchro lange überlegt habe, ob es nun Männer oder Frauen sein sollen. *lach* Am Besten fand ich allerdings immer Haruka und Michirou. *schmach* Die zwei zusammen waren Gold wert. Haruka war immer so schön... sarkastisch kann man nicht wirklich sagen... aber sie hatte etwas an sich... ^_^* Die Lieder der Starlghts habe ich früher rauf und runter gesungen, es gab sogar mal eine CD damit. Die habe ich immer noch, allerdings schon seit Jahren im Keller. -_-* Der Manga ist übrigens gar nicht schlecht, die Zeichnungen darin werden nach und nach erwachsener. Inzwischen gibt es ja eine Neuausgabe davon. Warum findest du Kaiba eigentlich seltsam, so wie er sich entwickelt? *autorenneugierde geweckt* @Anyu: Schön, dass dir das Kapi besser gefallen hat. tja hin und wieder wird es noch ziemlich traurig werden. Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab und das von Seto und Joey allemal. ^.~ Ganz zu schweigen von Seth und Jono. *lach* Was Serenity anbelangt, so denke ich, dass sie selbst schon zu viel durchgemacht hat - man denke nur an ihre Augen - um nach als schwaches Persönchen durchzugehen. Sie ist stark, was wohl auch in ihrer Familie liegt. Außerdem hat sie ja noch Joey und ich denke, dass ihr das den nötigen Halt gibt. ____________________________________________________________ ~~~~~~~~~ Langsam schlug Seth die Augen auf. In der letzten Nacht hatte er gar nicht mal so schlecht geschlafen. Das war selten. Im Angesicht zahlreicher Zeremonien, die in der Nacht abgehalten werden mussten und Gedanken an auf Zinnen herumtanzenden Heeresführern, kam er nur selten zu tiefem Schlaf. Meistens beschränkte sich seine Ruhezeit auf vier bis maximal fünf Stunden. Auch heute begannen die Frühgebete schon zur Dämmerungszeit. Schnell schüttelte er auch noch den restlichen Schlaf ab und bedeutete einem Diener außerhalb seines Gemaches, ihm Wasser zum Waschen zu bringen. Er würde sich zwar heute sowieso noch einmal säubern müssen, doch das war ihm gleich. Er teilte nicht unbedingt die Leidenschaft anderer Palastbewohner sich nur einmal alle zwei Tage einer leichten Reinigung zu unterziehen. Schon als Junge hatte man ihm beigebracht, dass nur in einem reinen Körper auch ein reiner Geist wohnen konnte und dass sogar die Götter gewisse Vorlieben hatten, was die Hygiene ihrer Diener betraf. Kurz nur streifte er sein oberes Gewandt und seine Tunika ab, als er sich einer schnellen Wäsche unterzog, ehe er sich wieder ankleidete und sich auf den Weg zum Tempel machte. Auf seinem Weg durch die vielen Gänge kam er auch am Gemach Jonos vorbei, klopfte jedoch nicht an. Sie gingen sich seit dem Ereignis auf dem Turm vor nunmehr fast zwei Monaten weitgehend aus dem Weg. Oder besser: Jono ging ihm aus dem Weg. Zwar brachte er ihn nach wie vor gern zur Weißglut mit seiner ständigen Abwesenheit, doch er suchte nicht mehr nach ihm, da er das Gefühl hatte, dass Jono nicht gefunden werden wollte – besonders nicht von ihm. Warum auch immer. Innerlich versetzte ihm dieser Gedanke im Gedenken an ihre alten Tage einen kleinen Stich, doch er ignorierte ihn geflissentlich. Darin hatte er inzwischen Übung. Er hatte keine Zeit für unnütze Wanderungen in alten Erinnerungen. Heute hielt der Pharao wieder einmal eine seiner Audienzen für das Volk ab. Vom Mittag bis zum Abend würde eine Unmenge an Bittstellern zu ihm kommen, die beim Licht Ägyptens Rat suchten. Und da er selbst neben dem Amt als Hohepriester zugleich als oberster Berater des Pharaos fungierte, war es auch seine Pflicht, anwesend zu sein. Und eigentlich auch die Pflicht von Jono, beziehungsweise Anoubis Ano-Oobist, aber man hatte sich seit seiner Ernennung zum Anführer der Truppen mit seiner beständigen Abwesenheit abgefunden, wie es schien. Selbst der Pharao hatte bisher nichts verlauten lassen. Überhaupt schienen der Pharao und Jono durch ein sehr enges Band miteinander verbunden zu sein. Eng genug zumindest, um Jono einige sonst kaum gestattete Freiheiten zu gewähren. Wenige Stunden später, nachdem er sowohl den Morgengruß an die Götter, als auch das Mittagsgebet beendet hatte, machte sich Seth wieder auf den Weg in seine Gemächer. Die zweite Waschung stand an, bevor er sich auf den Weg zum Audienzsaal machen würde. Schon nach wenigen Minuten fühlte er sich wieder vollkommen erfrischt und zog sein zeremonielles Gewand über, mit welchem er stets den öffentlichen Audienzen beizuwohnen pflegte. Diese wurden im großen Saal abgehalten, dem größten des Palastes, welcher durch seine reichen Verzierungen und seine gigantischen Ausmaße am besten in der Lage war, dem herbeiströmenden Volk Ehrfurcht vor der unermesslichen Macht des Pharaos einzuflößen. Das einfache Volk war leicht zu beeindrucken, doch auch er musste bisweilen zugeben, dass es immer wieder ein Erlebnis war, diesen Saal betreten zu dürfen. Jedoch weniger des Gewölbes wegen, sondern wegen der Ausstrahlung des Pharaos, welche dort an Intensität noch zuzunehmen schien. Gerade wollte er sich der Tür zuwenden, als an eben jener ein leises Klopfen zu hören war. Kurz nachdem er den Diener hereingebeten hatte, öffnete sich die Tür und der Gesandte ließ sich zu seinen Füßen nieder, bis er ihm, ähnlich wie der Pharao, das Recht gewährte, sich in seiner Gegenwart zu erheben. „Der ehrenwerte Pharao, das Licht Ägyptens, bittet Euch, Hohepriester, hiermit darum, der heutigen Audienz mit Eurem Milleniumsstab beizuwohnen.“ „So?“ Seth war verwundert. Er nahm seinen Milleniumsstab äußerst selten mit zu einer Audienz. Aber gut, wenn dies der Wunsch seines Herrschers war, stand es ihm kaum zu, darüber ein Urteil zu fällen. Schon wenig später betrat Seth samt seines Stabes in der rechten Hand die riesige Halle, in welcher Atemu bereits auf seinem Thron Platz genommen hatte. Anscheinend wartete alles nur noch auf ihn, weswegen sich Seth sofort hinter den Thron auf die rechte Seite des Regenten stellte. Normalerweise wäre auf der linken Seite Jonos Platz gewesen, doch wie erwartet, war dieser wieder einmal leer. Ihm blieb nicht viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn kurz darauf wurde der erste Bittsteller angekündigt und ein alter Mann in brauner zerrissener Kutte betrat zögerlichen den Saal. Immer wieder sah er sich ängstlich um und schritt dann langsam in Richtung des Pharaos. Genau zwanzig Schritte vor ihm, blieb er stehen und ließ sich auf seine Knie nieder. Die vier Soldaten, die vorm Thron ihren üblichen Posten bezogen hatten, jeweils zwei rechter und zwei weitere linker Hand, rührten sich nicht. Die Regeln, welche während einer Audienz galten, waren allen Bittstellern hinlänglich bekannt. Jeder wusste, hätte der alte Mann es gewagt, sich weitere 10 Schritte dem Pharao zu nähern, wäre sein Leben und das seiner Familie verwirkt gewesen. Der alte Mann jedoch, der, wie Seth wusste, bereits zweimal hier gewesen war, wusste um die ungeschriebene Regel und befolgte sie aufs Genaueste. „Oh höchster aller Richter, Licht von Ober- und Unterägypten und göttliche Inkarnation von Horus auf Erden – mein Pharao, ich komme als Bittsteller zu Euch und hoffe, dass Ihr mich an diesem Tage erhört“, trug er den Reigen vor, welcher wohl jedem in Ägypten bekannt war, da er selbst den kleinsten Kindern bereits in den ersten Jahren ihres Lebens beigebracht wurde. „Sprich und ich werde Euch lauschen. Sprichst du die Wahrheit, werde ich dir Helfer und Stütze sein. Sprichst du aber falsch, so sei versichert, dass über dich und deine Familie gerichtet werde.“ Auch dies gehörte zum täglichen Ritual, welches sich bereits seit Atemus Großvater nicht sonderlich verändert hatte. Doch jeder in Ägypten wusste mittlerweile, im Gegensatz zu früher, dass er die Warnung des Pharaos durchaus ernst nehmen sollte. Zu viele hatten bereits versucht, unrechter Weise Nachbarn oder angebliche Freunde unter dem Deckmantel der Ergebenheit anschwärzen, um einen eigenen Vorteil zu erringen und mussten nun mit den Konsequenzen leben. Atemu hatte im Gegensatz zu seinem Vorgänger eine unglaubliche Beobachtungsgabe, was ihn in die sehr nützliche Lage versetzte, Lüge und Wahrheit der Bittsteller meist gut von einander zu unterscheiden. „Ja, oh Pharao. So lasst mich Euch nun wahrheitsgemäß berichten, was sich im vergangenen Monat in der Nähe der östlichsten Oase zutrug. Meine Familie und ich sind Karawanenführer, welche stets bestrebt sind, jeden Einwohner Ägyptens sicher von einer Düne zur nächsten zu tragen, ohne, dass ihnen ein Leid geschieht. Als wir, meine Frau, mein Sohn und ich, uns jedoch vergangenen Monat daran machten, einige Waren wie Feigen und Brot in diese Stadt zu transportieren, wurden wir von einer Bande Syrier überfallen, welche uns unser ganzes Hab und Gut entrissen und uns nur ein Kamel und unser Leben ließen. Wenn Ihr uns nun nicht helft, mein Pharao, so wissen meine Frau und ich weder ein noch aus, denn wir haben weder Nahrung noch unsere Kamele, um uns diese mit eigener Hände Arbeit zu verdienen. Darum komme ich zu Euch und erbitte hiermit Euren Rat und Eure Hilfe.“ Kaum, dass er fertig gesprochen hatte, kniete der alte Mann mühsam nieder und streckte beide Arme vor sich auf den Boden, während er mit seiner Stirn auf dem kalten Stein ruhte. Kurz überdachte Atemu das Gehörte, ehe er fragend seine Stimme erhob. „Sag mir, ist das Kamel, welches man Euch als einziges überließ, gesund und kräftig?“ „Ja, oh Pharao“, erwiderte der Mann leise und setzte dann zögernd hinzu: „…doch ohne Nahrung wären wir schon bald gezwungen, es zu opfern.“ Einen Augenblick noch horchte Atemu in sich hinein, bevor er schließlich einen jungen Boten heran rief, welcher sich für den Fall, das er gebraucht würde, in der Nähe einer der riesigen Säulen aufgehalten hatte. „Geh und sorge dafür, dass dieser Mann ein Kamel aus meinem eigenen Stall erhält, welches kräftig und gut genährt ist. Zudem sollen für diesen Mann drei Säcke Getreide auf einen Esel gebunden werden, damit er mit diesen die nächste Zeit gesund überstehen möge.“ Der Mann nickte kurz und begab sich sofort hinaus, um seine Aufträge gewissenhaft zu erfüllen. Derweil bedeutete Atemu dem alten Mann sich wieder zu erheben und richtete nun das Wort an ihn. „Höre, denn ich habe die Wahrheit aus deinem Mund vernommen und will dir eine Stütze sein. Ich gebe dir hiermit einen guten Rat: Das zweite Kamel soll dir dienen, damit es dir und deiner Familie möglich wird, eine neue Karawane zu begründen. Das Korn aber, welches ich dir ebenfalls überlasse, teile mit deiner Familie und den Kamelen zu gleichen Teilen, damit du zur rechten Zeit den wahren Lohn für harte Arbeit empfangen kannst. Den Esel magst du als Lasttier behalten, um die Nahrung sicher zu deiner Familie zu bringen.“ Überrascht von seiner Großzügigkeit, verneigte sich der alte Mann ein weiteres Mal und Seth war, als könne er sogar Tränen in den Augen des Mannes erkennen. „Ich danke Euch vielmals, oh Pharao und wahres Licht Ägyptens.“ Seth konnte den Mann gut verstehen, denn dieses Kamel war ein weit größeres Geschenk, als manch ein Ägypter hoffen konnte, es jemals zu erhalten. Dem Kamel würde sein Ruf vorauseilen aus dem persönlichen Besitz des Pharaos zu stammen, was ihm einen gewissen Stammbaum und Adel verlieh und somit zum Objekt der Begierde für den einen oder anderen Kamelzüchter machte. Die Aussicht vieler Ägypter, auf einem Kamel des Pharaos reiten zu können, würde später sein Übriges tun und das Geschäft des Mannes in vernünftigem Maße fördern. Dieses Kamel war demnach letztlich, wenn der Mann den Rat des Pharaos befolgte, mehr wert, als hätte er ihm fünf Säcke Gold gegeben. Atemu nickte kurz und nahm somit den Dank an. Langsam schritt der alte Mann schließlich aus dem Saal, immer noch vollkommen überwältigt, wie es schien, denn auch er war sich der großen Bedeutung des Geschenkes durchaus bewusst. Leise, nur im engsten Umkreis vernehmbar, merkte Atemu an: „Dies ist nicht das erste Mal, dass mir Berichte von Überfällen durch die Syrier zu Ohren kommen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns des Problems annehmen.“ Seth nickte. Die Syrier überfielen immer wieder die Gebiete nahe der Grenze. Nicht nur einmal, hatten sie bereits ganze Dörfer niedergebrannt und Karawanen geplündert. Der Mann hatte Glück gehabt, dass er und seine Familie mit dem Leben davon gekommen waren. Wenig später wurden die nächsten Bittsteller vorgelassen. Fünf junge Männer betraten in ehrerbietiger Haltung den Saal und kaum, dass Sie sich vor dem Pharao eingefunden hatten, begann das jahrhunderte alte Ritual von neuem. „Oh höchster aller Richter, Licht von Ober- und Unterägypten und göttliche Inkarnation von Horus auf Erden – mein Pharao, ich komme als Bittsteller zu Euch und hoffe, dass Ihr mich an diesem Tage erhört“, der älteste der fünf Männer trat vor und verbeugte sich vor seinem Herrscher. „Sprich und ich werde Euch lauschen. Sprichst du die Wahrheit, werde ich dir Helfer und Stütze sein. Sprichst du aber falsch, so sei versichert, dass über dich und deine Familie richten werde.“ „Ich danke Euch, mein Pharao. Meine Brüder und ich knien hier aus folgendem Grund zu Euren Füßen: Wir haben etwas in der Wüste gefunden, von dem wir glauben, dass es von äußerster Wichtigkeit für Euch wäre. Deshalb nahmen wir die beschwerliche Reise auf uns, es Euch am heutigen Tage darzubringen.“ Eine der Augenbrauen Atemus wanderte, gänzlich unbemerkt für ungeübte Betrachter, ein winziges Stück nach oben. Er war sich unsicher, ob er den Männern Glauben schenken konnte, da war Seth sich sicher. „Wenn Ihr der Meinung seid, dass dem so ist, dann zeigt mir, was Ihr zu zeigen wünscht.“ Erst jetzt bemerkte Seth die fünf Beutel, die von jedem der Brüder an der jeweils rechten Seite getragen wurden. Ein merkwürdiges Gefühl durchzog seinen Körper beim Anblick dieser Männer. Der Sprecher der fünf erhob sich und zog seinen Beutel vor die Brust. Während er noch umständlich in dem Sack herumkramte, schien Atemu indes immer unwilliger zu werden, da der Mann sich beim Suchen ohne Einverständnis erhoben und beinahe unauffällig zwei weitere Schritte in seine Richtung gemacht hatte. Seths konnte spüren, wie ein Kribbeln seinen Körper durchzog. Jemand in dieser geweihten Halle übte Magie aus! Unmerklich ließ er seinen Blick über die fünf Männer wandern. Indes hatte sich der vordere Mann einen weiteren Schritt näher als erlaubt in Richtung des Pharaos geschoben. Einer der Wachen fasste seine Hellebarde bereits mit beiden Händen. Gerade, als er den Mann vor ihm von weiteren Schritten abhalten wollte, zückte dieser ohne Vorwarnung eine kleine Axt. Mit einem blitzschnellen Satz hatte er die letzten Schritte bis zum Thron überwunden und zielte mit dem Kopf der Waffe auf das Haupt des Pharaos. Als wäre dies das Startsignal gewesen, sprangen mit einmal auch die restlichen vier Männer auf und zogen, wie aus dem Nichts, verschiedene Waffen aus den Untiefen ihrer Umhängetaschen hervor. Alles geschah binnen Bruchteilen von Sekunden. Atemus Blick richtete sich auf die Streitaxt direkt vor ihm. Kein Ton hatte seine Lippen verlassen. Ruhig blickte er auf die Schneide der Axt, nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Mit tödlicher Gewissheit läge Atemu mittlerweile schon ebenso tot am Boden, wie zwei seiner Leibwachen, wenn nicht die links stehende dritte Leibwache einen ebenso plötzlichen Satz nach hinten gemacht und die Klinge des Anführers mit Hilfe einer Hellebarde abgeblockt hätte. Seth umklammerte seinen Milleniumsstab. Er hätte längst eingegriffen, läge nicht die rechte Faust des Pharaos umgedreht auf dessen Thron; ein Zeichen und zugleich stummer Befehl für ihn, sich nicht einzumischen. Er hatte etwas geahnt. Noch immer sahen sich der Herr über Ägypten und sein Widersacher starr in die Augen. Sekunden schienen zu Stunden zu werden, während keiner der Kontrahenten den Blick zuerst abwenden wollte. Noch ehe das erste Wort zwischen den Beiden gesprochen war, hatten die vier anderen Gestalten die Türen, die zum Audienzsaal führten, verriegelt. Keine der restlichen Wachen im Saal rührte sich. „Und nun? Was wolltet Ihr mir zeigen?“ erkundigte sich Atemu mit vollkommen angstfreier und fester Stimme, als hätten sie das Gespräch nie unterbrochen und als würde keine Axt nur Zentimeter vor seiner Kehle in der Luft hängen. „Wie schnell du durch meine Waffe sterben wirst, Pharao“, antwortete ihm der ältere Mann, wobei das letzte Wort klang, als würde er seit drei Wochen vor sich hin schimmelndes Brot erst würgend kauen, ehe er es angeekelt wieder ausspie. „Eine interessante Idee, Syrier…“, stellte Atemu mit zur Schau gestellter Naivität fest, ehe sich seine Augen schließlich zu gefährlichen Schlitzen verengten und seine Stimme tief und kraftvoll durch den Saal scholl. „… wenn man bedenkt, dass sogar ein Anfänger der Kampfkunst in der Lage ist, Eure Streitaxt von meiner Kehle fern zu halten.“ Erst jetzt schien der Mann seinen Kontrahenten für einen Moment richtig wahr zu nehmen und erkannte dabei den langen Zopf, welcher unter dem Kopfschutz des Mannes hervortrat – ein allgemein bekanntes Kennzeichen für alle neuen Rekruten in der Armee des Pharaos. Rekruten, die noch viel zu lernen hatten. „Ihr habt Recht. Wie töricht von mir…“, knurrte der Mann, so darauf aufmerksam gemacht, grinsend. Leise fügte er hinzu: „… mich von einem solchen Grünschnabel aufhalten zu lassen.“ Kurz nur gestattete er sich ein feistes Lachen, ehe er mit einer schnellen Bewegung den Arm samt Axt zurückzog, bevor er wieder hervorschnellte, diesmal die Waffe auf die entblößte Kehle des Anfängers gerichtet. Die Syrier waren dafür bekannt, sehr gute Kämpfer zu sein und waren unter allen Anwohnern Ägyptens gefürchtet. Zwei blutige Beweise ihrer Fertigkeiten lagen zu Füßen des Pharaos. Die Leibgarde des Lichtes von Ägypten hatten den Ruf, die besten und fähigsten Krieger des Landes zu sein. Dennoch hatte man sie ohne Gegenwehr überwältigen können. Die verbleibende dritte Leibgarde erkannte indessen die Absichten des Anderen und reagierte blitzschnell. In einer flüssigen Bewegung zog er die Hellebarde zurück und lenkte die gegnerische Waffe an dem langen Holzende entlang genau in den Haken der Hellebarde. Mit einer geschickten Drehung gelang es ihm, die Streitaxt aus den Händen des Angreifers zu reißen. Währenddessen war in seiner anderen Hand ein Chepesch aufgetaucht, welches das kleine Meuchelmesser abwehrte, das in diesem Augenblick auf dem Weg zum Pharao gewesen war. Überrascht, dass der Jüngere seine Finte durchschaut hatte, wich der andere lauernd zwei Schritte zurück, wobei er seinen Gegner ständig im Blick behielt. Währenddessen hatte einer der verbliebenen Männer mit einer schnellen Bewegung die scharfe Klinge seines Messers Bekanntschaft mit dem Hals des vierten Leibwächters schließen lassen. Als hätte es lediglich ein Blatt Papier vor sich, durchdrang das Messer das Fleisch des Mannes und durchtrennte die Halsschlagader. Sich noch kurz an die blutende Kehle greifend, sank der Mann zusammen und fiel, in tiefes Rot getaucht, auf die Stufen vor dem Thron. Die Angreifer hatten ihr Attentat gut geplant. Das schnelle Ausschalten der Leibgarde, die Auswahl des Zeitpunktes … das alles sah sehr nach einem Spion im Palast aus, wie Seth vermutete. Wie sonst war es möglich, dass es ihnen gelungen war, mit Waffen bis in diesen Teil des Palastes vorzudringen? Die einzige andere Möglichkeit wäre ein magischer Schleier, was wiederum bedeutete, dass sich womöglich ein syrischer Priester oder Magier unter den fünf Männern befand. Das Kribbeln, das er vor wenigen Minuten verspürt hatte, konnte ein Hinweis darauf sein. Schweigend sah er zu den immer noch an der Wand stehenden Wachen hinüber. Es waren gewiss nicht wenige. Es wäre ihnen ein Leichtes, diese Männer zu überwältigen und doch zuckte nicht einer von ihnen auch nur mit dem kleinen Finger. Alle sahen dem Treiben teilnahmslos zu. Unbemerkt von den anderen, erweitere Seth seinen Geist. Er konnte spüren wie die Energie des geweihten Raumes durch seine Adern floss und wie es leise hinter seiner Stirn pochte, während er seine Fühler durch den Saal gleiten ließ. Geübt wie er war, war es ihm ein Leichtes, seine Vermutung bestätigt zu wissen. Einer der fünf Männer war offensichtlich ebenso begabt im Umgang mit mentalen Fertigkeiten, wie er. Lange würde der Bann aber nicht anhalten, den der Magier auf die Wachen gelegt hatte, denn bereits jetzt konnte Seth spüren, wie die fremde Energie sich zurückzog, flackerte und sich wieder aufbäumen musste, um den Bann aufrecht zu erhalten. So viele Menschen auf einmal über längere Zeit entgegen ihres Wunsches an einen Ort zu binden, war ein kräfteraubendes Unterfangen und konnte nie über längere Zeit gut gehen. Doch bis das geschah, würde keine der Wachen sich rühren, es sei denn, ihr Geist war, wie der der Leibgarde, gegen mentale Übergriffe gestärkt. Diese war jedoch, bis auf den einen, der noch immer tapfer kämpfte, bereits zu Beginn ermordet worden. /Wenigstens/, so dachte Seth, /können sie keinem der Wachen die Kehle durchschneiden. Durch Blut verunreinigte Magie bricht sich selbst./ Würden die Syrier auch nur einen der durch Magie in diesen Zustand der Trance versetzten Soldaten töten, würde dessen Blut den gesamten Bann brechen. Ohne sich zu rühren, sah die letzte lebende Leibgarde dem Älteren zu, während dieser einen weiteren Schritt nach hinten trat, nur um erneut zu einem schnellen Schlagabtausch anzusetzen. Mit einem martialischen Schrei kündigte er seinen nächsten Schritt bereits vorher an, richtete dieses Mal jedoch seine gesamte Konzentration auf die Leibwache, ohne den Pharao oder den Priester weiter zu beachten. Aus irgendeinem Grund schien er davon auszugehen, dass von seiner Seite keine Gefahr bestand. Seth konnte nur Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich verließ sich der Mann auf die Kräfte des Magiers in seiner Gefolgschaft. Schade, dass ihm auf Grund der Anweisung des Pharaos, die Hände gebunden waren, sonst hätte Seth ihn zu gern eines Besseren belehrt. Abermals ließ Seth seinen Blick erst zur Hand und schließlich weiter zum Gesicht von Atemu schweifen. Dieser sah dem ganzen weiterhin scheinbar gelassen zu, doch Seth kannte ihn mittlerweile gut genug, um Besorgnis in seinen Augen lesen zu können. Ob diese Sorge nun seinem eigenem Leben, oder dem der letzten Leibgarde galt, konnte er nicht sagen. Immer wieder prallten die Waffen der zwei anscheinend so ungleichen Männer in schneller Abfolge aufeinander. Keiner der anderen feindlich gesinnten Angreifer mischte sich ein. Eine stumme Abmachung hielt sie stets in der Nähe der erstarrten Wachen, als fürchteten auch sie um die Macht des Magiers in ihrer Mitte. Die Stirn runzelnd verfolgte Seth den Schlagabtausch ebenso gebannt wie die anderen im Thronsaal, während er den Lärm vor den Türen hören konnte, den die Wache, beim Versuch in den Saal einzudringen, verursachte. Es würde wohl noch einige Augenblicke dauern, ehe die ersten Männer die geheimen Seitenzugänge erreicht hatten, welche sich links und rechts vom Saal befanden. Vielleicht sogar einen Augenblick zu viel. Insgeheim hoffte er jedoch, dass Jono sich vielleicht wider seiner Natur zu einem Kurzbesuch herablassen würde, was den gesamten Vorgang ungemein beschleunigen könnte. Mittlerweile trieb der größere der Beiden den anderen unaufhaltsam vor sich her. Die Leibwache schien den nun immer heftiger und schneller werdenden Schlägen kaum noch etwas entgegenzusetzen zu haben, auch wenn er hin und wieder eine kurze Finte landete. Schließlich stand der in einen Umhang gehüllte Mann mit dem Rücken zur Wand und ein paar Strähnen seines Haares hingen teils verirrt über seiner linken Schulter. Blonde Strähnen, wie Seth erst in diesem Moment bewusst registrierte. Langsam beugte sich der Syrier zur Leibwache, während dieser versuchte, mit den vor seiner Brust gekreuzten zwei Krummschwertern die zweite Streitaxt des Angreifers von seinem Herzen fern zu halten. „Bestell Cherti einen schönen Gruß von mir, wenn er dich mit seiner Barke übersetzt.“ (Anm. d. A. Cherti = Fährmann des Todes) Ein Grinsen blitzte auf. „Heute nicht.“ Der eben noch so erschöpft wirkende Mann, drückte sein Schwert nach oben und da die Axt des Angreifers sich bis dahin noch immer in der entstandenen Mulde der zwei Waffen befunden hatte, wurde der Mann nun durch den Schwung der Bewegung zurückgeworfen. Schwer atmend schaute er auf die Leibwache. „Es gibt nur einen Gott, den ich je grüßen werde und das ist…“ Dieser hatte durch das Schwenken seiner Arme das für Leibwächter typische Tuch von Mund und Nase auf der einen Seite abgerissen und Seth musste feststellen, dass Jono bisweilen wohl doch ein Gespür dafür hatte, wann seine Anwesenheit sinnvoll war. Bereits beim Anblick der zwei Chepesch in seinen Händen, hätte ihm bereits klar sein müssen, wen er vor sich hatte. „…Anubis.“ Mit diesem letzten Wort schwang Jono erneut die Säbel und alle vorgetäuschte Schwäche war verschwunden. Kalt blickten seine Augen auf seinen Gegenüber, während er mit einer schnellen Bewegung den Griff um seine Krummschwerter verstärkte, mit der Hand einmal umgriff und zwei flinke Ausfallschritte in Richtung des anderen Mannes machte. Überrascht riss dieser die Augen auf, als nun in rasender Geschwindigkeit ein Schlag nach dem nächsten auf ihn niederfuhr und ihm nur noch der Rückzug als einzige Ausweichmöglichkeit blieb. Immer weiter trieb Jono ihn vor sich her und ließ ihm keinerlei Möglichkeit, sich Hilfe suchend nach links oder rechts zu wenden. Im Gegenteil. Es dauerte nur eine halbe Minute, ehe der Größere nahezu rückwärts rannte, um von den Schlägen nicht nachhaltig getroffen zu werden. Mittlerweile blutete er aus zahlreichen kleineren und größeren Wunden an Armen und Beinen was Seth deutlich machte, dass Jono nur mit dem Mann spielte. Er war kein Soldat, doch er vermutete, dass Jono lediglich hatte testen wollen, wie stark die Männer tatsächlich waren, ehe er zum wirklichen Angriff überging. Und tatsächlich agierte Jono nun so gezielt, dass sie schon kurz darauf am anderen Ende der Halle angelangt waren.   „Sei du mein Gruß“, zischte Jono dem Mann zu und seine Worte waren auf Grund der runden Bauweise bis ans andere Ende des Saales zu hören. Seth schauderte. Die Stimme Jonos verzerrte sich durch den Hall auf grausige Weise. Er fühlte sich unweigerlich an ihr Treffen auf dem Turm erinnert. „An Cherti“, beendete Jono den Satz und im selben Atemzug bückte er sich blitzschnell vor den Mann, wich somit der gerade noch erhobenen Streitaxt aus und schon zwei Sekunden später spuckte der Größere gurgelnd Blut auf den Boden. Beide Schwertspitzen ragten auf der anderen Seite seines Körpers heraus und entsetzte, vor Schock geweitete Augen starrten in Richtung des Pharaos. Der Unglaube über seinen plötzlichen gewaltsamen Tod spiegelte sich in den langsam verblassenden Iriden wieder. Jono war auf Nummer sicher gegangen. Eine der Waffen hatte er durch die Lunge, die andere durch das Herz gejagt. Kalt lächelnd zog er die Cherpesch wieder aus dem Körper und das Blut troff noch von den Scheiden, als er sich zu den anderen Männern umwandte. „Der nächste?“ Die anderen ließen sich nicht lange bitten. Die blanke Wut und das Entsetzen ließen sie nun doch die Waffen zücken und ihre Plätze verlassen, während die restlichen Wachen noch immer wie angewurzelt stehen blieben. Seth konnte sehen, dass ihre Pupillen geweitet waren, als würden sie in die Ferne sehen. Sie waren noch immer in tiefer Trance. Keiner der Männer rührte sich daher, als die verbliebenen vier Männer auf Jono zustürmten. Noch immer lag die Faust auf dem Thron und Seth war gezwungen, dem grausamen Schauspiel erneut zu folgen. Umringt von vier kräftigen wendigen Männern umringt, hielt Jono sich ausgesprochen gut. Zwei von ihnen hatten ebenfalls Krummschwerter, während die anderen beiden mit kleineren Flugmessern arbeiteten. Geschwind drehte sich Jono ein ums andere Mal um sich selbst und nun konnte Seth sehen, wozu seine Übungen von neulich nützlich waren. Nun kämpfte er nicht länger gegen imaginäre, sondern echte Gegner und dieser Kampf war ungleich faszinierender. Auch hier stand ihm nur wenig Raum zum Angreifen und Abwehren gegenüber. Der Hohepriester brachte es nicht fertig, auch nur einen Moment den Blick von diesem ungleichen Kampf abzuwenden. Und während er dem Schauspiel weiter folgte, musste er seine Meinung noch einmal revidieren. Ungleich? Ja. Aber für die vier Angreifer. Er war sich sicher, dass selbst zehn weitere Menschen mit Hellebarden, Streitkolben oder Flugmessern der Kampfkunst von Jono nichts entgegenzusetzen gehabt hätten. Kurz nur erhaschte er in dem Gemenge einen Blick auf Jono. Wie Ophois persönlich ließ er seine Waffen fliegen und es war kaum auszumachen, welchem der Männer er gerade die nächste schwere Wunde zufügte. (Anm. d. A. Ophois/Upuaut = Ein als Hund oder Schakal dargestellter Kriegs- und Totengott) Während drei der Männer sich weiter mit Jono auseinandersetzten, wandte sich mit einmal der vierte im Bunde um und zielte mit seinen Messern nicht mehr auf Jono, sondern auf den Pharao. Offensichtlich hatten die Männer ihr eigentliches Ziel noch nicht vergessen. Er holte aus, um das Werk seines Vorgängers zu vollenden. Doch noch bevor die fünf kleinen silbrigen glänzenen Messer seine Hand verließen, riss der Mann Mund und Augen auf. Gerade wollte er noch auf seine Brust niedersehen, als vermute er dort, ebenso wie bei ihrem Anführer, ein herausragendes Chepesch, da rutschte ihm sein bereits Kopf buchstäblich vom Hals. Noch immer waren die Augen nach unten gerichtet, als würde der Kopf noch an seinem Platz sitzen doch das heraus fließende Blut, welches durch den vorangegangenen Adrenalinschub noch immer in Wallung war, belehrte das Gehirn des Mannes eines besseren und ließ die Augen erstarren. Der Körper, welcher sich noch wenige Sekunden nach dem Tod des Mannes auf bizarr wirkende Weise aufrecht gehalten hatte, fiel wie ein Sack Mehl zur Seite. Die Messer befanden sich noch immer fest umklammert in den ehemals erhobenen Händen. Jono wirbelte abermals herum. Geschickt wehrte er das nächste Messer gegen seine Augen mit einer schnellen Drehung seines rechten Chepesch ab. Die Chepesch, wie die Verlängerung seiner Arme, glitten ganz nach dem Willen ihres Führers mal nach oben, unten, seitwärts oder über seinen Kopf, während Jono selbst sich geschmeidig vor oder hinter seinen Gegnern bewegte. Keiner von ihnen war den scharfen Klingen gewachsen. Doch auch wenn Seth Jonos Kampfkunst durchaus faszinierend fand, so war er doch entsetzt, ihn auf diese Weise kämpfen zu sehen. Er kämpfte kalt und ohne jedes Gefühl. Wie oft war er wohl schon in eine Schlacht gezogen, um am Ende so berechnend und schnell töten zu können? Seth war sich nicht einmal sicher, ob er die Antwort darauf wissen wollte und just in diesem Moment wurde er der Frage enthoben. Er konnte förmlich spüren, wie die mentale Barriere des Magiers mit einmal in sich zusammenfiel. Jono hatte den nächsten Mann getötet. Den Griff seines eigenen Chepesch umklammert, lag er auf dem kalten Stein, während die Spitze der Waffe aus seinem Bauch herausragte. Mit seinem Tod kam wieder Bewegung in die Wachen. Als hätten sie eine lange Zeit geschlafen, schüttelten sie den Kopf und griffen zögerlich nach ihren Waffen. Beinahe  wirkte es, als bräuchten sie noch ein paar Sekunden, um die Situation mit ihren ganzen Ausmaßen zu erfassen. Doch sobald die ersten ihre Überraschung verwunden hatten, stürmten sie ebenfalls auf die drei Kämpfenden zu, während ein zweiter Teil sich schützend um den Thron positionierte und zwei weitere Wachen vor die Eingänge stellten, um eine mögliche Flucht zu verhindern. Kaum, dass zwei andere Wachen die verbliebenen zwei Angreifer ohnmächtig geschlagen hatten, löste Atemu schließlich auch seine Faust und erhob sich von seinem Thron. Ohne jede Regung im Gesicht, sah er auf die anwesenden Leute und deutete auf Jono. „Nun Hohepriester, setzt Euren Milleniumsstab ein.“ Irritiert sah Seth auf seinen Pharao. Er wusste, dass die gewaltige Macht seines Stabes großen Schaden und auch Schmerzen verursachen konnte. „Mein Pharao?“ „….“ Atemu blieb dabei. Widerwillig hob Seth daraufhin den Milleniumsstab und richtete seine Energie auf Jono. Dieser stand in gerader Linie zum Thron und sah ebenso emotionslos wie zuvor auf die Angreifer, zu Atemu hinüber. Noch immer troff das frische Blut von den Schneiden und Seth konnte sehen, wie die Hand seines ehemals besten Freundes zitterte, als würden die Chepesch nach mehr Blut gieren. Schließlich tat er, wie ihm befohlen wurde und lenkte die Energie seines Stabes auf den blonden Mann, wobei er sich sehr bemühte, die Kräfte ein wenig zurück zu halten. Kaum, dass die Energie bei Jono angelangt war, wurde dieser an der hinteren Saalwand fixiert. Ein langer Schmerzensschrei zog durch die Halle, während die Waffen zu Boden fielen und Jono weiter an die Wand gepresst wurde. Hätte Seth nicht den Stab halten müssen, hätte er sich lieber die Ohren zugehalten, so sehr schmerzte ihn dieser Schrei. Zumal er nicht wusste, warum der Pharao Jono nun auf diese Weise bestrafte, nachdem dieser ihm erst kurz zuvor das Leben gerettet hatte. Und dennoch war er an seinen Eid gebunden und musste dem Willen des Pharaos gehorchen. Nachdem fast eine halbe Minute ins Land gezogen war, sprach Atemu schließlich ein Machtwort. „Genug“ Erleichtert zwang Seth die freigelassenen Energien wieder in seinen Stab. Kraftlos und ohnmächtig sank Jono zu Boden. ~~~~~~~~~~ Vollkommen verschwitzt erwachte Seto aus seinem unruhigen Schlaf. Noch immer konnte er den Schrei Jonos hören und war sich dabei durchaus noch bewusst, dass er selbst die Ursache dieses Schreies gewesen war. Schnell atmend sah er an die Decke seines Zimmers und rief sich dabei die wenigen Brocken, an die er sich noch erinnern konnte, ins Gedächtnis. Kurz nur dachte er an sein Büchlein auf dem kleinen Tisch neben ihm, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder, als er merkte, wie sehr seine Hände zitterten. Warum nur hatte der Pharao solch einen Befehl gegeben? Immer wieder stellte er sich diese Frage. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto mehr entglitten ihm auch die restlichen Erinnerungsfetzen und am Ende blieb nur noch seine merkwürdig schmerzende Brust und seine zitternde Hand, sowie das Bild eines vor Schmerz verzerrten blond umrahmten Gesichtes. Jono. Nachdem er sich wieder ein wenig beruhigt hatte stand er auf und zog nun doch das kleine Büchlein zu sich heran. „Kampf, Schmerzen, meine Schuld?????????????“ Immer wieder setzte er ein Fragezeichen nach dem nächsten auf das weiße Blatt, als hoffe er, dass er dadurch eine Antwort erhalten würde. Doch sie kam nicht und so legte er Stift und Buch wieder aus der Hand. Langsam erhob er sich von seinem Bett und noch immer schmerzte sein Herz. Ganz gleich, wie sehr er auch nachdachte, er konnte nicht sagen, woher diese Schmerzen kamen. Ein Traum konnte unmöglich solch reale körperliche Schmerzen hervorrufen, oder? Kapitel 19: Besuch ------------------ @Lunata: Danke für die Blumen. ^_^ Die Kampfszene ist eine der vielen, die ich x-mal umgeschrieben habe. Eine Kampfszene, die man im Kopf genau vor sich sieht, halbwegs vernünftig aufzuschreiben, ohne sich ständig in seinem Wortlaut zu wiederholen, ist tatsächlich ziemlich anstrengend. Dass Seto den Schmerz spüren konnte... Wie soll ich das erklären...? Es ist, wie bei einem Albtraum. Wenn du plötzlich aus deinem Traum gerissen wirst, bleibt oft noch im ersten Moment das letzte Gefühl hängen. Ich hatte beispielsweise mal einen Traum, in dem ich gefallen bin - durch eine Fensterscheibe und dann in unendliche Tiefen. ^_^* Mein Kopf hat Realität und Traum nicht unterschieden und das Gefühl war ziemlich real. Selbst beim Aufwachen hatte ich noch Probleme, mein Herz wieder zu beruhigen. So ähnlich ging es auch Seto. Ich hoffe, das macht Sinn für dich? @Astera: Trance und Blutgier? Hmmm... Ich denke, es beschreibt das ungefähr. Auch wenn ich nicht weiß, ob 'Trance' es richtig trifft... Das war ja nur Seths Vergleich und stimmt nur halb. Aber dazu später. In jedem Fall hast du recht: Freund und Feind zu unterscheiden ist für Jono dann kaum noch möglich. Es freut mich in jedem Fall, dass dir das Kapitel gefallen hat. ^_^ @Anyu: Danke danke. Lass den Hut lieber auf. ^.~ Es kommen noch so einige Szenen, für die ich mich in den **** beißen könnte, weil ich selbst nicht zufrieden bin. ;_; Aber schön, dass die Kampfszene bei dir Gefallen gefunden hat. ___________________________________________ Als er sich wieder ein wenig beruhigt hatte, zog er sich an und ging hinunter in die Küche. Es mag seltsam erscheinen, dass ein so reicher Mann wie Kaiba in einer solch riesigen Villa in zum Essen in die Küche ging, anstatt in ein Speisezimmer, doch Kaiba hatte sich dies schon seit Jahren abgewöhnt. Er, im Gegensatz zu Gozaburo Kaiba, lud nie jemanden zum Essen ein. Stand doch einmal ein Geschäftstermin ins Haus, der in etwas behaglicher Umgebung stattfinden sollte, ging Kaiba mit seinen Gästen in eines der gepflegten Restaurants der High Society von Domino City. Die wenigsten Menschen konnten behaupten, das Kaiba Anwesen, seit Gozaburos Tod, je von Innen gesehen zu haben. Kaiba hasste reiche Gäste. Überall, so schienen sie zu glauben, konnten sie sich auf Grund ihres Geldes wie zu Hause fühlen; sie nahmen seine privaten Sachen in Augenschein, schlenderten durch das gesamte Haus, als gehöre es ihnen, kommandierten seine Angestellten herum und steckten ihre meist überlangen Nasen in Angelegenheiten, die sie nichts angingen. Ganz davon zu schweigen, dass sie sich Mokuba gegenüber meist wie der berühmte reiche Onkel aus Amerika verhielten oder wie Tante Emma aus England. Teilweise hochmütig, teilweise herabblickend und oft gespielt mitleidig. „Was für ein tapferer Junge“, behaupteten sie dann meist, wenn Mokuba das Zimmer verlassen hatte. „Wenn man bedenkt, dass Sie beide ja aus einem Waisenhaus kommen… Bewundernswert, wie der Junge das wegsteckt. Aber bei dem großen Bruder ist das ja kein Wunder, nicht wahr?“ Gekürt von einem gekünstelten Lachen bildete es allenthalben die Grundlage für ein rumorendes Gefühl in der Magengegend. Pah! Wie er solche Schleimkriechereien verabscheute! Zumal, wenn sie seinen Bruder mit einbezogen. Mit ausgreifenden Schritten und von seinen eigenen Gedanken verärgert, ging er an der Haustür vorbei weiter in Richtung Küche. Nicht nur ihm ging es mit seiner Meinung so, das wusste er. Mokuba dachte ähnlich. Gäste waren wie Fisch, nach drei Stunden im Haus fingen sie an zu stinken, wenn man sie nicht einmal ordentlich auf beiden Seiten durchbraten würde. Zufrieden mit seinen Gedanken bog Kaiba gerade um die nächste Ecke, als ein tiefer Klang durch das Foyer seines Hauses scholl. Kurz verharrte Kaiba im Lauf und ging in Sekundenschnelle alle Möglichkeiten durch, die ihm zu diesem Laut einfielen. /Der Briefträger, der sein rechtes Hosenbein von Cäsar abholen will? Nein. Der Klempner? Eher nicht. Der Gärtner?/ Kaiba sah nach draußen in Richtung Garten. /Wenn er sich nicht gerade zweigeteilt hat, möchte ich diese Möglichkeit ausschließen. Denk nach Kaiba! Wer kommt noch in Frage? Der Elektriker! … Unwahrscheinlich. War erst gestern da und ist von der Leiter auf meinen Schreibtisch gefallen. Beinbruch. Ich hoffe ich bekomme den Kratzer wieder raus. Aber wer…?/ Noch bevor Kaiba seinen letzten Gedanken vervollständigen und vielleicht doch noch auf die richtige Lösung kommen konnte, war auch schon ein kleiner Hurrikan an ihm vorbeigestürmt und ein Schrei durchzog das Foyer. „ICH MACH AAAAAAAUF!“ Kurz versuchte Kaiba den wirren Schemen zu erkennen, der da an ihm vorbeigerast war, ehe er ihn als Mokuba identifizierte und seine Aufmerksamkeit auf die sich nur wenige Sekunden später öffnende Tür richtete. „Serenity! Schön, dass du kommen konntest!“ „Aber natürlich Mokuba, das hab ich dir doch versprochen.“ Lächelnd trat Joeys jüngere Schwester in die Kaibavilla. Kaiba sah sie einige wenige Augenblicke stumm an, ehe es in seinen Gedanken ‚klick’ machte. /Ein Gast./ Kaibas Augen wandten sich unbemerkt für jeden anwesenden Betrachter leicht gen Decke. /Na toll./ Obwohl er nicht damit gerechnet hatte, ging er nun, ganz der Gentlemen, der er nur selten in Gegenwart Joeys zu sein pflegte, auf Serenity zu und reichte ihr zur allgemeinen Verwunderung des Mädchens die Hand. „Hallo Serenity.“ Verblüfft sah sie auf die Hand, ehe sich ein feines Lächeln auf ihrem Gesicht bildete und seine große Hand sanft und leicht von ihrer kleinen schmalen umschlossen wurde. „Hallo Kaiba.“ Nachdenklich und forschend blickte Kaiba ihr in die Augen. Mittlerweile war es fast drei Wochen her, seit er von dem Tod ihrer Eltern erfahren hatte und beinahe erwartete er noch immer die Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen, wie es damals auf dem Friedhof der Fall gewesen war. Doch nichts dergleichen war zu sehen. Vielleicht hatte sie sich damit abgefunden. Oder sie war eine ebenso gute Schauspielerin wie Joey. Durch seine eigenen Überlegungen an ihren Bruder erinnert ließ er ihre Hand los und wandte sich in Richtung Tür. Noch immer stand sie offen, doch als er auf sein Anwesen hinausblickte, konnte er niemanden weiter erkennen. Serenity war offensichtlich allein gekommen. Warum? Hatte Joey sein Versprechen vor ein paar Monaten ernst gemeint und würde nur noch kommen, wenn er nicht zu Hause war? Ein kleiner Schatten zog über das Gesicht des jungen Firmenchefs, ehe er die Tür hinter sich schloss. Laut und deutlich hallte der Ton des zuschnappenden Schlosses in seinen Ohren wieder. Schnell nickte er noch einmal den beiden anderen zu, welche kurz darauf fröhlich plappernd in den Garten verschwanden. Kaiba hörte nicht weiter hin und machte sich wieder auf den Weg in die Küche. Dort angekommen genehmigte er sich einen schnellen Kaffee und ein mit Erdbeermarmelade beschmiertes Brot. Das Grinsen, welches sich beim Anblick der Marmelade auf sein Gesicht legte, bemerkte er nicht, denn nur wenige Augenblicke später war das Brötchen verspeist und der Kaffee getrunken. Ruhigen Schrittes begab er sich in sein Arbeitszimmer. Es war viel zu tun, denn schon in ein paar Tagen würde die Schule beginnen. Ab da würde ihm nur noch die Hälfte der Zeit für seine Arbeit zur Verfügung stehen. Seufzend zog er einige Unterlagen aus der mittleren Schublade. Das Telefon klingelte und Kaiba hielt fluchend inne, da ihm prompt einige der wichtigen Dokumente aus der Hand fielen. Missgelaunt sah er auf das Display seines Telefons. /Kawaszaki? Das ist jetzt schon das dritte Mal in dieser Woche!/ Genervt stellte Kaiba den Klingelton leiser und legte das Handy unbeachtet wieder auf den Schreibtisch. /Gekündigt ist gekündigt./ Angelegentlich bückte er sich nach den herabgefallenen Papieren. „Akte Wheeler“ Sinnend sah er auf die kleine blaue Mappe hinab. So viele Antworten auf vielleicht einige seiner vielen ungestellten Fragen… Kurz schwebten seine Finger über dem kleinen Stoffband, welches den Hefter verschloss, ehe er ihn schließlich mit fester Hand packte und ganz nach unten in die letzte Schublade seines Schreibtisches packte. Seufzend, als hätte er gerade einen kleinen Kampf hinter sich gebracht, lehnte er sich in seinem Chefsessel zurück, die Arme vor dem Bauch verschränkt. /Es war falsch, mir diese Daten zu holen. Wenn es mich etwas angehen würde, was da steht, hätte mir Joey das sicher von selbst an den Kopf geworfen. Ich bin ein Kaiba. Was geht mich das Leben des Hündchens an?/ Abermals leise seufzend stand er auf und trat an die breite Fensterfront, hinter der sich der üppige grüne Garten seines Anwesens erstreckte. Bisher hatte er noch keinen einzigen Blick in die angeforderten Unterlagen geworfen. Er fand es nicht richtig und bereute mittlerweile seine impulsive Anweisung. Trotzdem er sich nicht überwinden konnte, die Unterlagen durchzublättern, weigerte sich etwas in ihm, sie deshalb gleich wegzuschmeißen. /Vielleicht sind mir diese Dinge ja eines Tages nützlich. Wer weiß, was das Hündchen demnächst wieder alles anstellt. Und dann habe ich ihn in der Hand./ Ein kleines Lächeln, wohl nur halb so arrogant und selbstgefällig, wie Kaiba es sich gern gewünscht hätte, legte sich auf sein Gesicht. Mit einem inbrünstigen Gähnen trat er wenig später hinaus in den Garten. Mittlerweile war es Mittag und Mokuba und Serenity hatten es sich im Pool bequem gemacht. Faul lagen sie zur Hälfte im Wasser und genossen die fröhlich scheinende Sonne. Sie waren wohl müde und ausgelaugt vom Plantschen und Spielen - Kaiba hatte die wilde Schlacht, die sie sich geliefert hatten, von oben beobachten können. Er selbst hatte bis eben gearbeitet und war sich sicher, sich eine Auszeit redlich verdient zu haben. Überlegend blickte er in die Runde, ehe seine Augen an seiner Lieblingsstelle hängen blieben: den Obstbäumen am äußersten Ende des Grundstücks. Kurz noch schaute er zu den zwei Jüngeren, ehe er langsam zu den Bäumen hinüberschlenderte und sich schon aus der Ferne über ihr gutes Wachstum freute. Es war nun bereits ein paar Jahre her, seit er sie gepflanzt hatte. Damals war er gerade hier angekommen und hatte sich nach ein paar Monaten guter Arbeit diese Gefälligkeit von seinem Stiefvater erbeten. Er wollte damals unbedingt einen Apfelbaum pflanzen. Es war ein langer Kampf, ehe ihm Gozaburo dieses kleine Fleckchen Erde zugestanden hatte, damit er eigenhändig seinen Baum einpflanzen konnte. Inzwischen waren zu dem ersten, elf weitere hinzugekommen. Nach all den Träumen war er sogar fast so weit, seine Verbindung zwischen sich und dem Hohepriester zu akzeptieren. Sollte dieser tatsächlich sein Alter-Ego sein, so musste Seto sich eingestehen, erklärte dies vermutlich seine persönliche Vorliebe für diese Bäume. Immerhin war Seth in einem Tempel mit zahlreichen ähnlichen Obstgewächsen aufgewachsen. Erfreut grüßte er sogleich den ersten Baum auf seinem Weg, indem er mit der Hand sanft die Rinde berührte und beruhigt die Augen schloss. Vollkommen in sich gekehrt, lauschte er dem leichten Wind in den Ästen, dem Rascheln der Blätter und genoss den letzten Hauch des Apfelblütendufts. Als wolle er ihn necken, zupfte der Wind leicht an seinen Kleidern und ein fast schon selig zu nennendes Lächeln legte sich aufs Kaibas Gesicht, während er die Stille um sich herum genoss. Er liebte diesen Ort. Ganz unerwartet ging ein heftiger Ruck durch das Geäst und eine Stimme von oben sprach: „Tach.“ Erschrocken zuckte Kaiba zusammen und riss beide Augen weit auf. Er hatte doch niemanden kommen gehört! Überrascht wollte er in seine übliche Verteidigungshaltung wechseln, taumelte jedoch zwei Schritte zurück, stolperte über einen dickeren Ast, den er noch kurz zuvor bedächtig umgangen hatte, landete auf seinem allerwertesten Hosenboden und sah verblüfft nach oben in eine merkwürdig verzerrte Grimasse, die ihn traurig ansah. Oh. Nein. Falsch. Wenn man sich auf den Kopf stellte, würde das Gesicht wahrscheinlich sogar ausgesprochen fröhlich wirken, wenn man bedachte, dass die Person zu dem betreffenden Gesicht da gerade wie ein Affe an einem seiner geliebten Apfelbäume baumelte. Leicht angeschlagen sah Kaiba hinauf zu dem jungen Mann und verfluchte ihn, ohne groß darüber nachzudenken. „Verdammt Jono, du vermaledeiter Halbaffe! Komm da runter!“ „WAS?!“ Joey riss die Augen auf. Rumms! Schon war dem Wunsch des Braunhaarigen entsprochen worden und Kaiba fühlte sich nur noch halb so allein auf dem Boden der Tatsachen. Immerhin war er auf seinem Gesäß gelandet, wohingegen Joey, den er nun zweifelsfrei als diesen identifizieren konnte, ganz unrühmlich auf der Nase, beziehungsweise seinem Kopf aufgekommen war. Kaiba hätte sich ja Sorgen gemacht, wenn er nicht der vollen Überzeugung gewesen wäre, dass in dem Schädel sowieso kein größerer Schaden angerichtet werden konnte, als schon vorhanden war. Sich den Kopf reibend, brachte Joey sich wieder in eine halbwegs schmerzfreie Position und sah mit großen Augen zu Kaiba. „Wie hast du mich gerade genannt?“ Kaiba war verärgert über sich selbst, dass ihm dieser unsägliche Name ausgerechnet in der Nähe dieses kleinen … Kaiba sah sich Joey genau an. Große Augen, leicht schräg gelegter Kopf… ja, das passte besser… dieses kleinen Hündchens rausgerutscht war. DEN gingen seine Träume ja nun wirklich nichts an! Darum stand Kaiba kurz entschlossen mit einem Ruck auf und sah kalt auf Joey hinab. „Köter. Wie sonst, sollte man einen Köter nennen?“ Daraufhin erhob sich auch Joey, bekam jedoch nur noch Kaibas Rücken zu Gesicht. /Jetzt oder nie!/ „Nun, ich weiß nicht. Vielleicht könnte man ihn auch ‚Jono’ nennen?“ Mit angespanntem Blick beobachtete Joey jede Bewegung von Kaiba ganz genau. Jede winzige Regung sog er förmlich in sich auf. Jedes Stocken. Jede geworfene Falte, wenn sich die Muskeln von Kaiba unwillkürlich anspannten und schließlich auch wieder entspannten. Was hätte er darum gegeben, in diesem Moment auch sein Gesicht zu sehen! Kurz nur dauerte der stille Augenblick, in welchem Kaiba sich wohl eine Antwort erdachte, doch in diesen wenigen wortlosen Sekunden lag soviel Wahrheit, dass die kleine unausgesprochene Lüge von Kaiba wie ein Donnerschlag wirkte. „Vielleicht, Köter. Meinetwegen kann man ihn nennen wie er will. Er bleibt doch immer nur, was er ist.“ Damit ging Kaiba weiter und sah vorerst nicht zurück. Immer weiter entfernte er sich von Joey und bemerkte somit weder die tiefe Enttäuschung, welche Joey in diesem Augenblick in die Augen schoss noch das hoffnungsvolle Lächeln, welches sich dennoch über Joeys Gesicht legte. Für heute war dies für Kaiba kein Ort der Ruhe und Erholung mehr. Zu unruhig war er in seinem Innersten. Er wollte bloß weg von diesem Ort voller Erinnerungen. Kurz schniefend wischte Joey sich flugs über die Augen. Tränen waren hier fehl am Platz. Tief holte er Luft und atmete den süßlich frischen Geruch der Apfelbäume ein, ehe er hinter Kaiba her rannte. „Hey Kaiba! Nun lauf doch nicht weg, du Eskimo!“ Mittlerweile waren sie fast wieder in der Nähe des Pools angelangt. Knurrend blieb Kaiba stehen. „Und darf man fragen, was du hier überhaupt auf meinem Grundstück zu suchen hast?“ Grinsend stellte sich Joey breitbeinig vor Kaiba und deutete mit dem Daumen hinter sich. „Na, die da!“ Lachend winkte sein kleiner Bruder ihm in diesem Moment vom Poolrand aus zu. „Ich hab ihn rein gelassen, Bruder. Immerhin hatte ich beide eingeladen.“ Mit rätselhaftem Blick sah Kaiba auf Mokuba und schließlich auf Joey, welcher ihm gerade in diesem Moment auf Grund der Worte Mokubas mit einem frechen Grinsen die Zunge rausstreckte. Ein feines gehässiges Lächeln legte sich auf Kaibas Lippen. „Nun Köter“, flüsterte er Joey unheimlich freundlich zu „anscheinend hast du meinen Bruder und deine Schwester ja gefunden…“ Die Zunge von Joey schob sich tatsächlich noch ein wenig weiter aus seinem Mund. Freundlich lächelnd beugte sich Kaiba daraufhin noch ein Stückchen weiter zu Joey hin, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten. „Und wenn du sie schon mal gefunden hast, dann leiste ihnen doch am Besten gleich Gesellschaft.“ „Zu gerne Kai-haiiiii- BAAAAAAA“ Schreiend kippte Joey auf Grund des plötzlichen Schupsens zweier großer starker Hände nach hinten und geradewegs in den Pool, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sie die ganze Zeit gestanden hatten. Schnell sprang Kaiba zwei Schritte zurück und genoss den Ton in seinem Ohr, als er hörte, wie dieses kleine freche Hündchen endlich seine gerechte Strafe bekam. Prustend kam Joey wieder an die Oberfläche und sah Kaiba wütend an. „Schönen Dank auch, Kaiba. Und was soll ich jetzt deiner Meinung nach anziehen?“ Fast lachend sah Kaiba auf den begossenen paddelnden Pudel hinab. Grummelnd schwamm Joey zum Beckenrand, ehe er scheinbar vollkommen erschrocken innehielt. „Kaiba!“ Verwirrt durch Joeys veränderten Gesichtsausdruck trat Kaiba einen Schritt in Richtung Pool, während er Joey genau im Blick behielt. Schon hatte der Blonde den Beckenrand erreicht und triefnass sah er zu Kaiba hinauf. „Du solltest wirklich besser aufpassen.“ Mittlerweile wieder gehässig grinsend beugte sich der Firmenchef ein Stück zu Joey hinunter. Er machte sich keine Sorgen um eine Rache denn seine Füße standen außerhalb von Joeys Reichweite. Doch vielleicht hätte er sich besser welche gemacht, denn binnen Sekundenbruchteilen stützte Joey seine rechte Hand auf den Beckenrand, hob sich mit Schwung aus dem Wasser und schnappte sich mit der Linken einen Fetzen von Kaibas weitem T-Shirt, welches im Gegensatz zu den Füßen durch das Hinunterbeugen durchaus in Joeys Griffweite gelangt war. Nur kurz hielt Joey sich halb in, halb außerhalb des Wassers und nutzte die Zeit, um dem jungen Mann einen wichtigen Hinweis zu geben. „Du musst aufpassen, Kaiba. Das eben klang schon fast nach einem Lachen.“ Mit diesen Worten verstärkte Joey den Griff noch einmal um den Stoff des Shirts und zog Kaiba mit Schwung hinunter in seine Richtung. Der Andere hatte nicht den Hauch einer Chance, so schnell wie alles über die Bühne, nein, eher über den Poolrand, ging. Fluchend tauchte Kaiba wieder auf. „Ohoh.“ „Was denn?“, fragend schaute Serenity auf Mokuba. „Weißt du Serenity… es ist besser wir verschwinden lieber.“ „Warum?“ „Naja… dein Bruder hat meinen Bruder in den Pool geworfen.“ „Und?“ Serenity verstand Mokuba nicht. „Nun, weißt du… als ICH das das letzte Mal bei meinem Bruder gewagt habe daaahh…“ „Ja?“ Sich auf die Lippe beißend sah Mokuba seinem Bruder noch einem Moment dabei zu, wie er sich Luft schnappend an der Oberfläche wieder akklimatisierte, ehe schließlich doch sein Überlebensinstinkt siegte und er sich flugs der Leiter zuwandte. „Vertrau mir einfach, Serenity. Es ist besser wir verschwinden.“ „Ok.“ Immer noch nicht überzeugt, aber durchaus einverstanden, da sie beide schon lange genug im Pool gewesen waren, strebte auch Serenity der Leiter zu und verließ kurz nach Mokuba das angenehm kühle Nass. Kurz darauf folgte Joey, welcher gerade noch die Leiter erreichte, es jedoch nicht mehr schaffte, sich daran hinauf zu ziehen, sondern mit einem Mal unbarmherzig in die Tiefe gedrückt wurde. Kaiba war plötzlich hinter ihm aufgetaucht und hatte sich mit beiden Händen auf Joeys Schultern gestützt, um ihn unter zu stuken. Der Blonde, welcher nicht lange zum Schalten benötigte, tauchte noch ein wenig tiefer und entrann so dem unbarmherzig festen Griff von Kaiba, welcher ihm auf diese Weise hätte nachtauchen müssen. Schnell wie ein Frosch durchzog Joey das Wasser und hielt auf die andere Leiter zu, wobei seine Augen auf Grund des gechlorten Wassers leicht brannten. Wenige Sekunden später hatte er bereits das andere Ende erreicht. Jedoch gelang es ihm auch diesmal nicht, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, denn genau in dem Augenblick, in welchem er die erste Sprosse betreten hatte und gerade sein rechtes Bein heben wollte, schnappte sich Kaiba seinen Knöchel und zog ihn mit einem Ruck wieder ins kühle Nass. Natürlich ließ Joey das nicht auf sich sitzen und ging nun seinerseits zum Angriff über. Schon kurz darauf entbrannte eine heiße und wilde Wasserschlacht in welchem keiner der beiden sich etwas schenkte. Die einzigen, die von dem Unter-Wasser-Gezerre und den halsbrecherischen Wasserbomben relativ verschont blieben, waren Mokuba und Serenity, welche es sich auf zwei Liegen bequem gemacht hatten und sich den leckeren Milchreis der Köchin schmecken ließen. Gemütlich lehnten sie sich zurück, eingehüllt in ihre dicken Handtücher und betrachteten kopfschüttelnd das Geschehen. „Kinder…“, stellte Mokuba glücklich und geräuschvoll seinen Erdbeermilchshake schlürfend fest. „Ja, nicht?“, pflichtete ihm Serenity, welche sich ihrerseits genauso laut an einem Schokoladenmilchshake gütlich tat, bei. Mittlerweile waren 10 Minuten ins Land gezogen und die Bewegungen der beiden wurden immer langsamer. Vollkommen entkräftet schwenkten am Ende beide die Fahnen zu einem Unentschieden und beinahe schon friedlich schwammen beide an den Beckenrand. Erschöpft hielt sich Joey an der Leiter fest und zog sich hinauf. Kaiba sah ihm hinterher und konnte einfach nicht anders. Grinsend griff er ein letztes Mal nach Joeys nassem T-Shirt und zog ihn von der Leiter und während Joey noch mit Auftauchen beschäftigt war, zog Kaiba sich selbst flugs nach oben und sprang schnell außer Reichweite von Joey. „Lügner“, grummelte Joey ihn nur an, als er an Kaiba vorbei nun ebenfalls in Richtung der bereitgelegten Handtücher schlürfte. Schmunzelnd sah Kaiba zu dem Kleineren. „Warum?“ „Du warst es doch, der einen Waffenstillstand wollte.“ Leicht lachend schnappte sich der Multimillionär beide Handtücher. „Ja. Aber das war bevor sich mir diese wunderbare Möglichkeit bot, es dir doch noch richtig heimzuzahlen. Nun sind wir quitt.“ Beide Hände in die Seiten gestemmt, sah Joey Kaiba an. „Ach jah? Du hast doch angefangen.“ „Nein. Du.“ „Du hast mich doch zuerst da reingeschupst!“ Empört blies Joey beide Backen auf. „JA. Aber nur weil DU mich vorhin so erschrocken hast, dass ich hingefallen bin. Also hast, rein theoretisch und auch praktisch gesehen, DU angefangen.“ „Gar nicht wahr! Was kann ich denn dafür, wenn du über deine eigenen Füße stolperst?!“ „Wirklich. Wie die Kinder“, seufzend und kopfschüttelnd wie sonst die Großen, wandte Mokuba seinen Blick von den augenscheinlich zwei jüngsten Personen in ihrer Runde ab, während Serenity nur wortlos zustimmen konnte. „ICH bin NUR gestolpert, weil DU unberechtigter Weise in meinen Apfelbäumen gehangen hast. Dein Anblick ist nämlich nicht gerade erfreulich, Straßenköter!“ „Ach, und denkst du etwa ICH wäre vom Baum gefallen, wenn ich dich nicht gesehen hätte?! Ich würd’ mal in den Spiegel schauen Mister Ich-bin-zu-schön-für-diese-Welt.“ „Nun, im Gegensatz zu dir kann ICH mir einen Spiegel leisten!“ „Ach was, Kaiba! Spiel dich nicht so auf! Jeder DEPP kann sich einen Spiegel leisten.“ „JA! Aber für die großen Deppen, so wie dich, reicht‘s eben nur für nen kleinen Handspiegel! Oder warum sehen deine Haare sonst immer so aus, als wären sie einmal im Mähdrescher gelandet?“ „Nun, wahrscheinlich sehen sie deswegen so aus, weil sie dich jeden Tag in der Schule ertragen müssen. Da würden JEDEM die Haare zu Berge stehen.“ Seufzend erhob sich Mokuba von seinem wirklich äußerst bequemen Stuhl. Es war zwar immer wieder lustig, den beiden beim Flirten zuzusehen, aber ab und zu sollte er, als großer Bruder, doch mal eingreifen, damit das nicht zu sehr ausartete und die beiden womöglich irgendwann noch durch Zufall erkannten, dass sie sich vielleicht sogar – oh mein Gott! – mochten. „Großer Bruder, es reicht. Gib Joey sein Handtuch“, wandte er sich ganz wie der Papa an den kleinen Sohn, der gerade Streit mit seinem besten Freund hatte. „Nein. Wozu?“ Und Kaiba schien voll in seiner neuen Rolle aufzugehen und benahm sich dementsprechend uneinsichtig. „Damit er sich abtrocknen kann und keine Erkältung bekommt. Was du übrigens auch machen solltest.“ Grummelnd reichte Seto dem Blonden das Handtuch. Zufrieden mit der Intervention Mokubas schnappte sich Joey sein Handtuch und versuchte damit der größten Nässe Herr zu werden. Eine Weile lang betrachtete sich Kaiba die Versuche innerlich lachend, ehe er dann doch Erbarmen hatte und im Haus verschwand. Nur wenige Minuten später tauchte er in einem paar einfacher Jeans und einem schwarzen Tshirt auf und trug auf dem Arm eine weitere schwarze Hose und ein rotes Tshirt. Joey, welcher bis eben versucht hatte, seine Sachen mit purem Sonnenlicht auf der Haut trocknen zu lassen, nahm die Sachen ohne weiteren Kommentar an, da er es sich wirklich nicht leisten konnte krank zu werden. Ohne großes Federlesen streifte er daraufhin zuerst sein feuchtes Oberhemd und schließlich noch seine Hose ab, wobei er die ganze Zeit mit dem Rücken zu Kaiba stehen blieb. Dieser hatte gerade zum ersten Löffel seiner eigenen Schale Milchreis ansetzen wollen, doch der Löffel blieb bedenklich auf halbem Wege zum Mund in der Luft hängen. „Sag mal…“, Kaiba räusperte sich. „Willst du dich nicht lieber drinnen umziehen?“ Fragend wandte Joey seinen Kopf in Richtung Kaiba. „Naja, immerhin ist eine Dame anwesend.“ Die Schultern zuckend zog der Blonde nun auch noch seine letzten Kleidungsstücke aus. „Ach i wo. Serenity hat mich schon öfter nackt gesehen, als sonst irgendwer, seit ich geboren wurde. Da kommt es auf dieses eine Mal nun auch nicht mehr an.“ Kaiba schluckte, fand aber kein passendes Gegenargument. „Wenndumeinst“ Irritiert wandte sich wieder seinem Milchreis zu. Zumindest versuchte er das, denn immer wieder schweifte sein Blick zu der nackten Gestalt des Blonden. Dieser hatte damit begonnen, seinen Körper gründlich mit dem Handtuch abzutrocknen, so dass seine Haut am Ende an einigen Stellen in einem leichten Rosa schimmerte. Seto schoss die Frage durch den Kopf, welches Duschbad er wohl nutzte, damit seine Haut so weich wirkte. /Vielleicht erkenne ich es am Duft, wenn ich näher ran gehe?/ Schnell schüttelte er den Gedanken wieder ab. Aufmerksam betrachtete er die Vorderseite von Joey. Dieser hatte sich, nachdem er sich bereits eine Hose angezogen hatte, nach vorne gedreht um auch sein T-Shirt überzustreifen. Mit einem unmerklichen Schlucken registrierte Seto die straffe Haut über dem Bauch und die kaum sichtbaren sehnigen Muskeln. Auch mehrere kleine kreisförmige Narben, die sich auf seinem Oberkörper befanden, entgingen ihm nicht. Wo er die wohl her hatte? Zwei ähnliche Narben hatten sich auch auf seinem Oberschenkel befunden – nicht, dass Seto da so genau hingesehen hätte… Er fragte sich, ob wohl auch auf der Vorderseite des Oberschenkels solche Male zu finden wären. Vielleicht sollte er Joey bitten, seine Hose noch einmal auszuziehen, um ihn auch dort noch einmal genauer studieren zu können und… Verwirrt schüttelte er den Kopf. Wo kam denn dieser Gedanke her?! Als würde er sich für den Körper dieses kleinen Köters interessieren! Schnell fixierte er seinen Blick abermals auf den Löffel mit Milchreis, welcher sich, seit Joey damit begonnen hatte sich umzuziehen, untätig in der Schüssel geruht hatte. Schon bald darauf war auch die letzte Hürde genommen und Joey erstrahlte wieder in alter Frische und fühlte sich sichtlich wohl in seinen neuen geborgten Kleidern. Von den Gedankengängen Setos hatte er nichts mitbekommen. Flugs ließ er sich am Tisch gegenüber von Kaiba nieder und wortlos schob dieser ihm die letzte Schüssel Milchreis zu. Gerade hatte Joey den letzten Löffel gegessen, als mit einmal ein klägliches Piepen aus Richtung seiner alten nassen Sachen erscholl. Mit Schrecken ließ Joey klappernd sein Besteck fallen und hechtete zu seiner Hose, welche sie zum Trocknen auf die heißen Steine am Pool gelegt hatten. „Oh verflixt verflixt verflixt! Das Teil habe ich ja ganz vergessen!“, fluchte Joey, während er aus einer seiner Hosentaschen ein kleines blaues Etwas fischte. Vollkommen nass aber seltsamerweise noch nicht den Heldentod gestorben, kam schließlich ein kleiner Pieper zum Vorschein, dessen klägliches schiefes Krächzen immer lauter wurde, ehe Joey es schließlich abstellte. „Kaiba?“, wandte sich der Kleinere an den Besitzer des Hauses. „Hm?“, grummelte dieser zurück. „Kann ich kurz eines eurer Telefone benutzen? Es könnte dringend sein?“ Wortlos deutete Kaiba ins Wohnzimmer hinter Ihnen, von welchem ebenfalls eine Terrassentür abging. Dankbar und nun ganz geschäftig, lief Joey ins Haus, um die angezeigte Nummer auf seinem Pieper zu kontaktieren. Während er noch ins Haus stiefelte, schrillte auch Kaibas Handy, welches kein unfreiwilliges Bad genommen hatte, und von vornherein sorgsam auf dem kleinen Holztisch neben der Terrassentür deponiert worden war. Seufzend erhob sich auch Kaiba, in der zaghaften Hoffnung, dass dies nur einmal in seinem Leben nicht seine eigene Firma war, die es nicht schaffte, mal drei Stunden ohne ihn auszukommen. Aber wie immer musste er seine Hoffnung vertagen. Frau Ishimizu war am Telefon und sagte ihm in lautstarken Worten den baldigen Untergang der Firma und eigentlich gleich der ganzen Welt voraus, dass sie ihn unbedingt in der Firma bräuchten und dass er sich auf keinen Fall lange Zeit lassen sollte, da ein Wurmvirus nacheinander alle Rechner in der Firma zerstören würde. Seufzend und lediglich unterbrochen von einem vereinzelten ‚hm’ oder ‚ja’ hörte sich Kaiba die gesamte Misere an, ehe er die Frau schließlich abwürgte, sein Kommen zusicherte und das Gespräch ohne ein weiteres Wort beendete. Besorgt sah Mokuba zu ihm hinüber. „Was Ernstes?“, war seine einzige Frage. Er hatte die Zeit hinter sich, in der er es bedauert hatte und traurig wurde, wenn sein großer Bruder mal wieder unversehens, in einer der seltenen freien Stunde, zur Arbeit gerufen wurde. Inzwischen wusste er, wie wichtig die Firma war und das man mit dem vielen Geld auch viel Gutes tun konnte. Etwas, das sein Bruder ohne das Wissen der Medien auch tat. Die Medien wussten nichts von den anonymen Spenden in acht- bis neunstelligen Beträgen, welche jedes Jahr von Seto Kaiba zu Gunsten diverser Hilfsprojekte persönlich überwiesen wurden. Kaiba hatte den Rummel um solche Dinge stets verachtet. Zum einen schadete es seinem Image als eiskalter Geschäftsmann. Zum anderen vertrat er die Auffassung, dass der, der etwas von Herzen spenden wollte, um jemanden zu helfen, es auch ohne Medienrummel tun konnte, wenn er es denn vorhatte. Leider gab es allzu viele reiche und berühmte Leute, welche, mit mindestens einhundert Kameras um sich herum, einen Scheck in der Höhe von ein bis zwei Millionen ausschrieben, ihn dann mit viel Aufhebens um die eigene Person irgendeiner Hilfsorganisation oder ähnlichen Projekten überreichen, nur um damit im Ansehen der Masse zu steigen. Wobei man bedenken sollte, dass, verglichen mit dem Einkommen desjenigen, die zwei gespendeten Millionen für denjenigen ungefähr denselben Wert hatten, wie für einen Normalsterblichen 2 Yen. Und am Jahresende? Da bekam man das Geld ohnehin von der Steuer wieder. Ein Witz. Seto Kaiba hasste diesen Schlag von Leuten und Mokuba ging es inzwischen genauso. „Ja. Anscheinend hat irgendein windiger kleiner Hacker es geschafft, einen Wurm in unser System einzuspeisen, der sich nun von Computer zu Computer frisst. Anscheinend wird es mir zum Verhängnis, dass ich die Computer vor ein paar Monaten habe vernetzen lassen. Und zwar alle. Also gut Moki. Mach dir noch einen schönen Nachmittag mit den beiden. Ich werde sehen, ob ich es bis heute Abend schaffe, wenn nicht schlafe ich im Büro. Mach dir also keine Sorgen kleiner Bruder.“ Als er hörte, dass sein Bruder die Nacht womöglich im Büro verbringen würde, schlich sich mit einmal ein breites Grinsen auf Mokubas Gesicht. Doch während der Schwarzhaarige noch über sein neuestes Spiel nachdachte, was er dann vielleicht heute Nacht vielleicht endlich mal einweihen und durchspielen konnte, wurde er sogleich wieder in die Realität zurückgerufen. „Mokuba: Nein.“ Irritiert sah Mokuba ihn an. „Was denn? Ich hab doch gar nichts gesagt!“ „Nein, aber gedacht. Das Spiel kannst du meinetwegen bis Mitternacht spielen aber danach geht’s ins Bett. Und denk daran, ich kann vom Büro aus überprüfen, ob der Rechner noch an oder schon aus ist.“ Beleidigt zog Mokuba eine lange Schnute. „Och möönsch.“ „Nix mönsch. Schlafen. Und nun auf Wiedersehen.“ Kurz wuschelte er seinem kleinen Bruder noch einmal durch die Haare, reichte Serenity zum Abschied die Hand und verschwand dann in Richtung Wohnzimmer. In eben diesem stand immer noch Joey und telefonierte mit konzentriertem Gesicht. Auch bei ihm war nur hin und wieder mal ein ‚Ja.’ oder ein gemurmeltes ‚Ok’ zu hören. Anscheinend schien auch er einen wichtigen Anruf gehabt zu haben. Zwar wäre Seto gern noch geblieben, um Joey danach zu fragen, doch die Zeit lief gegen ihn. Kurz überlegte er noch, sich von ihm zu verabschieden doch eigentlich hatten sich der Köter und er noch nie wirklich voneinander verabschiedet, also unterließ er es auch heute. Kapitel 20: Saboteur -------------------- @Sy: Ô.ô Oh je. Ich hoffe nicht, dass Seto einen Herzinfarkt bekommt. Immerhin brauche ich ihn ja noch und nach diesem Teil hat er noch viel Arbeit vor sich, da muss er fit bleiben... Aber lies selbst. ^_~ @Rockryu: Hi! Danke, dass du mir einen Kommi da gelassen hast. ^_^ *freu* Nach Lesen deiner 'Feststellung' bin ich gespannt, wie du den nachfolgenden Teil findest. *fg* Seto ist unberechenbar - Joey auch. @Astera: Ehrliche Meinung? Apfelbäume sind zur Blütezeit wunderbar, auch im Sommer sind sie noch schön... danach... *seufz* Wir haben drei davon auf dem Grundstück. Die Äpfel sind sehr sauer. Keiner isst die und alle drei machen einen Haufen Arbeit, wenn die Äpfel fallen. Nicht zu sprechen vom Harken... *tief Luft hol* Aber ansonsten mag ich sie auch ganz gern. ^_^ 12 als Bedeutung? *denk* Ne, eigentlich nicht. Habe ich öfter 12 geschrieben? *neugierig ist* Was die Wasserschlacht anbelangt liegst du vollkommen richtig. Ich wollte mit der Szene schlicht verdeutlichen, dass man Setos wahres Alter in der Gegenwart nie außer Acht lassen darf, auch wenn er im Allgemeinen schon sehr reif und erwachsen ist. Aber diese andere Seite kann eben nur einer hervorkitzeln - und das ist Joey. Mit Rauchen haben die Narben nichts zu tun, soviel kann ich verraten. ^_~ Ich denke, deine weiteren Fragen bezüglich Joeys Erinnerung klärt sich im folgenden Kapitel. Was den Auslöser betrifft... das kommt erst später. *fg* Viel Spaß beim Lesen! @Anyu: Jup. Da hast du vollkommen Recht. Aber Kaiba ist eben ein sehr rational denkender Mensch. Aber zum Glück gibt es da ja Joey. ^.~ Tjaaa... Ärger auf Seto oder auf Joey? Wer weiß wer weiß... @Lunata: Genial? Freut mich! ^_~ Was Setos sexuelle Orientierung anbelangt... Ich glaube nicht, dass er sich bisher all zu große Gedanken darüber gemacht hat. Aber ich persönlich halte ihn ja für einen Typ Marke 'bi'. Worauf er Lust hat, das nimmt er sich. *g* Was Joey und dessen Erinnerung anbelangt muss man bei mir glaube ich immer zwischen den Zeilen lesen. ICh neige dazu, viele Dinge nur anzudeuten aber im folgenden Kapitel wird es, glaube ich, deutlicher. ^_~ Allen viel Vergnügen mit dem nächsten Kapitel! ______________________________________________________________________ **********Vier Tage später********** Inzwischen waren vier Tage vergangen und ein wütender Kaiba ging in seinem Büro rastlos auf und ab. Mit ihrem Anruf hatte seine Sekretärin ausnahmsweise recht behalten: Seine Firma könnte tatsächlich untergehen, wenn nicht bald ein Wunder geschah! Er schrieb inzwischen seit exakt 83 Stunden und, er sah auf die Uhr, 34 Minuten und 23 Sekunden an einer Datei gegen diesen verflixten Virus, doch nichts wollte funktionieren. Es war zum Kotzen! /Ja. Zum Kotzen! Ich hätte ja persönlich nie gedacht, dass außer diesem dämlichen Köter mal einer dieses Wort in den Mund nimmt … geschweige denn ich! … aber … es ist einfach so … passend … und richtig und … ARGH! Ja, beim Gott, den es wahrscheinlich nicht mal gibt, ja, zum KOT-ZEN!!!/ Aufgebracht setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und tippte in rasender Geschwindigkeit weitere ellenlange Quellcodes in seinen Laptop, doch nichts wollte helfen. Sobald er eine Zeile in das Programm eingespeist und den Virus damit aus drei Parzellen seines riesigen Netzwerks verbannt hatte, heimste dieser sich fünf neue ein. Das Schlimme daran war, dass jede Parzelle umgerechnet eine Abteilung seiner Firma repräsentierte. Konzentriert sah er auf einen zweiten Monitor rechts neben sich. Blinkende rote und grüne Punkte, welche sich auf einer beinahe spinnennetzartigen Landkarte befanden, zeigten ihm genau an, welche seiner Abteilungen bereits vollkommen außer Gefecht gesetzt waren. Er verfluchte sich selbst. An sich arbeitete dieser Virus denkbar einfach. Sobald irgendwer einen Computer einschaltete, drang das Virus in die Netzwerkdateien ein und verbreitete sich über diese Verbindung der Rechner mit dem nächsten Computer. Zum Glück waren nicht ALLE Computer mit ALLEN anderen verbunden, sondern immer nur einzelne Hauptrechner mit dem jeweils nächsten Hauptrechner der nächsten Abteilung. Doch das Problem war, dass sich der Virus dadurch höchstens verlangsamen, jedoch längst nicht aufhalten ließ. Fakt war, dass jeder Computer, der bereits vom Virus einen Besuch abgestattet bekommen hatte, spätestens drei Stunden später von selbst alle Programme beendete und danach nicht mehr gestartet werden konnte. Eine simple Vorgehensweise also und doch konnte Kaiba anscheinend nichts Vernichtendes dagegen tun. Inzwischen hatte er sein gesamtes Expertenteam mit der Aufgabe betraut, ein effektives Gegenvirus zu entwickeln, doch auch seine besten Mitarbeiter kamen nicht weiter. Manch einer kam in den letzten Stunden gar mit dem irrationalen Vorschlag, doch einfach alle Computer abzuschalten und das ganze Auszusitzen … diesen inkompetenten Idioten hatte er inzwischen gefeuert, aber wirklich weitergebracht hatte ihn das nicht. Selbst das Austauschen aller Rechner seiner Firma – das Geld dazu hätte er gehabt – würde nichts bringen, da damit auch alle entwickelten Daten und Programme unwiderruflich verloren sein würden. Frau Ishimizu stürmte hinein. In seinen Gedankengängen unterbrochen sah der Chef der Kaiba Corporation auf. „Herr Kaiba?! Wie mir so eben berichtet wurde, sind nun auch die ersten Zentralrechner betroffen!“ Kurz warf der Braunhaarige einen weiteren Blick auf seinen zweiten Monitor und fand diese Hiobsbotschaft bestätigt. Zwei weitere grüne Lampen, nahe der Mitte des Netzes, hatten ihre Farbe gewechselt. „Ja, ich seh’ es. Danke, Frau Ishimizu.“ Ohne ein weiteres Wort wandte er sich wieder seinem Programm zu. Frau Ishimizu kannte die schroffe Art ihres Chefs und ging raschen Schrittes wieder zurück in das Vorzimmer. Frustriert schwor sich Seto, dass er dem, dem er das zu verdanken hatte, eine reinwürgen würde, wenn er ihn je erwischen sollte. Denn wer auch immer es gewesen war, schien es tatsächlich geschafft zu haben, nach und nach seine Firma lahmzulegen. Wenn das so weiter ging, konnte er die Kaiba Corporation in ein paar Wochen, wenn nicht sogar Tagen, schließen. /Nein. So weit kommt es sicher nicht. Ich habe nicht jahrelang gegen Gozaburo und irgendwelche nicht existenten Ungeheuer gekämpft, um meine Firma jetzt durch einen simplen Computervirus zu verlieren!/ Entschlossen hämmerte er die nächsten Zeilen in sein Programm. Er würde es schaffen, diesen Virus zu vernichten und dann würde er die Spur zurückverfolgen. Irgendwo, an irgendeinem Rechner, hatte jedes Virus seinen Ursprung und er würde ihn finden. Er war sich beinahe sicher, dass der Verursacher in seiner eigenen Firma zu suchen war. Sein Sicherheitssystem und seine Firewall waren zu gut, um sie von außen zu überwinden. Nur jemand, der Zugang zu seinen Firmenrechnern hatte, hätte es fertigbringen können, den Virus in das System einzuspeisen. In diesem Moment drifteten zwei weitere Abteilungen ins Nirwana des Computerfriedhofes ab. „Möget ihr in Frieden ruhen“, murmelte Kaiba, ehe seine Hand routiniert zur Gegensprechanlage griff. „Frau Ishimizu?“ „Ja?“ „Schicken Sie bitte die Service – Abteilung 3 in den Feierabend. Die sollen sich zwei Tage freinehmen.“ „Jawohl Chef“, kam es mit leicht resigniertem Unterton zurück. Frau Ishimizu hatte bereits die halbe Belegschaft, was ungefähr 345.298 Leute betraf, in den bezahlten Urlaub geschickt. 1.300 Leute mehr fielen da eigentlich nicht mehr ins Gewicht. Einige Stunden später und zwei Abteilungen weniger, klopfte es abermals an der Tür. Beinahe zaghaft steckte Frau Ishimizu ihren Kopf durch den offenen Türspalt. Leicht beunruhigt sah sie sich im Zimmer um. Sie hatte den Ausfall der nächsten Abteilungen schon gar nicht mehr gemeldet, da sie ahnte, dass Herr Kaiba dies mit Sicherheit selbst registriert hatte. Suchend tastete ihr Blick die riesige Fensterfront hinter seinem Schreibtisch ab. Nach all den Hiobsbotschaften des heutigen Tages hätte sich die Dame auch nicht gewundert, hätte sie Eisblumen am Fenster ausmachen können; und erfrieren war ein unschöner Tod, wie sie erst neulich wieder in einem Spielfilm gesehen hatte. „Herr Kaiba?“ Fragend sah Kaiba auf. „Da ist ein junger Mann, der Sie gern gesprochen hätte. Er meinte, es sei wichtig.“ Unwillig sah Kaiba auf seine Sekretärin und seine Augen machten ihr klar, dass er momentan eigentlich für niemanden zu sprechen war, egal wie wichtig dessen Gründe waren. Aber er kannte Frau Ishimizu inzwischen lange genug. Sie wusste, was ihr Chef selbst als wichtig einstufte und was nicht, und wenn sie in dieser Situation jemanden zu ihm vorließ, musste dieser jemand wirklich bedeutende Argumente haben. „In Ordnung. Wer ist es?“ „Ein Herr Kirian aus der Grafikabteilung, er meinte, er wisse etwas zum Ursprung des Virusproblems.“ Aufmerksam geworden, setzte sich Kaiba kerzengerade auf. Überlegend faltete er die Hände ineinander, ehe er Frau Ishimizu nochmals nach dem Namen fragte. „Haiko Kirian, Herr Kaiba“, antwortete sie gewissenhaft. „Gut. Schicken Sie ihn mir in … sagen wir 5 Minuten hinein.“ Frau Ishimizu nickte verständig und schloss leise die Tür hinter sich. Sofort schloss Kaiba sein Schutzprogramm und rief sich die Akte des besagten Mannes auf den Monitor. Kurz überflog er die wichtigsten Daten des Grafikers, als besagter Kirian bereits eintrat. Insgesamt machte seine äußere Erscheinung einen gepflegten Eindruck. Die Haare nach hinten gegelt, die Farbe seines Anzuges perfekt auf seine Krawatte und Schuhe abgestimmt und eine wahrscheinlich echte Rolex am rechten Handgelenk, entsprach er genau dem Typ Mensch, den Kaiba abgrundtief verabscheute. Er gehörte zu dem Schlag von Menschen, die einem vorne herum nett anlächeln konnten, während sie in der Hinterhand ein Messer bereithielten, sollte man nicht ebenso falsch zurücklächeln. Das hatte Kaiba nicht nötig und so sah er dem Mann nur schweigend entgegen. Er ersparte es sich, Kirian einen Platz anzubieten, er hatte nicht vor, es dem ebenfalls Braunhaarigen in irgendeiner Weise bequemer zu machen. Nicht minder ernst blickend trat sein Angestellter näher. Es hatte etwas Arrogantes, wie er Kaiba die Hand reichte, um sich persönlich bei ihm vorzustellen. „Haiko Kirian mein Name, Herr Kaiba. Es freut mich sehr, Sie einmal persönlich kennenlernen zu dürfen.“ Der Chef der Kaiba Corporation dachte nicht daran, sich mit diesem Menschen auf eine Stufe zu stellen und ließ dessen Hand ohne Gegenpart wortlos in der Luft verweilen. Wenn schon einer dem anderen die Hand anbot, dann war er das. Peinlich berührt und offensichtlich in seiner Arroganz gekränkt, zog Kirian die Hand zurück und ließ sich ohne weitere Aufforderung auf einem der zwei Sessel vor Kaibas Schreibtisch nieder. „Also. Warum sind Sie hier?“, eröffnete der Ältere ohne weiteres Federlesen das Gespräch. Irritiert sah Kirian zu seinem Chef. Es war unzweifelhaft, dass er damit gerechnet hatte, etwas freundlicher begrüßt zu werden, da er doch seine brisanten Informationen bereits hatte anklingen lassen. Nach kurzem Zögern schob er den gereizten Tonfall aber auf die momentanen Umstände und gewann seine Selbstsicherheit zurück. Das bemerkte auch Kaiba, der sich davon jedoch nach wie vor nicht beeindrucken ließ. Ungeduldig, da er weitaus Besseres zu tun hatte, als sich mit diesem falschen Wiesel abzugeben, fixierte er dessen schmales Gesicht mit stahlblauen Augen. Nebenbei gab er immer wieder neue Codes auf der Tastatur ein, als wäre der Mann es nicht wert, dass man ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. „Herr Kaiba, ich hätte einige wichtige Informationen über einen Ihrer Angestellten, der, mit Verlaub, meiner Meinung nach für den immensen Computerschaden in dieser Firma die volle Verantwortung trägt.“ Äußerlich ruhig, innerlich jedoch bis aufs Äußerste gespannt, lehnte Kaiba sich nun doch zurück und gab dem anderen somit das unsichtbare Zeichen fortzufahren. „Meiner Meinung nach handelt es sich bei dem Verursacher um einen jungen Grafiker aus meiner Abteilung. Ein gewisser Joseph Jay Wheeler.“ /Lächerlich./ Kaibas verzog keine Miene bei dieser Behauptung. Lediglich seine linke Augenbraue, wanderte äußerst skeptisch ein gutes Stück nach oben. Er hatte ja gewusst, dass es reine Zeitverschwendung wäre, dem Mann seine wertvolle und in diesen Tagen nur knapp bemessene Zeit zu schenken. „Ich beschäftige keinen Angestellten namens Joseph Jay Wheeler.“ Gespielt überrascht sah Kirian ihn an. „Oh. Aber wie kann es dann sein, dass er seit mehreren Monaten in unserer Abteilung tätig ist?“ Die Augenbrauen zusammenziehend dachte Kaiba nach. Er glaubte diesem schmierigen Mistkerl nicht. Und doch … /Joey kann es nicht gewesen sein. Selbst WENN er auf eine mir unerklärliche Weise hier arbeiten würde, um sich etwas dazu zu verdienen, dann sicher nicht als Grafiker. Er hat gar nicht das WISSEN um … Sicher. Er kann gut zeichnen, das muss ich ihm zugestehen, aber doch nur mit der Hand! Nicht mit dem Computer. Außerdem … so sehr er mich auch hassen mag … er würde doch nie …/ Der Firmenchef dachte an zahlreiche Situationen, in denen er den Jüngeren beleidigt und bloßgestellt hatte. Nicht nur einmal hatte Joey ihm damals Rache angedroht. /Oder doch?/ Kaiba schob alle weiteren Gedanken beiseite. Er war Geschäftsmann und verantwortlich für Tausende von Mitarbeitern. So unglaubwürdig die Behauptungen des Mannes vor ihm auch sein mochten, war es seine Pflicht als Firmeninhaber, jedem Hinweis nachzugehen. Er konnte es sich nicht leisten, kein Misstrauen gegenüber irgendjemand zu haben. Der Chef der Kaiba Corporation kam auf den springenden Punkt. „Haben Sie Beweise für Ihre Vorwürfe?“ „Nun …“, gekonnt setzte Kirian eine kleine Kunstpause, ehe er weitersprach: „Beweise habe ich nur insofern, als das, was ich selbst GESEHEN habe.“ Er musste wissen, was Kaiba von lediglich gesehenen Beweisen hielt. Dennoch war der Samen des Misstrauens gesät. Schließlich spielte Kirian seinen letzten Schachzug aus. „Übrigens, er arbeitet gerade unten in der Grafikabteilung. Sie können sich gern von meinen Worten überzeugen. Ich meine … nur, falls Sie mir nicht glauben sollten, dann …“ Der ebenfalls Braunhaarige brauchte nicht zu Ende sprechen. „Sie warten hier.“ Kaiba schritt an ihm vorbei aus dem Büro. Er war sich bewusst, dass es eigentlich keinen Grund gab, dem Mann zu glauben. Doch wenn es tatsächlich Beweise gab … Entnervt schüttelte er den Kopf, währende er mit dem Fahrstuhl in die Etage fuhr, in welcher sich die Überwachungsräume befanden. /Es kann einfach nicht stimmen. Wahrscheinlich vergeude ich hier nur meine Zeit./ Und doch rumorte es in seinem Magen. Sein Instinkt hatte ihm schon mehr als einmal gute Dienste geleistet. Es war immer besser, sich auf Fakten zu verlassen. Er würde herausfinden, was an den Aussagen des Mannes wirklich glaubhaft war. Wenn einer ihm sagen konnte, was in seiner Firma vor sich ging, dann die Leute, welche er für die Überwachung derselben angestellt hatte! Energisch öffnete er die Tür zum Überwachungsraum. „Herr Sakumoto!“ Noch während Kaiba die Tür schloss, sah er sich nach dem Dienst habenden Wachmann um. Erschrocken sprang dieser von seinem Stuhl auf, als er den scharfen Unterton in der Stimme seines Chefs vernahm. Er hatte ihn auf den Monitoren nicht kommen sehen, weswegen er auch Joseph nicht hatte vorwarnen können. Er hoffte nur, dass der junge Mann gerade nicht im Bild war, sollte Herr Kaba einen zufälligen Blick auf die Monitore werfen. Er hatte es dem jüngeren Kaiba versprochen, ein wenig über den Blonden und dessen Anonymität zu wachen. „Ja?“ Seine Hoffnung wurde augenblicklich zerstört. „Zeigen Sie mir alle gegenwärtigen Aufzeichnungen aus der Grafikerabteilung.“ „Jawohl, Herr Kaiba.“ /Lass den Jungen auf der Toilette sein!/, betete er inständig. „Da! Wer ist das?“ Auffordernd deutete Kaiba auf einen hellen Punkt auf einem der Monitore, der sich in diesem Augenblick konzentriert über einen flackernden Bildschirm beugte. Der Braunhaarige wusste instinktiv, dass bereits dieses Bild alle Beweise beinhaltete, die er brauchte und dennoch, wie in einem verzweifelten letzten Versuch, dass er sich irren könnte, hakte er noch mal nach. „Das wird wohl … einer Ihrer Grafiker sein, Sir“, ließ der Wachmann ausweichend verlauten. Nun vollends aufgebracht, sah der Größere auf seinen Angestellten. „Führen Sie mich nicht in Versuchung, Ihnen zu kündigen, Sakumoto! Sie kennen alle Grafiker mit Namen, das ist Ihr Job. Und wenn Sie diesen Job auch weiterhin ausüben wollen, dann sagen Sie mir jetzt, wie der Mann heißt!“ Diesen Argumenten hatte Herr Sakumoto nichts entgegenzusetzen und in Gedanken entschuldigte er sich immer wieder bei Joseph und dem kleinen Mokuba Kaiba. „Joseph Jay Wheeler, Sir.“ Sein Magen drehte sich um. Ihn auf dem Monitor zu sehen und nun auch noch seinen Namen bestätigt zu bekommen, war für ihn alles an Beweis, was er brauchte. Offenbar hatte dieser Kirian tatsächlich die Wahrheit gesagt. „Seit wann arbeitet er hier?“ „Genau weiß ich es nicht mehr. Aber seit über 7 Monaten bestimmt, Sir.“ Das reichte, um seinen Kopf auszuschalten. Kaiba hatte genug gehört. Seine Wut nahm überhand. Er fragte nicht weiter. Es war offensichtlich, dass der Blonde genügend Zeit gehabt hatte, um seine Firma zu infiltrieren. Dass er selbiges Joey noch vor einer Stunde nicht einmal zugetraut hätte, beachtete er gar nicht. Kirian hatte recht gehabt. Allein Joeys Anwesenheit in diesen Räumlichkeiten bewies es. Das war alles, was er wissen musste und alles, was für ihn zählte. /Keine Ahnung WIE Joey das gemacht hat, oder WARUM … Aber er HAT und deswegen …/ Aufgebracht und bitter enttäuscht stürmte er aus dem Raum, während der ältere Mann sich vollkommen erschöpft auf seinen Stuhl sinken ließ. Nur wenige Minuten später richtete er seine volle Aufmerksamkeit auf den von Kaiba zuvor bezeichneten hellen Punkt. Gerade stürmte der Chef in den Raum und Sakumoto konnte sich lebhaft vorstellen, auch ohne den Ton anzustellen, was dort unten geschah. Eiskalt und wütend sah Kaiba sich in der Abteilung um. Die Augen seiner Angestellten waren weit aufgerissen. Der gesamte Fokus der Mitarbeiter schien sich einzig und allein auf die Eingangstür zu konzentrieren. Nur wenige Augenblicke später hatte Kaiba gefunden, wonach er suchte. Braune Augen sahen ihn schuldbewusst über drei Computer hinweg an. Der Blick des Blonden sagte alles. Die Augen des Braunhaarigen und sein wutverzerrtes Gesicht hatten Joey längst verraten, dass er es war, nach dem der Firmenchef gesucht hatte. Scheinbar hatte er herausgefunden, dass er bereits seit Längerem ohne sein Wissen in seiner Firma rumgeisterte. Sicher wäre dies Grund genug für Kaiba, aufgebracht zu sein - zumindest wenn er nicht wusste, was er hier tat – dennoch erklärte es längst nicht die Zornesfalten, die sich über seinen Augen gebildet hatten. „Raus hier! Alle! SOFORT“, befahl der Ältere. Seine Stimme hätte einen See augenblicklich zu Eis erstarren lassen können. Zahlreiche sorgenvolle Blicke richteten sich auf den Blonden. Doch keiner wagte zu widersprechen. Es war klar, dass alle AUßER Joey gemeint waren. Abwartend sah der Blonde Kaiba entgegen. Er war sich noch immer keiner Schuld bewusst. Immerhin hatte er ihm lediglich geholfen, so wie er es einst versprochen hatte. Wenn Kaiba es ihn erklären ließe, dann… Der letzte Mitarbeiter hatte die Tür leise hinter sich geschlossen. „DU…!“, drohend kam Kaiba Schritt für Schritt näher. Anscheinend war der Firmenchef noch immer auf der Suche nach dem richtigen Wort, um Joey passend zu beschreiben. „Ich gratuliere! BEINAHE hättest du es tatsächlich geschafft!!“ „Was?“, verblüfft starrte Joey ihn an. Kaiba ließ ihn nicht aus den Augen. Mit einmal ergab alles einen Sinn! Alles war so einleuchtend! Warum nur war es ihm nicht schon früher aufgefallen: Die plötzlichen Besuche des Blonden bei ihm zu Hause, die scheinbar freundschaftliche Beziehung mit seinem kleinen Bruder… Joey hasste ihn. Seit Jahren hatte er Joey immer wieder seine Grenzen aufgezeigt, ihm bewusst gemacht, wer der Bessere von ihnen beiden war und nun hatte ihm irgendwer die glänzende Möglichkeit geschenkt, sich an ihm zu rächen. Aber das würde er nicht zulassen! Nicht, wenn daran auch seine Firma und Mokuba hingen! „Es fehlt nur noch SO viel“, eine entsprechende Geste folgte „und du hättest mich ruiniert, Wheeler. Aber ich werde nicht einfach zusehen, wie ein KLEINER MIESER SABOTEUR wie DU, meine Firma zugrunde richtet!“ Die Puzzlestücke fügten sich zusammen. Man konnte förmlich hören, wie es in Joey ‚Klick‘ machte. Kaiba gab ihm die Schuld an dem Virus. Abwehrend hob Joey die Hände. „Seto, ich könnte nie …“ Doch der Braunhaarige ließ ihn nicht aussprechen. Er explodierte förmlich. „WAS könntest du nicht?!“ Mit zwei weiteren Schritten war er bei ihm, schlug ihm seine geballte Faust in die Magengrube. Joey keuchte auf. Damit hatte er nicht gerechnet. „Dieser Virus …“ Joey holte keuchend Luft. „… ist nicht von mir. Ich habe ihn nicht eingeschleust …, falls es das ist …, was du glaubst.“ Setos Antwort war ein zweiter Fausthieb, der Joey diesmal direkt im Gesicht traf. Der Jüngere wehrte sich nicht. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, den Schlag abzuwehren. Doch er hatte nicht vor, gegen den Braunhaarigen zu kämpfen. Niemals. „ACH NEIN? Du meinst, genauso wie du dich NICHT in meine Firma geschlichen und mich NICHT hintergangen hast, indem du meinen EIGENEN BRUDER und meine EIGENEN ANGESTELLTEN manipuliert hast, um dir zu helfen?“ Leicht benommen schüttelte Joey den Kopf. Seine Lippe blutete. Den Chef der Kaiba Corporation kümmerte das nicht. Im Gegenteil. Es verschaffte ihm eine geradezu erschreckende Genugtuung, Joey bluten zu sehen. Der Kampf in der Seitengasse vor ein paar Monaten kam ihm wieder in den Sinn. Auch damals hatte ihn der Anblick seines Gegenübers kalt gelassen. Vielleicht hätte er seinerzeit nicht eingreifen sollen. Dann hätte er sich jetzt zumindest nicht mit diesem bohrenden Gefühl in seiner Magengegend auseinandersetzen müssen. Ihm war schlecht. Es fühlte sich beinahe an, als hätte er eine Faust in den Bauch gerammt bekommen und nicht Joey. Erst mit der Anschuldigung von Kirian war ihm bewusst geworden, dass er in den letzten Wochen tatsächlich damit begonnen hatte, dem Blonden sein Vertrauen zu schenken. Womöglich hatte es an ihrer ähnlichen Situation – keine Eltern, nur ein Geschwisterkind – oder den zahlreichen kleinen ungeplanten Treffen gelegen. Er wusste nicht, wie gerade ihm so etwas hatte passieren können. Doch Gott sei es gedankt, hatte ihn die Realität recht schnell wieder eingeholt. Vielleicht war er noch früh genug wieder aufgewacht, um nun das Schlimmste zu verhindern. „Verschwinde hier, Wheeler. Ehe ich mich endgültig vergesse. Sehe ich dich je wieder in meiner Firma, kannst du sicher sein, dass du mehr von mir erhältst, als nur ein paar blaue Flecken.“ Joey richtete sich auf. Stumm sah er ihn an, betrachtete das zu Stein erstarrte Gesicht, die geballten Hände, die sturmblauen Augen. Seine Gedanken überschlugen sich. Sollte er sich wehren? Am liebsten hätte er Kaiba angeschrien. Ihn angeschrien und gefragt, wie er so etwas jemals von ihm glauben könne? Wie er annehmen könne, dass er ihn hasse? Warum er ihm nicht vertraute? Warum er sich nicht ERINNERTE?! Er fragte nichts davon. Zu oft hatte er bereits in ähnlichen Situationen gesteckt. Es hatte Momente gegeben, in denen er sich dagegen gewehrt hatte. Manchmal hatte er ihn am Kragen gepackt und geschüttelt, in der Hoffnung, dass Kaiba… nein … Seth … sich wieder an sein altes Leben mit ihm erinnern würde. Dass er erkennen würde, wie sehr er, Joey ihn auch heute noch liebte – über alle Zeiten hinweg. Aber er hatte jedes verdammte Mal begreifen müssen, dass das Wunschdenken war. Nichts weiter. Es gab Tage, da hasste er die Götter dafür, dass sie ihm nicht ebenfalls die Erinnerung an ihn genommen hatten. Dass sie ihn mit der Hoffnung weiterleben ließen, dass sich in irgendeinem Leben etwas ändern könnte. /Wach auf, Joey! Er wird sich nie wieder an dich erinnern … nicht an dich … und nicht an sich selbst. Das war der Preis. Schluss mit dieser Scheiß Hoffnung!/ Stumm sah er noch einige weitere Sekunden auf sein Gegenüber. Für heute hatte er keine Kraft mehr, sich zu wehren. Vielleicht würde er morgen wieder den Kampf gegen Kaibas Misstrauen aufnehmen. Vielleicht konnte er morgen Beweise finden, die Kaiba zeigten, dass er ihn nicht sabotiert hatte. Und vielleicht würde Kaiba dann auch sein Vertrauen in ihn wiedererlangen. Doch jetzt, in diesem Augenblick, wollte er einfach nur noch raus. Weg, von diesen Augen, die sein Herz schneller schlagen ließen, sobald sie auf ihn gerichtet waren. Denn das Misstrauen, dass sich in ihnen widerspiegelte, konnte er nicht mehr ertragen. Für Kaiba war die Stille ein klares Schuldeingeständnis. Der Joey, den er kannte, hätte sich mit Händen, Füßen und wahrscheinlich einer Menge obszöner Begriffe gegen sein Vorgehen gewehrt. Stattdessen drehte sich der Blonde um und wandte sich in Richtung eines kleinen schäbigen Rucksacks, der, wie Kaiba erst jetzt bemerkte, neben einem der weißen Schreibtische gestanden hatte. Weiterhin wortlos nahm er sich die Jacke vom Stuhl und schritt, ohne ihn anzusehen, an Kaiba vorbei. Am letzten Schreibtisch des Raumes blieb er stehen. Abwartend sah der Größere ihn an. Bedächtig griff Joey in seinen Rucksack und zog eine kleine Schachtel, eingewickelt in glänzendes blaues Geschenkpapier, heraus. Eine kleine weiße Schleife war an der länglichen Packung befestigt. Joey dachte daran, wie er den Inhalt erst heute früh gekauft und zur Sicherheit schon einmal eingepackt hatte. Eigentlich war der Tag noch etwas hin, an dem er das Geschenk seinem Besitzer hatte übergeben wollen. Doch jetzt sah er keinen Grund mehr, es noch länger bei sich zu behalten. Mit einem undeutbaren Ausdruck in seinen braunen Augen sah er es ein letztes Mal an, ehe er es auf den Schreibtisch neben sich legte. „Happy Birthday, Seto“, flüsterte er. Kaiba hörte es trotzdem. Ohne weitere Worte verließ Joey den Raum. Schweigend ging er durch den kleinen Massenauflauf vor der Tür. Nur am Rande wurde ihm bewusst, dass Nici, ihn ansprach. Doch er schenkte ihm nur ein flüchtiges Lächeln. Irritiert sah er vor dem Gebäude zur Sonne hinauf und wunderte sich über das schöne Wetter. Strömender Regen hätte weitaus besser zu seiner derzeitigen Stimmung gepasst. Aber nein: Als ob Rah ihn verhöhnen wollte, strahlte er von oben herab, als hätte es noch nie einen schöneren Tag als diesen gegeben. „Angeber“, murmelte Joey mit bösem Blick in Richtung Sonne, schulterte seinen Rucksack und machte sich auf den Weg nach Hause. Wenn er seine eigene Enttäuschung überwunden hatte, würde er dem Ärger auf den Grund gehen. Ihm war vollkommen klar, dass er dadurch vielleicht nichts mehr an Setos Meinung über ihn würde ändern können, aber der Firmenchef hatte davon gesprochen, dass er seine Firma fast ruiniert hatte. Er vermutete daher, dass der Braunhaarige ihn in direkter Verbindung zu dem Virus sah. Das wiederum bedeutete, dass ihm jemand eine Falle gestellt hatte, um ihn loszuwerden. Der wahre Verursacher des Ganzen lief also noch frei herum. „Ob du es willst oder nicht Seth, ich werde mein Versprechen halten“, murmelte Joey leise vor sich hin und schlug den Weg zu seiner Wohnung ein. Ihn wunderte, dass er nicht in Tränen ausgebrochen war – aber das hätte wohl zu pathetisch ausgesehen. Ein selbstironisches Lächeln spielte über seine Lippen. Kurz zuckte er zusammen. Doch der Schmerz in seinem Gesicht würde nachlassen. Er hatte andere Probleme. Nachdenklich tastete er seine Lippe entlang. Ein kleiner Streifen Blut zeichnete sich auf seiner Hand ab. Anscheinend war seine Lippe beim Schlag von Kaiba aufgeplatzt. Seufzend reinigte er das Blut notdürftig mit seiner Zunge. Vielleicht war heulen doch gar keine so schlechte Idee? Derweil verharrte Seto noch immer vor dem kleinen blauen Päckchen, welches Joey ihm hinterlassen hatte. Er hatte sich noch nicht entschieden, ob er das Geschenk sofort in den Müll schmeißen, oder doch vorher öffnen sollte. Da ihm die Entscheidung auch nicht durch seine feigen Mitarbeiter abgenommen wurde, die sich auch weiterhin nicht zurück an ihren Arbeitsplatz trauten, gab er das Grübeln letztlich auf und griff beherzt nach dem Päckchen. Vorsichtig schüttelte er es zunächst kurz am Ohr, aber kein verdächtiges Geräusch erklang. Nicht, dass er darin eine Bombe vermutete, dennoch, nach diesem denkwürdigen Tag voller Überraschungen, ging er lieber auf Nummer sicher. Eine weitere Minute des Bedenkens später, zog er dann doch die weiße Schleife ab und öffnete den Deckel. Kurz durchzuckte ihn noch der Gedanke, warum zum Himmel noch mal jeder ständig dachte, er könne ohne Blau nicht leben, ehe er ebensolches Füllpapier aus der Schachtel entfernte. Umso überraschter war er, dass der eigentliche wesentliche Inhalt des Päckchens nicht Blau war. Nun doch neugierig geworden, widmete er sich dem kleinen beiliegendem Zettel, auf dem schlicht stand: „Für die zwei ersten Tore deines Lebens. Happy Birthday. Joseph Jay Wheeler.“ Zögernd nahm Seto daraufhin die zwei länglichen Stoffstücken näher in Augenschein. Es handelte sich um zwei schlichte, jedoch aus gutem Stoff gefertigte Krawatten – eine in Weiß, die andere in Schokobraun. Jeweils auf der Rückseite der Krawatten, für andere Augen nicht sichtbar, war ein kleiner feiner Schriftzug eingenäht: „Für dein erstes Tor“ und „Für dein zweites Tor“. Seto ließ seinen Blick von den Krawatten, zum Päckchen und weiter bis zum Zettel wandern. Erst jetzt bemerkte er, dass auch auf der Rückseite des Zettels noch etwas geschrieben stand: „Und ich habe trotzdem gewonnen“, war darauf gemeinsam mit einer kleinen, die Zunge rausstreckenden, Joey – Imitation zu lesen. Wieder glitt sein Blick zu den zwei Krawatten. Er war sich bewusst, dass weder die eine noch die andere für Joey besonders preiswert gewesen sein musste. Dazu brauchte er sich nur die Firmenlogos, welche an unauffälliger Stelle eingestickt waren, näher anzusehen. Anfangs hatte er vorgehabt, das Geschenk zu öffnen, um es dann achtlos im nächsten Papierkorb zu entsorgen. Dieser Gedanke war ihm allerdings schon während des Lesens der ersten Zeilen abhanden gekommen. Ebenso sein Zorn. Angesichts des Geschenkes war dieser beinahe unbemerkt in den Hintergrund getreten. Ihm wurde bewusst, dass ihm schon eine sehr lange Zeit niemand außer Mokuba mehr etwas ohne Hintergedanken geschenkt hatte. Nur schwach erinnerte er sich an ein Spielzeug, welches ihm in seiner Kindheit im Waisenhaus jemand überlassen hatte. Aber vielleicht hatte Joey ja doch Hintergedanken gehabt? Immerhin hatte er ihn sabotieren wollen – und es sogar teilweise geschafft. Nachdenklich schüttelte Kaiba den Kopf und ging zur Fensterfront des Raumes. Über die letzten Minuten und auch Tage und Wochen nachgrübelnd, sah er hinaus auf die hektischen Straßen der Stadt. Sein Verstand, welcher kurz zuvor durch seine Gefühle verdrängt worden war, nahm seine Arbeit wieder auf. Jetzt, da Joey nicht mehr im Raum war, arbeitete er sogar förmlich auf Hochtouren. War Joey wirklich dazu fähig, seiner Firma mit Absicht zu schaden, nur um ihm eins auszuwischen? Je länger er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihm. Er traute Joey zu, ihn gerne zu ärgern, auf die Palme zu bringen, unheimlich auf die Nerven zu gehen und ihm vielleicht auch hin und wieder eins auswischen zu wollen … aber die Arbeitsplätze tausender Leute zu gefährden, nur aufgrund eines negativen Gefühls ihm gegenüber? Acht Minuten stand Kaiba weiter unbewegt am Fenster, sah hinaus. Doch er bemerkte weder die Sonne, noch das bunte Gewirr aus zahlreichen Menschen auf den Straßen vor der Kaiba Corporation. Er dachte an das gemeinsame Fußballspiel, das Abschlussfest und das Treffen vor vier Tagen zurück. Die neunte Minute brachte die Entscheidung. Er brauchte mehr Informationen über Joseph Jay Wheeler. Und er wusste, wo er sie finden konnte. Erfüllt von grimmiger Entschlossenheit, packte er die zwei Krawatten in der linken und das blaue Päckchen samt Karte in der rechten Hand fester und machte sich auf den Weg in sein Büro. Oben im Schreibtisch wartete eine wichtige Akte auf ihn, die er schon länger hätte lesen sollen. Kapitel 21: Erwachen -------------------- @primavera: *GGG* Es freut mich, dass ich euch... bzw. speziell dich... noch mit der Geschichte überraschen kann. ^_^ Tja... Kaiba traut Joey so einige Missetaten zu... *lach* .. und obendrein zumindest genügend Intelligenz, um sich für seine vermeintliche Rache an Kaiba mit jemanden zusammen zu tun, der intelligenter ist als er. Aber letztlich hast du es gut auf den Punkt gebracht. Er war einfach überrascht. Immerhin hat Seto seinen Verstand ja auch ziemlich schnell wieder eingeschaltet. ^_~ @Sy: *pst* Nicht schreien. ^_^ Und gehauen oder Kopf gegen die Wand schlagen ist auch nicht gestattet! ô.ò Soooo ganz unschuldig ist Joey ja auch nicht an den Missverständnissen. Also lass mir Seto doch bitte unversehrt, der wird noch gebraucht - möglichst ohne Genickbruch. Keine Sorge, Kaiba wird die Akte schon noch lesen... vielleicht... *fg* NEIN! Aufgeregt? DU? Nie im Leben. *LACH* @Anyu: Tja, ein Idiot kann man sein, man sollte eben nur schlau genug sein, um das auch zu erkennen und ehrlich genug, um einen Fehler einzugestehen. Mal sehen, ob Seto dazu zählt. Ob Joey Seto verzeiht? *grübel* Mal sehen... Ich werd ihn mal fragen... ^_^ @Astera: Das mit dem Kaffee hast du dir gut gemerkt. ^_^ Obwohl die Szene nur so kurz war. Tjaja... Bei mir kündigen sich Probleme eigentlich immer früh an. Man muss nur richtig hinschauen. *fg* Ich weiß immer gar nicht, warum alle so scharf auf die Akte sind. *lach* In Akten steht doch eh meist nur so staubtrockenes langweiliges Zeug und Personaldaten etc. Und mal ehrlich... Joey ist intelligent... Würde er etwas über sich herausfinden lassen... was er... naja... lassen wir das. ^_^ *pfeif* @Lunata: Du hast zweimal das Selbe geschrieben. *G* Tjaja... Kirian ist nicht ohne. Aber Kaiba und Joey sind ja Gott sei Dank auch nicht auf den Kopf gefallen. Joey tat mir, ehrlich gesagt, beim Schreiben auch leid. Inzwischen habe ich die Stelle schon xmal gelesen und mein Herz verkraftet es jedes Mal besser. ^_^ Zumal ich inzwischen weiß, wie es weitergeht. @sorakovar: DANKE für deinen Kommi. ^_^ Ich mag deine Feststellungen/ Vermutungen.Ich lese das immer gerne, dann weiß ich, ob meine Geschichte verständlich, logisch aufgebaut und trotzdem noch spannend ist. Ob deine Vermutungen/Feststellungen allerdings wahr sind, klärt sich erst im nächsten Kapi. Obwohl... zumindest 1. ergibt sich eigentlich schon aus dem letzten. ^.~ @Rockryu: *G* Siehe sorakovar. Du bleibst also bei deiner Behauptung? Na mal sehen, ob deine Schlussfolgerungen bezüglich des Kontext richtig sind. Die Auflösung dauert aber noch. WOW. 7 Kommis zu einem Kapitel! Neuer Rekord! Ich danke euch allen dafür, dass ihr mir immer eure Meinung und Vermutung und Verbesserungen hinterlasst! ^_^ ______________________________________________________________________________ ~~~~~~~~~~ Langsam kämpfte sich Jono zurück ins Bewusstsein. Er wusste noch nicht, wie lange er ohnmächtig gewesen war, aber so, wie seine Knochen noch immer schmerzten, konnte es sich höchstens um eine oder zwei Stunden gehandelt haben. Stöhnend hob er seine Hand zum Kopf. Sein Schädel dröhnte. Vorsichtig öffnete er seine Augen einen kleinen Spalt und blinzelte, noch geschwächt, unter seinen Lidern hervor. Es war nicht sehr hell im Raum, das machte es ihm leichter. Nachdenklich hob er seine rechte Hand vor sein Gesicht und betrachtete sie. Er wandte sie mal hierhin, mal dorthin, streckte sie, schloss sie zu einer Faust und öffnete sie wieder. Es war, als wolle er irgendeine Bewegung ausführen, ohne noch recht zu wissen, welche es werden sollte. Trauer hatte sich seiner bemächtigt. Wie so oft in solchen Momenten. „Du hast nicht alle getötet.“ Wie immer, wenn er mit Jono oder Seth vollkommen allein war und sich keine ungebetenen Zuhörer in der Nähe aufhielten, wechselte Atemu zu einem vertrauteren Umgangston. Jono war nicht überrascht, die Stimme des Pharaos neben sich zu hören. Er wäre eher erstaunt gewesen, hätte jemand anderes neben ihm gesessen. Noch fühlte er sich nicht in der Lage, seinen Kopf in irgendeine Richtung zu drehen, weshalb er es vorzog, sich weiter mit der Decke über ihm zu unterhalten. „Ein Fortschritt.“ Atemus Augenbraue glitt elegant nach oben, ehe der Pharao sein Haupt schüttelte und damit fortfuhr, ein neues feuchtes Tuch für Jono vorzubereiten. Normalerweise wäre dies die Aufgabe der Diener gewesen, doch es war stets besser, wenn er, zumindest in Zeiten wie diesen, sich allein um Jono kümmerte. Auf dem Schlachtfeld übernahmen meist engste Vertraute von Anoubis Ano-Oobist diese Aufgabe. „Ja. In Anbetracht des letzten … Vorkommens.“ „Wann ist es passiert?“ „Ich bin nicht sicher, ob du das …“, wandte der Pharao zögernd ein. „Wann?“, beharrte der Blonde auf seine Frage. „Nach dem Zweiten.“, gestand Atemu ein. Schweigen breitete sich aus. Wenig später: „Was meint Ihr, Pharao, werde ich je dagegen ankommen?“ Atemu senkte die Hände. Grübelnd sah er auf seinen jungen Heerführer. Inzwischen kannte er die Umstände, die Jono so sehr verändert hatten. Er bildete sich nicht ein, alles zu wissen, auch wenn er es mit Hilfe der Milleniumsgegenstände ohne Weiteres hätte erfahren können – doch es war genug, um ein vages Urteil abgeben zu können. Er achtete die Privatsphäre seiner Untergebenen und Freunde – und Jono zählte eindeutig zu Letzteren. „Vielleicht. Seine Vergangenheit kann niemand vollkommen hinter sich lassen. Zumindest sollte das niemand. Immerhin gibt es auch einen Teil, der gut ist, meinst du nicht?“ Ein leises Lächeln stahl sich auf Jonos Lippen. „Ja.“ Es war mehr ein Seufzen als ein Wort und doch gab es eine Menge über Jonos Gedanken preis. Ein Klopfen hallte hörbar durch das steinerne Gemäuer und schmerzlich verzogen sich Jonos Gesichtszüge, während seine Hand augenblicklich wieder zu seinem Kopf fuhr. Seine Kopfschmerzen konnten es mit denen einer gesamten Kneipengemeinschaft inklusive Wirt und Bedienung aufnehmen, davon war Jono überzeugt. „Tretet ein“, gab Atemu zum Betreten des Gemachs seine Erlaubnis und legte dem Heerführer das neue Tuch auf die Stirn. Wenig später öffneten sich die schweren Türen und Seth kam herein. Seine Gesichtszüge verrieten nicht die geringste Bewegung, dennoch ahnte Atemu bereits, dass nicht allein die Erwartung neuer Befehle seinen Hohepriester hierher geführt hatten. „Pharao, Stern Ägyptens, ich bin hier um …“, begann Seth, nachdem die Türen wieder verschlossen waren, doch Atemu überging ihn einfach, indem er ihn unterbrach und ihn heranwinkte. „Es ist recht praktisch, dass du gerade kommst, Seth. Wechsle bitte kurz das Tuch von Jono und lindere ihm ein wenig die Kopfschmerzen. Ich weiß, dass du dich auch sehr gut auf die Heilkunst verstehst, Hohepriester.“ Dem Befehl Folge leistend, nahm Seth den Platz des Pharaos ein und begann damit, das gerade erst neu aufgelegte Tuch abermals mit kühlendem Wasser zu tränken. Derweil strebte der Pharao ohne ein weiteres erklärendes Wort auf den hinteren Teil des Gemaches zu und machte sich dort, ohne erkennbaren Sinn und Zweck, an ein paar Schränken zu schaffen. Ob beabsichtigt oder nicht verschaffte er den zwei Männern auf diese Weise ein paar ruhige Minuten für sich allein. Kurz überlegte Seth, wie er die entstandene bedrückende Stille zwischen sich und Jono überbrücken sollte. Es war selten, dass Jono ihn nicht sofort mit irgendeiner gehässigen Beleidigung anging und er dementsprechend erwiderte, geschweige denn, betrachtete man die letzten Wochen, dass sie sich überhaupt länger als zwei Minuten gegenübersaßen. Jono schien es ähnlich zu gehen, auch er sagte kein Wort. Stattdessen schloss er die Augen, um der bedrückenden Situation zu entkommen. Der Ältere wusste, dass er sich nicht für sein Handeln gegenüber Jono zu rechtfertigen brauchte, da es sich um einen Befehl des Pharaos gehandelt hatte - dennoch fühlte er sich schuldig. Lieber hätte er einen der Attentäter attackiert, statt dem Blonden diese Schmerzen zuzufügen. Schließlich war es Jono, der zuerst das Wort ergriff. „Es muss dir nicht leid tun.“ Verblüfft sah Seth den Blonden an und konnte sich auf Grund der ständigen kleineren Streitigkeiten zwischen ihnen doch nicht ganz zurückhalten. „Tut es auch nicht.“ Der Hohepriester war zufrieden mit seiner recht brummig und desinteressiert wirkenden Antwort. Anstatt Jono damit aus dem Konzept zu bringen, war das Gegenteil der Fall. „Und warum nicht?“ Stockend hielt Seth inne. Sollte er sich jetzt für eine falsche Antwort auch noch rechtfertigen? Hier stimmte irgendetwas nicht. Jono hätte so etwas antworten sollen wie: „Gut“, „Eben nicht“, „Fahr zu Rah“ oder Ähnliches. Eine Frage war nicht eingeplant gewesen. Aber das würde er ihm heimzahlen. „Weil die Welt mit deinem Ableben mit Sicherheit keinen Verlust erlitten hätte.“ „Dann hätte ich deiner Meinung nach also auch sterben können?“ „Warum nicht? Du bist doch sowieso zu nichts zu gebrauchen.“ Kurz tat Jono so, als würde er darüber wirklich nachdenken. „Ich kann mit Messern umgehen.“ „Ui toll. Jeder Fassadenkletterer kann das besser als du.“ „Tja. Aber dafür kann kein Fassadenkletterer besser klettern als ich. Und du … kannst es überhaupt nicht.“ „Das brauche ich auch nicht. Ich kann zaubern.“ „Du meinst, du kannst Eier ohne Feuer kochen? Klasse. Alles, was du mit Magie kannst, kann ich auch ohne. DAS ist die wahre Kunst.“ „Eine Kunst ist es auch, zu überleben. Etwas, was du anscheinend nur sehr dürftig beherrschst.“ „Nun, ich lebe noch, oder würdest du das, was hier vor dir liegt, etwa als Leiche bezeichnen wollen? Nur zur Erinnerung: Leichen reden nicht und bewegen fällt ihnen für gewöhnlich schwer.“ „Schade. Zumindest Ersteres wäre mal eine Eigenschaft, die ich gern an dir gesehen hätte.“ „Und ich würde gern so etwas wie Mitleid an dir sehen, aber offensichtlich hat Rah diese Eigenschaft bei deiner Erschaffung ausgespart.“ „Mitleid? Mit einem großmäuligem Tölpel wie dir? Warum?“ „Weil es mir scheiße geht!“ „So siehst du auch aus“, konnte sich Seth seinen trockenen Kommentar dazu nicht verkneifen. Zudem schien Jono ja durchaus auf dem Weg der Besserung zu sein, wenn er sich so mit ihm streiten konnte. Kein Grund also für falsche Reue. Er hätte seine Kräfte lieber noch eine Minute länger auf ihn wirken lassen sollen, dann wäre er vielleicht wenigstens mal für eine Woche etwas erträglicher gewesen. „Danke. Soll heißen, du findest mich hässlich.“ „Momentan: ja.“ „Ach? Und sonst findest du mich nur schlecht geraten, oder was?“, maulte Jono. Wäre es in diesem Augenblick nicht von Nachteil für ihn gewesen und hätte seinem Sieg in diesem Duell entgegengestanden, wäre Seth beinahe bereit gewesen zu lächeln, doch so hielt er seine Gesichtsregungen im Zaum. „Sagen wir lieber: Schlecht erzogen. Ansonsten bist du im Großen und Ganzen eigentlich recht ansehnlich. Zumindest bist du nicht so hässlich, dass sich nicht doch noch irgendwann einmal eine Bettlerin deiner erbarmt und dich zum Manne nimmt.“ „Wie praktisch, dann kann ich ja wirklich auf Fassadenkletterer umschulen und um meiner Frau und mir einen besseren Lebensunterhalt zu sichern, wüsste ich auch schon einen lieben und überaus gutherzigen Menschen, der sich sicher über meine nächtlichen Besuche freuen würde.“ Vielsagend sah Jono zu ihm hinüber. Inzwischen konnte er seinen Kopf wieder bewegen und auch das Blut, welches er vorhin noch glaubte, an seiner Hand kleben zu sehen, war verschwunden. „Du irrst dich. Ich würde mich zu keiner Zeit über einen nächtlichen Besuch von dir freuen.“ Ehe Jono das Thema der nächtlichen Besuche noch ausweiten konnte, trat der Pharao wieder hinzu. „Wie ich sehe, geht es dir bereits besser Jono“, stellte er merklich amüsiert fest, behielt jedoch auch Seth weiter im Blick. „Seth, hatte ich dich nicht gebeten, dich um Jonos Kopfschmerzen und sein Tuch zu kümmern?“ Erstaunt bemerkte dieser erst jetzt, dass er das nasse Tuch während ihrer gesamten „Unterredung“ in der Hand und somit auf seinem Gewand belassen hatte, wo sich nun fröhlich und frivol einige riesige Wasserflecken aneinander erfreuten. Noch während er hinsah verbanden sie sich vergnügt miteinander, um noch ein wenig mehr Raum auf seiner Robe zu beanspruchen. Einen leisen und sehr obszönen Fluch ausstoßend, erhob sich Seth und ließ seine Hand einmal kurz über alle größeren Flecken kreisen. Ein paar unverständlich gemurmelte Worte später, waren die Flecken verschwunden. „Wenn du dasselbe nun bitte auch mit meinen Kopfschmerzen tun könntest. Ich meine: Nachdem du sie verursacht hast, könntest du sie wenigstens auch wieder verschwinden lassen.“ Nun doch wieder für einen kurzen Augenblick an seine Tat erinnert, gleichwohl Jono dies so sicher nicht gemeint hatte, ließ er seine Hand nun auch über Jonos Kopf schweben, welcher daraufhin die Augen schloss. Ein kurzes gemurmeltes Wort später und Jonos Kopfschmerzen waren verschwunden. Der Heerführer selbst bemerkte davon nichts, da er im selben Augenblick in tiefen Schlaf gefallen war. Einen letzten Blick auf seinen einstigen Freund werfend, sah Seth auf Atemu. Zwar war der Pharao kleiner als er, doch schmälerte dies keine Sekunde seine Ehrfurcht gebietende Aura. „Was möchtest du wissen, Seth? Ich nehme an, du hast ihn nicht umsonst schlafen lassen?“ Seth schwieg kurz und bedachte seine nachfolgenden Worte. Wäre er nicht so vertraut mit seinem Herrscher gewesen, hätte er es nicht gewagt, die nächste Frage zu stellen. Immerhin stellte diese die Handlungsweise Atemus infrage. „Pharao Atemu, mir ist bewusst, dass ich kein Recht besitze, Euch diese Frage zu stellen … Ich denke jedoch, dass es, auf Grund meiner Position in diesem Reich, wichtig wäre zu erfahren, warum Jono heute durch meine Hand Schmerzen erleiden musste?“ Atemu sah auf dessen Frage, zunächst seinen Hohepriester und schließlich auch den schlafenden Jono lange an. Er spürte, wie wichtig Seth seine Frage war, auch wenn er bisher, dessen war er sich sicher, lediglich eine Ahnung davon hatte, warum ihm das Wohl Jonos so am Herzen lag. In den vergangenen Monaten hatte sich das Verhalten der zwei wichtigsten Menschen in seinem Reich merklich verändert. Beide ließen durch die Art und Weise ihres täglichen Umganges miteinander eine starke Zuneigung erkennen, derer sie sich selbst jedoch noch nicht bewusst waren. Atemu warf einen weiteren Blick auf das nun so friedlich wirkende Gesicht seines Heerführers und kam nicht umhin, seine Beobachtung noch einmal leicht zu revidieren: Zumindest EINER der beiden war sich seiner Zuneigung nicht bewusst. Der Pharao war der Letzte, der etwas gegen eine Beziehung zwischen den beiden einzuwenden gehabt hätte. Er befürchtete jedoch, dass sie, sollte die Wahrheit um Jonos Vergangenheit weiter zwischen ihnen stehen, niemals zueinanderfinden würden. Dabei, dessen war er sich sicher, war Seth vermutlich die einzige Person, die Jonos Herz Ruhe und Frieden schenken könnte. So, wie er Jono inzwischen kannte, würde dieser sein Geheimnis allerdings nicht freiwillig preisgeben. Anscheinend bedurfte es in diesem Falle einer Intervention seinerseits. Nach ein paar weiteren Minuten des Schweigens, während denen Seth geduldig gewartet hatte, fasste Atemu seinen Entschluss. Wenn sein Hohepriester und sein Heeresführer nicht bald zusammenarbeiteten, konnte dies zu einer ernsten Gefahr für das gesamte Reich werden. „Das, was heute geschehen ist, war notwendig, um etwaige Gefahren für Ägypten abzuwenden. Jono selbst war es, der heute um die Anwesenheit des Milleniumsstabes gebeten hatte.“ „Aber warum …“ „Jono hat bereits seit Längerem von dem geplanten Attentat auf mich gewusst und sich auf Grund seiner umfassenden Kenntnisse über die Herkunft der Attentäter zu der heutigen Vorgehensweise entschlossen. Es war unvermeidbar, da die Attentäter, laut Jonos Informationen, in direktem Kontakt zum Herrscher von Syrien stehen. Seths Augen weiteten sich. Jeder im Reich wusste, dass der Herrscher Syriens bereits seit Längerem an der Ausweitung seines Reiches interessiert war. Bisher hatte er jedoch immer geglaubt, dass er es nicht wagen würde, Ägypten auf Grund seiner beträchtlichen Heeresstärke anzugreifen. „Doch das, was heute geschehen ist, war nur die Vorhut, ein Test unserer Stärken und Schwächen. Du, als Hohepriester, konntest die Magie, die im Saal wirkte, spüren, nicht wahr?“ Seth bestätigte seine Vermutung. „Mir erging es ebenso. Mit Hilfe der Milleniumskette, habe ich jedoch noch etwas anderes sehen können. Man hat uns beobachtet, Seth. Sicher wäre der Herrscher Syriens erfreut gewesen, heute von meinem Tod zu erfahren, doch damit konnte er nicht wirklich gerechnet haben. Stattdessen nutzte er die Augen und Ohren des Magiers, der an dem Attentat teilnahm. Er hat dich getestet, Seth. DU warst sein eigentliches Ziel. Er wollte DEINE Kraft testen, denn du bist noch nicht lange Hohepriester und besitzt somit eine Macht, die er nicht einschätzen kann.“ „Darum wolltet Ihr nicht, dass ich eingreife.“ Der Pharao nickte bestätigend. „Zumindest nicht, bis Jono den Magier getötet hatte. Ja. Manchmal, Seth, ist es von Vorteil, unterschätzt zu werden.“ „Aber warum wolltet Ihr dann, dass ich meine Macht gegen Jono einsetze?“ Atemus Augen verdunkelten sich, als sein Blick zu seinem schlafenden Heeresführer schweifte. „Es war nicht MEIN Wunsch, Seth. Es war seiner.“ Der Hohepriester blickte ebenfalls auf den Blonden hinunter. Noch immer konnte er dessen Schmerzensschrei im Hinterkopf hören. Jono musste geahnt haben, wie groß seine Macht war und wie stark die Schmerzen sein würden. Dennoch … „Warum?“ „Du hast ihn gesehen, Seth. Was glaubst DU warum?“ Nachdenklich besann sich der Größere auf die leeren kalten Augen des Mannes, der die drei Syrier ohne mit der Wimper zu zucken niedergestreckt hatte. Er hatte dieser Person schon zweimal gegenübergestanden. Dieser Gestalt, die wie Jono aussah, es jedoch nicht zu sein schien. „Weil er nicht Jono war. Weil er mit dem Töten nicht hätte aufhören können.“ Atemu bestätigte seine Ahnung. „Wenn Jono kämpft, verliert er sich in sich selbst. Du hast es selbst gesehen. Er ist immer noch er, aber der Krieger, der Heeresführer Anoubis in ihm, gewinnt die Oberhand. Auf dem Schlachtfeld stehen ihm meist ein oder zwei Feldpriester zur Seite oder ein Vertrauter, die ihn zur Not außer Gefecht setzen können. Doch das ist selten notwendig, da er in einer solchen Schlacht meist bis zur totalen Erschöpfung kämpft. Das konnte er heute nicht. Mit deiner Hilfe wollte er verhindern, dass er alle Gegner tötet. Wir brauchten zumindest einen von ihnen lebend, um herauszufinden, was die Syrier planen.“ Seth rührte sich nicht. Die Augenbrauen zusammengezogen, blickte er frustriert auf den Heeresführer hinab. „Er hätte es mir sagen können.“ „Niemand gesteht gern ein, dass er sich selbst nicht kontrollieren kann.“ Gern hätte Seth seinem Pharao zu verstehen gegeben, dass sie immerhin Freunde seien. Doch er selbst war sich inzwischen nicht mehr sicher, ob dies je der Fall gewesen war. „Ich kann dir nicht alle Zusammenhänge erklären, darüber sollte Jono selbst entscheiden dürfen. Du solltest jedoch wissen, dass Jono nichts mehr fürchtet, als sich selbst nicht kontrollieren zu können und die zu verletzen, die ihm am Herzen liegen. Wenn du ihn nicht davon abgehalten hättest, hätte er ebenso gut dich, mich oder einen der umstehenden Soldaten angreifen können. Das hätte er sich nie verziehen.“ Atemu wandte sich ab und überließ seinen Hohepriester seinen eigenen Gedanken während dieser sich wieder an das Bett von Jono setze und über dessen Schlaf wachte. Kapitel 22: Heinzelmännchen --------------------------- Habe Migräne. Alle Rechtschreibfehler dürft ihr heute daher gerne für euch behalten. ^_^ @primavera: Entschuldige, wg Jono - Joey. *seufz* Ich habe mir dieses Kapitel xmal durchgelesen und mein Gehirn hat wohl irgendwann beschlossen, automatisch den richtigen passenden Namen einzusetzen - Hauptsache ein 'J' steht am Anfang. ;_; Böses Gehirn. Pfui. Habs aber inzwischen korrigiert. ^_^* Ich hoffe ebenfalls sehr, dass ich dich noch öfter überraschen kann. Das macht ja das Spannende am Lesen aus - sich immer wieder von den Einfällen eines Autors überraschen lassen zu können. *G* Du sagtest ja, ich habe viel angedeutet ... Was hast du dir denn ansonsten so zusammenreimen können? Ich liebe es, mir Vermutungen anzuhören. *G* Es freut mich, dass das Kapitel für dich nachvollziehbar war - was man nur überprüfen kann, wenn jemand es gelesen hat, der meine Hintergedanken nicht kennt. ^.~ @Sy: Danke, dass du von Gealt vorerst absiehst. ^_^ Was das Streiten anbelangt trifft an dieser Stelle wohl 'was sich liebt, das neckt sich' zu. *g* Ich persönlich glaube ja, dass sie sich gerne miteinander messen. Was Atemu anbelangst, bleibt ihm ja kaum was anderes übrig. *lach* Er kann ja leider schlecht sagen: Ich befehle euch, euch zu vertragen und gern zu haben. *grübel* Obwohl... einen Versuch wäre es ja wert, nech? Sorry, dass 'Joey' den Lesefluss gestört hat. Kannst es jetzt gern nochmal lesen. ^____^ Habs nämlich korrigiert. @Anyu: Ego und Stolz als Problem? *denk* Wahrscheinlich hast du recht. "UND OB SIE RECHT HAT! SEIN EGO IST SO GROß WIE EIN VERDAMMTER WOLKENKRATZER!" *umdreh* *joey anfunkel* "Klappe. Ich rede." *grummel* "is doch so." *maul* Entschuldige. Irgendwie mischt der sich ständig ein. ^_^* Lachtränen? *freu* Das sind die schönsten Tränen! Ich freue mich, dass mir das mit dem kleinen Geplänkel der beiden gelungen ist. @Astera: *nachles* Hast recht. Da wäre ich gar nicht drauf gekommen, dass man es auch so deuten kann. Aber ich kann dich beruhigen, um die Akte geht es jetzt. ^.~ Ich persönlich glaube allerdings, dass sich Kaibas Gesichtszüge gar nicht so sehr verändern würden. Nach außen gibt er sich schließlich routiniert kalt und distanziert. Bin schon auf deinen Kommi zu diesem Kapitel gespannt! ^__^ @Rockryu: *LACH* Der Kommentar hat mir gefallen! =^____^= Mehr als passend und folgerichtig beobachtet. Aber geht es einem im Leben nicht auch oft so. Manchmal, wenn einem jemand besonders wichtig ist, dann stellt man sich tausende Fragen, tastet sich vor, strauchelt, fällt und zaudert von Neuem - bis einem andere einen Schubs in die richtige Richtung geben. Tja und die grundsätzliche Persönlichkeit hat sich bei den beiden ja auch nicht geändert - nur ein paar Kleinigkeiten. Aber dazu später... @Lunata: Oh. Ein Tablet. Dann verstehe ich das. Ich habe mir gerade ein Ebook gekauft. Da habe ich auch manchmal mit zu tun, wenn es ums Eintippen von Dingen gibt. diese Touchscreens arbeiten nicht immer ideal, wie ich finde... *maul* 'kurzes Kapitel'???!!! Ich gebe mir solche Mühe! Selbst dieser Teil hat in Word ca. *nachzähl* fünf A4 Seiten. ;_; Wo ich mir sone Mühe gebe. *schnief* *den kampf aufnehm* Gut. Das nächste Kapitel hat mindestens 6 Seiten. Jawoll! Was Seth anbelangt, braucht er eigentlich nur den... richtigen Anreiz, um seine eigenen geheimen kleinen Wünsche bezüglich Joey zu erkennen. aufs nächste.... Kappi? ^_^* Schenkelklopfer... Viel Spaß beim Lesen. __________________________________________________________________________ Setos Augen brannten. Er hatte in dieser Nacht zusammengenommen nur zwei Stunden Schlaf bekommen, da er damit beschäftigt war, die Akte von Joey Wheeler wieder und wieder zu lesen – ohne etwas nennenswert Neues zu erfahren. Dementsprechend kurz war sein Ausflug in das Ägypten seiner Träume diesmal ausgefallen. Ohne seine Augen zu öffnen, tastete er kurz nach dem kleinen Büchlein neben seinem Bett und vermerkte die Worte „Syrien“, „Krieg?“ und „Vergangenheit“ darin. Warum ihm gerade das Wort Vergangenheit so wichtig war, dass er es in seine Wortliste aufnahm, konnte er nicht sagen. Immerhin schien so ziemlich alles aus seinen Träumen mit der Vergangenheit zu tun zu haben. Er hatte während der letzten Träume jedoch gelernt, auf sein inneres Gefühl zu hören. Vielleicht würde er dann auch irgendwann Antworten auf die vielen Fragen in seinem Kopf erhalten. Antworten war auch das, was er sich durch das Lesen von Joeys Akte erhofft hatte. Bei diesem Gedanken augenblicklich wach geworden, ließ Seto sein Nachtlager umgehend hinter sich. Ohne einen weiteren Blick auf die Uhrzeit zu werfen, begab er sich wie jeden Morgen in die Küche seines Anwesens und nahm sich die Akte, welche ebenfalls neben seinem Bett gelegen hatte, gleich mit. Seit er Joey am Vortag aus seiner Firma geworfen hatte, ließ ihn der Gedanke an den Jüngeren keine Ruhe mehr. Noch am selben Tag hatte er Kirian vorerst seines Büros verwiesen und diesen wieder an die Arbeit geschickt, ehe er seine Rechner ausgeschalten hatte und nach Hause gefahren war. Derzeit konnte er in seiner Firma ohnehin nichts retten. Der Kaiba Corporation war am Ehesten geholfen, wenn er den Spion in seiner Firma unschädlich machte. Vielleicht hatte er das schon getan, indem er Joey der Firma verwiesen hatte, doch noch immer nagte ein bohrender Zweifel an ihm. Da er nicht davon ausgehen konnte, dass der Jüngere ihm die Wahrheit sagen würde, sollte er der Saboteur sein, blieb ihm keine andere Wahl, als das bisherige Leben von Joey genau zu untersuchen. Zumindest redete Kaiba sich das ein, während er bereits zum dritten Mal an diesem Morgen die Akte des Blonden durchforstete. Doch durch die gut sortierte Sammlung an Urkunden, Zeugnissen und Lebensläufen erfuhr er zu einem großen Teil nur das, was er ohnehin schon wusste. Joey war als Kind bei seinem Vater aufgewachsen, während Serenity bei der Mutter geblieben war. Laut der Krankenkartei war er ein ums andere Mal, auf Grund von diversen Verletzungen, im Krankenhaus gewesen – doch nie wegen etwas Ernstem. Lediglich Prellungen, Schürfungen, Quetschungen. /Durch seine ständigen Prügeleien?/, fragte sich Kaiba stirnrunzelnd, während er weiterblätterte. Als er bereits in der Oberschule war, wurde bei seiner Schwester eine schwere Augenerkrankung diagnostiziert - auch das war ihm im Grunde nicht vollkommen neu. Interessant waren an dieser Stelle aber die zahlreichen Nebenjobs, welche Joey angenommen hatte, vermutlich, um das Geld für seine Schwester aufzutreiben. /Ein Wunder, dass er da überhaupt noch Zeit für all die Duellturniere hatte…/, überlegte Kaiba im Stillen. Zur selben Zeit hatte der Vater eine Entziehungskur begonnen, um seiner Alkoholsucht Herr zu werden. /Wie zum Teufel hat Joey es in all den Jahren bloß geschafft, trotzdem immer so… fröhlich zu wirken? Bei dem ganzen Mist…/ Nachdenklich besah er sich die nachfolgenden Seiten. Es handelte sich vorrangig um den Unfall- und Krankenbericht. Auch die Totenscheine der Eltern waren in Kopie enthalten. Alles, was offiziell oder inoffiziell mit Hilfe diverser Datenbanken zu erfahren war, befand sich in dieser Akte. /Anscheinend saß Joey damals mit im Wagen… Einige Verletzungen, aber nichts Ernstes… Moment. 3 Wochen Koma?/ Stutzig geworden las er sich den Eintrag ein weiteres Mal durch. *Trotz weiterer Untersuchung konnte keine konkrete Ursache für den komatösen Zustand des Patienten gefunden werden. Da er jedoch nach 3 Wochen wieder ohne erkennbare Gedächtnislücken erwachte, wird davon ausgegangen, dass es sich lediglich um eine Folge des Unfalls handelte. Verursacht durch ein mögliches Schleudertrauma beim Aufprall auf den Vordersitz. Zur Absicherung seines emotionalen, psychischen und körperlichen Zustandes wird ein zweiwöchiger Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik angeraten.* /Warum ist das niemandem aufgefallen? Nicht mal der Kindergarten hat darüber gesprochen…/ Ein forschender Blick auf das Datum des letzten ärztlichen Eintrages, brachte Klarheit. /All das - der Unfall, das Koma, die Reha – fand innerhalb der Sommerferien statt. Deshalb hat niemand in der Schule etwas mitbekommen. Trotzdem merkwürdig, dass weder Yugi noch die anderen darüber gesprochen haben./ Kurz nur schweiften seine Gedanken ein paar Monate zurück, als er sich bereits wieder zur Ordnung rief. /Das bringt mich letztlich auch nicht weiter. Es sagt mir immer noch nicht, was Joey in meiner Firma getan hat./ Resigniert schloss er die Akte wieder. Auf den letzten Seiten hatten sich lediglich seine Zeugnisse befunden. Aber außer, dass Joeys Noten kurz nach der Grundschule bedenklich in den Keller gerutscht waren, war auch dort nichts Besonderes aufgetaucht. /Beachtlich ist lediglich, dass er es mit diesen jämmerlichem Notenspiegel überhaupt jedes Jahr in die nächste Klassenstufe geschafft hat…/, überlegte Kaiba. Aber auch dieser Gedanke brachte keine neuen Erkenntnisse bei seinen Nachforschungen. Circa drei Stunden später gesellte sich ein ausgiebig gähnender Mokuba zu ihm in die Küche und führte sich, die Augen reibend, zunächst drei Löffel Nutella zu Gemüte, ehe er sich zu Kaiba an den Tisch setzte. Da es bereits sehr spät gewesen war, als Kaiba nach Hause kam, hatte er von der neuesten Entwicklung bisher noch nichts mitbekommen. Seto hatte noch nicht entschieden, ob er seinem Bruder etwas davon erzählen wollte. Er wollte Mokuba vor einer eventuellen Enttäuschung bewahren. Immerhin war Joey Wheeler für seinen kleinen Bruder zu einem Freund geworden. Allerdings war er sich nicht sicher, wie lange sich der Augenblick der Wahrheit noch hinauszögern lassen würde. Er hatte vor, heute noch ein Gespräch mit dem Abteilungsleiter der Grafikabteilung zu sprechen und weitere Informationen einzuholen. Selbst in der Akte war kein Vermerk darüber zu finden, dass Joey in seiner Firma ein- und ausgegangen war. Die Frage, wie das möglich war, beschäftigte ihn bereits seit den frühen Morgenstunden. In Gedanken versunken, warf er einen letzten Blick auf die zusammengetragenen Fakten, trank noch einen Schluck Kaffee und verabschiedete sich von Mokuba, ehe dieser einen Blick auf den Namen der Akte werfen konnte. „Wir sehen uns später Moki. Es gibt viel zu tun.“ „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, Seto …“ „Nein danke, diesmal nicht.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wuschelte Kaiba seinem jüngeren Bruder noch einmal durch die Haare, ehe er sich auf den Weg in seine Firma machte. Mokuba sah ihm noch einen Augenblick hinterher, schob dessen derzeitige Stimmung jedoch auf die Probleme in der Firma. Wenig später erreichte Kaiba das Firmengebäude. Im Gegensatz zu sonst, wandte er sich jedoch nicht gleich zu seinem Privatfahrstuhl sondern schlug den Weg zum Chef der Grafikabteilung ein. Dieser würde bereits im morgendlichen Meeting sein. Wenn ihm irgendjemand etwas über Joey im Bezug auf seine Firma sagen konnte, war es am ehesten dieser Mann. Bereits kurz darauf stand er Herrn Nikoshi Harumoto, von einigen seiner Kollegen oft ‚Nici‘ genannt, gegenüber. Dieser hatte sich bereits innerlich auf dieses Gespräch vorbereitet. Es war absehbar gewesen, dass Herr Kaiba noch auf ihn zukommen würde. Sollte sein Chef jedoch glauben, dass er sich von ihm einschüchtern ließe, läge er falsch. Er hatte sich vorgenommen, den jungen Mr. Wheeler ins rechte Licht zu rücken und Kaiba seine Meinung über dessen Verhalten gegenüber dem Blonden mitzuteilen. Ihm war es egal, wenn ihn das den Job kosten sollte. Seit nunmehr 22 Jahre arbeitete er für diese Firma. Er war zu alt und zu erfahren, um vor Kaiba klein beizugeben. „Herr Harumoto, ich wünsche mir von Ihnen eine umfangreiche Auskunft zu Joseph Jay Wheeler. Sie hatten die Aufsicht und die Verantwortung für Ihre Abteilung und ich gehe davon aus, dass Sie wussten, dass Herr Wheeler ohne meine Kenntnis bei Ihnen gearbeitet hat.“ „Das ist richtig.“ Herr Harumoto wich dem Blick des Jüngeren nicht aus. „Nun, dann komme ich gleich zur Sache: WARUM wusste ich davon nichts?“ Kaiba fixierte den anderen genau. Er hatte schon immer die Gabe gehabt, Lüge und Wahrheit bei den meisten Menschen voneinander zu unterscheiden. Nur in Bezug auf Joey schien ihn sein Bauchgefühl zurzeit im Stich zu lassen. „Weil mich Ihr Bruder darum gebeten hat.“ Seto atmete tief ein. Sein eigener kleiner Bruder wusste offensichtlich mehr darüber Bescheid, was in seiner Firma vor sich ging, als er selbst. „Was genau hat Herr Wheeler getan, während er hier war?“ „Ich verstehe nicht, Sir?“ Herr Harumoto sah ihn einen Augenblick verwirrt an. Für ihn war die Antwort offensichtlich. „Er hat gearbeitet.“ „Was genau hat er ‚gearbeitet‘? Haben Sie ihn etwa an einen der Rechner gelassen?“ Kaiba wartete ab. Irritiert suchte der Chef der Grafikabteilung nach den richtigen Worten. „Sicher. Er hat immerhin…“ Herr Harumoto stockte. Wie konnte er am einfachsten erklären, wie umfassend die Arbeit von Joey gewesen war? Er überlegte kurz. Dann setzte er erneut an. „Herr Kaiba, ich nehme an, Sie erinnern sich noch an die Probleme mit den Quellcodes und der schleppenden Übersetzung der Grafiken in eine ansprechende Spieloberfläche vor einigen Monaten?“ Kaiba nickte. Selbstverständlich wusste er davon. Diese Probleme hatten nicht nur ihn tage- und wochenlang an den Schreibtisch gefesselt. Es war eine zermürbende Zeit gewesen, in welcher er selbst seinen Bruder sträflich vernachlässigt hatte. Nachdem die Probleme gelöst waren, hatte er endlich den versprochenen Ausflug mit Mokuba machen können und … mit Joey bei einem Picknick Fußball gespielt. Unwirsch schob er die Erinnerung an diesen Tag beiseite. „Und?“ „Nun, Herr Wheeler hat diese Probleme gelöst“, schloss Herr Harumoto seine kurze Ausführung. Seto hielt inne und stellte fest, dass er Herrn Harumoto eventuell doch nicht die Leitung der Grafikabteilung hätte übertragen sollen. Offenbar war er leicht zu täuschen. Vielleicht hätten sie die Probleme vor ein paar Monaten gar nicht erst gehabt, wäre er in der Lage gewesen, kompetentes Personal von inkompetentem zu unterscheiden. „Herr Harumoto, dies liegt vollkommen außerhalb der Möglichkeiten von Joey Wheeler. Ich kenne ihn bereits seit Jahren. Er ist ein, wie ich zugeben muss, sehr guter Zeichner, aber ansonsten nicht unbedingt ein Genie. Schon gar nicht auf der Ebene der digitalen Grafik und Programmierung. Um Ihnen bei der Lösung der Probleme helfen zu können, hätte es einer umfassenden Kenntnis der von mir entwickelten Programmiersprachen bedurft. Ich denke, das hätte auch Ihnen klar sein müssen.“ Stirnrunzelnd betrachtete Herr Harumoto seinen Chef. Offenbar schien dieser Joey für unbedarft oder gar dumm zu halten. Eine Ansicht, die er augenblicklich richtig zu stellen gedachte. „Herr Kaiba. Vielleicht sollten Sie Ihre Meinung betreffend der geistigen und intellektuellen Fähigkeiten Joseph Jay Wheelers noch einmal überdenken.“ Gerade, als Kaiba ihn abermals unterbrechen wollte, fuhr Herr Harumoto ihm dazwischen. „Ich denke nicht, dass Sie mich eben richtig verstanden haben. Er hat uns nicht ‚geholfen die Probleme zu lösen‘ er hat sie ‚gelöst‘.“ Die Augen des Firmenchefs weiteten sich, drückten jedoch weiterhin ernste Zweifel aus. Da Herr Harumoto merkte, dass Kaiba ihn noch immer mit Unverständnis ansah, holte er weiter aus. „Herr Wheeler hat es nicht nur geschafft, binnen kürzester Zeit alle noch einzuspeisenden Grafiken zu digitalisieren, er hat sich auch um die Verbesserung der dazu verwendeten Programme gekümmert. Ihnen ist sicher aufgefallen, dass viele Programmverbesserungen, die Sie in den letzten Monaten erhalten haben, alle nahezu fehlerfrei waren. Ich schäme mich, es zuzugeben, aber bevor Herr Wheeler bei uns arbeitete, verging nur selten ein Meeting, in welchem wir nicht auf mindestens 5 Programmfehler gestoßen sind.“ Entgegen seiner sonstigen Art drehte Kaiba sich von seinem Gegenüber weg und begann eine kurze Strecke im Büro auf und ab zu laufen. Kurz ließ er sich das Gesagte durch den Kopf gehen. „Wann hat Herr Wheeler das erste Mal zu Ihnen den Kontakt gesucht?“ „Das war … vor ungefähr sieben Monaten. Er kam mit Herrn Mokuba Kaiba zu mir.“ „Aber warum…?“ „Nun, als ich ihn einmal dazu befragte, meinte er nur, er wolle helfen. Wem auch immer… Das wollte er nicht sagen.“ Herr Harumoto zuckte unbeholfen die Schultern. Damals hatte Joey ihn nur mit einem breiten Grinsen im Gesicht angesehen - ein klarer Hinweis, nicht weiter nachzuforschen. „Ich war vorher natürlich auch skeptisch und habe mich zunächst von seinen Fähigkeiten überzeugen wollen. Daher gab ich ihm einige Arbeitsaufträge, die er noch am selben Tag vor meinen Augen bearbeitete. Zu meiner vollen Zufriedenheit, wie ich hinzufügen möchte. Er hatte keine Hilfe.“ Abermals ging Kaiba ein paar Schritte. Krampfhaft rang er um Ordnung in seinen Gedanken. Er sah Harumoto an, dass er die Wahrheit sagte. Aber was war es dann, was er bisher übersehen hatte? Das, was Herr Harumoto erzählte und das, was er bisher über Joey zu wissen geglaubt hatte, passte nicht zusammen. Wo lag sein Denkfehler? In der Akte über Joey hatten auch dessen Zeugnisse gelegen. In beinahe jedem Zeugnis, außer denen der Grundschule, hatten seine Noten kurz vor „Versetzungsgefährdet“ gelegen. Langsam ging er nochmal alle Fakten durch. „Sie sagen, er hat die Programmcodes, die ich in den letzten Monaten erhalten habe, mit Ihnen gemeinsam entwickelt?“ Ein kurzes stolzes Lächeln huschte über das Gesicht von Herrn Harumoto. Es bezeugte, wie zugetan dieser Mann Joey bereits war. Innerlich schüttelte Seto den Kopf. Joey hatte durch seine Art schon immer ein sehr einnehmendes Wesen gehabt. Die beachtliche wachsende Anzahl seiner Freunde belegte diese Tatsache. „Nicht nur geholfen, Herr Kaiba. Er hat sie teilweise komplett im Alleingang entwickelt.“ „Aber dazu hätte er die Programmiersprachen kennen müssen. Mir liegen die Listen der Schulungen vor. Sein Name taucht nirgendwo auf.“ Herr Harumoto verlagerte sein Gewicht, nun doch etwas unsicher geworden, von einem Bein auf das andere. Selbst für ihn klang das Nachfolgende unglaubwürdig. Doch er hatte es mit eigenen Augen gesehen. „Er hat … die Sprachen gelernt, Herr Kaiba. Zu Hause. In einer Woche. Alleine.“ „Das ist unmöglich. Niemand lernt eine Programmiersprache dieser komplexen Art in nur einer Woche.“ Herr Harumoto räusperte sich. „Nun, er hat auch nicht nur eine gelernt … sondern beide.“ „Was?!“ Hätte man Kaiba erzählt, dass noch heute eine Rakete mit Eisbären an Bord und von Pinguinen gebaut zum Pluto aufbrechen würde, sein Unglaube hätte nicht größer sein können. /Der kleine Köter ist niemals in der Lage sich eine … zwei! so komplexe Programmiersprachen in nur einer Woche anzueignen!/ Ihm kam eine andere Idee. Eine, welche seinen ursprünglichen Verdacht des Verrates und des Hintergehens stützen würde. Er wusste nicht, ob ihm dieser Gedanke inzwischen sogar lieber wäre, als sich mit der Tatsache abfinden zu müssen, dass Joey ihm offensichtlich längst nicht so unterlegen war, wie er es gern glauben wollte. „Sind Sie sicher, dass er die Quellcodes selbst geschrieben hat? Er hätte sie von jemand anderem schreiben lassen und mitbringen können, um Sie auszutricksen und Ihr Vertrauen zu gewinnen.“ Herrn Harumoto fühlte sich durch diese Unterstellung tief in seiner Ehre verletzt. „Mit Verlaub, Herr Kaiba, ich bin nun schon 56 Jahre alt und arbeite bereits seit Jahren als Programmierer. Sie haben mich damals zum Chef der Grafikabteilung gemacht, weil Sie meine schnelle Auffassungsgabe und meine Mitarbeiterführung schätzten. Ich bitte Sie, mir zu vertrauen, wenn ich Ihnen sage, dass Herr Wheeler die Codes selbst verfasst hat. Ich konnte ihn, wie gesagt, selbst dabei beobachten. An einigen Codes haben wir auch gemeinsam gearbeitet. Außerdem hat er sich nicht nur mit der Programmierung befasst sondern zusätzlich auch noch einige der Grafiken beigesteuert. Er besitzt ein großes künstlerisches Talent. Ohne all diese Fähigkeiten und sein Engagement, Herr Kaiba, hätte ich ihn, trotz des Wunsches Ihres Bruders, nicht in meiner Abteilung arbeiten lassen.“ Der Firmenchef schüttelte entnervt den Kopf. „Gibt es Ihrer Meinung nach eigentlich auch irgendetwas, dass dieses scheinbare Allroundgenie NICHT zu tun in der Lage ist?“, verlangte Kaiba mit ironischem Unterton zu wissen. Der ältere Herr sah ihn ernst an. „Ja. Gibt es.“ Stumm wartete Kaiba auf die Einschätzung des Älteren. „Ich staune, Herr Kaiba, dass Sie das nicht schon selbst erkannt haben…“ Mit einer herrischen Handbewegung forderte Kaiba ihn zum Weitersprechen auf. „Herr Wheeler ist ein Mensch, der nicht in der Lage ist, zu seinen eigenen Fähigkeiten zu stehen. Warum auch immer… er lehnt Anerkennung, Dankbarkeit oder Bewunderung in Zusammenhang mit seinem Können strikt ab.“ Stirnrunzelnd dachte der Firmenchef an die zwei Einsen von Joey, über die er vor einiger Zeit durch Zufall in der Schule gestolpert war. Im Stillen musste er zugestehen, dass Harumotos Einschätzung wahrscheinlich nicht ganz falsch war. Wäre Joey wirklich ein solch schlechter Schüler gewesen, wie er nach außen hin zu sein schien – hätte er dann nicht allen Freunden und Klassenkameraden seine Einsen unter die Nase gerieben? Stattdessen hatte er gereizt darauf reagiert, als er ihn vor ein paar Wochen auf seine gute Note angesprochen hatte. „Sie können wieder zu Ihrem Meeting, Herr Harumoto. Bitte halten Sie sich jedoch vorerst noch im Gebäude auf, sollte ich Sie heute noch einmal benötigen.“ Herr Harumoto verbeugte sich kurz. „Herr Kaiba, wenn Sie mir noch erlauben, Folgendes hinzuzufügen … Sie haben nicht danach gefragt, aber ich denke, dass es auch in Ihrem Interesse ist, wenn ich Ihnen sage, dass Herr Wheeler seit nunmehr drei Tagen nichts anderes getan hat, als, ebenso wie alle anderen in dieser Firma, ein Mittel gegen den Virus zu suchen. Aus Ihrem gestrigen Auftreten schließe ich, dass sie Herrn Wheeler im Verdacht haben, etwas mit der Verbreitung des Virus zu tun zu haben. Ich vertraue meiner Menschenkenntnis und versichere Ihnen, dass Herr Wheeler nichts damit zu tun hatte. Und bitte gestatten Sie mir noch zu sagen, dass ich nie einen fähigeren Mitarbeiter hatte, als Joseph Jay Wheeler. Guten Tag.“ Kaiba ließ seine Rede unkommentiert. Doch gerade, als er sich umdrehen wollte, kam Seto ein weiterer Gedanke. „Herr Harumoto…“ „Hm?“ „…“ Kaiba wusste die Antwort bereits, bevor er sie stellte, trotzdem wollte er sicher gehen. „Meine Buchhaltung hat keinen Geldtransfer auf das Konto von Herrn Wheeler feststellen können. Daher frage ich mich …“ Herr Harumoto unterbrach ihn augenblicklich. „Nein.“ Fragend sah Kaiba seinen Angestellten an. „Er hat kein Geld von mir erhalten. Soweit ich weiß, hat auch Ihr Bruder ihm nie Geld gegeben. Er hätte es nicht gewollt. Ich sagte bereits, er lehnte Anerkennung und Dankbarkeit – egal in welcher Form – ab. Wobei ich auch nicht weiß, inwiefern Ihrem Bruder wirklich bewusst war, was Herr Wheeler zu leisten imstande ist. Ich habe Joseph lediglich hin und wieder auf ein Mittagessen einladen können. Mehr wollte er nicht annehmen. Wie gesagt, er wollte helfen und wenn ich ihn richtig einschätze, wäre es für ihn wohl keine Hilfe gewesen, wenn er Geld genommen hätte.“ Mit diesen Worten verließ Herr Harumoto den Raum. Nachdenklich verweilte Kaiba noch ein paar Augenblicke in dem nun leeren Raum, ehe er sich auf den Weg in sein eigenes Büro machte. Dort ließ er sich, gefangen in seinem eigenen Gedankenstrom, in seinen Stuhl sinken und schloss erschöpft die Augen. Durch die Akte hatte er erfahren können, dass Joey seit dem Tod seiner Eltern allein in der kleinen Wohnung lebte. Die Miete schien er sich mit einem kleinen Job in einem Supermarkt zu verdienen. Ein Nebenjob, da er noch Schüler war, aber nicht unüblich. Dennoch... „Nicht einen Yen … Warum wolltest du kein Geld, Joey? Du hättest es gebrauchen können …“, überlegte der Firmenchef leise murmelnd. Unbewusst griff er in sein rechtes Schubfach und zog die blaue Kiste hervor, in welcher sich noch immer die zwei Geschenke von Joey befanden. Sorgfältig hob er den Deckel an, stellte ihn neben der kleinen Kiste ab und starrte auf den braunen und weißen Stoffstreifen. Vorsichtig strich er mit der rechten Hand, vollkommen in Gedanken versunken, über die weiche Seide. /Was hatte Joey zu Herrn Harumoto gesagt? Er hatte ‚helfen‘ wollen? Wem helfen? Mokuba? Mir? Oder der Firma? Warum?/ Es gab nur zwei Personen, die ihm auf diese Frage gegenwärtig eine Antwort geben konnten. Nur einer vertraute er davon zurzeit so sehr, dass er diese augenblicklich aufsuchen und befragen würde. Er hatte ohnehin noch eine ganze Legebatterie an Hennen mit Mokuba zu rupfen. Entschlossen trat er nach nur einer halben Stunde Aufenthalt in der Firma den Heimweg an. Die Angelegenheit war zu wichtig, als dass er sie am Telefon mit Mokuba besprechen wollte. Er wollte lieber das Gesicht des Kleineren vor sich sehen, da auch sein kleiner Bruder anscheinend gelernt hatte, ihn ohne rot zu werden anzulügen. Kapitel 23: Ein Hühnchen zu rupfen? ----------------------------------- Sorry, dass das neue Kapitel diesmal so lange auf sich warten ließ. Nächstes Mal gehts wieder schneller - zumindest werde ich es versuchen. ^_^* @Sy: Hi. ^_^ Da liegst du vollkommen richtig. In der Grundschule stehen viele noch 1 und sind dann auf einmal dreier oder vierer Kandidaten. *lach* Mir gings damals auch so. ^//^ Aber ich habe mich irgendwann gefangen. Ein reiner 1er wurde ich aber nie wieder. 1en, 2en und 3en waren bei mir immer gleichmäßig gut vertreten. *lach* Tja und was Seto anbelangt... der lichte Moment wird schon noch kommen, aber in Kapiteln gesehen dauert es noch ein bisschen. Ich glaube, man muss sich einfach vor Augen führen, dass das, was da gerade passiert, binnen 2-3 Tagen abläuft und so gesehen prasseln alle neuen Infos förmlich auf Seto ein. Lass ihm Zeit - er wirds bald verstehen. *G* @Closer: *G* Ich mag Nici auch. Ist zwar nur ein Randcharakter aber solche Leute braucht es im Leben. Allerdings sind die Wenigsten so charakterstark - meist ältere Mitarbeiter, die sich ihren Stand bereits erarbeitet haben, selbstsicherer sind und nicht mehr all zu viel zu verlieren haben. *g* @Lunata: Also ich kann dir sagen dass, ... *nachzähl* ... Kapitel 32 ganze 11 Seiten umfasst. ^_^ Aber bis dahin dauert es ja noch ein bisschen. ^.~ *fg* Aber du kannst dir sicher sein, dass ich mich MEHR als geehrt fühle, dass es dir mit meiner Story so geht. *freu* Und ich hoffe natürlich, dass ich dem weiter gerecht werden kann. Das nächste Kapi kommt auch bestimmt wieder eher. Ich versprechs. -_-* @Anyu: Hey... ich würd Joey nie anschreien. *grmbl* Oder meintest du Seto? *denk* Naja... Was Moki anbelangt, hatte der ja, so süß wie er auch ist, ja schon immer seinen eigenen Kopf. Und ich denke ja persönlich, dass er einer der Einzigen ist, der Seto die Stirn bieten kann. Mit deeeen Hundeaugen. @Astera: Habe dir ja schon ein bisschen was verraten. ^_^ Aber hier noch eine Kleinigkeit: Tome habe ich tatsächlich nur erfunden - kommt im Anime oder Manga nicht vor. Allerdings im realen Leben, da Konkurrenz ja bekanntlich das Geschäft belebt und es meist mehrere große Firmen auf dem Markt gibt, die ein Produkt anbieten - Spielzeug. Nici scheint ja bei vielen viel Beifall auszulösen. ^_^* Tjaja... Dadurch ist er mir inzwischen auch sehr sympathisch. Er war von Anfang an mit dieser Persönlichkeit von mir konzipiert worden, aber er ist halt nur ein Nebencharakter... Erstaunlich, dass ihn viele anscheinend mögen. Tja und was Moki anbelangt, weißt du ja inzwischen auch schon bescheid... ^.~ Melde mich morgen wieder bei dir... @Rockryu: Och mensch.... Alle unterstellen dem armen Kaiba auf dem Schlauch zu stehen. ;_; Macht er aber gar nicht. Immerhin hat Joey ja auch alles getan, um.... Ach. Das lass ich mal noch. Aber bitte nicht vorschnell urteilen. ^_^ Alle Infos, die er gerade bekommt, erhält er binnen 2-3 Tagen. Diese plötzliche Informationsflut will erstmal verarbeitet werden, vor allem, wenn man vorher etwas ganz anderes dachte. *g* Viel Spaß beim Lesen! ________________________________________________________________________________ „Bruder! Was machst du denn schon wieder hier? Habt ihr das Problem gelöst?“ Überrascht begrüßte ihn der Kleinere, welcher vor einigen Sekunden noch telefoniert haben musste, denn gerade verschwand sein Handy in einer seiner Hosentaschen. Nicht weiter darauf achtend, führte Kaiba seinen Bruder in das Wohnzimmer. Es war groß und geräumig, bot jedoch genügend Nischen, um sich zurückzuziehen oder ein vertrauliches Gespräch in einer der Ecken zu führen. Der Firmenchef war von jeher misstrauisch gewesen und hatte das gesamte Haus schon vor Jahren nachträglich schallisolieren lassen, um ungebetene Zuhörer fernzuhalten. Selbst dem Hauspersonal, außer Niles, traute er nicht vorbehaltlos. Wäre es anders, wäre er heute nicht da, wo er inzwischen war. Auf dem Weg nach Hause hatte er bereits zahlreiche Möglichkeiten gegeneinander abgewogen, wie er das Thema zur Sprache bringen sollte. Wäre sein kleiner Bruder vor einer halben Stunde bei ihm in der Firma gewesen, hätte er ihn vermutlich zusammengestaucht – doch die kalte Luft draußen und die Fahrt hierher hatten ihm zu einem klaren Kopf verholfen. Es half nichts, seinem Bruder für sein unbesonnenes Handeln hinter seinem Rücken zu maßregeln. Der Schaden war bereits angerichtet. Und so, wie er seinen Bruder kannte, hatte er nichts Böses im Sinn gehabt. Dennoch galt es, mehr über diese Angelegenheit herauszufinden und wie es zu diesem ganzen Dilemma, in dem er nun steckte, überhaupt gekommen war. Genau an diesem Punkt setzte daher auch sein Gespräch an. „Mokuba. Ich muss mit dir dringend über Joey reden.“ Streng sah er auf seinen kleinen Bruder. Auch wenn er Mokuba nicht die Schuld an all dem gab, wollte er doch, dass sein Bruder sich bewusst wurde, dass er etwas Falsches getan hatte. Ein flüchtiger Griff zur Hosentasche, in welcher kurz zuvor das Handy verschwunden war, war zunächst die einzige Reaktion von Mokuba. Kaiba setzte erneut an. „Ich will, dass du mir Rede und Antwort stehst, denn ich habe gestern einige Dinge erfahren, die …“ Kurz suchte Kaiba nach Worten. „… nun sie sind sehr wichtig.“ Alles zu erklären, hätte zu lange gedauert. Sein Bruder blickte ihn ernst und entschlossen an. Der Körper des Kleineren spannte sich. Allein diese wachsame, verteidigungsbereite Haltung machte deutlich, dass Mokuba sich seines ‚Verrats‘ vollkommen bewusst war, jedoch nicht vorhatte, irgendetwas freiwillig preiszugeben. Kaiba stieß einen tiefen Seufzer aus. Man sah es ihm nicht an, doch Mokuba hatte einen ähnlich großen Dickkopf wie der Firmenchef. „Mokuba, ich habe gestern erfahren, dass Joey bereits eine lange Zeit Zugang zu den Räumlichkeiten meiner Firma hatte. Du wusstest davon.“ Der Schwarzhaarige leugnete es nicht. „Man sagte mir, dass du es warst, der ihm den Zugang ohne mein Wissen sogar erst ermöglicht hat.“ Abermals nur ein Nicken. „Wie kam es dazu, Mokuba?“ Man sah Mokuba an, dass er mit sich kämpfte, doch schließlich gab er nach. Wahrscheinlich konnte er an der Haltung seines Bruders sehen, wie wichtig seine ehrliche Antwort war. „Vor ungefähr acht Monaten haben Joey und ich uns getroffen. Nur so. Zum Spaß. Wir wollten in den Park. Du hattest keine Zeit.“ Es war eine Feststellung. Kein Vorwurf klang in der Aussage von Mokuba mit. „Wir unterhielten uns über alles Mögliche, haben Fußball gespielt. Du weißt schon.“ Er zuckte die Schultern. „Irgendwann kamen wir natürlich auch auf dich zu sprechen. Ich erzählte ihm, wie wenig Zeit du für mich hast.“ Dass Joey ihm wiederum mitteilte, dass er zu gern mal ein Fußballmatch gegen Kaiba spielen wollte, verschwieg er seinem großen Bruder. „Jedenfalls hat er gefragt, warum du denn so wenig Zeit hast und da habe ich ihm das von den ganzen Softwareproblemen erzählt und dass viele der neuen Kartenmotive noch nicht fertig sind. Und dass du deshalb auch nur im Stress bist und immer müde und genervt und so… Er bot seine Hilfe an. Er meinte, er wisse, wie schade es sei, wenn man nicht viel Zeit mit seinen Geschwistern verbringen könne. Zuerst dachte ich, dass er das nur gesagt hat, um mich aufzumuntern. Jedenfalls sind wir danach zu uns gegangen. Wir haben nicht weiter über das Thema gesprochen aber am nächsten Tag rief er dann an und meinte, er hätte eine Idee, wie er dir ein bisschen unter die Arme greifen könne. Ich wusste ja, wie gut er zeichnen kann und dachte mir, dass seine Ideen in der Grafikabteilung bestimmt gut ankommen würden. Also habe ich ihn Herrn Harumoto vorgestellt.“ „Und dann?“ Mokuba druckste ein wenig herum, ehe er zugab, dass er Herrn Harumoto tatsächlich darum gebeten hatte, seinem großen Bruder nichts von Joey zu erzählen. „Ich dachte halt, dass du dich sowieso nur aufregen würdest. Damals hast du dich ja ständig mit ihm gestritten und warst sowieso schon im Stress. Herr Harumoto und Joey haben sich jedenfalls gleich gut verstanden. Joey hat ihm ein paar von seinen Entwürfen gezeigt und er fand sie toll.“ Beinahe trotzig setzte Mokuba noch hinzu: „Wenn die Zeichnungen nicht gut gewesen wären, hätte Herr Harumoto ihn sicher nicht dabehalten. Und immerhin haben dir doch seine Zeichnungen geholfen, oder?“ „Seine Zeichnungen?“ Fragend wanderte eine Augenbraue von Kaiba nach oben. Mokuba wollte gerade etwas sagen, als ihm scheinbar eine bessere Idee kam, er aufsprang und in sein Zimmer lief. Zwei Minuten später kehrte er mit einem Stapel Karten zurück. Triumphierend drückte er sie Kaiba in die Hand. Es waren die ersten Drucke der neuen Kartenserie, die er in den letzten Monaten angefertigt hatte. Mokuba bekam die fertigen Exemplare immer zuerst zu Gesicht. Ihm oblag die letzte Entscheidung darüber, ob sie so in die Serienproduktion gehen sollten. Der junge Kaiba hatte in dieser Hinsicht ein sehr gutes Gefühl. Oben auf dem Stapel lag der Troll, der hinter einem Stein hervor lugte. Das Bild, an dem er erst vor kurzem nochmal kleinere Veränderungen vorgenommen hatte. Kurz nur ging er die Karten einmal durch, ehe er Mokuba weiterhin fragend ansah. Dieser deutete mit einem breiten begeisterten Grinsen auf die Karten. „Viele der Bilder sind von Joey entworfen worden. Der Troll zum Beispiel. Er hat mir die ersten Entwürfe in seinem Skizzenbuch vorher gezeigt. Ich wusste ja, dass er gut zeichnen kann, aber er hat auch ein gutes Gespür für das Thema der Karten. Und ich denke wirklich, dass er Herrn Harumoto und somit ja auch dir, sehr geholfen hat.“ Kaiba konnte den Groschen fallen hören. Eine kleine Szene, wie er sie vor ein paar Wochen gesehen hatte, lief noch einmal vor seinem inneren Auge ab. Joey, wie er zu spät zum Unterricht kam und beinahe einen Unfall mit seinem Fahrrad baute. Besagte Person war es auch, die ihm kurz darauf einen Umschlag übergeben hatte, der an ihn persönlich adressiert war. Damals hatte Joey ihn mit seinem ganzen verdrehten Gerede davon abgebracht, weiter nachzuforschen, woher er den Umschlag gehabt hatte. Nun war es klar. Denn in diesem Umschlag hatten sich weitere Zeichnungen für das vor ihm liegende Deck befunden. In Anbetracht dessen, dass Mokuba sich ganz sicher war, die Zeichnungen vorab in Joeys Skizzenblock gesehen zu haben, ging er davon aus, dass der Umschlag von dem Blonden selbst gewesen war und er ihn Kaiba eigentlich anders hatte untermogeln wollen. /Wenn ich an diesem Morgen nicht so lange draußen gewesen wäre, hätte ich Joey nicht kommen sehen. Der Umschlag wäre mir nie aufgefallen. Wahrscheinlich wollte er ihn ursprünglich Herrn Harumoto geben, damit er ihn weiterreicht. Aber da er befürchten musste, dass ich die Adresse vielleicht entdeckt hätte… Verflucht noch eins, der Kleine ist gut!/ Innerlich ungläubig den Kopf schüttelnd, dachte der Braunhaarige weiter nach. Grübelnd sah er Mokuba an, ehe ihm ein weiteres Licht aufging. Sicherheitshalber hakte er jedoch noch einmal nach, ehe er abermals voreilige Schlüsse zog. „Er hat nur Bilder gemalt?“ Verwirrt sah Mokuba ihn an, ehe er diese zusammenfassenden Worte bestätigte. „Ja. Die da.“ Abermals deutete der Schwarzhaarige auf einige der Karten. „Nicht mehr?“ „Wie? Nein. Nicht mehr. Warum?“ „Also auch du…“, murmelte Kaiba leise und beendete den Satz in Gedanken /… wusstest nicht, was er noch alles getan hat./ Auf eine merkwürdige Art beruhigte ihn diese Feststellung. Offensichtlich hatte Joey nicht nur ihn erfolgreich über seine Fähigkeiten getäuscht. Er wunderte sich inzwischen nicht mehr, dass Joey auch bei der Erstellung der zahlreichen Grafiken noch mehr seine Hand im Spiel gehabt hatte, als Herr Harumotos Aussagen hatten vermuten lassen. Gab es überhaupt einen Bereich in seiner Firma, in dem Joey noch nicht seine Finger mit im Spiel gehabt hatte? /Ich frage mich, ob Yugi und die anderen davon wissen?/ Grübelnd sah Kaiba auf seinen Bruder. Für ein paar lange schweigsame Sekunden, sagte niemand etwas. Auch hinter Mokubas Stirn, schien es zu arbeiten. Er war es auch, der nach einem weiteren fahrigen Griff in seine Hosentasche, seine Arme verschränkte und die Stille mit seiner Stimme durchbrach. „Bruder? Du denkst doch nicht etwa, dass Joey für den Virus verantwortlich ist, oder?“ Die Augenbrauen empört zusammengezogen, sah er finster zu dem Älteren. Dieser fuhr sich fahrig durch die Haare, ehe er seufzend eingestand: „So sieht es zurzeit zumindest aus.“ „Du spinnst!“, teilte ihm Mokuba klipp und klar mit. „Joey wäre dazu gar nicht in der Lage!“ „Das dachte ich bis vor ein paar Tagen auch noch. Doch anscheinend ist Joey intelligenter, als man annehmen möchte und…“ „Darum geht es doch gar nicht!“, ereiferte sich Mokuba. „Ich meinte nicht, dass ich ihm nicht zutraue, dass er tatsächlich so einen Virus entwickeln und einspeisen könnte. ICH habe dir schließlich schon die ganze Zeit gesagt, dass du Joey nicht immer ‚dummer Köter‘ nennen sollst! Was ich meine, war aber, dass Joey das gar nicht… nun ja… er mag dich halt. Das könnte er also gar nicht.“ Setos Herz schlug bei diesen Worten unwillkürlich schneller. Er achtete nicht darauf. Stattdessen wanderten seine Augenbrauen ein paar Millimeter nach oben. „Dann hat er aber eine merkwürdige Art, einem das zu zeigen.“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung überging Mokuba den Einwurf seines großen Bruders. „DU benimmst dich ihm gegenüber ja auch nicht gerade wie ein Engel auf Erden.“ Das war ein Punkt für Mokuba. Doch Kaiba sah nicht ein, jetzt schon klein bei zu geben. „Das mag stimmen. Fakt ist allerdings, dass er mich hasst. Das hat er mehr als nur einmal klargestellt.“ Der Schwarzhaarige verdrehte die Augen. „Ach ja? Und wann genau hat er das gesagt?“ Gerade, als Kaiba ihm die Antwort auf den Kopf zusagen wollte, hielt er inne. /Ja. Wann eigentlich? Er hat es eigentlich nie…/ Triumphierend sah Mokuba in das grübelnde Gesicht seines Bruders. „HA! Nämlich nie! DU hast es immer nur ANGENOMMEN, großer Bruder! Joey hasst dich nämlich gar nicht. DU warst es doch, der MIR immer gepredigt hat, ich solle mich bei meiner Meinungsbildung immer auf klare sachliche Fakten verlassen.“ Energiegeladen warf der junge Kaiba seine Hände nach oben. „Mensch Seto, da will dir einmal jemand wirklich helfen, und DU VERDÄCHTIGST ihn auch noch, dir einen Virus untergejubelt zu haben? Und dann auch noch ausgerechnet Joey!“ „Er wäre nicht der Erste, der versucht sich mein Vertrauen zu erschleichen“, wehrte Seto den Vorwurf seines Bruders konsequent ab. Mokuba schnaubte verächtlich. „Ach? Und wie bitte, wollte er dein Vertrauen denn ‚erschleichen‘? Etwa als er dir NICHT gesagt hat, dass er dir hilft? Oder etwa, wenn ihr euch gegenseitig mit Sprüchen belegt habt? Tut mir leid, großer Bruder – aber die Schleimer, die an dein Geld wollen oder Schlimmeres im Sinn haben, würden da mit Sicherheit anders vorgehen, meinst du nicht?“ Die Argumente, die der Schwarzhaarige aufführte, waren nicht von der Hand zu weisen. Kaibas Gedanken wanderten zu einem Gespräch vor ein paar Monaten zurück. ~~~~~~~~~~~~~ „Kaiba! Wenn du glaubst, du kannst alles besser, irrst du dich!“ „Ich irre mich nicht, Köter, glaube mir. Ich KANN nicht nur alles besser als du es jemals können wirst, sondern ich BIN auch besser als du!“ „Soooo? Wie wäre es dann mit einer Runde Fußball oder Basketball? Klar, in Duel Monsters bist du besser als ich, aber das ist auch das Einzige!“ „Für solche Spielereien habe ich keine Zeit, Streuner. Mag sein, dass du den ganzen Tag Fang-den-Ball spielen kannst, ich hingegen habe eine Firma zu leiten und muss arbeiten.“ „Du würdest also spielen, wenn du weniger Arbeit hättest?“ “Wenn ich weniger Arbeit hätte, Wheeler, würde ich nicht nur spielen sondern dich auch noch besiegen!“ „Gut!. Dann werde ich dir bei deiner Arbeit helfen und danach spielen wir was und DU wirst verlieren!“ „Nun gut, Hundchen! Sollte ich jemals eine Woche lang weniger als 20 Stunden am Tag arbeiten müssen, werde ich dir meine freie Zeit gerne mit einem kleinen Spiel versüßen, bei dem DU der Verlierer sein wirst.“ „Gut. Einverstanden.“ ~~~~~~~~~~~ Wann war das Gespräch gewesen? Kaiba versuchte sich zu erinnern. Es mussten seitdem ungefähr 8 bis 9 Monate vergangen sein. Damals hatte er geglaubt, dass es sich bei der Ankündigung von Joey nur um leere Worte gehandelt hatte. Doch er hatte ihm tatsächlich geholfen. Und auch wenn er sein bisheriges Bild von Joey und das, welches gerade erst in der Entstehung begriffen war, noch nicht recht miteinander in Vereinbarung bringen konnte, wusste er doch, dass es stimmte. Und er war tatsächlich von dem kleinen Köter beim Fußball besiegt worden. Ein weiterer Verdacht keimte auf. „Mokuba.“ „WAS?!“ Noch immer aufgebracht starrte der Kleinere ihn an. „Willst du jetzt das Thema wechseln?“, erkundigte er sich trotzig. Kaiba ging nicht näher darauf ein. „Du wusstest, dass Joey an dem Tag im Park sein würde, oder?“ Wenigstens besaß sein Bruder diesmal den Anstand, rot zu werden. „Woher?“ Mokuba zuckte die Schultern. „Joey ist immer im Park. Keine Ahnung warum, aber Serenity hat es mir mal erzählt. Sie meinte, er malt dort gerne. Ich hatte einfach gehofft… Er wollte halt gern mit dir Fußball spielen und da er dir ja schon irgendwie geholfen hat, dachte ich halt, dass ich ihm ein bisschen was von meiner Zeit mit dir abgeben könnte. Aber er selbst wusste damals nichts davon.“ Setos Stirn glättete sich langsam. Seine Augen wurden milde. Leicht belustigt sah er seinen kleinen Bruder an. „Soso. Meine Zeit ist also inzwischen schon zu einem begehrten Handelsgut geworden, das man großzügig an kleine streunende Hunde abgegeben kann, ja?“ „Hmmm.“ Mokuba sagte nichts weiter dazu. Er bat seinen Bruder nur um eins: „Seto, ich weiß nicht, wer dich auf die Idee gebracht hat, Joey könnte irgendwas mit dem Virus zu tun haben. Aber wer es auch gewesen sein mag, ich glaube das nicht. Er hätte das in all den Monaten doch schon längst tun können, wenn er gewollt hätte, oder? Keine Ahnung, was du ihm vielleicht schon alles an den Kopf geworfen hast, ich weiß ja, wie du sein kannst. Aber Joey ist wirklich nett und würde dich nie… Entschuldige dich bei ihm, ja Seto?“ Kapitel 24: Ist der Ruf erst ruiniert... ---------------------------------------- @Nana-Tan: Hi! Danke für deinen Kommi. ^_^ Wie das mit kleinen Geschwistern ist, kann ich leider nicht sagen, da ich selbst nur einen großen Bruder hatte. *g* Und ich kann nicht behaupten, dass er mir alle Wünsche von den Augen abgelesen hätte. Aber es gibt sicher solche Verbindungen und Umstände, die dazu führen, dass Geschwister ein Herz und eine Seele werden. *lach* Na mal sehen, was Mokubas eindringliche Worte gebracht haben. ^.~ @Lunata: Immer besser? Danke. ^_^ Hoffentlich warst du nicht all zu verzweifelt, habe mich mit der neuen Veröffentlichung wirklich beeilt. Was Joey angeht, glaube ich ja persönlich, dass der ihm so Einiges durchgehen lassen würde, ehe ihm der Geduldsfaden reißt. *smile* Immerhin kennt er Seto ja nicht erst seit gestern... ^.~ @LeaGreywolf: Wow! Danke für deinen sehr langen Kommi. *freu* Schön, dass dir die Geschichte gefällt. Aber ich hoffe, du verzeist mir, wenn ich dir sage dass ich bemüht bin, dich noch ein wenig weiter zu verärgern und die Spannung aufrechterhalten will. ^_^* Tja und was Seto angeht... Ein Genie was Daten, Fakten und Wissenschaft und Ähnliches anbelangt, mag er ja durchaus sein ... aber du wirst mir wohl nicht widersprechen, wenn ich sage, dass er kein Genie auf der Ebene zwischenmenschlicher Gefühle ist. *lach* Die Einzigen Gefühle, mit denen er sich vermutlich im täglichen Geschäftsleben rumschlagen muss, sind Missgunst, Neid, Verrat und Wut. ^.~ Kein Wunder also, dass er Joeys Verhalten zunächst nicht einordnen kann und auf der langen Leitung steht. @Closer: Jip, da hast du recht. Mokuba steht seinem Bruder in nichts nach - gleichwohl er den Niedlichkeits-Faktor eindeutig als zusätzlichen Pluspunkt auf seiner Seite verbuchen kann. @Rockryu: Und wovon träumst du nachts? *fg* Seto und sich entschuldigen? Er mag seinen Bruder ja lieben, aber ob das schon ausreicht... ? Warten wir es ab. *g* Allen Lesern viel Spaß beim nächsten Kapitel.... ^_^ _________________________________________________________________________________ **********kurz zuvor bei Joey********** Inzwischen waren einige Stunden seit seinem Verweis aus der Firma und damit auch indirekt aus Kaibas Leben vergangen. Joey war sich darüber im Klaren, dass, wenn die Schule nach dem Wochenende wieder begann, er von Kaiba vermutlich geschnitten werden würde. Sie hatten sich aus Kaibas Sicht in diesem Leben nie gut verstanden, aber es hatte immer die kleinen zahlreichen Streitereien zwischen ihnen gegeben. Aus Erfahrung wusste er jedoch, dass Kaiba Menschen, die seiner Ansicht nach sein Vertrauen missbraucht hatten, ignorierte und mit Verachtung strafte. Eine Eigenschaft, die er sich über Jahrtausende hinweg bewahrt hatte. Ein schmales Lächeln zuckte über Joeys Gesicht. Er konnte ihm keinen Vorwurf machen, dass er ihm so sehr misstraute. Immerhin hatte er sich bewusst dafür entschieden, unerkannt in seiner Firma zu arbeiten. Betrachtete man die Fakten, hätte wohl jeder sein Vorgehen als verdächtig empfunden. Diese sachliche Betrachtung der Umstände vertrieb allerdings nicht die Schmerzen in seiner Brust. Schon seit einigen Stunden hatte er immer wieder das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Immer wieder dachte er an den Tag im Park, an das Feuerwerk und die gemeinsamen ausgelassenen Minuten im Pool des Kaiba Anwesens. Abermals zog sich sein Herz zusammen. /Ich sollte das lassen. Nur in der Vergangenheit zu leben, ist schmerzhaft und führt ohnehin zu nichts. Wenn ich etwas ändern will, muss ich es in der Gegenwart tun./ Joey lehnte sich zurück und starrte auf den Bildschirm vor sich. Er musste dringend den Verursacher für all die Probleme finden. Vielleicht war er nicht in der Lage, Setos Vertrauen wiederzuerlangen, aber er würde alles daran setzen, diesen Virus aufzuhalten, bevor er die komplette Kaiba Corporation vernichtete. /Vernichten? Aber natürlich! Ich habe bisher in die vollkommen falsche Richtung gedacht …/ Augenblicklich öffnete der Blonde ein weiteres Fenster auf seinem Bildschirm. Fakt war, dass dieser Virus dazu tatsächlich in der Lage wäre. Egal wie einfach er auch gestrickt war, er war nicht unsichtbar genug, um tatsächlich von der Firewall der Firma nicht bemerkt zu werden. Er konnte nicht als Anhang einer Mail oder durch das Anklicken einer falschen Internetseite versehentlich in das Netzwerk geraten sein. Jemand musste ihn bewusst installiert haben und das ging nur, wenn dieser Jemand Zugang zu den Firmenrechnern gehabt hatte. /Soweit ich weiß, springt der Virus von einem Netzwerk ins nächste. Aber als er entdeckt wurde, waren bereits fünf Abteilungen betroffen. Wäre der Virus nur auf einem Computer installiert worden, hätte er zunächst höchstens eine Abteilung lahm legen können. Aber in dem Fall hätte man ihn viel früher entdeckt und vielleicht noch aufhalten können. Das bedeutet, wer auch immer das getan hat …/ Schnell tippte er eine Reihe von Befehlen in seinen Computer. Es handelte sich um kein neues Modell und der Rechner reagierte etwas langsam, dafür war er jedoch nicht mit den Rechnern in der Firma vernetzt. Nun erwies sich auch das regelmäßige Update rings um die Virendaten als Vorteil. Nach ein paar Minuten Wartezeit verlangte sein Computer endlich nach dem Stick und Joey konnte sich an die Arbeit machen. Er benötigte nur wenige Augenblicke, um die betreffenden Daten auszuwerten. „Gefunden.“ Zufrieden lehnte Joey sich zurück. Neben drei Abteilungen aus dem Service waren auch zwei Abteilungen aus der Grafik als erste betroffen gewesen. Das vor ihm liegende Programm hatte genau aufgezeichnet, in welcher Reihenfolge die einzelnen Abteilungen vom Virus lahmgelegt worden waren. Wer auch immer das Virus verbreitet hatte, hatte sich sowohl im Service als auch in der Grafikabteilung Zutritt verschafft. Er nahm an, dass das Virus am Abend vor den ersten Ausfällen eingeschleust worden war oder am Morgen des betreffenden Tages. Ein entschlossener Zug umspielte seinen Mund. Ohne weiter zu überlegen griff er sich einen anderen Stick, seinen Rucksack und die Haustürschlüssel. Während er noch dabei war, die Wohnung abzuschließen, zückte er sein Telefon und kontaktierte Mokuba. „Mokuba Kaiba?“ „Hi Moki. Wo ist dein Bruder gerade?“ „Wie? Seto? Ich nehme an in der Firma.“ Joey stieß einen leisen Fluch aus, schnappte sich derweil aber dennoch sein Fahrrad und schwang sich auf den Sattel. „Gut, danke Mo…“ Gerade als er auflegen wollte hielt Mokuba ihn nochmal zurück. „Oh. Ich habe ihn gerade kommen gehört. Joey … ich habe von Herrn Harumoto gehört, dass …“ „Sorry Mokuba. Ich erkläre dir alles später. Bitte sag Seto nicht, dass ich angerufen habe, ja?“ „Gut. Ich muss auflegen. Er kommt gleich rein.“ Joey steckte sein Handy in seine Hosentasche und steckte seine ganze Kraft in die Pedale. Es würde keinen besseren Augenblick geben, um ein paar kurze Nachforschungen anzustellen. Seto benötigte eine geschätzte Stunde, um von seinem Anwesen wieder zur Firma zu kommen. Wenn er Seto richtig einschätzte, wollte er sich mit seinem Bruder über die Umstände seiner Mitarbeit erkundigen. Welchen anderen Grund gab es sonst für den Firmenchef, sich um diese Tageszeit wieder auf den Weg nach Hause zu begeben? Er war froh, dass er Mokuba nie offenbart hatte, was er tatsächlich zu leisten imstande war. Immerhin wollte er Mokuba nicht in Schwierigkeiten bringen. Es wäre nicht fair gewesen, sich zwischen der Loyalität gegenüber seinem Bruder und seiner Freundschaft ihm gegenüber entscheiden zu müssen. Somit konnte Mokuba nun mit Fug und Recht sagen, dass er von nichts eine nähere Ahnung hatte. Nur wenig später kam er am Firmensitz an. Nachdem er sein Rad vorsichtshalber in einer kleinen Seitenstraße angeschlossen hatte, sollte Seto doch eher wieder in die Firma kommen, betrat er das Firmengebäude. Ihm war klar, dass zahlreiche Angestellte bereits von dem Vorfall erfahren hatten. Tratsch, der in einem direkten Zusammenhang mit Seto stand, verbreitete sich für gewöhnlich rasend schnell. Dies war nur eine der Erfahrungen, die er während seiner Arbeit in dessen Firma gemacht hatte. Eine andere wichtige „Erfahrung“ war, die Bekanntschaft von ein paar der wichtigsten Mitarbeiter des Hauses zu schließen. Dankbar sah er auf die kleine Chipkarte in seiner Hand, die er sich vor ein paar Minuten von Frau Suzuki geborgt hatte. Diese würde er brauchen, um ungesehen an ein paar der wichtigsten Orte in dem Gebäude zu kommen. Kaum einer kannte die verwinkelten Gänge hinter den eigentlichen Büros. Gänge, die geschaffen worden waren, um den Reinigungskräften ein effizientes Arbeiten zu ermöglichen. Frau Suzuki war eine von ihnen. Er hatte sich bereits vor Monaten mit ihr angefreundet. Das verschaffte ihm nun einen unverhofften Vorteil, denn es ermöglichte ihm, zu seinem ehemaligen Arbeitsplatz zu gelangen, ohne vorher vom Empfangspersonal bemerkt zu werden. Ohne innezuhalten betrat er die Räumlichkeiten der Grafikabteilung und konnte bereits von weitem Herrn Harumoto sehen, der sich soeben über einen großen Zeichentisch beugte. Mitarbeiter, die ihn erkannten, sahen ihn erstaunt an. Man brauchte kein Genie zu sein, um zu bemerken, wie unwohl sie sich in ihrer Haut fühlten. Alle wussten, was geschehen war, vermutlich wollte ihn jeder trösten, doch gleichzeitig hatten sie Anweisungen, ihn sofort rauszuschmeißen, wenn er sich zeigte. Augenblicklich setzte Joey eine deprimierte Miene auf und trat mit einem traurigen Lächeln auf Herrn Harumoto zu. „Nici?“ „Joey!“ Sein ehemaliger Chef, Herr Harumoto, sah ihn ebenso verwundert an, fing sich jedoch schnell. Kurz sah er sich um, ehe er ihn für alle hörbar dazu aufforderte, den Raum wieder zu verlassen. „Joey, ich hatte heute bereits eine längere Unterredung mit Herrn Kaiba. Ich muss dich leider bitten, diese Räumlichkeiten zu verlassen und nicht wieder zu betreten. Aber ich nehme an, du wolltest nur noch deine Stifte abholen, die du gestern bei dem ganzen Theater hier liegen gelassen hast?“ Der Schwarzhaarige sah ihn mit gerunzelter Stirn an, wandte sich suchend an einen anderen Zeichentisch und schnappte sich wahllos zwei der dort liegenden Stifte. Joey nahm sie an und steckte sie in seinen Rucksack. Er wusste, dass es nicht seine Stifte waren und Herr Harumoto ebenfalls. „Komm. Ich begleite dich noch hinaus.“ Nici schob ihn, eine Hand an seinem Rücken, mit Nachdruck zur Tür hinaus. Für einen Moment gingen sie schweigend nebeneinander den Gang entlang und wandten sich in Richtung Fahrstuhl. Dort angekommen warteten sie einen Augenblick, ehe sie einstiegen. Kaum, dass sich die Türen geschlossen hatten, wandte sich Herr Harumoto mit ernstem Gesicht an den Blonden. Sie hatten nur sieben Stockwerke vor sich und daher nicht viel Zeit für Höflichkeiten. „Bist du für den Virus verantwortlich?“ Joey sah ihn ebenso ernst an und blickte ihm gerade heraus in die Augen. „Nein.“ Nici nickte. Er glaubte ihm. „Das dachte ich mir. Aber ich musste dich fragen. Ich nehme an, du bist aus einem bestimmten Grund hier?“ „Danke.“ Der Jüngere war erleichtert, dass wenigstens Nici ihm zu vertrauen schien. Er hatte darauf gehofft, aber sicher war er sich nicht gewesen. „Ich will herausfinden, wer den Virus tatsächlich hier eingeschleust hat. Ich bin nochmal alles durchgegangen und mir ist aufgefallen, dass es insgesamt fünf Abteilungen gab, in denen der Virus zuerst aufgetaucht ist. Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du mir die Login-Daten aller Rechner dieser Abteilungen besorgen könntest. Ich muss wissen, wer am Morgen oder am Tag, bevor das Virus aktiv geworden ist, an den Rechnern gesessen hat. Das Virus wurde definitiv manuell eingeschleust.“ „Das dürfte kein Problem sein. Es könnte aber ein oder zwei Tage dauern. Immerhin sind es fünf Abteilungen. Ich weiß nicht, wie schnell ich es schaffe, da die Rechner in den entsprechenden Teilen abgeschaltet werden mussten. Aber vielleicht kann ich auf ein anderes internes Netzwerk zugreifen … ich lass mir was einfallen.“ „Ok. Ich habe sicherheitshalber auch noch eine andere Idee, wie ich da nochmal nachforschen kann. Und dann…“ Joey drückte ihm seine Mailadresse in die Hand. „… schick mir bitte alles, was ihr über das Virus herausgefunden habt und ein Update zu allen Rechnern, die ausgefallen sind. Außerdem benötige ich die entsprechenden Quellcodes.“ „In Ordnung. Ich suche mir einen sicheren Rechner, der nicht mit dem Netzwerk in Verbindung steht, dann vermeiden wir die Gefahr, dass dein Rechner zu Hause auch noch davon befallen wird.“ „Gut. Begleite mich raus. Die anderen sollten sehen, dass du mich wirklich des Hauses verwiesen hast. Du hilfst mir so schon genug. Ich hoffe nur, dass Seto dich nicht zu sehr in die Mangel genommen hat, weil du ihm nichts von mir erzählt hattest.“ „Keine Sorge.“ Die Türen des Fahrstuhls sprangen mit einem Piepen auf und Herr Harumoto begleitete ihn mit ernstem Gesicht zum Ausgang. Die Empfangsdame war überrascht, denn sie hatte Herrn Wheeler nicht hereinkommen sehen, dachte sich jedoch nichts weiter dabei. Kurz zuvor hatte sie sich einen Kaffee gemacht, vielleicht war sie zu diesem Zeitpunkt ein wenig unaufmerksam gewesen. „Wer hat ihm verraten, dass ich bei euch arbeite?“ Das kleine Zucken von Nicis Schultern sagte ihm, dass dieser es ebenfalls nicht wusste. „Hat Herr Sakumoto heute Dienst?“ Ein leichtes, kaum sichtbares Nicken war die Antwort. Sie waren am Ausgang angekommen. „Ich möchte Sie nun bitten zu gehen, Herr Wheeler“, forderte er ihn deutlich hörbar auf. „Danke nochmal, Herr Harumoto.“ Dieser drückte die Hand von Joey etwas fester, als es notwendig gewesen wäre, um ihm wortlos Glück zu wünschen und machte sich dann ohne einen weiteren Blick auf den Weg zurück in seine Abteilung. Er hatte heute noch einiges an Arbeit vor sich. Joey lief indes ein paar Schritte die Straße hinunter, ehe er sich hinter dem nächsten Häuserblock nach rechts wandte und auf der Rückseite des Gebäudes abermals den Dienstboteneingang nutzte. Sollte er je Kaibas Vertrauen zurückgewinnen, würde er ihn in jedem Fall über die gravierenden Sicherheitslücken in seiner Firma informieren. Heute kam es ihm jedoch zugute. Die Chipkarte seiner Bekannten führte ihn abermals beinahe ungesehen  in das Gebäude. Sein neues Ziel war Herr Sakumoto. Er nahm an, dass dieser ihn bereits über die Bildschirme hatte kommen und gehen sehen. Da ihn noch kein Wachmann aufgehalten hatte, ging er davon aus, dass er auch Herrn Sakumoto noch zu seinen Vertrauten zählen konnte. Ohne lange Vorrede reichte er dem älteren Mann die Hand. „Herr Sakumoto, ich brauche umgehend die Kameraaufnahmen von vor vier Tagen. Bitte nur die Aufnahmen, die am Abend vor dem Virus gemacht worden sind und die vom nächsten Morgen. Konzentrieren Sie sich bitte auf die Grafikabteilung 7 und 9 und die Serviceabteilungen 3, 4 und 8. Und nein, ich bin nicht für das Virus verantwortlich aber ich werde herausfinden, wer es gewesen ist.“ Nur wenig später starrten beide konzentriert auf die Aufnahmen vom Mittwochabend. In jeder Abteilung gab es zwei Kameras, welche die gesamten Räumlichkeiten überwachten. Da es mehrere Monitore in dem kleinen Überwachungsraum gab, ließen sie alle 10 Aufzeichnungen parallel ablaufen. Jeder konzentrierte sich auf fünf davon und schrieb alle Angestellten, die sie nach 18 Uhr entdecken konnten, mit Namen und Uhrzeit auf einen Zettel. Immer, wenn lange Zeit nichts zu sehen war, spulten sie die einzelnen Kameras separat vor. Joey war froh, dass der Wachmann ihm bei der Zuordnung der Personen half. Er selbst kannte nur wenige Leute aus der Serviceabteilung mit Namen, da er die meiste Zeit bei den Grafikern verbracht hatte. Für die gesamte Prozedur benötigten sie lediglich eine halbe Stunde. Als sie fertig waren überprüfte Joey die Namenslisten und stellte fest, welche Personen sich von Mittwoch zu Donnerstag zwischenzeitlich in allen fünf Abteilungen aufgehalten hatten. Das Ergebnis war verblüffend und erhellend zugleich. Von allen 23 aufgelisteten Personen, kam nur eine einzige infrage. Joeys Augen verengten sich zu Schlitzen. „Diese miese kleine Ratte!“ „Herr Wheeler. Schauen Sie! Sie sollten sich auf den Weg machen.“ Der Blonde schaute auf einen der Monitore und entdeckte Kaiba, welcher mit forschen Schritten das Gebäude betrat. „Ich gehe davon aus, dass er nicht allein hinter dieser Angelegenheit steckt. Irgendjemand möchte diese Firma ruinieren. Wenn wir jetzt etwas unternehmen, ist er gewarnt.“ Grübelnd richtete Joey seinen Blick auf Kaiba, welcher in diesem Augenblick seinen Privatfahrstuhl betrat. Sorgenfalten hatten sich auf das Gesicht des Firmeninhabers gelegt. Dennoch drückte seine Haltung nach wie vor Kraft und Unbeugsamkeit aus. Joeys Hand zuckte vor und legte sich beinahe sanft auf den Bildschirm, auf dem das Gesicht von Seto zu sehen war. Kurz strich er darüber, als könnten seine Finger von hier aus die Falten auf Kaibas Stirn glätten. Seine Hand ballte sich zur Faust. Sein Entschluss stand fest. „Vielleicht ist meine derzeitige Position mir sogar von Vorteil“, entschied er leise murmelnd für sich selbst. „Bitte erwähnen Sie Kaiba gegenüber vorerst noch nichts von dieser Liste.“ Bezeichnend wedelte er kurz mit der Namensliste. „Auch nicht, wenn das Ihren Ruf wieder richten könnte?“ „Gerade deshalb nicht, Herr Sakumoto. Gerade deshalb nicht.“ Mit einem kurzen schmerzlichen Lächeln sah er noch einmal auf dem Bildschirm, auf welchem Seto gerade den Fahrstuhl in Richtung seines Büros verließ. „Ich danke Ihnen, Herr Sakumoto.“ Mit diesen Worten ließ er den Überwachungsraum hinter sich. Die Namensliste noch immer fest in der Hand, machte er sich auf den Weg zu seinem Fahrrad. Für heute würde ihm vorerst nichts anderes übrig bleiben, als zu Hause auf eine Mail von Nici zu warten. Er brauchte die endgültige Bestätigung, dass er mit seiner Vermutung richtig lag, ehe er den Betreffenden zur Rede stellte. Morgen früh allerdings… Herr Sakumoto starrte indes grübelnd auf die 5 Standbilder, welche die Person festhielten, welche in der besagten Nacht in allen fünf Abteilungen gearbeitet hatte. Herr Kaiba hatte ihn angestellt, um für die Sicherheit der Kaiba Corporation zu sorgen. Er vertraute dem Blonden, dass er nichts mit dem Virus zu tun hatte. Umso mehr, nachdem er sich die Videoaufzeichnungen gemeinsam mit ihm angesehen hatte. Gerade deshalb wurmte ihn die Tatsache, dass Herr Kaiba immer noch den falschen Mann in Verdacht hatte. Der Firmenchef war bereits außer sich gewesen, als er ihm die Anwesenheit von Joseph Wheeler in der Firma verschwiegen hatte. Wie würde er erst reagieren, wenn er ihm seine Entdeckungen bezüglich des Verräters verschwieg? Kapitel 25: Kaiba weiß mehr... ------------------------------ @Sy: *G* Richtig. Und da Joey ja nunmal nicht auf Lorbeeren steht, sondern sich lieber im Hintergrund aufhält... ^_^ Allerdings darf ich dir schon jetzt versichern, dass Kirian natürlich auch nicht ganz unbescholten davonkommt. Und was Kaiba angeht... Nun ich denke, ich habe ihn lange genug ins Hintertreffen geführt. Fakt ist, dass er selbst ja auch nicht auf den Kopf gefallen ist. Aber... sieh selbst... *smile* @Anyu: Tjaja... Ich gestehe, ab jetzt wird Joey sich langsam wandeln und nicht mehr derselbe sein, wie vorher. Und Kaiba ebenfalls. Jetzt geht es langsam in den ersten ernsten Teil der Geschichte über. Ich selbst, die ich ja die Hintergrundgeschichten der Figuren anders ausgearbeitet habe, als es der Anime vorgibt, muss diesen Hintergrund jetzt auch langsam beachten. Und dazu zählt auch die Vergangenheit Ägyptens. Auch da war Jono nicht chaotisch, höchstens übermütig, wenn es um Seth ging. Alles, was er an Chaos verbreitet hat, entsprang meist mehr oder weniger einer gewissen Berechnung - wie beispielsweise, als er als Joey in der Gegenwart Kaiba die Unterlagen untergejubelt hat, ohne dass dieser wissen sollte, woher sie genau stammen. @Rockryu: 'Persona non grata'? Besser hätt ich's nicht ausdrücken können. Du hast das wunderbar auf den Punkt gebracht. In nur einem Satz. Respekt. Mir gelingt sowas immer nicht. ;_; @LeaGreywolf: *freu* Schön, wenn es dir gefallen hat. Aber man man man... du unterstellst ja Kaiba eine ganze Menge. *lach* Ich persönlich denke ja, dass er für gewöhnlich ein kalt berechnender Mann ist, der schon in der Lage ist, Hilfe anzunehmen - allerdings nur sehr ungern - und nur dann ausrastet, wenn es entweder a) mit Joey zu tun hat oder b) jemand ihm etwas, das ihm gehört (Mokuba, Firma, und wieder Joey ^_^) verletzen oder wegnehmen will. @Lunata: Soooo fies ist der Virus gar nicht. Er könnte doch NUR Kaibas Firma lahm legen... und seien wir ehrlich... wenn ich diese gigantischen Luftschiffe, Tresore, Flugzeuge, Privatjets, Villen und diverse andere Dinge im Anime richtig deute, wird Kaiba das nicht umbringen. Es ärgert ihn eben nur gewaltig, weil jemand etwas angreift, was ihm gehört und es überhaupt jemand geschafft hat, so einen Virus einzuschleusen. *lach* @Primavera: Stress? Oh das tut mir leid. Ich hoffe dir Kapitel entschädigen dich und spenden ein wenig Ruhe. ^.~ Hoffentlich hast du bald nicht mehr so viel zu tun und kommst regelmäßiger zum Lesen. *lach* du ahnst wahrscheinlich, dass da purer Eigennutz hinter dieser Hoffnung steckt, oder? *G* Trotzdem hoffe ich, dass auch die nächsten ... *nachzähl* 30 Kapitel dir noch Freude bereiten. ^.~ @Astera: Jap! Du hast es geschafft. Der erste Kommi dieses Mal. *GGG* Bin gespannt, was du beim Lesen des nächsten Kapitels sagst. Schicke es dir in ein paar Stunden. ^.~ Danke wie immer fürs Beta-Lesen. *smile* ______________________________________________________________ ~~~~~~~~~~ Seth fluchte gedanklich vermutlich zum 287sten Mal vor sich hin. Warum nur hatte er sich darauf eingelassen? Abermals schaute er zu der kleinen Gruppe hinüber, welche gerade damit beschäftigt war, ein Lagerfeuer zu machen. „Jono, wir brauchen noch Zweige. Versuch irgendwo etwas Brennmaterial aufzutreiben. Yanis, Aziz, ihr begleitet ihn. Elias, ich will, dass du dich ein wenig umhörst. Seth, Ihr solltet euch derweil ein wenig ausruhen.“ Belustigt sah Jono zu dem Braunhaarigen, ehe er sich, wie aufgetragen, auf den Weg machte, um Brennmaterial zu finden. Sie würden die Nacht hier verbringen. In Anbetracht der kalten Nächte war das Entfachen eines Feuers eine natürliche und notwendige Vorgehensweise. Darin stimmte er mit Ihrem Führer, Ilai, überein. Was ihn verärgerte war der Fakt, dass dieser Jono ebenso herumkommandierte, wie alle anderen der kleinen Einheit, mit welcher er reiste. Vor nunmehr zwei Wochen hatten sie vom Pharao den Auftrag erhalten, sich in seinen alten Heimattempel zu begeben, um dort ein altes Artefakt in Empfang zu nehmen, welches dort bereits seit mehreren Jahren sicher verwahrt wurde. Seth nahm an, dass Atemu einen Überfall auf den Tempel fürchtete, da es am Rande des Reiches lag. Ein solches Artefakt wäre eine mächtige Waffe gegen den Pharao, sollte erneut ein Attentat verübt werden. Der Pharao hatte darauf bestanden, dass er und Jono sich gemeinsam auf den Weg machten. Jono wiederum wollte lediglich vier weitere Wachen mitnehmen. Seiner Ansicht nach bedeutete eine große Einheit auch immer mehr Aufmerksamkeit. Es sollte unter allen Umständen vermieden werden, dass irgendjemand von ihrer Reise erfuhr. Sollte die Abwesenheit des Hohepriesters und des obersten Heerführers bemerkt werden, würde das schnell die Runde machen und auch ihre Feinde würden davon erfahren. Leider konnte kein anderer Priester mit dieser Aufgabe betraut werden, da niemand sonst über seine Macht verfügte. Ihm war durchaus bewusst, weshalb sie inkognito reisen mussten – warum Jono jedoch auch innerhalb der kleinen Einheit unerkannt bleiben wollte, war ihm weiterhin ein Rätsel. Lieber ließ er sich von einem Mann, der weit unter ihm stand, herumkommandieren und damit beauftragen, Feuerholz zu holen. „Seth.“ Ilai reichte ihm einen Wasserschlauch, aus welchem er ein paar Schlucke trank. Bereits vor Antritt der Reise hatte Jono klar gestellt, dass er, Seth, darauf bestehen solle, beim Vornamen angesprochen zu werden. Sollte ihn jemand mit seinem Titel ansprechen, konnten sie ebenso gut mit Namensschildern um den Hals herumspazieren. Dennoch wurmte es ihn, dass Jono dies nicht selbst mit dem Mann besprochen, sondern ihm diese Aufgabe übertragen hatte. Der Blonde wollte auch weiterhin vermeiden, dass zu viele Leute von seiner Identität wussten. „Ich denke wir müssten den Tempel in ungefähr einer Woche erreicht haben.“ Seth nickte nur. Ilai zuckte die Schultern. Er hatte sich an die Schweigsamkeit des Hohepriesters gewöhnt. Kurz entschlossen machte er sich daran, ihre Esel, welche auf der Reise als Lasttiere dienten, zu versorgen. Da sie in einer Oase nächtigten, hielten sich auch andere Gruppen in ihrer Nähe auf. Diverse Handelskarawanen hatten es sich bereits bequem gemacht. Nicht weit entfernt hatte man ein größeres Feuer entzündet. Der Hohepriester konnte Musik hören. Es war üblich, dass reisende Karawanen, wenn sie an solchen Orten aufeinander trafen, den Abend gemeinsam an einem größeren Feuer verbrachten. Nach wochenlangem Aufenthalt in der Wüste war die gemeinsame Versammlung am Feuer eine willkommene Abwechslung für die Reisenden. Meist wurden nicht nur Handelsgüter untereinander getauscht, sondern auch die neuesten Nachrichten und Gerüchte. Tanz, Gesang und Musik bildeten dabei den entsprechenden gemütlichen Rahmen. In diesem Augenblick stießen Jono und seine zwei Gefährten wieder zu ihnen. Der Blonde hatte offensichtlich auch etwas Essbares organisiert und verteilte es nun an seine Kameraden. Gemächlich kam er auch zu ihm hinüber. Mit einem kaum sichtbaren kleinen Lächeln auf den Lippen reichte er ihm das Dörrfleisch. „In ungefähr zwei Tagen erreichen wir gefährliches Gebiet. Lass dich von einem meiner Leute trainieren. Es ist mir wichtig, dass du in einem Stück an unserem Ziel ankommst.“ Seths Augenbraue wanderte ein Stück nach oben. „Es mag dir während unserer Reise entfallen sein, aber ich bin der mächtigste Priester des Reiches. Sollten wir angegriffen werden, weiß ich mich durchaus zu verteidigen.“ Frech grinsend sah Jono zu dem Hohepriester, welcher derzeit eine einfache braune Tunika aus grobem Leinen trug. Zusammen mit den schmalen Sandalen aus Naturfaser, sah er wie ein reisender Bauer aus, der in einem anderen Teil des Reiches Arbeit finden wollte. Niemand hätte unter dem Gewand einen mächtigen Priester vermutet. „Du hast den Milleniumsstab nicht dabei, oh großer Magier.“ „Der Stab ist nur ein Verstärker meiner Energie und dient der besseren Kontrolle. Ich kann mich auch ohne ihn noch immer effektiver verteidigen als du, mit deinen Messerchen, je dazu in der Lage sein wirst.“ „Nur, dass du uns alle verraten würdest, wenn du deine dir angeborenen Gaben nutzt. Sowas spricht sich herum. Wir können uns Aufmerksamkeit nicht leisten. Du wirst dich also wohl oder übel mit der Streitaxt anfreunden müssen.“ Die Streitaxt war eines der am häufigsten gebrauchten Waffen. Jono hatte recht, mit dem, was er sagte. Er schien jedoch zu vergessen, dass zu jeder Priesterausbildung auch grundlegendes Waffentraining gehörte. Er war auch ohne den Gebrauch von Magie bei weitem nicht so hilflos, wie Jono anzunehmen schien. Er würde ihn eines Besseren belehren müssen. „Also gut. Trainiere du mich.“ „Sicher nicht.“ „Warum? Angst?“ Jono konnte ein kurzes lautes Auflachen nicht unterdrücken. Neugierig sah Ilai zu ihnen hinüber, sagte aber nichts. Sie waren weit genug entfernt, damit keines ihrer Worte zu einem ihrer Reisegefährten drang. Belustigt verzogen sich Jonos Lippen zu einem verschmitzten Lachen. „Ja. Um dich.“ Seth hatte bereits in den letzten Tagen bemerkt, dass Jono seit Beginn ihrer Reise sehr viel gelöster wirkte. Fernab von jeglichem Zeremoniell ließ er weitaus öfter das alte Lächeln wieder aufblitzen. Immer noch feixend und den Kopf schüttelnd, stand Jono auf und klopfte sich den Sand von den Sachen. „Bitte morgen einen der anderen um ein Training. Wenn du mich darum bitten würdest, würde das nur Verdacht erregen. Ein so hoher Priester wie Ihr, sollte sich nicht von einem kleinen Rekruten wie mir eine blutige Nase holen müssen. Außerdem wäre die Versuchung für mich, dir deinen schönen Hals umzudrehen, viel zu groß, als dass ich dieses Risiko eingehen möchte.“ Seths Augen blitzten. Sein Ehrgeiz war geweckt. Es juckte ihm in den Fingern, diesem arroganten kleinen … eine Lehre zu erteilen. Aber das hatte Zeit bis zum nächsten Tag. Er musste zugeben, dass es Vorteile hatte, wenn niemand wusste, wer Jono war. So konnte er Ilai einfach den Befehl erteilen, ihm Jono als Übungspartner zuzuteilen. Der Blonde würde nicht widersprechen können. Es war an der Zeit, den Spieß umzudrehen. ~~~~~~~~~~ Seto erwachte. Resigniert starrte er an die Decke. Es war zum Verzweifeln! Egal, ob er wach war oder schlief – seine gesamte kleine Welt schien immer um einen blonden jungen Mann zu kreisen. In der Vergangenheit drehten sich seine Gedanken ständig um diesen Jono, an dessen Gesicht er sich beim Erwachen noch immer nicht erinnern konnte, und in der Gegenwart tauchte Joey die ganze Zeit vor seinem inneren Auge auf. Seufzend und noch immer dieselben Gedanken wie vor einer Woche wälzend, zog er sich sein Büchlein heran. ‚Oase‘ und ‚Reise‘ waren seine nächsten stichwortartigen Eintragungen. Noch immer sah er keinen Sinn hinter den Erinnerungsfetzen, aber er gab nicht auf. Kaiba musste jedoch feststellen, dass sowohl der Priester, der er in der Vergangenheit gewesen zu sein schien, als auch sein heutiges Ich, ein und dasselbe Problem zu haben schienen: egal ob sein Name nun Jono oder Joey war, beide vertrauten ihm nicht. /Wahrscheinlich sollte ich bei Gelegenheit einmal Joeys Stammbaum prüfen lassen. Bei meinem Glück sind die beiden auch noch verwandt!/, dachte Kaiba mit einer Mischung aus Sarkasmus und Resignation. Aber es hatten sich auch einfach zu viele Fragen angehäuft! Warum verheimlichte Jono Seth seine Vergangenheit? Was war in den Jahren zwischen ihrer Kindheit bis zum Wiedersehen im Palast des Pharaos mit Jono geschehen? Aus anderen Erinnerungen wusste er, dass Seth nicht nur einmal versucht hatte, mit Jono darüber zu sprechen, ehe er aufgegeben hatte. Warum stellte sich Joey, sowohl ihm als auch seinen Freunden gegenüber, als dumm dar? Er ließ sich von ihm, Kaiba, mit seinem fehlenden Wissen und seiner durchschnittlichen Intelligenz aufziehen, obwohl vermutlich schon ein paar Worte genügt hätten, seine Ansichten über den Jüngeren komplett zu ändern. Weshalb sprach er mit niemandem über den Tod seiner Eltern? Warum arbeitete er in seiner Firma? „Und warum, zum Teufel nochmal, wehrt er sich nicht gefälligst mit Händen und Füßen, wenn ich ihn einen Saboteur nenne?! Er lässt mir ja keine andere Wahl, als ihm zu misstrauen.“ /Moment … Im Umkehrschluss hieße das ja, dass ich ihm gern vertrauen wollte! Herrgott…/ „VERDAMMT!“ Wütend über den Irrgarten aus ungelösten Rätseln in seinem Kopf, schmiss er sein Büchlein quer durch den Raum in eine Ecke. Er hatte selten einen solchen Wutausbruch wie vor zwei Tagen. Gewöhnlich kalkulierte er jeden Schritt in seinem Leben sorgfältig voraus. Wenn es jedoch um den Blonden ging, war er bisweilen nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Dieses Verhalten, das er an sich selbst nicht kannte, ließ ihn schier verzweifeln. Doch die Analyse seiner eigenen Gefühlswelt würde angesichts der zahlreichen Probleme auch weiterhin warten müssen. **********einige Stunden später in der Firma********** Der Tag war bereits weit vorangeschritten und die Nachmittagssonne hatte sich im Büro Kaibas ausgebreitet. Müde streckte der Firmenchef seine Gliedmaßen und verlangte wenig später nach einem Kaffee. Kurz darauf trat Frau Ishimizu ein und brachte ihm das verlangte Putschmittel. Gedankenverloren nahm Kaiba seine schwarze Tasse entgegen. „Herr Kaiba?“ Seto sah auf. „Bitte?“ „Herr Kaiba, wenn ich Sie einen Moment unterbrechen dürfte… Einige Mitarbeiter der Grafikabteilung 7 und 9 und der Serviceabteilungen 3 ließen anfragen, bis wann sie noch beurlaubt sind. Ein paar von ihnen erkundigten sich des Weiteren, ob sie Ihnen irgendwie behilflich sein können.“ „Warum?“ Verwirrt sah Frau Ishimizu in das grübelnde Gesicht ihres Chefs. Zögernd wiederholte sie seine Frage. „Warum…? Ich verstehe nicht…“ „Warum müssen Sie mir mit dieser Fragerei gerade jetzt auf die Nerven gehen?“ Unwillig trank er einen weiteren Schluck von dem schwarzen Gebräu in seiner Hand. „Man sollte meinen, meine Mitarbeiter sind dankbar, wenn sie mal zwei Tage nicht zur Arbeit kommen müssen.“ Sichtlich unwohl verlagerte Frau Ishimizu ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. „Nun, Herr Kaiba, immerhin sind diese Mitarbeiter die ersten gewesen, die beurlaubt werden mussten. Ich nehme an, dass sie sich nach über einer Woche Urlaub vermutlich fragen, wie sicher ihre Arbeitsstelle noch ist.“ Alarmiert sah Seto zu seiner Sekretärin. „Ist das auch Ihre Sorge, Frau Ishimizu?“ Abermals verlagerte die junge Frau ihr Gewicht. „Nun, ich muss zugestehen, dass wir noch nie in dieser Lage waren, Herr Kaiba…“ „Also ja.“ Frau Ishimizu straffte ihre Schultern. „Nun…ja, Herr Kaiba. Ich HABE Angst um meine Arbeitsstelle. Immerhin sind inzwischen mehr als die Hälfte aller Firmenrechner betroffen.“ Stirnrunzelnd drehte Kaiba seinen Stuhl in Richtung Fensterfront. Ihm lag bereits eine scharfe Zurechtweisung auf der Zunge, doch er hielt sich zurück. Im Grunde hatte sie wohl recht. Wenn er nicht bald eine Lösung fand, würde seine Firma tatsächlich bald nur noch ein Name auf einem Blatt Papier sein, das in nicht allzu ferner Zeit in einem Shredder landen würde. „Ich arbeite daran, Frau Ishimizu. Seien Sie versichert, dass ich nicht vorhabe, mir meine Firma von IRGENDJEMANDEN kaputt machen zu lassen.“ „Das ist mir bewusst, Herr Kaiba. Ich… denke, Sie sollten in diesem Zusammenhang vielleicht erfahren, dass einige der angesprochenen Mitarbeiter laut eigener Aussage ein Arbeitsangebot von der Tome Corporation erhalten haben.“ Der Braunhaarige wurde hellhörig. „Tome?“ Seine Sekretärin nickte bestätigend. Abwartend sah sie zu ihm hinüber. /Ich muss zugeben, es ist ein schlauer Schachzug, meine Mitarbeiter gerade jetzt abzuwerben. Ich, an Stelle der Tome Corporation, hätte es wohl nicht anders gemacht. Vorausgesetzt ich wäre über die Vorgänge in der Firma genau im Bilde. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass meine Mitarbeiter interne Vorgänge ausgeplaudert haben. Immerhin sind sie vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Hätte einer von ihnen geredet, stünde es wahrscheinlich schon längst in allen Klatschblättern./ Weiter grübelnd drehte Kaiba seinen Stuhl wieder dem Rechner zu und schloss eines der Fenster auf seinem Monitor. Ohne ein weiteres Wort tippte er einige Datensätze in seinen Rechner. /Wenn ich anstelle der Tome Corporation wäre… Würde ich die Mitarbeiter erst abwerben, wenn sie bereits verunsichert genug wären, was ihren gegenwärtigen Arbeitsplatz angeht. Der Leiter der Tome Corporation muss also gewusst haben, seit wann ich Probleme in der Firma habe. Das bedeutet, er hat entweder einen Spion bei mir eingeschleust, oder er hat den Virus selbst eingespeist. Ich, an seiner Stelle, hätte wohl beides gemacht, wenn ich eine Firma übernehmen wollen würde… / „Frau Ishimizu… Die Mitarbeiter von welchen Abteilungen, sagten Sie, haben Angebote dieser Art bekommen?“ „Die Mitarbeiter der Grafikabteilung 7 und 9 und der Serviceabteilung 3.“ „Es handelt sich dabei also ausschließlich um die drei Abteilungen, die bereits am ersten Tag von dem Virus betroffen waren…“ „Das ist richtig. Neben diesen drei Abteilungen gibt es nur noch zwei weitere, die ebenfalls bereits am ersten Tag nach Hause geschickt werden mussten. Von den dortigen Mitarbeitern habe ich jedoch keine Rückmeldung bezüglich ähnlicher Angebote.“ Interessiert richtete Kaiba sich auf. „Sie sagen, dass insgesamt fünf Abteilungen zuerst betroffen waren? Nicht nur drei?“ „Ja. Es betraf die Grafikabteilung 7 und 9 und die Serviceabteilung 3, 4 und 8.“ „Sind Sie sich sicher, dass es nicht nur die Grafikabteilungen waren?“ „Vollkommen sicher. Ich war an dem Tag die erste in der Firma und konnte zweifelsfrei feststellen, dass alle fünf Abteilungen gleichermaßen davon betroffen waren. Von den Rechnern aus der Serviceabteilung 4 und 8 aus hat der Virus sich dann erst in die verbleibenden Serviceabteilungen ausgebreitet. Wäre er nur in der Grafikabteilung gewesen, wäre es auch nur halb so schlimm gewesen, aber da der Service nun einmal in alle Belange der Firma involviert ist…“ „Frau Ishimizu, könnten Sie mir die Login-Daten der Serviceabteilung von dem betreffenden ersten Tag und dem Tag davor besorgen? Und zwar nur die, der ersten drei betreffenden Abteilungen.“ „Sicher.“ Sofort verließ Frau Ishimizu das Büro. Entschlossen griff Kaiba zum Telefon. „Herr Harumoto? Bitte besorgen Sie mir umgehend die Login-Daten aus Ihrer Abteilung.“ Kurz gab er ihm noch die entsprechende Anweisung für den betreffenden Zeitraum, ehe er auflegte und eine andere Nummer wählte. Schon wenige Augenblicke später hatte er die gewünschte Person am Apparat. „Herr Sakumoto, ich möchte, dass Sie mir alle wichtigen Kameraaufnahmen aus einem bestimmten Zeitraum in der Firma heraussuchen.“ „Geht es um die Aufnahmen aus den Abteilungen 3.3, 3.4 und 3.8 sowie 7.8 und 7.9? Für den Zeitraum, an dem das Virus zuerst aufgetaucht ist?“ /Offenbar endlich ein Mitarbeiter, der mitdenkt…/ „Genau die.“ „Diese liegen mir bereits seit zwei Tagen vor, Herr Kaiba. Ebenso wie eine kurze Auswertung der betreffenden Personen, die sich in der Nacht in den Abteilungen aufgehalten haben und…“ Der merkwürdig belegte und beinahe stotternde Tonfall seines Mitarbeiters ließ ihn stutzig werden. Irgendetwas stimmte da nicht. Der Braunhaarige unterbrach ihn „Kommen Sie mit allem, was Sie haben, in mein Büro“ und legte auf. Nur wenig später hatten ihm sowohl Herr Harumoto als auch Frau Ishimizu die entsprechenden Login-Daten zukommen lassen und Herr Sakumoto saß vor ihm und fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut, während er ihm die mit Joey gemeinsam bearbeiteten Listen überreichte. Er hatte sich vor zwei Tagen vorsorglich eine Kopie gemacht. Forschend besah sich der Firmenchef die zwei Listen. Eine davon hatte Herr Sakumoto geschrieben. Die andere allerdings… „Herr Sakumoto, wer hat die zweite Liste geschrieben?“ „Ein Kollege, Sir.“ Herr Sakumoto hatte ihm bei dieser Antwort fest in die Augen gesehen. Keine Spur mehr von Unsicherheit in seiner Stimme. Kaibas Ansicht nach hätte der Mann einen guten Politiker abgegeben. Seine Antwort war angesichts der 376.000 Mitarbeiter in diesem Gebäude sehr vage, ließ jedoch nicht vermuten, dass er etwas zu verbergen hatte. Ein Blick auf die unruhigen Finger des Mannes, welche im Rhythmus eines unhörbaren Taktes auf sein Knie tippten, ließ allerdings darauf schließen, dass Herr Sakumoto sehr daran interessiert war, den Namen des Kollegen nicht preiszugeben. Offensichtlich hatte der Mann die betreffenden Listen bereits seit längerer Zeit und sich dennoch nicht in der Lage gesehen, sie ihm zu geben. Das bedeutete, entweder hatte ihn jemand darum gebeten, oder … Kaiba fixierte den Mann fest mit seinen Augen. Seine Stimme nahm einen drohenden Unterton an. „Herr Sakumoto, ich gehe davon aus, dass Sie diese Listen nicht allein erstellt haben. Und wenn Ihnen an Ihrem Job etwas liegt, dann nennen Sie mir auf der Stelle den Kollegen, der diese zweite Liste erstellt hat und wer, weiß Gott, sie überhaupt auf die Idee gebracht hat, sich die Kameraaufnahmen anzusehen.“ Inzwischen bezweifelte er, dass der Mann ohne Hilfe auf diesen Gedanken gekommen war und sollte seine Vermutung schon kurz darauf bestätigt wissen. Er konnte förmlich sehen, wie dessen nur grob zusammengezimmerte Maske sich in Luft auflöste. „Joseph Wheeler, Sir.“ Der Braunhaarige zog scharf die Luft ein. Innerlich schüttelte er den Kopf. /Joey. Wer sonst?/ Eigentlich hatte er es bereits beim Anblick der Handschrift vermutet. Es nun bestätigt zu sehen, war lediglich… Die nachfolgenden Fragen stellte er eigentlich nur noch Routine halber. Er war erschöpft. „Hat er von Ihnen verlangt, dass Sie die Aufnahmen löschen?“ „Nein, Sir.“ „Hm.“ „Aber, wenn ich… ehrlich sein soll… Er hat mich darum gebeten, Ihnen vorerst weder die Listen noch die Aufnahmen zu zeigen.“ Aufhorchend sah Kaiba zu seinem Security-Mitarbeiter. „Warum?“ Verlegen kratzte sich dieser am Kopf. „Nun, ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht. Immerhin ist es nicht er, der auf allen Aufnahmen zu sehen ist.“ Bezeichnend deutete der Mann auf die zwei Listen, welche Seto bis dahin nur überflogen hatte. Nun studierte er sie ein weiteres Mal, ehe auch ihm der betreffende Name auffiel. „Haiko Kirian.“ Leise sprach Kaiba den Namen des Mannes aus, welcher ihm verraten hatte, dass Joey in seiner Firma arbeitete. Das konnte doch nicht wahr sein! Sicherheitshalber verglich Kaiba die Listen noch einmal mit den Namen, die ihm Herr Harumoto und Frau Ishimizu per Mail zugesandt hatten. Langsam an sich selbst zweifelnd, ließ er sich wenig später in seinen Stuhl zurückfallen. Er glaubte nicht an Zufälle. Offensichtlich hatte dieser Kirian es gezielt darauf abgesehen, Joey zu diskreditieren und ihn als den Saboteur darzustellen, der er selbst war. Haiko Kirian hatte ihn manipuliert! Ihn, Seto Kaiba! Er hatte dafür gesorgt, dass er Joey verdächtigte, ihn die ganze Zeit hintergangen zu haben. Dabei hatte der Blonde… Was genau hatte er…? „Sie sagten, Joseph Wheeler wollte nicht, dass ich diese Listen bekomme. Aber wenn er selbst nicht derjenige ist, der den Virus eingeschleust hat, muss ihm doch klar gewesen sein, dass ihn das hier“, er zeigte die Listen hoch „entlastet hätte.“ Herr Sakumoto dachte kurz nach. „Ich weiß nicht, ob das vielleicht eine Antwort auf Ihre Frage ist, Herr Kaiba, aber als wir festgestellt hatten, dass Herr Kirian offensichtlich etwas mit dem Virus zu tun hat… da schien er auf einmal sehr interessiert daran, dass Sie Ihre schlechte Meinung über ihn behalten. Als ich ihn darauf hinwies, dass er dadurch seinen Ruf wieder herstellen könnte, sagte er sogar, dass er genau deshalb nicht möchte, dass Sie die Listen sehen. Ach ja, und kurz davor vermutete er noch, dass Herr Kirian wohl nicht allein gearbeitet hat.“ Diesen Verdacht konnte Kaiba nur bestätigen. Er hielt Kirian ebenfalls nicht für schlau genug, sich diesen Anschlag auf seine Rechner alleine ausgedacht zu haben. In Zusammenhang mit der Tome Corporation ahnte er sogar schon, wer ihn als Spion gekauft hatte. Ohne Beweise würde er allerdings nicht viel gegen ihn tun können. Kaiba verfolgte den Gedanken im Stillen weiter. /Gesetzt dem Fall, Joey hat die Zusammenhänge ebenfalls erkannt… was könnte er vorhaben?/ Nachdenklich verknüpfte er alle bekannten Fakten und ließ auch die Tatsache, dass Joey offensichtlich daran gelegen war, dass ihre Beziehung zueinander sich weiter verschlechterte, nicht unbeachtet. Seine innere Stimme schlug Alarm. Ohne weiter nachzuforschen, wusste er, was Joey vorhatte. Innerlich aufstöhnend schloss er die Augen. „Was machst du nur, Joey?“, fragte er flüsternd. Er kannte den Chef der Tome Corporation. Immerhin hatte dieser bereits mehrfach versucht, sich seine Firma einzuverleiben. In der Geschäftswelt war er bekannt dafür, skrupellos und berechnend zu sein. Seto selbst agierte für gewöhnlich ebenfalls eiskalt, doch von Gewaltanwendung hatte er stets abgesehen. Ausnahmen bestätigten allerdings auch bei ihm die Regel. Toshi Nakamura Tome stand hingegen in dem Ruf, weniger zimperlich zu sein. Sein Verstand arbeitete fieberhaft. Was war als nächstes zu tun? Alle Details zusammengenommen, ergab sich folgendes Bild: 1. Der Virus war immer noch nicht eingedämmt. 2. Er hatte keine Beweise für eine Verbindung zwischen Tome und Haiko Kirian. 3. Joey hatte bisher, das stand für ihn unzweifelhaft fest, FÜR und nicht gegen ihn gearbeitet. Eine Welle der Erleichterung umspülte sein Herz. Endlich die Gewissheit zu haben, dass Joey ihn nicht hintergangen hatte, milderte die bohrenden Kopfschmerzen, die er seit der Anschuldigung Haiko Kirians mit sich herumgetragen hatte. Warum auch immer Joey all das getan hatte – Mokuba zu nutzen, um sich Zugang zur Firma zu verschaffen, in der Grafikabteilung zu arbeiten – ohne Geld und ein Mittel gegen den Virus zu suchen, ohne einen Dank erwarten zu können – jetzt, in diesem Moment, zählte für ihn nur, dass der Kleinere nicht der Saboteur war, als den er ihn bezeichnet hatte. Leider ergaben sich daraus aber neue Überlegungen, die alle sorgsam bedacht werden mussten. An der Schule und überall sonst ging weiterhin jeder davon aus, dass Joey und er sich nicht ausstehen konnten. Vermutlich hatte Haiko Kirian Tome mitgeteilt, dass er Joey als Saboteur dargestellt hatte. Wenn Joey tatsächlich vorhatte, sich Tome zu nähern, hatte er jetzt die besten Chancen. Nach kurzer Rücksprache mit Herrn Sakumoto war zudem klar, dass er die für diesen Schachzug benötigten kriminellen Energien ebenfalls hatte. Allein, dass er ohne Weiteres in seine Firma hinein und hinaus spaziert war, ohne dass er, als Firmeninhaber, es gemeldet bekommen hatte, trotz gegenteiliger Anweisung, war dafür Beweis genug. Wenn er schlau war, und davon ging Kaiba inzwischen aus, würde er Tome seine Dienste anbieten. Das machte aber nur Sinn, wenn dieser seinen Kontakt in der Kaiba Corporation verlor. Das wiederum bedeutete, dass zuerst Haiko Kirian verschwinden musste. Er selbst konnte ihn nicht feuern, ohne preiszugeben, dass er wusste, wer der eigentliche Spion gewesen war. Das musste auch Joey wissen… Bis er wusste, was Joey genau vorhatte, blieb ihm selbst demnach nur eins übrig. „Herr Sakumoto, stehen Sie noch in Kontakt mit Joseph Wheeler?“ „Derzeit nicht.“ „Gut, dann lassen Sie es auch weiterhin. Sollte er sich melden, lassen Sie ihn in dem Glauben, dass Sie mir die Listen noch nicht gezeigt haben, haben Sie verstanden?“ „Ja, Sir.“ „Gut.“ „Wenn Sie mir erlauben… soweit ich weiß hat Herr Harumoto noch regelmäßigen Kontakt mit ihm.“ Fragend hob Kaiba eine Augenbraue. „Ja, er schickt ihm, das hat er mir erst kürzlich gesagt, die aktuellen Daten über den Virus per Mail an seinen Rechner.“ „In Ordnung. Ich danke Ihnen, Herr Sakumoto. Sie können gehen.“ Nachdenklich trat Kaiba an die große Fensterfront. „Du hilfst mir in der Firma, lässt dich von mir verprügeln und versuchst danach trotzdem noch, meine Probleme für mich zu lösen. Bist du ein Heiliger, oder was?“ All diese neuen Erkenntnisse über das kleine Hündchen raubten ihm förmlich die Luft zum Atmen. Doch er würde es dem Kleineren heimzahlen, dass er es zugelassen hatte, dass er so an ihm zweifelte. /Es wird Zeit, dass ich den Schuh umdrehe./ Beinahe konnte Seto Joey in seinem Hinterkopf meckern hören. //Es heißt nicht Schuh, es heißt Spieß.// Schmunzelnd stellte er sich das Gesicht des Blonden vor, während dieser ihn mit seinen braunen belustigten Augen ansah. Er hatte es stets genossen, wenn der Jüngere auf jede Kleinigkeit von ihm angesprungen war. Jede Strähne, jeder Muskel seines Gesichtes und jede Handbewegung des Kleineren, während ihrer zahlreichen eher neckischen Streitereien, hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. In letzter Zeit waren ihre ‚Gespräche‘ immer interessanter geworden und er musste sich eingestehen, dass er die intelligenten Kommentare seines Kontrahenten vermisste. Die dummen Bemerkungen waren sicher amüsant gewesen, doch er gab zu, dass der schlagfertige und gewitzte Joey ihm wesentlich lieber war. Abermals strich er über die weiße Krawatte. /Es wird wohl dauern, ehe wir diese Gespräche wieder führen können./ Entschlossen griff er abermals zum Hörer seines Telefons und betätigte die Wahlwiederholung. Der Chef seiner Grafikabteilung war ihm einen kleinen Gefallen schuldig, nachdem er Joey so lange vor ihm versteckt und diesem nun auch noch die Daten über den Virus zugespielt hatte... Kapitel 26: Tanz ---------------- @Lunata: Man könnte es nicht nur annehmen... ^_^ *pfeif* Nur, was Gefühle anbelangt - vor allem die eigenen - ist Seto eben nicht ganz so schnell. Womit er wieder etwas mit Seth gemeinsam hat. Allerdings... wenn man das folgende Kapitel in eine nähere Betrachtung mit einbezieht, erhält man vielleicht eine Ahnung von dem, was passiert, wenn der Firmenchef klar sieht. ^//^ @Anyu: Jup. Vieles davon hängt aber letztlich alles mit der Vergangenheit von Jono zusammen. Zumindest dessen Charakterzüge. Er ist keineswegs schusselig und auf den Kopf gefallen ist er schon damals nicht. Was aber auch verständlich ist, da er sonst kaum die Position des obersten Heerführers von Atemu übertragen bekommen hätte. ^.~ @Sy: Ja. Sorry, dass es so lange gedauert hat. -_-* Seto ist eben nicht der Schnellste. Betrachtet man aber den Fakt, dass zwischen dem Schlag in die Magengrube bei Joey und Kaibas Schlussfolgerungen nur zwei Tage vergangen sind, finde ich das noch ganz in Ordnung, oder? ^_^* Tja und was die Zusammenarbeit anbelangt... das bleibt abzuwarten. @Rockryu: Was denn? *erstaunt guck* Joey ist für dich kein Heiliger? *unschuldig blinzel* Also ICH weiß, warum er keiner ist - aber ich weiß ja auch wies weiter geht. *fg* Warum ist er denn für dich derzeit kein Heiliger? *neugierig ist* @Astera: Nochmals: Schade, dass du das hier wahrscheinlich nicht mehr lesen wirst. Ich danke dir trotzdem hundertmal, für deine Hilfe als Beta-Leserin. Ich hoffe, es schleichen sich nicht schon wieder so viele Fehler ein, wie vor deiner Hilfe. ^_^ Ich hoffe sehr, dass alle dieses Kapitel trotz Adult-Markierung lesen können. In diesem Sinne, viel Freude beim Lesen. ^//^ _______________________________________________________________________ ~~~~~~~~~~ Seth schritt abermals beunruhigt auf und ab. Jono war nun schon seit geraumer Zeit verschwunden. Er und die anderen hatten sich bereits kurz nach Mondaufgang zum Schlafen gelegt. Lediglich ein Mann war abgestellt worden, die erste Wache zu übernehmen. Niemand schien Jono auch nur die geringste Beachtung geschenkt zu haben, als dieser sich allein in Richtung des großen Lagerfeuers aufgemacht hatte. Niemand in dieser Oase wusste, wer sie waren. Es gab also eigentlich keinen Grund, besorgt zu sein. Doch nachdem Jono nach einiger Zeit noch immer nicht wiedergekehrt war, machte auch der Hohepriester sich wenig später auf den Weg in Richtung des Trommelklanges. Diese waren auch am Rande der Palmengrenze noch deutlich zu hören. Keiner seiner Begleiter hielt ihn auf, daher vermutete er, dass auch diese davon ausgingen, dass keine weitere Gefahr für sein Leben bestand. Zudem war er durchaus in der Lage, sich zur Wehr zu setzen. Nur wenige Zeit später hatte er die große Ansammlung von Menschen erreicht, welche sich um das Feuer herum niedergelassen hatten. Zahlreiche Reisende trugen dieselbe einfache Kleidung wie er und taten sich an einigen Weinschläuchen gütlich, welche von einem zum nächsten gereicht wurde. Die Kapuze sicherheitshalber etwas tiefer ins Gesicht gezogen, mischte Seth sich unter die Anwesenden. Der Klang der Trommeln war inzwischen immer eindringlicher und intensiver geworden. Waren zuvor noch alle Töne wahllos durcheinander gewirbelt worden, so schienen die Trommler nun zu einem gemeinsamen Rhythmus gefunden zu haben. Leicht fröstelnd versuchte Seth den blonden Krieger in der Menge auszumachen. Eine innere Stimme verriet ihm seit ihrer Kindheit, wenn Jono in der Nähe war. Doch erst, seit sie gemeinsam im Palast lebten, hatte er wieder gelernt, auf diese Stimme zu vertrauen. Für einen Augenblick hielt er inne und lauschte in sich hinein. Dank zahlreicher Meditationsübungen gelang es ihm auch diesmal, alle störenden Einflüsse auszublenden. Das Schreien eines Babys in seiner unmittelbaren Umgebung schob er ebenso an den Rand seiner Wahrnehmung wie das Knistern der Flammen, das Schwatzen der Leute und das restliche bunte Treiben um ihn herum. Da! Er hatte es gewusst. Er konnte alles ausblenden. Außer die Anwesenheit von Jono. Er konnte nicht weit entfernt sein. Inzwischen war er bis zum inneren Kreis vorgestoßen. Nun sah er auch, dass die Anwesenden kein großes, sondern vier kleinere Feuer entfacht hatten. Dies war wohl auch weitaus sinnvoller, da auf diese Weise weniger Brennmaterial benötigt wurde und sich dennoch zahlreiche Leute gleichzeitig wärmen konnten. Zugleich entstand als unterhaltsamer Nebeneffekt ein kleiner Platz in der Mitte, welcher offensichtlich zum Tanzen genutzt wurde. Fasziniert besah Seth sich die vierzehn Männer, welche sich dort in der Mitte zum Klang der Trommeln bewegten. Gerade wollte er weitergehen, als sein Blick an einem blonden geflochtenen Zopf hängen blieb, welcher in diesem Augenblick zwischen den anderen Körpern aufblitzte. Vollkommen versteinert starrte er auf den jungen Krieger, welcher sich mit einer solch exotischen und verführerischen Eleganz unter den anderen Tänzern bewegte, dass ihm der Atem stockte. Er hatte Jono noch nie in seinem Leben so gesehen. Was wohl auch daran lag, dass er sich in seiner Gegenwart selten so weit entblößte. Während sich seine Hüften dort vor seinen Augen zum Klang der Trommeln langsam hin und her bewegten, trug er nichts weiter als seinen Schurz aus Leinen, der ihm lediglich bis zu den Knien reichte. Seine Tunika war wohl schon vor längerer Zeit verschwunden, denn sein Oberkörper glänzte bereits vor Schweiß. Im schwachen flackernden Schein des Feuers sah es aus, als sei sein Körper von der Stirn bis zu den Füßen mit Öl eingerieben worden. Seine Haut sah seidig und glatt aus und obwohl der schweißnasse Körper eines anderen Mannes ihn eigentlich hätte abstoßen sollen, wuchs in ihm der beinahe zwingende Wunsch, diese Haut zu berühren, zu schmecken und zärtlich davon zu kosten. Einen großen Schwall heißer Luft einatmend, befeuchtete er seine trocken gewordenen Lippen mit der Zunge. Funken sprangen auf. Aus seiner Trance geweckt und geschockt von seinem eigenen Gedankengang, wich Seth einen Schritt zurück. Es gab zahlreiche Männer, sie sich zu ihrem Vergnügen mit dem gleichen Geschlecht einließen. Das war allgemein anerkannt, zumal auf diese Weise erste körperliche Erfahrungen gesammelt werden konnten. Frauen waren für die Männer verboten, wenn sie nicht mit ihnen in lebenslanger Gemeinschaft verbunden waren. Dennoch hatte er selbst niemals dieses Verlangen nach einer solchen Erfahrung geteilt. Als er abermals den Blick auf die tanzende Gestalt richtete, machte sein Körper ihm deutlich bewusst, dass sich das offenbar gerade geändert hatte. Jono drehte sich indes einmal um sich selbst, während er mit seinen Händen langsam und sinnlich seinen Körper vom Hals bis zur Hüfte liebkoste, nur um sie wenig später an seinem Kopf vorbei den Sternen entgegenzustrecken. Während er noch seinen Kopf nach hinten neigte, schmiegte sich sein leicht gelöster Zopf an seine Pobacken und brachte den erstaunten Zuschauer auf ganz neue Gedanken. Ein schmerzhaftes Ziehen in seinem Unterleib ließ Seths Augen ein weiteres Mal größer werden. Abermals verfiel er der Faszination dieses Körpers. „Nicht schlecht, der Junge, nicht wahr?“, grinste ihn ein weiterer Beobachter an, während er ihm freundschaftlich einen der Weinschläuche anbot. Erst jetzt wurde Seth wieder bewusst, dass auch andere den Körper von Jono ohne Vorbehalte anstarrten. Inzwischen hatte sich die Tanzfläche ein wenig gelichtet. Offensichtlich war der Braunhaarige einige Zeit so gebannt von dem Tanz des Anderen gewesen, dass ihm gar nicht aufgefallen war, wie weit der Mond bereits gewandert war. Unbewusst hatte er sich gesetzt. Er nahm an, dass seine wackeligen Beine nur eine der Gründe waren. Noch nie zuvor hatte er Jono als Mann wahrgenommen. Als Freund, Kameraden und Krieger … ja … aber noch nie als Mann. Zumindest nicht als einen, mit einer solch magischen Anziehungskraft, dass es ihn alle Mühe kostete, auch nur wenige Sekunden den Blick von ihm zu wenden. Seine Gefühle gerieten in Aufruhr. Ein Sturm brach los. Sein Herz hämmerte im Sekundentakt. Seine Atmung beschleunigte sich. Sein Blut rauschte in den Ohren. Er war gefangen, von der tanzenden Gestalt. Minutenlang starrte er ihn einfach nur an. „Also…ich kann nicht mehr“, ertönte es neben ihm. Ruckartig sah er zu dem anderen Tänzer, der sich schwer atmend auf der anderen Seite von Seth niedergelassen hatte. Auch bei ihm konnte man den Schweiß auf der Haut glänzen sehen, doch der Hohepriester musste sich eingestehen, dass diese feinen Tropfen ihn eher abstießen. Sich selbst dazu zwingend, nicht mehr auf Jono, sondern auf die anderen verbleibenden vier Tänzer zu starren, unterzog er seine eigene Reaktion einer genauen Prüfung. Ein paar behaarte Beine, drei sehr muskulöse Körper und zwei schwarz glänzende Haarschöpfe später war er sich sicher: allein Jono vermochte es, ihn mit seinem blonden Haar und der eleganten kräftigen Figur so in Erregung zu versetzen, dass er lieber sitzen bleiben wollte, statt durch die ausgeprägte Beule in seiner Tunika seine Reaktion auf ihn zu verraten. Gerade, als er sich damit abgefunden hatte, der nächtliche Sitznachbar des älteren Herrn zu seiner linken zu bleiben, trafen seine Augen direkt auf Jonos. Man hätte meinen können, dass es Jono peinlich wäre, bei seinen nächtlichen Tanzeinlagen von Seth beobachtet zu werden, doch das genaue Gegenteil war der Fall! Kaum, dass er Seth gesehen hatte, stemmte er seine linke Hand in die Hüfte und ließ seine andere Hand zum Takt der Trommeln nach oben winken. Die Trommler verstanden ihn ohne Worte und der Rhythmus wurde ein weiteres Mal schneller, intensiver, noch eindringlicher. Jono bewegte sich inzwischen wie im Fieber und das Herz des Hohepriesters glich sich dem Klang der Trommeln an. Abermals hämmerte es in seiner Brust. Jono wirbelte herum. Seine Arme umschlangen den eigenen Körper als würde er sich im geheimen vorstellen, wie schmale feingliedrige Finger ihn leidenschaftlich liebkosten. Ein Bein leicht in den Sand gestemmt und angewinkelt, räkelte er sich nach vorne, beugte seinen Kopf nach hinten und präsentierte Seth ungehemmt seinen hellbraun schimmernden Oberkörper. Schmeichelnd strich er mit seinen Händen vom Hals bis zur Hüfte. Dies alles geschah in nur wenigen Sekunden, doch für Seth währte jede Sekunde eine nervenzehrende Ewigkeit. Wie in Zeitlupe verfolgte er jede Regung, jede Schweißperle, die den Körper Jonos herunter rann und seine Erregung nahm weiter zu. Die ganze Zeit über, ließ Jono ihn nicht einmal aus den Augen. Selbst, als er sich um sich selbst drehte, fing er den Blick von Seth sofort wieder ein. Und dann… …hörten die Trommeln auf und ein riesiger Applaus brandete los. Jubelnd gratulierten die Umstehenden dem letzten Tänzer. Blinzelnd erwachte der Hohepriester und wurde sich mit einmal wieder des unterhaltenden Aspekts der Tanzveranstaltung bewusst. Auch er hatte bereits von solchen Wettstreiten gehört, bei denen es darum ging, den besten Tänzer mit der größten Ausdauer zu finden. Gewonnen hatte stets der Tänzer, der die Zuschauer am meisten beeindruckt hatte und der am Ende noch stand. Solche Tänze konnten sich manchmal über Stunden hinweg ausdehnen. Auch in der Stadt hatten solche Tänze bereits stattgefunden, doch Seth hatte nie einem einzigen beigewohnt. Hätte er geahnt, dass Jono ebenfalls tanzte, … „Wenn ich nur ein paar Jahre jünger wäre, dann würde ich mir den Jungen nehmen“, posaunte der ältere Herr neben ihm heraus und grinste teils amüsiert teils anzüglich in Richtung Jono. Wut durchzuckte Seth. Als hätte er sich in ein Nest aus Nattern gesetzt, richtete er sich kerzengerade auf. Gereizt griff er sich den Umhang des Mannes und zog ihn dicht an sich heran. „Du würdest ihn nicht einmal bekommen, wenn du gerade erst geboren wärst!“ Überrascht hob der ältere Herr seine Hände und bedeutete ihm, dass er keinen Ärger wolle. „Ist ja gut, Jungchen. Das war doch nur so dahingesagt.“ Nicht wirklich zufrieden, ließ der Hoheproester ihn los. Stirnrunzelnd sah er zu dem Knäul aus Menschen, welches ihm den Blick auf den blonden Krieger verwehrte. Abermals spürte er wie sich ein Knoten in seinem Magen bildete. Schon früher am Abend, als er gemerkt hatte, dass er nicht der Einzige war, der Jono beim Tanz beobachten konnte, hatte sich sein Innerstes merklich zusammengezogen. Niemand anderes, außer ihm, sollte Jono so sehen! So verführerisch. Erregend. Ihn all seiner Sinne beraubend. Den Kopf schüttelnd richtete er sich auf. Ungeachtet seiner noch immer pochenden Erregung bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Zu seinem Glück verbarg die Tunika seine einzige nach außen sichtbare Reaktion auf Jonos Tanz. Ungehalten schob er zwei weitere Männer aus seinem Weg, ehe er bei Jono angelangt war. Dieser strahlte erschöpft aber offensichtlich bester Laune über das ganze Gesicht. Sein Zopf hatte sich inzwischen vollständig gelöst. Geschickt warf er sein langes blondes Haar über die Schulter und flocht ihn erneut in der ihm eigenen Art zusammen. Ein kleiner Faden, vermutlich aus seinem Gewand gerissen, hielt die Strähnen am Ende zusammen. Gerade nickte er einem der Anwesenden lachend zu, ehe ihn Seth zähneknirschend an der Schulter packte und mit sich zog. Vom Wein leicht benebelt rief ihm einer der Männer noch ein in seinen Augen verlockendes Angebot hinterher, doch Jono kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten. Seth hatte ihn bereits aus der Menge gezerrt. Erst ein paar Meter weiter, nachdem sie die Zuschauer hinter sich gelassen hatten, riss Jono sich schließlich los. „Verdammt! Bei Rah! Was soll das?“, erkundigte sich der Blonde. „Was das soll?!“ Wütend wirbelte Seth herum. Zischend erwiderte er „DU warst es doch, der wollte, dass wir nicht auffallen.“ „Und?“, wollte Jono herausfordernd wissen. „Nach deiner kleinen Tanzeinlage wird sich sicher JEDER hier an dich erinnern!“ Schneidend erwiderte Jono „Sicher nicht JEDER. DU warst vermutlich der Einzige, der mich die ganze Zeit angestarrt hat.“ „Ich habe dich nicht ANGESTARRT!“ „Nein, richtig. Du hast mich mit deinen Blicken förmlich VERSCHLUNGEN!“, erwiderte Jono. „Ja, sicher. Du triefst vor Schweiß. Dein Oberkörper ist dreckig und dein Haar sah eben noch aus, als wärst du von einem Kamel durch den Wüstensand geschleift worden… Da würde dich bestimmt JEDER mit seinen Blicken verschlingen!“, entgegnete Seth mit vor Sarkasmus triefendem Unterton. „Nicht JEDER. DU aber schon!“, stellte Jono wiederholt fest. „Davon träumst du!“, empörte sich Seth. „Ja. Davon träume ich“, bestätigte Jono ihm ungerührt. Von diesem Eingeständnis vollkommen aus dem Konzept gebracht, hielt Seth inne. Stur und beinahe ein wenig trotzig blickte ihm Jono direkt in die Augen. Er konnte nicht glauben, was er gerade von dem Anderen gehört hatte. Sollte das heißen, dass es Jono ähnlich ging? Dass er sich wünschte, von ihm berührt zu werden? Inzwischen hatten sie sich weit von dem Versammlungsplatz entfernt. Um sie herum herrschte nächtliche Stille. Lediglich ein paar Palmblätter waren zu hören, als der Wind sie leicht gegeneinander rieb. Eine kleine Wolke schob sich vor das leuchtende Strahlen des Mondes. Als sie sich langsam wieder entfernte, schien der Blonde offensichtlich eine Entscheidung gefällt zu haben. Langsam und verführerisch kam Jono auf ihn zu. Allein die weiße Perle am Firmament und seine Fackel, die er sich am Feuer noch kurz neu entzündet hatte, umrahmten seine Gestalt. Jono zögerte nur wenige Sekunden, ehe er seine flache Hand gegen die Tunika von Seth presste – genau an die Stelle, an welcher die Beule noch immer nicht vollständig abgeklungen war. „Und du träumst auch davon. Oder stehen bei dir nicht nur deine Haare, wenn dir kalt ist?“ Da Seth sich noch immer nicht rührte, wurde Jono mutiger und schob seine andere Hand unter die Tunika des Hohepriesters. Eine gelassene Haltung einnehmend schob er den Älteren ein Stück nach hinten, bis dieser am Stamm einer der umstehenden Palmen lehnte – die Fackel noch immer in der Hand. Sanft nahm Jono ihm den flackernden Holzstab ab und steckte ihn einen Schritt entfernt in den Sand, ehe er sich abermals dem Hohepriester zuwandte und ihn vorsichtig am Hals liebkoste, während diesmal beide Hände ihren Weg unter seine Tunika fanden. Seth stöhnte auf, als die noch vom Tanzen erhitzten Hände des Anderen seine kühlen Brustwarzen umspielten. Geschickt spreizten sich die Finger von Jonos rechter Hand über seiner Bauchdecke, während sie weiter nach unten wanderten, jedoch kurz vor seiner Erregung stoppten, nur, um ihn noch weiter in den Wahnsinn zu treiben. Streichelnd und neckend hauchte Jono ihm mehrere kleine Küsse auf seine Kehle. „Ich habe dich vorhin genau beobachtet, Seth“, flüsterte Jono leise. „Du ahnst nicht, wie lange ich mich danach gesehnt habe, dasselbe Verlangen in deinen Augen zu sehen, wie in meinen, wenn ich dich jeden Tag vor mir stehen sehe.“ Die Augen von Seth weiteten sich. Erstaunt richtete er seinen Blick weiter zu den Sternen, doch seine Gedanken rasten. Es stimmte, was Jono sagte. Er hatte das Verlangen gesehen. Schon seit sie sich zum ersten Mal wieder begegnet waren, hatte etwas in seinem Blick gelegen, dass ihn unmissverständlich angezogen hatte. In der Vergangenheit hatte er es auf Grund ihrer zahlreichen Wortgefechte stets als Abneigung oder Zorn ausgelegt, wenn Jono ihn so betrachtet hatte, wie er es in diesem Augenblick tat. Beinahe ehrfürchtig legte er eine Hand an die Wange des Jüngeren und hob sein Gesicht fordernd zu ihm an. Staunend nahm er sich die Zeit, hinter die Fassade von Jono zu sehen. Und dieser ließ es geschehen. An diesem Abend schien der Jüngere nicht in der Lage, sich weiter zu verstellen. Mochte es an seinem erschöpfenden Tanz, der Erregung oder am Willen Rahs liegen – ihm war es heute Nacht egal. Stück für Stück lösten sich die Nebelschleier, hinter denen Jono sein wahres Wesen bis jetzt vor ihm verborgen hatte. Er war sich sicher, dass er noch immer nicht den ganzen Jono sah, doch sein Herz jubilierte innerlich, als er hinter einigen dieser Schleier auch den alten Freund wiederentdecken konnte. Doch da waren noch so viel mehr Facetten! Sie alle zu erforschen und den Grund für ihre Anwesenheit zu lüften, würde vermutlich länger als nur eine Nacht brauchen. Heute, während des Tanzes, hatte er zum ersten Mal gesehen, was Jono ihm auf die ihm eigene Weise vermutlich bereits länger mitzuteilen versucht haben musste. Dieser Blick, mit dem er ihn angesehen hatte… In ihm lag… Leidenschaft. Sehnsucht. Verlangen. Verlangen nach etwas, von dem Jono geglaubt haben musste, dass er es nie bekommen würde. Diese Erkenntnis durchzuckte ihn wie ein Blitz. Das elektrisierende Gefühl, dass Jono ihn bereits seit langer Zeit ebenso zu begehren schien, wie er ihn seit einigen Stunden – oder doch auch schon länger? -, hinterließ ein unwiderstehliches Gefühl der Macht in ihm. Die Macht, diesen blonden Wildfang, der ihn täglich so viele Splitter seiner Selbstbeherrschung kostete, dass er schon lange aufgehört hatte, sie zu zählen, bezähmen zu können. Kurzerhand drehte er den Spieß um. Geschickt packte er Jono an den Schultern und presste nun ihn gegen die Palme, hielt ihn dort mit seinen Armen und Beinen gefangen. Ägyptische Wüstennächte waren kalt, doch er spürte nichts davon. Jono wehrte sich nicht, als er ihm nun auch noch den Schurz aus Leinen abstreifte. Darunter trug er, Rah wusste warum, nichts. Es war ein erregendes Gefühl den großen Heeresführer so verletzlich vor sich zu sehen. Während er selbst noch bekleidet war, entblößte Jono sich vor ihm vollkommen. Lediglich zwei breite glänzende Bänder lagen noch um seine Handgelenke. Auch über seinen Fußknöcheln befanden sich, wie Seth erst jetzt, als der Stoff fiel, feststellen konnte, zwei solcher goldenen Bänder. Abwartend sah er ihn an, während Seth ihn aus geringem Abstand von oben bis unten bewunderte. „Du hast recht“, stimmte er schließlich zu. „Ich will dich verschlingen. Vom Kopf bis zur Sohle, mit Haut und Haar, will ich, dass du mir gehörst.“ Jono sagte nichts. Stumm breitete er die Arme aus und gab seine Zustimmung. Seth ließ sich nicht zweimal bitten und begann, den Körper des anderen vorsichtig zu erkunden. Seine eigene Erregung konnte inzwischen nicht weiter anwachsen, doch er stellte seine Sehnsüchte vorerst zurück. Diesen Körper vor sich, Jonos Körper, wollte er bis zuletzt auskosten. Nun konnte er endlich das tun, wovon er bereits früher am Abend heimlich geträumt hatte. Angefangen am Ohr des Anderen begann er mit Hilfe seiner Zunge, sich einen langsamen qualvollen Weg nach unten zu kosten. Niemand würde sie hier um diese Zeit suchen oder erwarten. Sie hatten alle Zeit der Welt und Seth würde es Jono heimzahlen, dass er ihn so in den Wahnsinn getrieben hatte - mit seinen Händen, seinen Armen, seinen schwingenden schmalen Hüften und seinen ellenlangen Beinen, welche noch immer verführerisch glänzten. Seine Zunge wanderte weiter, zog kleine Kreise um die Nippel des anderen. Spielerisch biss er hinein und drehte die jeweils andere Brustwarze ein ums andere Mal zwischen den Fingern seiner rechten Hand. Mit der linken Hand gab er Jono zusätzlichen Halt, da dessen Beine inzwischen zu schwach waren, um das eigene Gewicht noch zu tragen. Gemächlich ließ Seth seine linke Hand tiefer wandern, massierte sanft dessen Schenkel und bahnte sich mit ein paar Fingern von hinten seinen Weg nach vorne zum steifen Schaft des Blonden. Nur mit der Fingerspitze seines langen Mittelfingers strich er sacht und federleicht von der Wurzel bis zur Spitze des erregten Fleisches und entlockte Jono ein erstes leises Stöhnen. Ab jetzt stand er vollends unter seinem Bann. Geschickt kniete Seth sich vor ihn, ohne mit den Streicheleinheiten seines Mittelfingers aufzuhören und nahm, während er die Hüfte Jonos weiter mit der rechten Hand stützte, die erigierte Spitze von Jonos Schaft in den Mund. Es fühlte sich wunderbar an! Seine Lippen umschlossen samtweiches und doch festes pochendes Fleisch. Ein kleiner Tropfen salziger Flüssigkeit perlte in seinen Mund und er konnte spüren, dass er Jono fast bis zum Rande seines Durchhaltevermögens gebracht hatte. Doch noch wollte er den Kleineren nicht entlassen. Zu lange hatte er ihn immer wieder zur Weißglut getrieben. Nun war es an ihm, ihm all diese kleinen Gemeinheiten auf eine höchst lustvolle Art heimzuzahlen, ehe er ihn über die Klippe springen ließ. „Seth!“, stöhnte Jono unwillig auf, als dieser wieder von seiner Spitze abließ und seinen Finger nun durch seine Zungenspitze ersetzte. Seth konnte durch seine rechte Hand spüren, wie wild das Herz von Jono schlug, als er wieder anfing, mit dessen Brustwarzen zu spielen. Gereizt durch kleine Kniffe färbten sie sich in einem zarten Rosa. Belustigt und zugleich selbst hoch erregt, sah er in das verschwitzte und lustverhangene Gesicht des Heeresführers. Es war faszinierend, diesen sonst so starken Krieger allein in seiner Hand zu sehen. So verletzlich, so wunderschön und sinnlich. Ohne, dass er selbst zunächst davon bewusst Kenntnis nahm, reifte in Seth ein eiserner Entschluss. Niemand sonst sollte Jono je so zu Gesicht bekommen! DIESER Jono, sollte nur ihm gehören! Sich kurz die trockenen Lippen befeuchtend stöhnte Jono abermals auf, als Seth die Innenseite seiner Schenkel mit leichten Bissen malträtierte. Gleichzeitig hatte seine Hand seine Arbeit an der Wurzel des Schaftes wieder aufgenommen. Genauso zärtlich, wie er zubiss, streichelte er gleichzeitig den blonden Flaum des Jüngeren und reizte die Haut darunter zusätzlich. Inzwischen hatte Jono damit begonnen, sich beinahe haltlos unter seinen Händen und Zähnen zu winden und wäre wohl längst zusammengesackt, wenn die rechte Hand von Seth nicht angefangen hätte, mit seinen Hoden zu spielen. Liebevoll massierte er die kleinen Kugeln, während einer der Finger sich kaum merklich zum hinteren Eingang von Jono stahl. Immer wieder ließ Seth seine Finger über die kleine Öffnung gleiten und konnte schon bald spüren, wie Jono bei jedem Streichen anfing aufzustöhnen. Haltlos suchte er nach etwas zum Festhalten und streckte schließlich seine Arme über seinen Kopf. Sich selbst vollkommen in dem Gefühl verlierend, von Seth an beinahe allen empfindlichen Stellen gleichzeitig verwöhnt zu werden, klammerten seine Finger sich an die leicht poröse Rinde der Palme hinter ihm. Notgedrungen streckte er seinen Körper dadurch weiter durch und rieb seinen Hintern beinahe zufällig über dem rauen Stamm des Gewächses. Übersensibilisiert durch die Berührungen des Hohepriesters, stöhnte er abermals auf und presste seinen Hintern ein weiteres Mal an den Stamm, um auch die Hand des Braunhaarigen an dieser köstlichen Stelle zu behalten. Er hatte jedoch vergessen, dass er Seth mit dem Strecken seines Körpers eine weitere Angriffsfläche bot. Flink entwand dieser seine Hand aus der Zone zwischen Palme und Hintern von Jono und ließ sie stattdessen nur noch federleicht über seine heiße Haut streichen. Aufstöhnend streckte Jono sich der geschickten Hand entgegen und rieb sich abermals an dem harten Stamm hinter ihm, um auf irgendeine Art Erlösung von diesen ungeahnten Gefühlen zu erhalten. „Nicht so schnell, Kleiner.“ Entschlossen hielt Seth die Hüfte des anderen fest, um ihn in seinen Bewegungen zu stoppen. In diesem Augenblick blitzte für einen kurzen Augenblick die alte Angriffslust in Jonos Augen auf. Gerade, als er darauf etwas Passendes erwidern wollte, versenkte Seth seinen Daumen im Mund des anderen und glitt mit der anderen Hand abermals federleicht über den steifen Schaft des anderen. Die Augen vor Lust verdrehend begann Jono an dem ihm angebotenen Daumen zu lecken und zu saugen. Langsam tauschte Seth den Daumen durch Zeige- und Mittelfinger aus, ehe er diese, so angefeuchtet, eine schimmernde Linie am Hals entlang bis zur Rückseite Jonos ziehen ließ. Er selbst war bereits fast am Rande seiner Belastungsgrenze. Der Wunsch, sich selbst in Jonos Körper zu graben, wurde immer größer und mächtiger. Geschickt umschloss er abermals den Penis des Anderen mit seinen Lippen, nahm ihn dieses Mal jedoch ganz in seinem Mund auf. Geschockt von den warmen Lippen begann der Körper von Jono beinahe ganz allein, sich abermals vor und zurück zu bewegen. Gleichzeitig massierte Seth jedoch seinen hinteren Eingang mit den noch immer leicht feuchten Fingern, so dass Jono bald nicht mehr wusste, nach welcher Empfindung er sich richten sollte. Nur wenig später wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Seth begann an seinem Schaft zu saugen und bewegte seinen Mund dabei gleichzeitig rhythmisch auf und ab. Immer, wenn er an der Spitze angekommen war, strich er reflexartig mit spitzer Zunge darüber, um keinen der wertvollen Tropfen salzig schmeckender Flüssigkeit entkommen zu lassen. Zeitgleich intensivierte er seinen Druck auf die Öffnung Jonos, bis er schließlich mit einem Stoß seines Mittelfingers in ihn eindrang. Dies ließ Jono endgültig über die Klippen treiben und in Begleitung eines halb unterdrückten Aufstöhnens stieß er ein letztes Mal in die Mundhöhle von Seth, ehe seine Beine endgültig unter ihm zusammensackten und auch seine Arme zu schwach waren, um ihn noch zu halten. Überrascht, dass ihm der Samen eines anderen Mannes in seinem Mund so viel Vergnügen bereitete, ließ Seth indes einen Teil der Flüssigkeit auf seine Hand tropfen. Mit kräftigen Händen drehte er den noch immer schwer atmenden Jono auf die rechte Seite, und führte seinen nun wieder angefeuchteten Finger abermals in die noch immer zuckende Öffnung von Jono ein. Dieser begann augenblicklich, sich erneut zu winden und weitere Tropfen fanden ihren Weg in den noch immer warmen Sand unter ihnen. Langsam streichelte Seth den Blonden von oben, über die Hüfte entlang, bis vor zu seinem erneut wachsenden Glied. Er war fasziniert zu sehen, wie schnell Jono abermals für ihn bereit war. Während er ihn wiederholt massierte und verwöhnte, führte er mit der anderen Hand erst einen zweiten und dann einen dritten Finger in ihn ein und weitete ihn von innen. Sein eigenes Glied pochte indes verdächtig unter seiner Tunika, als Jono seinen Hintern immer weiter von selbst gegen seine eindringenden Finger presste. „Bitte!“, flehte Jono schließlich, als das Verlangen in ihm übermächtig zu werden drohte. Seth genoss es in diesem Augenblick jedoch viel zu sehr, Jono in der Hand zu haben und wollte den Moment so lange wie möglich auskosten. „Bitte was? Du muss mir schon sagen, was du willst.“ „Bitte…“ Jono ließ seine Hüfte bezeichnend nach hinten wandern, doch Seth zog seine Finger augenblicklich zurück. Er wollte von Jono hören, dass er IHN wollte und niemanden sonst. Wiederholt kamen ihm die lüsternen Blicke der anderen Zuschauer in den Sinn. Er wusste nicht warum, doch in ihm keimte das Gefühl, entweder diese Leute dafür töten oder Jono dafür bestrafen zu müssen, dass er sich vor diesen völlig Fremden so leidenschaftlich gezeigt hatte. „Bitte… Seth. Ich will nicht deine Finger. Ich will DICH … in mir spüren. BITTE!“ Das letzte heisere Flehen von Jono zusammen mit dessen fiebriger Stimme, gab Seth den Rest. Schnell streifte er seine Tunika halb ab und legte sich hinter Jono. Vorsichtig drehte er diesen um und kniete sich über ihn. Der Blonde zog seine Beine an, spreizte sie leicht und lieferte sich ihm damit vollkommen aus. Das letzte geflüsterte „Bitte“ hätte gar nicht mehr sein müssen, denn Seth wollte in diesem Moment nichts anderes, als in den Körper des Blonden einzudringen. Ein letztes Mal massierte er die Öffnung des Kleineren und verschmierte einige seiner eigenen Lusttropfen daran, um das Eindringen für Jono erträglicher zu machen. Langsam setzte er seine Spitze an, ehe er vorsichtig vorstieß. Doch er war noch nicht einmal zur Hälfte in Jono versunken, als dieser seine Hüfte bereits mit einer schnellen fordernden Bewegung nach hinten schob und ihn so selbst in sich versenkte. Schmerzerfüllt stöhnte er kurz auf. „Was…“ Seth atmete tief ein und aus. So plötzlich von dieser Hitze umfangen zu sein, ließ ihn schier den Verstand verlieren. Am liebsten hätte er sofort damit begonnen, Jono mir kräftigen Stößen zu nehmen, doch er wusste, dass er ihm damit unnötige Schmerzen bereiten würde. Mit einmal spürte er eine Hand von Jono an seiner eigenen, welche die Hüfte des anderen noch immer festhielt. Erstaunt sah er in das Gesicht Jonos. Dieser hatte seinen Kopf auf den Boden gelegt und leicht nach hinten gedreht, so dass er im Licht der Fackel dessen halb verwegenes, halb belustigtes Grinsen sehen konnte. „Seit wann bist du so zimperlich, Seth?“ Erstaunt weiteten sich die Augen des Angesprochenen. Als Jono mit rauer lustverhangener Stimme leise „Nimm mich“ flüsterte, war das alle Aufforderung, die Seth noch gebraucht hatte. Mit einem ebenso leicht überheblich wirkenden Grinsen, riss er den anderen hoch und stieß einmal kräftig in ihn hinein. Ihn weiter an sich ziehend umfasste er mit der rechten Hand dessen Schaft und neckte mit der linken Hand eine seiner vorwitzigen Brustwarzen. Zusätzlich knabberte er an seinem Ohrläppchen und drückte seinen Rücken auf diese Weise noch näher an sich. „Gut Heeresführer. Dann beschwere dich morgen nicht. Solltest du morgen nicht einmal einen Schritt vor den anderen setzen können, werde ich lachend an dir vorbeischreiten und dich an der nächsten Oase mit einem breiten Grinsen empfangen.“ „Beweis erst mal, dass du Manns genug bist, deine Versprechen auch wahr zu machen, Priester“, gab Jono, ein Stöhnen unterdrückend, von sich. Und obwohl er noch immer hoch erregt war, konnte man das Grinsen förmlich hören. In Seths Brustkorb schwoll ein weiteres unterdrücktes Lachen an, während er sie beide gemeinsam aufrichtete und Jonos Hände an die Palme legte. Schmunzelnd küsste er den Nacken des anderen. „Dann halt dich gut fest, Kleiner.“ Er genoss diese kleinen Geplänkel mit Jono, auch wenn sie während ihres nächtlichen Treibens inzwischen an Schärfe verloren hatten. Mit seinen letzten Worten stieß Seth schließlich ein zweites und drittes Mal kräftig zu und versagte Jono damit vorerst jede weitere Entgegnung. Immer fester und schneller versenkte Seth sich in die heiße enge Öffnung, die wie für ihn geschaffen schien. Befeuchtet durch seine eigenen Lusttropfen wurde das Eindringen schließlich leichter. Zudem gewöhnte sich Jono schnell an sein großes und steifes Glied und empfing jeden Stoß mit voller Lust. Der kleine ziehende Schmerz, der jedes Eindringen begleitete, steigerte sein Verlangen nach dem nächsten nur noch. Immer wieder ließ er seinen Hintern auch selbst nach hinten schnellen, wenn Seth ihm, um ihn zu necken, den nächsten Stoß verwehrte. Schließlich fanden sie jedoch zu einem stetigen Rhythmus, der sie beide immer weiter dem Höhepunkt entgegen trieb. Nach weiteren quälenden und doch lustvollen Minuten, schlich sich die Hand von Seth wieder nach vorne zum erregten Glied von Jono und rieb es ebenso hart zwischen seiner Hand, wie er von hinten in Jono eindrang. Das und das Gefühl des erhitzten Körpers von Seth an seinem ließen Jono in dieser Nacht das zweite Mal über die Klippen gleiten. Vorsichtshalber hatte Seth ihm abermals zwei Finger in den Mund geschoben, an denen er intensiv saugen konnte, während er zu seinem Höhepunkt kam. Auf diese Weise wurde sein lustvoller Schrei halbwegs gedämpft. Von den zuckenden Muskeln um sich herum vollkommen eingeschlossen, kam auch Seth schließlich zum erlösenden Höhepunkt. Er selbst biss, um nicht weithin gehört zu werden, in die Schulter von Jono, was diesem lediglich neue Schauer durch den Körper jagte. Zweimal stieß Seth noch kräftig in ihn, eher er sich schließlich im Inneren von Jono entlud. Einige zeitlose Minuten blieben sie noch genau so stehen, ehe Jono schließlich die Hände von der Palme löste und Seth sich aus dem Blonden zurückzog. Mit einem belustigten Funkeln in den Augen, stellte er im Licht der Fackel fest, dass Jono noch immer der Einzige von Ihnen beiden war, der sich vollständig entkleidet hatte. Er selbst hatte nur den Stoff seiner Tunika zurückgeschlagen. Grinsend und seine Gedanken für sich behaltend, schloss er Jono in seine Arme, während dieser sich mit ein paar in der Nähe liegenden Palmenblättern notdürftig säuberte. Zärtlich hauchte Seth einen vorsichtigen Kuss auf den blonden Schopf. „Wer hätte gedacht, dass der kratzbürstige menschenscheue Heeresführer, mich einmal so leidenschaftlich in sich aufnehmen würde.“ Eine Augenbraue lüpfend sah Jono zu ihm auf. „Nun, wer hätte gedacht, dass der eiskalte, arrogante und immer missgestimmte Hohepriester überhaupt zu einer solchen Leidenschaft in der Lage ist?“ Sanft strich Seth ihm eine seiner blonden Strähnen aus dem Gesicht. Er wurde ernst. „Niemand. Ich am allerwenigsten.“ Als hätten sie sich nicht gerade leidenschaftlich geliebt, wanderte der Hohepriester vorsichtig, als sei Jono überaus zerbrechlich, mit den Fingern über die Lippen des anderen. Erst jetzt fiel ihm auf, wo er den Hauptmann während dieser gesamten leidenschaftlichen Stunde nicht einmal berührt hatte. „Ich möchte dich küssen.“ Jono sah ihn lange an. Erst ein paar endlose Sekunden später gab Jono sein Einverständnis. „Dann tu es.“ Seth ließ sich nicht zweimal bitten und senkte seine Lippen auf die zarten rosa Gegenpaare. Es fühlte sich unglaublich an! Genüsslich strich er mit der Zunge über die Lippen des Blonden und verlangte sanft nach Einlass. Während er jedoch zuvor die Oberhand gehabt hatte, übernahm nun Jono die Führung und lockte ihn in sein Reich, wo er ihn umschmeichelte und abermals verführte. Wäre er nicht so erschöpft von ihrem Liebesspiel gewesen - er war sich sicher, dass allein dieser Kuss ausgereicht hätte, ihn ein weiteres Mal kommen zu lassen. Schwer atmend lösten sie sich nach ein paar Minuten wieder von einander. Ihre Blicke trafen sich, musterten sich gegenseitig. Beide waren erstaunt, wie viel Macht der jeweils andere über sie zu haben schien. Niemand sprach von Liebe in dieser Nacht. Doch als Seth bereits in den Schlaf hinüberdämmerte, konnte er entfernt noch einmal die Stimme Jonos hören. Selbst Jahre danach war er sich noch nicht sicher, ob er sich die leise gemurmelten Worte nur eingebildet hatte. „Mein Leben für das deine.“ ~~~~~~~~~~ Seto erwachte schweißgebadet. Sein gesamter Körper brannte wie im Fieberwahn. Er atmete schwer und war sich sicher, würde er in diesem Augenblick die Bettdecke zurückschlagen, würde er sich vermutlich mit der unerfreulichen Tatsache auseinandersetzen müssen, dass er eine Morgenlatte hatte. Verdammt, jetzt nahmen diese Erinnerungen schon direkten Einfluss auf sein sexuelles Befinden! Seit wann war er denn bitte schwul? Murrend befühlte er die ‚Bescherung‘ am Morgen. Aufstöhnend rieb er ein paar Mal darüber und kam nicht umhin, sich noch einmal einen beträchtlichen Teil seines Traumes wieder in Erinnerung zu rufen. Die blonden Haare auf seiner Haut. Die weichen Lippen auf seinen eigenen. Der harte Körper unter seinem. Die Muskeln und Sehnen, die sich unter seinen Händen anspannten, als er den erhitzten Körper in Besitz nahm. Noch immer hatte er kein Gesicht für den Blonden. Doch er ertappte sein Gehirn dabei, wie dieses die leere Stelle in seiner Erinnerung mit einem Bild von Joey Wheeler ersetzte. Abermals stöhnte er auf, als er sich unwillkürlich vorstellte, wie es wohl wäre, wenn Joey unter ihm läge. Stöhnend. Sich windend. Nach mehr bettelnd. Seine Bewegungen mit der Hand wurden immer schneller, als er sich schließlich, diesen Gedanken und Vorstellung hingebend, wie Joeys Gesicht wohl in diesem Moment zu ihm aufsähe, Erleichterung verschaffte. Geschwind zückte er kurz darauf ein paar Taschentücher und beseitigte alle Beweise dieser verborgenen Gedankenwelt. Kaum, dass alle Hinweise vernichtet waren, versuchte er sich selbst wieder in die Realität zurückzuschicken. Das, was eben passiert war, konnte unmöglich stattgefunden haben. Er konnte auf keinen Fall an Joey gedacht haben, während er … Sicher, der Blonde geisterte ihm aufgrund der letzten Vorkommnisse dauernd in seinen Gedanken herum, aber dass er sogar soweit ging, ihn in seine morgendlichen Phantasien mit einzubeziehen! Kopfschüttelnd stand Seto auf. Er verzichtete darauf, sich IRGENDWAS von den Träumen aus dieser Nacht in sein Buch zu schreiben. Vermutlich hätte er seine Aufzeichnungen ansonsten verlegen und als Pornobestseller verkaufen lassen können. Er war sich zu 100 % sicher, dass er diesmal sicher NICHTS aus seinem Traum vergessen würde. Nicht das kleinste Detail. Gar nichts! Zu genau hatten sich der Geschmack und der Duft von Jonos Körper und ebenso das Gefühl der weichen Haut unter seinen Fingerspitzen in sein Gedächtnis eingebrannt. Bei dem Gedanken daran konnte er förmlich spüren, wie sich abermals etwas in seiner unteren Region regte. „Eine kalte Dusche… Ich brauche nur eine kalte Dusche und alles ist wieder in Ordnung“, murmelte er leise vor sich hin. Er wartete nicht lange damit, diesen Entschluss auch in die Tat umzusetzen. Ein kurzer, in der Villa ungehörter, Aufschrei kündete davon, dass das Wasser vermutlich auf 0 Grad eingestellt worden war, bevor der Firmenchef sich darunter stellte. Kapitel 27: Nichts als die Wahrheit ----------------------------------- @Lunata: Jup... was lange währt... wird noch nicht gut... *fg*... aber Jono und vor allen dingen Seth ist auf einem sehr guten Weg dahin. Denn wenn ein Seth oder ein Seto Kaiba einmal etwas erkannt oder sich eingestanden haben... aber warts ab. ^.~ @Anyu: Nein. Schnell am Tippen bin ich nicht. Ich habe nur leider keine Beta-Leserin mehr, daher kommen die Kapis jetzt wieder schneller aber vermutlich sind auch wieder an der ein oder anderen Stelle wieder mehr Fehler. *seufz* Naja... Hey! Jono ist definitiv keine 'Tanzmaus'. *jono tröst* Er tanzt elegant, voller Kraft und wunderschön. ^.~ Was das mit der Erfahrung anbelangt... Ich habe nicht gesagt, dass er keine hat. Es hieß nur, dass er kein sooo großes Interesse daran hatte - bisher. Erfahrungswerte gab es sicherlich. Sein ohnehin starkes Selbstbewusstsein ist ihm bei all dem aber sicher eine große Hilfe. ^.~ Und besitzergreifend ist er in meiner Vorstellung ohne Ende.... Deine Charakteristik trifft also voll ins Schwarze. *smile* @Sy: Sabbernd? *G* Dann habe ich mein Ziel ja erreicht. Was die peinlichen Begegnungen anbelangt, wäre ich mir da nicht so sicher. Joey ist auch nicht ohne und wenn er wüsste, was Kaiba da im Kopf herumgeht... Wer weiß, wer weiß... *fg* @primavera: Ich dachte mir fast, dass der ein oder andere es nicht lesen kann. Schön, dass du trotzdem einen Weg gefunden hast. Eine ENS an mich mit deiner Mailadresse hätte dir aber auch weitergeholfen. ^.~ *freu* Aber ich habe gestrahlt, als ich gelesen habe, dass ich dich noch überraschen konnte. Das ist doch das Schönste, wenn man als Autor nicht vorhersehbar ist. Du tanzt selber? Bewundernswert. Ich selbst habe leider null Taktgefühl - was aber bitte nur in Bezug auf Musik zu verstehen ist. ^.~ Umso lieber sehe ich mir tanzende Leute an. Meine Mutter und Urgroßmutter waren gute Tänzer... Tjaja. Nix von wegen Vererbung. Meine Gene stammen alle von meinem Vater. Meine Mutter hat mich nur zur Welt gebracht. *seufz* Nicht mal eine winzige Locke hat sie mir vererbt. ;_; (Sie hat nen Lockenkopf und meine Haare sind so glatt, darauf könnte man Schlittschuh fahren. *sniff*) An alle, die das voran gegagnene Kapitel nicht lesen konnten... Eine ENS mit Mailadresse hilft weiter. ^.~ Viel Spaß beim Lesen. _________________________________________________________________ Die folgenden Tage vergingen nur schleppend für Kaiba. Der Unterricht hatte inzwischen wieder begonnen. Von Joey war jedoch weit und breit nichts zu sehen. Er fehlte bereits seit dem ersten Schultag, was von der Schule zwar entschuldigt war, da laut Schülerakte eine Krankschreibung vorlag, doch das trug nicht dazu bei, dass die Sorgenfalten im Gesicht des Firmenchefs gemildert wurden. Dass die Daten von Schülerakten eigentlich nicht weitergegeben werden durften, interessierte Kaiba nicht. Er hatte eine Firma. Er hatte Geld. Er hatte Macht. Und er wäre zu diesen drei Dingen sicher nicht gelangt, wenn er Skrupel davor hätte, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel auch einzusetzen, um zu bekommen, was er wollte. Alle drei Säulen seines Lebens verloren aber ihre Bedeutung, als Joey in der zweiten Schulwoche endlich wieder zum Unterricht erschien. Yugi und Tristan klebten sofort wie Kletten an dem Blonden, als dieser den Klassenraum betrat, so dass er nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen konnte, doch das reichte schon, um sich einen groben Eindruck vom Zustand des Anderen zu verschaffen. Sein rechtes Auge war noch immer leicht grün gefärbt und der rechte Lippenwinkel war aufgerissen. Darüber hinaus konnte Seto eine großflächige Blessur knapp über dem Stehkragen des Schülers schimmern sehen. Jemand hatte dem Hündchen ziemlich zugesetzt. Der Firmenchef hatte sich inzwischen an den leichten Stich in seiner Brust gewöhnt, der ihm das Atmen erschwerte, wann immer er an Joey dachte. Dass sein Herz einen Schlag aussetzte, als er dessen Verletzungen betrachtete, war für ihn lediglich ein weiteres Symptom einer Krankheit, die er nicht beim Namen zu nennen wagte. Trotz seines lädierten Äußeren schien der Blonde guter Dinge zu sein. Freimütig gab er darüber Auskunft, dass er seit langem mal wieder einen „geilen Kampf“ gehabt habe. Zwei Männer wären ihm in einer dunklen Gasse begegnet und er habe sich verständlicherweise gewehrt, als diese ihn schlagen wollten. Am Ende habe er ihnen aber ordentlich eingebläut, sich in Zukunft vorzusehen, mit wem sie sich anlegten. Kaiba, der von seinem Sitzplatz aus das ganze prahlerische Getue des Anderen mitbekam, schüttelte innerlich ungläubig den Kopf. Er staunte insgeheim, wie gut der Blonde NICHT log. Im Gegenteil: Er erzählte die reine Wahrheit. Man musste jedoch darauf achten, WIE er sie erzählte und was er NICHT erzählte. Durch seine flapsige Betonung und die Art, in der er das Geschehen wiedergab, musste man zwangsläufig einen falschen Eindruck gewinnen. Yugi und die anderen stellten sich bei dieser Erzählung wahrscheinlich gerade vor, wie zwei Halbwüchsige Joey abends aufgelauert hatten, um ihn um sein Kleingeld zu erleichtern. Joey, ganz der vorlaute und angriffslustige Oberschüler, hatte die Chance genutzt, sich mit den beiden anzulegen und sich zu prügeln. Die ganze Geschichte wurde von einem halb verlegenen Lächeln als Sahnehäubchen abgeschlossen, mit welchem Joey wohl ausdrücken wollte, dass er das Prügeln eben nicht lassen könne. Wenn es nicht lächerlich aussehen würde und in keiner Weise zu ihm gepasst hätte, säße Kaiba in diesem Moment wohl mit geöffnetem Mund in der Klasse. Seine Augen wären dabei mit großer Wahrscheinlichkeit auf Joey gerichtet, als hätte man seinen Blick an dessen Gesicht mit Tesafilm fixiert. Im Gedenk an zahlreiche ähnliche Schilderungen Joeys, welche dieser ihm in meist prahlerischer Weise unter die Nase gerieben hatte, hätte er seinen eigenen Kopf am liebsten gegen die nächste Wand befördert. Eine weitere vermeintliche Schwäche Joeys wanderte gedanklich in den Müll. /‘Joey Wheeler ist nicht in der Lage, zu seinen eigenen Fähigkeiten zu stehen‘, hat Sakumoto gesagt. Pah! Von wegen. Er kaschiert sie sogar absichtlich und versteckt sich hinter einer Mauer aus… Halbwahrheiten und übertriebenen prahlerischen Geschichten, die ohne Umschweife zu einer kompletten Fehleinschätzung und Unterschätzung seiner Fähigkeiten führen./ Er wollte lieber nicht hinterfragen, wie oft ihn der Blonde mit seiner gelungenen Art, etwas zu schildern, bereits ebenfalls aufs Glatteis geführt hatte. /Gar nicht dumm, Hündchen. Du hättest Schauspieler werden sollen!/, gratulierte Kaiba ihm gedanklich knurrend zu dieser gelungenen Vorstellung. Würde er die Wahrheit nicht kennen, wäre auch er dieses Mal wieder auf Joey hereingefallen. Doch im Gegensatz zu den anderen wusste er, was am Ende der Ferien tatsächlich geschehen war. Tatsächlich hatte es sich bei seinen Gegnern nicht um Jugendliche, sondern um erwachsene Männer gehandelt. Die offensichtliche Wahrheit kaschierte der Blonde jedoch mit einer wegwerfenden Handbewegung. Wer in der Gasse wem aufgelauert hatte, ließ er hingegen vage. Keiner der anderen wusste, dass nicht die zwei IHM aufgelauert hatten, sondern er IHNEN. Zudem erwähnte er mit keiner Silbe, dass es sich bei den Männern um Kirian und seinen Mittelsmann zur Tome Corporation gehandelt hatte. Auf die Frage über den Zustand, in dem sich seine zwei Gegner am Ende des Kampfes befunden hatten, ging er mit einem Schulterzucken hinweg. Dies vermittelte den Eindruck, dass die zwei irgendwann genug gehabt hatten und abgehauen waren. Der Krankenwagen, der den beiden beim Abhauen eine Hilfe gewesen war, kam in der Erzählung Joeys ebenfalls nicht vor. Angesichts dessen, dass er selbst davon eigentlich nichts wissen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als seiner sonstigen Rolle gemäß auf die Erzählung des Blonden zu reagieren. Geräuschvoll erhob er sich von seinem Stuhl, setzte eine finstere Miene auf und wandte sich in Richtung Raumausgang. Im Vorbeigehen warf er Joey seinen jahrelang gut einstudierten vernichtenden Blick zu. „Looser.“ Mehr sagte er nicht, als er den Raum in einer unbestimmten Richtung verließ. Dennoch ließ er diesen kurzen Augenblick nicht verstreichen, ohne dass er Joey noch einmal genau von oben bis unten mit seinen Blicken taxierte. Er wollte sicherstellen, dass der Blonde nicht noch mehr Verletzungen davon getragen hatte, doch seine Schuluniform stand dem im Wege. Joey sagte nichts. Er ignorierte ihn und ließ ihn wortlos an sich vorbei. Früher wäre ihm das Hündchen für eine solche Bemerkung bereits an die Gurgel gesprungen und hätte mit entsprechenden Kommentaren gekontert. War dieses Schweigen ebenfalls ein Teil seiner selbstgewählten Rolle, seines schauspielerischen Könnens? Kaiba wusste sein Verhalten in diesem Augenblick nicht zu deuten. Immerhin hätte Joey auch in seiner früheren Rolle verharren und seine Kommentare kontern oder ihn zumindest anschreien können. War er immer noch verletzt, über dass, was in der Kaiba Corporation vorgefallen war? Bei Rah! Kaiba hätte es ihm nicht einmal verdenken können. Er hatte ihn ohne wirkliche Beweise verurteilt, geschlagen und des Verrats beschuldigt! Erstaunlicher wäre es wohl, wenn Joey NICHT sauer oder verletzt gewesen wäre. Dennoch… Kleine feine Nadeln hinterließen unsichtbare Wunden in Kaibas Herzen. Früher hätte Joey auf jede Ungerechtigkeit mit Schreien und Toben reagiert. Etwas… hatte sich geändert. Grübelnd schlug er den Weg in Richtung Dach ein. Oben angekommen, schaute er über den Schulhof und die Dächer der benachbarten Gebäude. /Seit wann hat das eigentlich alles angefangen?/, fragte er sich im Stillen. /Seit wann haben SEINE Gedanken und Gefühle so einen immensen Einfluss auf MEINE Gedanken und Gefühle?/ Der Firmenchef musste nicht lange über diese Frage nachdenken, ehe er sich leise seufzend eingestehen musste, dass dem so war, „seit ich Joey das erste Mal begegnet bin.“ /Er ist ein wandelnder Flohhaufen und macht nichts als Ärger!/ In Gedanken versunken trat er an den Rand des Daches und verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust. Sein allgegenwärtiger weißer Mantel bauschte sich leicht auf. Die Augenbrauen zusammengezogen, musste er zugeben, dass Joey der Einzige war, der sich nie vor ihm gefürchtet hatte. Er hatte ihm immer geradeheraus seine Meinung gesagt. Ob erwünscht oder unerwünscht war dem Blonden dabei ganz egal gewesen. Er hatte ihn damit immer wieder herausgefordert, ihn zum Kontern gereizt und ihn dadurch oft dazu gebracht, seine eigenen Ansichten immer wieder zu hinterfragen. Mehr als einmal hatte er es dadurch geschafft, seine Entscheidungen zu beeinflussen – auch wenn er das dem anderen gegenüber nie zugeben würde. „Und, wie es scheint, ist er auch der Einzige, der es geistig mit mir aufnehmen kann.“ Seine Stirn glättete sich. Ein kaum sichtbares Schmunzeln umspielte seinen Mund. „Doofer Köter.“ Hätte er in diesem kostbaren Moment einem Spiegel gegenübergestanden, hätte er in die Augen eines entschlossenen Mannes gesehen, in denen sich eine Liebe wiederspiegelte, die bereits tausende von Jahren überdauert hatte. Doch kein Spiegel kreuzte seinen Weg. Vielleicht wäre es dazu auch noch zu früh gewesen… Kopfschüttelnd wandte er sich von dem Blick auf den strahlend blauen Himmel und der langsam aufsteigenden Sonne ab. **********zur selben Zeit im Klassenraum********** Joey streckte sich ein weiteres Mal in alle Richtungen. Innerlich aufstöhnend wurde er sich seiner zwei Blessuren am rechten Arm bewusst. Kirian hatte fester zupacken können, als ihm lieb gewesen war. Offensichtlich rostete er langsam ein. Früher wäre ihm ein solcher Fehler nicht unterlaufen. Voller Selbstironie lachte er in sich hinein. /Früher… Vor 300 Jahren. Ich musste schon lange niemandem mehr eine Lektion erteilen./ Dennoch. Auch in dieser modernen Zeit galt: Es gab nichts tödlicheres, als seine Gegner zu unterschätzen. Zum Glück hatte er sich schnell gefangen. Am Ende hatten weder Kirian noch dessen Kontaktmann etwas gegen ihn ausrichten können. Voller Zufriedenheit dachte er an den Anblick des Verräters, als dieser vor ihm auf dem Boden gelegen und um sein Leben gebettelt hatte. Oh, er hatte ihn nicht so zusammengeschlagen, dass das notwendig gewesen wäre, aber Kirian war schon immer ein Weichei gewesen. Am liebsten hätte er ihm noch einige Knochen in seinem Leib gebrochen, doch er kämpfte fair – wenn jemand bereits am Boden lag, trat er selten nochmal nach. Aber er fühlte sich auch nicht dazu verpflichtet, einen Krankenwagen zu rufen. Das hatte er Kirian selbst überlassen. Nach dieser kleinen Aktion konnte er zumindest sicher sein, dass Kirian vorerst keine weiteren Daten aus Kaibas Firma stehlen würde. Inzwischen hatte er Kontakt zur Tome Corporation aufgenommen und sich dort als neuer Mittelsmann angeboten. Herr Tome war zunächst skeptisch gewesen und wollte sich die Sache überlegen. Offensichtlich hatte er bereits durch Kirian von seiner Funktion in der Kaiba Corporation erfahren. Er misstraute ihm. Verständlicherweise. Immerhin hatte er seinen vorigen Spion krankenhausreif geschlagen. Doch dieses Misstrauen würde er in der kommenden Zeit zerstreuen. Denn, wie er richtig vermutet hatte, hatte Kirian dem Chef der Corporation auch von seinen überragenden Fähigkeiten berichtet. Herr Tome hatte bereits angedeutet, dass er durchaus Verwendung für Leute hatte, welche Kenntnisse über die von Kaiba entwickelte Programmiersprache hatten und die Räumlichkeiten der Firma betreten konnten, ohne auf nennenswerte Probleme zu stoßen. Letztlich hing alles an seiner Glaubwürdigkeit. Der Ältere musste glauben, dass er Kaiba regelrecht hasste, ihn verabscheute. Wenn er den Mann richtig einschätzte, würde er ihn überprüfen und gegebenenfalls sogar überwachen lassen, ehe er eine Entscheidung fällte. Es war nicht auszuschließen, dass er sich auch Zugang zur Schule verschaffte. Selbst in der Firma von Kaiba hatte er es schließlich schon geschafft. Da er dessen nicht sicher sein konnte, musste er Kaiba weiterhin in dem Glauben lassen, dass er alles in seiner Macht stehende tun würde, um ihm zu schaden. Aufseufzend sah er, unbemerkt von den anderen, auf den braunhaarigen Firmenchef, welcher gerade wieder zur Tür hereinkam. Der Ältere sah müde und abgespannt aus. Sicher kämpfte er noch immer täglich gegen das Virus – ebenso wie er selbst. /Immerhin habe ich es letzte Nacht mit Ryuu zusammen geschafft, einen Code zu entwickeln, der ihn eingrenzt. Nun kann er vorerst auf keine neuen Rechner mehr zugreifen. Aber das wird nicht reichen. Wenn er weiter im Netzwerk bleibt, kann er sich jederzeit wieder neu installieren. Ich werde heute Abend nochmal nachfragen müssen, ob sich in der Firma bei Ryuu schon etwas Neues ergeben hat./ Ryuu war einer der Programmierer in der Kaiba Corporation und somit einer der Männer, die Kaiba damit beauftragt hatte, eine Lösung für das Problem zu finden. Nici hatte sie in einem Chatroom miteinander bekannt gemacht. Seitdem schrieben sie sich jeden Abend und tauschten ihre neuesten Kenntnisse über das Virus aus. Es war angenehm, mit ihm zu schreiben. Nici hatte ihn, entgegen seines eigenen Wunsches, in alles eingeweiht. Anfangs war er dagegen gewesen, da jeder weitere Mitwisser zum Scheitern seines Planes führen konnte. Niemand konnte wissen, wen der Chef der Tome Corporation noch in Kaibas Firma versuchen würde, zu bestechen. Inzwischen glaubte er jedoch, dem Anderen trauen zu können. Er schätzte die Menschenkenntnis seines Bekannten. Zudem hatte Nici mit seinem Argument durchaus Recht gehabt. Es würde verdächtig wirken, wenn der Chef der Grafikabteilung ständig um die Übermittlung der neuesten Kenntnisse über das Virus bat, wenn er gar nicht damit betraut war. Früher oder später wäre es wohl ohnehin unvermeidbar gewesen, jemanden mit hinzuzuziehen. Frau Kurami betrat den Klassenraum und unterbrach seine Gedanken. Forschend sah sie in seine Richtung, ehe sie ihre Unterlagen ablegte. „Ich freue mich, Sie in diesem neuen Schuljahr wieder in meiner Klasse begrüßen zu können, Herr Wheeler.“ Joey nickte ihr grüßend zu. „Ich hoffe, dass ich das“, bezeichnend deutete sie auf ihr eigenes Auge „in diesem Schuljahr nicht allzu oft an Ihnen sehen muss. Immerhin haben Sie mir am Ende des letzten Schuljahres etwas versprochen, Herr Wheeler.“ Ein Lachen blitzte in Joeys Augen auf. Er erinnerte sich noch gut an sein Versprechen, ließ seine Mitschüler jedoch eigene Gedanken dazu entwickeln und schwieg. Fragend wandte Yugi ihm seinen Kopf zu. „Versprechen?“, erkundigte er sich, lediglich die Lippen bewegend. „Dass ich mich dieses Jahr mehr anstrenge“, teilte ihm sein Klassenkamerad mit einem zerknirscht wirkenden Lächeln mit. Das war lediglich die Wahrheit. Mitfühlend lächelte der andere zurück. Kaiba, der den kurzen Austausch der beiden am Rande mitgehört und beobachtet hatte, verdrehte, unbemerkt von seinen Mitschülern, die Augen. Wie gut kannten Yugi und die anderen ihren sogenannten ‚Freund‘ eigentlich wirklich? Kapitel 28: Die Oase I ---------------------- @sarokavar: Ich hoffe, meine Mail kam an. ^.~ Tjaja... Seto sieht langsam klarer und auch bei Seth hat sich inzwischen Einiges verändert und Jono... zeigt ganz unvermutet ein paar neue Seiten seines Wesens. Aber lies selbst... ^.~ @Primavera: Minuspunkte? 'Nur' wegen der erotischen Anspielungen? Kann ich gar nicht verstehen.. *unschuldig blinzel* Du sagtest, der Name springt ins Gesicht. Welcher Name und warum? ^_^ Übung hat er tatsächlich... immerhin ganze 5000 Jahre Erfahrung, das will schon was heißen. *g* Aber Kaiba ist kein Stalker. Nur... besorgt? Fürsorglich? -_-* Aber mal im Ernst, wenn du ihn jetzt schon für einen Stalker hältst... was meinst du wohl, was aus ihm wird, wenn er erkennt, dass er Joey tatsächlich liebt? *lach* @Sy: Nix da. Kein Stalker! (siehe Primavera) 'Wir wissen ja, wie er an die Infos gekommen ist'? Wer ist 'wir'? Meinst du das königliche Wir und damit dich selbst oder beziehst du mich da zwangsläufig mit ein? *G* ICH weiß ja, was er weiß und woher er es weiß. Aber ich ahne, dass du ein sehr aufmerksamer Leser bist und es wahrscheinlich auch schon erkannt hast. Allerdings bist du dann die Erste, die das anspricht. *GGG* Also: Glückwunsch. *lach* Und was den Kindergarten und Yugi anbelangt... sagen wir mal so: Der Pharao ist nicht gerade als Tratschtante bekannt und hat ohnehin ja selbst erst vor ein paar Monaten erfahren, dass Jono sich an alles erinnern kann. Im Prinzip hat er ja schon in Ägypten Jonos Geheimnisse für sich behalten und ihm seine Freiheiten belassen. ^.~ Wie immer viel Vergnügen beim Durchstöbern des nächsten Kapitels. ___________________________________________________________________________________ ~~~~~~~~~~ Seth sah hinauf zur glühenden Sonne am Himmel. Vor drei Tagen hatten sie sich einer Karawane von Viehtreibern angeschlossen. Inzwischen waren sie nur noch eine Tagesreise von ihrem Zielort entfernt. Der Hohepriester war dankbar dafür. Im Tempel nahe Asyut würde das erste Mal seit Tagen ein vernünftiges Nachtlager auf ihn warten. Inzwischen hatte er bereits mehrere Trainingskämpfe im Wechsel mit Jono und Ilai absolviert und seine Knochen taten zugegebenermaßen weh. Wann immer sie sich von den anderen unbeobachtet hatten zurückziehen können, hatten sie Ringen und die Handhabung der Axt trainiert. Der derzeitige Anführer ihrer kleinen Gruppe hatte sich zunächst gewundert, dass er sich ausgerechnet Jono als seinen Lehrmeister ausgesucht hatte, doch schlussendlich hatte er seinen Argumenten nichts entgegensetzen. Er konnte ihm glaubhaft erklären, dass es durchaus sinnvoller wäre, sich zu Beginn mit einem Rekruten zu messen, um die Grundtechniken zu wiederholen, ehe er einem so starken Gegner wie Ilai selbst gegenüber stünde. Jono hatte die Anweisungen seines ‚Anführers‘ äußerlich gelassen und vollkommen ergeben entgegengenommen. Seth kannte seinen alten Spielkameraden allerdings noch gut genug, um in seinen braunen Augen das Wort ‚Rache‘ lesen zu können, als er sich ihm zum ersten Mal gestellt hatte. Immerhin hatte Jono ihm ausdrücklich vermittelt, dass er nicht gegen ihn kämpfen wolle. Dem entsprechend lag Seth die ersten fünf Male beim Ringen stets nach wenigen Sekunden auf dem Rücken, ohne dass Jono Rücksicht auf seine eingestaubten Fähigkeiten genommen hätte. Das Ringen war in Ägypten eine beliebte Sportart und diente nicht nur dem Training, sondern auch, um sich untereinander in seinen Kräften zu messen. Früher, als er im Garten des Tempels zum Spaß mit Jono gerungen hatte, hatte er selbst häufig die Oberhand behalten. Das hatte sich mit den Jahren anscheinend grundlegend geändert. Nichts anderes war von dem Anführer des mächtigsten Heeres, des Heeres des Pharaos, zu erwarten gewesen. Hätte Jono sich bereits beim ersten Mal besiegen lassen, hätte er ernsthaft an dessen Qualifikationen gezweifelt. So weckte es seinen Kampfgeist und stachelte zusätzlich seinen Stolz an. Ein anderer Nebeneffekt des Ringens war, dass er auf diese Weise diesem verführerischen Körper jederzeit nahe komme konnten, ohne dass es den anderen auffiel. Er musste zugeben, dass die nachfolgenden sieben Male, in denen Jono ihn niedergerungen hatte, auch nur darauf zurückzuführen waren, dass er es genoss, wenn Jono auf ihm lag und seinen heißen Körper an ihn presste, um ihn unten zu halten. Erst, als Jono ihm, in sein Ohr flüsternd, den Hinweis gab, dass das Ziel der Übungsstunden ein anderes war, hatte er schließlich ein Einsehen und wandte sich ernsthaft dem Kampf zu. Beim dreizehnten Versuch gelang es ihm schließlich, den Kleineren niederzuwerfen. Innerlich aufseufzend rieb er sich mit der rechten Hand über seine neueste Blessur am linken Oberarm. Jono hatte ihn dort gestern mit dem Handstück seiner Axt hart getroffen. „Zerstampfte Weinrebenblätter sorgen dafür, dass die Verfärbung schneller verschwindet. Obwohl ich nicht weiß, ob mir das gefallen würde.“ Ein süffisantes Lächeln im Gesicht, schloss Jono zu ihm auf. Wachsam sah Seth sich um, ehe er eine entsprechende Antwort gab. „Ich weiß, dass du mich gern leiden siehst.“ „Leiden? Sei nicht albern! Es ist nur ein blauer Fleck.“ „Mein ganzer Körper ist ein blauer Fleck.“ Lakonisch zuckte Jono die Schultern. „DU wolltest unbedingt gegen mich kämpfen.“ „Ja, weil ich weiß, dass du gut bist.“ „Gut ist eine Untertreibung. Es gibt niemanden in meiner Armee, der seinem Feind schneller den Tod bringt, als ich.“ Bitterkeit klang in Jonos Worten. Es war keine Übertreibung, keine Angeberei – sondern eine Tatsache. Einen Moment schritten sie still nebeneinander her. „Ich könnte dich besiegen, Jono“, stellte Seth schließlich fest. Der Blonde warf ihm einen kurzen prüfenden Blick zu. Schließlich ging er auf den wieder etwas locker gewordenen Tonfall ein. „Ja, aber nur mit ein paar deiner magischen Tricks.“ „Einer reicht vollkommen.“ „Bist du sicher?“ Seth warf ihm ein herausforderndes Lächeln zu. „Ja. Aber ich tu‘s nicht. Denn ich habe das Gefühl, dass ich dir damit das Vergnügen rauben würde, mich unter dir liegen zu sehen. Aber keine Sorge: Ich liege gern unter dir.“ Flüsternd ergänzte er „noch schöner wäre es allerdings, wenn ich gleichzeitig auch in dir wäre.“ Jonos Blick verdüsterte sich. Von den anderen unbemerkt, senkte er seine Stimme, damit keiner ihrer Begleiter ihr Gespräch belauschen konnte. Niemand der anderen Soldaten hatte bis jetzt bemerkt, wie nah sich die beiden gekommen waren. Seth sollte es egal sein, doch Jono war offensichtlich darauf bedacht, dass dies auch sie blieb. „Du kannst sicher sein, Seth, dass ich es kein zweites Mal dazu kommen lassen werde. Das war etwas Einmaliges.“ Seth ließ sich von dem drohenden Tonfall nicht beeinflussen. „Ja, da stimme ich zu. Etwas einmalig Gutes.“ Jono nickte zustimmend. Dieser Fakt ließ sich nicht von der Hand weisen, auch wenn er es offenbar gern getan hätte. „Das lässt sich schwer leugnen. Aber zu viel des Guten ist ungesund. Ich habe nicht vor, ein zweites Mal mit dir das Lager zu teilen.“ Überraschung spiegelte sich auf Seths Gesicht. „Lager? Ich kann mich an kein Lager erinnern, das wir geteilt hätten.“ Frustriert packte Jono ihn am Arm und zog ihn dichter zu sich heran. Zischend ließ er Seth wissen: „Diesen Abend wird es kein zweites Mal geben, Seth. Es war nett, aber nicht mehr.“ „So?“ Skeptisch sah Seth ihn an. Den festen Griff an seinem Arm ignorierte er geflissentlich. Fragend und die Ruhe selbst beugte er sich vor. „Warst nicht du es, der mir sagte, er habe darauf gewartet, dass ich ihn ebenso gern will, wie er mich?“ „Ja. Aber jetzt hatten wir beide, was wir wollten. Damit wurde jegliches Verlangen, dass ich für dich empfand, hinlänglich befriedigt. Danke.“ „Das kann ich von meinem nicht behaupten.“ „Das ist dein Problem“, ließ Jono ihn tonlos wissen. Nonchalant erwiderte Seth: „Keine Sorge, Jono. Ich habe vor, es auch wieder zu deinem zu machen.“ „Dann hoffe ich, dass du ein guter Verlierer bist, denn das wird dir nicht gelingen.“ Seth ließ sich von dem abweisenden Tonfall des Anderen nicht irritieren. Seit ihrer gemeinsamen Nacht fiel es ihm täglich ein kleines Stück leichter, hinter Jonos scheinbar so mühsam aufgebaute Fassade zu blicken. Was wohl auch daran liegen mochte, dass er ihn seitdem kaum eine Sekunde aus den Augen gelassen hatte. Im Stillen hatte er seit Tagen jedes Gespräch und jede Geste von ihm verfolgt. Noch immer lag vieles im Dunkeln, aber er hatte zumindest verstanden, dass nicht alles, was Jono sagte, auch das war, was er wirklich wollte. Und um das Eine und das Andere auseinander zu halten, war es am besten, wenn man Jono mit seinem Körper, statt mit seinem Mund reden ließ. Diese Schlussfolgerungen im Hinterkopf, meinte er daher nur: „Lass uns das nach dem nächsten Kampf entscheiden.“ Grimmig warf der Blonde ihm von der Seite einen kurzen vernichtenden Blick zu. „Mach dich nicht lächerlich, Priester. Bei jedem gerechten Kampf stünde der Sieger bereits zu Beginn fest.“ „Oh, ich zweifle nicht daran, dass du am Ende die Oberhand hättest, Jono. Doch wer oben liegt, hat noch lange nicht gewonnen.“ Seth behielt den vertrauten Tonfall bei, gleichwohl er spürte, dass Jono versuchte, sich wie so oft in den letzten Tagen von ihm zu distanzieren. Doch er würde nicht zulassen, dass sie sich noch einmal so sehr voneinander entfernten. Er hatte noch in der Nacht beschlossen, dass er Jono niemand anderem überlassen würde. Dieser Beschluss war unumstößlich. Ohne auf Seths Worte noch weiter einzugehen, wandte der Blonde sich ab. Gerade wollte der Hohepriester ihn wieder zurückrufen, als sie aus geringer Entfernung eine kleine Staubwolke in ihre Richtung kommen sahen. Nur wenige Minuten später konnten sie einen Mann auf einem Esel ausmachen, welcher in ihre Richtung ritt. Kaum angekommen, versammelte sich die Gemeinschaft der Karawane um den Handelsreisenden, der er, seiner Kleidung nach zu urteilen, sein musste. Blut klebte an seiner Tunika und eine Wunde klaffte auf seinem Handrücken. Der Rücken seiner Kleidung war zerfetzt und hing zum Teil in kurzen Bahnen von seinem Körper. Die Sonne hatte bereits begonnen, rote entzündete Male auf seiner Haut zu hinterlassen. Er schien leicht desorientiert und blickte sich hilfesuchend unter den Reisenden um, welche am Kopf der Karawane liefen. Seth zögerte nicht lange und holte seinen Wasserschlauch hervor, um ihn dem Mann zu reichen. Dieser nahm ihn dankbar entgegen und nahm langsam und am ganzen Körper zitternd das Wasser in sich auf. Seine Kehle war vom Wüstensand ausgedörrt. Erschöpft ließ er sich in den heißen Sand sinken und holte ringend nach Luft. Die Umstehenden, inzwischen hatten sich annähernd dreißig Männer und Frauen um ihn versammelt, warteten geduldig. Schließlich hob er an zu sprechen, während ein mitreisender Tempelarzt sich um seine Hand kümmerte. „Hinter dem nächsten Hügel liegt die Oase Charga. Wir kamen letzte Nacht dort an. Als Rah gerade seine ersten Strahlen zur Erde schickte, überfielen uns Syrier aus dem Hinterhalt. Ich konnte als einziger fliehen, um Hilfe zu holen. Meine Frau und mein Sohn, sie…“ Ein Raunen entstand unter den dreißig Reisenden. Keiner von ihnen konnte so gut kämpfen, dass er es mit kampferprobten Syriern aufnehmen konnte. Es handelte sich vorrangig um Bauern, die ihr Vieh in die nächste Stadt zum Verkauf treiben wollten. Es gab keinen Weg, die Oase zu umgehen. Wenn die Rinder nicht bald Wasser zu saufen bekamen, verendeten sie womöglich in der Wüste. „Wie viele Männer konntest du zählen?“, erkundigte sich der Tempelarzt, während er nebenbei seine Wunde versorgte. „30 oder 40 … es ging alles so schnell … ich weiß es nicht.“ „Du sagtest, es sei im Morgengrauen passiert. Doch nun ist es schon Mittagszeit…“ „Sie hielten die anderen gefangen. Ich selbst konnte mich zwar verstecken, jedoch keinen Weg aus dem Lager der Männer herausfinden. Erst jetzt, als einige Wasser holen gingen …“ Überlegend sah Seth zu Jono und Ilai. Wenn sie sich hier einmischten, bedeutete dies, dass sie womöglich ihren besten Schutz auf dieser Reise aufgeben mussten – ihre Anonymität. Nach dem Bericht des Mannes zu urteilen, war es sehr wahrscheinlich, dass die Banditen auch sie überfallen würden. Da sie kein Vieh hatten, konnten sie die Oase sicher umgehen, doch damit würden sie die anderen ihrem Schicksal überlassen. Zudem waren einige der anderen Leute, die in der Oase gefangen genommen worden waren, vermutlich noch am Leben. „Von woher kommt Ihr?“, erkundigte sich Jono inmitten des Aufruhrs bei dem Mann. „Aus Asyut.“ Jonos Blick verhärtete sich. Seine Stimmung schlug um. „Dann seid Ihr und die deinen dem Todesgott geweiht.“ Die umstehenden Viehtreiber sahen sich erschrocken an. Gemurmel entstand, doch niemand wagte es, zu wiedersprechen. Syrier waren vor allem an der Grenze des Landes für ihre Grausamkeit gefürchtet. Ohne ein weiteres Wort wandte Jono sich von dem Verletzten ab. Es war offensichtlich, welche Entscheidung er getroffen hatte. Der Anblick seiner steifen Haltung reichte aus, um zu wissen, dass er den Mann seinem Schicksal überlassen wollte. Rah allein wusste den Grund. In all der Zeit seit ihrem Wiedersehen, hatte Jono sich den Menschen gegenüber, die er als Heerführer zu schützen geschworen hatte, stets sehr pflichtbewusst verhalten. Irgendetwas an dem Mann oder dem, was er gesagt hatte, hielt ihn davon ab, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Wenn es nach Jono gegangen wäre, das glaubte Seth zu erkennen, hätten er selbst und die Soldaten die Oase gemieden und ihre Tarnung aufrecht erhalten. Dank Horus und Rah war Jono aber durch sein eigenes Versteckspiel ebenfalls an einige Verhaltensregeln und an Gehorsam gegenüber Ilai gebunden. Der Hohepriester wusste nicht, warum Jono so harsch reagierte, doch wenn Ilai eine andere Entscheidung als er fällen würde, würde er dieser, seiner Tarnung zuliebe, wahrscheinlich nicht entgegenwirken. Es galt also, zuerst Ilai zu überzeugen. Seth hatte nicht vor, die Menschen der Karawane und die der Oase ihrem Schicksal überlassen. Kurz überlegte er, ob er gleich mit dem Mann reden sollte, verwarf den Gedanken aber wieder und ging stattdessen Jono hinterher. Außer Hörweite der anderen, hinter einem größeren Felsen, hielt er ihn schließlich auf. „Was ist los?“ „Es hat keinen Sinn, zu helfen. Die, die dort sind, sind ohnehin schon tot. Würden wir nun zu der Oase reisen, würden wir nur unsere Mission gefährden.“ „Und was ist mit unseren Begleitern? Du weißt ebenso gut wie ich, dass sie mit ihrem Vieh keine andere Wahl haben.“ Jono schwieg. Seth suchte nach Argumenten. „Einige der Menschen in der Oase leben wahrscheinlich noch. Wir sollten zumindest versuchen, ihnen zu helfen.“ Als er sah, wie Jonos Augenbrauen sich bei seinen Worten ein weiteres Mal einander näherten, begriff er es. Die Erkenntnis traf ihn hart. „Du denkst auch, dass sie noch leben! Aber du willst ihnen absichtlich nicht helfen?! Warum?! Diese Menschen kommen aus Asyut! Unserer Heimatstadt! Was…“ Dass dies eines der schlechtesten Argumente war, die er hätte wählen können, wurde ihm erst klar, als Jono ihn zornig korrigierte. „Aus MEINER Heimatstadt. DU hast dort nie gelebt.“ „Ein Grund mehr für dich, den Menschen zu helfen!“ „Sicher nicht!“, schnappte Jono. Zornig drehte er sich zu Seth um. „Für mich ist es ein Grund mehr, ihnen NICHT zu helfen!!“ Aufmerksam betrachtete Seth das Gesicht des Blonden. Er erkannte ihn kaum wieder. „Wenn sie aus Asyut stammen, ist ihr Tod sicher kein Verlust für Ägypten.“ Der Hohepriester ahnte, dass er hier an etwas rührte, dass Jono keinem anderen preisgeben wollte. Vielleicht lag dort, in Asyut, der Schlüssel zu seinem veränderten Wesen. Doch ganz gleich, was Jono zu seiner Reaktion veranlasst haben mochte, es gehörte nicht hierher. „Jono, was auch immer dich zu deiner Haltung den Menschen aus Asyut gegenüber beeinflusst haben mag, es ist Vergangenheit. Ich bin sicher, dass du keine ganze STADT für die Verfehlungen einiger Weniger verantwortlich machen kannst.“ „WAS WEIßT DU SCHON?!“ „NICHTS!“, gab Seth ebenso heftig zurück. Seine gesamte angestaute Frustration über all die ungeklärten Fragen brach aus ihm heraus: „DENN DU HÜTEST DEINE VERGANGENHEIT BESSER, ALS ALLE SCHÄTZE, DIE JE IN EINES DER GROSSEN GRÄBER GELEGT WURDEN! UND DAS, OBWOHL ich! EIN TEIL DIESER VERGANGENHEIT BIN!“ Erst jetzt, da er es aussprach, verstand er seine eigenen Gefühle, die über die letzten Monate hinweg in ihm gelodert hatten. Es verletzte ihn, dass Jono ihm nichts von seiner Vergangenheit, aus all den Jahren bis zu ihrem Wiedersehen, erzählt hatte. Er wäre es ihm verdammt noch mal schuldig gewesen, nachdem er damals so plötzlich verschwunden war. Er war sein Freund gewesen! Der einzige und wahrscheinlich beste, den er je gehabt hatte. Zumindest hatte er das mal geglaubt. Doch diese Gedanken behielt er für sich. Sie gehörten nicht hierher. Ebenso wenig, wie die offene Rechnung, die Jono offensichtlich noch immer mit den Bewohnern von Asyut offen hatte. Tief durchatmend zwang er sich zur Ruhe. „Jono. Du hast geschworen, das Volk Ägyptens mit deinem Leben zu schützen.“ Der Heerführer schnaubte verächtlich, als Seth ihn an das Gelübde erinnerte, das jeder neu eingesetzte oberste Heerführer gegenüber dem Pharao leisten musste. Die Augen zu Schlitzen verengt, trat er dicht an den Hohepriester heran. „Da liegst du falsch, Seth. Das ist die Aufgabe des Pharaos. Ich habe mein Leben nur einem einzigen Menschen versprochen. Niemandem sonst. Und dieses Gelübde gedenke ich zu halten.“ Seth sah ihn stirnrunzelnd und zurechtweisend an. „Doch indem du geschworen hast, den Pharao mit deinem Leben zu schützen, hast du auch einen Teil seiner Bürde übernommen. Und seine Bürde ist das Volk Ägyptens.“ Jono hielt inne. Eine passende Antwort schien ihm bereits auf den Lippen zu liegen. Doch statt sie Seth direkt ins Gesicht zu schleudern, drehte er sich zu Ilai um, welcher in diesem Augenblick mit den anderen zu ihnen stieß. Bereits wenige Augenblicke später berieten sich der Hohepriester und die Soldaten, ausgenommen Jono, über ihr weiteres Vorgehen. Kaum jemand schenkte dem blonden jungen Mann Beachtung. In den Augen der anderen war er nur ein Rekrut. Eben jener Rekrut hatte sich daher indessen still auf einen größeren Felsen neben die anderen gesetzt. Die seichten Wellen aus Sand waren bereits vor zwei Tagen einem öden Landstrich aus Fels und Gestein gewichen. Nur wenige Bäume, Sträucher und einzelne Grashalme hielten sich in dieser unwirtlichen Gegend mit nur wenig Wasser am Leben. Kaum ein Tier war weit und breit zu sehen. Wenn überhaupt, waren in dieser sengenden Hitze nur einige Käfer mit hartem Chitin-Panzer oder ein paar Echsen und Schlangen zu Hause. Jeder, der zu lange in dieser Gegend verweilte und seine Nahrung aufbrauchte, würde früher oder später elend sterben. Daher gab es für die dreißig Leute der Karawane und ihre nahezu vierzig Rinder, sieben Pferde und acht Esel keine andere Wahl. Sie waren auf die vor Ihnen liegende Oase angewiesen. Sie selbst hatten noch genügend Dörrfleisch und Wasser, um einen weiteren Tagesmarsch in Kauf zu nehmen. Demnach stand lediglich zur Debatte, ob man die Karawane als Geleitschutz zur Oase begleiten oder sie ihrem Schicksal überlassen sollte. „Wir können nicht wissen, ob die Syrier noch dort sind“, meldete Elias sich gerade zu Wort. „Wir können es aber auch nicht ausschließen“, gab Ilai zu bedenken. „Wenn wir mit ihnen gehen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir uns enttarnen müssen.“ „Aber wenn wir nicht mitgehen, Elias, überlassen wir die Menschen hier bewusst der Gefahr, den Tod zu finden. Keiner von ihnen kann ernstlich etwas gegenüber zwanzig oder dreißig kampferfahrene Syrier ausrichten.“ „Ach, aber ihr vier könntet das?“, warf Jono süffisant ein. Überrascht blickte Ilai auf den jungen Rekruten. Männer seines Standes, ohne hinreichende Kampferfahrung, hatten bei solchen Gesprächen gewöhnlich nichts zu sagen. Wären sie in einem Lager in Ägyptens Hauptstadt gewesen, hätte er den jungen Mann sicher zu recht gewiesen. Doch dies war eine besondere Situation und es gab Wichtigeres zu klären, als einen vorlauten Rekruten in seine Schranken zu weisen. Ilai ließ seinen Einwurf daher unkommentiert. Yanis, nur fünf Jahre älter als Jono, sich aber schon zahlreicher Schlachten rühmend, griff seinen Kommentar hingegen augenblicklich auf. Immerhin stand endlich wieder etwas in Aussicht, das versprach, spannend zu werden. Er war nicht umsonst der Armee des Pharaos als Söldner beigetreten. In den letzten Jahren hatte er sich bereits zwei Ränge hoch gearbeitet. Mit jedem guten Kampf und jeder Auszeichnung kam er seinem Wunsch nach Anerkennung innerhalb der Armee immer näher. Er war nicht dazu geboren, einen kampfunerfahrenen Priester als Fußsoldat quer durch Ägypten zu geleiten! Sein Ziel war der Kampf. „Sicher, Rekrut.“ In herablassendem Ton wies er Jono unter Nennung seines Ranges wieder auf seinen Platz in der Armee hin. „Wir alle sind bereits in zahlreiche Schlachten gezogen. Ein paar Syrier können uns nicht die Stirn bieten.“ „Die Stirn sicher nicht, aber einen Pfeil in Eurem Herzen“, korrigierte Jono ihn, ohne sich von der offenen Zurechtweisung irritieren zu lassen. „Bevor ein Pfeil mein Herz trifft, werde ich bereits vier von ihnen auf ihre ewige Reise geschickt haben“, ereiferte sich Yanis. „Wie hilfreich. Dann bleiben ja nur noch sechsundzwanzig – oder vielleicht auch mehr, immerhin konnte der Mann in der Nacht schlecht zählen – für den Rest von euch übrig. Für einen Priester, der mit einer Axt noch immer sich selbst mehr verletzt als seine Gegner und drei weitere Soldaten. Und wenn die dann auch noch tot sind, können sich die vollkommen kampfunerfahrenen, vom Reisen ausgedörrten Männer, Frauen und Kinder dieser Karawane ja um die verbleibenden Syrier kümmern.“ In gewohnt sarkastischer Art, schloss er seine Betrachtung der bevorstehenden Ereignisse ab. „Ihr habt Recht. Ich denke, Euer Plan hat durchaus Aussicht auf Erfolg.“ Endgültig damit aus der Fassung gebracht, von einem Rangniedrigerem einfachen Rekruten so vorgeführt zu werden, schoss Yanis mit allen Mitteln zurück. „Mir ist nicht entgangen, dass Ihr Euch in der Aufzählung nicht mitgerechnet habt. Wo werdet Ihr sein?“ Yanis baute sich bedrohlich vor dem Jüngeren auf. Gleichwohl Elias und Aziz ihn an beiden Armen zurückhielten, brodelte es sichtlich in ihm. Jono hingegen ließ sich davon nicht verunsichern und blieb weiter, sich seiner selbst vollkommen sicher, auf dem Felsen sitzen. Gelassen sah er zu dem anderen auf. „Ich habe mich nicht mitgezählt, da ich nicht vorhabe, bei einem Selbstmordkommando mitzumachen. Dazu habe ich mich nicht bereit erklärt, als ich diese Mission übernommen habe. Ihr etwa?“ „Dann wollt Ihr diese Menschen hier ihrem Schicksal überlassen?“ „Nun tut nicht so, als ginge es Euch um diese Menschen! Diese Menschen kennen die Gefahren der Wüste. Hier heißt es fressen oder gefressen werden. Sie rechnen täglich damit. Diesmal sind sie sogar vorgewarnt. Wenn sie schlau sind, verstecken sie ihre wertvollsten Güter und geben alles andere heraus, um die Syrier zufrieden zu stellen. Dann kommen sie wenigstens mit ihrem Leben davon. Wenn Ihr allerdings, Eure Axt schwingend, in das Lager von Syriern einfallt, nur um Euch einen höheren Platz im Gefolge des Pharaos zu erobern, liefert Ihr diese Menschen dem sicheren Tod aus – zumindest wenn Ihr sie nicht alle töten könnt. Die Syrier mögen es nicht, wenn man sich gegen sie wehrt. Das hat Euch der Mann bereits zur Genüge bewiesen. Und wie es aussieht, töten sie die Menschen noch nicht einmal, denn wäre dies ihr Wunsch, wäre der Mann sicher nicht lebend entkommen.“ „Ihr arroganter kleiner Bastard!“, donnerte Yanis und holte aus, um den Rekruten zu recht zu weisen. Hart traf seine Faust auf das Gesicht des Blonden. Dieser sah die Gefahr kommen, wich aber nicht aus, sondern empfing den Schlag offenen Auges. Seth wusste, wenn Jono gewollt hätte, hätte er verhindern können, dass der andere ihn auch nur streifte. Dennoch flog sein Kopf, vom Schlag getroffen, zur Seite. Der schmale aber sehnige Körper rührte sich hingegen keinen Millimeter. Sein provozierender Unterton war verschwunden, als er sich dem anderen wieder zuwandte. An seine Stelle trat eine deutliche Warnung in die steinbraunen Augen des Blonden. „Ich denke, das habe ich verdient, nach dem, was ich über Euch sagte. Auch wenn es der Wahrheit entsprach. Schlagt Ihr mich jedoch nur noch ein weiteres Mal, schwöre ich Euch, dass ich Euch so zurichte, dass Ihr Euer eigenes Gesicht im Spiegel des Nils nicht mehr wiedererkennen werdet.“ „Ihr lasst Euch sogar von einem untrainierten Priester niederringen und wollt mir drohen? MIR?“ Jono blieb ihm eine Antwort schuldig. Seth war keineswegs schwach. Auch er trainierte seinen Körper täglich. Allein die Technik des Ringens und des Axtkampfes waren ihm durch fehlende Übung noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Vermutlich hätte Yanis ihn kein einziges Mal schlagen können, wäre er auch nur einmal gegen ihn angetreten. Seth schwieg dazu. Bisweilen war es von Vorteil, unterschätzt zu werden. Inzwischen sah Ilai sich gezwungen, dem Gebaren seiner Männer Einhalt zu gebieten. „Jono! Yanis! Es reicht! Während dieser Mission sind wir auf einander angewiesen. Wenn ihr euch die Köpfe einschlagen wollt, wartet, bis wir zurückgekehrt sind!“ Wiederholt ergriff Elias die Arme von Yanis und zog den wutschnaubenden und in seiner Ehre gekränkten Soldaten von Jono zurück und versuchte, ihn zu beruhigen. Erneut ergriff Ilai das Wort. „Jonos Argumente sind nicht von der Hand zu weisen. Wir sollten uns nicht einbilden, zu Fünft gegen eine kampferfahrene Truppe von Syriern vorgehen zu können.“ „Ilai, ich denke wir…“ Noch bevor er seinen Satz beenden konnte, wurde Aziz von Ilai unterbrochen. „Dennoch denke ich, dass wir es tun sollten. ‘Wir sind nicht nur die Beschützer des Pharaos, wir sind auch die Beschützer dieses Landes und aller Menschen, die darin leben‘, waren einst die Worte von unserem Heerführer, Anoubis Ano-Oobist. Ich denke, er hatte Recht. Diese Menschen haben in den vergangenen Tagen ihr Essen, ihr Wasser und ihr Feuerholz mit uns geteilt. Auch wenn ihr Leben nicht unmittelbar gefährdet ist, sind wir doch für ihren Schutz verantwortlich.“ Seth, Yanis, Elias und Aziz nickten zustimmend. Allein dem Hohepriester war die Ironie dieser Argumentation bewusst. Dass Jonos eigene Worte als Anoubis nun dazu führen würden, dass gegen seinen Willen gehandelt wurde, hätte er sich sicher auch nicht vorstellen können. Es war wohl nicht immer hilfreich, wenn Soldaten einem zuhörten. „Tz.“ Aus den Augenwinkeln nahm Seth ein resigniertes Kopfschütteln von Jono wahr. „‘Doch achtet auf euch. Denn jedes Leben, und sei es auch noch so klein, ist wertvoll. Daher begebt euch nicht in eine Gefahr, die ihr nicht abschätzen könnt und beginnt keine Schlacht, die zu gewinnen aussichtslos ist‘, waren dies nicht auch die Worte von Anoubis?“ Missmutig sah Jono in die Runde. „Warum nur, erinnern sich Menschen immer nur an den Teil solcher Reden, der ihnen für ihre eigene Situation gerade passend erscheint?“, erkundigte er sich, ohne eine wirkliche Antwort zu erwarten. Es stand in den Gesichtern der vier Männer geschrieben, dass sie nicht mehr umzustimmen waren. Die Augenbrauen im Ärger zusammengezogen, erhob er sich von seinem Sitzplatz und kehrte der kleinen Truppe den Rücken. Niemand schenkte ihm, als Rekruten, weitere Beachtung. „Ich denke, meine Kraft wird uns nützen, auch ohne, dass auffällt, wer ich bin.“ Langsam entfernte Jono sich von den anderen. „Ich genieße den Schutz von Seth. Er war nicht nur der Patron meiner Geburt sondern auch der Quell meiner Macht. Mit Hilfe eines Sandsturmes sollte es uns eigentlich möglich sein, den Syriern gegenüber einen Vorteil zu erlangen, meint Ihr nicht auch?“ Jonos Schritte stockten. Kurz ballten sich die Fäuste des Blonden. Für wie idiotisch und sinnlos er diese Idee diesmal hielt, ließ er nicht verlauten. Kopfschüttelnd aber zielstrebig sonderte er sich von den anderen ab und strebte zu den Männern der Karawane und ihren Packeseln. Kapitel 29: Beobachtungen eines Pharaos --------------------------------------- @Lunata: Tjaja... Jono ist eben - entgegen landläufiger Meinung - ein sehr verschwiegener in sich gekehrter Geselle, der lieber alles mit sich selbst ausmacht, statt sich anderen anzuvertrauen, um diese nicht zu belasten. Joey tickt übrigens genauso. ^.~ *G* Keine Sorge. Nach und nach kommt alles ans Licht. Vermutlich ist es ohnehin besser, man liest die Geschichte irgendwann nochmal im Ganzen, wenn ich sie fertig geschrieben habe. ^.~ @Primavera: Danke für den Hinweis. Habe ihn gleich genutzt, um das Kapitel zu korrigieren. Was ahnst du denn genau? *wissen will* ^_^ Also wenn das vorige 'Gespräch' der beiden für dich nicht unter die Kategorie 'Streit' fiel, will ich ja nicht wissen, wie ein Streit bei dir sonst aussieht? *lach* Meine eigene Meinung geht genau ins Gegenteil. Alles, was sie sonst gemacht haben, fällt für mich unter 'necken'... fast alles, was im letzten Kapitel geschah, unter 'streiten'. Soso... Du glaubst also, Jono hätte sein Gelübde gebrochen? *GGG* *pfeif* Wie du meinst... Liebe auch an dich, deinen Kommi und dein beständiges aufmerksames Lesen! ^_~ ___________________________________________________________________________________ ~~~~~~~~~~ Sich in alle Richtungen streckend erhob Kaiba sich aus seinem Bett. Die Taten des Blonden erstaunten ihn ebenso wie sein Alter-Ego. Insgeheim hatte er damit begonnen, Jono mit Joey zu vergleichen, musste jedoch feststellen, dass ihre Charaktere in manchen Dingen vollkommen unterschiedlich waren. Joey würde seine Hilfe sicher niemandem verweigern. Im Gegenteil. Egal, ob es ihn selbst in Gefahr brachte oder nicht, er riskierte stets alles, um irgendwem zu helfen – selbst ihm. Seufzend notierte er sich die Worte Asyut – Heimatstadt Oase Syrier – Überfall und die Namen der vier Begleiter der Truppe, Yanis, Ilai, Elias und Aziz in seinem Buch. Er fragte sich, ob er wohl noch erfahren würde, wie sein Alter-Ego das Problem gelöst hatte. Seine Träume waren bruchstückhaft. Manchmal behielt er nur Orte und Zeiten, seltener Namen und Gesichter im Gedächtnis. Doch in jeder seiner Erinnerungen, stand die Beziehung von Seth und Jono im Vordergrund, als wollte ihm sein Alter-Ego etwas Wichtiges in Bezug auf diese Person mitteilen, etwas, das er auch fünftausend Jahre später nicht vergessen durfte. Abermals aufseufzend legte er das Buch beiseite. Er sehnte den Tag herbei, an dem sich endlich alles aufklären würde. Doch bis dahin hatte er mit den Problemen der Gegenwart genug zu tun. Inzwischen war etwas mehr als eine Woche vergangen, seit Joey zurück in der Schule war. Seitdem hatten sie nicht mehr als zwei Worte miteinander gewechselt. Nein, eigentlich nicht einmal gewechselt – er hatte Joey als „Looser“ und wenig später auch als „Schwächling“ bezeichnend, doch der Blonde war auf keinen Kommentar von ihm eingegangen. Zügig zog er sich um und machte sich auf den Weg in die Küche. Dort angekommen trank er einen schnellen Kaffee und schnappte sich das Bento, welches die Köchin bereits einen Tag vorher zubereitet hatte. Sein Bruder, der heute später zur Schule erscheinen durfte, schlurfte inzwischen ebenfalls gemütlich in die Küche. „Heb die Füße an!“ Noch immer im Halbschlaf blinzelte Mokuba zu ihm auf und sah auf einen missmutig verkniffenen Mund. Kopfschüttelnd ersparte er sich einen Kommentar. Dazu war er noch zu müde. Geschickt angelte er nach der Kornflakespackung und nachdem er seine Schokoflakes in Milch ertränkt hatte, begann er seelenruhig die Küche mit Lauten des Wohlbefindens zu füllen. „Schmatz nicht und schließ den Mund beim Essen! Das kann sich ja keiner mit anhören“, wies sein Bruder ihn abermals zurecht. Angelegentlich stützte Mokuba sein Gesicht auf seine Hand und spielte teils gedankenverloren mit ein paar seiner Kornflakes ‚Schiffe versenken‘. „Spricht Joey immer noch nicht mit dir?“ Nachdenklich behielt er den Größeren im Blick, welcher bis eben fahrig durch die Zeitung geblättert hatte. Genervt schloss er sie wieder und warf sie geräuschvoll auf den Tisch. „Das hat damit überhaupt nichts zu tun! Iss gefälligst vernünftig.“ Mokuba wandte sich wieder seinem Essen zu. „Also nein“, stellte er fest, ehe er den nächsten Löffel voll knackender Flakes in seinen Mund schob. Genervt von sich selbst und dem Geräusch knuspernder Schokokugeln schnappte Kaiba sich seine Schultasche und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Niles erwartete ihn bereits. „Sir, wollen Sie heute vielleicht mit dem Wagen…“ „Niles!“, genervt unterbrach ihn sein Arbeitgeber. „Wenn ich einen Wagen brauche, lasse ich es Sie wissen, in Ordnung?!“ Der Angesprochene nickte nur und ließ ihn, begleitet von einer kleinen Verbeugung, passieren. „Ich wünsche Ihnen einen …angenehmen Tag, Sir.“ Als Kaiba die Villa längst verlassen und auf dem Weg zum Haupttor war, gesellte sich Mokuba zu ihm – in der einen Hand die Schüssel mit Kornflakes, in der anderen den Löffel. Gemeinschaftlich sahen sie Kaiba hinterher. „Herr Wheeler spricht noch immer nicht mit ihm, oder?“, erkundigte sich Niles. „Offensichtlich“, stellte Mokuba fest. „Ja. Sehr offensichtlich“, stimmte ihm Niles zu. Kurz darauf wurde die Tür geschlossen und beide begaben sich in einträchtigem Schweigen wieder in das Innere der Villa. **********zwei Stunden später in der Schule********** Joey starrte auf die schwarzgrüne Tafel, notierte die nächsten Ergebnisse und stützte seinen Kopf abermals auf die Bank. Frau Kurami hielt sich zurück, denn sie wusste, dass er seine Aufgaben bereits beendet und sie vermutlich auch richtig gelöst hatte. Seit das neue Schuljahr begonnen hatte, stand er zu seinem Versprechen und erfüllte alle Aufgaben zu ihrer vollen Zufriedenheit und immer mit der höchsten Punktzahl. Dennoch gönnte sie ihm lediglich fünf Minuten voll kostbarer Ruhe, ehe sie ihn wieder zur Ordnung rief. „Herr Wheeler, ich möchte Sie bitten, dass Sie zu Hause schlafen und nicht in meinem Unterricht.“ Auch Frau Kurami stand zu ihrem Wort und maßregelte ihn weiter vor der ganzen Klasse. Von seinen guten Ergebnissen wusste niemand. Mit einem kurzen, laut hörbaren Stöhnen richtete er sich wieder auf und sah weiter stur nach vorne. Es war zermürbend, hier zu sitzen. Nicht nur, weil er mit den Aufgaben meist viel schneller fertig war, als alle anderen, daran hatte er sich mit den Jahren gewöhnt, sondern weil er sich auch kaum davon abhalten konnte, sich nach Kaiba umzublicken. Seit mehr als einer Woche hatte er kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Einerseits kam dies seinem Plan gelegen, Tome in dem Glauben zu lassen, dass er Kaiba nicht ausstehen könne, andererseits zehrte es merklich an seinen Nerven. Er vermisste die täglichen Streitereien mit Seto. Vor zwei Wochen hatte er noch  überlegt, wie er dem anderen gegenübertreten sollte. Sicher hatte es auch die Option gegeben, sich wie sonst in offen ausgetragene Streitereien zu flüchten. Als Kaiba dann jedoch an seinem ersten Schultag auf ihn zugekommen war, hatte er kein Wort herausgebracht. In gewisser Weise fürchtete er sich vor dessen Reaktion. Würde er ebenso mit ihm streiten wie früher? Oder würde er ihn ignorieren? Was würde er in seinen Augen sehen? Verachtung? Vielleicht. Er wusste es nicht. /Selbst wenn ich mit ihm reden wollte… Er weicht mir ohnehin ständig aus - geht mir aus dem Weg. Selbst wenn wir in der Schule sind, bekomme ich ihn kaum zu Gesicht./ Aufseufzend sah Joey nach vorn zur Tafel. /Im Klassenraum sitzt er sogar hinter mir. Nicht einmal im Unterricht, kann ich ihn sehen./ Resigniert kritzelte er ein kleines Auge auf seinen Skizzenblock, den er für solche langweiligen Stunden vorsorglich immer dabei hatte. Frau Kurami sagte nichts. Binnen Minuten kamen zu dem Auge ein Mund, eine Nase und eine Frisur hinzu und nur wenig später starrte ihn das wütende Gesicht von Kaiba an – in Chibi-Form. Schmunzelnd zog er die Augenbrauen der kleinen Figur noch ein wenig tiefer. Vollkommen zufrieden mit seiner Zeichnung, gesellten sich wenig später noch ein leicht lächelnder, ein erstaunter, ein arbeitender (mit Brille) ein mit dem Bogen schießender und ein laufender Seto dazu. Der lächelnde gefiel ihm am besten. Flink blätterte er um, warf einen kurzen Blick zur Uhr und auf seine Mitschüler, welche noch immer mit der Lösung der Aufgaben beschäftigt waren und skizzierte das lächelnde Gesicht in größerer realistischer Form. Gedankenverloren erinnerte er sich dabei an ihre Wasserschlacht, den letzten gemeinsamen fröhlichen Tag, den sie zusammen verbracht hatten. Genau so hatte Seto ausgesehen, als es ihm gelungen war, ihn ins Wasser zu stoßen. Skeptisch besah er sich sein Werk, radierte hier und da noch ein wenig und ersetzte eine der Linien um seinen Mund, ehe er halb zufrieden, halb frustriert in das Bleistiftgesicht des Firmenchefs sah. Zu gern hätte er seine Zeichnung in diesem Moment mit der realen Person verglichen. Sah er wirklich noch so aus, wie in seiner Erinnerung? Hatte sich inzwischen vielleicht eine weitere Sorgenfalte zu den anderen gesellt? Zogen sich seine Mundwinkel tatsächlich in der abgebildeten Form leicht verschmitzt nach oben, wenn er lachte? Waren die Haare vielleicht länger geworden? Er konnte es nicht sagen, denn an keinem der letzten Tage hatte er Kaiba lange genug ansehen können, um sich ganz sicher zu sein. Es klingelte. Schnell schlug Joey das Skizzenbuch zu und verstaute es wieder in seiner Tasche. Das Buch war sein persönlicher Schatz. Seine wertvollsten Skizzen fanden darin einen sicheren Platz, da er es ständig bei sich trug. Gähnend und sich nach oben streckend sah er aus dem Fenster, während die anderen sich schon auf den Weg nach draußen begaben. Seto war einer der ersten, der den Klassenraum verlassen hatte – wie so oft in den letzten Tagen. Früher, in Zeiten, in denen sie noch miteinander gesprochen hatten, wäre er stets als letzter gegangen, um noch einen kleinen Kommentar fallen zu lassen. Doch ob dies je wieder so werden würde, hing sicher auch von seinem Erfolg bei der Tome Corporation ab und davon, ob Seto sich überzeugen ließ, dass er mit der Sabotage ursprünglich nichts zu tun gehabt hatte. Resigniert schnappte auch er sich seine Tasche mit den Sportsachen und strebte der Umkleidekabine entgegen. Dort erwarteten ihn bereits Yugi, Thea und Tristan, welche schon umgezogen waren. „Mensch Joey! Wo bleibst du denn?“ „Sorry, Leute. Hab wohl geträumt.“ Die anderen verziehen ihm schnell. Flugs kleidete er sich um, als er eine bekannte Stimme hinter sich vernahm. „Yugi!“ Angesprochener wandte sich um. „Atemu!“, freudig begrüßte er den ehemaligen Pharao, welcher ihm so ähnlich sah. „Du hast dein Bento heute liegen gelassen.“ Grinsend überreichte ihm Atemu seine Lunchbox, welche Yugi, leicht rot im Gesicht, dankend entgegennahm. Seine Schusseligkeit war ihm offensichtlich selbst peinlich. „Willst du noch ein wenig bleiben? Wir haben nur eine Stunde Sport, dann ist Mittagspause. Vielleicht hast du Lust, mit uns gemeinsam zu essen?“, erkundigte sich der Kleinere. Atemu hatte nichts dagegen. Sein Dienst im städtischen Museum, in dem er inzwischen dank der Beziehungen von Yugis Großvater arbeitete, begann erst später. Dementsprechend konnte er es sich leisten, noch ein wenig in der Schule zu bleiben und seinen Freunden beim Essen Gesellschaft zu leisten. Sicherheitshalber vereinbarten sie noch den Eingang des Sportplatzes als Treffpunkt, ehe sich die Schüler in Richtung des Sportplatzes begaben. Bereits vor einer Minute hatte ein schriller Pfiff sie daran erinnert, dass es den Sportlehrer nach ihrer Anwesenheit verlangte. Am heutigen Tage stand Ausdauerlauf auf dem Trainingsplan. Gleich neben dem Platz, auf einer kleinen Bank, saß Kaiba, welcher wie so oft nicht mitzumachen brauchte. Firmenchef zu sein, hatte neben allerlei Stress und Problemen eben auch ein paar winzige Vorteile. Er hasste den Schulsport. Sich mit einem Haufen nach Schweiß stinkender Teenager in eine kleine Kabine zu zwängen war nur ein Grund für seine Abneigung. An anderen Tagen hätte er vielleicht sogar am Laufen teilgenommen. Bewegung half ihm, angestaute Energie loszuwerden und einen klaren Kopf zu bekommen. Doch damit wäre er nicht mehr in der Lage gewesen, Joey zu beobachten. Die heutigen Sportstunden waren die einzigen, seit Beginn der Schule, in denen es nicht weiter auffiel, wenn er Joeys Körper einer genauen Prüfung unterzog. Angelegentlich griff er nach seinem kleinen Netbook und fuhr ihn hoch, nur um ihn dann schließlich doch unangetastet auf seinem Schoß stehen zu lassen. Inzwischen lief Joey bereits das zweite Mal an ihm vorbei. Eine kaum sichtbare Zornesfalte bildete sich auf der Stirn des Firmenchefs, als er zwei weitere große blaue Flecken am rechten Oberschenkel und eine bereits verblassende grüne Prellung am rechten Oberarm ausmachen konnte. Wenn er nicht schon im Krankenhaus läge, wäre er glatt in Versuchung, diesen Haiko Kirian ein weiteres Mal persönlich dort hin zu befördern. Aber es war noch nicht aller Tage Abend. Genau genommen hatte nur Joey bisher seine Rechnung mit ihm beglichen. Sobald er aus dem Krankenhaus entlassen war, blieb sicher noch genügend Zeit, dafür zu sorgen, dass der Mann den Namen „Seto Kaiba“ nie wieder vergessen würde. Derzeit verschafften ihm und Joey der Krankenhausaufenthalt von Haiko Kirian einen Vorteil gegenüber Tome. Er selbst musste Kirian nicht feuern, um ihn aus seiner Firma zu bekommen. Damit hätte er, so kurz nach dem Vorfall, unweigerlich preisgegeben, dass er den wahren Saboteur kannte. Joey hatte vielleicht nicht die eleganteste, aber in jedem Fall die schnellste und effektivste Methode gewählt, um sich als einzig möglichen Ansprechpartner in Sachen Kaiba Corporation darzustellen. Jeder würde glauben, dass Joey sich lediglich für die falschen Unterstellungen gerächt hatte. Nun musste der Blonde nur noch unter Beweis stellen, dass er ein vertrauenswürdiger und wertvoller Verbündeter war, der Kaiba ebenso gern vernichtet sehen wollte, wie Tome. Dieses Wissen machte es Kaiba leider nicht einfacher, mit der derzeitigen Situation richtig umzugehen. Vor ein paar Tagen hatte er sich Zugriff auf die Bankkonten der Lehrer verschafft. Dabei hatte er ein paar interessante Entdeckungen gemacht. Die Erste war die notorische Unterbezahlung aller angestellten Lehrer – zumindest wenn man das Gehalt in Bezug zu ihrer täglichen Arbeit stellte, eine Arbeit, in deren Verlauf jeder andere vernunftbegabte Mensch kläglich an seine nervlichen Grenzen gestoßen wäre. Das führte wiederum dazu, dass der ein oder andere vermutlich nichts gegen einen lukrativen Nebenjob hatte, insofern es nicht gegen dessen ethische Grundsätze verstieß. Er ging davon aus, dass die Beobachtung von zwei Schülern, was ohnehin in den Aufgabenbereich eines Lehrers fiel, durchaus mit den ethischen Grundsätzen vereinbar war. Ein am vergangenen Donnerstag eingegangener höherer Betrag auf dem Konto des Schularztes, hatte schließlich seinen Verdacht bestätigt. Nach Zurückverfolgung des Geldes über drei andere Konten, konnte eindeutig die Tome Corporation als Geldgeber ausgemacht werden. Zu gern hätte er mit Joey über all das, was er inzwischen herausgefunden hatte, von Angesicht zu Angesicht gesprochen. Doch dies war augenscheinlich weder in der Schule noch in der Kaiba Corporation, in Joeys Wohnung oder seinem eigenen Haus möglich. Vermutlich auch nicht auf Joeys Arbeitsstelle. Es war schwer zu sagen, wo Tome seine Finger noch alles im Spiel hatte. Ihm war keiner der Männer oder Frauen entgangen, die in letzter Zeit in seiner Näher herumlungerten. Er gab jedoch zu, dass, wenn er nicht bald eine Möglichkeit finden würde, er mit seinen Nerven am Ende wäre. Mokuba gegenüber würde er das freilich nicht eingestehen. In Gedanken versunken nahm Seto kaum wahr, dass sich eine weitere Gestalt zu ihm gesellte. Fasziniert konzentrierte er sich auf das Fußballspiel, das inzwischen begonnen hatte. Mit einem übermütigen Schrei stürmte Joey gerade in diesem Augenblick auf das gegnerische Tor und versenkte den Ball, mit Hilfe von Tristan, ohne nennenswerte Gegenwehr. Jubelnd fiel er dem Braunhaarigen in die Arme und Yugi, welcher in der Gegenmannschaft spielte, gratulierte den beiden großzügig - dicht gefolgt von der Ankündigung, dass sie auf das Gegentor nicht lange würden warten müssen. Grinsend wies Joey ihn darauf hin, dass er mit seiner Größe den Vorteil ja auf seiner Seite hätte und versuchen solle, unter den Beinen der Spieler hindurch zu laufen, woraufhin Yugi ihm nur spielerisch drohte. Feixend zogen Tristan und Joey sich zurück und berieten sich mit ihren Teamkameraden. „Nimm endlich deinen Arm da weg, Taylor“, murmelte Seto leise zu sich selbst. Die Person hinter ihm registrierte die Bemerkung stillschweigend und sah dem Treiben weiter zu. Wenig später versenkten Tristan und Joey ein weiteres Tor durch eine gute Vorlage von Takiro. Abermals von Jubel und enttäuschtem Stöhnen begleitet, wertete der Lehrer das bisherige Spiel mit einem 3:1 für Joeys Mannschaft. Erneut zogen die zwei Freunde Yugi mit seinen kurzen Beinen auf. Frustriert stellte Kaiba sein Netbook ganz zur Seite. „Verdammt, dieses Teil ist zu nichts zu gebrauchen!“ Wütend warf er dem unschuldig vor sich hin rauschendem Netbook einen finsteren Blick zu. Eine kleine Stimme hinter ihm brachte seine Gefühle unversehens auf den Punkt. „Stört es dich etwa immer noch so sehr, wenn er sich mit jemand anderem als dir auf diese Weise ‚streitet‘, …Seto?“ „Warum ‚immer noch‘?! Als wenn es mich stören würde, wenn der Köter…“ Gerade wollte er die offensichtliche Wahrheit von sich weisen, als ihm bewusst wurde, wer sich da zu ihm gesellt hatte. „…Atemu.“ Dieser nickte nur und sah weiter scheinbar interessiert zu Joey, während er Kaiba aus dem Augenwinkel genau im Blick behielt. Ungefragt ließ er sich neben ihm nieder. Seto fiel es schwer, sich das einzugestehen, doch in Gedenk seiner Träume, war er nahe daran, Atemu mit ‚Pharao‘ anzusprechen. Im letzten Moment hatte er sich gerade noch zusammenreißen können. Er hatte längst akzeptiert, dass seine Träume offenbar die Vergangenheit seines Alter-Egos zeigten. Im Stillen wunderte er sich. Bedachte er seine Träume, mussten sie sich früher gut verstanden haben. Woher kam dann diese unbestimmte Wut, wann immer er sich in der Nähe von Atemu aufhielt? Unbekannte Gefühle, die er sich nicht erklären konnte, breiteten sich in ihm aus, je länger Atemu neben ihm saß. Der ehemalige Pharao spürte seinen Konflikt, ließ ihn diesen jedoch mit sich selbst austragen. Er ahnte, was Seto, oder vielmehr Seth, im Inneren bewegte – auch wenn er sich daran nicht erinnern konnte oder wollte. Er selbst wusste nur von seinem früheren Leben, weil er nie ein anderes Leben gelebt hatte – es war immer noch seins, nur mit einem kaum nennenswerten Zeitsprung von fünftausend Jahren dazwischen. Für ihn war es nicht mehr gewesen, als ein langer Schlaf. Seth und Jono jedoch, dürften eigentlich keine Erinnerung an ihr früheres Leben mehr haben, und doch hatte Jono wieder zu sich selbst gefunden. Womöglich konnte auch Seto sich – bewusst oder unbewusst – an einen Teil seiner Vergangenheit erinnern. „Ich habe von Yugi gehört, dass ihr zwei euch nicht mehr streitet… euch eigentlich überhaupt nicht mehr unterhaltet…“, hakte Atemu nach. Nicht wissend, wohin mit seiner Wut, fuhr Seto den – auf Grund der immerhin beträchtlichen fünftausend Jahre Altersunterschied – älteren Mann an. „Das geht dich nichts an.“ In diesem Moment ertönte ein schmerzhafter Aufschrei. Als hätte man ihn selbst getreten, wandte Seto sich wieder dem Spielfeld zu und wurde in seinem Verdacht sofort bestätigt. Joey hatte es fertig gebracht, sich foulen zu lassen und saß nun auf dem Hosenboden. Das Knie blutete, da die oberste Hautschicht abgeschürft war. Der Fußballplatz war mit kleinen spitzen Steinen übersät und so war es nicht verwunderlich, dass solche kleinen Unfälle an der Tagesordnung waren. Dennoch explodierte Kaiba förmlich. Doch statt den Spieler anzuschreien, der gefoult hatte, richtete er seine gesamte Energie auf Joey. „KANNST DU IDIOT NICHT BESSER AUFPASSEN?!“, schrie er den Blonden an, welcher von Tristan zur nächsten Bank ans Spielfeld begleitet wurde. Einer seiner Teamkameraden zu indessen los, um ein größeres Pflaster vom Schularzt zu besorgen. Tristan verteidigte seinen Freund sofort. „Nun halt mal den Ball flach, Kaiba! Es war immerhin nicht Joeys Schuld.“ Da dies der Wahrheit entsprach, hatte Kaiba dem nichts entgegenzusetzen und blieb einen entsprechenden Kommentar schuldig. Die anderen spielten inzwischen weiter und kümmerten sich nicht mehr um die zwei. Kaiba explodierte in letzter Zeit öfter und es war nicht das erste Mal, dass Joey und er sich anpflaumten. Ihr blonder Mitschüler würde es überleben. Dieser sah ihn indes nur kurz an und erwiderte nichts. Ihm lagen einige Antworten auf der Zunge, doch er verkniff sie sich alle. Stur wandte er seinen Blick wieder nach vorne aufs Spielfeld. Auch Tristan war zum Spiel zurückgekehrt. In dem Blonden brodelte es derweil ebenfalls. Die ganze letzte Woche war Kaiba ihm stur aus dem Weg gegangen und jetzt ging er ihn so an?! Der hatte sie doch nicht mehr alle! Ignoriert zu werden schien den Braunhaarigen aber nur noch wütender werden zu lassen. Inzwischen kam ein Mitschüler in Begleitung des Schularztes wieder. Dieser registrierte zwar die aufgeladene Stimmung mit einem interessierten Blick, sagte aber nichts dazu und kniete sich stattdessen vor den Blonden, um dessen Bein näher zu untersuchen. Als die rechte Hand des Arztes die Haut rings um die Wunde untersuchte und er mit der anderen Hand den Unterschenkel festhielt, knirschte Kaiba fast unmerklich mit den Zähnen. Seine eigene Hand ballte sich zur Faust… und löste sich wieder. Vorsichtig tupfte der Arzt das meiste Blut ab und säuberte die Wunde, ehe er sie kurz desinfizierte. „Bleiben Sie noch einen Augenblick sitzen, Herr Wheeler. Zumindest bis die Wunde halbwegs getrocknet ist. Erst danach machen Sie sich bitte das Pflaster drauf. Wenn wir der Wunde zu früh die Luft nehmen, eitert sie vielleicht noch. Also am besten auch nur übergangsweise mit einem Pflaster überkleben.“ Joey nickte verständig, streckte sein Bein wieder und richtete seinen Blick zurück auf seine noch immer über den Platz rennenden Klassenkameraden. Atemu kannte das Verhalten von Seto bereits – aus einer anderen Zeit. Auch im alten Ägypten hatte Seth es nur schwer ertragen, wenn jemand anderes Jono berührt hatte. Bedauernd dachte Atemu an die eine oder andere Begebenheit zwischen den beiden zurück. Damals hatte es ähnliche Phasen gegeben, in denen sie sich aus dem Weg gegangen waren und doch hatten sie einander angezogen, wie zwei Magnete. Zwei besonders starke Magnete. Er selbst hatte das schon früh erkannt, die beiden hatten sich jedoch zunächst beide gleichermaßen aus unterschiedlichen Gründen mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Sein Blick wanderte weiter zu Jono. Dieser hatte inzwischen damit begonnen, seine Wunde noch einmal selbst einer genauen Inspektion zu unterziehen. Wenn er den Blonden richtig einschätzte, diente dies aber lediglich dazu, den eigenen Blick nicht doch auf Seth zu richten. Seufzend schüttelte Atemu den Kopf. /Die zwei sind kompliziert wie eh und jeh. Ich frage mich, wann sie es in diesem Leben endlich schaffen… Nochmal helfe ich ihnen jedenfalls nicht./ Innerlich schmunzelnd bedachte er die Reinkarnation von Seth mit einem weiteren Blick. Dieser beobachtete Jono noch immer ganz genau und ließ ihn nicht aus den Augen, ehe er schlussendlich von seinem Sitz aufsprang und hinüberging, als Jono sich gerade seinem Pflaster widmen wollte. „Das sollte man dir lieber über den Mund kleben, statt über dein Knie. Gib her!“ Schnaubend entriss er Joey das Pflaster und entfernte das Plastik ringsherum. Joey war zu verblüfft, um Einwände zu erheben. „Was…?“ „… ach halt die Klappe, Köter! Wenn dir schon einer Schmerzen zufügt, dann bin ich das.“ Ein bisschen fester, als unbedingt notwendig, presste er die Hand mit dem Pflaster auf die Wunde. Joey zog zwar kurz zischend die Luft ein, doch kein weiterer Schmerzenslaut kam ihm über die Lippen. Schließlich wurde der Druck leichter und erstaunt konnte Joey sehen, dass Seto noch einmal beinahe zärtlich über sein verletztes Knie strich, ehe er seine Hand langsam den Unterschenkel entlang nach unten gleiten ließ. Es war beinahe, als wolle er ihn streicheln…. Was zum Teufel tat Seto da? Er konnte spüren, wie ihn ein warmer Schauer durchrann. Ein Pfiff ertönte. Das Spiel war vorbei. Als hätte er sich verbrannt, zog Kaiba seine Hände zurück und richtete sich auf. „Zieh dir beim nächsten Mal etwas Längeres an, Köter, dann passiert sowas nicht und du hältst andere nicht mehr von der Arbeit ab.“ Ob er damit den Schularzt oder sich selbst gemeint hatte, ließ er offen. Schnaubend wandte er sich ab, ohne eine Antwort abzuwarten. Flugs machte er sich daran, Netbook und Unterlagen wieder einzupacken, während er Atemu neben sich murmeln hörte: „Ich mache mir Sorgen um dich, dass du dich nochmal verletzen könntest. Außerdem will ich nicht, dass jemand anderes so viel nackte Haut von dir sieht und dich dort berührt, wo nur ich dich berühren will.“ Interessiert richtete Atemu seinen Blick auf Seto und ergänzte: „Wäre es nicht viel ehrlicher, ihm das so zu sagen?“ Seto begnügte sich mit einer kaum verständlichen unwirschen Entgegnung – man hätte es als ‚kümmere dich um dich selbst‘ deuten können – und verschwand in Richtung Schulgebäude. Atemu lachte still in sich hinein. /Ich werde ihnen nicht helfen… Aber es ist wohl besser, wenn ich sie ein wenig im Auge behalte./ Immer noch irritiert von seinem eigenen Verhalten, ließ Seto sich auf seinem Stuhl im Klassenraum sinken. So konnte es nicht mehr weitergehen!   Er war vollkommen überreizt. Niemals zuvor hatte ihn das Hündchen so lange ignoriert und nicht mit ihm gesprochen. Anscheinend hatten seine nächtlichen Träume daher nun die entstandene freie Zeit genutzt, um auch den Tag für sich zu erobern. Wie sonst konnte es möglich sein, dass er selbst in den Schulstunden vor seinem inneren Auge immer wieder Joeys Körper vor sich sah? Einen Körper, der vor Erregung zitterte, mit einer Stimme, die immer wieder seinen Namen rief – mit dem einzigen Unterschied, dass der Name, der gerufen wurde, diesmal nicht ‚Seth‘ sondern ‚Seto‘ war. Es konnte doch nicht sein, dass er diesen Körper – Joeys Körper! – so anziehend fand, dass er den ganzen Tag an ihn dachte?! Die leichte Erhebung in seiner Hose, welche entstanden war, während er Joeys Knie und Unterschenkel berührt hatte, deutete das Gegenteil an. „Verflucht!“ Kapitel 30: Theater ------------------- @Lunata: Tjahjah... Egal, wie erwachsen Seto sich aufführt, man sollte nie vergessen, dass er körperlich gesehen noch im denkbar besten Alter steckt. Da kann so eine kleine Berührung gekoppelt mit zahlreichen Träumen, die noch weiter führen, zu diversen... Komplikationen im unteren Bereich führen. ^.~ Was die Tome Corporation angeht, dauert es (kapitelhalber gesehen) noch etwas. Alles rund um die Corporation läuft eigentlich im zeitlichen Rahmen von nur ein paar Wochen ab (so 2 oder 3), aber das vergisst man eben schnell, da meine Kapis ja nur 1-2mal die Woche neu sind. ^.~ Ich hoffe, du kannst dich noch ein wenig gedulden. *smile* @Rockryu: Jup. Der Schularzt ist der Spion, aber deshalb hat er ja auch gewartet, bis der wieder weg ist, bevor er sich Joey genähert hat. ^.~ Dumm ist Seto ja nicht. *g* Wenn auch sein Denken ansonsten, was den Kleineren anbelangt, eher dazu geneigt ist, auszusetzen. Du hast das schön beschrieben... mit dem Heiligen und so... besonders die Stelle mit dem 'nicht egoistisch' gefällt mir am besten, da es die Sache ziemlich auf den Punkt bringt. *g* Davon mal abgesehen *smile* ... wie viele Heilige kennst du denn so? Ich meine, wenn du sagst, dass sich ein Heiliger für gewöhnlich nicht prügelt etc... *GGG* @Primavera: *fragend guck* Warum rollst du denn gerade durch die Gegend? ^_^ Jono und 'Syrier' verkloppen? *lach* Na mal sehen, ob deine Vermutung stimmt. Und Seth ohne Stab hat auch Einiges drauf - bitte nicht unterschätzen! ô.o Für Atemu war es mit Sicherheit eins von Beidem. Wahrscheinlich aber eher wie Kino. Immerhin bleibt er bewusst als stiller Beobachter am Rande, was er ja beim ersten Mal nicht getan hat, indem er sie auf die Reise schickte. ^.~ Allen Lesern viel Spaß beim Weiterlesen. ________________________________________________________ ~~~~~~~~~~ Seth und die anderen vier Soldaten gingen bereits seit einer halben Stunde alle möglichen Strategien durch. Dem Hohepriester war bewusst, dass er den angedachten Sandsturm nicht lange würde aufrecht erhalten können. Sie würden es lediglich schaffen, sich unbemerkt in die Oase zu schleichen. Im Kampf selbst, würde er mit einem Sandsturm auch den eigenen Leuten die Sicht nehmen und sie so eher behindern. Zudem war er ohne seinen Milleniumsstab nicht in der Lage, den Sturm so genau zu steuern, dass am Ende das Wasser der Oase noch frei von Sand wäre. Und wenn das Wasser erst verschüttet war, stände die Karawane vor denselben Problemen wie jetzt. Dennoch wurde sein Vorschlag von den anderen dankend angenommen. Gemeinsam berieten sie über weitere Möglichkeiten, wie sie gegen dreißig Syrier bestehen könnten. Ihnen allen war klar, dass sie nicht mit der Hilfe der Frauen und Kinder rechnen konnten. Die Männer der Karawane waren jedoch durch die tägliche Arbeit stark und kräftig. Jono hatte vollkommen recht gehabt, als er behauptet hatte, dass jeder Bauer damit vertraut war, sich gegen Überfälle zur Wehr zu setzen. Vor allem in den Grenzgebieten hatte man gelernt, sich und sein Hab und Gut zu verteidigen. Lediglich die Erschöpfung durch den langen Marsch durch die Wüste hatte die Männer etwas von ihrer Kraft einbüßen lassen. „Wenn wir mit ihnen gemeinsam arbeiten, sind wir immerhin zwanzig Männer. Damit stehen die Chancen schon mal nicht mehr ganz so schlecht“, stellte Aziz fest. „Ich selbst bin mit meinen Fähigkeiten ebenfalls in der Lage, mehr als nur einen Mann zu töten. Ich muss nur nah genug an sie heran kommen“, gab Seth zu bedenken. Der Hohepriester kannte seine Macht und er würde nicht davor zurückschrecken, diese Macht auch einzusetzen. Doch sie hatte ihre Tücken. Gleichwohl der Gott der Wüste und des Todes ihm diese Kraft verliehen hatte, hatte er doch geschworen, Leben zu erhalten, statt es zu nehmen. Ein übermäßiger Missbrauch von Magie konnte einem Priester leicht zum Verhängnis werden. „Schone deine Kräfte, Priester. Einen solchen Kampf gewinnt man nicht mit Stärke.“ Alle wandten sich dem Blonden zu, welcher unvermutet wieder zu ihnen gestoßen war - in seiner Hand ein kleines Bündel tragend. „Ach, und womit dann?“, erkundigte sich Yanis bissig. „Mit Angst.“ Verblüfft über diese Antwort sah Ilai ihn an. Indes traten hinter dem Heeresführer mehrere Männer der Karawane in ihre Runde. Erklärend deutete Jono auf die entschlossen aussehenden Viehtreiber. „Diese Männer sind in der Lage eine Keule zu führen. Sie werden mit uns zusammenarbeiten. Ich habe ihnen bereits anvertraut, dass wir keine reisenden Bauern sind und uns auf die Handhabung von Waffen verstehen.“ Scharf zog Ilai die Luft ein. Das Treffen solch eigenmächtiger Entscheidungen lag nicht in Jonos Befugnissen. Doch ein einmal angerichteter Schaden konnte nun nicht wieder gut gemacht werden. „Jono, was bildet Ihr Euch…“, setzte er an, wurde aber rüde mit einer schnellen Bewegung der Hand zum Schweigen gebracht. „Uns fehlt die Zeit für den Austausch solcherlei Höflichkeiten.“ Bestimmend griff Jono in das Bündel und teilte die bisher versteckt gehaltenen Waffen an die anderen aus, ehe er fortfuhr, das Kommando zu übernehmen. „Seth, als Priester bist du in der Lage, einen Sandsturm zu erzeugen. Ich nehme an, dass es sich mit ein paar simplen Staubwolken ähnlich verhält?“ „Simpel?“ Seths rechte Augenbraue rutschte bedenklich nach oben, während er die Arme vor der Brust verschränkte. Nur für ihn sichtbar, verdrehte Jono die Augen, sagte aber nichts. Der Hoheproester ahnte, dass Jono den anderen Männern nur die Hälfte der Wahrheit erzählt hatte. Priester gab es wie Sand im Nil und nicht wenige davon waren Magiebegabt. Sein Amt öffentlich zu machen, würde zu keinem nennenswerten Schaden führen, da umherziehende Priester keine Seltenheit in Ägypten waren. „Ich denke, das müsste sich bewerkstelligen lassen“ Als hätte er nichts anderes erwartet, fuhr Jono fort. „Wir werden uns den Verlauf der Sonne zu Nutze machen. Wenn wir bald aufbrechen, haben wir die Sonne genau im Rücken. Diese Männer hier“, er deutete abermals auf die Männer der Karawane, “werden uns helfen das Vieh in Richtung der Oase zu treiben.“ „Und was bitte, soll das ganze Theater bringen?“, erkundigte sich Elias voller Skepsis. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, worauf das alles hinauslaufen sollte. „Genau das: Theater.“ Mit Unverständnis in den Augen sahen die anderen ihn an. Lediglich die Viehtreiber schienen bereits in den Plan eingeweiht worden zu sein und verzogen keine Miene. „Nun, ich drücke es mal so aus: Fünf Männer und ein wenig Vieh können die Syrier kaum dazu bringen, in Panik auf und davon zu laufen. Was aber fürchten Syrier mehr als alles andere?“ Aziz musste nicht lange nachdenken. „Die Armee des Pharaos.“ „Richtig. Und wir werden diese Armee sein.“ Zweifelnd sahen seine Weggefährten den Blonden an. Zwei von ihnen waren überzeugt, dass er in den letzten Stunden zu wenig Wasser erhalten habe. Einer hielt ihn schlicht für dumm. Die verbleibenden zwei begannen zu verstehen und dachten nach. „Das könnte klappen. Mit Hilfe meiner Kraft sollte es mir gelingen, die Staubwolken, die von den Rindern erzeugt werden, noch zu verdichten. Von weitem könnte es, wenn wir die Rinder breit laufen lassen, tatsächlich wie die Staubwolke einer Armee wirken.“ „Selbst, wenn wir sie damit nicht komplett verschrecken können, sollte die kurzzeitige Verunsicherung ausreichen, uns genügend Zeit zu verschaffen um ins Lager einzudringen. Wenn wir erst drin und die Syrier durch den Haufen aufgeschreckter Rinder auseinander getrieben sind, sollte es uns ein leichtes sein, sie zu besiegen“, ergänzte Ilai. Zweifelnd sah Aziz ihn an. „Selbst wenn Seth die Staubwolke verdichtet, werden sie doch noch immer nicht davon ausgehen, dass ein Teil der Armee des Pharaos in diesem Teil Ägyptens marschiert.“ Ein Funkeln trat in die Augen von Jono. „Das werden sie. Dafür sorge ich.“ Offensichtlich hatte Jono noch einen weiteren Schachzug geplant, welchen er den anderen jedoch vorerst nicht verraten wollte. Interessiert betrachtete Seth das zweite kleine Bündel, welches noch immer fest in der anderen Hand von Jono lag. Der Hohepriester ahnte inzwischen, wie Jono sich mit seinen jungen Jahren bereits bis zum Heerführer hatte hocharbeiten können. Offensichtlich waren ihm dabei nicht nur seine Fähigkeiten im Kampf sondern auch sein strategisches Denkvermögen zu Gute gekommen. Interessiert verfolgte er, wie indes die dritte wichtige Fähigkeit, die ein Heerführer haben musste, seine Wirkung tat: Die Kraft der Überzeugung. Selbst Yanis, welcher kurz zuvor noch nahe daran gewesen war, den Jüngeren zu ermorden, erhob keine weiteren Einwände. Seths Blick wanderte weiter zu Ilai. Offensichtlich hatte auch er, als eigentlicher Anführer ihrer Gruppe, die bezwingende Autorität Jonos, ohne es selbst zu bemerken, widerspruchslos anerkannt. Seth konnte es ihm nicht verdenken. Die gesamte Präsenz des anderen hatte sich verändert. Selbst er konnte sich der Macht seiner Worte kaum entziehen. Jono hatte offenbar eine ganz eigene Art von Magie in sich. „Wir sollten sofort losziehen. Die Frauen und Kinder lassen wir mit ein paar Männern zu ihrem Schutz und mit ein paar Nahrungsmitteln hier. Wir schicken später einen Boten aus, um sie nach zu holen.“ Mit diesen letzten Worten wandte Jono sich um. Wie Ilai wenig später bemerkte, war wohl auch der Rest der Karawane bereits mit allem einverstanden und hatte sich zum Weiterlaufen bereit gemacht. Verblüfft betrachtete er den jungen Rekruten. Erst nachdem der Blickkontakt unterbrochen war, schien ihm klar zu werden, dass der junge Mann inzwischen vollständig das Kommando übernommen hatte und den Männern der Karawane ihre Plätze zuwies. Noch während der Kommandant darüber nachgrübelte, wie es möglich war, dass ein Rekrut, der bis vor kurzem noch gegen ein Vorgehen gegen die Syrier gewesen war, nun eigenmächtig die Führungsrolle übernahm – und er sich selbst ohne Widerworte übernehmen ließ – marschierten sie los. Bereits nach der Hälfte des Weges begann Seth seine Macht zu wirken. Es dauerte, ehe er alle Wüstenwinde so weit in seine Gewalt gebracht hatte, dass sie sich seinem Willen beugten und sich lenken ließen. Besorgt sah er ein ums andere Mal zu den Rindern, welche die Gefahr des bevorstehenden Sturmes ebenfalls spürten. Ihre Triebe sagten ihnen, dass sie sich in der Nähe einiger Felsen Schutz suchen sollten. Die Treiber hatten, je mehr Sand sich unter den Wind mischte, große Schwierigkeiten, die Rinder weiter zu drängen. Dass sie einige Männer zum Schutz der Frauen zurückgelassen hatten, machte ihre Aufgabe nicht leichter. Für Seth war es schwierig, das richtige Maß zu finden. Der Sandsturm musste dicht genug sein, um die Schemen der Rinder zu verbergen, durfte diesen aber gleichzeitig nicht zu viel Angst machen. „Schaffst du es?“, erkundigte sich Jono, welcher von ihm unbemerkt an seine Seite getreten war. „Ich weiß es nicht. Die Viecher haben Angst. Es dürfte für die Treiber schwierig werden, sie weiter in die richtige Richtung zu treiben, solange ich uns mit dem Sandsturm decke.“ Nachdenklich sah Jono in Richtung des Felsgesteins. Schließlich hellte sich sein Gesicht auf. „Mach dir darüber keine Gedanken. Wir bekommen Hilfe.“ Verblüfft sah Seth sich um. Für einen Moment flaute der Wind ab, da seine Konzentration ganz von Jono in Anspruch genommen wurde. Doch dieser erklärte seine Aussage nicht weiter, sondern stellte ihm stattdessen eine Frage: „Alle Kräfte dieser Welt, lassen sich mit Angst bewegen. Vor was haben Rinder Angst?“ Bezeichnend in Richtung des dichten Sandtreibens blickend und dabei leicht die Augen schließend, widmete Seth sich wieder seiner Arbeit. „Einem Sandsturm.“ „Vor was haben sie noch mehr Angst?“ Verständnislos zuckte Seth die Schultern. Die Antwort auf diese Frage erfolgte indes aus unerwarteter Richtung. Ein Heulen ertönte und Jono erwiderte den Laut mit einem übermütigen Freudenschrei. Grinsend deutete er mit einem kurzen Nicken auf schemenhafte Gestalten, die auf einmal inmitten der Herde aufgetaucht waren. „SCHAKALEEEEE!“, erschollen die ersten panischen Rufe von der anderen Seite der Herde. So weit draußen in der Wüste, hielten sich die Tiere normalerweise nie auf. Gleichwohl die Treiber Angst hatten, wertvolle Rinder an die wilden Räuber zu verlieren, sahen sie sich doch außer Stande, in diesem dichten Treiben etwas gegen die Jäger zu tun. Diese schienen indessen wenig am Auffüllen ihrer Speisekarte interessiert zu sein. Immer wieder schnappten sie nach den Beinen einiger Tiere, bissen jedoch selten zu und brachten kein einziges der Rinder zu Fall, um es gemeinsam zu verspeisen. Erst als Jono mit einem freudigen Lachen wieder im Nebel aus Sand und Staub verschwunden war, wurde Seth sich darüber bewusst, dass die Rinder nun nicht mehr den Felsen entgegen drängten. Stattdessen suchten sie Schutz vor den Schakalen und liefen um einiges schneller – genau in Richtung der Oase. Kurz nach ihm machte Ilai, welcher ein paar Schritte vor ihm lief, dieselbe Entdeckung und starrte entsetzt das Rudel Schakale an, welches ihnen auf diese Weise – beabsichtigt oder nicht – bei der Erfüllung ihrer Aufgabe half. „Wie ist das möglich?!“, rief er Seth zu. „Habt Ihr sie gerufen?“ Verneinend schüttelte Seth den Kopf. Diese Macht hatte er nicht. „Anoubis Ano-Oobist“, murmelte er für die anderen unverständlich. „Heerführer unter dem Schutz des Anubis, du steckst voller Überraschung. Wie ich sehe ist der Einfluss deiner Verbündeten doch größer, als ich dachte.“ Indes waren sie in Sichtweite der Oase. Abermals erscholl ein lautes Heulen, diesmal nicht aus dem Maul eines Schakals. Es war das vereinbarte Signal von Jono. Auch die Schakale fielen in das Jaulen ein dem sich wenig später auch die Männer der Karawane anschlossen. Verzerrt durch den Sandsturm und zum Teil zurückgeworfen durch die Felswände zu ihrer linken, vervielfachten sich die Töne und waren fruchterregend anzuhören. Die Schakale verstärkten noch einmal die Intensität ihres Angriffs und trieben die Rinder rascher vor sich her. Sich kampfbereit machend, nahm Seth seine Axt in die rechte Hand. Auch er war inzwischen in einen Laufschritt verfallen, als er auf einmal eine sich schnell bewegende Gestalt ausmachen konnte, welche sich aus den wirbelnden Sandmassen löste und sich noch vor die falsche Armee setzte. Mit wehendem rotem Umhang saß eine kleine Gestalt auf einem der sieben Pferde der Handelsleute und war vermutlich als einziger klar von den Syriern zu erkennen. Wenn er die Schreie, die über den Sturm hinweg zu hören waren, richtig deutete, verfehlte die rote Farbe ihre Wirkung nicht. Einen Pfeil bereits mit der Sehne seines Bogens gespannt, preschte Jono direkt in die Oase. Sie selbst kamen zu Fuß nur wenig später an. Umsichtig ließ Seth den Wind abflauen, um den Männern genügend Sicht und Atem zu garantieren. Sie alle hatten sich zwar zum Schutz vor zu viel Sand in der Lunge, ein Tuch vor den Mund gebunden, dennoch wollte Seth sicher sein, dass ihnen in dem dichten Treiben keiner der Syrier entging und eine Falle stellte. Doch wie es schien, brauchte er sich darüber keine Gedanken zu machen. Bereits bei seinen ersten Schritten in das grüne Fleckchen Erde stolperte er beinahe über eine Leiche, welche vor ihm mit von einem Pfeil durchbohrter Brust am Boden lag. Jono hatte Recht behalten. Die Syrer waren zwar nicht alle geflohen, doch sie waren genügend verunsichert worden, um überall versprengt zu sein. Erst jetzt, da es zu spät war, erkannten sie, dass sich ihnen keine Armee, sondern nur eine Herde voller Rinder und einiger weniger Männer genähert hatte. Die Erkenntnis kam zu spät. Noch während er sich seinem ersten Gegner stellte, beobachtete Seth aus dem Augenwinkel, wie Jono, inzwischen wieder ohne Reittier, zwei der Syrier mit seinen zwei Krummschwertern niederstreckte. Er selbst kümmerte sich um den Mann vor ihm, welcher wesentlich besser im Axtkampf bewandert war, als er selbst. Doch das stellte für ihn, als Hohepriester, kein Hindernis dar. Geschickt wich er zwei Streichen mit der Axt aus. Die Schneide zog nur wenige Millimeter an seinem Ohr vorbei, als er sich in die Knie begab und seine Hände auf die Brust des Mannes presste. Er brauchte sich nur für den Bruchteil einer Sekunde zu konzentrieren, ehe sich genügend Energie in seinen Händen gesammelt hatte. Noch bevor die Axt erneut erhoben werden konnte, stieß Seth ihn mit beiden Händen von sich weg. Die Augen nach hinten verdrehend, schrie der Syrier noch einmal kurz auf, ehe er tot zu Boden sank. Viel Zeit zum Ruhen hatte Seth jedoch nicht, da sich bereits zwei neue Gegner näherten. Ohne lange zu zaudern griff er nach der fallengelassenen Axt seines toten Feindes, drehte sich und rammte die Schneide direkt in die Brust des ersten der zwei Gegner. Blut sickerte durch dessen Tunika und wurde zu einem breiten Strom, als er den Kopf der Axt wieder herauszog. Unbemerkt von dem zweiten Gegner, hatte er den Wüstensand unter dessen Füßen zu sich befohlen. Dadurch kurzzeitig aus dem Gleichgewicht gebracht, fiel dieser fast nach hinten über, als ihn bereits die Spitze eines Chepesch die Kehle durchschnitt. Ein paar scheinbar endlose Sekunden verharrte er noch in der Luft, ehe seinen Beinen der nötige Lebenssaft fehlte und er vornüber fiel. Nun nicht mehr durch den Körper des Mannes in seiner Sicht behindert, sah Seth sich den kalten Augen von Anoubis Ano-Oobist gegenüber. Er brauchte ihn, bespritzt vom Blut der getöteten Syrier, nur anzusehen, um zu wissen, dass der Heerführer den Platz von Jono übernommen hatte. Ohne weitere Worte nahm er seine Axt wieder an sich und gemeinsam kümmerten sie sich um den nächsten Gegner. Noch während sie kämpften arbeitete sein Verstand in fieberhafter Geschwindigkeit. Sein letztes Zusammentreffen mit dem Krieger in Jono hatte ihm bewusst gemacht, wie wenig er diesem in einem ehrlichen Kampf entgegenzusetzen hatte. Er konnte nur hoffen, dass Jono noch anwesend war und er diesen auch ohne Hilfe des Milleniumsstabes zurückholen konnte, sobald der letzte Syrier tot oder verschwunden war. Wenn er gezwungen war, seine Magie unkontrolliert gegen Jono einzusetzen, war zu befürchten, dass er ebenso endete wie eben zuvor der Syrier. Wenig später hatte Anoubis bereits drei weiteren Feinden das Leben genommen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Mit jedem Tod, so schien es, ging ein weiterer winziger Teil von Jono verloren. Es war offensichtlich, dass ihn in diesem Zustand nichts mehr vom Töten würde abhalten können. Die Frage war nur, ob er noch in der Lage war, Freund von Feind zu unterscheiden… Einen Moment später hatte auch er selbst einen weiteren Gegner mit seiner Magie vernichtet. In diesem Augenblick war deutlich der Schrei einer Frau in ihrer Nähe zu hören. Pfeilschnell drehte Jono sich mit seinen blutigen Chepesch in den Händen um und rannte in die entsprechende Richtung. Seth stürmte ihm hinterher. Mit einem Blick erfasste er die ganze Szenerie. Nur wenige Schritte von einigen Palmen entfernt knieten ein paar Kinder. Drei alte Frauen hatten sich schützend über sie gebeugt. Eine weitere Frau wurde von einem der Syrier zu seinem eigenen Schutz festgehalten. Eine scharfe Klinge schwebte gefährlich nahe vor dem Hals einer der Frauen, die vermutlich aus Asyut stammten. Vor dem Mann stand Ilai, welcher die anderen beiden davon abhielt, sich weiter zu nähern. Auch er hatte seine Axt erhoben, trat jedoch nicht vor, um das Leben der Frau nicht unnütz zu gefährden. Während Seth auf die Bitte des Anderen hörte, und insgeheim damit begann, einen magischen Bann zu weben, ließ Jono ohne Umschweife seine Krummschwerter fallen und zog seinen Bogen vom Rücken im Laufen nach vorne. Wortlos schritt er der Geisel und dem Syrer entgegen, welcher ihm unentwegt auf syrisch zuschrie, wegzubleiben. Unbeeindruckt von der Gefahr für sich oder die Frau, legte Anoubis einen Pfeil auf. Ohne weiter auf die Schreie des Anderen zu hören, spannte er in einer fließenden Bewegung den Bogen, während sein Gegner mit der Frau im Arm immer weiter zurückwich und doch zu ahnen schien, dass er vor diesem Mann keine Gnade finden würde. Wenige Augenblicke später saß der Pfeil bereits direkt zwischen seinen Augen und sein Lebenslicht erlosch. Aufschreiend riss sich die Frau aus der blutigen Umklammerung los. Dumpf fiel der Körper des Mannes, seiner letzten Stütze im Todeskampf beraubt, auf den Wüstenboden. Am Hals blutend, ließ sich die Frau zitternd neben der Leiche nieder. Der Schock über dem nur knapp entronnenen Tod, war ihr ins Gesicht geschrieben. Zum Glück hatte der Mann seine Drohung nicht bis zum Ende ausführen können. Mit Tränen in den Augen stürmten zwei der Kinder auf sie zu. Noch immer wie Palmenwedel im Wind am ganzen Körper zitternd, schloss die Ägypterin ihre zwei Töchter fest in die Arme. Unentwegt murmelte sie beruhigende Worte in die schwarzen Haare der Mädchen. Seth ließ die gesammelte Magie aus seiner Hand entweichen. Ohne innezuhalten kehrte Jono zu seinen fallen gelassenen Krummschwertern zurück. Das Töten hatte noch kein Ende. In diesem Augenblick kamen zwei der Viehtreiber mit einem Syrier, dessen Arme bereits am Rücken gebunden waren, direkt auf Ilai zu. Mit grimmiger Entschlossenheit und dem Flackern von Blut in seinen Augen, ging Anoubis auf die drei Männer zu. Seth, der inzwischen bemerkt hatte, dass kein Kampfgeschrei um sie herum mehr zu hören war, ahnte, dass die Gefahr gebannt war. Der Tod des Syrers war unnötig, das wussten auch die Viehtreiber und hatten ihn daher lediglich gefesselt. Anoubis schien das anders zu sehen. Ilai, der ihn noch aufhalten wollte, wurde mit Leichtigkeit zur Seite gestoßen. „Jono! Lass ihn!“, forderte der Ältere ihn auf, doch Seth wusste bereits aus eigener Erfahrung, dass das nichts bringen würde. Seine Gedanken rasten. Ohne den Milleniumsstab war es schwer, Jono wieder zu Verstand zu bekommen. Doch er musste binnen Sekunden einen Weg finden, wollte er nicht riskieren, dass der Blutdurst von Jono sich auch gegen seine Gefährten richtete, sobald der letzte Syrier tot war. Das, so ahnte Seth, würde Jono sich nie verzeihen. In Gedenk an eine seiner ersten Begegnungen mit Anoubis Ano-Oobist traf er eine gefährliche Entscheidung. Da er noch zwischen dem gefangenen Syrer und Anoubis stand, stellte er sich schützend vor die drei Männer. Abwartend blickte er in die blutig braunen Augen des jungen Kriegers. Dieser hatte sie inzwischen erreicht und das Schwert bereits erhoben, um auch ihn aus dem Weg zu schaffen, sollte er nicht zur Seite gehen. „Nur zu. Töte mich, Jono. Du musst es tun. Denn glaube mir, anders wirst du nicht an ihn herankommen“, ließ Seth ihn mit ruhiger und fester Stimme wissen. Schreckensbleich sahen die zwei Viehtreiber und Ilai dem Geschehen zu. Aufrecht erwartete der Hohepriester den Streich von Anoubis und hoffte doch, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag. Geschmeidig erhob dieser das Chepesch erneut. Sein Handgelenk drehte sich leicht und zielte nun direkt auf seinen Hals. Ein sirrender Ton, erzeugt durch die niedergehende Waffe, ließ die zwei Viehreiber hinter ihm spürbar zusammenzucken. Seth hingegen zwang sich dazu, Anoubis weiter gerade anzusehen. Das Chepesch stoppte kurz vor seinem Hals. Ein Zittern durchlief den Körper des Kriegers. Die Waffe fiel mit einem dumpfen Ton zu Boden. Forschend sah der Braunhaarige seinen ehemaligen Freund an. Dessen Augen waren wieder in einem tiefen klaren Erdbraun gefärbt. Ein menschlich kaum fassbarer Schmerz spiegelte sich in ihnen wieder. „Als könnte ich dich je verletzen…“, flüsterte Jono – mehr zu sich, als zu einem der anderen, die um ihn herum standen. Gedanken, die er aussprach, ohne sich dessen bewusst zu sein. Seth hörte sie. Sein Herz zog sich sekundenlang zusammen, als er die kummervoll zusammengepressten Lippen von Jono vor sich sah. In diesem kurzen Moment der Schwäche strich der Blonde fahrig und doch liebevoll über die linke Brustseite Seths‘ – genau über die Stelle, an der dessen Herz noch immer voller Sorge schlug und einen Schlag aussetzte, als Jono ihn dort berührte. Doch der Moment der Schwäche verflog von den Umstehenden unbemerkt. Da Jono für Sekunden auch seine Stirn an seinen Oberkörper gepresst hatte, musste es auf die anderen wie ein kleiner Schwindelanfall gewirkt haben. Für Seth lag in diesen wenigen Gesten eine Wahrheit, über die er später mit Jono würde reden müssen. Hier war weder der richtige Ort noch der passende Moment dafür. Energisch ging Jono von Seth auf Abstand und wandte sich dem gefangenen Syrier zu. Stumm maß er dessen zusammengeschlagenes Gesicht. Er blutete aus mehreren Wunden, keine der Verletzungen war so schwer, dass er es nicht überlebt hätte. „Du kannst gehen. Doch dafür überbringst du meine Nachricht an all deine Landsleute. Richte aus, dass der Pharao stets für die Sicherheit seines Volkes sorgt und er jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in Syrien töten lassen wird, sollten sie noch einmal in seinem Land zu plündern versuchen. Hast du mich verstanden?!“ Der Mann verstand ihre Sprache besser als angenommen. Trotz der drohenden Gefahr spuckte er dem Krieger, dessen Tunika noch immer rot von Blut war, vor die Füße. Syrier zeigten keine Angst. Wer angesichts eines Feindes das Weite suchte, wurde von seinen Kampfgefährten gesteinigt. So zumindest hatte Seth es gehört. Ein dumpfes Geräusch ertönte, als Jonos Faust das Gesicht des Gegners traf. Bezeichnend deutete Jono auf Seth. „Dein Leben, Syrier, hast du allein diesem Mann zu verdanken“, hob Jono erneut an zu sprechen. Überrascht weiteten sich die Augen des Gefangenen. Der blonde Mann hatte die Sprache der Syrier gewählt, um sicher zu gehen, dass sein Gegenüber ihn verstand. „Doch bei Rah, solltest du das gerade noch einmal wiederholen, wird auch er mich nicht mehr davon abhalten können, dich draußen mit meinen eigenen Händen in der Wüste lebendig einzugraben und dabei zuzusehen wie du jämmerlich verreckst.“ Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, sah der Syrier zu Jono auf. Doch er unterließ alles, was Jono noch weiter verärgern könnte. Er schien begriffen zu haben, dass Jono keine leeren Drohungen ausstieß. „Wirst du meine Nachricht überbringen?“ Mit einem kurzen Blick auf den roten Umhang und die blutige Tunika nickte der Mann schließlich wiederwillig. Das genügte dem Heerführer. Er gab den anderen das Zeichen, den Mann loszubinden und ihn mit ein wenig Wasser und Nahrung zu versorgen, damit er sein Land auch lebend erreichen würde – immerhin hatte er eine Botschaft zu übermitteln. Seth wob zusätzlich einen kleinen Zauber, der dafür sorgen würde, dass der Mann sein Ziel mit Sicherheit erreichte. Sollte er allerdings danach ein weiteres Mal die Grenze des Landes übertreten, würde der Hohepriester es sofort wissen. Die zwei Viehtreiber wurden indes von Jono angewiesen, sich um die Frauen und Kinder zu kümmern. Wortlos hatte Ilai die ganze Prozedur beobachtet. Wie es schien, hatte er nicht vor, seine Befehlsgewalt wieder einzufordern. Stattdessen studierte er nachdenklich die noch immer rot ummantelte Gestalt des Blonden. Lange Zeit verweilte er mit seinem Blick auf dem noch jung erscheinenden Gesicht, den zwei Chepesch, die inzwischen beide wieder in die Hände des Heeresführers zurückgefunden hatten, sowie dessen gesamter Haltung und seinem langen Zopf, der ihn als Rekrut auswies. Entschlossen trat er auf Jono zu. Der Syrier und die Viehtreiber waren inzwischen außer Hörweite. Ebenso wie alle anderen. Ohne weiteres Zögern ließ er sich auf seine Knie sinken und führte seine rechte Hand erst zu seiner Stirn, dann zu seinem Herzen. „Heerführer Anoubis Ano-Ooobist, Beschützer des Landes Ägyptens. Ich fühle mich geehrt, mit Euch kämpfen zu dürfen.“ „Mist.“ Verblüfft und ein wenig verunsichert, sah Ilai zu dem Jüngeren auf. Mit dieser Antwort hatte er am wenigsten gerechnet. Hatte er sich mit seinem Verdacht doch geirrt? Stöhnend drehte Jono sich halb zu Seth um. Anklagend deutete er auf die kniende Gestalt des Truppenführers. „Genau DESHALB hasse ich es, mit diesem Namen auf der Stirn durch die Gegend zu laufen.“ Wieder an Ilai gewandt, forderte er diesen unwirsch auf, sich wieder zu erheben. „Steht gefälligst auf, Ilai. Wenn ich mich recht entsinne, war es mein Gebot, dass Titel jeglicher Art auf dieser Mission keine Bedeutung haben. Sie sind unnütz und erschweren lediglich die Kommunikation untereinander.“ Ilai erhob sich. Sein Verdacht hatte sich bestätigt. Ungeniert grinsend zwinkerte er seinem Heerführer zu. „Sicher. Ebenso wie es Euer Gebot war, dass ich auf dieser Reise das Kommando habe und Ihr mich als Rekrut begleitet.“ Jono musste eingestehen, dass der Andere damit nicht Unrecht hatte. „Das Kommando dürft Ihr hiernach gern wieder übernehmen, Ilai. Hätte ich kein Vertrauen in Eure Fähigkeiten gehabt, hätte ich Euch schwerlich den Schutz des Hohepriesters anvertraut.“ „Nun, offensichtlich reichte Euer Vertrauen nicht weiter als bis zur nächsten Sanddüne, da Ihr selbst dennoch an dieser Reise teilnahmt.“ „Ihr missversteht das, Ilai. Dies entsprang einem Gebot des Pharaos. Ich selbst hätte auf diese Reise nur allzu gern verzichtet. Es macht keinen Spaß, kampfunerfahrene Priester aufs Kreuz zu legen.“ Bezeichnend deutete er hinter sich auf Seth, welchem bereits ein Kommentar auf den Lippen lag. Diesen würde er sich jedoch für später aufheben, wenn Jono und er alleine wären. „Dennoch war es Eure eigene Entscheidung, das Kommando für diesen Angriff zu übernehmen.“ „Unfreiwillig. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte das Ganze hier nie stattgefunden gewesen. Doch da Ihr und Seth nun einmal beschlossen hattet, einzugreifen und meine Warnungen in den Wind zu schlagen, kam ich kaum umhin, nicht das Kommando zu übernehmen. Immerhin wäre der Pharao höchst unerfreut, brächte ich seinen Hohepriester in Einzelteilen wieder zu ihm zurück.“ „Das würde dir doch nur gelegen kommen, Jono. Dann müsstest du dich nicht mehr ständig vor den Feiern zu Ehren der Götter drücken“, merkte Seth herausfordernd an. „Ich gebe zu, die Idee ist verlockend. Doch vermutlich würde der Pharao mich als Strafe für deinen Tod für den Rest meines Lebens in einem Tempel anbinden oder vierteilen lassen.“ „Also genau das, was man mit jedem Schakal tun sollte, der nur Ärger macht.“ „Ärger? Dass ich gerade deine Haut gerettet habe, fällt wohl kaum unter Ärger! Ich habe dir einen Dienst erwiesen – unfreiwillig, wie ich betonen sollte.“ „Einen Dienst? Indem du mir fast meinen Hals aufschlitzt?“ „Fast, Seth. Die Betonung liegt auf FAST. Dass ich es letztlich nicht getan habe, war sicher kein Dienst an der Menschheit. Die wäre ohne so einen arroganten und selbstgefälligen Priester sicher besser dran, aber zumindest dir hat es ja wohl geholfen. Da dein Gebaren allerdings ein angemessenes Maß an Dankbarkeit vermissen lässt, muss ich zugestehen, dass ich es inzwischen fast schon wieder bereue, dass nicht doch ein paar Blutstropfen gefallen ist.“ „Seth?“, versuchte Ilai, das Geplänkel der beiden zu unterbrechen. „Oh, keine Sorge, Jono! Bei mir ist heute genügend Blut geflossen.“ „Ach ja? Zeig her!“ Herausfordernd maß Jono ihn von oben bis unten. Seth ließ sich nicht lange bitten und zeigte seinen rechten Arm und sein linkes Ohr, an welchen ihn die Schneide einer Axt gestreift hatte. „Da sieht man mal wieder, dass du nicht in der Lage bist, zu kämpfen.“ „Du vergisst, dass ich vier Syrier eigenhändig zu Rah geschickt habe.“ „Seth. Das Ziel beim Kampf ist es, dass die ANDEREN bluten - nicht du.“ „Jono…?“, abermals versuchte Ilai, ihre Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. „Keine Sorge. Bei den anderen ist ebenfalls genügend Blut geflossen. Was mich zu der Frage bringt, wie es denn um deinen Körper bestellt ist?“ „Kein Kratzer, Seth. ICH weiß, wie ich mich wehren kann.“ „Weshalb deine gesamte Tunika voller Blut ist…“, stellte Seth skeptisch fest. „Es ist das Blut meiner Feinde. Ein Umstand, mit dem du dich schwerlich rühmen kannst“, berichtigte Jono ihn. Bezeichnend hielt Seth vier Finger hoch. „Vier, Jono. Ich habe vier Syrier getötet und laufe nur halb so befleckt herum.“ „Was daher kommt, dass du sie in keinem ehrlichen Kampf getötet hast. Du bist nicht einmal wirklich in ihre Nähe gekommen! Töten durch Magie zählt nicht.“ Gerade als Seth darauf abermals eine entsprechende Antwort geben wollte, spürte er auf seiner Schulter eine Hand, welche ihn vom Weitersprechen abhielt. „WAS?!“, erklang es aus zwei Mündern gleichzeitig, während Jono und Seth zu Ilai sahen. Dieser sah die zwei Männer mit geöffnetem Mund an, als wolle er etwas sagen, beließ es dann jedoch bei einem Kopfschütteln. Seufzend ließ er die Hände, die er auf je eine Schulter der zwei gelegt hatte, wieder sinken. Sein Gesicht sprach Bände. Seth hätte schwören können, dass er sich in eben diesem Moment Sorgen um Ägypten machte. Oder war es doch Bedauern für den Pharao, das in dessen Augen schimmerte? Der Hohepriester war sich nicht sicher, doch ihm und Jono wurde wieder bewusst, wo sie sich derzeit befanden und vertagten das Gespräch im stummen gegenseitigen Einvernehmen auf später. Seth atmete tief durch. Es tat gut, sich wieder so mit ihm zu streiten. Erstmals wurde sich der Hohepriester bewusst, dass er diese kleinen Gespräche, wollte man sie denn so nennen, die letzten Tage über vermisst hatte. Dass sie nun wieder auf diese Weise mit einander reden konnten, beruhigte ihn innerlich und ließ ihn zu seiner alten Stärke zurückfinden. „Woher hast du eigentlich den Umhang?“, erkundigte er sich, während Jono mit einem Zipfel seiner Tunika seine Chepesch vom Blut befreite. Um sie herum war inzwischen Ruhe eingekehrt. Während sich die Viehtreiber um die Überlebenden Asyuter kümmerten, untersuchten Aziz und Elias gemeinsam mit Yanis die Leichen. Sorgsam tasteten sie alles ab und befreiten die Körper von allen noch brauchbaren Gegenständen, ehe sie sie unter einer Palme in der Nähe aufreihten. Innerhalb der nächsten Stunden würden sich ein paar Männer darum kümmern, dass die Körper tief genug im Wüstensand verscharrt wurden, um vom Wind oder von herumstreunenden Tieren vorerst nicht wieder ausgegraben zu werden. Eine ehrenvolle Bestattung würde ihnen nicht zuteilwerden. „Der Stoff ist von einem der Händler. Er war für einen reichen Kaufmann in Asyut gedacht. Es ist ein notwendiges Provisorium. Wir haben nur ein wenig von dem Stoff abgeschnitten. Ich denke, es hat seinen Zweck erfüllt.“ Seth sah ihn zweifelnd an. Er konnte sich nicht vorstellen, auf welchen Zweck Jono anspielte. Ilai sah ihm seine Frage an und beantwortete sie ohne Aufforderung. „Jeder, der in der Armee des Pharaos schon einmal auf einem Schlachtfeld gekämpft hat, weiß um die Bedeutung des roten Umhanges. Allein Anoubis Ano-Oobist trägt diese Farbe. Seit er unser Heerführer ist, haben wir kaum eine Schlacht verloren. Das Rot ist für uns ein Symbol des Sieges geworden und für unsere Feinde das Zeichen ihres Unterganges. Selbst unter den Syriern hat sich das inzwischen herumgesprochen.“ „Daher also dein Beiname ‚Roter Schakal‘“, stellte Seth fest. Ilai berichtigte ihn. „Nein. Diesen Beinamen bekam er schon bevor er anfing, einen roten Umhang zu tragen.“ Noch bevor er es aussprach, erahnte Seth die Erklärung bereits. Stirnrunzelnd sah er auf Jono, welcher die Worte Ilais unkommentiert im Raum stehen ließ. „Wenn er kämpfte, so sagte man, sei seine Kleidung stets mit dem Blut seiner Feinde getränkt gewesen.“ Seufzend verstaute Jono den schnell zurechtgeschnittenen Umhang in einem grauen Stoffballen. „Meine Männer reden zu viel. Wenn die Abende lang und kalt sind, denken sie sich gern Geschichten über mich aus. Dabei wird einiges gern ausgeschmückt. Also hör nicht auf ihn, Seth.“ Kurz hielt er inne, ehe er in trockenem Tonfall ergänzte: „Meine Bediensteten versicherten allerdings, dass sie froh über den Umhang seien, da sie nun weniger Zeit nach einem Kampf bräuchten, um meine Kleidung zu säubern.“ Nachdem er alle sichtbaren Zeichen seiner zweiten Identität verstaut hatte, wandte er sich wieder den Wartenden zu. „Ilai, ich möchte Euch bitten, dieses Geheimnis für Euch zu behalten. Es gibt gute Gründe, weshalb nur eine Handvoll Männer in der Armee des Pharaos weiß, wie ich wirklich aussehe.“ „Sicher werde ich Euch nicht verraten, Jono. Doch ich bürge nicht für Aziz, Elias oder Yanis.“ Stirnrunzelnd sah Jono zu den drei besagten Gestalten hinüber. Er hatte Recht. Diese warfen aus einiger Entfernung immer wieder Blicke zu ihnen hinüber, während sie leise miteinander flüsternd, weiter Leichen nebeneinander legten. „Habt Ihr ihnen Euren Verdacht mitgeteilt?“ „Schwerlich, da ich es selbst bis vor kurzem nicht mit Sicherheit wusste. Doch nach Eurem Auftritt eben, haben sie sich vielleicht bereits selbst ein Bild gemacht.“ Jono nickte. „Das mag sein. Warten wir es ab. Ich hoffe nur, dass Yanis diesen Verdacht nicht auch hat…“ „Warum?“ „Ganz einfach Ilai, wenn Yanis nicht mehr sauer auf mich ist… wen kann ich dann noch dazu reizen, sich mit mir zu messen?“ Verschmitzt lachend wandte Jono sich in Richtung der Frauen, welche inzwischen damit begonnen hatten, sich um die Verletzungen der Viehtreiber zu kümmern. Jonos Antwort ließ Seth vermuten, dass genau dies einer der Gründe war, weshalb er sich ausgerechnet als Rekrut in seiner eigenen Armee ausgab. So behielt er stets den Status eines unerfahrenen Neulings. Niemand würde es je wagen, sich mit ihm anzulegen, wenn er einen höheren Rang bekleidet hätte. Durch die Verschleierung seiner Identität gelang es ihm, ohne Verdacht zu erregen, in alle Bereiche der Armee unbeachtet vorzudringen und mit fast jedem ein offenes Wort zu wechseln und eine ehrliche Meinung zu hören. Der Hohepriester wusste aus eigener lästiger Erfahrung, dass dies ab einem gewissen Status nicht mehr möglich war. Die Menschen um einen herum hatten Angst, ehrlich zu sein und neigten dazu, einem nach dem Mund zu reden. /Diese Reise scheint trotz aller Widrigkeiten den angenehmen Nebeneffekt zu haben, dass ich lerne, Jonos Beweggründe besser zu verstehen/, stellte Seth im Stillen fest. Kapitel 31: Liebe ----------------- Hiho, entschuldigt, dass es diesmal sooooo lange gedauert hat. Aber erst hatte ich Burzeltag und dann war ich seitdem auch noch krank und bin es immer noch. Dafür kommt nun im Anschluss eines der vermutlich am längsten erwarteten Kapitel. ^.~ Viel Spaß beim Lesen! @Pancratia: Danke für deinen langen Kommi. Du hast das Für und Wider meiner Geschichte und was dich dazu bewogen hat, sie zu lesen, gut dargestellt. dementsprechend konnte ich dir ohne Weiteres folgen. Leider kenne ich persönlich weder eine Geschichte, in welcher Joey ein fotografisches Gedächtnis hatte, noch eines, in welcher er als Kommandant (statt wie sonst irgendein Dieb oder Sklave) war. Vielleicht kennst du ja die Titel noch? Dann kann ich sie mir auch mal durchlesen *neugierig ist*. Aber momentan ist es, glaube ich ganz gut, dass ich diese Geschichten nicht kenne, sonst kupfert man zu sehr ab. -_-* Automatisch und unfreiwillig. Was Seto und Seth und das 'ins Hintertreffen' geraten anbelangt, hast du Recht. Das ist mir selbst beim Schreiben dann auch aufgefallen. *lach* Aber naja... Letztlich ist Joey und seine Geschichte der 'Antrieb' in der Geschichte, weswegen ich wohl so viel Energie in seinen Charakter reingesteckt habe. Was Joeys Zurückhaltung anbelangt - du sagtest ja, dass du Nachvollziehbarkeit magst (ich übrigens auch) - gab es schon ein bis zwei kleine Hinweise auf die Gründe. Noch viel deutlicher wirds aber sicher erst in ein paar Kapiteln. ^.~ Weiterhin viel Spaß beim Lesen, auch wenn die Charaktere inzwischen sicher nicht mehr den ursprünglichen Vorlagen gleichen. @Rockryu: *lach* Nein. Jono ist nicht klüger. Naja... zumindest nicht in allem. Aber sein bisheriges 'Gewerbe' bringt es einfach mit sich, dass er in Bezug auf die Führung von Schlachten Seth definitiv ein paar Dinge voraus ist. Dafür kann Seth z.B. lesen - und Jono nicht. Aber das kommt erst später. ^.~ @puppyshipper: Es freut mich, dass es mir gelungen ist, noch jemanden mit der Geschichte zu 'infizieren' *G*. @Sy: Schön, dass es dir gefallen hat. *g* Ich bin gespannt, was du dann wohl zum nächsten Kapi sagen wirst. ^.~ @Lunata: Dein Wunsch war mir Befehl - auch wenn die Ausführung des Befehls etwas auf sich warten ließ. Ich hoffe, du siehst es mir nochmal nach. *smile* ___________________________________________________________________________________________ Zufrieden mit seinen Schlussfolgerungen, schloss er sich Jono an und bot wenig später seine Kenntnisse als Priester an, um einige der leichteren Wunden mit einem magischen Ritual bei der schnellen Heilung zu unterstützen. Mit Einbruch der Nacht kamen schließlich auch die restlichen Reisenden in der Oase an. Aziz war mit den letzten Sonnenstrahlen und zwei Viehtreibern losgegangen, um sie nachzuholen. Erschöpft, aber glücklich noch am Leben zu sein, ließen sich alle Überlebenden und Reisenden um ein großes Feuer nieder. Dankbar hatten die Asyuter einen Teil ihrer Handelsware mit ihnen geteilt. Vor allem die Nahrungsmittel, welche für willkommene Abwechslung in ihrem monotonen Speiseplan der letzten Tage sorgten, wurden freudig entgegengenommen. Auch ein paar neue Tuniken wurden mit Hilfe der Händler gegen die blutigen alten Stofffetzen ausgetauscht. Gerade als Jono sich, ein wenig erholt und ebenfalls umgezogen, zu den anderen ans Feuer gesellte, wurde erneut über den stattgefundenen Kampf gesprochen. Besonders einige der Frauen sahen noch immer sehr mitgenommen aus. Die Kinder schienen die Ereignisse indessen anders zu verarbeiten, denn sie schliefen zum Teil bereits in der Nähe des Feuers. Einige von ihnen warfen sich im Schlaf unruhig hin und her. Eines der jüngeren Kinder hatte nur im Arm der Mutter Ruhe finden können. „Wir können Euch gar nicht genug danken!“ „Ohne Euch wären wir schon heute den Göttern gegenüber getreten.“ Die Frauen und Männer aus Asyut ließen nicht ab, ihnen immer wieder für ihren Einsatz zu danken. Jono schwieg beharrlich in der Gesellschaft dieser Menschen und starrte scheinbar nichts sehend in das Feuer. Er hatte sich lediglich am Rande der Gesellschaft niedergelassen, so dass das Feuer sein Gesicht nicht erhellte. Die Viehtreiber, welche ebenfalls froh waren, mit dem Leben davongekommen zu sein, wiesen den Dank indessen ab. „Wir sind selbst froh, dass wir noch leben. Eigentlich ist alles diesen Männern hier zu verdanken. Und ohne die Idee von ihm“, bezeichnend deutete er auf Jono, “wären wohl noch mehr von uns zu Schaden gekommen“, berichtete einer der Karawanenmitglieder. „Tatsächlich? Wie heißt Ihr, junger Mann? Lasst mich Euch beim nächsten Dankesfest bei den Göttern für Euren Schutz beten. Auf dass Ihr noch vielen Menschen so wie uns helfen könnt“, fragend sah die junge Frau zu ihm hinüber, welche er heute mit seinem Pfeil gerettet hatte. Der Blonde ignorierte sie beharrlich und starrte einige endlose Minuten weiter in die Flammen. Die Stille wurde fast greifbar. Einige rückten auf ihren Plätzen bereits hin und her, als auch nach ein paar weiteren Sekunden noch immer niemand etwas sagte. Jeder hatte insgeheim schweigend auf den Namen gehofft. Als schließlich klar wurde, dass Jono nicht antworten würde, übernahm Yanis seinen Part und stellte ihn den Anwesenden als Jono vor. „Jono aus…“, wollte Elias die Stadt seiner Herkunft ergänzen, als der Blonde ihm das Wort abschnitt. „Elias!“ Verunsichert sah der Schwarzhaarige zu ihm hinüber und schwieg. „Mein Name reicht vollkommen. Verzeiht, doch ich ziehe mich zurück. Ihr werdet sicher verstehen, dass mein Körper nach diesem Tag nach Ruhe ruft.“ Mit diesen Worten wandte Jono sich um und verließ die Runde aus Händlern, Soldaten und Viehtreibern. Gedämpft durch das wieder aufflammende Gespräch der Reisenden, erklang der Name des jungen Mannes wie ein Echo aus alter Zeit. „Jono?!“ Ein Krug fiel zu Boden. Erstaunt blickten einige der Anwesenden zu Aset, einer der Frauen aus Asyut. Geschwind las sie die Scherben auf und entfernte sich vom Feuer. Die anderen beachteten sie nicht weiter und sahen es als Missgeschick. Hätte Jono in das Gesicht der alten Frau geblickt oder ihre Stimme gehört, wäre er vermutlich stehen geblieben, doch der blinde junge Mann war bereits zu weit vom Feuer entfernt, um etwas von all dem mitzubekommen. Erschöpft begab er sich zu seinem Nachtlager, das er weit entfernt von den anderen aufgeschlagen hatte. Sein Körper verlangte, wie nach jedem blutigen Kampf, nach einer Auszeit. Erst später am Abend, nachdem er und die anderen weitere zahlreiche Dankesreden entgegengenommen hatten, begab Seth sich ebenfalls zum Zelt des Blonden. Er hatte es abseits von den anderen errichtet und so hoffte der Hohepriester auf eine ungestörte Unterhaltung. Jono war noch wach. „Du hast sie gerettet.“ Ächzend ließ Seth sich nieder. Jeder Muskel im Leib tat ihm weh. „Ja.“ „Obwohl du dich anfangs so sehr dagegen gewehrt hast.“ „War es nicht das, was du wolltest?“, entgegnete Jono tonlos. Seth überlegte. „Ja. Und nein. Ich frage mich nur… Warum hast du deine Meinung geändert?“ Auf seine Ellenbogen gestützt, hatte Jono sich auf dem noch immer heißen Wüstenboden ausgestreckt und die Sterne angestarrt, als suche er bei ihnen Antworten auf viele unausgesprochene Fragen. Stumm sah er zu Seth, ehe er wieder seufzend die leuchtenden Punkte am Firmament betrachtete. „Das würdest du nicht verstehen.“ Seth schwieg, ehe er zu einer Antwort ansetzte. „Ich denke, ich habe es schon verstanden. Das, und noch einiges mehr.“ Während des Abends hatte er immer wieder über all die kleinen Begebenheiten mit Jono nachgedacht, hatte jedes Wort, jede Geste und jeden Blick von ihm abgewogen. Die Erkenntnis, zu der er schließlich gekommen war, hatte ihn gezwungen, auch seine eigenen Handlungen einer genauen Prüfung zu unterziehen. Das Ergebnis, war dasselbe. Nun war es an der Zeit, Jono damit zu konfrontieren. Er würde nicht zulassen, dass dieser sich noch länger von ihm zurückzog und vor ihm weglief. Eine Augenbraue fragend nach oben gezogen, sah dieser auf den Braunhaarigen. Seth streckte sich indessen längs neben ihm aus und stützte seinen Kopf in eine seiner Handflächen. „Du hast deine Meinung geändert, als klar war, dass ich mitgehen würde.“ Die steife Haltung von Jono deutete Seth als Zeichen, dass er mit seiner Vermutung auf dem richtigen Weg war. „Du hattest Angst.“ Seth ließ Jono nicht aus den Augen. Keine Regung, kein Gefühl, das sich in dessen Körper wiederspiegelte, durfte ihm entgehen. Was er sah, verblüffte ihn. Für einen kurzen Moment nur, strahlte Jono vor allem ein Gefühl aus: Erschrecken. Dann: Furcht. Doch die Eindrücke waren flüchtig und zu schnell hatte er sich wieder im Griff. Ihn mit einem überlegenen Blick messend, gestand er Seth zu, dass er mit seiner Beobachtung nicht ganz falsch lag. „Du hast Recht. Immerhin bist du der Einzige, der diesen magischen Gegenstand – was auch immer es ist – holen kann und der weiß, wo es liegt. Wenn du gestorben wärst, wäre all die Mühe umsonst gewesen und Atemu hätte mich vierteilen lassen.“ Mit dem aufgesetzt kecken Ton, den er sonst anwendete, um Seth zu reizen, versuchte er der Situation Herr zu werden. Seth fragte sich, ob Jono bewusst war, wie klar er seine eigene Seele in diesem Moment nach außen trug. Gleichzeitig verfluchte er sich innerlich, dass er selbst so mit Blindheit beschlagen gewesen war, dass er es nicht früher bemerkt hatte. „Jono. Hör auf damit. Du bist kein guter Lügner. Du warst es nie.“ Diese Schlacht hatte der große Heerführer bereits zu Beginn des Gespräches verloren. Er wusste es nur noch nicht. „Zumindest für mich, Jono, bist du ein offenes Buch“, ließ Seth ihn wissen, ehe er zugeben musste: „Aber das Lesen der Schrift, mit der es geschrieben wurde, habe ich erst in den letzten Tagen gelernt. Verzeih, dass ich so lange dazu gebraucht habe.“ Noch immer in der Annahme, dass Seth unmöglich seine wahren Beweggründe erraten haben konnte, verharrte er weiterhin in seinem scheinbar unbekümmerten Tonfall. „Nun? Dann klär mich auf, Seth. Was glaubst du gelesen zu haben?“ Seth beugte sich ein wenig näher. „Angst.“ „Du wiederholst dich.“ Seths zweite Hand stützte sich neben seinem Körper ab, als er ein weiteres Stück näher kam. „Angst, dass ich sterben könnte.“ „Sicher. Mission. Tempel. Magisches Artefakt. Pharao. Vierteilen. Wenn du tot wärst, hätte ich eine Menge Probleme“, stellte Jono lakonisch fest. Seth überwand die letzte Distanz und stützte beide Ellenbogen links und rechts neben Jonos Kopf ab, während er dessen Körper sanft unter sich zwang. Gefährlich langsam legten sich seine Lippen auf den Mund des Blonden. Liebevoll streichelte er mit seiner Zunge über die zwei blass roten Lippen des Anderen und forderte Einlass. Zuerst verweigerte sich der Jüngere, doch als Seth nebenher begann, langsam und zärtlich durch die Haare von Jono zu streichen, öffnete er schließlich sein Reich für ihn und ließ ihn ein. Kaum, dass seine Zunge den Weg in das Innerste des Heerführers gefunden hatte, begann er dessen Mund zu plündern. Ohne Unterlass forderte er Jonos Zunge zu einem stillen, nur vom Stöhnen unterbrochenen Zweikampf heraus. Einen Kampf, den er jedes Mal für sich entschied. Erst, als Jono zu zittern begann und sein Körper sich ihm entgegenstreckte, brach er den Kuss ab. /Zumindest diesen Kampf, Jono, habe ich schon gewonnen/, stellte Seth zufrieden fest. Es war, wie er schon gedacht hatte, Jonos Körper sehnte sich noch immer nach ihm und war wesentlich ehrlicher, als der Rest des dieses widerspenstigen frechen kleinen Wesens. Unbemerkt von Jono, hatte Seth dessen Arme über seinem Kopf mit seiner Hand fixiert. Sein Körper hatte sich derweil ganz über Jono geschoben. Ohne ihn an anderer Stelle als den Armen zu berühren, kniete er über ihm. Die turmalinbraunen Augen von Jono waren hinter einem Schleier versunken, der sich nur langsam lichtete. Ein siegessicheres und zugleich liebevolles Lächeln auf den Lippen, wartete Seth ab. Schließlich, als er sich sicher sein konnte, wieder die ganze Aufmerksamkeit von Jono zu haben, beugte er sich abermals zu ihm herunter und führte seinen Mund so nah an das Ohr des Blonden heran, dass ein Schauer durch dessen Körper jagte, als er den heißen Atem von Seth spürte. „Du liebst mich.“ Jonos Handgelenke, noch immer von der Hand Seths umfangen, zuckten. Der Hohepriester konnte unter seinem Handballen das Blut Jonos in dessen Adern spüren, wie es sich immer schneller in ihm bewegte. „Mach dich nicht lächerlich. Wir haben miteinander geschlafen. Mehr nicht.“ Seth ließ sich von der wegwerfenden Antwort des Heerführers nicht beeindrucken. Er war sich seiner Sache inzwischen sicher. Jeder einzelne sich regende Muskel von Jonos Körper schrie ihm die Wahrheit in diesem Moment förmlich entgegen. Wenn der Kleinere sich in diesem Moment doch nur mit seinen Augen sehen könnte! Doch Seth wollte es langsam angehen. Er ahnte, weshalb Jono beinahe schon panisch versuchte, alle Gefühle dieser Art von sich zu weisen. Sanft führte er ihm all die stichhaltigen Beweise vor Augen, die er in den letzten Tagen gesammelt hatte. „Du hast mich nicht getötet, Jono.“ Dieser verdrehte die Augen. „Ich habe auch den Syrier nicht getötet. Trotzdem liegen wir uns nicht in den Armen.“ „Nein, aber mit ihm hast du auch nicht geschlafen.“ „Um miteinander zu schlafen, braucht man sich nicht zu lieben.“ „Aber eine körperliche Anziehungskraft spielt dabei in jedem Fall eine wichtige Rolle.“ „Dass ich deinen Körper anziehend finde, bestreite ich auch nicht, nur dass…“ „Sehr gut, dann sind wir ja schon mal einen Schritt weiter. Ich finde deinen Körper übrigens auch anziehend. Und wunderschön. Besonders, wenn du tanzt oder dich mir hingibst.“ Neckend rieb Seth seine Hüften an Jonos, welcher daraufhin, noch immer vom Kuss erregt, laut vernehmlich aufstöhnen musste. „Wie du vielleicht gemerkt hast, liebe ich es, wenn du oben liegst“, grinsend erinnerte Seth seinen ‚Gefangenen‘ an die zahlreichen Kampfübungen. Spöttisch sah Jono zu ihm auf. „Was ist das? Etwa deine Entschuldigung dafür, dass du so oft gegen mich verloren hast?“ „Du hast Recht. Vielleicht habe ich mich bisher vollkommen falsch verhalten. Wie du ja vorhin Ilai gegenüber erwähntest: Du legst mich nicht gerne aufs Kreuz. Darf ich daraus schließen, dass du dich lieber von mir aufs Kreuz legen lässt?“ „Nur in deinen Träumen.“ Schmunzelnd umklammerte Seth die Hände des unter ihm Liegenden noch ein wenig fester und rieb mit der anderen auffordernd über die intimste Stelle unter Jonos Tunika. Als hätte er einen unsichtbaren Knopf gedrückt, wölbte sich der Körper Jonos seiner Hand entgegen. Im Zustand solch körperlicher Erregung, verließen den Blonden alle Kräfte und er war trotz aller Versuche nicht in der Lage, sich aus Seths Griff zu befreien. Frustriert hörte er auf, sich zu wehren und ließ sich weiter von der streichelnden Hand des Hohepriesters verwöhnen, bis dieser abermals ohne Vorwarnung sein Tun einstellte. Immer wieder bäumte Jono sich auf, wollte die Hand oder seine Hüfte erneut auf sich spüren, doch Seth hielt seinen eigenen Körper geschickt außerhalb seiner Reichweite. „Du hast Recht, Jono. Ich träume davon. Nahezu jede Nacht. Ein Umstand, den wir uns beide hätten ersparen können, wenn du von Anfang an ehrlich zu mir gewesen wärst.“ „Ehrlich?“ „Wenn du mir schon früher gestanden hättest, dass du mich liebst, dann…“ „Ich habe auch jetzt noch nichts gestanden, Seth.“ „Nein. Da hast du Recht. Und ich frage mich allmählich… warum? Denn dass es so ist, ist offensichtlich. Dein ganzer Körper schreit förmlich nach mir. Wenn du nur deine Augen sehen könntest!“ Jono drehte sein Gesicht zur Seite. Doch Seth ließ ihn nicht gewähren und zwang ihn, ihn wieder anzusehen. „Ich habe gesagt, ich sehe Angst, Jono. Aber nicht nur Angst, dass ich sterben könnte – eine unbegründete Angst übrigens. Kein anderer, außer vielleicht der Pharao und dir, kann sich mit meinen Kräften messen. Aber davon abgesehen, steht in deinen Augen auch noch eine andere Angst. Angst vor Zurückweisung?“ Seth wartete ab. Der schmerzliche Ausdruck in Jonos Augen hatte seine Vermutung längst bestätigt, doch da war noch mehr und Seth wollte alles wissen. Ein für allemal. Nur so gelang es ihm vielleicht, endlich den wahren – den fröhlichen, leidenschaftlichen, frechen und unbesorgten – Jono wieder zu bekommen. Schließlich, beruhigt durch das sanfte Streicheln der Hände, fasste Jono sich ein Herz. „Ich will dich nicht verletzen.“ „Das kannst du nicht, Jono.“ Der Blonde begehrte auf. „Du hast es selbst gesehen, wenn ich kämpfe, wenn ich Blut sehe, bin ich nicht mehr ich selbst.“ „Du könntest mir niemals wehtun. Das waren deine Worte. Und ich glaube dir.“ Voller Zweifel sah Jono zu ihm auf. Seth suchte nach Worten, um ihm diese Angst vor sich selbst zu nehmen. „Hast du je jemanden aus deiner eigenen Armee getötet?“ Ein schwarzer Schatten zog über das Gesicht des jungen Kriegers. „Seitdem ist stets ein Priester auf dem Schlachtfeld in meiner Nähe.“ „Oder der Pharao?“, erkundigte sich Seth, als er an die Szene dachte, die er vor ein paar Wochen in den Gemächern Jonos beobachtet hatte, als Atemu seine Schmerzen persönlich linderte. Jono nickte. Kurz dachte Seth an seine wenigen Begegnungen mit Anoubis Ano-Oobist zurück. „Und trotzdem. Du hattest zweimal die Gelegenheit mich zu töten. Du hast es nicht getan.“ „Was macht dich so sicher, dass ich es nicht noch tun werde?“ „Weil du… und ich weiß bei Rah nicht, warum … weil du dich gern mit mir streitest, mich gern beim Ringen schlägst, es liebst, meine Sachen zu klauen – leugne es nicht, ich weiß, dass du es warst, der ständig meine Utensilien für die Zeremonie zur Ehrung der Götter verschwinden lässt – weil du dich gern über mich lustig machst und es genießt, wenn du mich mit deinem frechen Mundwerk zur Weißglut treiben kannst… „…“ Sanft streichelte Seth über das Gesicht von Jono. „Weil du gern in meiner Nähe bist und es nicht ertragen könntest, ein weiteres Mal längere Zeit von mir getrennt zu sein. Davor fürchtest du dich so sehr, dass du den Pharao sogar gebeten hast, mich auf dieser Reise zu begleiten.“ Verblüfft zog Jono die Luft ein. „Woher weißt du …“ Ertappt biss Jono sich auf die Lippen. „Aha.“ Durch seine unbedachte Äußerung in seiner Vermutung bestätigt, sah Seth ihn selbstsicher an. Jono schwieg verbissen, um sich keine weitere Blöße zu geben. „Weil du, wenn es um mich geht, der schlechteste Lügner der Welt bist“, ergänzte der Hohepriester seine Aufzählung schmunzelnd. „…“ Seufzend küsste Seth ihn ein weiteres Mal federleicht auf die Nasenspitze. „Warum ich all das so genau weiß? Weil es mir mit dir ganz genauso geht. Meine Angst, dich wieder zu verlieren, ist nicht geringer als die deine. Damals, in diesem Tempel, habe ich auf dich gewartet. Darauf, dass du eines Tages wieder in einem der Bäume sitzt - aber du kamst nicht. Nicht im ersten und nicht im zweiten Jahr. Und auch danach nicht, als ich die Hoffnung längst aufgegeben hatte. Mir ist in den letzten Tagen klar geworden, dass ich dich nicht noch einmal verlieren möchte. Dass ich dich halten und kosten und schmecken und dich mit niemandem teilen will! Bei der Vorstellung, dass du jemals wieder so vor anderen Leuten tanzt, wie vor ein paar Tagen, werde ich fast rasend vor Eifersucht!“ Seth lachte ungläubig, als würde ihm erst beim Aussprechen der Worte klar, wie wahr sie tatsächlich waren und wie tief seine Gefühle für Jono gingen. Alles, was seit ihrem Wiedersehen geschehen war, jeder Herzschlag, jedes Wort und jede Geste bekam auf einmal einen Sinn. Ernst sah er auf den Blonden. „Ich liebe dich, Jono.“ Vollkommen erstarrt starrte dieser ihn an. Unglauben und Hoffnung fochten in ihnen einen erbarmungslosen Kampf gegeneinander. Doch Seth wiederholte seine Worte und ließ dem Unglauben keine Chance. „Ich liebe deinen Körper, deinen Geist, dein Herz, deine Seele. Ich liebe DICH, Jono – vollkommen. So wie du bist. Jeden Teil von dir. Egal, ob es dein freches Mundwerk ist, deine geschickten Finger, die mich nicht nur einmal fast umgebracht hätten, dein Körper, von dem ich tagsüber kaum die Blick und in der Nacht kaum meine Hände fern halten kann… Ich mag deine guten und deine schlechten Seiten und ich befürchte, dass das jetzt, da ich das endlich erkannt habe, es auch in unserem nächsten und übernächsten Leben noch so sein wird. Du siehst also, dass du mich gar nicht verletzen KANNST. Ich würde das nie zulassen. Allein deshalb, weil ich weiß, dass du dir ewig Vorwürfe machen würdest.“ Jono gab auf. Der geballten Kraft seiner Worte hatte er nichts mehr entgegenzusetzen. Das erste Mal, seit er Seth kennengelernt hatte, wusste er nichts zu entgegnen. Seth drückte ihn weiter zu Boden und eroberte sich abermals die Mundhöhle von Jono. Immer wieder und wieder versuchte dieser Luft zu holen, doch Seth ließ ihm keine Chance. Erst, als er selbst keinen Atem mehr hatte, gab er Jono frei. Dieser sah unwirsch zu ihm auf. „Du lässt mich nicht zu Wort kommen!“, stellte er vorwurfsvoll und schwer atmend fest. Grinsend sah Seth auf ihn herunter. „Wozu? Immerhin habe ich endlich eine Möglichkeit gefunden, deinem frechen Mundwerk beizukommen. Und da du deine Gefühle mir gegenüber nicht mit Worten ausdrücken kannst oder willst, hole ich mir meine Bestätigung eben mit deinem Körper.“ Langsam fand Jono wieder zu seinem alten Selbst zurück. Ein schmales Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Du bist ganz schön selbstverliebt, Priester.“ „Wie wahr. Und der Einzige, der mich noch mehr liebt, als ich selbst, bist du.“ „Du bist arrogant.“ „Ja, aber das magst du an mir.“ „Wer sagt das?“ „Streite es nicht ab. Du liebst es, dich mit mir zu messen!“ „Das tue ich nicht. Denn das würde heißen, dass ich mich entgegen meiner Prinzipien mit einem Unterlegenen messen würde.“ „Oh, ich zweifle nicht, dass ich dir im Ringen und Axtkampf unterlegen bin, Jono. Aber keiner außer mir, kann sich mit deiner schnellen Zunge messen. Und das meine ich“, aufreizend strich Seth mit seiner Zunge über eines von Jonos Ohrläppchen und biss sanft hinein „in mehr als einem Sinne.“ „Außerdem bist du mir im Angesicht von Magie unterlegen. Zwei zu Eins für mich also. Oh, und da wäre noch deine derzeitige Position.“ Grinsend ließ er seinen Blick den Körper entlang schweifen. „Drei zu Eins also, denn beim Sex bist du mir eindeutig unterlegen. Wobei ich nichts dagegen hätte, wenn du ab und zu auch mal auf mir bist und für Ausgleich sorgst.“ „Wenn ich wollte, hätte ich dich in den letzten Minuten schon längst aufs Kreuz legen können.“ Leise lachend stimmte Seth ihm zu. „Das stimmt. Was nur ein weiterer Beweis dafür ist, wie sehr du es genießt, einmal nicht der Stärkere zu sein.“ Plötzlich wieder ernst geworden, hielt Seth die Augen Jonos abermals gefangen. „Ich werde dich beschützen, Jono. Und mich selbst werde ich auch beschützen.“ Seth ließ Jono Zeit, dieses Versprechen auf sich wirken zu lassen. Mehrere scheinbar endlose Minuten vergingen. Entfernt war das durchdringende laute Lachen einiger Karawanenmitglieder zu hören. Sonst herrschte Totenstille im Lager. Viele hatten sich bereits zur Nachtruhe niedergelegt. Es wurde kühler, doch Seth hatte nicht vor, Jono loszulassen, bis dieser sich endgültig seinen Gefühlen ergab. „Wenn du meinetwegen stirbst, werde ich dir das nie verzeihen… und mir auch nicht.“ Der Hohepriester war sich dessen bewusst. „Das wird nicht passieren.“ Jono atmete tief durch. „Ich liebe dich auch, du arroganter, nichtsnutziger, hinterlistiger Verschnitt eines  Hohepriesters.“ Erleichtert ließ Seth ihn los und sank auf ihn, umarmte ihn, so fest er konnte. „Rah sei Dank! Ich dachte schon, ich müsste dich dazu zwingen, es auszusprechen.“ „Hast du das nicht gerade getan?“ Seth konnte das Schmunzeln des anderen an seiner Schulter spüren. „Nein. Wenn ich dich zu etwas zwingen wollte, würdest du es merken.“ Herausfordernd blickte Jono von unten zu ihm auf. „So?“ Seth nahm die Herausforderung an. „Wollte ich dich zwingen, hätte ich zuerst dafür gesorgt, dass du zu keinem klaren Gedanken mehr fähig bist.“ Langsam ließ Seth seine Lippen abermals auf Jonos sinken und knabberte leicht an ihnen. Geschickt nahm er sie gefangen. „Zuerst würde ich dich küssen, bis du von allein meine Lippen suchst.“ Jedem seiner Worte ließ Seth augenblicklich Taten folgen und streifte mit Zunge und Lippen im Wechsel die Mundwinkel und Lippen von Jono. Doch jedes Mal, wenn dieser den Mund öffnete und seufzend nach mehr verlangte, zog Seth sich zurück. Stöhnend ließ Jono den Kopf wieder sinken, nur um Seth wenig später seinen Hals darzubieten, als er sich unter der Berührung des Anderen aufbäumte. „Dann, wenn du es am wenigsten erwartest, würde ich dich hier unten streicheln.“ Federleicht hatte Seth seinen intimsten Bereich berührt und fuhr nun fort, ihn an den Innenseiten seiner Schenkel entlang zu gleiten. Wie sehr liebte Jono es, diese tanzenden Finger auf sich zu spüren. Doch er wollte mehr! Er wollte sie dort spüren, wohin sein Körper immer neue Hitzewellen entsandte. Von der Reaktion Jonos erfreut, ließ Seth seine Lippen abermals den Körper des Anderen entlangwandern und verweilte schließlich am Hals des Blonden - traktierte ihn dort mit kleinen leichten Bissen. „Doch ich würde dich quälen und zittern lassen, bis du dich nach nichts anderem mehr sehnst, als nach meinen Händen, meinen Lippen und meinem Glied, das in dich eindringen soll.“ Geschickt ließ er seine Hand zugleich unter die Tunika von Jono gleiten und streichelte die zarte Haut darunter, jedoch noch immer ohne ihn an seinem steifen Schaft zu berühren. Jono wand sich indes immer weiter, denn noch immer hatte Seth nicht damit aufgehört, seine Arme festzuhalten, so dass er selbst der Passivität ausgeliefert war und nur stöhnend nach mehr  betteln konnte. Schließlich, federleicht, ließ er seinen Mittelfinger von der Wurzel bis zur Spitze von Jonos Erregung wandern, steigerte die Lust dadurch noch weiter, statt sie zu lindern. Jono begann stöhnend um mehr zu flehen. Liebevoll ließ Seth seine Hand wieder zum Oberkörper des Blonden wandern und schob auch dort den Stoff der Tunika zur Seite, so dass Jono nun beinahe nackt vor ihm lag. Für einen kurzen Moment, zog er sich vollkommen von dem Blonden zurück und genoss lediglich den Anblick dieser wunderschönen Gestalt unter ihm. Genüsslich ließ er seinen Blick vom Kopf bis zu den Beinen und wieder zurückwandern. Weiter erregt durch den leichten Wind, der durch die Oase zog und den Blicken, denen er durch Seth ausgesetzt war, bäumte Jono sich ohne dessen Zutun dem Hohepriester entgegen. Dieser hatte indes nicht vergessen, was er Jono damit hatte beweisen wollen. Langsam beugte er sich zu Jono hinab und führte seinen Mund abermals zum rechten Ohr von Jono, während seine andere Hand ihre Streicheleinheiten im unteren Bereich Jonos weiterführte. Immer wieder strich er wie zufällig an der Wurzel entlang, ohne seinen erregten Schaft ganz zu berühren. „Sag es, Jono. Sag, dass du mich liebst“, murmelte er, ebenfalls durch den Anblick des Anderen bereits aufs höchste erregt, in dessen Ohr. Durch die vielen Knabbereien an seiner Haut, reagierte Jono äußerst empfindlich auf den heißen Atem des Priesters. Dennoch schüttelte er den Kopf und sah ihn mit fiebrig entschlossenen Augen an. „Vergiss es, Seth.“ Dieser hätte es wohl nie zugegeben, doch er liebte Jono umso mehr dafür, dass er seinen Kampfgeist, seinen starken Willen und sein freches Mundwerk auch in diesem Moment nicht aufgab. Er liebte es, sich mit dem Jüngeren zu messen. Nur der konnte erfassen, welche Freude ein ebenbürtiger Gegner bereiten konnte, der schon einmal einem solchen begegnet war. Ihm war bewusst, dass wohl niemand anderes außer Jono und er selbst es je verstehen würden, warum sie sich so gern Wortgefechte lieferten. „Oh nein. Ich werde dich nie vergessen, Jono. Und ich werde dafür sorgen, dass auch du mich nie vergisst!“ Sein Blick verdunkelte sich, als er die Arme Jonos losließ, nur um gleich darauf ein Stück nach unten zu sinken und dessen Hüften mit beiden Händen festzuhalten. Gefährlich langsam ließ er seine Lippen den Oberschenkel entlang zu Jonos Glied wandern und nahm die Spitze desselben zärtlich in den Mund. Jeder Lusttropfen, der daraufhin entstand, wurde mit kreisenden Bewegungen der Zunge wieder entfernt. In quälend langsamen Rhythmus ließ er seinen Mund von oben nach unten gleiten und befeuchtete das gesamte Glied mit ausreichend Flüssigkeit. Die zuckenden Hüften von Jono hielt er indes weiter fest auf den Boden gedrückt. Jonos Stöhnen jagte ihm heiße Schauer über den Rücken. Es war das reinste Vergnügen, zu sehen, wie Jono unter seinen Händen schmolz und ganz auf ihn angewiesen war. Er genoss es, die Oberhand über diesen kleinen Wildfang zu haben. Inzwischen war er zu einem schnelleren Rhythmus übergegangen und streichelte mit den Daumen seiner Hände beim Festhalten abermals über die Innenseiten der Schenkel. Immer schneller ließ er seine Zunge über die Spitze von Jonos Glied gleiten, entließ es bisweilen vollkommen aus seiner heißen Mundhöhle, nur um es kurz darauf wieder komplett zu vereinnahmen. Immer wieder wollten Jonos Hüften selbst in die Wärme vorstoßen, doch Seth hielt ihn weiter zurück. Als er schließlich merkte, dass Jono kurz vor dem Höhepunkt stand, ließ er von dessen Glied ab und sah ihn abermals einfach nur an. Lächelnd ließ er seinen Blick über den schwer atmenden Jono streifen, welcher, von der eigenen Lust vollkommen geschwächt, unbefriedigt unter ihm lag. „Liebst du mich?“, wiederholte er die Frage. „Schlaf mit mir.“ Seth ignorierte das Flehen in der Stimme des Anderen geflissentlich. „Liebst du mich?“ Frustriert, da er seine Lust nicht abbauen und sich nirgends dran reiben konnte, da Seth ihn mit seinen eigenen Beinen noch immer am Boden hielt, warf Jono seinen Kopf herum. Am liebsten hätte er in diesem Augenblick wohl seine Arme genutzt, doch über diese hatte er momentan jegliche Kontrolle verloren. Seth war sich sicher, dass Jono es ihm später noch heimzahlen würde, dass er kurz vor seinem Höhepunkt gestoppt hatte. Er freute sich darauf. Als noch immer keine Antwort von Jono kam, nahm er seine Arbeit wieder auf. Liebevoll liebkoste er die empfindliche Haut knapp über seinem Glied, ehe er eine seiner Hände zur selben Zeit zum hinteren Eingang von Jono wandern ließ. Dieser hatte die Wanderung der einen Hand genutzt, um seine Beine selbst möglichst weit zu spreizen und aufzustellen, um Seth einen besseren Zugang zu ermöglichen. Während Seths Finger nun immer wieder, mit Hilfe einiger Lusttropfen, den Eingang von Jono massierten und ihn damit immer empfindlicher machten, fing er abermals an, dessen Glied mit dem Mund zu liebkosen. Als Jono schließlich immer lauter zu stöhnen begann, führte Seth ihm zwei seiner Finger in den Mund, damit er daran saugen und lecken konnte, um überschüssige Energie abzubauen. Schließlich wechselte er seine Hände und drang mit den nun feuchten Fingern in Jono ein. Dieser bäumte sich auf, da Seth noch immer weiter mit seinem Glied beschäftigt war. Diese zwei intensiven Empfindungen auf einmal wären fast zu viel für ihn gewesen, doch auch diesmal brach Seth kurz vorher ab. Ein frustriertes Stöhnen ertönte. Geschmeidig positionierte Seth seinen Körper auf Jono und sein eigenes Glied vor Jonos Eingang. Immer wieder bewegte er die Spitze direkt an die Öffnung, drang jedoch nicht ein. Inzwischen hatte er Jono dort, wo er ihn haben wollte. Er konnte sehen, dass sich ein dichter Schleier aus Leidenschaft über dessen Augen gelegt hatte. Sein Körper zitterte unablässig vor Erregung. Schweiß stand ihm auf der Stirn. „Liebst. Du. Mich?“, erkundigte er sich neckend ein weiteres Mal. Mit fiebrig glänzenden Augen sah Jono zu ihm auf. „Solange ich denken kann“, antwortete Jono ihm schließlich. Mit dieser Antwort hatte Seth nicht gerechnet. Doch gleichwohl sie sein Innerstes in Aufruhr versetzte, verweigerte er Jono abermals den erlösenden Stoß. Denn genau genommen hatte der Blonde sich ein weiteres Mal um eine eindeutige Antwort gedrückt. Mit aller Willenskraft zwang er sich dazu, ruhig auf Jono zu verharren und ihn durch das Gefühl, dem Ziel so nah zu sein und doch nichts ändern zu können, zur gewünschten Antwort zu zwingen. „Sag es.“ „Seth!“ „Sag. Es.“ Seufzend und aufstöhnend öffnete Jono die Augen, sammelte seine letzte Kraft und zog Seths Kopf zu sich heran. Stirn an Stirn sah er ihn mit festem Blick an. „Ich. Liebe. Dich.“ Ein kleiner Kuss auf den Mund war die Belohnung. „Und jetzt nimm mich, oder ich werde dich morgen bei deiner Übungsstunde so oft aufs Kreuz werfen, dass du weder liegen, noch stehen, noch sitzen kannst. Das schwöre ich dir.“ „Nicht mehr liegen zu können, wäre bei diesen neuen Möglichkeiten, meine Nacht zu verbringen, tatsächlich eine pure Verschwendung“, gab Seth zu. Mit einem gezielten Stoß drang er in seinen Geliebten ein. Beide stöhnten heftig auf. Die heiße Enge, die Seth umfing, trieb ihn selbst binnen Sekunden schier in den Wahnsinn. Gerade, als er sich bewegen wollte, wendete sich jedoch das Blatt. Er wusste hinterher nicht mehr zu sagen, wie es dazu gekommen war, doch mit einmal waren die Positionen vertauscht und Jono saß, noch immer mit ihm verbunden, auf ihm. Aufstöhnend nahm er Seth noch weiter in sich auf. „Was tust du?!“, fragte Seth keuchend. Jono grinste frech auf ihn hinab. „Für Ausgleich sorgen.“ Auflachend strich Seth ihm eine Strähne aus den Augen, ehe Jono mit einem langsamen Rhythmus begann, Seth immer wieder in sich aufzunehmen und in anschließend frei zu geben. Jede seiner Bewegungen vollführte er so langsam, dass er das Hinein- und Hinausgleiten des Gliedes noch intensiver spüren konnte. Schließlich brachte er durch dieses langsame Reiten auch Seth beinahe um den Verstand. Dieser wusste sich jedoch zu helfen und führte seine Hand zum Glied von Jono. Geschickt begann er es zu streicheln und zu reiben und zwang Jono so, sich dem schnelleren Rhythmus anzupassen. Aufstöhnend ließ der Blonde seinen Kopf nach hinten fallen, während Seth ihn weiter verwöhnte und sich selbst damit gleich mit, da sich mit jedem Streichen auch das Innere von Jono immer weiter zusammenzog. Schließlich hielt Seth es nicht länger aus, und beschleunigte die Reibung abermals, indem er mit der anderen Hand begann, Jonos Brustwarzen zu streicheln und leicht zu kneifen. Diese zusätzliche winzige Schmerzempfindung, ließ Jono schließlich kurz aufschreiend über die Klippe stürzen. Während sich noch immer eine Welle der Erregung nach der nächsten über ihn ergoss, reizte er auch das Glied von Seth in sich immer weiter. Ihm sein Verhalten heimzahlend, begann nun auch Jono am Hals und Ohrläppchen des unter ihm Liegenden zu knabbern und ihn leidenschaftlich zu küssen, während er seinen Hintern nun auch ohne Unterstützung Seths immer weiter und schneller hob und senkte, nur um immer wieder kurz vorm Höhepunkt von Seth innezuhalten. „Jono! Bitte!“, kam nun auch Seth nicht mehr umhin zu betteln. Jono erfüllte ihm seinen Wunsch schließlich, indem er den Takt noch ein weiteres Mal erhöhte und ihn an den Seiten seines Oberkörpers immer wieder mit seinen Fingernägeln traktierte, während er ihn  gleichzeitig hitzig küsste. Seths Hände fuhren fahrig über den Hintern und den Rücken von Jono, streichelten ihn unbewusst im selben Takt. Einen gedämpften Schrei der Erlösung in den Mund des anderen ausstoßend, ergoss sich Seth schließlich im Körper Jonos. Erschöpft ließ Jono sich, noch immer mit Seth verbunden und dieses Gefühl, ihn in sich zu haben, genießend, auf ihn sinken. Sinnierend streichelte Seth zärtlich den Rücken seines Geliebten. „Ich befürchte beinahe…“ „Was?“ „…dass ich mich nie werde satt sehen können, an deinem Körper. Ich fürchte, dass ich, immer wenn ich dich in Zukunft nackt sehe, am liebsten sofort nehmen will.“ Seth spürte das Grollen in der Brust von Jono, als dieser leise und glücklich zu lachen begann. Eine Welle der Zuneigung umspülte sein Herz. Im Stillen fragte er sich, wie sehr man sich eigentlich in einen Menschen verlieben konnte. Gab es ein ‚zu sehr‘? Er wusste es nicht. Kapitel 32: Erkenntnisse eines toten Priesters... ------------------------------------------------- Hiho, im Folgenden das wohl kürzeste Kapitel meiner FF - aber gleichzeitig auch eines der wohl wichtigsten. Viel Spaß beim Lesen. ^.~ @PenzenMiura: *Verbeug* Danke für deinen Kommi. Es ist eine große Ehre, von jemandem ein Lob für das letzte Kapi zu bekommen, wenn derjenige eigentlich nicht auf Gefühlsduselei steht. *freu* Allerdings hoffe ich, dass ich deine Toleranz mit dem kommenden Kapitel dann nicht überstrapaziere. ^_^* @puppyshipper: Da stimme ich dir zu. Wer will nicht jemanden haben, der einen mit Haut und Haaren und allen Fehlern liebt - so wie man ist. ^_^ Wobei der anschließende Sex natürlich auch nicht zu verachten ist. ^//^ Seth und Sadist? *GGG* Wie kommst du bloß darauf? *lach* *pfeif* Für mich vollkommen unverständlich dieser Zusammenhang den du dir da zusammenreimst... ^.~ @rockryu: *g* Du kannst ja gleich lesen, ob er sich en detail erinnert. Aber ich glaube, ich habe auch schonmal angedeutet, dass er sich zu seinem eigenen Bedauern immer dann ganz genau an seine Träume erinnert, wenn sie mit sehr starken ... ähm ... körperlichen Empfindungen verbunden sind. ^_^ Aber lies selbst. @Lunata: Seto ist in jedem Fall jemand, der eine laaaaange Zeit braucht, sein Gefühlsleben zu ordnen. Aber man sollte ihm nicht absprechen, dass er in der Lage ist, sich seine Gefühle irgendwann einzugestehen, wenn er sie erkannt hat. immerhin hat er das als Seth ja schonmal geschafft. ^.~ Die Frage ist eher, wie geht er danach damit um - auch Joey gegenüber. *lach* @hammamoto: Danke für deinen Kommi. Und anbei gleich das nächste Kapi, um deiner Vorfreude gerecht zu werden. ^.~ ________________________________________________________________________ ~~~~~~~~~~ Die Augen noch immer geschlossen, lag Seto still in seinem Bett. Tief atmete er die frische Luft seines Zimmers ein. Wie immer hatte er eines der Fenster in der Nacht offen gelassen. Es war angenehm kühl. Seine Bettdecke hob und senkte sich im Takt seiner Atemzüge. Der Stoff seiner Bettdecke streichelte seine Haut. Ein paar seiner Haarsträhnen kitzelten ihn an der Stirn. Vermutlich krochen bereits einige frühe Sonnenstrahlen durch das Fenster, um ihn mit ihrer Wärme zu wecken. Eigentlich war alles wie immer. Und doch… hatte sich alles verändert. … … … Er hatte sich verliebt. … … … Nicht heute. Nicht gestern. Nicht in diesem und nicht im letzten Jahr. Schon seit er ihm das erste Mal begegnet war. Ein weiteres Mal atmete er tief ein und aus. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er hatte sich verliebt. Sein Atem stockte. Konzentriert und schweigend beschwor Seto ein weiteres Mal an diesem Morgen die Erinnerungen seines Alter-Egos vor sein inneres Auge und versuchte alles andere um sich herum auszublenden. Wiederholt prüfte er jedes Klopfen, Schlagen, Zittern und Rasen seines Herzens und verglich all das sorgsam mit den Reaktionen von Seth. Er wollte ganz sicher sein. Als Seth Jono das erste Mal tanzen gesehen hatte, hatte sein Körper geglüht und sein Herz hatte ihm im wilden Takt gegen die Brust gehämmert. Seto dachte zurück an eine Szene vor einigen Wochen. Damals, als Joey sich vor ihm ausgezogen hatte, um seine Kleidung zu wechseln, war es ihm genauso gegangen. Noch heute spürte er, wie seine Hände zuckten, weil sie diesen sehnigen Körper zu gern berührt hätten. Der Hohepriester liebte die neckenden Streitereien mit dem Heeresführer und hatte sie schmerzlich vermisst, als Jono sich vor ihm zurückgezogen hatte. Erging es ihm selbst zurzeit nicht ebenso? Auch er nutzte jeden Vorwand, jede Gelegenheit, um mit Joey zu sprechen – selbst wenn das bedeutete, dass er ihn auf einem Sportplatz vor allen Mitschülern anschrie, obwohl er nichts für seine eigene Verletzung konnte. Nach dem Tanz, hatte Seth das erste Mal mit Jono geschlafen. Seto wusste, dass Seth es genossen hatte, Jono unter sich zu sehen, ihn zu beobachten, wie er sich wand und darum bettelte, von ihm genommen zu werden. In seinem Kopf hatte er seitdem bereits hunderte Male mit Joey geschlafen, hatte das Gesicht des Heeresführers mit dem des frechen Hündchens ausgefüllt. Sein Körper verlangte jeden Tag mehr danach, diese Arme, diese Beine, sein Haar, seinen ganzen Körper in Besitz zu nehmen – so sehr, dass er sich beim Anbringen des Pflasters nicht mehr hatte zurückhalten können und Joey sanft gestreichelt hatte. Ohne den schrillen Ton der Pfeife, die ihn wachgerüttelt hatte… was hätte er noch alles getan? Ein heißer Schauer rann ihm über den Rücken. Was hatte Atemu zu ihm gesagt? Er wolle nicht, dass ein anderer Joey anfasst und der Blonde jedem seine nackte Haut zeigt? Hier, in diesem geschlossenen Raum, ohne unerwünschte Zuschauer oder Zuhörer, stimmte er Atemu zu. Sich vorzustellen, ein anderer könnte Joey berühren, anfassen, ihn streicheln, ließ ihn beinahe den Verstand verlieren. Jedes einzelne kleine Haar auf diesem Körper gehörte ihm! Seth war es ebenso ergangen. Auch er hatte den Wunsch niedergekämpft, die Zuschauer des Tanzwettstreites mit Hilfe seiner Magie auszulöschen. Mit klopfendem Herzen ließ Seto seine Gedanken weiterwandern. Über all die Jahrtausende hinweg spürte er dem Wunsch nach, welcher alles andere in Seth noch überragt hatte. Der Wunsch, die Seele des Menschen, den er liebte, unter allen Umständen zu beschützen. Er konnte förmlich spüren, wie dieser übermächtige Wunsch seines Alter-Egos, sich in ihm ausbreitete, wie er ihn durchdrang von den Zehen bis zur letzten Haarspitze und laut in seinem Körper wiederhallte. Sowohl Jono als auch Joey waren Menschen, die nach außen den Eindruck vermittelten, genügend Kraft und Intelligenz zu besitzen, sich selbst gegen die Wiederstände der Welt zu behaupten. Dennoch hatte Seth von Anfang an gespürt, dass Jonos Seele tief verletzt und zerbrechlich war. Erging es Joey ebenso? Vielleicht. Welchen anderen Grund gäbe es sonst, sich mit einer Maske nach der anderen selbst vor seinen besten Freunden zu verbergen? „Verdammter Mist!“ Fluchend richtete Seto sich in seinem Bett auf und vergrub seine Hände tief in seinen Haaren. Sein Herz zog sich zusammen. Bereits seit er auf dem Friedhof entdeckt hatte, dass Joeys Eltern inzwischen tot waren, fühlte er sich hin und hergerissen zwischen dem unwiderstehlichen Drang, Joey entweder verprügeln oder in den Arm nehmen zu müssen. Erst jetzt war er in der Lage, diese widersprüchlichen Gefühle richtig einzuordnen. „Und darauf muss mich erst ein Priester bringen, der schon über 5000 Jahre tot ist!“, stellte Seto frustriert fest. Immer noch staunend über seine eigene Erkenntnis, schüttelte er den Kopf und griff nach Stift und Notizbuch. Geschickt öffnete er mit einer Hand das Buch, während er mit der anderen bereits die Miene des Kugelschreibers ausfahren ließ. Er musste es sehen. Schwarz auf weiß. Noch einmal atmete er tief durch. Dann setzte er den Stift an und schrieb, in großer Schrift: „Ich liebe dich.“ Und noch einmal „Ich liebe dich.“ Und noch ein weiteres Mal „Ich liebe dich.“ Wie in Trance füllte er jede Zeile der Seite mit diesen Worten aus. „Ich liebe dich.“ Allein die letzte Zeile beendete er mit „Ich liebe dich, Joseph Jay Wheeler.“ Kurz überlegte er, dann strich er die letzten drei Worte durch und ersetzte sie durch „Joey.“ Mit dem Schreiben des letzten Wortes, war er sich schließlich ganz sicher. Fasziniert strich er mit den Fingern seiner Hand noch einmal vorsichtig die ganze rechte Seite entlang. Nun blieb die Frage, wie er in Zukunft mit diesem neuen Gefühl… /Nein./, korrigierte er sich selbst. /Nicht neu…/ Stirnrunzelnd dachte er an die vergangenen Jahre. /Ich konnte es nur nie…benennen./ Die Frage war, was er nun tun sollte? Kapitel 33: Ryuu ---------------- @closer: Naja... Seto brauchte ja eigentlich nur noch einen kleinen Schubs in die richtige Richtung. Ich denke gewusst hat er es eigentlich schon. ^_^ Irgendwie. Oder... zumindest geahnt. *g* @hammamoto: Sorry. Hab ja geschrieben, dass es nur ein kurzes Kapitel wird. Aber dafür ist das nächste - wenn auch nicht viel - wieder ein bisschen länger. Hoffe, dass das entschädigt. ^.~ @Rockryu: ^_^ @LeyGreywolf: *lach* Danke für dieses... interessante Kommi. *g* Wen meintest du damit? Seto? Oder dich selbst? ^_^ Viel Spaß beim Lesen! _________________________________________________________________________________ **********eine Woche später********** „Guten Abend Ryuu“ stand auf dem Bildschirm von Joeys Heimrechner geschrieben. Ein kleiner schwarzer Cursor blinkte wartend daneben. Er hatte den abendlichen Gruß bereits vor etwas mehr als einer halben Stunde geschrieben. Während er auf die Antwort wartete, ging er noch einmal die letzten Quellcodes durch, die er in der Nacht zuvor mit Ryuu per Chat ausgearbeitet hatte. Sie hatten es sich, ohne es direkt abgesprochen zu haben, seit ihrem ersten Chat regelmäßig am Abend unterhalten. Es war nie ganz klar, wann Ryuu fertig mit der Arbeit war und sich mit ihm in Verbindung setzen konnte, daher war meist er es, der warten musste. Ein kaum hörbarer Piepton erklang aus den Lautsprechern. Joey wandte sich zum Bildschirm und legte die gedruckten Quellcodes zur Seite. „Hallo Joey“, war auf dem Bildschirm zu lesen. Von da an schrieben sie sich meist im Wechsel und ließen den Tag Revue passieren. „Entschuldige, heute hat es länger gedauert.“ „Kein Problem.“ „Die neuen Codes habe ich dir rübergeschickt. Die meisten Abteilungen sind dank der Idee mit dem zweiten Sicherheitssystem inzwischen geschützt. Bitte sieh dir die dritte Seite einmal genauer an und schreib mir deine Meinung, ob das klappen könnte.“ „In Ordnung.“ Zwischenzeitlich unterbrach Joey den Kontakt, um die an ihn gemailten Seiten prüfen zu können. Es war tatsächlich ein Glück, dass Ryuu, als ein Mitglied des Teams, das mit der Entwicklung eines Schutzmechanismus beauftragt war, bereit war, mit ihm zusammenzuarbeiten und ihm vertraute, obwohl sie sich noch nicht persönlich begegnet waren. Schnell überflog er die restlichen Zeilen. „In Zeile drei und vier der fünften Seite könnte es Probleme geben, wir können dem entgegenwirken, indem wir…“ Eine Zeit lang arbeiteten beide intensiv daran, das Programm passend umzuschreiben. Als alles, was sie heute erledigen konnten, geschafft war, streckte sich Joey und versuchte seine Glieder zu entspannen. Inzwischen war es kurz nach Mitternacht. In wenigen Stunden würde die Schule wieder beginnen. „Gibt es etwas Neues bei der Tome Corporation?“, erkundigte sich Ryuu. Ryuu war bisher der Einzige, neben Nici, den er in seinen Plan eingeweiht hatte. Joey hatte entschieden, Ryuu zumindest so weit zu vertrauen, das, sollte ihm etwas passieren, noch jemand wusste, was bisher geschehen war. „Tome hat mir Geld geboten, um interne Firmendaten von der Kaiba Corporation zu besorgen.“ „Wie viel hat er dir geboten?“ „500.000 Yen.“ (ca. 5.000 €) „… eine Menge Geld. Hast du es angenommen?“ „Sicher. Serenity kann das Geld für ihre Ausbildung gut gebrauchen.“ „Du aber auch, oder?“ „Denkst du ernsthaft, dass ich etwas mit dem Geld von Tome zu tun haben will?“ „:-D Nein. Aber ich denke, du hast Miete zu zahlen.“ Joey überlegte erst, ob er dem Anderen von seinem neuen Job erzählen sollte, entschied sich dann aber dafür. Immerhin hatte er Ryuu auch schon ganz andere Dinge geschrieben – beispielsweise von seinem „Zusammentreffen“ mit Kirian. „Darüber mache ich mir keine Sorgen mehr. Ich habe einen neuen Job.“ „Kein Kassenjob mehr?“ „Nein. Ich kellnere drei Tage die Woche. Abends.“ „Wo?“ „Auf Veranstaltungen. Cateringservice etc.“ „Abends? Du musst müde sein.“ „Man gewöhnt sich dran. Als ich noch in der Kaiba Corporation gearbeitet habe, war ich beinahe jeden Tag bis spät in die Nacht beschäftigt.“ **********zur selben Zeit bei Kaiba********** Seto starrte auf den Bildschirm. Joey hatte es nicht zum ersten Mal geschafft, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Er wusste inzwischen bereits von seinem Sicherheitsbeauftragten, dass Joey bis spät abends in der Firma gearbeitet hatte, doch es nun von ihm selbst bestätigt zu sehen, wurmte ihn. Es fiel ihm schwer, seiner Rolle entsprechend darauf zu reagieren. Noch in den Ferien hatte er seinen Gefallen beim Chef der Grafikabteilung eingefordert und ihn dazu aufgefordert, ihm den weiteren Kontakt mit Joey zu überlassen. Vielleicht war es kindisch von ihm, Joey nun seinerseits nicht zu verraten, wer sich hinter dem Pseudonym „Ryuu“ verbarg. Insgeheim rechnete er nicht damit, dass auch dieses Heimnetzwerk von Tome infiltriert worden war, doch er genoss es derzeit, dass Joey „Ryuu“ so viel Vertrauen schenkte. Andererseits, so gestand er sich selbstironisch ein, war er fast ein wenig eifersüchtig auf „Ryuu“. Joey erzählte dieser erfundenen Person mehr über sein Leben und wie er sich fühlte, als er es Kaiba gegenüber je getan hatte. Vielleicht auch, gerade WEIL Joey „Ryuu“ nicht kannte und noch nie gesehen hatte. /Manchmal ist es wohl besser, sich mit einem Unbekannten auszutauschen/, stellte Kaiba gedanklich fest. Hinzu kamen die vielen ungeklärten Fragen, auf denen er auch in Akten keine Antwort finden konnte. Er konnte nicht davon ausgehen, dass Joey all seine Gedanken einer ihm unbekannten Person anvertraute, doch vielleicht gewährte er wenigstens einen kleinen Einblick in seine Beweggründe. „Warum hast du eigentlich nie Geld genommen?“ Joey antwortete mit einer Gegenfrage. „Würdest du dich von jemandem bezahlen lassen, dem du helfen willst?“ Kaiba ließ die Frage unbeantwortet. Sicher hätte ihn seine ehrliche Antwort abgeschreckt. In der Vergangenheit hatte er für seine Hilfe stets eine Gegenleistung gefordert. Stattdessen lenkte er den Gesprächsinhalt wieder auf das eigentliche Thema. „Was für interne Daten sind das, die du besorgen sollst?“ „Die Software, mit der Kaiba derzeit seine interaktive Spieloberfläche entwickelt.“ Kaiba dachte daran, dass sich die Software lediglich auf seinem eigenen Rechner befand. Niemand konnte mit der Software arbeiten, der nicht auch Zugriff auf seinen zentralen Rechner hatte. Die Datei selbst konnte nur von diesem Computer komplett heruntergeladen werden. Interessiert, wie Joey ohne seine Hilfe an die Daten kommen wollte, teilte er dies dem Blonden mit. „Das ist schwer. Kaiba hat die Datei nur auf seinem eigenen Rechner im Büro.“ Der Braunhaarige war gespannt, wie Joey das Problem wohl lösen würde. Da er sich mit Ryuu ein Pseudonym erschaffen hatte, das ebenfalls keinen uneingeschränkten Zugriff auf alle Daten hatte, konnte Joey nicht auf seine Hilfe zählen. „Ich lasse mir etwas einfallen“, konnte er wenig später lesen. Darauf wusste Kaiba nur eine Antwort: „Ich bin gespannt.“ Und das war er tatsächlich. Er hätte es dem Jüngeren einfacher machen können, doch sein Kampfgeist und seine Neugierde waren geweckt. Zu gern würde er verfolgen, wie Joey versuchte, an seine Firmendaten heranzukommen. Grinsend lehnte er sich zurück. In den letzten Tagen war Vieles entspannter geworden. Joey und er hatten gemeinsam eine Möglichkeit gefunden, dem Virus entgegenzuwirken. Sie hatten ihn isoliert und mit Hilfe eines kleinen Tricks die Quelldatei ausgelesen. Eigentlich war dieses Versteckspiel daher nicht mehr notwendig. Doch Joey und er hatten gemeinsam im Chat beschlossen, dass der Jüngere seine einmal aufgebauten Kontakte zur Tome Corporation nutzen würde, um ihnen dankend ihre Grüße zu überbringen. Was wäre als Dank geeigneter, als ein ähnlicher Virus wie der, den Herr Tome ihm vermacht hatte? Doch dazu musste Joey an einen Rechner kommen, der mit dem Zentralrechner verbunden war. Auch Tome hatte inzwischen alle seine Computer miteinander vernetzen lassen – was seiner Ansicht nach reine Dummheit war, in Anbetracht dessen, dass er selbst den Schwachpunkt bei solchen Netzwerken erst kürzlich zu seinem Vorteil genutzt hatte. Zu viel Selbstsicherheit konnte bisweilen tödlich sein. Er und Joey würden den Virus in den nächsten Tagen noch erweitern, damit er nicht erst auf mehreren Rechnern installiert werden musste, um seine Wirkung zu entfalten. Eine kleine Modifikation würde zudem sicherstellen, dass der Virus nahezu unsichtbar wirken konnte – bis zu einem Stichtag. Wer weiß… vielleicht wäre Weihnachten ein guter Tag? Doch zuerst musste Joey das Vertrauen des Anderen gewinnen und dies ging nur, indem er seine Loyalität mit Hilfe der geklauten Software von Kaiba unter Beweis stellte. War der Virus erst eingeschleust, würde Tome sich wünschen, ihm nie begegnet zu sein. Kaiba hatte beschlossen, in den nächsten Wochen bei der Wirtschaftsaufsicht vorzusprechen. Mit Kirian als Zeugen, den Videoaufnahmen und den Quellcodes im Gepäck, sollte es ihm ein Leichtes sein, Tome wegen Industriespionage anzuzeigen. Selbst, wenn Kirian sich weigerte auszusagen, konnte er immer noch auf Joey zählen. Schließlich hatte auch er Geld von Tome erhalten. Sollte der Firmenchef danach versuchen, Joey wegen des Einschleusens eines Virus zu verklagen, müsste er sich ins eigene Fleisch schneiden. Sollte dem so sein, würde er auch gestehen müssen, dass er Joey dafür bezahlt hatte, in seine Firma einzudringen. Gähnend streckte er seine Glieder in alle Richtungen. Die letzten Nächte war er stets traumlos durch die Nacht geglitten – vielleicht, weil er einfach zu müde gewesen war. Jetzt, da der ganze Stress langsam abflaute, verlangte sein Körper langsam sein Recht. Aber vielleicht lag es auch daran, dass er inzwischen erkannt hatte, dass er Joey liebte. Womöglich war dies der einzige Grund für all diese Bilder aus der Vergangenheit gewesen – um ihm vor Augen zu führen, wie er für den Blonden empfand. /Doch das hat es auch nicht leichter gemacht, nicht wahr?/, stellte er stillschweigend fest, während er aus dem Fenster sah. /Eher schlimmer…/ Was zuvor nur ein gelegentliches Stechen in der Brust gewesen war, hatte sich in letzter Zeit zu einem allgegenwärtigen Schmerz in Brust und Magen gesteigert. Er versuchte noch herauszufinden, wann der Schmerz am größten war. Dann, wenn er Joey weder sah noch hörte? Wenn er mit ihm sprach, ohne, dass er wusste, mit wem er so vertrauliche Mitteilungen austauschte? Oder in der Schule. Wenn er ihn sah und hörte, aber doch nicht berühren konnte? /Wählen Sie Antwort A, B oder C?! Entscheiden Sie sich jetzt!/, blitzte es, triefend vor Sarkasmus, in seinen Gedanken auf. In diesem Augenblick wollte er nichts anderes, als dass das Hündchen hier vor ihm säße. Auf dem Schreibtisch. Nackt. Stöhnend. Seinen Namen rufend. Eine verdächtige Regung in seiner Hose bemerkend, lenkte er seine Gedanken umgehend in eine andere Richtung. Inzwischen hatte er Übung darin. Noch immer wusste er nicht, wie er mit dem Kleineren umgehen sollte. In der Schule ignorierte Joey ihn komplett und reagierte nicht einmal mehr auf seine verbalen Angriffe. Abgesehen davon wartete seit seinem Eingeständnis jeder Tag mit einer neuen Herausforderung auf ihn. Erst gestern hatte er beobachtet, wie Joey fröhlich mit ein paar Klassenkameraden gesprochen hatte. Sie hatten ihn zum Lächeln gebracht. Gedanklich hatte er sie alle drei vom Dach der Kaiba Corporation gestoßen. Mit Bleigewichten an den Füßen. Und einem Strick um den Hals.… Und einer Kugel im Kopf.… Nur, um ganz sicher zu gehen. Aufstöhnend massierte er seine müden Augen. /Tz./ Was war nur aus ihm geworden? Noch immer blinkte der Cursor unschuldig auf seinem Bildschirm. Joey wartete auf seine Nachricht. Gedankenversunken tippte er die nächsten Zeilen in den Rechner ein. „You’re mine, Joseph Jay Wheeler. You’re mine alone. If you dare to smile to any other men than me, I’ll lock you up. Lock you up and keep holding you in my arms until you die. And when that day comes, I'll follow you immediately.” Lange starrte er auf die Zeilen, die wie von selbst aus ihm herausgeflossen waren. Wie groß war die Chance, dass Joey Englisch konnte? /Zu groß./ Wie groß war die Chance, dass er diese Worte las und nicht die Beine in die Hand nahm, um vor ihm zu flüchten? /Zu gering./ Buchstabe für Buchstabe löschte er die Zeile wieder und setzte erneut an. „Ich muss langsam schlafen, Joey.“ „Klar.“ „Du solltest das auch tun.“ „Hast recht. Bin hundemüde.“ Für Seto Kaiba wäre das ein willkommener Auftakt gewesen, Joey aufzuziehen – doch es war nicht Seto Kaiba, mit dem Joey da schrieb. Nicht wahr? Also beließ er es bei einem: „Musst du morgen kellnern?“ „Ja.“ „Wo?“ „Bei einer Benefizgala, irgendwo in der City.“ „Sieh dich vor!“ „Vor wem?“ „Vor dem Gesindel, das sich da aufhält.“ „Ich kann mich wehren. Du weißt, wie es Kirian ergangen ist.“ „Ja. Aber dort bist du Kellner.“ „Keine Sorge.“ Kaiba ließ es vorerst dabei bewenden. „Gute Nacht.“ „Gute Nacht. Ich melde mich dann übermorgen wieder. ;-)“ Nachdenklich schloss der Braunhaarige das Programm. Es war Zeit, ins Bett zu gehen. Kapitel 34: Galaabend --------------------- Hiho und viel Freude am nächsten Kapitel! @hammamoto: Ich habe deinen Kommentar gelesen und sofort das nächste hochgeladen. Derzeit ist der 26. März um 9.15 Uhr. ^_^ Ich hoffe, dass animexx das Kapitel schnell für dich und alle anderen lieben Kommischreiber freischaltet. ^.~ @KFutagoh89: Hi. ^_^ Dein Spitzname hier ist ganz schön schwer nachzuschreiben. *g* Deine Kommentare haben mich allerdings leicht verwirrt, da sie zeitversetzt kamen. Liege ich richtig, mit der Vermutung, dass du derzeit noch nicht beim letzten Kapitel angekommen bist sondern immer dann spontan geschrieben hast, wenn dir gerade twas gefallen hat? Oder hast du nochmal von vorne begonnen zu lesen? Genau das, was du zu Jonos Rückkehr gesagt hast, hatte ich auch bezweckt. *fg* Schön zu sehen, dass es anscheinend geklappt hat. Irgendwann, das habe ich mir fest vorgenommen, will ich mal ein Buch schreiben. Mit eigenen Charakteren. Diese FF ist eine Übung, um mich weiter zu verbessern und um zu sehen, ob das, was ich mir so bei verschiedenen Abläufen vorher überlege, auch so rüberkommt. Du kannst dir also vorstellen, dass es mich freut, durch dich und zahlreiche andere Leser auch mal detailliertere Rückmeldungen zu einzelnen Stellen zu bekommen. =^____^= @LeaGreyWolf: *lach* Siehste. Ich wusste auch erst nicht, wie ich es einordnen sollte. Aber schön zu lesen, dass es auch auf dich zutrifft - auch wenn ich das Bild irgendwie komisch und gruselig zugleich fand. Ob Seto zur Benefizgala 'muss', wirst du ja gleich sehen, dazu sage ich erstmal noch nichts. ^_~ Joey im Kellneroutfit? Ich will ja nicht wissen, was da gerade wieder in deinem Kopf für Phantasien ablaufen. *lach* @puppyshipper: Ja. Warum war dir denn klar, dass es Seto ist? *neugierig ist* Ich meine ICH wei warum. Mich interessiert, ob meine Intention auch so bei dir als Leser ankam. ^_^ Joey, der Kaiba in den Ruin treiben will? *überleg* Definitiv nein. Mit dem Datenklau will er ihm helfen - wenn auch hinter seinem Rücken und eigentlich OHNE sein Wissen. Wenn es anders rübergekommen ist, sollte ich an der Stelle wohl nochmal nachlesen und ggf. nacharbeiten. @Rockryu: ^_^ Was diese Hoffnungen anbelangt, schweige ich lieber, sonst plaudere ich noch zukünftige Details aus. @PenzenMiura: *erleichtert ist* Schön, dass seine widerstreitenden Gefühle noch halbwegs nachvollziehbar sind. Kaiba ist zwar relativ kalt, wie Joey zu Beginn immer mal wieder verlauten ließ, doch was Joey anbelangt, ist es eben genau das Gegenteil. Menschen von diesem Schlag haben nicht viele Freunde. Aber WENN sie einmal einen an sich herangelassen haben - dann gnade deren Feinden Gott. Bei Seto Kaiba gibt es nur zwei dieser Personen. Einer heißt Mokuba. Wer der andere ist, ist denke ich seit dem letzten Kapitel offensichtlich. ^_~ @Liirah: *neugierig ist* Hi. Warum hast du, wenn ich mir die Kommis ansehe, so einen kleinen Ball neben deinem Namen? Sieht aus wie ein Pokemonball - von der Farbgebung her. Es freut mich, dass du meine Geschichte magst. ^_^ Sorry, dass sie noch nicht zu Ende ist. Ich meine... eigentlich ist sie das schon. Aber nur in meinem Kopf. Allerdings steht davon noch nicht alles auf meinem Rechner. Das Schreiben dauert leider noch ein bisschen. *seufz* Dass da Komma- und Rechtschreibfehler sind, weiß ich leider nur zu gut. Rechtschreibfehler sind kleine winzige Viecher, bei denen man dazu neigt, sie auch beim 15ten Mal zu überlesen. Im Ernst. So oft sehe ich mir die Kapitel mindestens vorher an und überarbeite sie am laufenden Band und entdecke dabei immer wieder kleine Formulierungs- oder Rechtschreibfehler. Mir fehlt einfach ein guter Betaleser. Irgendwann wird man betriebsblind. Und was die Kommafehler anbelangt... da setze ich entweder immer zu viel an der falschen Stelle oder zu wenige. Die Regeln dazu habe ich wohl nur zur Hälfte verinnerlicht. das war schon früher mein Problem. Meist setze ich sie so, wie sich die Sätze (sprachpausentechnisch) in meinem Kopf anhören. -_-* Ich weiß, keine gute Idee... *seufz* Aber gut, dass man es trotzdem lesen kann und es nicht zu sehr den Lesefluss stört. Was das Fortschreiten der Geschichte anbelangt, befinden wir uns derzeit ungefähr inder Hälfte, würde ich vermuten. Auch für mich lässt sich das derzeit nur schwer einschätzen. Ich kenne zwar alle Eckpunkte meiner Geschichte aber manchmal machen die Charaktere einfach... was sie wollen. Und dann ist da plötzlich ein Kapitel mehr, das unglaublich gut passt... und doch nie so gedacht war. Oder ich lösche ein ganzes Kapitel, weil es doch nicht reingepasst hat, trotzdem ich es schon so schön fertig hatte. Das ist wirklich manchmal sehr anstrengend. ^_^ Umso schöner, wenn man ab und zu ein Lob für all die Mühe bekommt. Es würde mich freuen, wenn du wirklich bis zum Ende dabei bleibst. ^_~ ____________________________________________________________________________________________ **********am nächsten Abend********* „Du Joseph, der Herr von Tisch 3 hat noch einen Wunsch.“ „In Ordnung, ich gehe gleich hin.“ Elegant manövrierte sich Joey durch die zahlreichen Männer und Frauen, die sich in dem großen Saal bereits seit einer Stunde versammelt hatten. Viele der Herren waren in feinen Anzügen gekommen und trugen so ihren augenblicklichen Kontostand für alle sichtbar durch die Menge. Ähnlich machten es die Damen. Diese bevorzugten es jedoch, den größten Wert an Ohren, Hals oder Hand zu tragen. Nur wenige hatten auch ihre Kleider mit wiederverkäuflichen Werten wie winzigen Diamanten, Rubinen und Smaragden ausgestattet. Vermutlich wollten sie, da es sich um eine Spendengala für arme Waisen handelte, möglichst sparsam, schlicht und bescheiden kleiden. Nun, zumindest das ‚sparsame‘ war ihnen gelungen, stellte Joey stillschweigend fest, als er an einer Dame vorbei musste, die am kompletten Rückenteil ihres Kleides gespart hatte. Durch den Rest des Stoffes konnte man sogar fast hindurchsehen. Auch ihre Brüste wussten nicht so recht wohin, da der silbrige Fetzen Stoff, der sich um ihren vorderen Körperteil schlängelte, kaum ausreichte, um das Nötigste zu bedecken. Er hatte es bereits seit einer Stunde aufgegeben, die Augen zu verdrehen – irgendwann wurde einem davon schwindelig. Stattdessen hatte er sich auf ein leichtes und kaum sichtbares Kopfschütteln verlegt, doch auch das würde bald unangenehme Nebenwirkungen haben. Ihm blieb nur die Hoffnung darauf, heute Abend wenigstens noch EINEN vernünftig und angemessen gekleideten Menschen zu sehen. In diesem Moment fiel sein Blick auf eine der Gucci-Handtaschen. Joey war der Ansicht, dass ohne die Handtaschen vermutlich nur mit Sondergenehmigung eingelassen wurde, so viele gab es davon auf dieser Veranstaltung. Elegant beugte er sich, in der linken Hand noch immer das Tablett mit drei Sektgläsern darauf, hinunter, um die rote Tasche vom Boden wieder ihrer Besitzerin zuzuführen. Diese hätte sich kaum in irgendeine Richtung beugen können, geschweige denn nach unten. Ihr Kleid war so eng geschnitten, dass es zu reißen drohen würde, hätte sie derlei Verrenkungen in Angriff genommen. Dem älteren Herrn neben ihr hätte er diese Tat ebenfalls nicht zugetraut. Dieser war sehr wahrscheinlich froh, noch nicht neben der Tasche zu liegen. Wenn man von der Anzahl der Falten auf sein Alter schließen konnte, hatte er die 90 mit Sicherheit schon weit überschritten. Angelegentlich reichte er der sehr viel jüngeren Begleiterin des Mannes die Tasche und hatte als Dank ein Glas Sekt weniger durch die Gegend zu tragen. Raschen Schrittes begab er sich wieder auf seinen Weg in Richtung von Tisch 3. Joey maß die dort sitzenden Herren mit einem scharfen Blick. Der Zustand der Männer war bereits nach einer Stunde Anwesenheit als leicht angetrunken zu bezeichnen. Alle fünf zählten zu der Sorte Japanern, die keinen Alkohol vertrugen. Joey schätzte sie auf ein Alter zwischen vierzig und fünfzig. Seiner Meinung nach nahmen sie an der falschen Veranstaltung teil. Zumindest nach ihrem Trinkverhalten zu urteilen, wären sie in einer Bar besser aufgehoben. Zusammen mit ihrem gestriegeltem Anzug und ihrer bisherigen Bestellliste sowie ihrem Auftreten zählten sie für ihn zur Kategorie drei. Bereits zu Beginn seines Jobs hatte Joey begonnen, all seine Gäste in Kategorien einzuteilen. Diese fielen unter „ledige egozentrische Neureiche“. Dennoch um aufgesetzte Freundlichkeit bemüht, erkundigte er sich nach ihren Wünschen. „Was kann ich Ihnen noch bringen, meine Herren?“ Sein Tablett erleichterte sich gerade um die letzten zwei Gläser. Wie praktisch. Elegant ließ er es daher unter seinen Arm gleiten, während er aus seiner Gürteltasche einen Notizblock und einen Stift zog. „Ein Gläschen Sake für mich und meine Freunde.“ „Lieblich oder trocken?“ „Trocken.“ „In Ordnung. Bitte haben Sie einen Moment Geduld.“ Schnell notierte er sich den Wunsch, verbeugte sich und wandte sich um. Ein kurzer Umweg führte ihn über die lange Tafel, die längs des Saales aufgebaut war. Neben dem 3-Gänge-Menü gab es auch ein reichhaltiges kaltes Buffet mit kleinen handgefertigten Häppchen, Sekt, Wein und anderen alkoholischen Getränken. Zügig bestückte er sein Tablett mit fünf neuen Gläsern Wein und drei weiteren Sektgläsern, ehe er es geschickt hochhob und sich auf ein weiteres Bad in der Menge vorbereitete. Er hoffte sehr, dass letztlich mehr Geld gespendet, als es an diesem Abend gegessen und getrunken wurde. Die Getränke waren allesamt von einer ausgezeichneten Marke ausgewählt worden und selbstverständlich wurde das Menü auch nicht von einem guten Koch aus Domino City zubereitet, sondern von einem Spitzenkoch aus New York, der extra eingeflogen worden war, um an diesem Abend Regie zu führen. Mit einem aufgesetzten Lächeln schob er sich weiter durch die große Anzahl an Spendewilligen, welche sich bereits bei ihrer Ankunft einem wahren Blitzlichtgewitter hatten stellen dürfen. Kurz bevor sie gingen, würden dann noch mediengerecht die hohen Beträge als kleine Schecks weitergereicht werden. Jeder, der es wollte, konnte sich dann am nächsten Tag in der aktuellen Tagespresse ansehen, welche freundlichen Menschen alles den armen Waisenkindern Teile ihrer wertvollsten Besitztümer überlassen hatten. „Seth!“ Irritiert blieb Joey stehen. Gerade hatte er ein weiteres Glas auf seinem Weg in die Küche in vertrauensvolle und dankbare Hände gegeben, als abermals der bekannte Name durch die Menge seine Ohren erreichte. Der Name „Seth“ war in Japan nicht üblich und ließ ihn daer unwillkürlich aufhorchen. Unsicher drehte er sich um und spähte in alle Richtungen, um den Urheber des Rufes auszumachen. Schließlich entdeckte er ihn. Doktor Shimata. Er war sein behandelnder Arzt gewesen, als er im Koma gelegen hatte. Der Erste, der ihm damals die schlechten Nachrichten vom Tod seiner Eltern überbracht hatte, war dieser Mann gewesen. Trotz der denbkbar schlechten Umstände, in denen er ihn kennengelernt hatte, hatte er ihn bis heute als sehr sympathischen älteren Herrn in Erinnerung behalten. Mit einem ehrlichen freudigen Lächeln kam er auf ihn zu. „Seth! Fast hätte ich dich in deiner Uniform gar nicht erkannt.“ „Guten Abend, Herr Shimata. Ich freue mich, Sie wiederzusehen.“ „Ganz meinerseits, ganz meinerseits, Seth. Komm, reich mir ein Glas, dann hast du weniger zu tragen.“ Joey konnte gar nicht so schnell reagieren, da war das letzte Glas bereits wieder von seinem Tablett verschwunden, denn auch hinter ihm hatten sich inzwischen ein Herr und eine Dame am Wein bedient. Abermals ließ er sein Tablett sinken. „Nun sag mal, Seth, wie geht es dir?“ Joeys Wangen färbten sich leicht rot, als er darauf bestand, dass Her Shimata ihn nicht mehr so nennen solle. „Aber warum denn, Seth?“ Neckend zwinkerte der wesentlich Ältere ihm zu. Sich unwohl fühlend, verlagerte Joey sein Gewicht von einem Bein auf das Andere. „Sie kennen doch jetzt meinen richtigen Namen.“ „Ja schon, aber ich finde diesen einfach passender. Immerhin hast du ihn beinahe drei Wochen durchweg vor dich hingemurmelt.“ Der Rotton auf seinen Wangen vertiefte sich ein weiteres Mal. „Da lag ich im Koma!“ „Eben, junger Mann. Eben!“ Joey wusste bereits, was jetzt kam, denn Herr Shimata hatte ihn immer wieder mit der Nase darauf gestoßen. „Die wenigsten Menschen reden im Koma. Sie jedoch…“ Abwehrend hob Joey die Hände und versuchte das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. „Sie wollen also auch etwas spenden?“ „Ja! Unbedingt. Aber weißt du, Seth…“ Innerlich stöhnte Joey auf, als er erneut diesen Namen hörte. Wahrscheinlich hatte der Doktor wirklich einen Narren daran gefressen, sonst würde er ihn nicht ständig so nennen. „…ich bin sogar einer der Initiatoren dieser Gala. Ich sammele mit meiner Frau bereits seit Jahren für Waisen, aber das ist die erste große Spendengala, die wir ins Leben rufen konnten.“ „Das ist wunderbar. Das wusste ich nicht. Aber wenn Sie einer derjenigen sind, die das Geld am Ende verteilen, bin ich sicher, dass es auch ankommt.“ „Oh, da kannst du dir sicher sein, mein Junge! Ganz sicher.“ Aus einer Sichtachse, die sich durch Zufall bildete, konnte Joey einen seiner Kollegen winken sehen. Offensichtlich wollte schon wieder jemand etwas von ihm. Entschuldigend verbeugte er sich vor dem älteren Herrn. „Verzeihen Sie, aber ich muss weiterarbeiten. Und Sie müssen sicher auch noch einige wichtige Gespräche führen. Ich bin sicher, wir sehen uns heute Abend noch.“ „Ganz sicher, junger Mann. Und falls nicht, schauen Sie einfach mal wieder in der Klinik vorbei. Ich würde mich freuen.“ Joey verabschiedete sich mit einer kurzen Verbeugung und machte sich auf den Weg in Richtung Küche. Es gab noch immer fünf Gläser mit Sake zu holen. Schon bald hatte ihn die Menge wieder verschluckt und Herr Shimata war aus seinem Blickfeld verschwunden. „Herr Shimata?“ Angesprochener hatte bis eben noch seinem ehemaligen Patienten nachgesehen, wandte sich dann jedoch dem Herrn hinter ihm zu. Dieser war an diesem Abend in einem eleganten weißen Anzug erschienen und hatte bis vor wenigen Sekunden vermutlich ebenfalls dem davoneilendem Kellner nachgesehen, denn erst, als Herr Shimata ihn direkt ansah, widmete er ihm seine volle Aufmerksamkeit. „Was kann ich für Sie tun, Herr…?“ „Kaiba. Seto Kaiba.“ Seto zwang sich dazu, den Blick von Joeys Rücken zu wenden. Inzwischen war er ohnehin nicht mehr zu sehen. Er war vor nunmehr einer Viertelstunde in diesem Hotel eingetroffen, in dessen großem Festsaal die Spendengala stattfand. Noch am Morgen hatte er den genauen Veranstaltungsort von seiner Sekretärin ermitteln lassen. Da dies die derzeit einzige Gala dieser Art war, war ihm schnell klar, wo er Joey heute Abend finden würde. Zunächst hatte man erstaunt reagiert, auch ihn auf der Veranstaltung zu begrüßen, da er nicht eingeladen war. Zwei Millionen Yen mehr im Spendentopf verdeutlichte den Veranstaltern jedoch recht schnell, dass ein paar weitere Gäste nie schaden konnten. Um ein größeres Aufsehen seitens der Medien zu vermeiden, war er allerdings erst eine Stunde nach der offiziellen Eröffnung erschienen. Er hatte gehofft, an diesem Ort die perfekte Gelegenheit gefunden zu haben, um mit Joey zu sprechen – oder um zumindest ein Auge auf ihn zu werfen. Tome war ebenfalls nicht für seine persönliche Anwesenheit auf Spendengalas bekannt, so dass er nicht befürchten musste, dass er hier auftauchte. Ein zufälliges Zusammentreffen zwischen ihm und Joey wäre auf dieser Gala ohnehin weitaus unauffälliger. „Oh, guten Tag Herr Kaiba! Ich freue mich, Sie persönlich kennen zu lernen. Ich habe bereits viel von meinen Kolleginnen über Sie gehört.“ Kaiba kam nicht umhin nachzufragen. „Von Ihren Kolleginnen?“ Breit lachend bestätigte Herr Shimata seine Worte. „Tja, wissen Sie, Herr Kaiba. Sie sollen laut meiner Frau einer der reichsten und bestaussehenden ledigen jungen Männer dieser Stadt sein. Offensichtlich übt dies eine gewisse Anziehungskraft auf die Damenwelt aus.“ Unverblümt zwinkerte der ältere Herr ihm zu. „Das lässt unsereins schon mal neidisch werden, Herr Kaiba. Also, ich sage Ihnen, wenn ich meine Yuki nicht schon sicher bei mir hätte…“ Der reiche gutaussehende Firmenchef mit der ‚gewissen Anziehungskraft‘ ließ diese Aussage unkommentiert und lenkte das Thema lieber wieder auf den eigentlichen Grund, weshalb er den Arzt angesprochen hatte. Die Damenwelt der Stadt hatte ihn selten weniger interessiert als in den letzten Tagen. „Ich wollte mich bei Ihnen erkundigen, warum Sie den jungen Kellner gerade mit ‚Seth‘ ansprachen.“ Ein herzliches Lächeln umspielte die Lippen von Herrn Shimata, als er erneut in die Richtung sah, in welcher Joey verschwunden war. „Wenn Sie das schon so fragen, gehe ich davon aus, dass Sie wissen, dass das nicht sein richtiger Name ist?“ „Sein Name ist Joseph Jay Wheeler.“ Herr Shimata drehte nachdenklich sein Weinglas in der Hand, ehe er Kaiba eine Antwort gab. Es war ihm anzusehen, dass er seine Schweigepflicht gegen die Aussicht, eine seiner spannenden Geschichten erzählen zu können, intensiv gegeneinander abwog. Seto hoffte nur, dass er lieber redete, als zu schweigen. Dem Wein sei Dank schien genau das zum Glück am heutigen Abend der Fall zu sein. „Tja, nun, wissen Sie… Herr Wheeler war einmal ein Patient von mir.“ Der Firmenchef wartete ab. Ältere Herren liebten es, so hatte er zu seinem Leidwesen schon des Öfteren festgestellt, wenn sie Gelegenheit bekamen und man ihnen zuhörte, ihre Geschichte auszuschmücken. Für gewöhnlich mied er diese Art von Menschen, doch da ihn diese spezielle Geschichte interessierte, blieb ihm vermutlich nichts anderes übrig, als sich alles anzuhören. „Die Eltern des jungen Mannes starben vor nunmehr annähernd einem Jahr bei einem Autounfall. Das war im letzten Sommer. Bedauerlich. Beide starben noch auf der Autobahn. Der junge Mann saß damals hinten auf dem Rücksitz, wie mir die Sanitäter berichteten. So großes Glück haben die wenigsten, in einer solchen Situation. Wissen Sie, die meisten Leute sterben auf dem Rücksitz, weil die Airbags nicht ausreichen, wenn sie nach vorne geschleudert werden. Kein schöner Anblick. Nun, Herr Wheeler hatte, wie bereits gesagt, großes Glück. Er war noch halb bei Bewusstsein, als man ihn aus dem Auto geschnitten hat.“ Ein Schatten huschte über das Gesicht des Mannes. „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er schon dort das Bewusstsein verloren hätte. Seine eigenen Eltern so zu sehen…“ Da er die Akte der Eltern bereits gelesen hatte, konnte er sich annähernd vorstellen, welch grausames blutiges Bild sich den Ersthelfern eröffnet haben musste. Dass Joey dies ebenfalls gesehen hatte, war nirgendwo vermerkt worden. Für Protokollanten waren es vermutlich Details, die nicht weiter ins Gewicht fielen. „Jedenfalls kam er dann zu mir in die Notaufnahme. Gott sei Dank nur ein paar gebrochene Rippen, einige Blessuren, … nichts Ernstes also. Trotzdem verlor er noch während der Untersuchung das Bewusstsein und erlitt einen Herzstillstand. Wissen Sie, das kann vorkommen. Bei Unfällen bleibt manchmal das Herz stehen, wenn das parasympathische Nervensystem übermäßig gereizt wird. Wir nennen das dann einen reflektorischen Herzstillstand. Gott sei Dank war er da ja schon bei mir im Krankenhaus. Wir konnten ihn wiederbeleben, aber danach fiel er ins Koma. Zunächst dachten wir, das sei vorübergehend und das Gehirn von Herrn Wheeler müsse erst noch alles verarbeiten, aber dann wurden aus den Stunden ganze Tage. Tja und erst nach drei Wochen ist er dann wieder zu sich gekommen.“ Anscheinend wollte der Mann es bereits dabei bewenden lassen und ihm seine eigentlich gewünschte Antwort vorenthalten, daher hakte Kaiba ein weiteres Mal nach. „Und warum nannten Sie ihn ‚Seth‘?“ „Oh, verzeihen Sie. Ich gerate immer so leicht ins Erzählen, wenn es um meine Arbeit geht. Nun ja… Die Ermittlung der Namen der Fahrzeughalter und des jungen Mannes nahm eine gewisse Zeit in Anspruch. Erst drei Tage später erfuhren wir, wie er hieß. Bis dahin war er für uns eigentlich ein ‚John Doe‘, wie die Amerikaner sagen würden. Allerdings hat er irgendwann im Koma angefangen zu reden, wissen Sie?“ „Zu reden? Ist das nicht eher ungewöhnlich?“ Der Arzt war ganz begeistert, einen Menschen gefunden zu haben, der das Besondere an dieser Situation sofort erkannte. Erfreut ließ er ein breites Lächeln aufblitzen. „Ja! Nicht wahr?! Es ist sogar höchst selten! Nun, aber Herr Wheeler gehörte zu diesen seltenen Menschen. Und wissen Sie, was er gesagt hat?“ Fragend sah Seto ihn an. „Seth!“ Als wäre es die logischste Erklärung von allen, wiederholte der Arzt abermals den Namen, den sein Alter-Ego in der Vergangenheit getragen hatte. „Er hat nach einem Seth gerufen! Die ganze Zeit über, hat er immer wieder vor sich hingemurmelt, das Meiste konnte man nur schwer verstehen, aber der Name ‚Seth‘ war deutlich. Verblüffend, nicht wahr? Tja und weil er das eben so oft sagte, haben wir ihn die ersten drei Tage so genannt. Aber ich gebe zu, ich fand das so faszinierend, dass ich das beibehalten habe.“ Seto wurde schwindelig. Seine Welt hatte sich ein weiteres Mal gedreht und ein neues und zugleich altes Puzzleteil rückte langsam an seinen ihm vorbestimmten Platz. „Aber wenn das so etwas Besonderes war…“ Der Firmenchef stoppte. Er sollte nicht jedem auf die Nase binden, dass er die Krankenakten eingesehen hatte. Schnell formulierte er seine Frage um. „Sie haben doch sicher sofort etwas in seiner Akte vermerkt, nicht wahr? Bei so etwas Besonderem. Für Sie als Mediziner…“ „Nein, nein.“ Bedauernd schüttelte der Ältere seinen Kopf. „Herr Wheeler wollte bedauerlicherweise nicht, dass etwas davon in seiner Akte erwähnt wird. Er hatte wohl Angst vor zu vielen Untersuchungen und ich gebe zu, ich konnte da nur schwer wiederstehen. Ich habe ihn auch hinterher nochmal darauf angesprochen, ob er sich noch an irgendwas erinnern würde, aber er verneinte.“ Ratlos zuckte der Herr mit der Schulter. „Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass er sich an seine Träume während des Komas erinnert. Einigen Patienten geht es so, wissen Sie? Es gibt Menschen, die können sich auch nach einem Koma noch an alles haarklein erinnern, was sie in dieser Zeit geträumt haben – fast als hätten sie es tatsächlich erlebt.“ „Was macht Sie so sicher, dass das bei ihm der Fall war?“ „Nun ja, er hat in den Tagen nachdem er aufgewacht ist, ziemlich viel gemalt. Wenn Sie ihn kennen, wissen Sie vielleicht auch, wie talentiert er in dieser Hinsicht ist. Ich war richtig erstaunt, was er alles zeichnen konnte! Wunderbare Arbeiten. Einmal konnte ich einen Blick hineinwerfen, doch mehr als den Namen in der unteren Ecke konnte ich nicht entziffern. Aber ich bin mir sicher, dass er ‚Seth‘ als Bildunterschrift gewählt hat.“ Endlich ein Hinweis, mit dem er etwas anfangen konnte. „Sie sehen also, so ganz kam er von diesem Spitznamen bei mir nicht los.“ Schmunzelnd nahm der ältere Herr einen weiteren Schluck Wein aus seinem Glas. Eine ebenfalls ältere Dame mit blondem Haar gesellte sich kurz darauf zu ihnen. „Langweilst du die armen Gäste wieder mit den Geschichten von deiner Arbeit, Schatz?“ Schmunzelnd trat sie näher. „Oh, Yuki! Wie schön, dass du da bist. Darf ich dich mit Herrn Kaiba bekannt machen?“ Interessiert warf die Dame einen Blick auf den jungen Mann vor ihr und errötete beinahe mädchenhaft. Offensichtlich übte Kaiba selbst in ihrem Alter noch eine gewisse Anziehungskraft auf sie aus. „Herr Kaiba, es freut mich, Sie kennenzulernen.“ Der Braunhaarige beugte sich elegant über ihre Hand und gab ihr einen kleinen Kuss auf ihre Hände, ehe er sich wieder aufrichtete und sein Scheckbuch und einen Stift aus einer seiner Taschen zog. Verblüfft beobachteten die Eheleute, wie Herr Kaiba einen großen Betrag in Höhe von 10 Millionen Yen in dem Scheck eintrug, seine Unterschrift daruntersetzte, und ihn an Herrn Sashimata weiterreichte. „D-Danke, Herr Kaiba. Aber…“ Der Braunhaarige unterbrach ihn. „Ich habe zu danken, Herr Shimata. Sie haben mir mehr geholfen, als Sie vermutlich je wissen werden. Ich erwarte nur zwei Dinge, als Gegenleistung. Bitte lassen Sie meinen Namen heute Abend unerwähnt. Ich schätze es nicht, wenn zu viele wissen, dass ich durchaus größere Beträge spende. Das lockt nur einen Haufen Bettler und anderes Gesindel an. Zum anderen bitte ich Sie, sich auch weiterhin für Waisenkinder einzusetzen, wie auch mein Bruder und ich einst welche waren und ihnen eine schöne Kindheit zu ermöglichen.“ Freudig und nach wie vor dankbar nahm Herr Shimata den Schein an sich. „Diesen Wunsch erfülle ich Ihnen mit dem größten Vergnügen, Herr Kaiba.“ „Ich möchte mich dann verabschieden.“ „Sie wollen schon gehen?“ „Ja. Eigentlich kam ich aus einem anderen Grund, doch dieser ist nun hinfällig geworden. Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg für Ihre heutige Gala.“ Kapitel 35: Sake ---------------- @Liirah: Danke für die Aufklärung. Dieses niedliche kleine etwas neben deinem Namen hat mich echt beschäftigt. Quasi wie eine Fliege an der Wand, die sich die ganze Zeit versteckt hält und wenn man gerade vergessen hat, dass man sich mit so einem nervigen Teil das Zimmer teilt, fängt sie wieder an loszubrummen und man kann an nichts anderes mehr denken, als daran, sich das Viech zu schnappen. ^_^* Ok. Umständliche Erklärung, aber ich glaube es wird einigermaßen klar, was ich gemeint habe. *LACH* *Tränen wegwich* Ein Kaiba, der Joey 'jauchzend in die Arme rennt' *sich das ganze bildlich vorstell* *LACH* *g* Ne ne. Ich habs zwar nicht direkt angekreuzt, weil ich auch phantastische Elemente wie Magie nicht ganz außer Acht lasse... aber im Großen und Ganzen befinden wir uns doch in der Realität. Und ooc habe ich auch nicht markiert. *ggg* Das heißt, dass du auf eine solche Szene in meiner Geschichte wohl leider verzichten musst. (p.s. nimm nicht alles ernst, was ich schreibe. ich neige zu ironie, sarkasmus und einer prise schwarzem Humor. ^_^) Das mit dem Betalesen hört sich für mich interessant an, da ich meine Schwachpunkte sehr gut kenne. Du sagtest aber, dass du nicht viel Zeit hast... *grübel* Mal angenommen, ich hätte dir dieses Teil hier vorher zugeschickt... Wie lange würde es deiner Ansicht nach dauern, es mal auf Kommafehler zu scannen? Was den Arzt betrifft, muss ich dir leider den Zahn mit der 'absoluten Schweigepflicht von Ärzten' etc. ziehen. -_-* Es gibt leider solche Exemplare (schon getroffen), die trotz aller Verschwiegenheit dazu neigen, aus dem Nähkästchen zu plaudern, wenn sie der Ansicht sind, dass es eine gute interessante Geschichte ist und sie den Patienten damit in keine größere Schwierigkeiten bringen. Für diesen Arzt traf beides zu, da Joey ja inzwischen wieder gesund und munter ist und es für den Arzt keine große Sache ist, zu erklären, woher er seinen Spitznamen hat. Was das Spenden anbelangt, vertrete ich die selbe Ansicht. Was Seto anbelangt, ist dieser sicher nicht daran interessiert, von Bettlern und anderem Gesindel heimgesucht zu werden aber ihm ist auch nicht an einem Image als Gutmensch gelegen - weswegen er ja absichtlich erst eine Stunde später auf der Gala auftauchte. ^_~ Was das derzeitige Kapitel anbelangt... hier passiert auch nicht sooooo viel... also freu dich auf das nächste und lass dich von diesem hier einfach gut unterhalten. *smile* @puppyshipper: *freu* Wie wahr wie wahr. Hatte diesen Namen genau deshalb ausgesucht. Allerdings wusste ich das nicht sofort und habe erstmal nachforschen müssen, welche japanischen Namen das Zeichen für 'Drache' enthalten und bin dann erst darauf gestoßen. *grummel* *schmoll* Wo ich doch deine Vermutung zu gern lesen will... *bettel* Willst du sie mir nicht doch schreiben? *lieb guck* @hammamoto: Aber gerne doch. Und wie du siehst, lässt das nächste Kapitel auch nicht lange auf sich warten. Das nächste Puzzleteil... findet sich allerdings erst im nächsten Kapitel an. ^.~ Dafür aber ein ziemlich großes. @kFutagoh89: So. Da du mir ja noch geschrieben hast, welche Geste du meintes... Kann ich deine Frage mit einem eindeutigen 'Ja' beantworten. Sie hat definitiv etwas damit zu tun, allerdings verrate ich noch nicht was. Die Auflösung folgt ungefähr in *durchblätter* ... *durchblätter* ... *les* ... *durchblätter* ... Ah ja. Kapitel 57. ^_^ Ich hoffe, deine Geduld mit mir und meiner Geschichte hält bis dahin an. *ggg* @Rockryu: Jap. Da kann ich dir nur zustimmen. (*sonore stimme aus dem hintergrund hör* 'Anm. Sollten die angedeuteten Meinungen von Seto Kaiba und Joey Wheeler mit den Meinungen der Autorin dieser Geschichte übereinstimmen, so geschieht dies rein zufällig.') ^_^* @LeaGreywolf: Tjaja... Joey/Jono hängt eben sehr an seinem Geliebten, auch wenn er sich alle Mühe gibt, das jederzeit zu verbergen. Und im Grunde gelingt ihm das ja auch ganz gut... wenn er nicht gerade im Schlaf spricht. *g* Aber schön, dass ich mit dem Namen nicht nur bei dir Verwirrung stiften konnte. ^.~ __________________________________________________________________________________________ Nach dieser recht kurzen Verabschiedung, wandte Kaiba sich wieder in Richtung Ausgang. An der Garderobe reichte man ihm bereits seinen schwarzen Mantel, den er für heute Abend gewählt hatte. Gerade, als er ihn bereits übergestreift hatte, schob sich eine blonde Gestalt in sein Blickfeld. Neugierig drehte er sich in Richtung der Person, welche er nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte. Tatsächlich. Dort stand Joey und servierte fünf scheinbar schon leicht angetrunkenen Herren mittleren Alters kleine Gläser mit Sake. „Bitte sehr, meine Herren.“ Geschickt tauschte Joey die leeren Gläser gegen gefüllte aus und stellte eine weitere Flasche des besten Sake mit auf den Tisch. Dies war der Wunsch eines der Herren gewesen, wie ihn sein Kollege vorhin informiert hatte. Die Tische waren rund, so dass die Männer in gemütlicher Runde beisammen sitzen konnten. Leider erschwerte es Joey den Zugriff auf die leeren Gläser am anderen Ende des Tisches, da er sich auch nicht links oder rechts vorbeidrängen konnte. Hier, am Rande des Saales, nahe dem Ausgang, standen viele der Tische zu nah bei einander. Für gewöhnlich waren Gäste selbst so aufmerksam und reichten einem bei kleineren Schwierigkeiten die Gläser, diese waren jedoch bereits soweit angetrunken, dass sie seine Bemühungen vermutlich eher unterhaltsam fanden. Immer noch mit einem freundlichen Lächeln aber innerlich aufseufzend, neigte er sich ein Stück weiter nach vorn und angelte nach dem letzten Glas. Es wurde Zeit, dass der Feierabend kam. Die letzten Tage bis in die Nacht am Computer zu arbeiten hatte ihm doch mehr zugesetzt, als er geglaubt hatte. In diesem Moment konnte er spüren, wie sich eine vorwitzige Hand auf seinen Hintern legte. Wäre er noch im alten Ägypten oder in irgendeiner Bar um die Ecke, hätte er sich augenblicklich aufgerichtet, die Hand gegriffen und ihm seinen Daumen gebrochen. Auf dieser Veranstaltung konnte einem ein derart impulsives Verhalten allerdings den Job kosten. Die Handlung des Herrn war eine Anzüglichkeit, die er bis zu einem gewissen Grad hinnehmen musste. Es war zudem nicht die erste an diesem noch frühen Abend. Als die Hand jedoch weiter nach unten in Richtung seiner Oberschenkel wanderte, knirschte er merklich mit den Zähnen. Das war kein Job der Welt wert! Flugs hatte er eines der gefüllten Gläser in der Hand und richtete sich auf. Doch er kam nicht mehr dazu, dem Mann seine Meinung zu sagen, denn in diesem Moment wurde dessen Hand bereits von einer anderen weg und nach oben gezogen. „Argh!“, ein Schmerzenslaut perlte von den Lippen des Herrn, der ihn berührt hatte. Seine Hand wurde gefährlich weit nach hinten geknickt und gleichzeitig presste sich ein Daumen unsichtbar für die Umstehenden schmerzhaft in die empfindliche Stelle zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand. Ein wenig mehr Druck und beide Finger würden unweigerlich brechen. Joey sah auf und ließ seine Augen den Arm bis hin zum Gesicht desjenigen wandern, der ihm gerade geholfen hatte. „Kaiba!“ Erstaunt blickte er auf die Gestalt des Firmenchefs, welcher noch immer die Hand des sehr viel dickeren Mannes vor ihm hielt. Seine Augen waren dunkel vor Zorn. Mit zusammengezogenen Augenbrauen wandte er sich an zwei Herren im schwarzen Anzug hinter ihm. „Bitte sorgen Sie dafür, dass der Chauffeur des Herrn ihn zeitnah nach Hause bringt.“ Kaiba ließ keinen Zweifel daran, dass er ‚jetzt‘ für zeitnah genug hielt. Die Herren nickten. Sie gehörten zum Sicherheitspersonal der Veranstaltung. „Wenn Sie uns bitte folgen wollen.“ Begleitet von entsprechenden Gesten, ließen die Männer deutlich durchscheinen, dass sie den Angetrunkenen in den nächsten Minuten hinauszuführen gedachten. Mit schmerzverzogenem Gesicht hielt dieser sich die Hand, die der Firmenchef inzwischen losgelassen hatte und starrte immer wieder von Kaiba zu dem Kellner und weiter zum Sicherheitspersonal. Noch nie in seinem Leben war er von einer solchen Galaveranstaltung ausgeschlossen worden! „Was…?“, stotternd versuchte er wieder Herr der Lage zu werden, was ihm an diesem Abend aber nicht mehr gelingen sollte. Gleichwohl Joey noch immer verblüfft war, zauberte er ein breites freundliches Lächeln in sein Gesicht und richtete seine volle Aufmerksamkeit auf den Gast. „Ich bin sicher, es lag nicht in Ihrer Absicht, mich auf eine solche Weise zu berühren. Umso besser ist es gewiss, da Sie nicht mehr in der Lage sind, Ihre Handlungen zu kontrollieren, wenn Sie von einer weiteren Teilnahme an dieser Veranstaltung absehen.“ Mit vollendeter Höflichkeit deutete der Blonde auf das bereitstehende Personal, welches ihn hinausbegleiten würde. Das Lächeln täuschte aber nicht darüber hinweg, dass Joey ihm durch die Blume zu verstehen gab, dass er ihn nicht wegen sexueller Belästigung anzeigen würde, dies jedoch nur, wenn er zügig den Saal verließe. Der Mann verstand die Botschaft und ein weiterer Blick in die Augen des Sicherheitspersonals und die Seto Kaibas, bestärkte ihn in der Annahme, dass auch sein Status als angesehener und wohlhabender Richter nicht viel helfen würde. Seto Kaiba war nicht nur reicher, er hatte auch mehr Einfluss. Und offenbar, das sagte ihm das noch immer finstere Gesicht, schien der Firmenchef etwas – was auch immer – für den Kellnerjungen übrig zu haben. Er konnte es sich nicht leisten, einen Kaiba gegen sich aufzubringen – Richter hin oder her. Einen Rest an Würde wahrend erhob er sich mit einem großmütigen Kopfnicken. „Ich denke, Sie haben wohl Recht, junger Mann. Es tut mir herzlich leid. Ich weiß gar nicht, was da über mich gekommen ist. Sie müssen entschuldigen. Es ist vermutlich wirklich besser, für heute zu gehen. Auf Wiedersehen, meine Herren.“ Nachdem er sich von den anderen verabschiedet hatte, wandte er sich dem noch immer wartenden Sicherheitspersonal zu. Dies wartete geduldig darauf, um kein weiteres Aufsehen zu erregen, dass der Richter ihnen folgte. Als er sich auch noch von Kaiba verabschieden wollte, dessen Augenbrauen sich noch immer nicht geglättet hatten, wurde er von diesem hingegen ein weiteres Mal aufgehalten. „Es wäre nur angebracht, wenn Ihre Entschuldigung gegenüber dem jungen Mann auch in einer angemessenen Höhe ausfallen würde.“ Ungerührt sah er den leicht beleibten Herrn an. Der Richter schluckte vernehmlich, sah sich aber nicht in der Position, sich zu wehren. Auch von Seiten der Sicherheitsleute brauchte er keine Hilfe zu erwarten. Diese standen wortlos daneben und gaben vor, nichts gehört zu haben. „Sicher, sicher.“ Kurzerhand zückte er sein eigenes Scheckbuch und notierte eine 3 mit vier Nullen dahinter und reichte ihn an Joey weiter. Seto schienen 30.000 Yen, umgerechnet fast 300 Euro, allerdings immer noch zu wenig zu sein. Kommentarlos hängte er mit seinem eigenen Kugelschreiber eine weitere Null hinter die anderen. Sprachlos sah der kleinere Mann zu ihm auf, doch schließlich setzte er seine Unterschrift darunter beließ den Scheck bei dem blonden jungen Kellner. Dieser nahm ihn dankend entgegen, nur, um ihn an das Sicherheitspersonal weiterzureichen. „Bitte gebt das Herrn Shimata mit bestem Dank von Herrn Wheeler.“ Grinsend nahm der rechte Mann den Scheck und steckte ihn in eine seiner Taschen. „Sicher Joey.“ Anschließend führten seine zwei Kollegen den Mann zur Garderobe und sorgten dafür, dass er von seinem Chauffeur sicher im Auto verstaut wurde. Joey blieb mit dem Braunhaarigen zurück. Unsicher, wie er reagieren sollte, ging er zunächst ein paar Schritte zur Seite. Keiner der umstehenden Gäste musste ihr Gespräch, sollte es denn eines werden, mit anhören. Trotz mehrerer schweigsamer Sekunden fiel ihm am Ende doch nichts Passenderes ein als „Danke“, zu sagen. Kaiba schien letztlich auch noch nicht wieder ganz bei sich, denn das Einzige, was ihm darauf einfiel war ein „Bitte“, welches jedoch eher gereizt klang. Diese zwei kleinen Worte waren die ersten, die sie seit Wochen miteinander gewechselt hatten. Schweigend und sich in ihrer eigenen Haut unwohl fühlend, sahen die beiden in Richtung des noch immer gefüllten Saales und lauschten einen Moment der an- und abschwellenden Musik. Schließlich nahm Kaiba den Gesprächsfaden wieder auf. Jetzt, da Joey endlich wieder mit ihm sprach, wollte er die Gelegenheit nicht einfach vorbeiziehen lassen. „Du hättest selbst etwas sagen können.“ Unzufrieden mit der ganzen Situation, in der er Joey heute Abend vorgefunden hatte, sah er auf den Kleineren hinab. „Das hatte ich vor“, behauptete dieser. „Wann? Wenn du bei ihm im Hotelzimmer gelandet bist?“, schnappte Seto. Verdammt! Er merkte selbst, wie er wieder in sein altes Muster verfiel. Doch momentan konnte er nichts dagegen tun. Als er gesehen hatte, wie dieser Kerl Joeys Körper berührt hatte und dann auch noch an dieser Stelle, war eine Sicherung bei ihm herausgesprungen. Am liebsten hätte er dem Mann die Hand gebrochen und war auch nah davor gewesen. Doch dies hätte nur zu Unannehmlichkeiten für Joey geführt. Er war froh, dass das Sicherheitspersonal in der Nähe der Garderobe gestanden hatte. Ihre Anwesenheit hatte ihn vor weiteren Kurzschlussreaktionen bewahrt. Einerseits bewunderte er den Blonden dafür, dass er so ruhig geblieben war, andererseits hätte er sich gewünscht, dass er abwehrender reagiert hätte. Gott, wie sehr er es hasste, sich so hilflos zu fühlen! „Das wäre sicher nicht passiert. Ich weiß, wie ich mich verteidigen kann, Kaiba. Das solltest DU am besten wissen“, wehrte Joey ab. „Und wie bitte hättest du dich in diesem Fall verteidigen wollen? Mit Sake?“, verlangte Seto sarkastisch zu erfahren. „Sicher“, ließ der Kleinere ihn trocken wissen. „Sake brennt fürchterlich, wenn man ihn in die Augen bekommt“, stellte er unumwunden klar. Verblüfft hielt Seto inne. „Du hattest das tatsächlich vor, oder?“ Ein übermütiges Funkeln in den Augen und ein breites selbstsicheres Grinsen im Gesicht, war alles an Antwort, was Seto brauchte. „Du bist verrückt, das weißt du?“ Sein Zorn war verflogen. Um ehrlich zu sein, wusste er nicht, ob er lieber nicht eingegriffen hätte. Den Mann schreiend im Saal herumlaufen zu sehen, in dem verzweifelten Versuch, sein Augenlicht zu retten, wäre mit Sicherheit befriedigender gewesen, als ihn nur einen Scheck ausstellen zu lassen. Zudem hätte der Mann so keinen weiteren Blick auf Joeys Hintern werfen können. Verstohlen betrachtete Joey sich den leicht schmunzelnden Firmenchef neben sich. In diesem winzigen kostbaren Moment hatte er vergessen, dass Kaiba ihn eigentlich hassen sollte und dass er alles dafür tun musste, dass das vorerst auch so blieb. Kaiba hatte anscheinend einen ähnlichen Gedächtnisverlust erlitten, denn er sprach mit ihm beinahe in derselben Art, wie er es noch am Ende der Sommerferien getan hatte. Und doch war da noch ein anderer Unterton hinzugekommen. Sorge? Eifersucht? Innerlich schüttelte Joey den Kopf über seine eigenen Schlussfolgerungen. Kaiba mochte im Eifer des Gefechts vielleicht vergessen haben, dass er ihn für einen Saboteur hielt, aber ein eifersüchtiger Kaiba… Wegen ihm? Sicher nicht. Sorgsam schloss er diese Gedanken weg. Wie schon unzählige Male zuvor. Trotzdem er nicht darauf hoffen konnte, dass Seto ihn auf DIESE Weise wahrnahm, konnte er sein eigenes Herz nicht davon abhalten, in seiner Gegenwart merklich schneller zu schlagen. Die letzten Wochen war ihm der Firmenchef bis auf ihre Begegnung auf dem Sportplatz weitgehend aus dem Weg gegangen. Umso mehr genoss er es, ihn während ihrer Unterhaltung heimlich von oben bis unten zu mustern. Anlässlich der Veranstaltung hatte er sich für einen weißen Anzug entschieden, welcher ihm ausgezeichnet stand. Ein blaues Hemd, das unter der Jacke hervor blitzte und ein weißer Schlips rundeten das Bild ab. Schmerzlich dachte Joey an seinen eigenen weißen Schlips, den er, zusammengespart von seinem Gehalt, dem Größeren als Geburtstagsgeschenk hatte überreichen wollen. Er sah dem, den Kaiba zurzeit trug, verblüffend ähnlich. Schnell ließ er seinen Blick weiterwandern. Ein schwarzer Mantel, so bemerkte er, ergänzte das elegante Erscheinungsbild und warf eine neue Frage auf. „Kommst du gerade oder gehst du schon?“ Unwirsch murmelte Kaiba etwas, das man schwer verstehen konnte. Offenbar wollte er nicht darüber sprechen. „Was machst du eigentlich hier?“, ließ sich Joey daher zu einer weiteren Frage hinreißen. Ihm war nicht bewusst, dass er Kaiba auf der Gästeliste gesehen hatte. Herablassend, als würde er ihn nach wie vor für ein wenig naiv halten, sah Kaiba zu ihm hinunter. „Welchen Zweck erfüllt diese Veranstaltung deiner Meinung nach?“ „Spendensammeln für Waisenkinder.“ Joey ließ sich von seinem arroganten Tonfall nicht beirren. „Warum bin ich dann also deiner Meinung nach hier?“ Der Blonde verdrehte die Augen. „Sag bloß, der große Kaiba gibt etwas von seinem schwer verdienten Geld ab?“ „Es ist für Waisenkinder“, war Kaibas einzige Antwort. Joey wusste natürlich, wie vermutlich alle Einwohner von Domino City, dass Kaiba selbst ein Waisenkind war, was ihn von weiteren Nachfragen abhielt. Ein paar weitere, scheinbar endlose Sekunden schwiegen sie sich weiter an und starrten in die Menge. Der an ihm vorbeieilende Shin machte Joey schließlich wieder bewusst, warum er hier war. Er hatte zu arbeiten. „Kaiba, ich…“, wollte er gerade ansetzen, als dieser ihn bereits unterbrach. „Joey, ich muss dringend mit dir…“ Weiter kam auch Kaiba nicht. „Ah! Herr Kaiba! Welch seltener Anblick auf solch einer Veranstaltung!“ Herr Beniko kam auf die zwei zu. Joey nutzte die Gelegenheit, um sich kurz vor Kaiba zu verbeugen. „Wenn das dann alles war, Herr Kaiba, werde ich mich nun wieder den anderen Gästen widmen“, sprachs und war in der Menge verschwunden, ohne Kaiba die Chance auf eine Antwort zu lassen. Zähneknirschend schenkte er einem seiner zahlreichen Geschäftspartner seine Aufmerksamkeit. Insgeheim beschloss er, noch ein wenig länger als geplant auf der Veranstaltung zu bleiben. /Je später der Abend desto betrunkener die Gäste, das gilt gerade für die gut betuchten Bürger dieser Stadt. Irgendjemand sollte ein Auge auf den Hintern des Hündchens haben…/ Kurze Zeit später gesellte sich sein schwarzer Mantel wieder zu den anderen in der Garderobe. Von diesem Moment an verlief der Abend für Joey denkbar ruhig. Wann immer jemand Anstalten machte, sich ihm weiter als notwendig zu nähern, wurde derjenige entweder von Kaiba in ein Gespräch verwickelt oder einer der Sicherheitsleute nahm sich seiner an. Alle weiteren Handlungen, die in die falsche Richtung zu gehen drohten, wurden unbemerkt von Joey mit einem einzigen Blick aus kalten Augen geregelt. Der Blonde fühlte sich durch das merkwürdige Verhalten des Firmenchefs zusehends verunsichert. War es Zufall, dass Kaiba an diesem Abend ständig in seiner Nähe zu sein schien? Oder Einbildung seinerseits? Für Kaiba war es ein wahrer Genuss zu sehen, dass er endlich wie geplant den Spieß umdrehen und Joey ein paar Dinge zum Nachdenken geben konnte. Zwar war das alles nicht geplant gewesen, doch er empfand im Laufe des Abends immer mehr Vergnügen dabei, Joey durch seine ständige Anwesenheit zu verwirren. Lediglich die Gründe, weshalb das überhaupt notwendig war, gingen ihm auf die Nerven. Nicht nur einmal an diesem Abend war er nahe davor, einem der grabschenden Herren beide Hände und den Kiefer zu brechen. Doch er hielt sich zurück und wies sie lediglich mit einem scharfen Blick oder einem gezielten Kommentar in ihre Schranken. Kapitel 36: Seth ---------------- *jingl bells, jingel bells nana na nanaaaa* Frohe Weihnachten euch allen! *räusper* Ups. Da lag so viel Schnee vor meinem Fenster, da hab ich mich doch glatt ein wenig vertan. 'Frohe Ostern' natürlich. Aber mal ehrlich. Das glaubt einem bei dieser Winterlandschaft doch eh niemand. -_-* @hammamoto: Jup. Es geht 'zackig weiter', wie du schön bemerkt hast. Und um deine Frage zu beantworten: Das liegt daran, dass ich euch einige Kapitel voraus bin. ^.~ Während ihr derzeit bei Kapitel 36 seit, schreibe ich gerade an Kapitel 58. Vor der Veröffentlichung schaue ich das aktuelle Kapitel immer nochmal durch, überarbeite es nochmal und schreibe dann erstmal bei meinem eigentlichen Stand weiter. Denn mit Kapitel 58 ist die Geschichte noch nicht beendet. ^_^ Dementsprechend stimmt beides. Derzeit schreibe ich innerhalb von zwei Nächten ca. 1 Kapitel, was aber noch im 'Rohbau' ist. Das wird dann noch xmal überarbeitet, weshalb ich auch so einen großen Vorsprung brauche. Gleichzeitig komme ich aber nur an Tagen voran, an denen ich gerade viele Einfälle und Zeit zum Schreiben habe. Karfreitag und Ostermontag kommen mir da also sehr gelegen. ^_^ Frage beantwortet? @KFutagoh89: Wow. Du hast es tatsächlich binnen kürzester Zeit bis zum Ende geschafft. Wie war deine Nachtschicht? ^_^ Tjaja... was die Beiden anbelangt hilft hier wohl nur ein Sprichwort weiter: Was sich neckt, das liebt sich. *g* @sorakovar: Jup. Grad habe ich auch mehr Zeit zum Überarbeiten und Hochladen - immerhin hab i Urlaub und Ostern steht auch mit einem langen WE vor der Tür. Aber keine Sorge, diese Geschwindigkeit kann ich eh nicht lange beibehalten. Genieß es also, solange ich es kann. @Liirah: Hey! Nicht fluchen. ^_^ Sonst warte ich mit dem nächsten Kapitel wieder länger. *zunge rausstreck* Tjaja... Zu Setos Verhalten sage ich an dieser Stelle mal lieber nichts, da spricht das nächste Kapitel für sich. Seine Gefühle nehmen aber in jedem Fall immer mehr Raum ein, was ihn natürlich, anders ginge es gar nicht, tatsächlich sehr verändert. Zumindest Joey gegenüber. Zwecks Betaleser schreibe ich dir auch gleich noch eine ENS. ^.~ @puppyshipper: Deine Vermutung ist *trommelwirbel* korrekt. ^_^ Schön, dass man beim Lesen offenbar darauf kommen kann. Ob er mehr als Seto weiß, wirst du sicher im nächsten Kapitel endgültig mitbekommen, wenn du aufmerksam liest. Deine Gedankengänge gehen definitiv in die richtige Richtung, da ich bereits zu Beginn der Geschichte erste Hinweise eingebaut hatte. Beachtlich, dass du es schaffst, dieser Geschichte um 2.46 Uhr morgens noch zu folgen. Ich selbst schreibe den Kram zwar manchmal bis morgens um 2 aber bis 2.46 habe ich es noch nicht geschafft, mich auf einen Bildschirm zu konzentrieren. Meinen tiefsten Respekt für dein Durchhaltevermögen. Da mir selbst zu so früher Stunde gern die Augen zufallen, kann ich es durchaus nachvollziehen, wenn man Kleinigkeiten beim Lesen durcheinander bringt. @shakti-san: Danke für deinen Kommi. *freu* Im nächsten Kapitel geht es noch einmal um den Galaabend und ich bin gespannt, ob ich dich damit überraschen kann. ^.~ _______________________________________________________________________________________- *********3 Stunden später********** Nach drei weiteren Stunden war endlich ein Ende in Sicht. Joey und seine Kollegen hatten damit begonnen, die Tische abzuräumen, während die letzten Gäste sich an der Garderobe ihre Mäntel und Jacken aushändigen ließen. Der Blonde sah sich suchend um. Das kleine Summen in seinem Hinterkopf, welches stets ein sicheres Zeichen dafür war, dass er beobachtet wurde, war verschwunden. Kaiba hatte er bereits seit gut einer Stunde nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er vermutete, dass er die Veranstaltung bereits verlassen hatte. „Du Joey, hast du irgendwo ein schwarzes Portemonnaie liegen gesehen?“, erkundigte sich Shin bei ihm. Suchend sah Joey sich um. „Nein, tut mir leid. Wer hat es denn verloren?“ „Ein älterer Herr von Tisch 16.“ „Ich nehme an, da hast du schon gesucht?“ „Ja, aber da lag nichts.“ „Unter dem Tisch hast du auch nachgesehen, oder?“, hakte Joey nach. Shin, der seine Hand gegen seine Stirn schlug, brauchte gar nichts zu sagen. „In Ordnung. Frag du nochmal in der Küche nach, vielleicht wurde einem der anderen Kellner vorhin etwas in die Hand gedrückt, ich gehe nochmal zu dem Tisch und wenn es da auch nicht sein sollte, suche ich nochmal auf der Toilette.“ „Ok. Danke, Joey.“ Gerade wollte dieser sich abwenden, als ihm noch etwas einfiel. „Wie sieht es mit der Terrasse aus? Ist er Raucher? Einige haben doch da geraucht.“ Überlegend tippte Shin sich mit dem Finger an die Lippe. „Ich weiß nicht genau. Bei über 200 Gästen kann ich mir so etwas schwer merken.“ „Ich schaue einfach nach. Dann übernimm du aber bitte die Toiletten.“ Joey wandte sich um. ER hätte es sich merken können, aber das wollte er dem Kleineren nicht unter die Nase reiben. Nicht jeder konnte mit einem fotografischen Gedächtnis aufwarten. Ein Grund mehr, sich über die Anwesenheit von Seto Kaiba auf dieser Veranstaltung zu wundern. Er war sich nach wie vor sicher, seinen Namen nicht auf der Gästeliste gesehen zu haben. Doch nicht nur seine Anwesenheit war an diesem Abend ungewöhnlich gewesen, sondern auch sein Verhalten. Die ganze Zeit war er immer irgendwie…da gewesen. In seiner Nähe. Als wolle er ihn genau im Auge behalten. /Und das, obwohl er mir die letzten Wochen ständig aus dem Weg gegangen ist./ „Arschloch“ Grübelnd sah Joey unter dem Tisch nach. Natürlich war kein Portemonnaie zu entdecken. Aufseufzend ließ er die lange weiße Tischdecke wieder zu Boden gleiten und wandte sich in Richtung Terrasse. Diese hatte man mit mehreren kleinen Lampen und Lichterketten dekoriert, so dass der gesamte Bereich in ein mildes warmes Licht getaucht wurde. Da die Temperaturen des Nachts bereits zeitweise in den Minusbereich sanken, waren sicherheitshalber noch dicke schwere Vorhänge vor die riesigen und nur zweifach verglasten Fenster drapiert worden. „Rot. Die wollten sich wohl die Dekoarbeit für Weihnachten ersparen“, stellte Joey mit einem Blick auf die langen Stoffbahnen fest. Seine Gedanken wieder der Suche nach dem Portemonnaie zuwendend, griff er nach einer der Taschenlampen, welche sicherheitshalber neben der Terrassentür deponiert worden waren. Mit gemächlichen Schritten und einem langsamen Schwenken der Lampe, suchte er jeden Meter der Terrasse ab. Selbstverständlich fand sich auch hier kein Portemonnaie. Vielleicht hatte Shin auf der Toilette oder in der Küche ja mehr Glück. Mit einem kleinen Klicken schaltete er seine Taschenlampe aus und machte sich auf den Rückweg zur Garderobe. Sorgsam legte er die Lampe wieder an ihren Platz zurück. Erschöpft vom langen Abend schloss er die Terrassentür hinter sich, um sich anschließend in die Küche zu begeben. Es gab noch einiges an Geschirr abzuräumen. Doch kaum, dass das Schloss mit einem leisen ‚Klick‘ eingerastet war, legte sich eine Hand fest um seinen Arm. In Sekundenschnelle fühlte er, wie sein Körper an die breite Wand zwischen Vorhang und Terrassentür gedrängt wurde. Zwischen der nur wenig erleuchteten Nacht vor dem Fenster und dem dunklen roten Vorhang, konnte er nur schemenhaft eine große Gestalt ausmachen. Mit geübtem Griff wich die Person der reflexartigen Gegenwehr seines noch freien Armes aus, schnappte ihn und bog ihn gemeinsam mit dem anderen auf seinen Rücken. Einem Schraubstock gleich legte sich eine Hand um seine Handgelenke und hielt sie knapp über seinem Hintern fest. Alles geschah in Bruchteilen von Sekunden. Er spürte, wie sich eine zweite Hand in seinen Haaren vergrub. Sein Zopf, den er inzwischen auf solchen Veranstaltungen binden musste, löste sich, als sein Kopf mit sanfter aber fordernder Gewalt nach hinten gezogen wurde. Abermals setzte zur Gegenwehr an. Sein Knie würde dafür sorgen, dass der Mann eine ganze Stunde nur noch mit sich selbst beschäftigt war. Mindestens. Doch auch das wurde von dem Angreifer vorhergesehen. Das Knie des Anderen schob sich zwischen seine Beine und hielt ihn so davon ab, ihn mit einem gezielten Tritt zu entmannen. Letztlich blieb ihm in diesem Moment nur noch ein Ruf nach Hilfe, doch abermals war der Größere schneller. Schmale weiche Lippen versiegelten seinen Mund und verhinderten, dass auch nur ein einziger Laut nach außen drang. Seine Gegenwehr erstarb augenblicklich. Sein Körper wurde schwächer. Die Anspannung seiner Arme ließ nach. Augenlieder sanken wie von selbst nach unten. Nun etwas sanfter geworden, strich eine Zunge über seine Lippen. Kostete, schmeckte, reizte ihn. Glühend heiß konnte er sein eigenes Blut in den Adern pulsieren fühlen. Nach mehr verlangend öffnete er seinen Mund. Doch der Andere erfüllte ihm seinen Wunsch nicht. Stattdessen durchlief ein Zittern seinen Körper. Ohne auf die offene Einladung zu reagieren, liebkoste seine Zunge beinahe selbstvergessen weiter die Mundwinkel und die Lippen des Blonden. Erst als Joey selbst auf Grund der schnellen Atmung, seine Lippen befeuchten wollte, drang die Zunge seines ‚Gegners‘ langsam in das Innere vor. Noch immer hatte der Blonde die Augen geschlossen. Zu groß war die Angst, dass all das verschwinden könnte – die Lippen auf seinen, die Arme, die ihn hielten und die Wärme, die ihn sanft einhüllte. Er konnte nicht sehen, wer ihn küsste, aber er konnte es schmecken, riechen, fühlen – auch, wenn der letzte Kuss bereits hunderte von Jahren in der Vergangenheit lag. Das Summen in seinem Kopf war stärker denn je. Salzige Tränen bildeten sich hinter seinen Augenlidern. Wie sehr er diese Lippen vermisst, verflucht und herbeigesehnt hatte! Kaiba erging es ähnlich. Er war Joey gefolgt, hatte sich wider besseres Wissen verabschieden wollen. Doch der Blonde hatte ihn nicht bemerkt. Vollkommen in Gedanken versunken, war er an ihm vorbeigegangen. Vermutlich hatte er ihn gar nicht wahrgenommen, da er die ganze Zeit nur auf den Boden gesehen hatte, doch Kaiba war das egal. Zu lange war er von Joey ignoriert worden. Seine Geduld war am Ende. Er würde nicht zulassen, dass Joey ihm noch länger aus dem Weg ging. Dass er selbst es gewesen war, der den Blonden in den letzten Wochen gemieden hatte, verdrängte er aus seinen Gedanken. Den ganzen Abend über hatte er mit ansehen müssen, wie andere Männer und Frauen mit seinem Hündchen geflirtet, ihn sogar angefasst hatten. Er liebte ihn und er würde einen Teufel tun, den Blonden irgendeinem anderen zu überlassen! Er wusste nicht, ob Joey etwas für ihn empfand, aber das ließe sich herausfinden! Zu lange hatte er sich danach gesehnt, seinen Körper zu berühren, ihn in den Arm zu nehmen oder ihn zu küssen. All dem würde er nun ein Ende setzen. Dank seines regelmäßigen Trainings in verschiedenen Kampfstilen, war es ihm ein Leichtes, Joey vor der Terrasse zu greifen und dessen Verteidigungsversuche abzuwehren. Durch das Dämmerlicht und seinen mittlerweile wieder übergestreiften schwarzen Mantel, musste es schwer für den Kleineren sein, ihn zu erkennen. Doch er wollte nichts sagen - jedes unbedachte Wort hätte dazu führen können, dass andere auf das Geschehen hinter dem dicken Vorhang aufmerksam wurden. Das galt es unter allen Umständen zu vermeiden! Geschickt fing er daher die Hände des Blonden ein und hielt sie so fest wie möglich, ohne ihn zu verletzen. Seine andere Hand konnte nicht wiederstehen und grub sich in das lange Haar des Blonden. Seit dem Sommerfest hatte er sich unzählige Male vorgestellt, wie sich diese blonden Strähnen wohl anfühlen mochten, wenn sie durch seine Finger glitten. Mit einmal spürte er einen Muskel unter sich zucken und ahnte, was Joey vorhatte. Wie von selbst glitt sein rechtes Knie nach vorn, teilte Joeys Beine und hinderte ihn an weiteren Gegenangriffen. Ohne weiter nachzudenken sah er auch den nächsten und letzten verbleibenden Schritt des Kleineren voraus und presste seine Lippen auf die seines Gefangenen. Doch für ihn war es nicht nur eine Möglichkeit, Joey am Rufen zu hindern, sondern alles, was er seit Tagen gewollt hatte. Schon in den ersten Sekunden, in denen er die Lippen seines Hündchens für sich eroberte, konnte er spüren, wie dessen Muskeln erschlafften und seine Gegenwehr komplett zum Erliegen kam. Während er sich noch irrationaler Weise fragte, wie Seth sich gefühlt haben mochte, wenn Jono in seinen Armen gelegen hatte, begann sein Kopf bereits zu explodieren. Farben, Bilder, Emotionen brachen hervor und drohten, ihn in ihrer Gesamtheit zu überwältigen. Wie Wasser hatten sie die ganze Zeit hinter einem Staudamm in seinem Innern geruht – und die Berührung der weichen Lippen war der Vorschlaghammer, der die dicke Mauer einzureißen drohte. Mit jedem kleinen und großen Riss, der entstand, strömte ein neues Bild in seinen Kopf. All diese kleinen Teile sammelten sich binnen Sekunden vor seinen Augen. Gegossen aus vielen Tropfen, ergab sich ein Mosaik, dem Kaiba nun endlich einen Namen geben konnte: Jono. Voller Staunen kostete er erneut von diesen Lippen. Strich über sie, streichelte sie mit der Zunge. Ein Schauer durchrann seinen Körper, als er die Augen schloss, um noch mehr der kostbaren Tropfen auffangen und sehen zu können. Plötzlich waren in seinem Kopf nicht mehr nur Schemen, sondern Körper, Orte, Gesichter und Namen. Noch einmal sah er Jono als Kind mit ihm im Tempel spielen. Er sah ihn, wie er Jahre später vom Apfelbaum heruntersprang, den Pharao vor einem Attentat beschützte und wie er in der Wüste für ihn tanzte. All die Erinnerungen aus seinen Träumen. Doch der Schleier, der verhindert hatte, dass er ihn wiedererkannte, hatte sich gehoben. Er konnte ihn sehen. Sehen, wie er gelacht, geweint, geflucht, getötet, ihn geneckt und voller Leidenschaft seinen Namen gerufen hatte. Seto spürte, wie Joeys Lippen sich teilten. Er lud ihn zu sich ein. Doch noch war er nicht bereit dazu. Sein Herz schlug hart in seiner Brust. Endlich, nach all den tausenden Jahren war er wirklich erwacht. Es waren nicht mehr die Erinnerungen seines Alter-Egos. Es waren seine eigenen. Es war nicht die Vergangenheit irgendeines Fremden, die er gesehen hatte, es war seine. Sie war ein Teil von ihm. Er war Seth. Und er war Seto Kaiba. Er hatte sich selbst gefunden. Und auch die Person, den Menschen, den er nie hatte vergessen wollen. An den er geschworen hatte, sich immer zu erinnern – selbst in einem anderen Leben. Den, den er all die Zeit gesucht und nun endlich wiedergefunden hatte. Er wusste, dass er sich nicht täuschte. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Er brauchte ihn nur anzusehen, ihn zu schmecken und zu berühren. Und bei Amun Rah und allen Göttern, die er kannte, er würde ihn nie wieder hergeben! /Du gehörst zu mir./ Besitzergreifend ließ Seto seine Hand den Rücken von Joey hinab nach unten wandern und streichelte sowohl seinen Hintern, als auch seine Oberschenkel. Leider musste er, um diese zu erreichen, seine Lippen von Joeys lösen. Stattdessen suchten und fanden sie ein neues Ziel auf der rechten Seite seines schmalen Halses. Zärtlich biss er in das zarte Fleisch, saugte und leckte daran. Sanft streichelte er dabei die Oberschenkel des Blonden über dem Stoff der Hose weiter. „Was…tust…du…, Kaiba?“, wollte Joey aufstöhnend wissen. Dieses eine Wort, dieser Name, genügte, um ihn schmerzhaft wieder in die Gegenwart zu holen. Er war nicht mehr nur Seth, er war auch Seto Kaiba und als solcher hatte er nie ein Liebesgeständnis oder Ähnliches von dem Jüngeren erhalten. Unklar war auch, ob das je geschehen würde. Und doch hatte Herr Shimata ihm Hoffnung gemacht. Wenn es auch nur die geringste Chance gab, dass auch Jono sich an ihr altes Leben erinnerte, würde er sie ergreifen. Sollte dem nicht so sein, war dies für ihn allerdings kein Grund, den Kleineren ziehen zu lassen. Er musste lediglich seine Strategie ändern. Gemessen an der Reaktion Joeys, auf seinen Kuss, würde er es vielleicht auch ohne dessen Erinnerung schaffen, ihn wieder für sich zu gewinnen. Die sexuelle Anziehung, die zwischen ihnen herrschte, hatte auch vor 5000 Jahren schon dafür gesorgt, dass Jono ihm letztlich erlegen war. So oder so durfte er nichts überstürzen. Zunächst einmal musste er wieder einen klaren Kopf bekommen – was in Gegenwart des Kleineren schier unmöglich war. Und bis er sich Gewissheit über Joeys Erinnerung verschafft hatte… „Kai…ba…? Was…?“, ließ der Blonde erneut verlauten. „Desinfizieren“, war dessen Antwort auf Joeys nur stockend hervorgebrachte Frage. Ein weiteres Mal grub Seto seine Zähne in den Hals und strich mit seinen großen Handflächen fordernd über seinen Hintern. Geschickt lenkte er ihn von seinem eigentlichen Tun ab. Als er sicher war, dass alles am richtigen Platz war, wanderten Kaibas Lippen wieder langsam nach oben und lösten sich schließlich ganz von den Kleineren. Noch immer konnte Joey fühlen, dass der Firmenchef seinen Körper fest gegen die Wand drückte, als befürchte er noch immer, dass er sich jeden Moment gegen ihn zur Wehr setzen könnte. Doch diese Befürchtungen waren unbegründet. Selbst wenn er den Wunsch dazu verspürt hätte, wäre er doch nicht in der Lage gewesen, auch nur einen Finger zu rühren. Er hatte schon genügend damit zu tun, sich überhaupt auf den Beinen zu halten, welche inzwischen bedenklich an Kraft und Stärke verloren hatten. Vermutlich wäre er ohne das stützende Bein in seinem Schritt kaum in der Lage gewesen, weiter in dieser aufrechten Position zu verharren. Gerade, als er nahe daran war, sich ganz seinem Schicksal zu ergeben, ließ der Größere ihn schließlich los. Atemlos sah Joey mit leicht verschleierten Augen zu ihm auf und versuchte sich mit aller Macht darauf zu konzentrieren, seine Knie durchzudrücken und stehen zu bleiben. Er war dankbar für die Wand, welche ihm den Halt gab, den Seto ihm nun versagte. Es war lange her, seit sein Puls so gerast war. Ohne, dass er etwas dagegen hätte tun können, nahm sein Blutfluss noch einmal an Fahrt auf, als er langsam wieder die Augen öffnete. Die Unterarme links und rechts von seinem Kopf an die Wand gestützt, fixierte ihn der Braunhaarige mit festem Blick. Hier, im merkwürdig zeitlos erscheinenden Raum zwischen dämmriger Dunkelheit und schwerem Vorhang, der jeden Laut zu verschlucken schien, wirkte es, als loderte ein Feuer in diesen dunklen blauen Seen. „Du gehörst mir, Joey. Denk daran. Kein anderer darf dich berühren. Niemals“, raunte er ihm, begleitet von einer deutlich hörbaren unterschwelligen Warnung, zu. Langsam wich Seto von dem Jüngeren zurück. Flüchtig, beinahe zärtlich, strich er mit den Fingerspitzen noch einmal über die Stelle an Joeys Hals, an welcher er kurz zuvor sein Zeichen hinterlassen hatte. Als müsse er sich selbst dazu zwingen, sich von dem Blonden zu lösen, ballte sich von diesem ungesehen seine Hand zur Faust, ehe er sie entschlossen in die Taschen seines Mantels steckte. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte Kaiba sich ab und ließ Joey, immer noch vor anderen Blicken verborgen, hinter dem Vorhang alleine zurück. Vollkommen am Ende mit seinen Nerven, sank dieser langsam an der Wand nieder. Jetzt, da ihn keine wärmende Hand mehr hielt und die schemenhafte Gestalt verschwunden war, schien ihn jegliche Kraft verlassen zu haben. War das alles gerade wirklich passiert? Der Blonde betastete seine leicht geschwollenen Lippen. Schweigend starrte er nach oben und versuchte, sich zusammenzureißen. Zu spät. Die Tränen ließen sich nicht mehr aufhalten. Eine um die andere quoll aus seinen Augen hervor. Das konnte nicht passiert sein! Kaiba würde doch nie… Oder doch? Wenn ja, warum? Oder hatte er ihn doch verwechselt? Es war dunkel gewesen. Eigentlich hatte er nur einen vagen Umriss gesehen. Warum war er sich also so sicher gewesen, dass es Seto war? /Vielleicht, weil ich WOLLTE, dass er es ist…/, bildete sich ein erster Gedanke in seinem Kopf. Aber konnte man sich so etwas – langsam wanderte seine Hand zu seinem Hals, welcher immer noch zu brennen schien an der Stelle, an welcher die Gestalt ihn berührt hatte – wirklich einbilden? /Vielleicht…/ Mit aller ihm verbleibenden Kraft presste er die Hände auf den kalten Boden, versuchte, sich zu beruhigen. Was, wenn es wahr wäre? Trotzdem… oder gerade weil er 5000 Jahre darauf gewartet hatte, machten ihm die Gedanken in seinem Kopf Angst und versetzten ihn in Panik. /Seto, Legas, Asit, Alexis, Ethan, Gabriel… So viele Namen. Und noch so viele mehr.… … Jeden einzelnen… … Jeden einzelnen dieser verdammten Namen habe ich geliebt.… … … Weil es sein Name war …/ „…aber du hast mich nie erkannt“, stellte Joey fest, während er in die schwarze Nacht nach draußen sah. „5000 Jahre nicht“, setzte er flüsternd hinzu. /Warum sollte es jetzt anders sein?/ Er konnte sich einfach nicht dazu bringen, aufzustehen. Hinter dem Vorhang wurden hörbar die nächsten Tische abgedeckt, doch seine Beine waren schwer wie Blei. Die Nacht da draußen, erinnerte ihn an seine vielen Leben, die er mit Seth zusammen gelebt hatte. Immer an seiner Seite, in seiner Nähe – unerkannt. Irgendwann hatte er gelernt, es zu akzeptieren und zufrieden zu sein, dass er ihn wenigstens sehen und … irgendwie … bei ihm sein konnte. Weitere Tränen bahnten sich ihren Weg. Was also sollte er glauben? Dass das eben real gewesen war, dass er nicht geträumt hatte? Nach all den Jahren? Wie könnte er das zulassen? Hoffnung war ein Wort, das ihn stets zum Weitermachen bewegt hatte, doch nun schien es ihn wie ein schwerer Felsen zu Boden zu drücken, ihm die Luft aus den Lungen zu pressen. Er durfte nicht hoffen. Nicht so. Niemals. Die Gefahr, sich in diesem Gefühl zu verlieren, war zu groß. Hoffnung konnte ihm den Boden unter den Füßen wegreißen, ihn zerstören und unter sich begraben. Aber das durfte nicht geschehen. /Niemals./ Er versuchte Luft zu holen, drängte den Felsen zur Seite. Wieder und wieder atmete er bewusst ein und aus. Seine Brust hob und senkte sich und jedes Mal schien ein bisschen mehr Sauerstoff in seine Lungen zu fließen, bis die Hoffnung schließlich nur noch federleicht auf ihm lastete – kaum spürbar, kaum sichtbar. Seine Tränen versiegten. Energisch trocknete er die verbliebenen Spuren der salzigen Flüssigkeit mit dem Ärmel seines Hemdes. Noch ein letztes Mal tief Luft holend, gesellte er sich mit einem fröhlichen Lächeln zu seinen Kollegen. Niemand sah es. Niemand bemerkte es. An diesem Abend bewegte er sich am Rande der seelischen Erschöpfung. Immer in Gefahr, komplett zusammenzubrechen. Doch er lächelte weiter, setzte seine Maske wieder auf. Shin hatte das Portemonnaie gefunden. Ein anderer Gast hatte es in der Küche abgegeben. Kaiba war gegangen. Joey war es egal. Es musste egal sein. Es gab noch viel aufzuräumen. Kapitel 37: Zeichen ------------------- @PenzenMiura: Danke für das ... interessante Kommi. ^_^ Gut zu hören, dass du die Romantik in diesem Fall mal nicht als 'ätzend' empfindest. *lach* Aber ich glaube, ich weiß worauf du hinaus willst. ^.~ Du bist der erste, der schreibt, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. ^_^ Als ich das gelesen habe, dachte ich nur: endlich. Jemand, der die ganze Tragik erkannt hat und mit Joey mitleidet. Das freut mich ungemein - auch wenn sich das vermutlich merkwürdig anhören muss. Du kannst übrigens beruhigt sein - vorerst habe ich diesen Gedanken noch nicht, auch wenn das Schreiben derzeit etwas schleppend vorangeht. Bald werde ich wohl wirklich nur noch wöchentlich veröffentlichen - aber es geht in jedem Fall weiter. ^.~ Das Ende und alle Zwischenschritte sind bereits in meinem Kopf- ich muss sie halt nur noch aufschreiben. *seufz* @Lunata79: Ja. Es waren schon SEHR viele Leben, wie man ja anhand der langen Zeitspanne von 5000 Jahren vermuten kann. Joey hatte es also dementsprechend wirklich nicht leicht, wie man sich denken kann. Und ob Kaiba ihn da wieder rausholen kann... Warten wirs ab. ^_^ *fg* @DarkTiger (Yelizaveta): DANKE! für deinen wunderbaren Kommi. Wie du dir sicher vorstellen kannst, freut es einen als Autor natürlich, solch ein gutes Feedback zu bekommen. Ich werde mich bemühen, dass sich deine Meinung dahingehend auch nicht ändert. Bald werde ich allerdings wohl nur noch wöchentlich hochladen können. Das schnelle Hochladen geht derzeit nur, weil ich einen guten 'Vorsprung' habe. Ich würde mich freuen, wenn du dich davon nicht abschrecken lässt und trotzdem weiter liest. ^_^ @puuppyshipper: Ich mag dich auch. ^_^ Weil du immer kommentierst. Und dann auch noch so schön ausführlich. *g* Ich gebe ehrlich zu, über Joeys Namen habe ich mir noch keine Gednaken gemacht, aber du hast da schonmal ein paar schöne Ideen hinterlassen. *g* Aber auch Setos/Seths Namen habe ich ja nicht prinzipiell mit einem S beginnen lassen. Ich fänds auf gut Deutsch gesagt 'blöd' wenn die jeweiligen Eltern über 5000 Jahre! hinweg alle beim Anblick ihres Sohnes immer nur auf ähnliche Ideen gekommen wären. Zumal sie, wie man durch die Namen ja ein wenig entnehmen kann, nicht durchweg in einem und demselben Land gelebt haben. ^.~ *seufz* So, wie es derzeit aussieht, kann es durchaus passieren, dass die Geschichte 100 Kapis bekommt. Derzeit schreibe ich an Kapitel 59 und bin immer noch nicht fertig. Aber ich lasse es auf mich zukommen - je nachdem, was sich während des Schreibens noch für Gedanken entwickeln. ^.~ Aber gut zu wissen, dass du vorhast, bis zum Ende durchzuhalten. @hammamoto: Jup. Das tut sie. Aber das ändert sich auch wieder. ^_^ Um die Zukunft zu verstehen, muss man die Vergangenheit kennen. *nochmal les* Mensch... was bin ich heute wieder poetisch... *g* @LeyGreywolf: Tjoa... Deine Rechnung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. ^_^* Aber in diese Zeitspanne spielen noch ein paar andere Dinge mit hinein. Dazu aber später. In jedem Fall, das hast du richtig erkannt, ist Joey nicht zu beneiden. Weder jetzt noch in seinen vorigen Leben. Seto allerdings auch nicht. Wenn ich so überlege... Nein. Ich würde mit keinem von beiden tauschen wollen. @Anyu: Da hast du vollkommen Recht. In doppeltem Sinne. Die Geschichten wären sicher interessant - aber ich werde sie wohl nicht erzählen. Das würde eindeutig den Rahmen sprengen. ^_^* Aber vielleicht gibt es an der einen oder anderen Stelle noch einen Hinweis, mal sehen... @Shakti-san: Warum nur Joey sich erinnert hat und Seto nicht wird zu 100% noch geklärt, dazu schreibe ich also an dieser Stelle erstmal nix. ^.~ Was Seto anbelangt, muss ich ihn grad mal in Schutz nehmen. Ich denke, dass man, wenn man gerade mal vollends realisiert hat, dass man früher auch schon ein Leben hatte und der Geliebte möglicherweise ohne Erinnerung vor ihm steht auch in seinem neuen Leben ist... das muss man erstmal verarbeiten. Mal davon abgesehen, dass Joey es ja schon viel länger weiß. Fragt sich also, wer da gemeiner ist. ^_^ Naja... Aber Joey tut mir auch leid, keine Frage. @KFutagoh89: Armer Seto. Immer schimpfen alle mit ihm. ^_^ _____________________________________________________________________________________ Langsam machte Joey sich am nächsten Morgen auf den Weg zur Schule. Es war alles wie immer. Nach der Arbeit war er nach Hause gefahren und hatte die Emails auf seinem Computer kontrolliert. Keine neuen Nachrichten. Es folgten fünf Stunden in traumloser Schwebe. Sein Wecker riss ihn wie jeden Tag aus dem Schlaf. Zähne putzen, essen, anziehen, Sachen packen, losgehen. Schnellen Schrittes betrat er das Schulgebäude Er war pünktlich, wie schon in den vergangenen Wochen. Yugi und die anderen begrüßten ihn fröhlich. Kaiba sah zu ihm. Joey stockte. Der Blick des Braunhaarigen wanderte weiter, hinaus aus dem Fenster. Er ignorierte ihn. Wie immer. Kein Wort vom gestrigen Abend. Seine Seele schrie. Es war egal. So war es gut. So war es immer gewesen. Nichts hatte sich geändert. Nichts WÜRDE sich ändern. Das alles, war nur ein Traum gewesen. Die Fäuste auf seinen Tisch gestützt, den Kopf nach unten gerichtet, brachte er seine Seele brutal zum Schweigen. „Hi Alter!“ Tristan trat an ihn heran. „Mensch, du wirst ja jeden Tag pünktlicher! Was hast du vor? Willst du auf deine letzten Tage an der Schule doch noch zum Streber werden, oder was?“ Ein halb schmerzliches, halb unglückliches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Blonden aus. Der Braunhaarige deutete es falsch. „Ey, Alter! Mach dir keinen Kopf. Du schaffst das schon! S‘ sind doch nur ein paar Prüfungen, ich bin sicher, wir werden das alles schon irgendwie überstehen.“ Nichts interessierte ihn in diesen Tagen weniger, als diese Prüfungen. Tristan kannte ihn nicht wirklich. Er konnte ihm keinen Vorwurf machen. „Sicher. Du hast Recht.“ Plötzlich wurde der Braunhaarige hibbelig und starrte aufgeregt auf seinen Hals. Ein breites Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht. Übermütig schnappte sich Tristan den etwas Kleineren, klemmte sich dessen Kopf unter seinen Arm und wuschelte ihm kräftig durch die Haare. „Mensch Joey, du bist mir ja einer! Das hättest du doch sagen können!“ Verwirrt starrte dieser ihn an. Yugi und Tea traten hinzu. Sie wollten ebenfalls wissen, was los sei. Grinsend deutete Tristan auf den Hals des Anderen. „Unser Freund hier strengt sich gar nicht für die Schule an, der will nur seiner Freundin imponieren, darauf wette ich!“ Neugierig sahen die zwei auf die Stelle an Joeys Hals, auf die Tristan deutete. Niemand der vier Anwesenden bemerkte das stille Grinsen hinter ihnen. Gut verborgen breitete es sich auf dem Gesicht des jüngsten Firmeninhabers der Stadt aus. Kaiba starrte noch immer aus dem Fenster, doch er verfolgte jedes Wort von dem Kindergarten. Er war sehr zufrieden mit sich. Nun würde niemand mehr daran zweifeln, dass der Jüngere vergeben war. Selbst dann, wenn Joey sich dessen selbst noch nicht bewusst war und es abstritt. Den Rest des gestrigen Abends und einen guten Teil seiner Nacht hatte er, in Gesellschaft eines Cognacglases, damit zugebracht, über die seltsame Situation nachzugrübeln, in der er nun steckte. Alles hatte sich verändert – und doch war alles wie zuvor. Die Erinnerungen an sein altes Leben lagen so deutlich vor ihm, als hätte er sie erst gestern erlebt und nicht schon vor 5000 Jahren. Und doch traf dies nur auf die Erinnerungen zu, die er bereits in seinen nächtlichen Träumen gesehen hatte. Er wusste, es gab noch mehr und doch konnte er nicht darauf zugreifen. Ähnlich einer Datenmenge auf einer Festplatte, welche ihre Geheimnisse erst mit dem richtigen Passwort freigab. Oder wie die Tempeltüren, welche stets mit einem Zauber vor Eindringlingen geschützt worden waren. Man musste den richtigen magischen Befehl kennen, um hineinzugelangen. Beinahe hätte Kaiba gelacht. Seit sein Gehirn beide Erinnerungen – die von Seto Kaiba und die von Seth – als richtig, wahr und real anerkannt hatte, ertappte er sich immer wieder dabei, dass er zwischen seiner alten und seiner neuen Denkweise wechselte. Das Finden von Beispielen aus beiden Zeiten, um Dinge zu beschreiben, war nur einer der zahlreichen Nebeneffekte. Er ahnte, würde ihn derzeit jemand mit Seth ansprechen, würde er vermutlich ohne nachzudenken auf den Namen reagieren – ebenso wie auf den Namen Seto Kaiba. Letztlich fühlte er sich nicht anders als vorher, nicht anders, als er sich vor drei Wochen, drei Jahren oder 5000 Jahren gefühlt hatte. Doch genau das war es auch, was ihm nun Probleme bereitete. Die geballten Gefühle, die er nicht nur für Jono, sondern, unabhängig davon, auch noch erneut für Joey entwickelt hatte, machten ihm sehr zu schaffen. Er wollte, mehr noch als die Wochen zuvor, den Blonden an seiner Seite wissen. /Aber nur, weil ich ihn liebe, heißt das noch lange nicht, dass das umgekehrt genauso ist. Selbst wenn er sich an alles erinnern sollte… Es ist 5000 Jahre her./ Womit er wieder bei der Entscheidung wäre, die er in den frühen Morgenstunden getroffen hatte. Er würde ein Problem nach dem nächsten angehen. Zunächst galt es, herauszufinden, was Joey wusste – und was nicht. Je nachdem würde er seine nächsten Schritte planen. Aber bis es soweit war – unbemerkt blickte er in die Richtung des Kindergartens und lehnte sich zurück - würde er dieses kleine Schauspiel noch ein wenig länger genießen. „Wovon redest du eigentlich?“, erkundigte sich der Blonde. „Na, von dem da.“ Lachend hatte Tea einen kleinen Handspiegel aus ihrer Tasche hervorgezaubert und hielt ihn Joey vor die Nase. Dieser ergriff ihn und versuchte das kleine Teil so zu drehen, dass er seinen Hals darin sehen konnte. Da! Tatsächlich. Dort, für alle sichtbar knapp über dem Kragen seiner Schuluniform, hob sich ein dunkelroter Fleck deutlich von seiner hellen Haut ab. „Das kann nicht sein!“ Erschrocken starrte er reflexartig in die Richtung von Kaiba. Ein anerkennender Pfiff aus Tristans Mund ließ ihn seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen umstehenden Freundeskreis richten. Zögernd sah er erneut in den kleinen Spiegel und betastete den Knutschfleck an seinem Hals. „Mensch Joey, du hättest uns doch ruhig sagen können, dass du ne Freundin hast.“ „Hab ich nicht!“, protestierte dieser. „Ach ja, und wo kommt dann der Knutschfleck her?“, wollte Tristan herausfordernd wissen. Joeys Gedanken schweiften zurück an den gestrigen Abend. Vollkommen unvorbereitet flammte erneut das Wort ‚Hoffnung‘ in ihm auf und drohte, ihn von innen zu verbrennen. Als könne er die Flamme so ersticken, flog seine Hand zu dem Mal an seinem Hals. Doch das hätte er besser nicht getan, denn durch seine hastige Bewegung, erregte er wiederholt das Misstrauen seiner Freunde Kaiba, der seine Gesichtszüge inzwischen wieder unter Kontrolle hatte, sah nun doch in die Richtung des Hündchens, der immer noch um eine Antwort verlegen vor seinen Freunden stand. Der Braunhaarige genoss es, den Kleineren so sprachlos zu sehen. Amüsiert betrachtete er sich die roten Wangen des Anderen. Auch der schnelle Blick in seine Richtung war ihm nicht entgangen. In ihrer derzeitigen Situation konnte Joey schwerlich bekannt geben, von wem der Fleck stammte. Doch auch ohne konkreten Namen erfüllte das Zeichen seinen Zweck. Eine deutliche Warnung an alle, sich von seinem Hündchen fern zu halten. Offenbar war der Hinweis jedoch nicht deutlich genug, denn, so musste Kaiba stirnrunzelnd feststellen, Tristan legte abermals sehr vertraulich seinen Arm um Joey und begann, ihn neugierig auszufragen. „Und, wie heißt deine Flamme? Komm schon Joey, uns kannst du es doch sagen? Wo hast du sie kennengelernt? Die muss ja richtig in dich verschossen sein, wenn sie dich so als ihr Eigentum markiert.“ „Was denn, Taylor, neidisch?“, mischte sich Kaiba in das Gespräch ein. Er hatte Joey sicher nicht geküsst, um ihn bereits am nächsten Tag in den Armen eines Anderen zu sehen. Dass Tristan sich bei seiner halb freundschaftlichen halb kumpelhaften Geste nichts weiter dachte, war unerheblich. „Was?“ Scheinbar interessiert trat der Firmenchef näher. Als hätte er ihn nicht schon längst gesehen, warf er einen langen Blick auf das rote Mal. Wäre sein kleiner Bruder anwesend gewesen, hätte er seinen Blick als ‚zufrieden‘ beschrieben. Doch sein kleiner Bruder war nicht da und so konnte niemanden den Ausdruck seiner Augen richtig deuten. Nicht einmal Joey, welcher noch immer in seinem eigenen Gedankenkarussel gefangen war. Wie schon am vergangenen Abend baute sich Panik in ihm auf, vermischt mit dem trügerischen Gefühl, welches nun wieder so schwer auf ihm lastete – doch Kaiba bemerkte nicht, was er dem Jüngeren damit antat. Er war mehr daran interessiert, endlich den Arm von Joeys Schulter verschwinden zu sehen und dessen Kumpel klar zu machen, wie er sich in Zukunft verhalten sollte. Belehrend wandte er sich an Tristan. „Also, wenn ich an deiner Stelle wäre, Taylor, würde ich meine Hände von dem Hündchen nehmen. Offensichtlich hat es schon einen Besitzer.“ Bezeichnend deutete er auf das rote Mal. „Ich nehme an, dass dieser Besitzer nicht allzu glücklich wäre, ihn in den Armen eines anderen zu sehen.“ Von seiner Feststellung aus dem Konzept gebracht, starrte Tristan auf Kaiba. „Du spinnst doch!“, stellte er unumwunden fest, löste aber seinen Arm von der Schulter des Anderen. „Wenn du meinst“, schulterzuckend wandte dieser sich ab. „Ich, an deiner Stelle, würde es aber nicht ausprobieren wollen, Taylor.“ „Mensch, Joey, nun sag doch auch mal was!“, verlangte Tristan. Joey starrte ihn nur an. Seine ganze Schlagfertigkeit hatte sich bereits vor mehreren Minuten in Luft aufgelöst. Niemand hatte es je erlebt, dass Joey nicht auf eine solch offene Provokation seitens Kaiba reagiert hätte. Doch statt auf Tristans Appell zu achten, sah er mit großen Augen zu dem jungen Firmenchef, während seine Hand noch immer den unwiderlegbaren Beweis des gestrigen Ereignisses verdeckte. /Nie hat er einem Hundewelpen so viel Konkurrenz gemacht/, stellte Kaiba mit liebevoller Belustigung fest. Am liebsten würde er die Hand ausstrecken, um die leicht gerötete Wange von Joey streicheln, nur um ihn dann in seinen Arm zu ziehen. Dieses Verhalten hätte unter den Augen ihrer Mitschüler allerdings bei weitem zu viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und sich schnell in der Schule herumgesprochen. Dazu waren sie beide zu bekannt. Der Schularzt wüsste noch innerhalb des nächsten Unterrichtsblocks Bescheid. Und auch wenn ihm Tome und damit ihr gesamter Plan langsam aber sicher egal wurde, so wollte er doch zuerst wissen, wem er eigentlich gerade gegenüberstand: Nur Joseph Wheeler oder auch Jono? Sicher könnte er ihn einfach fragen… doch bei Jono war es schon immer besser gewesen, ihm einen Schritt voraus zu sein. Hinzu kam, dass er sich weit bessere Orte als den Klassenraum vorstellen konnte, um Joey davon zu überzeugen, dass er ihn liebte. So begnügte er sich daher mit einem selbstsicheren Grinsen in Richtung des Blonden und wandte sich ab. „Da das Hündchen nichts sagt, habe ich wohl Recht, Taylor.“ Frau Kurami trat ein. Mit einem verunsicherten Blick wandte Tristan ganz von Joey ab und setzte sich auf seinen Platz. Auch Tea und Yugi ließen es vorerst auf sich beruhen. Die Neugierde stand ihnen jedoch ins Gesicht geschrieben und es war anzunehmen, dass sie die nächste Pause nutzen würden, um Joey weiter auf den Zahn zu fühlen. /Ein Vorteil für mich…/ „Herr Wheeler, wenn Sie sich bitte auch setzen würden?“ Wie aus einem Traum erwacht, schreckte Joey bei der Nennung seines Namens auf. Irritiert sah er sich um und musste feststellen, dass er als Einziger im Raum noch stand. Doch seine Gedanken kreisten noch nach wie vor um das, was er im Spiegel gesehen hatte. Ungerührt setzte er sich hin und starrte weiter ins Leere. Dieser Fleck und das Verhalten des Älteren waren ein deutlicher Beweis dafür, dass er das gestern alles nicht nur geträumt hatte. Kaiba hatte ihn tatsächlich geküsst! Geküsst und an Stellen gestreichelt, von denen er nie gedacht hätte, seine Hand jemals dort zu spüren. Er wusste nicht, wie er mit diesem Wissen, mit diesen Erinnerungen umgehen sollte. Vollkommen durcheinander kramte er nach seinem Skizzenblock. Das Malen hatte ihm stets geholfen, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Auch diesmal hoffte er, durch die Hilfe seines flink über die noch leere Seite gleitenden Bleistiftes, genügend innere Ruhe finden zu können, um sich dieser neuen Wirklichkeit zu stellen. Von dem Moment an, in dem er den Stift auf das Papier setzte, wendete er nur noch zehn Prozent seines Gehirns dafür auf, dem Unterricht zu folgen, die restlichen neunzig Prozent vertieften sich in die Erinnerung an die dunkle schemenhafte Gestalt von gestern. So in konzentrierter Arbeit versunken, entging ihm der Blick des eigentlichen Verursachers des ganzen Chaos in seinem Kopf. Dieser verfolgte interessiert jeden Strich, der in das kleine Buch gesetzt wurde. Er konnte nicht sehen, was er malte, aber das würde sich sehr bald ändern. Einen Unterrichtsblock später, klingelte es zur großen Pause. Geschwind ließ Joey sowohl den Block als auch seinen Bleistift in seiner Tasche verschwinden, ehe er wieder von Tristan und den anderen in Beschlag genommen und nach draußen geführt wurde. Diesmal war Kaiba entgegen der letzten Tage nicht der Erste, der den Klassenraum verließ. „Herr Kaiba, haben Sie noch etwas zu erledigen?“, erkundigte sich Frau Kurami. Alle Lehrer wussten, dass er sich in den Pausen oft seinen Geschäften widmete und ließen ihn in Ruhe. Mit Hilfe seiner großzügigen jährlichen Spende an die Schule hatte er sich zu nahezu allen Räumlichkeiten des Gebäudes den unbegrenzten Zugang gesichert. Wenn er in einer Pause im Raum verbleiben wollte, konnte ihn niemand daran hindern. Mit einem Nicken gab er Frau Kurami zu verstehen, dass heute ein solcher ein Tag sei und er noch ungestört telefonieren müsse. „In Ordnung, dann schließe ich die Tür hinter Ihnen.“ Kaum, dass Frau Kurami den Raum verlassen hatte, schritt Kaiba zum Tisch des Blonden und schnappte sich dessen Tasche. Gezielt durchsuchte er sie nach dem Skizzenbuch. Er wurde fündig. Neugierig ging er mit dem Buch zurück zu seinem Platz und ließ sich dort nieder, um sich die Zeichnungen genauer anzusehen. Langsam blätterte er Seite um Seite weiter. Die Skizzen, die er zu sehen bekam, reichten von Abbildungen der Freunde von Joey, über Spaziergänger im Park, Blumen, Bäumen, Gebäuden, Gegenständen bis hin zu frei erdachten Figuren. In einigen von ihnen erkannte er die Gestalten auf seinen Spielkarten wieder. Anhand der zahlreichen Radierungen konnte man klar sehen, wie lange Joey über diesen Zeichnungen gesessen haben musste. Aber offensichtlich handelte es sich hierbei nur um ein Skizzenbuch für erste grobe Entwürfe – Dinge, die ihm unterwegs ins Auge fielen, und die er festzuhalten gedachte. Manchmal waren mehrere kleine Detailzeichnungen auf einer Seite zusammengeführt worden, ein anderes Mal war nur ein größeres Objekt zu sehen. Zahlreiche bekritzelte Zettel klebten dazwischen oder waren mit einer Büroklammer notdürftig am Rand einer Seite fixiert worden. Er vermutete, dass es irgendwo noch ein zweites oder drittes Buch gab, in denen Joey seine Zeichnungen nochmal überarbeitete und gegebenenfalls kolorierte. Interessiert blätterte er weiter. Die ersten Zeichnungen waren schon weit über ein Jahr alt. Yugi hatte zu dem Zeitpunkt noch wesentlich jünger ausgesehen – wenn das überhaupt möglich war. Eine Seite später, starrte ihn ein anderes, sehr vertrautes, Gesicht an. Sein eigenes. Er, wie er von seinem Platz am Fenster zur Tafel sah. Eine Zeichnung, welche nur aus seiner Erinnerung heraus entstanden sein konnte, denn Joey saß vor ihm. Er hatte ihn trotz der groben Striche gut getroffen. Zwei Seiten weiter fand er ein anderes Bild. Es zeigte ihn als kleine Miniatur seiner selbst. Mit einem überdimensional gezeichneten Laptop auf seinem Rücken, lief die kleine Figur in Richtung seiner Firma, gut erkennbar an dem großen „KC“. Von da an nahm die Anzahl der Zeichnungen seiner Person stetig zu. Beinahe auf jeder Seite fand sich ein kleines oder größeres Bild von ihm. Selbst auf Seiten, die andere Freunde oder Bekannte von Joey zeigten, konnte er sich selbst als kleine Figur in irgendeiner Ecke, einer Tasche oder auf einem Baum entdecken. Während diese Darstellungen nur auf eine vereinfachte Version seiner Person ausgerichtet waren, stellten die Seiten, die nur ihm gewidmet waren, ihn umso detailgetreuer dar. Mal konnte er seinen ganzen Körper, mal nur seinen Kopf mit einem bestimmten Gesichtsausdruck sehen. Und mit jedem Mal, so bemerkte Kaiba beim Umblättern, kamen mehr Details dazu. Angefangen bei seinem Gesicht, über seine Haare bis hin zu seiner Kleidung hatte sich Joey alles genau eingeprägt und abgezeichnet. Eine weitere Seite glitt mit leisem Rascheln von rechts nach links. Sein Herz begann höher zu schlagen. Flugs sah er zum Datum am rechten unteren Rand. Das Bild war im Juli des letzten Jahres entstanden, zur Zeit des Autounfalls. Und tatsächlich, da stand es, wie der Arzt es ihm gesagt hatte, klein aber lesbar: Seth. Sein Name aus alter Zeit. Seine Finger waren eiskalt. Für mehrere Minuten starrte er sich selbst in die Augen, als sähe er in einen Spiegel. Nur, dass sein Spiegelbild wieder die blaue Robe eines Oberpriesters trug. Dieses Bild sagte ihm alles, was er wissen musste. Jono erinnerte sich an ihn! Unruhig ließ er das Buch sinken und schaute aus dem Fenster. Dort unten saß er. Er, den er mehr als alles andere auf der Welt begehrte. Und er hatte ihn nicht vergessen! Glück und Erleichterung durchströmte ihn, doch schnell machte sich Ernüchterung breit. Denn nun stand er wieder vor den Fragen, die ihn schon am gestrigen Abend beschäftigt hatten. Warum hatte er sich nicht zu erkennen gegeben? Warum hatte er nicht mit ihm gesprochen? Liebte er ihn noch? 5000 Jahre waren eine wahrlich lange Zeit. Und auch wenn sie sich einst ein Versprechen gegeben hatten, niemand konnte ‚Liebe‘ beeinflussen. Sie kam und ging, wie es ihr passte. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Abermals warf er einen Blick in das Buch. Intensiv studierte er auch die letzten bemalten Seiten, die allesamt nur noch ihn zu zeigen schienen. Egal, ob in Robe oder Anzug. Schenkte man diesem Buch Glauben, hatte Joey seit Wochen und Monaten nur noch ihn gemalt. Er blätterte noch einmal an den Anfang. Die ersten Seiten glitten durch seine Finger. Yugi, Tea, Tea, Tristan, Yugi, Wald, Bank, Yugi mit Tea und Tristan, Kartenmotive, eine Katze, er selbst, Yugi, Tea und er selbst, eine Oma, er selbst, ein Kind, ein Spielplatz, Kartenmotive, er selbst, Yugi und er selbst, Kartenmotive, Tea, Serenity, er selbst, er selbst, er selbst, Serenity, Yugi, er selbst, er selbst, er selbst, er selbst, die Kaiba Corporaition, die Schule, er selbst, er selbst, Mokuba, er selbst, er selbst, er selbst … er selbst als Hohepriester… Das genügte. Auf der letzten Seite angekommen, schlug er das Buch zu. Joey hatte ihn schon mehr als nur einmal gemalt, bevor er ihn in der Robe des Hohepriesters dargestellt hatte. Dieses Mal würde er auf seinen Instinkt vertrauen. Ohnehin war dieser schon immer seine beste „Waffe“ gegen den Blonden gewesen. Das Klingelzeichen ertönte. Schnell ließ er das Buch in seine eigene Tasche gleiten. Gleich würden sie Sport haben, vermutlich würde Joey das Buch erst zu Hause vermissen. Keinen Moment zu früh ließ Kaiba sich wieder auf seinen Stuhl am Fenster sinken und schaltete sein Netbook ein. Auch heute würde er nicht am Sportunterricht teilnehmen. Zu verlockend war die Aussicht darauf, Joey von den anderen unbemerkt beobachten zu können. Zudem hatte er tatsächlich noch zu arbeiten. Routiniert öffneten er mit ein paar kurzen Anschlägen auf der Tastatur das gewünschte Programm. Es dauerte nur wenige Minuten, ehe die vage Skizze eines Planes in seinem Kopf Gestalt angenommen hatte. Die Schulklingel ertönte. Rasch tippte er eine kurze Botschaft in das Programm. ‚Hi Joey. Kaiba wird morgen den ganzen Tag beschäftigt sein. Ein wichtiges Meeting in der Grafikabteilung. Hilft dir das weiter? Grüße, Ryuu.‘ Kurz sah er noch einmal auf die spärlichen Informationen. Sie würden reichen. Mit Hilfe der Entertaste warf er den Köder aus. Kapitel 38: Pizza - Joe ----------------------- @hammamoto: *g* Danke für das Kompliment. Ob es zur Konfrontation kommt und dich deine Nase da nicht getäuscht hat... warte ab. ^_^ KC8: *verbeug* Lieben Dank für deinen Kommi. Ich freue mich, wenn dir die Geschichte gefällt und auch die Art, wie ich Seto und Joey dargestellt habe. ^____^ *sich riesig über das kompliment freu* @Lunata: *G* Warum sind nur so viele erstaunt, dass Kaiba zu solch einer Methode greift, um sich einen kleinen Einblick in Joeys Gedankenwelt zu verschaffen? Ich meine, immerhin ist er Seto Kaiba und wenn es nicht gerade um Joey oder Mokuba geht eilt ihm ja nicht ohne Grund der Ruf voraus, eiskalt zu sein. Wenn er Skrupel hätte, sich benötigte Informationen auch auf anderem Wege zu verschaffen, wenn nötig, wäre er wohl kaum so ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden. ^.~ Es freut mich, dass du gleich erkannt hast, auf was die Zeichnungen hindeuten. ^_^ @Anyu: Gut beschrieben. Ein Kapitel, das die Geschichte ein Stück weiterbringt und das nächste vorbereitet. Außerdem mal was zum Durchatmen, bevor es in die nächste Phase geht. ^.~ @LeaGreywolf: Da kann ich dir nur zustimmen. Erinnerungen können schmerzhaft sein - vor allem bei so vielen. *g* Warum sagst du, du hättest nicht nach der Bedeutung der Namen suchen sollen? *neugierig ist* Was ist denn dabei rausgekommen? Übrigens eine interessante Vorstellung, die da in deinem Kopf geistert - bezüglich Kaiba in seinem Sessel usw. Mir kam die Idee auch - allerdings fand ich sie dann doch zu klischeehaft. *g* Für welche Alternative ich mich dann letztlich entschieden habe, kannst du ja bald nachlesen. ^.~ @PenzenMiura: *überleg* Angel Sanctuary? *zurückdenk* *grübel* Lang lang ists her... Aber stimmt. Alexiel ist ja auch öfter wiedergeboren worden. *grübel* Das wäre dann quasi Seto... und Joey? *grübel* *nachles* Ahja... Die Rolle von Joey (als der 'Wissende über die Zeit hinweg') würde dann Luzifer sein, oder? *nick* Stimmt schon. Parallelen sind vorhanden. Aber daran habe ich ehrlich gesagt nicht gedacht, als ich diese Story anfing. ^_^* Was das Sprichwort anbelangt, hast du vollkommen Recht. Dieses Sprichwort war es auch, dass mich überhaupt zuerst auf die beiden gebracht hat. Ich bringe es persönlich auch nicht über mich, meinem Partner ständig ins Ohr zu säuseln, wie toll er aussieht und wie sehr ich ihn liebe und blahblahblah. Ich weiß nicht... das kommt irgendwie nicht über meine Lippen - oder nur sehr selten (zu peinlich und außerdem nutzt sich sowas ab). Da rutscht mir schon eher mal ein 'ich hasse dich' raus. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit. ^_^* Er sagt dann immer, er hasse mich auch und damit ist dann alles gesagt. ^.~ Außenstehende verstehen das immer nicht. Aber das ist ok. Wir wissen, was wir wirklich meinen. @KFutagoh89: Die Angel ist ausgeworfen, wann sie allerdings eingeholt wird, wird noch nicht verraten... ___________________________________________________________________________________ ********** am nächsten Tag ********** Aufstöhnend streckte Joey seine Glieder in alle Richtungen. Inzwischen war es später Nachmittag. Heute war ihm der Unterricht besonders lang vorgekommen, was wohl auch damit zu tun hatte, dass Kaiba nicht im Unterricht aufgetaucht war. Wie er von Ryuu im Chat erfahren hatte, befand dieser sich den ganzen Tag über in einer wichtigen Besprechung mit der Grafikabteilung. Müde rieb Joey sich die Augen. Ein verhaltenes Gähnen kroch über seine Lippen, als er seine Sachen zusammenpackte. Er hatte gestern Nacht noch bis zu zwei Stunden mit Ryuu gechattet, um sich bei diesem ein paar letzte Informationen einzuholen. Gestern Nachmittag hatte Tome sich bei ihm gemeldet. Inzwischen wurde er ungeduldig, denn er wollte das Programm von Kaiba möglichst bald in seiner eigenen Firma nutzen. Immerhin hatte er Joey bereits bezahlt. /Selbstverständlich bleibe ich niemandem etwas schuldig./ Gewissenhaft überprüfte er noch einmal den Inhalt seines Rucksacks. Neben einem Basecap mit dem Aufdruck eines Pizzalieferanten, einer Jacke mit demselben Symbol und einer Chipkarte für den Seiteneingang hatte er auch eine kleine Festplatte eingesteckt. Außer genügend Speicherplatz für die von Tome geforderte Software befand sich auch ein Programm zum Knacken von Passwörtern darauf und ein weiteres kleines Tool, welches ihm dabei helfen würde, eventuelle weitere Sicherheitsmaßnahmen von Kaiba zu umgehen. Zufrieden schnappte er sich noch die zwei Pizzen, die ihm ein Kumpel kurz zuvor vorbeigebracht hatte. Grinsend öffnete er eine der Schachteln und schnupperte an der köstlichen Salamipizza mit extra Käse. Die Gemüsepizza öffnete er lieber nicht, das war nichts für ihn. Mit einem bedauerndem Seufzen und einem knurrenden Magen schloss er die Schachtel wieder und streifte sich die Botenjacke über. Nach einem kleinen Hürdenlauf über die bereits zusammengepackten Kisten und Kartons in seiner Wohnung, erreichte er schließlich die Wohnungstür und wenig später auch den Ausgang des Hochhauses. Unten angekommen schwang er sich auf sein Fahrrad und machte sich auf den Weg in Richtung der Kaiba Corporation. Während der Fahrt dachte er abermals, wie schon gestern den ganzen Tag, an das Mal, welches Kaiba auf seinem Hals hinterlassen hatte. Heute hatte er sich absichtlich den Kragen höher geschlagen, um weitere Fragen seiner Mitschüler und Freunde zu vermeiden. Auch wenn er noch nicht wusste, warum Kaiba das getan hatte, schwor er sich insgeheim, dass er ihm das eines Tages heimzahlen würde. Inzwischen kursierten in ihrer Jahrgangsstufe bereits die wildesten Gerüchte bezüglich dieses Flecks. Er konnte schlecht die Wahrheit sagen. Selbst wenn er sie sagte, erschiene sie vielen seiner Mitschüler vermutlich als zu abwegig. Selbst Ausflüchte, Halbwahrheiten oder eine ausgedachte Geschichte brachten ihn diesmal nicht weiter – jeder würde ohnehin annehmen, dass er versuchen würde, sich aus dieser peinlichen Lage herauszureden. Also hielt er lieber ganz den Mund. Was allerdings auch nichts half. Ein ärgerliches Schnauben entwich dem jungen Mann, während er um die nächste Ecke bog. Energisch trat er ein wenig kräftiger in die Pedale. Innerhalb nur eines Schultages, hatten die Spekulationen daher bereits zahlreiche Früchte getragen. Einige Gerüchte besagten, dass er mit einer sehr viel älteren Frau zusammen sei und deshalb nichts sagen wollte. Andere sprachen davon, dass sie ihn mit einer Lehrerin zusammen gesehen hätten. Die Lehrer-Schüler-Variante schienen vor allem die Mädchen als besonders romantisch zu empfinden und wünschten ihm ein ums andere Mal Glück, wenn er an ihnen vorbeiging. Aufstöhnend schüttelte Joey den Kopf. Ganz zu schweigen von dem Verdacht, er würde sich in einem Nachtclub heimlich Geld verdienen. Er war an der Schule nie ein unbeschriebenes Blatt gewesen, doch nun war er ein bunter Hund! Und das nur wegen eines winzigen kleinen Blutergusses an seinem Hals! Joey weigerte sich, es als Knutschfleck anzuerkennen, auch wenn das den Rest der Schule offenbar nicht von der Entwicklung weiterer Ideen abhalten konnte. Zähneknirschend überquerte Joey die letzte Straße. /Egal, was ich auch immer deiner Ansicht nach getan habe, Kaiba, DAS steht in keinem Verhältnis dazu. Das bekommst du zurück./ Das, was er gerade im Begriff war zu tun, hatte ihm vor ein paar Tagen noch ein schlechtes Gewissen gemacht. Durch diese ganzen Gerüchte hatte sich das grundlegend geändert. Inzwischen bereitete der Gedanke, Seto hinter seinem Rücken für diesen Bluterguss eins auswischen zu können, mit einmal mehr Vergnügen, als er zugeben wollte. Er schadete ihm ja damit nicht wirklich, aber seine kleine Aktion würde ihn hoffentlich genügend ärgern, um ihn für all die Unannehmlichkeiten mit diesem roten Etwas an seinem Hals zu entschädigen. Auch wenn er vielleicht nie erfuhr, wer ihm die Daten geklaut hatte – es bereitete ihm ein großes Vergnügen, sich das Gesicht nur vorzustellen, das er machen würde, sollte er den Diebstahl bemerken. „Aber eigentlich soll er es ja gar nicht bemerken. Ergo wird mir dieses Vergnügen wohl entgehen…“, murmelte er unzufrieden vor sich hin. Ungesehen war er am Seiteneingang der Kaiba Corporation zum Stehen gekommen. Zügig schloss er sein Rad an und verschaffte sich mit Hilfe der Chipkarte erneut Zutritt zum Gebäude. Noch während der Fahrt hatte er die Kappe des Pizzalieferanten aufgesetzt. Er war froh, dass Takiro sich nicht weiter danach erkundigt hatte, warum er die Sachen brauchte. Ein zwanzig-Yen Schein hatte ausgereicht, ihm lästige Nachfragen zu ersparen. Bei seinem derzeitigen Ruf an der Schule würde es ihn auch nicht verwundern, wenn Takiro ihn in Verdacht hätte, irgendeine romantische Nichtigkeit für seine Freundin zu planen. Ihm war es gleich. Vorsichtig sah er sich im Eingangsbereich um. Um ihn herum befanden sich lediglich die Papppressen der Kaiba Corporation. Bei der Unmenge an Papier und Karton, die jeden Tag anfiel, hatte Kaiba irgendwann beschlossen, die Pappe selbst zu pressen und dann weiterzuverkaufen. „Der macht selbst aus Schrott noch Geld“, stellte Joey mit einem kleinen verhaltenen Pfiff anerkennend fest. Mit selbstsicherem Gang, als hätte er das Recht sich in den mit Neonlicht beleuchteten Gängen der Kaiba Corporation aufzuhalten, machte er sich auf den Weg in Richtung der offen zugänglichen Gänge für das Fachpersonal. Zwei Damen des Reinigungspersonals kamen ihm entgegen. Verwundert warfen sie einen Blick in seine Richtung. „Guten Tag.“ Joey tippte freundlich an seine Kappe und schritt an ihnen vorbei. Ihn ebenfalls kurz grüßend, gingen die Damen weiter. Vermutlich hatte der Personalchef der Serviceabteilung mal wieder eine Pizza bestellt. Das kam häufiger vor. Es war allgemein bekannt, dass er dem Kantinenessen gegenüber nicht sehr wohlwollend eingestellt war. Sich angeregt unterhaltend, verschwanden die Damen um die nächste Ecke. Schnell bewegte sich Joey weiter in Richtung der Personaltreppe. Fünf Stockwerke höher gelangte er schließlich in die gewünschte Etage. Vorsichtig sah er aus der Tür hinaus auf den hell beleuchteten Gang der Angestellten. Neugierig, als wisse er nicht, ob er sich in der richtigen Etage befinde, schaute er sich um. Kein Personal war zu sehen. Das Klicken mehrerer Tastaturen und Fetzen von Gesprächen drangen gedämpft durch die geschossenen Türen der Abteilung. Der angesteuerte Aufzug war nur noch wenige Meter entfernt. Während er noch auf die Ankunft desselben wartete, konnte er neben sich eine Tür klicken hören. Ohne sich umzudrehen zog er seine Kappe sicherheitshalber ein wenig tiefer ins Gesicht. Als er noch hier gearbeitet hatte, war er ab und an hier oben gewesen. Er konnte es sich nicht leisten, jetzt erkannt zu werden. Darauf wartend, dass die Angestellten ein anderes Zimmer aufsuchten, starrte er weiter auf die Anzeigetafel des Fahrstuhls. Sein Herz setzte einen kleinen Schlag aus. Anscheinend wollten sie ebenfalls mitfahren. Angelegentlich sah er auf seine Uhr, als hätte er nicht ewig Zeit, auf den Fahrstuhl zu warten. Mit einem leisen ‚Pling‘ öffneten sich die Türen. Vorsichtig warf er einen Blick in den Spiegel, der im Aufzug angebracht war und studierte die Gesichter der zwei Angestellten. Er hatte sie noch nie zuvor gesehen. Und sie ihn folglich auch nicht. Er atmete auf. Dennoch ging er lieber auf Nummer sicher und gab sich unwissend. Ein direkter Angriff war schon immer die beste Verteidigung gewesen. „Ach bitte, können Sie mir sagen, wo die Chefetage ist? Ich soll da diese zwei Pizzen abliefern“, erkundigte Joey sich scheinbar unbeholfen bei einem der zwei Mitfahrenden, um die beiden von weiteren Gedanken zu seiner Person abzulenken. Der rechts von ihm Stehende grummelte nur, während er unwirsch die Taste für die Chefetage für ihn drückte. Ganz seiner Rolle entsprechend, bedankte er sich höflich und ließ sich ein wenig vor und zurück auf seinen Fußballen abrollen, als würde ihm das alles zu lange dauern. Kurz vor der Chefetage stiegen seine Mitfahrenden aus. Augenblicklich unterließ er das Wippen mit seinen Füßen. Seine Anspannung nahm zu, doch er durfte sich seine Nervosität nicht anmerken lassen. Eine elektronische Stimme verkündete die Ankunft auf der Chefetage. Mit einem Sirren glitten die Türen abermals auseinander. Ein langer blau-hellgrau gestrichener Gang eröffnete sich seinem Blick. Überlegend sah er von links nach rechts. Zu seinem Glück kam ihm bereits eine junge Dame entgegen, welche seine Desorientierung bemerkte und ihm freundlich den Weg in Richtung des Büros von Kaiba wies. Höflich klopfte er wenig später am Türrahmen zu Kaibas Vorzimmer an. Die Tür stand offen. Kaibas persönliche Sekretärin sah auf. ‚Frau Ishimizu‘, wie Joey auf dem Tischschild lesen konnte. Sie war gerade dabei, weitere Unterlagen für ihren Chef zusammenzustellen. „Was kann ich für Sie tun?“, erkundigte sie sich und hielt in ihrer Arbeit inne. Joey verbeugte sich höflich und deutete angelegentlich auf die zwei Pizzen. „Die bestellten Pizzen sind da.“ Verwirrt hielt die ältere Dame inne. „Ja aber, ich habe doch gar keine bestellt.“ Joey holte Luft. Alles, was er jetzt sagte, musste schnell gehen. Sie durfte keine Zeit zum Denken haben. In Gedenk seiner Kindheit, die er oft auf den Straßen von Domino-City verbracht hatte, wechselte er nahtlos in den weit verbreiteten Slang der weniger feinen Viertel der Stadt. Gekonnt vermittelte er dabei das Bild eines übereifrigen mittellosen Studenten, der sich ein bisschen Geld dazu verdienen wollte. „Ja, das wollte mir die Dame unten am Empfang auch schon sagen, aber ich hab ihr gesagt, dass man mir unbedingt diese Adresse genannt hat. Denn wissen Sie, das kann ja gar nicht sein, dass mein Chef sich da so geirrt hat. Er hat auf jeden Fall gesagt, dass es die Kaiba Corporation ist, die die Pizzen bestellt hat. Und das hier ist doch das einzige Gebäude in Domino City von dem Herrn Kaiba, oder?“ Irritiert nickte Frau Ishimizu. „Selbstverständlich.“ „Sehen Sie! Sag ich doch! Die Dame da unten sagte auch, dass das so ist und dass ich dann doch eben hier oben nachsehen solle, ob die hier jemand bestellt hat. Sie hat sie auch sicherheitshalber schon bezahlt, damit ich halt nicht umsonst hergekommen bin. Aber durch den ganzen Weg hier hoch, wissen Sie, sind die Pizzen jetzt auch schon kalt. Das tut mir natürlich leid, wissen Sie. Immerhin wollen Sie doch bestimmt ne warme Pizza haben. Denn kalte Gemüsepizza ist doch eklig, oder? Und da dacht‘ ich mir halt, Sie haben in so ner reichen Firma bestimmt auch sone Küche, um sowas nochmal schnell warm zu machen, oder? Dann können Sie die auch gleich essen und ich hab meinen Job erfüllt und Sie bestellen das nächste Mal wieder bei ‚Pizza Joe‘.“ Breit und überfreundlich grinsend strahlte Joey sie an, als sei er mehr als stolz, diesen Einfall gehabt zu haben. Frau Ishimizu war mit der langen Rede und der Argumentation des Pizzaboten für einen Augenblick vollkommen überfordert. Um den Knoten aus ihren Gedanken wieder heraus zu bekommen, schüttelte sie einmal kurz den Kopf, kniff die Augen zusammen und dachte angestrengt nach. Anscheinend kam sie zu dem Entschluss, dass die schnellste Möglichkeit, das Problem zu lösen, wohl darin bestand, die Pizza aufzuwärmen und den Boten loszuschicken. Es würde sich sicher jemand im Haus finden, der die Pizza wollte. Immerhin war sie schon bezahlt. Sie würde der Empfangsdame später das Geld erstatten. Und wenn sich der eigentliche Eigentümer nicht fand – sie war die Letzte, die etwas gegen eine kleine Gemüsepizza als späten Nachmittagssnack einzuwenden hatte. „Also gut, geben Sie her.“ Abwehrend zog Joey die Pizzen zurück. „Ne, Sie müssen schon verstehen, dass ich sicher sein muss, dass die Pizzen auch warm sind. Immerhin ist das unser Motto: Immer schnell und heiß und frisch. Weil, wenn ich schon hier zu Ihnen rauf komme, will ich doch, dass auch alles stimmt und es Ihnen auch schmeckt.“ Aufstöhnend gab Frau Ishimizu klein bei. „Wenn Sie meinen, ich zeige Ihnen die Küche.“ Resigniert legte sie ihre Unterlagen zur Seite und führte ihn zur Küche am Ende des Ganges. Dort, wie in allen Küchen auf den einzelnen Etagen, stand tatsächlich auch ein kleiner elektrischer Pizzaofen, mit dem man ein paar Speisen schmackhafter erwärmen konnte, als in einer herkömmlichen Mikrowelle. Flugs legte Joey die Pizzen in den Ofen und stellte die richtige Temperatur ein. Als wolle er sichergehen, dass auch alles wirklich richtig lief, blieb er wartend vor dem Ofen stehen. Die Augen verdrehend wollte Frau Ishimizu sich wieder ihrer Arbeit zuwenden, als Joey halb schüchtern, halb verlegen von einem Bein auf das andere trat. „Sagen Sie, haben Sie hier zufällig auch eine Toilette auf dem Gang? Wissen Sie, ich bin jetzt schon ziemlich lange unterwegs und…“ Bevor Joey abermals so weit ausholen konnte, zeigte Frau Ishimizu ihm auch noch, wo die Toiletten waren. „Oh, oh! Wären Sie vielleicht so nett, kurz für mich auf Ihre Pizza aufzupassen? Nur bis ich fertig bin. Ich kenne mich ja nicht so ganz mit Ihrem Pizzaofen aus, nicht, dass die Pizza dann am Ende noch verbrennt.“ Tief Luft holend und offenbar um Geduld kämpfend, beruhigte ihn Frau Ishimizu und versprach, einen Blick auf die Pizzen zu haben, bis er wiederkäme. Erleichtert wandte Joey sich den Toiletten zu. Kaum, dass Frau Ishimizu in der Personalküche verschwunden war, schlich er sich wieder aus dem Bad und steuerte direkt auf das Büro von Kaiba zu. Dort angelangt schloss er leise die Tür hinter sich. Auch wenn er sicher war, dass der Pizzaofen alles übertönte, wollte er lieber vorsichtig sein. „Wow.“ Joey pfiff anerkennend durch die Zähne. Der Raum war riesig. Wie man es von einem einflussreichen, die Betonung lag dabei eindeutig auf REICHEN, Kaiba, erwarten konnte. Gegenüber der Tür erstreckte sich eine große Glasfront mit Fenstern bis zum Boden und eröffnete einen großartigen Blick auf Domino City. Neben einem großen Schreibtisch aus Glas befand sich auch eine großzügige Sitzecke in dem Büro. Bestehend aus zwei großen Couchen und zwei Sesseln aus hellgrauem Leder, war diese rechts im Büro aufgestellt und lockerte das kalte Ensemble der sonstigen Aktenschränke aus Glas und Metall ein wenig auf. Direkt vor ihm, der genau Eingangstür gegenüber, stand der Schreibtisch. Links vom Schreibtisch hingen, direkt an der Wand, mehrere Monitore, welche allesamt mit einem großen Rechner verbunden waren, der als dekoratives Sideboard kaschiert darunter stand. Nach dieser schnellen Orientierung im Raum begab er sich zügig zum etwas kleineren Computer an Kaibas Schreibtisch. Er hatte nur etwa zehn Minuten, dann würde die Pizza fertig sein. Er konnte nicht sicher sein, dass die Dame sich wie versprochen die ganze Zeit in der Küche aufhalten würde. Sollte sie ihn hier antreffen, hätte er eine Menge zu erklären. Auch wenn er sich bereits eine Ausrede zurechtgelegt hatte, wollte er es doch sicherheitshalber  nicht darauf anlegen, diese zu erproben. Zügig schloss er daher ohne weitere kostbare Sekunden zu verlieren, seine Festplatte über USB am Rechner des Firmenchefs an und startete das Entschlüsselungsproramm. Zum Glück lief der Rechner und musste nicht erst hochgefahren werden. Er brauchte nur knapp zwei Minuten, um das Passwort zu knacken. Grinsend und zufrieden durchsuchte er systematisch die Ordner nach den erforderlichen Dateien. Wie es bei einem Menschen wie Kaiba zu erwarten gewesen war, waren alle Dateien gut sortiert und die Subordner dem Inhalt entsprechend benannt worden. Mit Hilfe eines kleinen Tools gelang es ihm alle erforderlichen Systemprogramme binnen kürzester Zeit ausfindig zu machen. Ein Copy-Programm auf seiner Festplatte sorgte dafür, dass die große Datenmenge in weniger als einer Minute kopiert werden konnte. Joey sah auf seine Uhr. Nur sieben Minuten nachdem er diesen Raum betreten hatte, hatte er bereits alles, weswegen er gekommen war. Zufrieden mit seiner eigenen Leistung schloss er alle Programme, meldete sich ab und packte seine Festplatte samt Verbindungskabel wieder in den Rucksack. Zu Hause würde er das Programm abschließend noch mit dem Virus für Tome versehen. „Ich hätte einen prima Hacker abgegeben“, stellte er belustigt fest und richtete sich auf. „Da muss ich dir zustimmen.“ Mit einem Klicken fiel die Bürotür ins Schloss. Erschrocken sah Joey auf. Der Rucksack fiel mit einem dumpfen Ton zu Boden. Kapitel 39: Gefunden -------------------- Hi. Wow. 13 Kommis auf einen Teil. Neuer Rekord! Danke euch allen für die lieben Rückmeldungen. ^.~ @Liirah: Danke für alles. ^^ Tja, die Frau ist eben einem Joey Wheeler und seinem schnellen frechen Mundwerk nicht gewachsen. Kaiba hatte immerhin schon einige Jahre, um sich daran zu gewöhnen. Man sollte es der armen Dame also verzeihen, wenn sie sich von ihm so an die Wand reden lässt. Mit Sicherheit ist sie so ein Verhalten von den sonstigen Besuchern in diesem gediegenen Unternehmen auch nicht gewohnt - das macht es dann nochmal so schwer, entsprechend darauf zu reagieren. @Primavera: Inzwischen habe ich dir die Kapis ja geschickt. Ich hoffe, du wurdest für die Wartezeit entsprechend entschädigt. ^^ Gewehrt? Gegen wen? Gegen den netten Herrn mit Sake? Oder gegen Seto? Aber siehst du, dann haben Joey und du ja was gemeinsam. So kleine 'Ticks' wie das Wippen o.ä. wird man eben nur schwer los, da es meist unterbewusst passiert. @hammamoto: Jup. Die Konfrontation folgt nun auf dem Fuße. ^.~ @KC8: Ich sehe schon, alle Leser kennen mich inzwischen und wissen, dass es nur Seto sein kann, der in eine solche prekäre Situation hereinplatzt. @LeyGreywolf: ^_^ Ertappt. Hier wäre ich auch gern schon weiter, aber ich freue mich eben über Kommis und es ist auch eine sehr gute Gelegenheit, alle Kapis nochmal auf Fehler durchzusehen, bevor ich sie hier veröffentliche. ^.~ Außerdem veröffentliche ich hier schneller. Wenn wir ff eingeholt haben, wird es hier auch nur noch wöchentlich sein. Was die Rechner in Setos Büro anbelangt kann ich nur von mir sprechen... mein Notebook ist immer nur auf Standby und geht sofort an, samt Desktop etc., sobald ich den Deckel wieder hochklappe. Immerhin will ich nicht immer ewig warten, bis alles startet. Und auch in dem Büro, in dem ich drei Jahre gearbeitet habe, wurden die Rechner nur einmal am Tag hochgefahren und zwischendurch nicht wieder runtergefahren, wenn man mal den Raum verlassen hat. *schulternzuck* @Lunata: Da liegst du in jedem Fall richtig. Joey IST ein guter Schauspieler. Immerhin: 5000 Jahre und viele Leben Übung. Da wird man das wohl zwangsläufig. Obwohl er diese Fähigkeiten ja auch schon in Ägypten hatte. Bin gespannt, was du vom nun folgenden Vorhaben von Seto hältst. ^_^ @Rockryu: Streiterei? Meinst du? Wo doch beide so vernunftbegabte Menschen sind. *G* @KFutagoh89: Mal sehen, ob du dir das Folgende auch denken konntest. *g* @Closer: Tjaja... manchmal muss man gemein sein. ^_^ Aber immerhin ist das kommende Kapitel ja auch eines der Wichtigsten. ^.~ Da verzeihst du mir den kleinen Cliffhanger doch sicherlich. *liebguck* @PenzenMiura: *g* Du hattest mir deinen Kommi gleich 5mal veröffentlicht. Ich hoffe, du bist mir nicht bös, dass ich die anderen vier gelöscht habe. ^.~ Interessant, dass es noch mehr Menschen gibt, die mit einem 'Ich hasse dich' mehr anfangen können als mit einem 'Ich liebe dich'. Aber du hast Recht. Auch in meiner Umgebung... Meine beste Freundin, als sie meinen Freund und mich das erste Mal zusammen erlebte, reagierte sehr ... irritiert. ^.^* Arme Sekretärin. Gleich feuern? Hab Erbarmen. Die hatte noch nie mit Joey zu tun. ^.~ @Shakti-san: *GGG* Schmerzensgeld? Klage? Die Klage nehme ich gern in Kauf. Außerdem ist lachen doch angeblich so gesund. Da solltest du mir eher Geld zahlen - das spart zahlreiche Arztbesuche und Therapiestunden auf der Couch. ^.~ Was für eine Frage: Streiten natürlich. Immerhin sind das Seto und Joey. @Anju: *grübel* Wenn du mich so fragst... ich denke, was nun folgt, ist ein bisschen was von beidem. _______________________________________________________________________________ Sein Gesicht wurde kalkweiß, während er auf die Gestalt sah, die soeben das Büro betreten hatte. Langsam, mit ruhigen, gelassenen Schritten, kam Kaiba auf ihn zu. Sein Gesichtsausdruck war für Joey schwer zu deuten. Bar jeder Emotionen sah er auf den Blonden hinter seinem Schreibtisch. Was mochte er von ihm denken? Das Bild, das er abgeben musste – hier, im Büro von Kaiba, an seinem Laptop, ohne sein Einverständnis – war eindeutig miss zu verstehen. Joey dachte nach. Beim letzten Mal, als Kaiba ihn für einen Saboteur gehalten hatte, hatte er unter anderem einen derben Schlag in die Magengrube erhalten. Es war eindeutig besser, sich vorerst außerhalb der Reichweite des Firmenchefs aufzuhalten – zumindest für die nächsten zwei bis drei Monate. Mit jedem Schritt, mit dem Kaiba sich ihm näherte, versuchte er, gleich einem Spiegelbild, in die entgegengesetzte Richtung auszuweichen. Auf diese Weise drehten sie sich einmal um den Schreibtisch. Nur wenige Sekunden nach seinem Eintreffen, stand Kaiba an derselben Stelle, an der Joey kurz zuvor noch gehockt hatte. Ohne ein Wort zu sagen, tippte der Computerbesitzer sein Passwort in den Rechner, ehe er sich aufrichtete und fordernd seine Hand ausstreckte. „Die Festplatte.“ Stocksteif stehend, holte Joey die Festplatte wieder aus seinem Rucksack. Noch immer arbeitete sein Verstand fieberhaft und versuchte, eine Lösung für das ganze Dilemma zu finden, in das er sich selbst hineinmanövriert hatte. Immerhin bestand noch immer die geringe Möglichkeit, dass Kaiba ihm vielleicht doch zuhörte und ihm glaubte, dass seine Absichten ehrlicher Natur waren. Der Blonde schluckte. Er hatte schlichtweg nicht damit gerechnet, dass Kaiba hier auftauchen würde. /Ja. Warum sollte er auch hier auftauchen? Immerhin ist das hier ja nur sein Büro. Quasi sein zweiter Wohnsitz. Wie oft kommt er da schon hin?/, konnte er sich, in einem Anflug von Galgenhumor, des sarkastischen Gedankens nicht erwehren. Der Kern des Ganzen war allerdings, dass Kaiba sich um diese Uhrzeit eigentlich vier Etagen weiter unten im Besprechungsraum aufhalten müsste. Das zumindest hatte sein Informant ihn wissen lassen. Weiterhin hielt Joey seinen Rucksack fest umklammert. Zögernd setzte er einen halben Fuß vor den anderen, setzte zum Sprechen an… Konnte er es überhaupt erklären? Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er sich durch sein eigenes Verhalten in den letzten Wochen bereits so in Widersprüche verstrickt hatte, dass der Größere ihm schwerlich glauben würde. Im Gegenteil untermauerte diese Aktion von ihm eher seine vorgefasste Meinung, ein Saboteur zu sein. Was auch immer für ein Grund hinter seinem plötzlichen Überfall auf dem Galaabend gesteckt haben mochte – nach dieser Aktion würde so etwas sicher nicht noch einmal vorkommen. Selbst wenn er versuchen würde, es ihm zu erklären, wie wahrscheinlich war es, dass Kaiba ihm jetzt noch glaubte? Sein Mund schloss sich wieder. Der rechte Fuß, welcher sich eben noch in die Richtung von Kaiba bewegt hatte, schlug nun die entgegengesetzte Richtung ein. Es war besser, hier zu verschwinden. Der Firmenchef hatte inzwischen die Festplatte angeschlossen und durchsuchte die kopierten Dateien. Der rechte Fuß wechselte sich mit dem linken ab, während Joey Schritt für Schritt das Weite suchte. Den Braunhaarigen ließ er dabei keine Sekunde aus den Augen. Dieser sah nicht auf, bemerkte aber seinen Fluchtversuch. „Wo willst du hin?“, erkundigte er sich beiläufig, während er weiter interessiert die Daten durchsah. Augenblicklich blieb Joey stehen. „Du bist mir eine Erklärung schuldig, denkst du nicht?“ Kaiba sah auf. Seine eisblauen Augen durchbohrten den Blonden mit unerschütterlicher Entschlossenheit. Entschlossenheit für was? Joeys Interesse daran, das unbedingt in diesem auf einmal sehr viel kleiner wirkenden Büro herausfinden zu wollen, hielt sich in Grenzen. Ein weiterer kleiner Schritt. Die Tür kam näher. Er musste Zeit gewinnen. Kaibas deplatzierte Bemerkung bot ihm eine entsprechende Angriffsfläche. „Seit wann interessieren dich meine Erklärungen?“, erkundigte er sich sarkastisch in Gedenk an ihre letzte Begegnung in seiner Firma. Das Gespräch und sein angriffslustiger Unterton sollten Kaiba ablenken, doch er konnte spüren, dass sein unterschwelliger Ärger über die damalige Situation sich ungewollt in seinen Worten widerspiegelte. Ein Stich fuhr durch die Brust des Braunhaarigen. Ein Punkt für Joey. Doch dieser bekam von seinem kleinen Sieg nichts mit, denn Kaiba ließ nicht locker. „Versuch es.“ Nur noch zwei Meter bis zur Tür. „Als wenn du mir glauben würdest.“ Höhnisch sah Joey in seine Richtung. Angriff war die beste Verteidigung. Die Klinke war in greifbarer Nähe. Kaiba richtete sich auf und musterte den Anderen. Die Tür in seinem Rücken würde ihm nichts nützen. Er hatte heute nicht den ganzen Tag auf Joey gewartet, um ihn jetzt einfach entkommen zu lassen. Für den Fall, dass Joey sich schon am Vormittag auf den Weg machte, hatte er sich die meiste Zeit des Tages im Überwachungsraum aufgehalten. Da Tome inzwischen ungeduldig wurde, wie der Blonde es ‚Ryuu‘ berichtet hatte, war ihm klar, dass Joey diese Chance nicht ohne Weiteres verstreichen lassen konnte. Er musste zugeben, dass er sich nicht entgehen lassen wollte, wie Joey in sein Büro zu gelangen gedachte. Immerhin war er bisher immer davon ausgegangen, dass niemand so einfach in der Lage war, bis zu ihm vorzudringen. Zahlreiche Sicherheitssysteme riegelten das Gebäude bei Nacht hermetisch ab. Am Tage musste man zunächst am Sicherheitspersonal, an der Empfangsdame und an seiner Sekretärin vorbei. Ganz zu schweigen davon, dass es nur einen einzigen Fahrstuhl in diesem Gebäude gab, der direkt mit seiner Etage in Verbindung stand. Ein, wie er dachte, nahezu unüberwindbares System. Mit spielender Leichtigkeit und zwei Pizzen in der Hand, hatte Joey ihn eines Besseren belehrt. Wieder einmal. ‘Die einfachen Ideen sind oft die besten‘, hatte Jono einmal zu ihm gesagt. /Offenbar/, stellte Seto fest, /lebt er noch immer nach diesem Prinzip./ Und er hatte Recht behalten. Immerhin waren es simple Kleinigkeiten und eine gehörige Portion Dreistigkeit, mit denen es ihm gelungen war, sich nahezu ungesehen Zutritt zu verschaffen. Die Kappe mit dem Aufdruck irgendeines Pizzalieferanten hatte sein Gesicht vor den Kameras verborgen. In Anbetracht dessen, dass wohl in jeder Firma zu dieser Zeit der ein oder andere Lieferservice ein und ausging, war die Verkleidung gut gewählt. Weder der Wachmann noch er selbst konnten den Pizzaboten zunächst auf den Bildschirmen entdecken. Obwohl vorbereitet auf sein Kommen, hatte er ihn erst im Aufzug erkannt – und auch das nur durch eine winzige Kleinigkeit. Joeys Angewohnheit, im Sportunterricht leicht mit den Füßen zu wippen, bevor das Startsignal gegeben wurde, war ihm schon früher aufgefallen. Es erstaunte ihn selbst, dass er Joey anscheinend schon damals unbewusst so genau beobachtet und jede kleine Besonderheit registriert hatte. Wie er allerdings darüber hinaus in den vierten Stock gelangen konnte, ohne von seinem Sicherheitspersonal oder der Empfangsdame aufgehalten zu werden, galt es erst noch in Erfahrung zu bringen. Eine Idee hatte er jedoch auch diesbezüglich bereits im Hinterkopf. Belustigt und mit zugleich stetig wachsendem Respekt, hörte er über die Lautsprecher, wie der Blonde Frau Ishimizu vollständig aus dem Konzept brachte und sie erfolgreich mit den zwei Pizzen ablenkte. Zwischen dem Eintritt Joeys und dem Verlassen des Büros, um Pizzen zu erwärmen stand kurz die Überlegung im Raum, ob er der Frau kündigen sollte. Letztlich wäre das allerdings kontraproduktiv. Seine Sekretärin hatte einen Fehler gemacht. Er würde sie zu gegebener Zeit noch einmal an ihren hauptsächlichen Arbeitsauftrag erinnern – ihm lästige Leute vom Hals halten – und ihr zu verstehen geben, dass sie ihren Job demnächst wieder gründlicher zu machen hatte. Jede neue Sekretärin könnte ohne diese Erfahrung schlichtweg erneut überrumpelt werden. Zudem spielte sie mit ihrer Unaufmerksamkeit heute nicht nur Joey in die Hände, sondern auch ihm. Mit dem Betreten seines Büros, löste Kaiba sich von dem Bildschirm und machte sich selbst auf den Weg. Kurz zuvor hatte er die Kameraüberwachung in seinem Büro eigenhändig abgeschaltet. Er brauchte keine ungewollten Zuschauer oder Zuhörer bei dem, was er mit Joey besprechen würde. Niemand sonst hatte Zugriff auf das Sicherheitssystem in seinen Räumen innerhalb der Kaiba Corporation. Umso ärgerlicher war es, dass erst ein kleiner blonder Streuner ihm vor Augen führte, dass er das Sicherheitssystem in Zukunft besser auch tagsüber aktivierte, um ungebetene Besucher jedweder Art zu vermeiden. Nur ein paar Minuten, nachdem der Blonde es betreten hatte, erreichte er selbst die entsprechende Tür. Gerade noch rechtzeitig, wie er bemerkte, nachdem er einen ersten Blick auf die kleine Gestalt hinter seinem Schreibtisch geworfen hatte. Diese verstaute bei seiner Ankunft gerade seine Festplatte. Noch wenige Sekunden zuvor hatte sein Kopf bereits alle möglichen nun kommenden Szenarien durchgespielt. Wie würde er es ihm sagen? Wie würde er reagieren? Waren seine Schlussfolgerungen wirklich richtig – liebte er ihn noch? Er hatte ganze Firmen übernommen und Verhandlungen mit den wichtigsten Wirtschaftsgrößen Japans geführt noch bevor er 16 war. Dennoch konnte er ohne Zweifel sagen, dass dies das schwerste Gespräch werden würde, das er je geführt hatte. Nie zuvor war er so nervös gewesen. Doch sobald er Joey dort auf dem Boden hatte knien sehen, war all das verflogen, trat in den Hintergrund. Mit dem Klicken des Schlosses breitete sich eine tiefe innere Ruhe in ihm aus und er glaubte, WUSSTE, dass er das Richtige tat. Nur ein Rest Unsicherheit, wie er anfangen wollte, war geblieben. Daher gab er zunächst seiner Neugierde den Vorzug. Ihn interessierte, ob Joey tatsächlich seine Passwörter geknackt hatte – letztlich eine reine Formsache, da er dem Blonden inzwischen alles zutraute, sei es auch noch so abwegig. Eine kurze Überprüfung der Festplatte bestätigte seine Vermutung. Hätte es sich anders verhalten, wäre er vermutlich enttäuscht gewesen. Er musste unbedingt ein ernstes Wort mit seinen Technikern reden. Von wegen, eine 16stellige Buchstaben-, Zahlen- und Zeichenkombination würde seinen Rechner schützen! Mit ein paar einfachen Befehlen beendete er die Datensuche wieder und fuhr seinen Rechner herunter. Nachdem seine Neugierde befriedigt war, atmete er ein letztes Mal tief durch. Nun kam der schwierige und hoffentlich auch erfreuliche Teil. Jono war schon früher nicht leicht aus der Reserve zu locken gewesen. In seinem Leben als Joey schien sich das, so viele Geheimnisse wie der Blonde unausgesprochen mit sich herumtrug, noch gesteigert zu haben. /Hündchen, eigentlich hast du dich kaum verändert. Wenn ich es recht bedenke, musste man dir schon früher alles aus der Nase ziehen – zumindest solange es um dich selbst ging. Wenn man überhaupt etwas über dich erfahren hat, dann nur über Umwege./ Zufrieden dachte er an Herrn Shimata, Herrn Sakumoto, Herrn Harumoto und seinen kleinen Bruder, welche ihm vieles verraten hatten, was Joey selbst lieber für sich behalten hätte. Selbst Haiko Kirian hatte seinen Beitrag geleistet, indem er ihm von der Anwesenheit Joeys erzählt hatte. Vielleicht sollte er ihm ein paar Blumen in das Krankenhaus schicken? Weiße Lilien sollten ja am Bett eines Kranken wunderschön aussehen. /Nein. Um Kirian werde ich mich später kümmern. Jetzt gibt es Wichtigeres./ Sein Herz machte einen für einen Kaiba sehr unangemessenen kleinen Sprung, als er daran dachte, sein Hündchen endlich wieder in die Arme schließen zu können. Heute würde er ihn nicht mehr entkommen lassen. Belustigt bemerkte er, dass Joey inzwischen die Tür erreicht hatte. Den für den Bruchteil eines Augenblicks entgleisendem Gesichtsausdruck des Blonden nach zu schließen, hatte er auch schon erkannt, dass er sorgfältig abgeschlossen hatte. Frustriert und deutlich auf der Suche, ihm zu entkommen, sah Joey sich um, ließ sich aber nichts weiter anmerken. Offenbar wollte er um alles auf der Welt ein Gespräch mit ihm vermeiden. Ungesehen von Joey, griff Kaiba tastend in die zweite Ablage auf seinem Schreibtisch, ehe er hinter dem Schreibtisch hervortrat. Gekonnt fing er den suchenden Blick des Blonden mit seinen eigenen Augen ein und verhinderte so, dass Joey das kleine Buch in seiner Hand bemerkte. „Weißt du, Joey…“ Der Angesprochene zuckte kaum sichtbar zusammen, als die Stille, die zwischen ihnen entstanden war, so plötzlich unterbrochen wurde. „… du bist ziemlich schlau.“ Der Firmenchef beobachtete den Anderen genau. „Ach? Woher die plötzliche Erkenntnis?“, wollte dieser spöttisch wissen. Kaiba war zufrieden. Genau, was er erwartet hatte. Ein Hund, den man in die Ecke getrieben hatte, würde ebenfalls anfangen zu bellen. Der Blonde war da keine Ausnahme. /Aber Hunde, die bellen, beißen ja bekanntlich nicht./ Immerhin - mit einem Joey im Angriffsmodus konnte er umgehen. „Nun, fangen wir damit an, dass du dich unerkannt in meine Firma schleichen konntest. Wobei ich immer noch überlege, wie du in den Nebentrakt gelangt bist.“ „Chipkarte. Dein Reinigungspersonal ist nachlässig.“ Erleichtert atmete Kaiba auf. Offenbar hatte Joey es aufgegeben, ihn täuschen zu wollen. Das war ein Anfang. „Ganz zu schweigen davon, dass du dir Zugang zu meinem Rechner verschafft hast. Du hast meine Passwörter geknackt…“ „Jedes Kind kann sich heute ein Programm dafür runterladen“, ließ Joey ihn verächtlich wissen. Inzwischen war Seto ihm gefährlich nahe gekommen. Suchend sah er sich nach links und rechts um, und probierte noch einmal, die Tür zu öffnen. Doch vergebens. Dieser Arsch hatte ihn doch tatsächlich in seinem Büro eingesperrt! „Ja“, stimmte Kaiba ihm zu, „aber diese Programme sind nicht in der Lage auch mein Sicherheitssystem zu umgehen.“ „Immerhin habe ich lange genug in der Firma gearbeitet.“ „Richtig, was mich zum nächsten Punkt bringt. Du hast meine Programmiersprachen gelernt.“ „Kunststück.“ „Kunststück, in der Tat. Für jeden anderen, der sie lernen möchte. DU hingegen, hast… wie lange dafür gebraucht?“ „5 Tage.“ Verblüfft sah Kaiba ihn an. „Ich dachte eine Woche?“, entschlüpfte es ihm unwillkürlich. „Der Mensch muss zwischendurch auch schlafen“, ließ Joey ihn mit bissigem Unterton wissen. Real gesehen hatte er tatsächlich nur 5 Tage gebraucht, um sich das erforderliche Wissen anzueignen. Dass die Sprachen in einem für ihn gut durchschaubaren logischen System aufgebaut waren, erleichterte ihm das Erlernen. Sein fotografisches Gedächtnis hatte den Rest erledigt. Aber er würde den Teufel tun, Kaiba in diesem Augenblick auch noch für seine gute Arbeit bei der Entwicklung dieser Programmiersprachen zu loben! Stattdessen sah er Kaiba abschätzend an. „Du hast dich über mich erkundigt.“ „Sicher. Immerhin hat man nicht jeden Tag einen Saboteur im Haus“, gab Seto unumwunden zu. Wenn er die Fragen von Kaiba richtig einschätzte, musste er davon ausgehen, dass er inzwischen eine ganze Menge über ihn herausgefunden hatte. Der Firmenchef war ebenfalls nicht auf den Kopf gefallen. Er war sicher, dass der Braunhaarige die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Herausfordernd reckte er sein Kinn nach vorn. Inzwischen stand der Größere direkt vor ihm. Ungewollt strömte ihm sein einzigartiger Geruch in die Nase. Wie immer in seiner Nähe, reagierte sein Körper augenblicklich. Unsichtbar für Kaiba, begann sein Herz schneller zu schlagen. „Und? Was hast du sonst noch herausgefunden?“, scheinbar interessiert und sich selbst zur Ordnung rufend, sah er zu ihm auf. Er musste sich unbedingt ablenken. „Du meinst außer, dass du nicht so schwer von Begriff bist, wie du allen immer weismachen willst?“, erkundigte sich Kaiba. Joey stritt es nicht ab. Von allen Dingen, die bei der routinemäßigen Beschaffungen von personenbezogenen Daten am schnellsten zugänglich waren, standen Zeugnisse ganz oben auf der Liste. Kaiba war skrupellos - wenn er etwas wollte, würde er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um es zu bekommen. Unzweifelhaft hatte er den starken Einbruch seiner Noten nach der Grundschule bemerkt. Von einem Einser-Schüler zu einem konsequenten Vierer-Schüler zu werden, ohne erkennbaren Grund, war für ihn mit Sicherheit auffällig. Frau Kurami hatte immerhin bereits vor ein paar Monaten dieselben Schlüsse gezogen. Gepaart mit den Auskünften über seine Arbeit in der Firma, die er sich von Nici eingeholt haben musste, ergab sich für jeden guten Beobachter ein eindeutiges Bild. Und Seto Kaiba zählte eindeutig zu dieser Gruppe von Menschen. „Was noch?“, erkundigte er sich erneut. „Nun, unter anderem“, hypnotisierend langsam hob er seine Hand, „ist mir nicht entgangen, dass ich dich zu Unrecht beschuldigt habe.“ Noch bevor der Firmenchef wie geplant seine Handfläche auf Joeys Wange legen konnte, hielt dieser ihn mit seiner rechten Hand zurück. Noch einmal würde er einer solch sanften Berührung von Kaiba nichts entgegenzusetzen haben. Seine seit Jahren mühsam aufgebaute Immunität war seit dem Galaabend auf ein Minimum geschrumpft. Er wollte dem Firmenchef nicht noch mehr verraten, als er ohnehin schon zu wissen schien. „Welch weitreichende Erkenntnis, nachdem du mich vor allen Mitarbeitern als Saboteur bezeichnet und mich aus deiner Firma geworfen hast. Von dem Schlag in den Magen ganz zu schweigen.“ Ernst sah Kaiba ihn an, versuchte aber nicht, sein Handgelenk aus Joeys Hand zu lösen. „Es tut mir leid.“ Er war überrascht, wie leicht es ihm mit einmal fiel, diese vier kleinen Worte auszusprechen. Doch er war froh, es endlich gesagt zu haben. Nach all dem, was der Kleine für ihn getan hatte, war dies etwas, was schon lange überfällig war. Joeys Verteidigung wankte. Mit einer Entschuldigung hätte er nicht gerechnet. Nicht von Kaiba. Dennoch war er nicht glücklich darüber. Sein verletzter Stolz machte sich bemerkbar. Er wusste, dass es kindisch war, so zu reagieren, war Kaibas Glaube an ihn doch das, nach was es ihm im Innern die ganze Zeit verlangt hatte – doch er konnte sich nicht länger zurückhalten. „Das fällt dir reichlich früh ein!“ Der Firmenchef reagierte gelassen. „Was schwerlich nur meine Schuld ist. Du hättest es mir erklären können.“ „Das habe ich getan. Du wolltest meine Erklärung nicht hören.“ „Seit wann gibst du so schnell auf?“ „Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Dich anschreien?“ „Das wäre zumindest ein Anfang gewesen. Verdient hätte ich es“, gestand Kaiba zur Verwunderung Joeys ein und brachte ihn damit endgültig aus dem Konzept. Heute reagierte Kaiba an keiner Stelle so, wie er es tun sollte… Und das, obwohl er gerade so schön in Fahrt gewesen war! Es war einfach… komplett verrückt! Kaiba entschuldigte sich nicht nur bei ihm – er gab auch noch zu, dass er sich geirrt hatte. /Habe ich etwas verpasst? Den Weltuntergang vielleicht? Irgendwas stimmt hier nicht. Das geht alles zu… glatt./ Misstrauisch sah er den Anderen an. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Noch nie hatte Seto Kaiba ihm gegenüber einen Fehler eingestanden. „Ich… Du…“ Nur zusammenhanglose Worte verließen seinen Mund. „Sprachlos, Hündchen?“ Das kurz aufblitzende selbstgefällige Lächeln ließ Joeys Wut erneut hochkochen. Zähneknirschend sah er zu ihm auf. Der ganze angestaute Frust und die Enttäuschung darüber, dass Kaiba ihm dieses Verhalten überhaupt zugetraut hatte, ließen sich nicht länger zurückhalten. „Wisch dir das Grinsen aus dem Gesicht, Kaiba! FAKT ist, EGAL ob ich dich angeschrien, dir Briefchen geschrieben oder dich an einen verdammten Pfahl gebunden hätte, damit du mir zuhörst, DU hättest mir NIE geglaubt.“ „Wahrscheinlich nicht“, gab Kaiba unumwunden zu. Er hatte es inzwischen mehr als nur einmal bereut, den Jüngeren verdächtigt zu haben. Doch seiner Ansicht nach hatte Joeys Verhalten seiner Zeit auch nicht sonderlich dazu beigetragen, ihn etwas anderes glauben zu lassen. „Wie bitte sollte das deiner Meinung nach auch möglich gewesen sein? DU hast dich über MONATE in der Firma aufgehalten, OHNE mir etwas zu sagen. In der Schule streiten wir uns ANDAUERND. Außerdem hast du dich mehr als nur einmal mit mir angelegt. Wie bitte soll man da wissen, dass du einem HELFEN willst, statt zu sabotieren?!“ Joey hielt die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, zurück. Kaiba hatte Recht und er wusste es. Er hatte ihm keinen Anlass gegeben, ihm zu vertrauen – nicht in diesem Leben. Scheiße! Das war alles so verdammt… frustrierend! All diese Gefühle, die Kaiba vor vier Wochen in ihm hervorgerufen hatte, und nun nahm er ihm einfach den Wind aus den Segeln und damit auch seine einzige Möglichkeit, sich abzureagieren. Betretene Stille folgte. Ihm wurde bewusst, dass er noch immer das Handgelenk des Braunhaarigen umklammert hielt. Als hätte er sich verbrannt, ließ er den Anderen los. Schmunzelnd betrachtete Kaiba den von dem festen Griff befreiten Körperteil. Als wolle er prüfen, ob alle Glieder noch funktionsfähig waren, öffnete und schloss er die Hand mehrmals, ehe er wieder auf den Jüngeren sah. „Danke. Ich brauche meine Hand nämlich noch.“ Abschätzend besah Joey sich den roten Abdruck seiner Hand auf dessen Arm. „Man kann auch mit links schreiben.“ /Wie immer. Nie um eine Antwort verlegen/, stellte der ehemalige Hohepriester fest, während sein Blick liebevoll über das Gesicht des Kleineren glitt. „Ja, aber ich brauche zwei Hände, um dich festzuhalten, mein Hündchen.“ Diesen Spitznamen hatte der Blonde schon lange nicht mehr gehört. Doch er hatte nicht vor, darauf zu reagieren. Sich desinteressiert gebend, starrte er an Kaiba vorbei zur gegenüberliegenden Fensterfront. „Wozu? Du hast die Tür doch eh abgeschlossen? Was übrigens jeder Richter als ‚Freiheitsberaubung‘ verurteilen würde“, stellte er sachlich fest und flüchtete sich damit in ihr übliches Geplänkel. Kaibas Worte hatten ihn verunsichert. Er konnte unmöglich das meinen, was sein Herz in diesen verdammten Satz hineininterpretieren wollte – mehr als alles andere. Kaiba ging auf das Ausweichmanöver ein. Wenn auch nur kurzzeitig. „Das macht gar nichts. Das Kopieren von geheimen Firmendaten fällt unter ‚Industriespionage‘. Da macht jeder Richter eine Ausnahme, wenn der Dieb bis zum Eintreffen der Polizei an einer Flucht gehindert werden soll“, konterte Seto selbstgefällig. „Du irrst dich, ich habe nichts geklaut. Die Festplatte befindet sich noch immer in deinem Besitz“, wurde er umgehend berichtigt. „Ja. Weil du nicht schnell genug warst, um rechtzeitig zu entwischen.“ „Das ließe sich ändern“ „Die Tür ist abgeschlossen“ „Du hast den Schlüssel.“ „Um den zu bekommen, müsstest du ihn dir schon mit Gewalt holen.“ „Das lässt sich einrichten.“ Trotzig sah Joey nun doch zu ihm auf. „Das würdest du nicht tun.“ Eine Feststellung. „Lass es darauf ankommen.“ Mit blitzenden Augen ballte der Blonde seine rechte Hand zur Faust. Noch immer voller Selbstvertrauen, schüttelte Kaiba den Kopf. „Du könntest mich nie verletzen.“ Ein stechender Schmerz in der Brust. Joey zuckte zusammen. Beinahe glaubte er, den Hohepriester von damals vor sich zu sehen. Immerhin waren diese Worte… Damals, als er kaum in der Lage gewesen war, sein eigenes Wesen unter Kontrolle zu bekommen… Seine größte Angst hatte immer darin bestanden, jemanden… IHN… zu verletzen. Er hatte es Seth gesagt. Doch Seto Kaiba konnte das unmöglich wissen. War es möglich, dass… Nein. Er atmete tief ein. Beruhigte seinen Geist. 5000 Jahre Übung ließen es nicht zu, dass seine Gesichtszüge auch nur eine Regung zeigten, als er die leise Ahnung als Wunschdenken abtat und in die hinterste Ecke seiner Seele verbannte. „Was macht dich da so sicher?“, erkundigte er sich ausdruckslos. „Nun, unter anderem, dass du dann dein begehrtestes Modell verlieren würdest“, erklärte Seto. Der selbstgefällige Unterton des Größeren ließ Joey aufhorchen. Überrascht sah er auf die linke Hand des Firmenchefs, die er bis jetzt unbeachtet gelassen hatte. Mit Schrecken musste er mit ansehen, wie Kaiba damit begann, scheinbar interessiert in einem Skizzenbuch zu blättern. In SEINEM Skizzenbuch! Reflexartig sprang er vor, um es dem Größeren zu entreißen. „Wo hast du das her?!“ Kaiba hatte mit seiner Reaktion gerechnet, ließ das Buch fallen und fing Joeys Hände geschickt ein. Den Schwung ausnutzend, mit dem Joey in seine Richtung gehechtet war, zog er ihn in seine Arme. Sich mit Händen und Füßen wehrend, wollte Joey sich wieder losreißen. Ein kurzes Gerangel entstand, an dessen Ende sicher beide Kontrahenten mehr als nur einen blauen Fleck ihr eigen nennen durften. Doch es half alles nichts. Seto hatte den Kleineren fest im Griff – selbst als dieser verärgert die Zähne zusammenbiss und sich wie ein Aal in seinen Armen wandte. Ein Lachen schwoll in Kaibas Brustkorb an. Der Wunsch, Joey bis zur Weißglut zu ärgern, war offenbar eine Eigenschaft, die er erst in seinem Leben als Seto Kaiba entwickelt hatte. Und er genoss sie in vollen Zügen! Der Jono von früher war oft über die Maßen beherrscht gewesen und hatte im Gespräch mit ihm meist – es sei denn er hatte sich ihm hingegeben - einen kühlen Kopf bewahren können. Doch auch das schien sich in den letzten 5000 Jahren verändert zu haben. Seto Kaiba/Seth hatte nichts dagegen. Grinsend betrachtete er sich die Befreiungsversuche des Blonden. Nur selten in den letzten Jahren, hatte er so viel Freude verspürt, wie in diesem Moment. Er liebte ihn! Sein ganzes widerspenstiges, freches Wesen. Jetzt und für immer. Und es war an der Zeit, dass Joey das auch erkannte. „Lass mich los!“, forderte dieser aufgebracht und erhitzt von dem Versuch, sich zu befreien. Früher wäre es kein Problem für ihn gewesen, sich aus dem Griff des Größeren zu lösen. Sein Körper war allerdings längst nicht so trainiert wie damals. In dieser Position war Kaiba ihm inzwischen überlegen und konnte ihn ohne allzu große Mühe am Weggehen hindern. Heißer Atem perlte über seine Haut, als dieser ihm einen liebevollen Kuss auf seinen Nacken drückte. Inzwischen stand er mit dem Rücken an den Firmenchef gelehnt, seine Arme vor der Brust gekreuzt und von Kaiba festgehalten. Er hatte ihm jede Chance, sich zu wehren, genommen. Verschnürt wie ein Paket, gab es keine Möglichkeit der warmen Brust des Anderen zu entkommen. Warum tat Kaiba das? Hatte er seine Zeichnungen von ihm gesehen? Wollte er sich über ihn lustig machen? Tränen der Wut stiegen in seine Augen. Er wollte das alles nicht mehr! Schon vor Jahrhunderten hatte er sich damit abgefunden, dass Seth ihn niemals wiedererkennen, ihn nie mehr lieben würde – obwohl er es einst geschworen hatte. Nun so in seinen Armen zu liegen, seinen Herzschlag an seinem Rücken zu spüren, war nichts weiter als Folter, nichts weiter als Qual für ihn. „Lass mich los“, bat er leise, flüsternd. „Lass mich los!“ Doch statt seine Bitte zu erfüllen, zog Kaiba ihn noch dichter an sich. Drückte ihn an seinen Oberkörper. Atmete leise ein und aus, so dass sein Atem sanft über seine Haare strich. „Nie mehr, Joey. Nie mehr. Ich sagte dir doch: Ab jetzt werde ich dich mit beiden Händen festhalten.“ Ein weiterer liebevoller Kuss auf seinen durcheinandergewirbelten Haarschopf folgte. Die Kappe des Pizzaboten war ihm bei dem Handgemenge längst vom Kopf gerutscht. „Weißt du…“, begann Seto leise, flüsternd, „ich habe mich immer gewundert, warum du dich für Anubis als Schutzgott entschieden hast. Wo Bastet doch auch so gut zu dir gepasst hätte, meine kleine Wildkatze.“ Joeys Glieder versteiften sich. Kaiba sagte nichts. Er wartete, bis seine Worte in den Kopf des Blonden vorgedrungen waren. Da er Joey an seinen Handgelenken festhielt, konnte er spüren, wie sich dessen Puls schlagartig erhöhte. Der schmale Körper hörte auf, sich zu winden, verharrte in Bewegungslosigkeit. Seine Worte waren angekommen. Ein unkoordiniertes Zittern erfasste den Blonden. Vorsichtig löste er seinen Griff. Der Kleinere bewegte sich nicht. Ihn sicherheitshalber dennoch weiter leicht an den Schultern berührend, drehte er ihn langsam zu sich. Zärtlich nutzte er seinen Zeigefinger, um ein paar der Tränen aus Joeys schreckgeweiteten Augen zu streichen. Kein Blinzeln verriet, dass er diese Geste bewusst wahrnahm. „Ich liebe dich, Jono.“ Gleich einem Donnerschlag brachten diese Worte wieder Leben in die Augen des Anderen. Auf das, was nun kam, war Seto allerdings nicht vorbereitet. Nur einen Augenaufschlag später hatte er bereits eine Faust in seinem Magen, zwei weitere in seiner rechten Seite sowie in seinem Gesicht. „DU ARSCHLOCH!“, schrie Joey ihn aus vollem Hals an. Einen vierten, fünften und sechsten Schlag konnte er gerade noch abwehren. Nach Luft schnappend, sah Kaiba auf den zitternden Körper vor sich. Offenbar hatte der Kleinere seine Bewegungslosigkeit recht schnell überwunden. Nun, er hatte auch früher schon eine bedauernswert rasche Auffassungsgabe besessen. Die geballte Faust an der Seite, brach eine wahre Sintflut von Tränen aus dem Blonden hervor. Allein dieser Anblick ließ Seto alle eben zugefügten Schmerzen vergessen. Weder Jono noch Joey waren jemals nahe am Wasser gebaut gewesen – selten hatte er den Blonden weinen gesehen. Er gab zu, er wusste schlicht nicht, wie er sich verhalten sollte. Ein Gefühl von hilfloser Überforderung breitete sich in ihm aus. Unter allen von ihm bedachten Möglichkeiten, wie Joey auf sein ‚Ich liebe dich, Jono‘ hätte reagieren können, waren weder ‚Schläge in den Magen‘ noch ‚Kinnhaken‘ in Erwägung gezogen worden. Mit einem wütenden Joey konnte er umgehen. Auch ein weinender Joey sorgte bei ihm nur bedingt für Probleme. Aber ein wütender UND weinender Joey, der ihn obendrein auch noch verprügelte, stellte ihn vor ein wahres Rätsel. Aber wer wusste schon, auf welch merkwürdige Art der Blonde in seinem neuen Leben seine Liebe ausdrückte? Schniefend und noch immer am ganzen Körper zitternd, versuchte Joey ihn aus rot geweinten Augen nieder zu starren. „Du hast dir verdammt lange Zeit gelassen“, ließ sein Hündchen ihn endlich wissen. Seto Kaiba/Seth ging ein Licht auf. Er atmete auf. Auf Joeys Reaktion bedacht, immerhin würde eine geschwollene Wange am nächsten Morgen vollkommen ausreichen, trat er vorsichtig näher. Belustigt aufstöhnend, zog er Joey in seine Arme. Der Blonde ließ es widerstandslos geschehen. „In Ordnung. Du hast gewonnen. Ich gebe zu, in diesem Punkt habe ich mich geirrt. Du KANNST mich verletzen. Und das offenbar ohne größere Probleme.“ „Ich hasse dich“, konnte er murmelnd an seinem bereits vollkommen durchnässten Anzug vernehmen. Beruhigend strich er Joey über den Rücken. „Ich weiß.“ „Ich hasse dich.“ „Ich weiß.“ Immer wieder versicherte Joey ihm, wie wenig er ihn leiden könne und wie sehr er ihn verabscheue, während er sich zugleich zitternd an ihn klammerte. „Ich hasse dich!“, stellte Joey abermals fest. Nach dem siebenundzwanzigsten Mal wurde es Kaiba dann doch zu bunt. „Weil du nicht ohne mich leben kannst“, stellte er unumwunden klar. Mit verweinten Augen und erfolglos nach einer Möglichkeit suchend, wütend auszusehen, sah Joey auf. „Du irrst dich. Das konnte ich all die Jahre ganz ausgezeichnet.“ Ihm war egal, dass er sich gerade anhörte wie ein trotziges Kind. Breit grinsend nickte Kaiba zu dem noch immer vereinsamt am Boden liegenden Skizzenblock. „Ja, so ausgezeichnet, dass du deine Augen nicht von mir wenden konntest. Oder warum sind da so viele Zeichnungen von mir drin?“ „Zum Stressabbau. Wenn das Buch voll ist, wollte ich es in Gedenk an dich verbrennen“, klärte ihn der Blonde voller Starrsinn auf. „Das wäre aber viel zu schade. Wo ich doch in manchen deiner Bilder so überaus sexy aussehe.“ Es stimmte. Joey hatte an Tagen, an denen er allzu sehr mit der Sehnsucht zu kämpfen gehabt hatte, Seth aus seiner Erinnerung heraus auch nackt gezeichnet. Das letzte Bild dieser Art war nach ihrem gemeinsamen Bad in Kaibas Pool entstanden. Wie hätte er sich auch die Gelegenheit entgehen lassen können? Einen Seto mit einem vollkommen durchnässten und am Oberkörper klebenden T-Shirt, bekam man immerhin nicht allzu oft zu Gesicht. Und einen Fotoapparat hatte zu dem Zeitpunkt niemand zur Hand gehabt. Das einzige, was übrig blieb, war sein photographisches Gedächtnis, mit dessen Hilfe er all die Muskelstränge, die sich unter dem T-Shirt abgezeichnet hatten, später auf Papier gebannt hatte. Trotz dieser offensichtlichen Beweise, stritt er die Tatsachen weiter rundheraus ab. „Du solltest dich untersuchen lassen. Offenbar leidest du an einer besonders schweren Form der hoffnungslosen Selbstüberschätzung.“ Schniefend wischte er sich mit dem Ärmel seines T-Shirts die Augen trocken und nahm gleichzeitig dankend ein blütenweißes Stofftaschentuch von Kaiba entgegen. „Ich glaube nicht. Und ich beweise es dir.“ Kapitel 40: Nur du ------------------ Eine dicke Entschuldigung an alle Leser, dass es diesmal so lange gedauert hat. Derzeit unterliegt diese FF einer Beta-Korrektur auf Rechtschreibung und Grammatik, da ich noch immer über viele kleine Fehler stolpere. Mein Dank gebührt der lieben Betaleserin, welche dieses Korrekturlesen auf sich genommen hat. Ich bitte daher darum, die etwas verlangsamte Veröffentlichung zu entschuldigen. Auf diese Weise wird der Lesegenuss jedoch in jedem Fall noch einmal gesteigert, da man nicht ständig über Fehler stolpert. Danke für Euer Verständnis! @hammamoto: Du hast ja schon gelesen, warum es diesmal länger mit dem Hochladen dauerte. Ich hoffe, dass du das Kapitel trotzdem noch liest. ^_^ Tjaja... Was die restlichen Prozente anbelangen kann ich nur sagen, dass auch im wahren Leben eine Liebeserklärung nicht ausreicht, damit danach alles in Butter ist. Außerdem schwirren da noch viel zu viele nicht verwobene Enden in der Geschichte herum, die ich alle noch zusammenbringen möchte - denn ich habe mir bei jedem kleinen Handlungsstrang auch etwas gedacht. Sie sind ja nicht zum reinen Selbstzweck von mir erschaffen worden. ^.~ Also lass dich überraschen. *g* @Lunata: Überrascht über Joeys Reaktion? Warum? *unschuldig guck* Wenn man gute 5000 Jahre von jemandem ignoriert wird, staut sich schon einiges kann. Wenn es mir so ginge würde ich demjenigen vermutlich auch gern einen Denkzettel verpassen. ^_^ Außerdem ist dieser 'ich falle dir in die Arme, küsse dich und dann ist alles vergessen und wir lieben uns auf ewig' - Kram nicht ganz mein Ding. Zu einfach. Immerhin sind wir hier nicht auf nem Ponyhof, wie ich mal eine Freundin sagen hörte. *G* @hema: Nun, deine Frage lässt sich hier und heute endlich beantworten - insofern du auch adult - Kapitel lesen kannst. ^_^* Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass du es kannst. Schön, dass dir die doch sehr lang geratene Geschichte bis hierhin schonmal so gut gefallen hat und du sie trotz der vielen Kapitel spannend findest. ^_^ *freu* @KC8: jup. Endlich. Hat ja auch lang genug gedauert. Nur so ca. 40 Kapitel. *G* Aber schimpf nicht immer auf Kaiba. Ich meine .... guuuuut.... 5000 Jahre sind schooooon laaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaang. Aber mal ehrlich, wenn man mal nur sein derzeitiges Leben betrachtet, ging es doch recht schnell. Ca ein Jahr, wenn man die Zeit seit Joeys Unfall rechnet. Das ist im Vergleich zu 5000 Jahren doch eigentlich ganz in Ordnung. ^_^* @KFutagoh89: Coole Umsetzung? Dankeschön. ^^ @Rockryu: *G* Jup. Unorthodox aber sehr aussagekräftig. Und Joey war auch als Jono schon nicht der Typ zum schnellen 'Ich liebe dich und alles ist gut'-sagen. ^.~ @LeaGraywolf: Ich wage mal zu behaupten, dass es bei Setos Ausstattung und Technikbegeisterung maximal eine Minuten in Anspruch genommen hätte, den Rechner hochzufahren. Also kein nennenswerter Unterschied. ^_^* Danke für den Hinweis auf den Schreibfehler. Und Koino kannst du Folgendes ausrichten, wenn sie das hier nicht gerade selber lesen sollte: 1. Danke. 2. Ich beiße nicht. 3. Selbst wenn ich beißen würden Monitor und Tastatur und die unendliche Entfernung im www sie vor etwaigen sichtbaren Folgen bewahren. *smile* @shakti: Danke für deinen Kommi. ^^ Na mal sehen, ob du das nächste Kapitel auch süß findest. *gg* ________________________________________________________________________________________ Die Zähne Setos blitzten auf, als sich seine Lippen zu einem provozierenden Lächeln verzogen. Ohne Joey aus den Augen zu lassen, streifte er langsam die weiße Jacke seines Anzuges ab und ließ wenig später sein hellblaues Hemd folgen. Verblüfft schaute der Blonde zu, wie er sich all seiner Oberteile entledigte. Mitten im Büro. Vor seinen Augen. Helle Haut spannte sich über feste Muskeln und einen gut gebauten Oberkörper. Er sah dem aus seiner Erinnerung verblüffend ähnlich. Alle Tränen waren versiegt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte Rah den neuen Körper von Seth ruhig weniger anziehend modellieren können – er hatte auch angezogen schon genügend Einfluss auf seine Hormone, geschweige denn in halbnacktem Zustand. „Seth, ich… wir…“ Ein Finger an seinen Lippen hinderte ihn am Weitersprechen. „5000 Jahre, Jono… Und all die vergangenen Wochen, in denen du mich schier in den Wahnsinn getrieben hast. Erwarte nicht von mir, dass ich dich wieder gehen lasse, ohne dass sich auch dein Körper wieder daran erinnert, zu wem er gehört.“ Joeys Lippen pressten sich fest zusammen. Er musste unbedingt etwas trinken. Sein Mund fühlte sich staubtrocken an. Fasziniert verfolgte er, wie Setos Hände weiter zu seiner Hose wanderten, nur um dort langsam und aufreizend den ersten Knopf zu lösen und den Reißverschluss hinuntergleiten zu lassen. Der Blonde schluckte vernehmlich. Die Hose, nun ihres Halts beraubt, begann quälend langsam bis auf die Hüfte hinab zu rutschen. Ihn noch immer mit seinen Augen an Ort und Stelle bannend, trat Seto wieder einen Schritt näher. Scheinbar interessiert sah er zu Joeys Schritt hinab und studierte zufrieden die deutlich sichtbare Erhebung in dessen Hose. „Wie mir scheint, liege ich mit der Einschätzung meiner Wirkung auf dich nicht vollkommen daneben.“ Für seine Verkleidung als Pizzabote hatte er sich für eine sehr enge und schon leicht verschlissene Jeans entschieden, da diese am ehesten den Eindruck vermittelte, zu einem mittellosen Studenten zu passen. Das deutliche Abzeichnen seines erregten Zustandes unter dem dünnen Stoff, ließ ihn seine Entscheidung allerdings bereits wieder bereuen. „Pure Einbildung.“ Joey wusste, dass diese Worte nichts anderes als eine Einladung für Seto waren – und dieser wusste es ebenfalls. „Ich denke nicht.“ Mit einem verführerischen Lächeln griff Seto nach seinem T-Shirt und zog es aus seiner Hose. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kniete er sich anschließend vor den Blonden und öffnete auch dessen Hosenbund Knopf für Knopf. Immer wieder streifte er dabei über dessen empfindliche Haut knapp unter dem Bauchnabel. Jedes freie Stück Haut wurde mit einem zärtlichen Kuss begrüßt. Nach gefühlten sieben nervenzehrenden Minuten, hatte er schließlich den letzten der drei Knöpfe geöffnet und schob seine Hose quälend langsam hinunter. Er konnte fast das ganze Glied des Blonden vor sich sehen, umrahmt von einem Kranz heller gelockter Haare. Die empfindliche Spitze des Jüngeren beließ er jedoch in der Hose, so dass sich der Schaft nicht gänzlich aufrichten konnte. Neckend rieb er mit seiner Nasenspitze über das erregte Glied. Unter seiner Berührung schwoll es ein weiteres Stück an. Zufrieden vernahm Seto ein verhaltenes, erregtes Stöhnen über sich. Hätte Kaiba nicht abgeschlossen, wäre seine Sekretärin beim Eintreten in das Büro ihres Chefs auf ein höchst irritierendes Bild getroffen. Man konnte sicher sein, dass niemand Kaiba je in dieser Position gesehen, geschweige denn überhaupt vermutet hätte, dass er diese je einnehmen würde: Halbnackt in seinem weißen Geschäftsanzug kniend vor einem blonden jungen Mann, während er dessen Schaft mit seiner Zunge neckte und verwöhnte. Der blonde Mann wiederum, musste sich inzwischen an der Schulter des Firmenchefs festhalten, um sicher zu stellen, dass seine Beine nicht unter ihm nachgaben. Schwer atmend stand Joey vor ihm. Kaiba genoss es zu sehen, wie viel Macht er über den Blonden hatte. In den vergangenen Wochen hatte er sich immer wieder vorgestellt, wie erregend es sich anfühlen musste, wenn Joseph Jay Wheeler sich ihm ganz hingäbe. Wenn allein ein Streicheln mit seinen Fingern ausreichend wäre, ihn am Weitersprechen zu hindern. Wie es wäre, wenn Joey unter ihm stöhnen und sich aufbäumen würde. Wenn all seine Gedanken nur noch auf ihn gerichtet wären. Doch all das hatte sich nur in seiner Fantasie abgespielt, in seiner eigenen kleinen Gedankenwelt. Alles verschwommen, vage. Seit er seine Erinnerungen zu einem großen Teil wiedererlangt hatte, waren die Bilder in seinem Kopf klarer geworden. Detaillierter. Doch das hatte alles noch schlimmer gemacht. Diese Erinnerungen waren ganze 5000 Jahre alt - wie ein Foto verblasst. Mehr als alles andere hatte ihn seit dem Galaabend die Frage bewegt, ob Joey sich ihm ebenso hingeben würde, wie es einst Jono getan hatte. Was war mit seinem Geruch? Dem Gefühl seiner Haut unter seinen Fingern? Seiner Stimme, seinem Stöhnen, wenn er sich in seinen Armen wand? Was hatte sich verändert? Was war so geblieben? Schon vor der Rückkehr seiner Erinnerung, auf der Galaveranstaltung, hatte er festgestellt, dass er es sehr erregend fand, Joey so in der Hand zu haben, ihn zu reizen und zu necken. Und er wollte mehr davon! Er wollte, dass Joey sich nach ihm verzehrte, darum bettelte, dass er in ihn eindrang, nur noch ihn sah. Der Gedanke, Joey hätte in diesem Leben jemand anderen finden können, noch bevor er seine eigenen Erinnerungen wiedererlangt hätte, machte ihn beinahe krank. Er wollte Joey für sich. Niemand anderes durfte ihn berühren, ihn zum Stöhnen bringen. Erst jetzt, da er ihn wiedergefunden, sich erneut in ihn verliebt hatte, erkannte er, wie grau sein Leben vorher gewesen war. Grau und kalt. Keine Farben. Kein Lachen. Kein Licht. Einsam. Leer. Ein Leben ohne ihn, konnte – wollte – er sich nicht mehr vorstellen. Denn nicht einmal Mokuba hatte vollbracht, was der Blonde vor ihm mit nur einem Blick, nur einer Berührung geschafft hatte. Diese Person allein, diese Seele, konnte die große Leere in ihm ausfüllen und die Kälte verbannen. Aufstöhnend zuckte er zusammen. Ein Bein von Joey hatte sich, von ihm unbemerkt, vorgeschoben. Vorwitzig drängte es sich zwischen seine Schenkel und rieb nun leicht über seine eigene Erregung, die bereits seit geraumer Zeit nach mehr Freiraum verlangte. Fragend sah er zu den lustverhangenen Augen über ihm. „Was soll das werden, wenn es fertig ist, Seth? Willst du uns beide in den Wahnsinn treiben?“ Ein verführerisches Lächeln auf den Lippen, ließ Kaiba seine Hand zu Joeys Schritt wandern und befreite nun endlich auch dessen feuchte Spitze aus ihrer Gefangenschaft. Aufreizend langsam strich er mit seinem Finger das heiße pochende Glied entlang. „Nein. Nur dich.“ Noch bevor Joey etwas sagen konnte, hatte der Braunhaarige bereits seine Lippen um den Schaft des anderen geschlossen und saugte genüsslich daran. Keuchend krallte Joey sich fester in Kaibas Schultern. Voller Hingabe und Freude begann Kaiba, das gesamte Glied von Joey mit seinem Mund zu verwöhnen, ohne ihn jedoch bis zum Äußersten zu treiben. Ohne Erbarmen ließ er den Blonden stets zwischen zärtlicher Süße und haltloser Verführung auf einem schmalen Grat mal in die eine, mal in die andere Richtung treiben. „Ich hasse dich!“, stöhnte Joey. Der Blonde konnte spüren, wie sich die Lippen des Firmenchefs um sein Glied herum zu einem halben Grinsen verzogen. Als wären seine Worte eine Aufforderung für ihn, glitt die Zunge des vor ihm Knienden flink und schnell, wie die Flügelschläge eines Schmetterlings, über die Spitze seines Gliedes, ehe er ihn kurz vor seinem Höhepunkt freigab. Ein erneutes ungehaltenes Stöhnen war die Antwort. „Im Gegenteil. Du liebst es, wenn ich dich zum Stöhnen bringe.“ Herausfordernd massierte er den Hintern von Joey mit seinen großen, warmen Händen. Abermals wollte er dabei seine Lippen über das Glied des Anderen streifen lassen, wurde jedoch rüde unterbrochen. Mit einem gezielten Griff hatte Joey ihn fest an den Schultern gepackt, leicht gedreht und auf den Boden gedrückt. Noch in der gleichen Bewegung setzte sich der Jüngere auf die Hüfte des Braunhaarigen und hinderte Kaiba so daran, sich wieder zu erheben. „Dieses Spiel können auch zwei spielen, Seth. Und ich spiele gut“, ließ Joey ihn wissen. Offenbar wurde der Blonde es nicht müde, ihn immer wieder bei seinem alten Namen zu nennen. Es war beinahe, als wolle er sich selbst davon überzeugen, dass das alles wahr sei und er nicht träume. Unter halb geschlossenen Lidern sah Seto zu ihm auf. „Das stimmt. Du bist ein würdiger Gegner. In jeder Hinsicht.“ Fasziniert betrachtete er die Gestalt über sich. Bisher hatte er Joey noch nicht von seinem T-Shirt befreit, nun reute es ihn, dass er daran nicht gedacht hatte. Zu gern hätte er den Oberkörper genauer betrachtet. Doch das ließe sich ja ändern. Flink glitten seine Hände von Joeys Hüften höher und mogelten sich unter dessen T-Shirt, wo ihn zwei kräftige Hände am Weiterwandern abhielten. Mit festem Griff hielt Joey ihn auf und führte seine Hände über dem Kopf von Kaiba zusammen. „Tz tz tz.“ Mahnend und diebisch grinsend sah Joey auf ihn hinab. „Nur gucken, nicht anfassen.“ „Teufel“, stellte Seto fest, dessen Hände über ihm zwar nicht mehr festgehalten wurden, die er aber auch nicht dort wegbewegen würde. Er hätte es jederzeit tun können, doch er wusste, dass er sich selbst damit ein unsägliches Vergnügen versagen würde. „Wie du meinst“, stimmte Joey ihm beiläufig zu, während er ein Stück nach hinten rutschte, so dass er nun den Hosenbund von Kaiba vor sich hatte. Sich lasziv über die Lippen leckend, betrachtete er den geöffneten Reißverschluss vor sich. Ebenso langsam wie Kaiba zuvor, zog er die Hose des Anderen weiter hinunter und entließ das steife, pochende Glied in die Freiheit. Wie lange hatte er nicht mehr von diesem heißen Fleisch gekostet?! Hungrig sah Joey auf das Glied hinab. Zögernd, als erwarte er immer noch, jeden Moment aufzuwachen, nahm er die Erregung von Seto in die Hand. Ihn langsam erkundend, strich er jede kleine Ader von oben nach unten und wieder zurück. Fasziniert betrachtete er, wie sich das Glied unter seiner Berührung weiter aufrichtete. Er konnte spüren, wie es unter ihm von Kaibas Körper mit Unmengen an Blut versorgt wurde. Zärtlich spielte er mit den Haaren, die den steifen Schaft umgaben und genoss die Laute, die er Kaiba mit seinem Tun entlockte. Noch während er seine Lippen auf die Spitze seiner Erregung sinken ließ, behielt er ihn weiter fest im Blick und stellte sicher, dass Kaiba ihm bei dem, was er tat, zusah. Immer, wenn er vor Lust die Augen schließen wollte, hörte er auf. So blieb dem unter ihm Liegenden nichts anderes übrig, als sich dieser Tortur seines Körpers komplett zu ergeben und bewusst zuzusehen, wie Joey ihn verwöhnte und mit seinen Lippen und seiner Zunge reizte. Mit jedem Saugen, Beißen und Streicheln von Joeys Mund, nahm seine Erregung weiter zu, bis er glaubte, innerlich explodieren zu müssen. Seine Hände zuckten. Zu gern hätte er sie in Joeys blonde Haare vergraben, doch er wusste, dass dieser dann mit seinem Tun aufhören würde. „Wie mir scheint, bist du ebenfalls nicht in der Lage, die Augen von mir abzuwenden“, neckte Joey ihn, während er kurz darauf mit seiner Zunge von der Wurzel bis zur Spitze strich. Stöhnend bäumte Seto seine Hüfte nach oben. Zumindest wollte er es tun. Da Joey aber nach wie vor auf ihm saß, waren seine Möglichkeiten, sich selbst Erleichterung zu verschaffen, stark begrenzt. „Joey!“ Unschuldig blinzelnd sah dieser ihn an. „Ja?“ Ein Blick aus lustverhangenen Augen, ließ ihn deutlich hörbar schlucken. Setos Stimme war rau und jagte ihm heiße Schauer über den Rücken. „Ich will dich, Joey.“ In Ordnung. Das war zu viel. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, Kaiba als kleine Strafe für all das, was geschehen war, noch länger zappeln zu lassen, doch er selbst war bereits an seinem Limit angelangt. Geschickt ließ er daher seine eigene Hose nach unten gleiten, ehe er sich wieder über den Braunhaarigen kniete. Gezielt suchte er nach seinem eigenen Eingang und begann diesen vor den Augen des Anderen zu streicheln und zu massieren. Mit ein paar Tropfen Spucke versuchte er, einen Finger in sich gleiten zu lassen. Er liebte Kaiba und er wollte am liebsten sofort von ihm genommen werden, doch in diesem Leben war es das erste Mal, dass ein Mann in ihn eindrang – er musste Vorbereitungen treffen, sonst würde es unnötig wehtun. Das schien auch Kaiba zu wissen, denn kurz darauf wurde seine Hand zurückgeschoben und durch eine andere, größere ersetzt. Während die rechte Hand sein Glied streichelte, massierte die linke weiter seinen Eingang. „Seth, nicht! Wenn du so weiter machst, dann…“, aufstöhnend hielt Joey inne. Sein ganzes Sein war auf die zwei Hände vor und hinter ihm ausgerichtet. Ihn immer weiter streichelnd, erhob sich Seto schließlich und drängte den Anderen zurück. Kurz nur unterbrach er sein Tun, um Joey umzudrehen, so dass er nun hinter ihm kniete und Joey ihm seinen Hintern entgegenstreckte. Während er seinen Schaft weiterstreichelte, begann er zugleich die Rosette an seinem Eingang mit der Zunge zu verwöhnen. Ein Keuchen von Joey sagte ihm, dass er den Blonden damit ein weiteres Mal an seine Grenzen brachte. Genugtuung wallte in ihm auf. Nur er konnte dem Blonden diese Laute entlocken. Das raue Kratzen, das heisere Stöhnen, die kleinen, lustvollen Schreie, das Schnappen nach Luft… all das gehörte ihm und niemandem sonst. Um sicherzustellen, dass Joey dies auch wusste, intensivierte er das Lecken seiner Zunge an seinem Eingang ein weiteres Mal und ließ auch seine Hand schneller über ihn gleiten. Mit der anderen Hand massierte und streichelte er das Steißbein, ein Punkt, an dem Jono schon früher während ihrer Vereinigung sehr sensibel und empfindlich reagiert hatte. Ein erneuter Laut voller Lust bestätigte ihm, dass sich das nicht geändert hatte. Immer schneller werdend, ließ er seine Hand vor- und zurückgleiten und fing zugleich auf Joeys Vorderseite die ersten Lusttropfen ein. Diese nutzte er als provisorisches Gleitgel und ließ einen damit befeuchteten Finger langsam in das Innere des Knienden wandern. „Seth!“ Das war zu viel. Bereits dieser erste Finger hatte ausgereicht, ihn über die Klippen zu treiben. Stöhnend bäumte er sich auf. Ein kleiner Schrei entrann seiner Brust. Sein Körper krümmte sich voller Erregung, als er vor Kaiba zusammensackte. Schwer atmend blieb er liegen. Doch Kaiba hatte kein Erbarmen. Fest zupackend, zog er Joeys Hintern erneut in die Höhe und nutzte die an Joeys Glied, Beinen und seiner Hand klebende Flüssigkeit dazu, mit einem weiteren Finger in Joey einzudringen. Dies sandte neue Schauer über den Rücken des Anderen. Langsam begann Seto damit, Joey mit seinen Fingern zu dehnen. Immer wieder glitt er mit zwei Fingern hinaus und hinein und ließ schon bald einen dritten dazukommen. Auch seine zweite Hand hatte wieder ihre Arbeit aufgenommen und streichelte erneut das Glied des Blonden. Dieser wurde auf Grund des über Jahrhunderte vermissten Gefühls der Nähe und der erregenden Zärtlichkeit abermals steif. Doch Kaiba ließ nicht ab von seinem Tun, bis er nicht ganz sicher war, dass er Joey genügend vorbereitet hatte. „Seth, bitte!“, bettelte Joey leise. Doch dieser hatte noch immer nicht genug davon, Joey weiter zu reizen. Fies grinsend, richtete er sich auf und stieß mit seiner Spitze mehrmals an den Eingang des Anderen, nur um sich dann doch nur zwischen die Beine des Blonden zu drängen. Mit langsamen Bewegungen glitt er vor und zurück, ohne in ihn einzudringen. Mit jedem Stoß wurde die empfindliche Haut rings um seinen Schaft weiter gereizt. Immer weiter erhöhte Seto das Tempo und verschaffte sich selbst dabei Genugtuung. „Hör auf! Bitte! Ich will dich in mir. Nicht so! Bitte, Seth!“, bettelte der Blonde, doch Kaiba ignorierte ihn. Mit festen Griff strich er mehrmals gezielt über die Spitze des Gliedes seines Freundes. Stöhnend ergoss sich Joey wenig später erneut über den Boden und auch Kaiba fand kurz nach ihm Erlösung. Am ganzen Körper zitternd vor Erregung und Erschöpfung, lag Joey vor ihm. Doch noch war Seto nicht mit ihm fertig. Er wollte mehr! Ohne ihm lange Ruhe zu gönnen, hob Kaiba ihn auf seine Arme und ging hinüber zu seinem Schreibtisch. Energisch schob er die ganzen Papiere zur Seite. Unbeachtet von den zwei Liebenden, fielen sowohl ein Locher als auch ein Behälter voller Stifte scheppernd zu Boden. Keiner der beiden hörte es und es wäre ihnen in diesem Moment auch sicher egal gewesen. Vor allem Kaiba, der Joeys Oberkörper auf die kalte Platte legte. Schauer rannen über dessen Körper, als die heiße Haut mit dem kalten Glas zusammentraf. „Was…?“, wollte Joey fragend wissen, doch da hatte Kaiba ihn schon umgedreht, und fixierte seine Brust auf dem Tisch. Fordernd schob er die Beine von Joey aus einander und lehnte sich selbst halb auf ihn, so dass er keine Chance hatte, ihm zu entkommen. Sehnsüchtig vergrub er seine Hände in den langen Haaren des Kleineren und zog dessen Kopf leicht zu sich zurück. „Ich liebe dich, Joey. Ich werde nie genug von diesem Körper… deinem Körper, bekommen. Nur, damit du es weißt, ich habe nicht vor, dich je wieder gehen zu lassen. Du gehörst mir“, wisperte er leise in das Ohr des unter ihm Liegenden. „Das hast du schon einmal gesagt.“ Bestätigend setzte Kaiba einen langen Kuss auf den sensiblen Punkt zwischen seine zwei Schulterblätter. Der Blonde erschauerte. „Und es ist noch genauso wahr wie vor zwei Tagen. Genauso wahr, wie vor 5000 Jahren. Daran wird sich nie etwas ändern.“ Langsam ließ er seine Hände nach unten gleiten und streichelte ihn erneut zwischen seinen heißen, empfindlichen Schenkeln. „Ich werde dafür sorgen, dass dein Körper das nicht vergisst.“ Ohne ihn noch einmal vorzuwarnen, spreizte er die Beine von Joey ein wenig weiter und versenkte seinen Schaft mit nur einem Stoß in die heiße, verführerische Enge von Joey. Dieser biss sich vor Überraschung auf die Lippen, um nicht doch aufschreien zu müssen. „Ich werde dich nehmen, auch wenn du nicht mehr kannst und ich werde dafür sorgen, dass niemand sonst diesen Körper so befriedigen kann, wie ich.“ Langsam zog er sich zurück, nur um sofort wieder kräftig vorzustoßen. Dieses Mal konnte Joey sich nicht mehr zurückhalten. Ein kleiner Schrei perlte über seine Lippen, doch es war gut so. Er brauchte diesen Schmerz, um sicher zu sein, dass das alles kein Traum war. Dass Seto Kaiba – Seth! – ihn liebte und sich an ihn erinnerte. Insgeheim fragte er sich für einen Augenblick, was Seth wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass es außer ihm nie einen anderen gegeben hatte? Wenn er wüsste, dass sein Körper sich schon jetzt nur ihm hingeben konnte und nur auf seine Berührung so empfindlich reagierte? Sicher hatte er sich in den vergangenen 5000 Jahren hin und wieder Erleichterung verschafft, doch niemand hatte ihn je so genommen, je so befriedigt und ganz für sich vereinnahmt wie Seth es getan hatte. Doch schon drang besagter ehemaliger Hohepriester erneut in ihn ein und löschte all seine Gedanken aus. Inzwischen folgte Stoß auf Stoß. Schon bald war der erste Schmerz überwunden und wurde durch ein Gefühl absoluter Erregung und Lust ersetzt. Immer und immer wieder stieß Seto zu und versicherte ihm mit jedem Mal, dass er ihm gehörte und niemandem sonst. Das war alles, nach was es ihm je verlangt hatte. Stöhnend fanden sie gemeinsam Erlösung. Nahe am Rande der Bewusstlosigkeit, sank Joey zusammen und blieb nahezu regungslos mit dem Oberkörper auf der Tischplatte liegen. Schwer atmend drehte er den Kopf zur Seite und starrte mit glasigen Augen ins Leere. Noch immer fühlte er Seto in sich. Als dieser sich zurückzog, spürte er, wie der Beweis ihrer Vereinigung langsam an seinen Beinen hinunterlief. Bereits wenig später kam der Braunhaarige jedoch wieder zu ihm, in der Hand sein eigenes Hemd, und säuberte ihn umsichtig. Umsichtig nahm er den Blonden auf seinen Arm und bettete ihn vorsichtig auf einer der Ledercouchen. Ebenfalls erschöpft, ließ er sich vor der Couch neben ihm nieder. Liebevoll sah er auf das verschwitzte Gesicht des Blonden. Er selbst gab sicher ein ähnliches Bild ab. Er vermutete, dass seine Haare ebenfalls zerzaust waren und fragte sich, unpassender Weise, wie er seiner Sekretärin nachher erklären sollte, dass er ohne sein Hemd nach Hause ging. Doch dann schüttelte er innerlich den Kopf. Die Frau war seine Sekretärin, er bezahlte sie nicht dafür, dass sie sich über sein Privatleben den Kopf zerbrach. Zärtlich strich er Joey eine Strähne aus den Augen. Immer noch kaum in der Lage, sich selbst zu bewegen, sah dieser ihn an. Stumm studierte er das geliebte Gesicht, wie schon so viele unbemerkte Male, ehe er es auf Papier gebannt hatte. Jede Strähne seines Haares, jede Wimper war ihm so vertraut geworden und doch konnte er sich nicht satt sehen. Schweigend saßen sie eine Weile so nebeneinander. Joey noch immer auf der Couch liegend, Seto neben ihm sitzend. Ein Bild einvernehmlicher Stille. Kapitel 41: Das Leben geht weiter... ------------------------------------ @hema: Richtig. 5000 Jahre Enthaltsamkeit... damit muss man erstmal klar kommen. Ich finde, die Beiden haben das ganz wunderbar geschafft. *G* @Lunata: Mit deiner Einschätzung hast du vollkommen Recht - und Seto und Joey sehen das ähnlich, wenn nicht genauso, wie du gleich lesen wirst. Was Atemu anbelangt und das 'Zusammensetzen und über alte Zeiten quatschen' ... nun ... Ich schweige. Egal sind die Fehler nicht. Welche sind dir denn aufgefallen? 6 Augen sehen eben mehr als zwei. ^_^ @KFutagoh89: Man merkt eine Steigerung? Ist mir selbst gar nicht aufgefallen... Interessant zu wissen. @Anyu: Du hast schon eine recht sadistische Ader in dir, Anyu, wenn du Seto seine quälenden Fantasien gegönnt hättest. ^_^* Und auch, wenn du dich freust, dass die beiden unter den derzeitigen Umständen leiden müssen... Irgendwie möchte ich gerade sehr vermeiden, dass du je sauer auf mich bist. Ich meine... Seto und Joey magst du offensichtlich... was wünschst du dann erst denen an den Hals, die du nicht leiden kannst? @_@ @KC8: Jetzt darfst du gleich nochmal jubeln, denn auch das nächste Kapitel hat diesmal nicht so lange auf sich warten lassen - hoffe ich jedenfalls. ^_~ @Shakti-san: *LACH* Soso... Ich soll mehr davon machen... *G* Also ich kann dir zumindest verraten, dass auf jeden Fall mindestens 2 dieser Art noch kommen - die sind nämlich schon fertig geschrieben. ^.~ Was deine Idee mit dem Nebenraum angeht, wäre das auch eine gute Lösung gewesen. Vlt. lasse ich ihn einen solchen Raum demnächst mal sicherheitshalber einbauen. *G* @hammamoto: Jup. WIR wissen, dass ihr euch freuen würdet. *G* Sorry. Konnte nicht widerstehen. @Koinu: Ach was. Von wegen 'angeschwärzt'. ^_^ Ich freu mich doch, wenn mir jemand schreibt und ich erfahre, dass es da noch jemanden gibt, der meine Geschichte auch gut findet. Und siehst du? Ich beiße nicht. *GGG* Ich freue mich höchstens tierisch, dass du mir doch noch persönlich geschrieben hast. Vor einer Woche hast du ja geschrieben, du schwankst noch zwischen 'zu viel' und 'gerade richtig'. In welche Richtung hat es dich denn nun letztlich verschlagen? *neugierig ist* Anzugjacke drüber und es fällt nicht auf? Willst du sagen, dir würde es nicht auffallen, wenn am Kragen nicht wie sonst ein weißes Hemd sondern nackte Haut hervorgucken würde? Ich meine... bei Seto? Aber besagter Firmenchef hat natürlich eine gute Idee, wie er schnell an ein Hemd kommt, wie du gleich lesen wirst. ^.~ Was deine anderen zahlreichen Fragen anbelangt, werden diese im nachfolgenden Kapitel nahezu restlos beantwortet. ^_^* Gut zu wissen, dass du trotzdem weiter liest. Du musst nicht jedes Mal einen Kommi hinterlassen - ich freue mich sehr, dass du mir überhaupt einen geschrieben hast. Ehrlich. Sowas motiviert mich immer ungemein. Und falls dir mal mehr als 'awww' zu einem Kapitel einfällt, kannst du mir ja vlt. trotzdem irgendwann mal wieder schreiben. ^.~ @DarkTiger: *G* 'Kaum Macken'? Das 'kaum' in deiner Formulierung interessiert mich gerade. Ich versuche sowas nämlich dringend zu vermeiden. Gib mir einen Tipp - was erscheint unlogisch. Übercharas... Tjaja... Das leidige Thema... Aber Joey und Seto kommen dem ja irgendwie schon recht nahe. Dass du mir nicht jedes Mal schreibst, kann ich verschmerzen. Ich selbst schreibe übrigens so gut wie nie Kommis. Schön, dass du dir überhaupt die Zeit zum Schreiben genommen hast. Vermutlich gehts dir da so wie Koinu, nech? ^_^ ______________________________________________________________________________________________ Erst das Klingeln eines Telefons durchbrach die erschöpfte Ruhe. Aufseufzend sah Kaiba in die Richtung, drehte sich dann allerdings wieder zu Joey und streichelte ihm weiter über das Haar. „Du solltest rangehen. Vielleicht ist es wichtig“, murmelte Joey. „NICHTS ist mir in diesem Moment wichtiger, als du“, stellte Kaiba mit ernstem Gesicht fest. Ein erschöpftes, aber glückliches Lächeln breitete sich auf Joeys Zügen aus. „Keine Sorge. Ich renne zurzeit garantiert nicht weg.“ Schmunzelnd betrachtete Kaiba den Körper des Blonden, welcher vollkommen entkräftet auf der Couch lag. Leise lachend, gab er Joey einen liebevollen Kuss auf die Wange, ehe er sich erhob. „Das stimmt. Dafür habe ich gesorgt.“ Kurz darauf nahm er bereits den tragbaren Hörer von seinem Schreibtisch auf. „Was ist?“, erkundigte er sich unwirsch. Joey konnte im Folgenden nur eine Seite des Gespräches vernehmen, doch aus den Fetzen, die er aufschnappte, wurde schnell klar, wer der Anrufer war. „Nein du kannst heute nicht länger aufbleiben. … Morgen ist Schule. … Nein, auch wenn du mich noch fünfmal fragst, es ist mir egal, dass das Spiel heute auf den Markt gekommen ist. Du hättest mit dem Kauf ja bis zum Wochenende warten können. … Vergiss es. Außerdem stammt das Spiel von einer Konkurrenzfirma. … Natürlich sind meine Spiele besser. … Nein. Wenn ich nach Hause komme, will ich kein einziges geöffnetes Nutellaglas im Schrank finden, hast du mich verstanden? … Nein. Auch nicht im Kühlschrank. … Nein. Auch nicht unter deinem Bett, in deinem Nachtschrank oder wo du die Teile sonst noch alle bunkerst. … NIR.GEND.WO! … Weil du das Zeug nicht in Maßen, sondern in Massen isst. … Gib mir Niles. … Niles. EIN Löffel ist in Ordnung, haben Sie mich verstanden? Ich will ihn nicht irgendwann zur Schule rollen müssen. … Ja …. Nein, ich denke, ich werde“, ein kurzer Blick auf Joey folgte, „heute später kommen. … Danke. … Ja. Auf Wiedersehen.“ Kopfschüttelnd beendete er das Gespräch und drehte sich zu dem Blonden. Dieser hatte es inzwischen doch geschafft, sich aus eigener Kraft aufzurichten und war, auf noch immer wackligen Beinen, zum Fenster gegangen. „Ich dachte, du kannst nicht mehr wegrennen.“ Besitzergreifend legte Kaiba die Arme von hinten um Joey und zog diesen an seine Brust. „Sei nicht albern, jede 90jährige wäre jetzt schneller als ich.“ „Hmmm…“ Nachdenklich streichelte Kaiba über die Hüfte des Anderen und sandte kleine Schauer durch den empfindlichen Körper vor ihm. Ihn mit den Augen neckend, sah Joey zu ihm auf. „Ich glaube, sogar du wärst gerade schneller als ich.“ Belustigung blitzte in den Augen des Braunhaarigen auf, als er an ihr früheres Leben dachte. „Freches Hündchen.“ Neckend ließ Joey seine Hüfte kreisen. Ein leises Stöhnen und ein zärtlicher Biss in sein rechtes Ohrläppchen waren die Antwort. Genießend schloss Joey die Augen. Es war ein einzigartiges Gefühl, Seto so nah an ihn geschmiegt hinter sich zu spüren – und seine Liebe zu fühlen. Er hätte nichts dagegen gehabt, diesen Raum nie wieder zu verlassen. Hätte es nur sie beide gegeben, wäre dies eine Option, die er durchaus in Erwägung ziehen würde. Wozu gab es in dieser Zeit schließlich den Pizzadienst? Ein selbstironisches Lächeln überzog sein Gesicht bei diesem Gedanken. Seufzend sah er aus dem Fenster. Leider war es nicht so einfach. Das Telefongespräch hatte gezeigt, dass sich ihr derzeitiges Leben im Grunde kaum verändert hatte – auch wenn die wiedergekehrte Erinnerung von Seth bei ihm eingeschlagen hatte, wie ein Meteor, der auf die Erde traf. Noch immer hatten sie beide eine Familie, um die sie sich kümmern mussten. Er hatte seine Freunde, Kaiba seine Firma. Aus der trauten Zweisamkeit bis ans Ende der Zeit würde also vorerst nichts werden. „Wir sollten uns anziehen, sonst kommen wir nie aus deinem Büro raus“, gab er Seto daher zu bedenken. Er wusste, dass der Braunhaarige ähnliche Gedanken hatte, ohne dass sie darüber sprechen mussten. Es war verblüffend. Schon in Ägypten hätten sie, trotz ihrer häufigen Neckereien und Meinungsverschiedenheiten, im Grunde oft auf Gespräche verzichten können. Seit Seth ihn damals gezwungen hatte, seine Liebe für den Hohepriester einzugestehen, hatten sie sich nahezu blind verstanden. Eine Geste oder ein Blick hatte genügt, um Jono den Gefühlszustand von Seth erkennen zu lassen. Umgekehrt ebenso. Abermals knabberte Seto an seinem Ohr. Ein letztes Mal stieß er mit seiner Hüfte spielerisch nach vorn, als wäre er noch immer körperlich mit Joey vereint. Diese kleine Andeutung genügte, um abermals dafür zu sorgen, dass Joeys Glied sich leicht regte. Auch die Hand, die in diesem Moment streichelnd darüber fuhr, erspürte die Reaktion des Kleineren. „Du könntest Recht haben. Ich hätte nichts dagegen, dich ein weiteres Mal zu nehmen und wie mir scheint, bist du ebenfalls nicht abgeneigt.“ Hinterhältig stieß er ein weiteres Mal nach vorn und streichelte gleichzeitig unendlich langsam über das schon wieder halb aufgerichtete Glied des Anderen. „Seth, nicht…“, versuchte Joey sich zu wehren. Doch sein eigener Körper verriet ihn und schmiegte sich beinahe gegen seinen Willen an die Brust von Kaiba, welcher ihn weiter in langsamen Rhythmus streichelte und ein letztes Mal an diesem Tag bis zum Höhepunkt trieb. Er selbst stellte sein eigenes wachsendes Bedürfnis dabei vollkommen zurück und genoss es stattdessen, sich jeden Zug in Joeys Gesicht genau einzuprägen und ihn zu beobachten, während er in seinen Händen Erlösung fand. Als der abermals geschwächte Körper schließlich gegen ihn sank, war er sich endgültig sicher, dass er nie müde werden würde, Joey, in egal welcher Position oder Situation, bis an den Rest seines Lebens zu beobachten und zu berühren. Kurz darauf begleitete er Joey zurück zur Couch, wo dieser sich langsam Stück für Stück all die Sachen überstreifte, die ihm Seto vorher eins nach dem anderen ausgezogen hatte. Er selbst zog sich seine Hose wieder an. Überlegend besah er sich sein weißes Hemd, mit welchem er Joey und sich gesäubert hatte, ehe er es mit den Schultern zuckend auf der Couch liegen ließ und sich lediglich die Jacke seines Anzuges überwarf. Nachdem er fertig war, streifte Joeys Blick die Festplatte, die noch immer unbehelligt neben dem Computer von Seto stand. „Seth, ich“, begann er erklärend, „hatte nicht vor, deine Programme zu stehlen.“ Joey wusste nicht, mit welcher Reaktion er gerechnet hatte, doch sicher nicht damit, dass Seto sich selbstgefällig in seinen Sitz fallen ließ. „Ich weiß.“ Misstrauisch sah Joey ihn an. „Jetzt erzähl mir nicht, dass du mir so etwas nicht zutrauen würdest, denn immerhin hast du das ja bereits, als der Virus auftauchte.“ Überlegen grinsend, legte Seto ihm gegenüber einen Arm rechts und einen Arm links von sich auf die Rückenlehne seiner Ledercouch und schlug die Beine übereinander. Diese Position hatte den unangenehmen Nebeneffekt, dass sie Joey freien Blick auf die noch immer nackte Haut unter der Jacke des Firmenchefs bot. Von diesem Anblick leicht abgelenkt, registrierte Joey zunächst nur die Hälfte des nächsten Satzes. „… vertrauen, wäre glatter Selbstmord.“ Kurze Verwirrung durchzog Joeys Augen. Er hatte nicht zuhören können. „Was?“ Wohl wissend, welche Reaktion sein Anblick bei Joey ausgelöst hatte, wiederholte Kaiba den Satz ein weiteres Mal. „Ich habe meine eigenen Informationsquellen. Dir zu vertrauen, wäre glatter Selbstmord.“ /Mit anderen Worten: Bis du mir die Wahrheit gesagt hättest, hätte ich lange warten können, also habe ich mir jemanden gesucht, der diese Rolle für dich übernimmt/, übersetzte Joey den letzten Satz gedanklich. Nachdenklich betrachtete er die Gestalt ihm gegenüber, während er sich selbst in die Lehne sinken ließ. Der stetig an seine Lippe tippende Finger verriet, dass er ins Grübeln kam. „Informationsquellen?“ Kaiba sagte nichts. Er war sich sicher, dass Joey ohnehin schnell genug die richtigen Schlüsse ziehen würde. Lieber genoss er es noch ein bisschen, seinen Kopf ein weiteres Mal arbeiten zu sehen. „Du wusstest, dass ich die Programmiersprachen in circa einer Woche gelernt habe. Dieses Zeitfenster kannte nur Nici. Wenn er dir das erzählt hat, dann hat er dir auch gesagt, wie lange ich hier schon gearbeitet habe.“ Genüsslich beobachtete Kaiba, wie der Verstand des Anderen sich weitertastete. „Sicher hat Nici mich verteidigt. Er ist ein ehrlicher Mann und geradeheraus. Um Beweise zu bekommen, hast du nach weiteren Aussagen gesucht. Dann kam dir Herr Sakumoto gerade Recht. Er hatte Dienst, als du mich rausgeworfen hast. Und da er mich bis dahin nie bei dir gemeldet hat, mich aber kennen musste, war dir klar, dass er etwas wusste.“ Man konnte sehen, wie sich die einzelnen Puzzleteile in seinem Inneren langsam zusammensetzten. Als seine Pupillen sich leicht weiteten, war klar, dass er die richtigen Schlüsse gezogen haben musste. „Du bist ebenfalls auf die Idee gekommen, die Login-Daten und die Videoaufnahmen miteinander zu vergleichen. Womöglich hat dir Herr Sakumoto sogar die Liste gezeigt, die wir gemeinsam angefertigt hatten. Du WUSSTEST, dass Kirian den Virus eingeschleust hat.“ Seine Augen richteten sich wachsam auf den Braunhaarigen, welcher äußerlich einen mehr als selbstgerechten Eindruck vermittelte. „Seit wann wusstest du es?“ Misstrauisch sah Joey zu ihm. „Eine Weile“, gab dieser schließlich großzügig zu. „Aber du hast mich weiter glauben lassen, dass du MICH für den Saboteur hältst“, empört sah Joey zu ihm. Kaiba ließ dieses Argument kalt. „Das war doch genau deine Absicht, nicht wahr? Immerhin wolltest du MICH glauben lassen, du würdest mich hassen. So etwas nennt man ausgleichende Gerechtigkeit, Hündchen.“ Die Augenbrauen des Blonden zogen sich zusammen. „Du bist mir aus dem Weg gegangen.“ „Und du hast mich ignoriert, wenn ich doch einmal mit dir gesprochen habe. Wie ich schon sagte, ausgleichende Gerechtigkeit.“ Schmunzelnd musterte Kaiba die Gestalt ihm gegenüber. „‘Gesprochen‘ ist wohl kaum die richtige Bezeichnung für das, was du mir an den Kopf geworfen hast“, wurde er von dem Blonden verbessert. „Du solltest nicht so kleinlich sein, Joey. Wie man sieht, hat mein Vorsatz, dir aus dem Weg zu gehen, ohnehin nicht lange gehalten.“ Mit halb unglücklichem, halb selbstironischem Lächeln sah er Joey an. „Je länger ich dich nicht sehen konnte, desto stärker fühlte ich mich zu dir hingezogen. Die letzten Wochen war ich ziemlich ungenießbar, wie Mokuba mir des Öfteren unter die Nase rieb. Ganz zu schweigen von Niles“, gestand Seto, wieder ernst geworden, ein. „Ich konnte mich einfach nicht länger von dir fern halten. Erst recht nicht, als ich mir sicher sein konnte, dass du wusstest, wer ich war.“ „Seit wann warst du dir sicher?“ „Seit dem Galaabend, denke ich. Auf der Veranstaltung war auch dein Arzt. Ich habe gesehen und gehört, wie er dich mit ‚Seth‘ ansprach und wurde neugierig. Als du weg warst, habe ich ihn danach gefragt. Übrigens sehr schmeichelhaft, dass du meinen Namen sogar im Koma gerufen hast“, neckte Kaiba den Blonden, dessen Wangen sich daraufhin rot färbten. „Doch ich wollte auf Nummer sicher gehen. Immerhin sollte man als Geschäftsmann vermeiden, vor anderen Leuten über Erinnerungen zu sprechen, die 5000 Jahre in der Vergangenheit liegen. Manche Menschen könnten einem dann die Zurechnungsfähigkeit absprechen, weißt du? Da dein Arzt ein Skizzenbuch erwähnte, in das du meinen Namen unter eine Zeichnung geschrieben hast, habe ich mir das ausgeliehen, in dem du in der Schule ständig herumkritzelst. Ich gebe zu, das hätte ich schon früher tun sollen. Dann wäre mir vielleicht eher ein Licht aufgegangen.“ Noch während Kaiba sprach, fügte sich eine neue Erinnerung in das Bild in Joeys Kopf. „Du warst nicht eingeladen.“ Aus dem Konzept gebracht, sah Kaiba ihn an. „Wie?“ „Auf dem Galaabend. Du hast nicht auf der Gästeliste gestanden.“ „Ich brauche keine Einladung, um auf eine Gala zu gehen“, ließ Kaiba ihn in altbekannter, arroganter Art wissen. Doch Joey ließ sich davon nicht von seinen Gedanken abbringen. „Sicher nicht. So reiche Säcke wie du, kommen überall rein“, konterte der Blonde. „Wichtiger ist, WARUM du dir da Zutritt verschafft hast. Entweder ein Anfall von Großmütigkeit und das unbedingte Gefühl, etwas von deinem schwer verdienten Geld abgegeben zu wollen… oder aber du wusstest, dass ich dort sein würde und wolltest mir nachspionieren.“ Der leicht zuckende linke Mundwinkel von Kaiba war ihm Antwort genug. „HA! Du wusstest es! Woher? Ich habe niemandem erzählt, dass ich einen neuen Job habe – nicht mal Yugi und den Anderen. Und die Leute, die mit mir gekellnert haben, kannte ich vorher auch kaum.“ Scheinbar stark an der schallgedämmten Decke seines Büros interessiert, ignorierte Kaiba die bohrenden Blicke des Blonden. „Ich habe es NIEMANDEM erzählt… außer Ryuu!“ Joey dämmerte es. „Und Ryuu wurde mir ein paar Tage nach unserem Zusammentreffen in der Firma von Nici vorgestellt!“ Der halb belustigte, halb schuldbewusste Blick des Firmenchefs ließ ihn ohne dessen Kommentar auch die letzten Schlüsse richtig ziehen. „Das warst DU!“ „Du hast mir ja keine andere Wahl gelassen, Hündchen“, verteidigte er sich. Abwehrend hob Kaiba seine Hände. Zähneknirschend musste Joey zugeben, dass er damit nicht ganz falsch lag. Trotzdem. „Ich muss zugeben, Ryuu wird mir fehlen. Er hatte all das, was du nicht hattest.“ Fragend sah Kaiba auf, als der andere sich erhob und zum Schreibtisch ging, um seine Festplatte in den auf dem Boden liegenden Rucksack zu packen. „Er war nett. Freundlich. Intelligent. Witzig.“ „Ich weiß nicht, was du hast. All das sind meine hervorstechendsten Eigenschaften“, unterbrach Seto seine Aufzählung. „Nein. DU bist hinterhältig. Durchtrieben…“ „Du meinst intelligent.“ „Arrogant. Herablassend…“ „Wenn Menschen die ihnen angeborene Fähigkeit zum Denken nicht nutzen, ist das nicht mein Problem…“ „Selbstverliebt…“ „Nur, weil man um seine eigene Wirkung auf andere weiß und das für sich nutzt, ist das noch lange kein Zeichen von Selbstverliebtheit, Hündchen.“ „Unhöflich. Respektlos…“, fuhr Joey ungerührt fort. „Meinen Respekt muss man sich verdienen“, verbesserte ihn Seto erneut. „Besitzergreifend…“ „Das ist es doch gerade, was dir an mir gefällt, Kleiner. Was mich zu der Frage bringt, was mein Besitz gerade vorhat.“ Bezeichnend deutete er auf die Kappe, die Joey sich wieder aufgesetzt hatte und den Rucksack, der inzwischen erneut auf seinem Rücken ruhte. Breit grinsend zuckte Joey die Schultern. „Dich beklauen, natürlich. Was ich einmal angefangen habe, bringe ich auch zu Ende. Das müsstest du doch wissen, Seth.“ Stirnrunzelnd registrierte Kaiba die erneute Nennung seines alten Namens. „Joey… Ich denke nicht, dass…“ Dieser wusste sofort, worauf er hinauswollte. „Keine Sorge. Sobald ich durch diese Tür gehe, bist du wieder Seto Kaiba für mich. Dieser Name ist so gut wie jeder andere, den du in den vergangenen 5000 Jahren getragen hast. Aber lass mich dich wenigstens, wenn wir allein sind, ab und zu so nennen.“ Joey hatte Angst, dass er ihn wieder vergessen könnte und Seto wusste es. Er hatte nichts dagegen, wenn der Blonde ihn, wenn sie allein waren, mit seinem alten Namen ansprach. Etwas anderes ließ ihn jedoch aufhorchen. „Was meinst du mit ‚andere Namen‘?“ Verwundert sah Joey ihn an. „Garret, Asit, Alexis, Legas, Ethan, Gabriel, Sekan…“, stockend hielt er inne. Kein Erkennen war in Setos Augen zu sehen, nur Leere und eine Menge Fragen. Seine Reaktion machte es deutlich: Er hatte sich nur an sein Leben als Seth erinnert. Und selbst daran vielleicht noch nicht mal vollständig, wie Joey in diesem Augenblick klar wurde. Doch er wollte sicher gehen. „Du erinnerst dich nicht, oder? An all die Leben, die du schon gelebt hast.“ Kaiba schüttelte erstaunt seinen Kopf. Prüfend sah er Joey an. Warum erinnerte nur er sich daran? Ihm wurde wieder bewusst, dass Joeys Erinnerungen an ihr früheres Leben auch in diesem Leben viel früher erwacht waren, als seine eigenen. Dafür musste es einen Grund geben. „Warum kann… ich mich nicht daran erinnern?“, nachdenklich sah er auf den Kleineren. Heftiger Schmerz zuckte über dessen Gesicht. Doch dieser Eindruck war binnen eines Wimpernschlages wieder verschwunden und das fröhliche Lächeln, das er so liebte, lag dem Jüngeren auf den Lippen. Hatte er sich getäuscht? „Schon gut. Diese Leben sind ohnehin vorbei. Ich muss jetzt gehen. Auf meinem Rechner zu Hause habe ich bereits den Virus für Tome modifiziert. Ich werde dein Grafikprogramm damit verknüpfen und dann sollte er in ein paar Tagen eine schöne Überraschung erleben. Immerhin solltest du dich wenigstens noch für deinen eigenen Virus bei ihm bedanken. Vielleicht würden wir uns ohne den Verrat von Kirian immer noch gegenseitig auffressen.“ Der bewusste Themenwechsel entging Kaiba nicht. Offenbar gab es noch immer Dinge, die der Kleinere lieber vor ihm geheim hielt. Doch für heute war es genug. Er hatte Recht. Wie auch immer seine Leben verlaufen waren, sie waren vorbei. Früher oder später würde er sich vielleicht daran erinnern. Vorerst sollte er sich tatsächlich lieber auf die Gegenwart konzentrieren. In ihr gab es wahrlich genügend Dinge, die noch zu erledigen waren. Was den Virus betraf, wusste er jedoch, dass er sich auf Joeys Fähigkeiten verlassen konnte. Ein letztes Mal zog er den Blonden zu sich heran. Mit festem Griff hielt er die schmale Gestalt in seinen Armen und senkte erneut seine Lippen auf die seinen. Die folgenden fünf Minuten vernahm man keinen Ton in dem großen Büro. Beide kosteten erneut von den Lippen des Anderen. Sie wussten, dass sie, sobald Joey das Büro verließ, wieder ‚Gegner‘ sein würden – zumindest vor den Augen der anderen. Seufzend ließen sie voneinander ab. Ohne ein weiteres Wort, wandte Joey sich in Richtung der Tür. „Hast du nicht etwas vergessen?“, erkundigte Seto sich belustigt bei dem Blonden. Dieser sandte lediglich einen fragenden Blick in seine Richtung. „Den Schlüssel. Ohne den kommst du hier nicht…“ Das breite Grinsen von Joey ließ ihn innehalten. Dessen linke Hand wanderte nach oben und als sie auf Augenhöhe war, glitt Kaibas Hand reflexartig zu seiner linken Hosentasche. Völlig überrumpelt musste er feststellen, dass Joey ihn wieder einmal ausgetrickst hatte. „Wann hast du…“ Voller Schadenfreude, ließ Joey den silbrigen kleinen Schlüssel in das passende Schloss gleiten. „Was glaubst DU, wann?“ Fröhlich zwinkerte der Pizzabote dem Firmenchef ein letztes Mal zu, ehe er die Tür aufschloss und das Büro mit der Festplatte und seinem Skizzenblock im Rucksack verließ. Draußen erwartete ihn bereits der verwirrte Blick von Kaibas Chefsekretärin, welche die Pizza inzwischen mit ein paar Kollegen verspeist hatte. Seit dem Erwärmen der Pizza waren zwei Stunden vergangen. Sie war davon ausgegangen, dass der Botenjunge sich bereits seit langer Zeit nicht mehr im Gebäude aufhielt. Ihn nun aus dem Büro des Chefs kommen zu sehen, verwunderte sie. Gerade wollte sie etwas sagen, als sie bereits von dem jungen Mann unterbrochen wurde. „Verzeihen Sie. Eigentlich wollte ich ja selbst aufpassen, mit der Pizza und so. Aber dann hab ich gesehen, dass das hier ja sogar die Chefetage ist – von Seto Kaiba persönlich! Da konnte ich einfach nicht widerstehen, wissen Sie, einmal einen Blick in das Büro zu werfen.“ Ein scheinbar verlegener und zugleich hoch erfreuter Blick in Richtung der geöffneten Tür folgte. „WAS? Ja, ABER…!“, empörte sich Frau Ishimizu, kam aber gar nicht zu Wort. „Wann hat man schon mal die Gelegenheit, frage ich Sie? Vor allem den Mann kennen zu lernen, der all diese tollen Kartenspiele auf den Markt bringt und erst das Kaiba Land! Sie wissen gar nicht, was für ein großer Fan ich von diesem Kaiba Land bin! Tja und das wollte ich Ihrem Chef natürlich persönlich sagen. Aber der ist ja ganz anders, als man sich den so vorstellt. Nicht wahr, im Fernsehen und den ganzen Magazinen wirkt er ja doch anders, oder?“ Auf eine Bestätigung wartend, sah Joey sie an. Vollkommen überfordert, wusste sie nicht, wie sie reagieren sollte und nickte vorsichtshalber. Offenbar reichte das dem jungen Mann schon, um seinen Reigen fortzusetzen. Aufrichtige Empörung machte sich auf dem Gesicht des Pizzaboten breit. „Genau! So sehe ich das allerdings auch. Richtig griesgrämig ist der. Hat mich doch glatt die ganze Zeit zusammengestaucht, wegen der Pizza und so. Und meinen Chef hat er auch noch angerufen. Naja, kann man nichts machen. Jedenfalls bekommen Sie die Pizza nu umsonst. Ich werde das Geld dann unten der Dame am Empfang zurückgeben. So, nu muss ich aber weiter, sonst bekomm ich noch mehr Ärger und die Kunden warten ja auch nich ewig. Auf Wiedersehen und nochmal…“ Mitfühlend trat er an sie heran, nahm ihre Hand in seine und blickte ihr tief in die Augen. „… mein herzliches Beileid, zu diesem Chef. Sie haben es bestimmt nicht leicht. Aber ich bin mir sicher, dass Sie einen ganz ausgezeichneten Job machen, Frau Ishimizu.“ Zufrieden mit der offensichtlichen Überforderung in ihrem Gesicht, richtete er sich wieder auf. Mit einem letzten Augenzwinkern in ihre Richtung, wanderte Joey den Flur hinunter zu den Fahrstühlen. Dass das Zwinkern nicht ihr, sondern ihrem Chef, der mit verschränkten Armen im Türrahmen hinter ihr lehnte, gegolten hatte, registrierte Frau Ishimizu nicht. Seto Kaiba hingegen wusste genau, wem die Geste galt und konnte nur innerlich stöhnend den Kopf schütteln. In gewisser Weise bedauerte er seine Sekretärin. Er hatte sich selbst bereits in ihrer Position befunden und war von Joey förmlich an die Wand geredet worden, bis er sein eigentliches Ansinnen vergessen hatte. Als Außenstehender musste er feststellen, dass man in solchen Momenten nur eines tun konnte: Niemals zu versuchen, der Logik seiner Worte zu folgen. Das konnte nur mit einem Knoten im Gehirn enden. Zweifelnd warf er einen Blick auf die noch immer sprachlose Dame in seinem Vorzimmer. /Wunderbar. Jetzt kann ich dafür sorgen, dass sich der Knoten wieder löst. Danke Joey./ Überlegend sah er kurz an sich hinab. /Oder ich nutze ihren derzeitigen Zustand für mich./ Sich in die Situation ergebend, richtete er sich auf und trat einen Schritt auf sie zu. „Frau Ishimizu.“ Aufgeschreckt wandte sich die Dame um, nur um erneut ins Stocken zu geraten. Man konnte es ihr schwerlich verübeln. Einen Seto Kaiba nur mit der Jacke seines Anzuges und ohne Hemd oder Schlips bekleidet zu sehen, war nichts, was jeden Tag geschah. Sie war knapp über 40, aber sie hätte wohl über 90 oder tot sein müssen, um bei diesem Anblick keinen erhöhten Puls zu haben. „Bitte besorgen Sie mir ein neues Hemd. Der Pizzabote hat es geschafft, mir den gesamten Kaffee über mein anderes zu kippen. Die Rechnung für die Reinigung habe ich ihm bereits mitgeteilt.“ Noch immer starrte die Dame ihn wortlos an. „Frau Ishimizu?“ „Ja?“ „Das Hemd.“ „Hm?“ „Ein weißes. Ich brauche es noch heute.“ Aus ihrer eigenen Gedankenwelt gerissen, sprang die Dame auf. „Bitte heute noch, dann vergesse ich vielleicht, dass Sie sich von einem einfachen Pizzajungen haben überrumpeln lassen. Ich weise Sie nochmals darauf hin, dass SIE dafür verantwortlich sind, dass hier kein Unbefugter Zutritt hat, haben Sie mich verstanden?“ Die Angesprochene nickte. Sie konnte es sich selbst nicht erklären, wie das alles hatte passieren können. Dabei hatte sie doch nur ein paar Minuten auf den Pizzaofen achten wollen. „In Ordnung. Passiert das nochmal, kann es sein, dass Sie sich am nächsten Tag eine neue Stelle suchen können.“ „Jawohl, Sir.“ Augenblicklich griff sie nach dem Telefonapparat und bestellte beim privaten Schneider von Herrn Kaiba ein neues Hemd in seiner Größe, welches ihnen binnen einer Stunde geliefert werden würde. Als alles geregelt war, ließ sie sich erschöpft in den Stuhl fallen. Ihr Chef hatte sich bereits wieder in sein Büro zurückgezogen. /Er hat gesagt, der junge Mann habe Kaffee über sein Hemd gegossen… Aber ich hatte doch noch gar keinen Kaffee gemacht… Merkwürdig./ Mit den Schultern zuckend, wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Kapitel 42: Alltag ------------------ Soooooo... endlich das nächste Kapitel. Entschuldigt die lange Wartezeit. Das kommt nicht nochmal vor. Ab jetzt veröffentliche ich jede Woche immer zum Wochenende - Freitag, Samstag oder Sonntag, ein weiteres Kapitel. Darauf könnt ihr euch verlassen. Ich hoffe, dass ihr durch die lange Wartezeit noch nicht die Lust am Lesen verloren habt und wünsche euch viel Spaß beim nächsten Teil. Unter der Geschichte gibt es noch eine wichtige Ankündigung - bitte beachtet diese. LG an alle Leser! seththos @Jvorie: Danke für deinen Kommi. Es freut mich, wenn dir die Art, in der ich mit Seto und Joey umgehe, gefällt (bzw die Wesensart, mit der ich sie ausgestattet und beschrieben habe). Deine Frage hat sich inzwischen vlt. schon durch das Weiterlesen geklärt. Trotzdem möchte ich dir gerne darauf antworten: Ja. Joey erfüllt bereits sein Versprechen. ^.~ Wie genau, das musst du durch fleißiges Lesen herausfinden. Was die Kassentätigkeit von Joey angeht, kann ich nur sagen, dass es sich um eine Szene aus seinem Alltag handelt. Sie zeigt, wie Joey derzeit über die Runden kommt und dass er sich vor Anderen Menschen, die ihn nicht kennen, eben auch erwachsener gibt. Bis zu welchem Teil der Geschichte bist du denn inzwischen vorgestoßen? *neugierig ist* @KC8: Tja. Was lange wärt... ^_^* Meine Geschiche wird noch lange weitergehen, darauf kannst du dich verlassen. Schon allein deshalb kannst du dir da sicher sein, weil noch mindestens 20 Teile schon fertig sind und nur noch der Beta-Leser drüber sehen muss. @LeaGreywolf: Oh ja... Ein schönes Lied und ein noch schöneres Video. Ich liebe dieses Meer aus Kerzen und ihren kleinen Schlenker in Stimme und Ausdruck am Ende des Liedes sowie ihre Tattoos und die eine schimmernde Kerze am Anfang des Videos. Irgendwann beim Schreiben hatte ich ebenfalls genau dieses Lied dauernd an. Habs rau und runter gehört. ^_^* Ich kann immer am Besten schreiben, wenn ich Musik nebenbei höre, die zur jeweiligen Stimmung in den einzelnen Kapiteln, die ich vermitteln will, passend ist. @Lunata: Gott sei Dank. Kein Fehler. Das beruhigt ungemein und zeigt, dass es bergauf geht. Das Seto ein Spätzünder ist, liegt nicht an ihm - aber dazu später. Meintest du mit 'Reden', den Redefluss, den Joey der Sekretärin an den Kopf wirft oder die Neckereien und Wortwechsel zwischen Joey und Kaiba? @DarkTiger: *grübel* Mit dem zweiten Hemd hast du wohl Recht. Auch wenn es nicht immer zutrifft (kenne einige Leute, die ein eigenes Büro haben). Bei Kaiba, als Firmenchef, ist es aber sehr wahrscheinlich. Danke für diesen Tipp. Was das 2. Argument angeht: Ja. Das Büro IST schalldicht. Immerhin ist Kaiba der Erbauer und Planer seines Büros gewesen. Und die meisten Büros in dieser Größenordnung und in dieser Preisklasse sind ohnehin so konzipiert, dass die Sekretärin nicht jedes Privatgespräch mitverfolgen kann. Und da ein Seto Kaiba natürlich ganz besonders auf seine Privatsphäre bedacht ist... Übrigens sind die Fenster aus kugelsicherem Glas gefertigt und die Wände sind.. Ok. Lassen wir das. Tut nichts zur Sache. ^_^* Kaiba eben. @Anyu: Also wenn du mich so fragst... Nein. Ich glaube, das will ich nicht wissen. Unwissenheit kann ja bisweilen ein Segen sein. Was Seto und Joey angeht, kann ich dir nur zustimmen. Zumindest in meiner Geschichte ist das Verhältnis zwischen Sadismus und Masochismus bei beiden gleichermaßen gut ausgewogen. Was Setos Neugierde anbelangt hast du Recht. Aber er weiß eben auch, das Joey ihm ohnehin nicht die Wahrheit sagen würde. @KFutagoh: Du hast mich ertappt. ^_^ Die Figur des Butlers ist tatsächlich an den Butler aus 'Die Nanny' angelehnt worden, da ich seine sarkastischen Bemerkungen und seine Wortspielereien mit... Wie hieß die gleich?... Miss Babkock (keine Ahnung, wie man das schreibt)... gefallen haben. Eigentlich noch mehr als das Gebahren zwischen Fran und ihrem Chef. ^^ @Shakti-san: Aber aber... es gibt doch (bisher) kaum einen Grund zu weinen. Brauchst dir also deine Augen nicht zu wischen. *taschentuch reich* Hier. Schnell trocknen. ^_^ ___________________________________________________________________________________________ Die Schule begann wie jeden Morgen mit dem Einlass der Schüler in das Schulgebäude. Inzwischen war es merklich kühler geworden, so dass alle in einer warmen Jacke zum Unterricht erschienen. Selbst Schal und Mütze tauchten an der einen oder anderen Stelle auf – meist bei den Mädchen, welche unzweifelhaft die größeren Frostbeulen waren. Nach den ersten zehn Minuten hatten es schließlich nahezu alle Schüler der Abschlussklasse geschafft, ihre erforderlichen Unterrichtsmaterialien auszupacken. Lediglich zwei Schüler fehlten noch: Koto Hinzu und Joseph Wheeler. Doch das war nichts Ungewöhnliches. Koto war schon seit zwei Tagen krank und Joey… kam öfter zu spät. Das Lehrpersonal hatte sich daran gewöhnt. Einige waren im letzten Schuljahr sogar dazu übergegangen, sein Zuspätkommen bereits immer für eine Woche im Voraus einzuschreiben, damit sie später weniger Arbeit hatten. Es war Vorschrift, das Zuspätkommen zu dokumentieren, auf seinen Abschluss hatte es jedoch keine Auswirkung, da erst, wenn ein Schüler an mehr als 40% des Unterrichts nicht teilgenommen hatte, das Schuljahr wiederholt werden musste. Während andere sich nach wie vor mit Strafmaßnahmen behalfen, um vielleicht doch noch irgendeine erzieherische Wirkung auf den letzten Metern zu erzielen, begnügte sich Frau Kurami mit einem mahnenden Blick in Joeys Richtung, als dieser endlich eintraf. Zwei Minuten nach Unterrichtsbeginn. Pflichtgetreu sah der Blonde halbwegs schuldbewusst in ihre Richtung, ehe er sich auf seinem Platz niederließ. „Mensch Joey, hat deine Freundin schon wieder das Interesse an dir verloren, dass du dich gleich wieder so gehen lässt?“, erkundigte Tristan sich leise flüsternd. „Halt die Klappe, Tristan“, war Joeys lakonische Antwort, ehe er seinen Kopf vollkommen übermüdet auf den Tisch sinken ließ. Er hatte die ganze Nacht den Virus mit dem Grafikprogramm verknüpft und eine Verschlüsselung erarbeitet, mit der seine kleine Überraschung vorerst vor Entdeckung geschützt wäre. In zwei Tagen würde er sich mit dem Geschäftsmann persönlich treffen. Den Kopf auf seine Arme gelegt, warf er, ohne dass einer seine Klassenkameraden es registrierte, einen Blick nach hinten. Seto sah wie immer konzentriert nach vorn und verfolgte mehr oder weniger gelangweilt den Unterricht. Nur ein genauer Beobachter hätte feststellen können, dass seine Augen in regelmäßigen Abständen zur Mittelreihe wanderten, kaschiert als allgemein wenig interessierten Rundblick. Ihre Blicke trafen sich nur für Sekundenbruchteile, doch das reichte, um Joey spüren zu lassen, dass der Andere ihn nicht wieder vergessen hatte – und auch nicht das, was sie am Tag zuvor getan hatten. Ein zarter Rotton breitete sich ungewollt auf seinen Wangen aus. /Mist!/ Schnell richtete er sich auf und sah ebenfalls angestrengt nach vorn, als würde dort irgendetwas gelehrt werden, was er noch nicht wüsste. Er war sich sicher, hätte er in diesem Moment nach hinten gesehen, wäre er in den Genuss eines seltenen Lächelns seitens Kaibas gekommen. Unzweifelhaft ahnte dieser, welche Gedanken ihm bei seinem Anblick überkommen waren. Sein Schmunzeln verbergend, richtete auch Kaiba seinen Blick wieder auf Frau Kurami. Den Jüngeren in seiner Nähe zu wissen, ohne ihn berühren zu können, kostete ihn viel Kraft – jetzt noch mehr, als vorher, da er wusste, dass alles zwischen ihnen geklärt war. Umso mehr erfreute es ihn, dass er nicht der Einzige war, dem es so zu gehen schien. Auch der Blonde hatte deutlich sichtbar mit sich und seinen Erinnerungen an den gestrigen Nachmittag zu kämpfen. „Ich möchte Sie alle nun noch einmal an die bevorstehenden Vorprüfungen erinnern, die am kommenden Freitag stattfinden werden. Sie sind angehalten, bereits in diesen Prüfungen Ihr Bestes zu geben. Auch wenn es noch nicht die Abschlussprüfung ist, so soll diese Prüfung Sie doch darauf vorbereiten. Zudem fließt die Note zu 10% in Ihre Abschlussnote ein. Also: Strengen Sie sich an. Besonders von Ihnen, Herr Wheeler, erwarte ich bereits in der Vorprüfung Bestleistung“, forderte Frau Kurami streng. Mehrere Klassenkameraden sahen mitleidig auf den Blonden. Jeder in der Klasse wusste, dass er all seine Prüfungen bisher immer nur knapp bestanden hatte. Dass er oft im Unterricht schlief, sorgte sicher auch nicht dafür, dass er es bei den Abschlussprüfungen leichter haben würde. Dennoch war Joey Wheeler bei seinen Mitschülern beliebt, weshalb er nicht nur von einer Seite in dieser schweren Stunde ein mentales Schulterklopfen erhielt. Joey selbst registrierte den offenen Hinweis auf sein Versprechen kommentarlos. Man konnte ihm viel vorwerfen, doch ein Versprechen hatte er noch nie gebrochen. Auch wenn das hieß, dass er seinen Freunden wohl bald reinen Wein einschenken sollte. Das Klingelzeichen ertönte. Gemächlich machte er sich daran, seine Sachen zu verstauen und sich auf den nächsten Unterrichtsblock vorzubereiten. „Mensch, Joey. Frau Kurami scheint an dir ja einen echten Narren gefressen zu haben“, stellte Yugi mitfühlend fest. „Wer sich selbst zum Narren macht, muss sich nicht wundern, wenn andere einen als solchen sehen“, ertönte es herablassend aus dem Hintergrund. „Du musst es wissen, Kaiba. Mit deinem Ausmaß an Selbstverliebtheit machst du allen anderen Narren ernstlich Konkurrenz“, ging Joey geradewegs auf seine offene Provokation ein, indem er auf die alte Interpretation des ‚Narren‘ Bezug nahm. „Es ist eine Tatsache, dass ich intelligenter bin, als du, Hündchen. Man muss nur unsere Zeugnisse miteinander vergleichen. Das macht mich aber schwerlich zu einem Narren.“ „Intelligenz ist keine Frage der Noten, Kaiba.“ „Das behaupten alle Dummköpfe.“ „Joey tut, was er kann, Kaiba! Du solltest ihn nicht auch noch ständig ärgern!“, ereiferte sich Yugi. „Lass nur, Yugi. Wenn er mich nicht ärgern kann, ist der Eisblock doch nicht glücklich“, hielt Joey seinen Freund zurück. „Ich kenne bessere Möglichkeiten, mir meine Zeit zu vertreiben, Hündchen“, korrigierte ihn Kaiba mit herablassendem Blick. „Ich nehme an, dass das Verdienen von Geld nur eine von deinen hochgelobten Möglichkeiten ist, nicht wahr, Dagobert?“ „Geld wächst eben nicht auf Bäumen, Donald, auch wenn du das immer noch zu glauben scheinst… Aber vielleicht klären dich Tick, Trick und Track ja bei Gelegenheit mal auf.“ Bezeichnend deutete Kaiba bei der Nennung der drei Entennamen nacheinander auf Tea, Tristan und Yugi, welche noch immer neben ihm standen. „Ich wurde bereits aufgeklärt, danke“, ließ Joey ihn, eine Augenbraue lüpfend, wissen. „Was dein Knutschfleck ja nach wie vor recht eindrucksvoll beweist, Hündchen.“ Zufrieden registrierte Kaiba, dass das Ergebnis seines ‚Überfalls‘ vom Galaabend noch immer nicht verblasst war. Doch statt wie in den letzten Tagen zu versuchen, den Fleck zu überspielen, konterte Joey wie aus der Pistole geschlossen. „Neidisch?“ „Warum sollte ich?“ „Weil du offensichtlich nicht ganz so viel Geschick bei deinen Eroberungen hast, wie ich, Kaiba“, ließ Joey ihn wissen und spielte dabei auf die noch immer leicht geschwollene Wange an, für die er selbst einen Tag zuvor gesorgt hatte. Wer genauer hinsah, konnte sogar eine dezente rote Färbung erkennen. Kaiba blieb gelassen. „Mach dir darum mal keine Sorgen, Hündchen. Der, dem ich das zu verdanken habe, musste sich mir bereits vollkommen ergeben. Im Gegensatz zu dir, kann ich mich wehren, wenn jemand mir zu nahe tritt“, erklärte Kaiba und erinnerte den Kleineren an seinen ersten Kuss hinter roten Vorhängen. Binnen Sekunden konnte das zarte Rot in Joeys Gesicht mit der Wange Kaibas konkurrieren. Zu seinem Glück interpretierten seine Freunde es als Zornesröte. „Du kannst mich mal am Arsch lecken, Kaiba!“ Das entsprechende Zeichen folgte. Herausfordernd streckte er ihm zusätzlich die Zunge raus. Grinsend sah dieser zurück. Das war eine offene Einladung. „Jederzeit, Hündchen.“ Ein gefährliches Glitzern trat in seine Augen. „Wenn ich Sie nun bitten dürfte, langsam diesen Raum zu verlassen, meine Herrschaften? Sie haben danach Biologie. Bitte sehen Sie zu, dass Sie rechtzeitig dort eintreffen. Besonders Sie, Herr Wheeler“, wies Frau Kurami auf das bevorstehende Ende der kurzen Pause hin. Kaiba kam der Aufforderung nach und verließ wenig später den Klassenraum. Die Gruppe um Joey folgte seinem Beispiel. Immer noch durch das Gespräch mit Kaiba abgelenkt, fiel diesem erst auf halbem Weg auf, dass er sein Biologiebuch noch in seinem Spind hatte. Sein heutiges Zuspätkommen hatte seine Bemühungen, für die Vollständigkeit aller Arbeitsmaterialien zu sorgen, erfolgreich zunichte gemacht. Seufzend schickte er die Anderen voraus, um dem Lehrer schon mal mitzuteilen, dass er womöglich zu spät kommen würde und sprintete hinunter in den Eingangsbereich. Rechts davon zweigte der Raum für die Spinde der Schüler ab. Zwischen jeder Reihe metallener Schutzkästen war eine lange schmale Bank zum Abstellen der Rucksäcke angeschraubt worden. Der Raum war auf Grund der an drei Seiten angrenzenden, bodenhohen Fenster lichtdurchflutet und freundlich – aber leer. Außer ihm befanden sich bereits alle Schüler im Unterricht. Und vermutlich auch alle Lehrer. Es hatte längst wieder geklingelt. Seufzend schlängelte der Blonde sich durch die einzelnen Reihen, bis zu seinem Schrank mit der Nummer 437. Fluchend rüttelte er an dem kleinen Schloss, das wie immer, wenn er es eilig hatte, klemmte. Wiederholt steckte er den Schlüssel hinein und versuchte ihn umzudrehen, doch weiter als bis zur Hälfte kam er nicht. Frustriert schlug er mit seiner Faust auf die Stelle, an der das Schloss sich befand. Doch auch das half nichts. Tief durchatmend, rief er sich selbst zur Ruhe. Er hatte es genossen, auch in der Schule wieder mit Kaiba reden zu können, doch seine Nähe machte ihn, nach dem, was gestern geschehen war, noch um ein Vielfaches nervöser, als vorher. Mit einem Blick, mit dem eigentlich der ganze Schrank vor ihm hätte explodieren müssen, maß Joey das silbrige Etwas, das ihn daran hinderte, rechtzeitig zum Unterricht und zurück zu Kaiba zu gelangen. Gerade, als er erwog, einfach ohne Buch wieder zurückzugehen, da ihn das alles nervte, langte eine große Hand an ihm vorbei und griff nach dem Schlüssel, der noch immer im Schloss steckte. Irritiert sah Joey auf. Um diese Uhrzeit hatte er hier niemanden mehr vermutet. Erstaunt weiteten sich seine Augen. Während er sich noch fragte, ob Kaiba wohl auch etwas vergessen hatte, drückte dieser bereits mit einer Hand gegen seinen Spind, während er mit der anderen sein Schloss öffnete… ohne größere Schwierigkeiten. Die Augen verdrehend, griff Joey in den geöffneten Schrank und zog sein Biologiebuch heraus. „Gibs zu, du hast mein Schloss manipuliert.“ „Wohl kaum. Für solche Spielereien fehlt mir die Zeit. Du bist nur zu ungeduldig, Joey“, ließ Seto ihn überlegen wissen. Anzüglich maß er ihn von oben bis unten. „Außerdem mache ich dich nervös.“ „Selbstgerechtes Arschloch.“ „Treffer versenkt, hm?“ In den blauen Augen spiegelte sich offenkundiges Amüsement. „Komm in Zukunft früher, Hündchen. Dann hast du genügend Zeit, deinen Schrank selbst zu öffnen.“ „Wozu habe ich dann dich?“, erkundigte sich Joey, während seine Mundwinkel sich nun ebenfalls so weit auseinander bewegten, wie es seine Gesichtsmuskeln zuließen. Er genoss es sichtlich, dem Firmenchef so nah zu sein. Es dauerte nur wenige Augenblicke, ehe er in dem kleinen Chaos seines Schrankes das betreffende Buch gefunden hatte, den Spind wieder schloss und den Schlüssel in seiner Hosentasche verstaute. Dennoch reichten schon diese wenigen Sekunden und ein menschenleerer Raum, um den Blonden binnen eines Lidschlages in eine äußerst missliche Lage zu befördern. Ohne Vorwarnung drückte ihn der Körper des Größeren an seinen Schrank. Noch immer stand er mit dem Rücken zu dem Braunhaarigen und konnte dessen Gesicht nicht sehen. Doch das musste er auch nicht. Er spürte, wie sich die Erregung von Seto an seinen Hintern presste, während dessen Hände sich auf seine Hüfte legten und langsam seine Hose nach unten schoben. Diese Jeans lag nur halb so eng an seinem Körper, wie die gestrige, was das Ausziehen um ein Vielfaches vereinfachte. „Seto, was…?“ Er schnappte nach Luft. Weiter kam er nicht. Setos Hände hatten seine Pobacken leicht auseinandergedrückt und eine heiße Zunge strich neckend über seinen Eingang. „An deiner Stelle wäre ich vorsichtig, was ich sage, Hündchen. Das vorhin war eine Einladung. Und ich gedenke, keine einzige dieser Art auszuschlagen.“ Fest ließ er seine Zunge über die zuckende Öffnung des Kleineren gleiten. Spielerisch drang er ein kleines Stück in ihn ein und befeuchtete ihn so mit seinem Speichel. Seine Hände drückten seinen Hintern weiter unnachgiebig gegen den Spind, so dass sich die Erregung des Anderen gegen das kalte Metall rieb. „Wir können nicht… nicht hier. Wir hatten eine Vereinbarung“, keuchte Joey doch die Empfindungen, die Kaiba durch seinen Körper sandte, waren zu gut, um sich wirklich zu wehren. Wann immer der Größere ihn dort berührte, war er hoffnungslos verloren. Sein Verstand schaltete sich ab. „Dann solltest du mich in Zukunft nicht so reizen, Hündchen.“ Neckend glitten zwei Finger in ihn hinein. Die Öffnung war durch den vorigen Tag noch ausreichend gedehnt und so kam zu dem zweiten bereits kurz darauf ein dritter und vierter Finger hinzu. Ein erneutes, diesmal lauteres Stöhnen hallte durch den leeren Raum, als Kaiba seine eigene Erregung befreite und sich quälend langsam in dem Anderen versenkte. Nur millimeterweise drang er weiter vor. Welche Wirkung dies auf den Jüngeren hatte, konnte er nicht nur an dessen Stimme hören, sondern auch an seinen Händen sehen. Diese hatte der Blonde links und rechts an den Spind gelegt und ballte sie mal zu Fäusten, mal öffnete er sie, als wollten sie ihn zu mehr Eile antreiben. Zufrieden mit seiner Reaktion, schob Seto sich ein Stück weiter vor und hielt abermals inne. Er genoss jeden Millimeter, der ihn seinem Ziel, ganz mit dem Blonden vereint zu sein, näher brachte, in vollen Zügen. Dennoch mussten sie vorsichtig sein. Um diese Zeit hielt sich zwar niemand in dem Raum auf, doch das hieß nicht, dass nicht doch einer der Lehrer hier vorbeikam. Sicherheitshalber legte er seine Hand über den Mund des Blonden, als er das verbleibende Stück mit einem letzten kräftigen Stoß überwand und schließlich ganz in dem Kleineren ruhte. Die sich zuckenden, schließenden und öffnenden Muskeln um sein Glied herum, führten ihn geradewegs in die Hölle. Er war immer stolz darauf gewesen, sich selbst stets unter Kontrolle zu haben, doch so mit Joey vereint zu sein, kostete ihn alle Kraft, die er aufbringen konnte. Bedächtig zog er sich zurück und versenkte sich anschließend erneut in ihm. Immer noch so langsam, dass es weder ihn noch den Kleineren befriedigte, sondern ihre Lust lediglich weiter anfachte. Dennoch setzte er diesen einmal begonnenen Rhythmus fort. Immer wieder machte Joey Anstalten, sich selbst nach hinten zu schieben, um Seto schneller wieder ganz in sich zu spüren, doch jedes Mal zog dieser sich sofort weiter zurück. Unmissverständlich machte er klar, dass er es war, der den Takt vorgab. Joey musste sich fügen. Wenn er wollte, dass diese quälende Lust aufhörte, dieses Gefühl, von innen nahezu explodieren zu können, ohne Aussicht auf Erlösung, musste er ihn gewähren lassen. Zufrieden spürte Seto, dass der Blonde sich seinen Entscheidungen vollkommen auslieferte. Als Belohnung steigerte er den Rhythmus ein wenig. Noch immer lauschte er nebenbei auf Geräusche in ihrer Umgebung. Er musste sicher gehen, dass niemand ihre Vereinigung mitbekam. Doch selbst wenn in diesem Moment eine Traube von Schülern um sie herum gestanden hätte – Seto war sich sicher, dass er nicht hätte aufhören können. Dies war mit großer Wahrscheinlichkeit nicht der perfekte Ort, Joey zu nehmen, doch andererseits konnte er spüren, dass der Blonde noch einmal ungleich empfindlicher auf seine Berührungen reagierte. Auch ihm war, trotz seiner Erregung, die Situation in der sie sich an diesem Ort befanden, vollkommen bewusst. Die Gefahr, entdeckt zu werden, schien bei dem Kleineren aber eher eine Steigerung der Lust zur Folge zu haben. Er konnte es ihm nicht verdenken, ihm ging es ähnlich. Ein weiteres Mal hatte er sein Ziel erreicht und zog sich erneut zurück. Inzwischen zitterte der Körper vor ihm haltlos und seine Atmung hatte sich so sehr gesteigert, dass man glauben mochte, er würde gerade an einem Marathon teilnehmen. Seto konnte es spüren, da er nach wie vor seine Hand vor dem Mund von Joey hatte. Mit sanfter Gewalt bog er dessen Kopf ein wenig weiter zurück, so dass er auf seiner rechten Schulter zum Liegen kam. Einige quälende Sekunden verwehrte er Joey jegliche Bewegung seinerseits und sorgte dafür, dass er spürte, wie sehr er von ihm abhängig war. Um sich ein wenig zu beruhigen, ließ Joey immer wieder seine Zunge über die leicht gespreizten Finger des Braunhaarigen gleiten, bis dieser ihm schließlich seinen unausgesprochenen Wunsch erfüllte und zwei seiner Finger in seinen Mund und wieder hinaus gleiten ließ. Noch immer verharrte sein heißer, steifer Schaft, zur Hälfte in, zur Hälfte außerhalb von Joey, in absoluter Regungslosigkeit. Er konnte spüren, wie die Muskeln um ihn herum immer wieder nach mehr verlangend pulsierten und sich rhythmisch zusammenzogen. Sehnsüchtig leckte und saugte Joey an den ihm angebotenen Fingern und versuchte so, seiner kaum auszuhaltenden Erregung Herr zu werden. Automatisch ersetzte Kaibas Fantasie seine Finger durch sein eigenes Glied. Die Augen schließend, stellte er sich, während seine Finger weiter aus Joeys Mund und wieder hinein glitten, vor, wie Joey dasselbe mit seinem Schaft machen würde. Er war an seinem Limit. Wäre er tatsächlich der Eisblock, als den ihn Joey hin und wieder bezeichnete, wäre es ihm wohl ein Leichtes gewesen, den Kleineren noch ein wenig weiter zu reizen. Doch er war nicht aus Eis. Im Gegenteil. Er verglühte förmlich in dieser heißen Enge, die ihn nur zur Hälfte umgab – und sein Körper wollte mehr davon. Unbewusst fing er an, die Bewegung seiner Hüfte denen seiner Finger anzupassen. Allmählich steigerte er den Rhythmus. „Schneller, Seth. Bitte. Ich kann nicht mehr“, stöhnte Joey, als er kurz seine Finger frei gab. „Dann sorg selbst dafür, dass du uns nicht verrätst, Kleiner“, forderte Kaiba ihn auf, während er ihm seine Finger ganz entzog und beide Hände auf seine Hüfte legte. Mit festem Griff dirigierte er ihn zu einer der Bänke und hob sein Bein an, damit er über das schmale Holz steigen konnte. Ohne Gegenwehr legte Joey sich auf die Bank, ein Bein rechts davon, das andere links. Um sich selbst am Schreien und Stöhnen zu hindern, presste er seinen Mund auf sein Handgelenk. Als klar war, dass alle wichtigen Vorkehrungen getroffen waren, stellte Seto sich hinter ihn und ging leicht in die Knie, um leichter in ihn eindringen zu können. Ein letztes Mal neckte er den Jüngeren, indem er seine Spitze lediglich an seinem Eingang rieb, ohne einzudringen. Ein deutlich hörbares Wimmern unter ihm verriet, dass Joey längst seine Grenze erreicht hatte. Er wusste, würde er ihn jetzt um irgendetwas bitten, sein Hündchen würde allem zustimmen, solange er ihn nur nahm. Doch er hatte nicht vor, den Kleineren zu erpressen. Sein eigenes Verlangen war ebenfalls ins Unermessliche gestiegen. Mit einem gezielten Stoß drang er schließlich abermals in den Blonden ein. Trotz seiner Vorsichtsmaßnahme, konnte Joey ein Stöhnen nur schwer unterdrücken. Zu gut war das Gefühl, so fordernd von Seto genommen zu werden. „Schneller“, forderte er keuchend. „Dein Wunsch ist mir Befehl.“ Danach steigerte Seto die Geschwindigkeit mit jedem Stoß. Mit immer mehr Kraft drang er in den Blonden ein. Die Holzbank unter ihm sorgte bei dem Blonden dafür, dass auch dessen Glied immer weiter gereizt wurde. Zu ihrer beidem Vorteil, waren die Bänke am Boden verankert, so dass Joey sich nur am Holz festhalten musste, um von Seto nicht über die ganze Bank geschoben zu werden. Da der Braunhaarige sie beide bereits zuvor bis zum Äußersten getrieben hatte, dauerte es nicht lange, bis sie gemeinsam kamen. Stöhnend ergoss sich Kaiba im Körper des Blonden. Doch auch danach ließ er es sich nicht nehmen, noch dreimal in Joey einzudringen, um das Gefühl bis zum letzten Moment auskosten zu können. Ein paar Minuten verharrten beide in ihrer jeweiligen Position. Ihr Atem beruhigte sich nur langsam. Widerstrebend zog Kaiba sich langsam aus dem unter ihm Liegenden zurück und sah sich suchend um. Seine Sekretärin war nicht anwesend, so dass er heute nicht auf ein neues Hemd hoffen konnte. Zufrieden entdeckte er eine Packung Taschentücher, welche ein paar Schritte entfernt vergessen auf einer der Bänke lag. Mit deren Hilfe gelang es ihnen, sich beide notdürftig zu säubern. Keiner hatte auch nur eines seiner Kleidungsstücke ausgezogen, so dass das Herstellen eines allgemein vorzeigbaren Zustandes recht schnell ging. „Meinen Biologieunterricht kann ich jetzt wohl vergessen“, stellte Joey mit einem Blick auf seine Uhr fest. Er kam häufiger zu spät, aber erst weit nach der Hälfte des Unterrichts aufzutauchen, wenn man nur sein Biologiebuch holen wollte, war selbst ihm in gewissem Sinne peinlich. „Verbuch es als Anschauungsunterricht, Hündchen“, wies Kaiba alle Schuld von sich. „Außerdem weißt du doch vermutlich ohnehin schon alles, was dort besprochen wird. Habe ich Recht?“ „Ja, aber darum geht es nicht.“ „Worum dann?“ „Du solltest nicht versuchen, mich jedes Mal flachzulegen, wenn dir danach ist.“ „Sah das für dich nach einem Versuch aus?“ Gespielte Skepsis grub sich in das Gesicht des Firmenchefs. Doch Joey ließ das nicht gelten. „Hör auf damit! Es war schlicht gedankenlos von dir. Und von mir auch", gestand er ehrlicherweise ein. "Ich hätte dich davon abhalten sollen.“ Voller Selbstvorwürfe dachte Joey daran, was hätte passieren können, wenn sie entdeckt worden wären. Kaiba nickte zur Bestätigung. „Das hättest du. Aber es hätte nichts genutzt. Denn meine ‚Argumente‘ sind stärker als deine.“ Kaiba wusste, dass er den Kleineren mit seiner scheinbar uneinsichtigen Haltung nahe an den Rand des Wahnsinns trieb. Er begann zu verstehen, warum Joey solch einen Spaß daran hatte, andere mit zahlreichen, nichtigen Worten und Wortspielereien zu verwirren. Insgeheim war er gespannt, mit welchem Argument ihm Joey sonst noch verdeutlichen wollte, wie falsch er gehandelt hatte und dass sich das, was heute geschehen war, nicht wiederholen durfte. „Irgendwann leidet dein guter Ruf darunter.“ Aha. Das erwartete Argument. Der Firmenchef merkte sich gedanklich vor, dass er den Jüngeren in Zukunft vor jeder ernsthaften Diskussion verführen würde. Immerhin schien die körperliche Befriedigung dazu zu führen, dass der sonst so wache Verstand seines Hündchens nur noch auf Sparflamme lief. Andernfalls wäre ihm vermutlich selbst der Schwachpunkt in seiner Argumentationskette bewusst gewesen. So lag es an ihm, die zahlreichen Rädchen in Joeys Gehirn mit einem zweifelnden Blick wieder in Schwung zu bringen. „Seit wann genau habe ich einen guten Ruf?“ Dem hatte Joey nichts entgegenzusetzen. Doch er gab nicht auf. „Hätte uns jemand entdeckt, hätte das zu ernsten Konsequenzen bei deinen geschäftlichen Beziehungen führen können“, argumentierte er entnervt weiter. Es fühlte sich merkwürdig an, auf einmal die Position des Vernünftigeren von ihnen beiden einzunehmen. Immerhin war dies sonst Setos Part. „Meine privaten Beziehungen waren mir schon immer wichtiger, Hündchen. Und was meine geschäftlichen Beziehungen anbelangt… In dieser Hinsicht ist jeder weitere Gedanke hinfällig – Geld regiert die Welt.“ Der Blonde gab sich geschlagen. „Und du bist natürlich stinkreich." Er musste zugeben, dass es ihn freute, dass Kaiba ihre Beziehung über alles andere stellte – selbst über seine Firma. „Reicher, als du es dir je vorstellen könntest, Hündchen. Also mach dir keine Sorgen.“ Einige Zeit verharrten beide im stillen Einvernehmen miteinander. Stumm hing jeder seinen eigenen Gedanken nach, ehe der Kleinere abermals zum Sprechen ansetzte. "Trotzdem sollten wir das hier", er deutete vage auf die gesamte Umgebung, "sicherheitshalber nicht noch einmal wiederholen." "Keine Sorge, Hündchen. Wenn es dir so unangenehm ist - was ich allerdings nicht glaube - … Ich habe nicht vor, dich ein weiteres Mal an deinem Spind zu nehmen." Ein zarter Hauch von Erleichterung breitete sich auf dem Gesicht des Kleineren aus. Seto bemerkte es umgehend und konnte nicht widerstehen, noch hinzuzufügen: "Ich habe ja auch noch einen Spind." Fassungslos blickte Joey zu ihm auf. Doch der Größere ließ sich nicht beirren und fuhr fort. "Und dann gibt es da ja noch den Klassenraum, den Biologieraum, die Duschen, die Sporthalle", angelegentlich schnellte bei jedem Punkt seiner Aufzählung einer seiner Finger nach oben. "Nicht zu vergessen die Aula, der Beratungsraum und natürlich - ganz klassisch - die Abstellkammer - gleich neben dem Heizungsraum." Blankes Entsetzen, gepaart mit einer widerwilligen Faszination für alle benannten Orte, spiegelte sich im Gesicht des Blonden wieder. Unschwer zu erkennen, dass ihn die Vorstellung, sich noch an anderen öffentlich zugänglichen Räumen in diesem Gebäude mit Seto zu vereinen, merklich erregte. Da half es auch nichts, sich immer wieder vorzustellen, in welche Lage es sie bringen könnte, sollten sie dabei entdeckt werden. Dennoch wollte er es nicht hinnehmen, dass Kaiba in ihrem kleinen Wortgefecht die Oberhand behielt. Daher kam er nicht umhin hinzuzufügen: "Du hast den Schulgarten vergessen." Bestätigend und ablehnend zugleich nickte Kaiba mit dem Kopf und zuckte umgehend mit den Schultern. "Der Garten meines Hauses ist erheblich gemütlicher." Skeptisch schob sich eine blonde Augenbraue ein winziges Stück nach oben. "Lass mich das richtig stellen. Du hast eine Villa. Kein Haus. Und dein Garten ist auch kein Garten, sondern ein Park." "Nein. Garten. Meines Erachtens nach sollte eine Grünfläche, um als Park bezeichnet zu werden, eine gewisse Standardgröße von mindestens 10.000 Hektar merklich überschreiten." "Du täuschst dich. Der kleinste Park der Welt, der Mill Ends Park in Oregon, misst sogar nur 0,3 Quadratmeter." "Mag sein. Aber soweit ich mich erinnere, steht dort sogar ein Riesenrad. Hast du in meinem Garten schon ein Riesenrad gesehen?" Für Joey war dies nicht der ausschlaggebende Punkt. "Du könntest dort ohne größere Probleme eins bauen lassen." Der Blonde war froh, den Älteren im Laufe ihres Geplänkels langsam, aber stetig vom ursprünglichen Thema abgelenkt zu haben. Auch wenn er auf Grund weit zurückliegender Erfahrungen damit rechnete, dass Kaiba zu einem späteren Zeitpunkt mit zu 99 prozentiger Sicherheit nochmals auf all die benannten Orte zurückkommen würde - vorerst war die Gefahr damit gebannt. Die Gedanken des Firmenchefs wanderten in eine ähnliche Richtung. Er hatte kein Problem damit, sich von dem Kleineren auf für ihn sicheres Terrain führen zu lassen - fürs Erste. Jeder, der Jono und ihn damals gekannt und von ihrer Beziehung gewusst hatte, hätte annehmen können, dass der Blonde die treibende Kraft, der Leidenschaftlichere, von ihnen beiden gewesen war. Doch die Wirklichkeit hatte anders ausgesehen. Mochte Jono auch die Position desjenigen eingenommen haben, der zuerst seine Gefühle für den Älteren entwickelt hatte - letztlich war er es gewesen, der seine Hände nicht von dem Heeresführer hatte lassen können. Kaum jemand von ihnen bemerkte den Zeiger der Uhr zu ihrer rechten, welcher während ihrer Unterhaltung stetig weiter gewandert war. Ohne sich um die Liebenden zu kümmern, zeigte er inzwischen das Ende der Stunde an, was durch ein durchdröhnendes Klingelzeichen noch unterstrichen wurde. Von der Zeit überrascht, zuckte Joeys Blick zu seiner eigenen Armbanduhr. „Und was erzähle ich jetzt Yugi und den anderen, warum ich nicht zum Unterricht gekommen bin?“, stöhnte er unbewusst laut auf. „DAS interessiert mich allerdings auch.“ Grinsend wuschelte Seto dem Kleineren unerwartet liebevoll durch die Haare. „Aber du bist ja sonst auch nicht auf den Mund gefallen, Hündchen. Ich für meinen Teil bin gespannt, wie du dich da wieder heraus manövrieren willst.“ „Sadist.“ Das Klingeln der Schulglocke und nahende Schritte im Raum enthoben Kaiba einer Antwort. Noch bevor die ersten Schüler ihren Gang erreicht hatten, erhob er sich von der Bank und stellte sich an seinen eigenen Spind. Die bösen Blicke seines Geliebten im Rücken spürend, machte er sich daran, seine Sachen heraus zu holen. Was Ordnungsliebe anbelangte, war er dem Blonden immer noch um Längen voraus - was dazu führte, dass er sich nicht zu sehr auf seine Aufgabe konzentrieren musste. Dass sein Spind in der Nähe von Joeys und denen der anderen lag, ersparte ihm die Mühe, sich einen anderen Grund zu suchen, um unauffällig in Hörweite zu bleiben. Er selbst würde keine Probleme haben, seine Abwesenheit zu erklären. Bereits zu Beginn des Unterrichts hatte er ein wichtiges Telefonat entgegennehmen müssen. Wie immer hatte kein Lehrer etwas dagegen, als er den Raum verließ. Als Yugi dem Lehrer mitgeteilt hatte, dass Joey noch sein Biologiebuch holen müsse, hatte er nicht widerstehen können und war ihm nachgegangen. Umso gespannter war er, zu hören, was Joey gleich den Anderen auftischen würde. „Hi Joey! Mensch, wo warst du denn? Du bist ja gar nicht mehr wiedergekommen?“ Schon war der ‚Kindergarten‘, wie Kaiba die drei Freunde von Joey oft nannte, ebenfalls eingetroffen. Joey hatte sich indes nicht ein Stück wegbewegt. Noch immer saß er auf der Bank und hielt sein Biologiebuch fest in der Hand. Sein Rucksack stand neben seinen Füßen. Scheinbar erschöpft sah er zu seinen Freunden auf. „Sorry, Leute. Aber als ich hier unten war, hab ich mich auf einmal so komisch gefühlt.“ /Das ist nicht gelogen, wenn man bedenkt, dass er vor Erregung gestöhnt hat/, stellte Kaiba schmunzelnd fest, während er der Unterhaltung von seinem Standpunkt aus weiter folgte. „Geht’s dir nicht gut?“ „Nein, nein. Alles in Ordnung. Ich musste mich nur einen Moment auf die Bank legen. Und ehe ich mich versah, war die ganze Stunde um. Ich habe letzte Nacht einfach nicht viel Schlaf bekommen.“ Auch das entsprach alles der Wahrheit. Nur der Zusammenhang war ein anderer. Erneut bewunderte Kaiba sein Hündchen für seine natürliche Begabung, immer die richtigen Worte zu finden, ohne zu lügen. Das bedeutete aber auch, dass er selbst ebenfalls auf der Hut sein musste, bei dem, was der Kleinere ihm erzählte. Er würde seine eigene Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen, noch weiter schulen müssen, um mit Joey in Zukunft mithalten zu können. Er war nicht so naiv zu glauben, dass dieser ihm ab jetzt stets die ganze Wahrheit erzählen würde. Sein Blick, als er ihm von all seinen anderen Namen berichtet hatte, war ihm nicht entgangen. Sollte der Kleinere dem Irrglauben erlegen sein, ihm damit helfen zu können oder zu beschützen, würde er ihm auch weiterhin einige Dinge vorenthalten. So war es schon immer gewesen. Daran ließ sich nichts ändern. Es entsprach seinem Wesen. Auch wenn diese Eigenschaft ihn bereits in alter Zeit ein ums andere Mal nahe an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte, war dies doch auch gleichzeitig einer der Gründe, weshalb er sich einst in den Blonden verliebt hatte. Er stand jedem zur Seite – sogar einem wie ihm. Leider dachte er dabei nur allzu selten an sich selbst. /Nun, das ist dann wohl meine Aufgabe…/ „Bist du sicher? Vielleicht solltest du doch lieber mal zum Arzt gehen. Immerhin ist es schon ganz schön kalt. Nicht, dass du doch krank bist“, schlug Yugi besorgt vor. „Genau, Alter. Immerhin sind nächste Woche die Vorprüfungen, da musst du fit sein“, steuerte Tristan ein wichtiges Argument bei. „Richtig, Taylor. Das Beste wäre es wohl, wenn das Hündchen den Rest der Woche vorsichtshalber im Bett verbringt“, mischte sich nun auch Kaiba ein und nur Joey wusste, wessen Bett er für das richtige hielt. Mit einem giftigen Seitenblick in seine Richtung, überging der Kleinere seinen Kommentar geflissentlich. „Keine Sorge, Yugi. Ich bin wirklich nur müde. Sobald ich ein bisschen Schlaf gefunden habe, werde ich mich gleich an meine Bücher setzen und für nächste Woche so viel lernen, wie ich kann, um die Prüfungen zu bestehen.“ „Ich bin sicher, nichts, was du bis nächste Woche tust, wird dein derzeitiges Prüfungswissen noch nennenswert steigern können“, prophezeite Kaiba. Der Firmenchef musste feststellen, dass er es genoss, sich mit dem Blonden auf einer anderen intellektuellen Ebene duellieren zu können. Schon vorher war er einem guten Streitgespräch mit dem Blonden nie abgeneigt gewesen, da nur dieser ihn von seinem Alltag als Firmenchef hatte ablenken können. Inzwischen bewegten sich viele ihrer Argumente jedoch am Rande einer Zweideutigkeit, die nur sie beide als solche erkannten. Niemand der anderen hatte Zutritt zu dieser kleinen Welt, welche aus dem neu erworbenen Wissen über den jeweils anderen und ihrer weit zurückreichenden gemeinsamen Vergangenheit bestand. Es war eine Herausforderung, ihre jeweiligen Argumente stets so zu wählen, dass nur der Andere ihre volle Bedeutung erfassen konnte. „Vielleicht wärst du überrascht, was ich alles in der kurzen Zeit noch lernen könnte.“ „Da bin ich sicher, Wheeler. Selten war jemand so voller Überraschungen, wie du. Eventuell schaffst du es ja sogar, dir bis zum Beginn der Prüfung endlich die Integralrechnung zu erklären. DAS würde mich ehrlich überraschen.“ „Zu einfach. Lass uns die Messlatte ein wenig höher legen, Kaiba. Wie wäre es mit einer oder zwei von dir ach so geschätzten Programmiersprachen?“ Die Arme herausfordernd und auf Angriff gebürstet in die Seite gestemmt, sah Joey ihn an. Niemand der Umstehenden wäre auf die Idee gekommen, dass Joey jedes Wort ernst meinen könnte. Geschweige denn, dass sowohl Joey als auch Kaiba Spaß an ihrem kleinen fingierten Streit hatten. „Übernimm dich nicht, Kleiner. Es gibt unterhaltsamere Dinge, mit denen man sich in der Nacht beschäftigen kann.“ „Zum Beispiel, sich zu überlegen, wie man andere Firmen in den Ruin treibt?“, verlangte Joey zu wissen. „Was hätte ich davon? Sie zu übernehmen halte ich für sinnvoller“, korrigierte ihn Kaiba. Yugi, Tristan und Tea konnten nur den Kopf schütteln. In den vergangenen Wochen hatten sich die zwei dauerhaft angeschwiegen. Das war direkt unheimlich gewesen. Dass sie sich nun wieder nach Herzenslust gegenseitig attackierten, zeugte zwar davon, dass sie wieder zu ihrer alten Form zurückgefunden hatten, doch keiner der drei war sich sicher, ob ihnen die Funkstille vorher nicht besser gefallen hatte. „Joey, wir sollten langsam gehen. Wir wollten noch essen gehen, kommst du mit?“, erkundigte sich Tea zaghaft. „Du solltest mitgehen, Wheeler, damit du wieder zu Kräften kommst. Wer weiß, wie schnell du dich heute vielleicht nochmal auf irgendeiner Bank wiederfindest.“ Arrogant wie eh und je, schritt er an dem Blonden und seinen Freunden vorbei. Joey konnte es sich indes nicht verkneifen, doch noch das letzte Wort haben zu wollen. „Du kannst mich mal, Kaiba.“ Doch der Firmenchef war noch nicht weit genug weg gewesen, dass er das nicht gehört hätte. Mitten im Schritt hielt er inne und wandte sich noch einmal halb zu dem ‚Kindergarten‘ um, richtete sein Augenmerk aber allein auf den Blonden in ihrer Mitte. In seinem Gesicht stand eine unausgesprochene Warnung geschrieben. „In deiner… Position… würde ich mir gut überlegen, was ich sage, Hündchen.“ In Gedenk an seinen noch immer leicht schmerzenden Hintern, hielt Joey sich ausnahmsweise zurück. Ein paar unverständliche Worte murmelnd, schnappte er sich seine Tasche und machte sich mit den anderen auf den Weg in die Cafeteria. Sich an seine früheren Nächte mit Seth erinnernd, war es vielleicht doch besser, sich ein wenig zu stärken. _______________________________________________________________________________ WICHTIGE Ankündigung: Der Titel dieser FF wird innerhalb der nächsten drei Kapitel geändert. Leider fällt es mir immer schwer, mir passende Überschriften auszudenken, daher habe ich damals einfach stupide Joey - Kaiba / Seth - Jono über meine Datei geschrieben und auch die Geschichte so benannt. Mir fiel nichts Besseres ein. Umso glücklicher bin ich, dass mir Yoseiko ein bisschen auf die Sprünge geholfen hat. Aus drei passenden Vorschlägen, habe ich mich für folgenden entschieden: 'TIME TO REMEMBER' Ich finde ihn wunderbar und sehr passend für meine FF und werde die gesamte Geschichte demnächst neu betiteln. Solltet ihr die Geschichte also nicht als Favo abgespeichert habe, bitte ich euch, diese dann in drei Wochen unter diesem Namen zu suchen und nicht mehr unter dem alten. DANKE an Yoseiko, die sich den Kopf für mich zerbrochen hat. Ich hoffe, ihr lernt den neuen Titel ebenso lieben, wie ich. Ich selbst freue mich jedenfalls unglaublich, endlich etwas schöner klingendes zu haben. ^_^* Bis nächste Woche. Kapitel 43: Geschichten am Lagerfeuer ------------------------------------- Hi! Entschuldigt bitte. Auch wenn ich versprochen hatte, ab jetzt jedes WE zu veröffentlichen, ist es doch noch einen Tag später geworden. ;_; Ich hoffe, das Kapitel rund um die Vergangenheit eines gewissen Jemand entschädigt ein wenig dafür. ^_^* Derzeit stehe ich etwas unter Termindruck, meine Arbeit betreffend, daher habe ich nicht viel Zeit zum Schreiben. Seht es mir bitte nach. In ca. 4 Wochen kehrt endlich wieder ein bisschen Ruhe ein, dann veröffentliche ich wieder verlässlicher und habe auch Zeit, auf Kommis zu antworten. Bitte schreibt mir auch weiterhin, wie ihr die Teile gefunden habt - denn ich lese natürlich trotzdem alle sofort, da sie mich in dieser stressigen Zeit gerade sehr motivieren. GLG seththos _________________________________________________________________________________ Unruhig warf Kaiba sich im Bett herum. Morgen würde Joey Tome das Programm installieren und erklären. Dann, so hatten sie beschlossen, würden sie noch eine Woche abwarten. In dieser Woche würde Kaiba vor den Wirtschaftausschuss treten und die Klage gegen Tome in die Wege leiten. Erst wenn das erledigt war und der Virus am Stichtag seine Arbeit aufnahm, musste er nicht mehr ständig aufpassen, wer sie eventuell beobachtete. Dann konnte sein Hündchen endlich vollständig ihm gehören. Auch wenn er nichts dagegen gehabt hätte, Joey bereits jetzt in seinem Bett neben sich liegen zu sehen, wusste er, dass dann all die vorangegangenen Mühen umsonst gewesen wären. Ein weiteres Mal drehte er sich in die andere Richtung und zog seine Bettdecke fester um sich. Er sollte lieber schlafen, umso schneller begann am nächsten Tag die Schule… ~~~~~~~~~~ Aufmerksam sah Seth sich um. Er wollte sicher gehen, dass sie an diesem Ort nichts zurückließen. Yanis hatte mit einigen der Viehtreiber inzwischen alle Leichen etwas weiter entfernt im Wüstensand vergraben. Allein den Leichen der Ägypter hatte man ein paar Grabbeigaben beigelegt. Auf Grund der Hitze war stets ein schnelles Handeln erforderlich, um nicht erst unnötige Aufmerksamkeit von diversen Aasfressern zu erregen. Insgesamt zählten sie auf ägyptischer Seite dreizehn Tote. Vornehmlich Männer, die zuerst auf den Überfall aufmerksam geworden waren und daher vorzeitig den Tod durch die Klingen der Syrier gefunden hatten. Zahlreiche mitreisende Frauen waren bei der Trauerzeremonie in Tränen ausgebrochen. Er selbst war gebeten worden, die Seelen der Verstorbenen mit den üblichen Ritualen den Göttern zuzuführen. Spätestens nach Ende der schnell arrangierten Zeremonie, wussten alle Anwesenden, dass er Priester war. Dies stellte aber nur insofern ein Problem dar, als dass er am frühen Morgen bereits zum fünfundzwanzigsten Mal um eine Segnung gebeten worden war – sei es für das Vieh, einzelne Kinder, die Verstorbenen oder verwandte Seelen in weit entfernten Dörfern. Keiner von ihnen wusste sicherlich, wie viel sein Segen tatsächlich wog, da niemand seine Identität als Hohepriester kannte. Doch auch ein einfacher Priester wurde stets mit sehr viel Respekt und Ehrfurcht behandelt. „Priester, ich bitte Euch, bittet die Götter um Schutz für mich auf meiner weiteren Reise.“ Stirnrunzelnd sah Seth auf die junge Frau vor ihm. Sie gehörte zu den Frauen aus Asyut und würde heute mit einem Teil der zweiten Karawane weiterziehen. Auch wenn er inzwischen ernstlich genervt von all den Bittstellern war, gewährte er ihr ihren Wunsch. Immerhin gehörte dies zu den täglichen Aufgaben eines Priesters. Schnell sprach er, begleitet von seiner auf ihrem Haupt ruhenden Hand, einen Schutzzauber über sie. „Ich danke Euch, Priester! Rah möge Euch auf Eurem Weg schützen.“ „Euch ebenso“, antwortete Seth, ehe er weiterschritt. Ein belustigtes Schnauben hinter ihm ließ ihn wissen, dass der kleine Zauber nicht ohne Beobachter stattgefunden hatte. „Oh Priester, ehrfürchtiger, heiliger Mann, mächtiger Heiler, Botschafter der Götter…“ Übertrieben ehrfürchtig neigte Jono seinen Kopf und sah mit Schalk in den Augen zu Seth auf. Schmunzelnd warf dieser einen Blick auf das Haupt des Kleineren, welches mit einem Tuch bedeckt war, so dass seine blonden Haare nicht zu sehen waren. „Komm zum Punkt.“ „Wäret Ihr wohl so gütig, mich zu begleiten?“ „Was? Ein Bittsteller, der nicht von mir gesegnet werden will?“ Grinsend richtete Jono sich auf. „Nein danke, ich verlasse mich lieber auf mich selbst, statt auf den Segen der Götter.“ Kurz schweifte sein Blick zum Rücken der Frau, welche eben noch um Seths Segen gebeten hatte und nun etwas entfernt mit ein paar Männern aus Asyut redete. Etwas ernster fügte er hinzu: „Wer sich auf die Götter verlässt, der ist verlasen.“ Der Hohepriester folgte seinem Blick, ehe er ihn zurück auf die versteckten blonden Haare wandern ließ. Bereits in der Nacht zuvor hatte Jono seine Haare verhüllt. Den Grund dafür hatte er offen gelassen. „Wirst du mir je sagen, was damals geschehen ist?“ Zweifelnd sah Jono ihn an. „Ist es denn wichtig?“ Mit liebevollem Blick streifte Seth die scheinbar lockere Haltung des Blonden, welche darüber hinwegtäuschen sollte, wie wichtig diesem seine Antwort war. Seit der vergangenen Nacht… verstand… er ihn. Er spürte es intuitiv, wenn Jono etwas bewegte. Eine Bewegung, ein Blick, ein Wort oder eine Berührung reichten, um ihn ahnen zu lassen, was in ihm vorging. Dieses Verständnis seines Gegenübers kam ihm mit einmal so natürlich vor, dass er sich fragte, wie er sich je von diesem kleinen, hinterlistigen Schakal in die Irre hatte führen lassen können. „Nein.“ Seth schüttelte den Kopf. „Es ist nicht wichtig. Ich liebe dich, wie du bist – ganz egal, was damals auch immer passiert sein mag.“ Jonos Schultern entspannten sich. „Aber ich denke, dass es für DICH wichtig ist, Jono. Ich weiß nicht, was damals geschah. Was ich aber weiß, ist, dass es dir bis heute zu schaffen macht.“ Scheinbar, um eines seiner Haare wieder unter das Tuch zu schieben, beugte sich Seth zu dem Kleineren hinunter. Ungesehen von eventuellen Beobachtern, strich er leicht mit seinem Handrücken über die Wange des Kriegers. „Egal, was es ist. Eine Last wird leichter, wenn man sie mit jemandem teilen kann, Jono. Du kannst dir sicher sein: Egal, was auch immer du mir eines Tages anvertraust, nichts davon wird meine Meinung über dich ändern.“ Jono wandte sich ab. „Wir sollten gehen. Die anderen warten.“ Langsam ging er an dem Hohepriester vorbei. „Jono?“ Die Gestalt des Blonden verharrte. Ihre Blicke trafen sich. „Werde ich je die Wahrheit erfahren?“, hakte er noch einmal nach. Ein entschuldigendes Lächeln huschte über die Züge des Heeresführers. „Wahrscheinlich nicht.“ Seth nickte nur. Sollte dem tatsächlich so sein, würde er es akzeptieren. Wenig später trafen die zwei mächtigsten Männer Ägyptens - nach dem Pharao - bei den wartenden Soldaten ein. Diese unterhielten sich gerade mit einigen der Viehtreiber und Leuten aus Asyut. Nach allen Seiten mit einem kurzen Handzeichen und einem Senken des Kopfes grüßend, traten die beiden in den inneren Kreis der sich beratschlagenden Gruppe. „Seth, wie gut, dass Ihr da seid. Einige der Leute aus Asyut haben beschlossen, ihre Reise nicht weiter fortzusetzen und in ihr Dorf zurückzukehren. Sie wollen den Verstorbenen in dem Tempel die entsprechende Ehre erweisen. Man bat uns, ihre Karawane zu begleiten – als Schutz vor eventuellen weiteren Angriffen“, erklärte Ilai, während er möglichst unauffällig auf ein Zeichen von Jono oder Seth wartete. Anscheinend hatte er nicht vor, die Rolle des Anführers wieder vollständig zu übernehmen. „Ihr habt bereits viel für uns getan. Wir scheuen uns davor, Euch nun auch noch um diesen Gefallen zu bitten“, setzte Lesat, einer der Asyuter, dazu. Unat, ein Viehtreiber, blickte entschuldigend auf die sechs Reisenden. „Wir haben gesehen, wie gut Ihr kämpfen könnt. Bitte seid gewiss, dass wir uns für Euren Schutz erkenntlich zeigen werden.“ Bezeichnend deutete der ältere Mann auf die sechs Pferde, welche sich noch am Wasserloch gütlich taten. „Alle haben überlegt, wie wir uns angemessen bei euch bedanken können. Ein paar von uns haben gesehen, dass Ihr reiten könnt.“ Bewunderung stahl sich in seinen Blick, als er zu Jono hinüber sah. Dieser sagte nichts dazu. Es wäre sinnlos gewesen, diese Fähigkeit nach seinem gestrigen Auftritt abzustreiten. Pferde waren keine gängigen Reittiere in Ägypten, wenn überhaupt nutzte man sie als Zugtiere für Streitwagen. Die Wenigsten vermochten es, sich auf dem Rücken eines Pferdes zu halten und zu reiten. Der Pharao hatte jedoch einst Gefallen an dieser sehr viel schnelleren Art der Fortbewegung gefunden und sich das Reiten von einer Reihe Handelsreisender aus einem anderen Land zeigen lassen. Von wem Jono das Reiten gelernt hatte, war nicht zu sagen. In seiner Funktion als Heeresführer hatte er jedoch darauf bestanden, dass einige der geeignetsten Männer ebenfalls das Reiten erlernten. Zweifelsfrei hatte er den Vorteil der schnellen Tiere gegenüber den Kamelen und Eseln, welche hauptsächlich als Lasttiere genutzt wurden, erkannt. Derzeit gab es im Land jedoch nur sehr wenige Pferde. Die Zucht dieser schönen Tiere ging nur langsam voran – zumal sie auch unter der glühenden Sonne Ägyptens leben können mussten. Dementsprechend großzügig war das Geschenk, welches die Viehtreiber zu machen gedachten. Letztlich waren diese Tiere weitaus wertvoller, als ihr ganzes Vieh, dass sie von einer Oase zur nächsten trieben. Die Pferde, so viel hatte Jono bereits unterwegs erfahren, waren ursprünglich dem Pharao selbst zugedacht gewesen. „Wir alle hier sind der Ansicht, dass nur diese Tiere auf der Wiege der Maat wohl ein angemessenes Gegengewicht zu unserem Leben darstellen. Bitte, nehmt unseren Dank an.“ Leicht unsicher sahen sich die Soldaten an. Mit Pferden würden sie eher auffallen. Dieses großzügige Geschenk abzulehnen, hätte jedoch zu einem Gesichtsverlust für die Reisenden geführt. Die Ehre selbst gebot es, dass nur der wertvollste Besitz die Rettung des eigenen Lebens aufwiegen konnte. Zudem verschaffte es ihnen auf ihrer Rückreise vielleicht auch einen kleinen Vorteil. Mit einer halben Verbeugung wurde das Geschenk dankend angenommen. „Habt Dank. Wir werden uns gut um eure Tiere kümmern. Da wir ohnehin denselben Weg haben – in Richtung Asyut – werden wir gern Augen und Ohren offen und unsere Waffen gezogen lassen, um euch erneut zur Seite zu stehen, bis wir euch sicher an euer Ziel begleitet haben“, sprach Ilai in ihrer aller Namen. Damit war es beschlossen. Bereits kurz darauf waren auch die letzten Vorkehrungen getroffen und eine Gruppe von nunmehr 49 Menschen machte sich, gemeinsam mit zahlreichem Vieh, auf den Weg nach Asyut. Während der zweitägigen Reise setzte Jono sich weitgehend von der Gruppe ab. Oft ritt er auf einem der Pferde voraus, um der Karawane als Kundschafter zu dienen. Am Abend hielt er sich hingegen meist am Rande der Feuer auf und enthielt sich aller Gespräche. Seth registrierte sein Verhalten, ließ es aber unkommentiert. Um ihrer Aufgabe nachzukommen, war es nicht notwendig, mit den Asyutern zu sprechen. Größere Sorgen bereitete ihm das Verhalten von Janis, Elias und Aziz, welche nur die nötigsten Worte mit Jono wechselten. Die Gründe für ihr Verhalten waren schwer einzuschätzen, doch er ahnte, dass Jono ihre veränderte Haltung ihm gegenüber zu schaffen machte. Noch immer war unklar, ob sie ebenfalls erkannt hatten, wer sich hinter dem Rekruten Jono tatsächlich verbarg und der Blonde hielt es für unnötig, sie direkt danach zu fragen, da solche Fragen eventuell vorhandenen Vermutungen nur weitere Nahrung geben würde. Doch irgendwann, spätestens wenn sie gemeinsam die Rückreise antreten würden, wäre eine Konfrontation dieser Art wahrscheinlich nicht mehr zu vermeiden. In der Nacht, bevor sie Asyut erreichten, ließen sich alle Mitglieder der Karawane ein letztes Mal um ein großes Feuer nieder. Schon am nächsten Tag, zur Mittagszeit, würden sich ihre Wege trennen. Zum Abschied hatten ein paar der Viehtreiber eines ihrer Rinder getötet und ein paar Frauen aus Asyut bereiteten eine leckere Mahlzeit für alle Anwesenden zu. Bei neunundvierzig Menschen wurde man von dem zur Verfügung stehenden Fleisch schwerlich satt, so dass noch allerhand vorhandenes Dörrfleisch, Gerstenbier und Brot aus den Taschen der Reisenden hervorgeholt werden musste. Durch die vergangenen Ereignisse zusammengewachsen, wurde die vorhandene Nahrung gleichermaßen unter allen geteilt. Selbst Jono setzte sich in dieser Nacht an das Feuer, wenn er auch ebenso schweigsam blieb, wie die Tage zuvor. „Wann werden wir ankommen?“, erkundigte Yanis sich gerade bei den Leuten aus Asyut. Er selbst war noch nie in diesem Teil des Landes gewesen, so dass er die Entfernungen nicht einschätzen konnte. „Morgen Mittag“, erklang die knappe Antwort aus unerwarteter Richtung. Überrascht sahen einige der Leute, die in der Nähe saßen, auf Jono. In den letzten Tagen hatten sie sich mit seiner Schweigsamkeit abgefunden. „Kennt Ihr die Gegend, Jono?“, wagte einer der Viehtreiber zu fragen. Der blonde Mann war einigen von ihnen unheimlich. Seine Idee hatte dafür gesorgt, dass sie mit dem Leben davon gekommen waren, doch beim Kampf hatten sie auch gesehen, zu was er fähig war. Für Menschen, die in der Nähe der Grenze lebten und umher zogen, war der Anblick eines Kriegers nichts Ungewöhnliches, doch Jonos Art zu kämpfen war … furchteinflößend. Stille breitete sich aus, als er zu einer Antwort ansetzte. „Flüchtig“, ließ er einsilbig verlauten und kümmerte sich wieder um sein Fleisch. Das Gespräch, wollte man es so nennen, war für ihn damit beendet. Ohne den anderen weitere Beachtung zu schenken, trank er einen Schluck aus einem Schlauch gefüllt mit Gerstenbier und versank abermals, wie so oft in letzter Zeit, in Schweigen. „Da fällt mir ein, bei uns im Dorf lebte einst ein Junge, der Euren Namen trug“, erzählte ein älterer Mann, um die entstandene Stille mit Worten zu füllen. „So? Der Name ist doch aber eher selten, nicht wahr?“ Interessiert nahm einer der Viehtreiber, ein großer, breitschultriger Mann mit Namen Lan, den Gesprächsfaden auf. „Da habt Ihr wohl Recht. Doch auch die Umstände der Geburt des Jungen waren … außergewöhnlich.“ Neugierig sahen einige der Viehtreiber, in Erwartung einer kleinen, unterhaltsamen Geschichte zu den Asyutern. Erfreut, sich mit so vielen aufmerksamen Ohren konfrontiert zu sehen, lehnte sich der ältere Mann ein wenig zurück und begann zu erzählen. „Nun, es ist sicher keine schöne Geschichte… Damals, im letzten Krieg, war es unser Dorf, das nicht nur einmal überfallen worden ist. Das kam wohl daher, dass in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ein großer Tempel liegt – der letzte vor der östlichen Grenze. Vermutlich dachten die Syrier, dass die Priester dort irgendwelche Schätze verstecken würden.“ Sein kurzes Auflachen zeugte davon, dass die Asyuter nicht wussten, dass dem tatsächlich so war – bis heute. „Einmal überfielen uns die Syrier des Nachts. Sie hatten die Truppen des Pharaos im Schutz der Dunkelheit umgangen. Wohl auch durch die Hilfe einiger Söldner, welche aus weiter im Norden liegenden Ländern stammen mussten.“ „Warum vermutet Ihr, dass sie gerade im Norden Verbündete gefunden haben?“, erkundigte sich eine junge Frau neugierig. Vielsagend deutete der Erzähler auf seine eigenen schwarzen Haare. „Nun, sie hatten helle, goldene Haare. Nur Nordländer bringen Männer und Frauen mit solch blondem Haar hervor. Wahrscheinlich haben die Syrier ihnen einen hohen Lohn versprochen, wenn sie auf ihrer Seite kämpfen würden.“ Verächtlich spuckte er aus. „Dieses Söldnerpack hat uns vollkommen unvorbereitet eingekreist und einen Teil unserer Häuser und Felder angezündet.“ Von der Erzählung früherer Schlachten fasziniert, lehnten sich einige der jüngeren Kinder weiter vor. Während die Mädchen sich ein wenig enger an ihre Mütter schmiegten, versuchten mehrere Jungs, sich möglichst zwischen den Männern durchzuschlängeln, um besser hören zu können. „Es war ein grausames Schauspiel. Viele Männer starben damals. Wir waren einfache Bauern – sicher gewohnt, uns zu wehren, doch nicht gegen diese Dämonen. Die meisten jungen und kräftigen Männer waren damals bereits im Krieg. Bei uns im Dorf waren nur wenige zurückgeblieben, um uns zu schützen. Ich war einer davon. Zu meinem Glück überlebte ich, verlor jedoch meine linke Hand.“ Bezeichnend schob er den Stoff seiner Kleidung ein Stück zurück und offenbarte einen bloßen Stumpen, welcher aber bereits seit Jahren verheilt war. „Doch das Schlimmste taten sie unseren Frauen an. Sie vergewaltigten sie noch in jener Nacht. Einige brachten sich am Ende vor lauter Schmach um, ein paar andere versuchten, wieder zurück ins Leben zu finden.“ Mit dunkel umwölktem Blick starrte er ins Feuer. Man konnte sehen, wie ihn das damals Geschehene noch heute erzürnte. „Ein Bote, der des Nachts stets Wache gehalten hatte, hatte damals rechtzeitig fliehen können. Im Morgengrauen kamen die Truppen des Pharao und befreiten unser Dorf. Viele waren froh, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Danach hatten wir viel zu tun. Das Dorf musste wieder aufgebaut werden. Es verging einige Zeit und die Frontlinie verschob sich nach Westen. In den darauffolgenden Monaten gebaren fünf Frauen des Dorfes Kinder. Die Kinder dieser Dämonen, die sie vergewaltigt hatten. Wir töteten sie alle und brachten ihre Körper als Opfer für die Götter dar, als Dank, dass sie uns rechtzeitig Hilfe gesandt hatten.“ Seth war die Geschichte nicht unbekannt. Er hatte gewusst, dass im Tempel früher auch Menschen geopfert wurden, doch ihm war nie klar gewesen, wie wenig Zeit seitdem erst vergangen war. Er selbst trug seinen Namen nicht ohne Grund. Man hatte ihm oft erzählt, dass er zur Zeit des großen Krieges geboren worden war – in der Nacht, in welcher das Dorf überfallen wurde. Seine Eltern waren damals ums Leben gekommen und er selbst, noch ein Baby, war in den Tempel verbracht worden. Da man ihn neben seinen toten Eltern lebend vorgefunden hatte, benannten ihn die Priester des Tempels nach dem Gott des Todes, Set, auch wenn er selbst nicht für den Tod seiner Eltern verantwortlich war. Daher hatte er selbst, wenn auch dort geboren, nie in Asyut gelebt. Aufmerksam lauschte er der Geschichte des Mannes, welche in gewisser Weise auch zum Teil seine eigene war, weiter. „Doch eine Frau weigerte sich, ihr Kind herauszugeben. Kija war ihr Name. Sie gebar als letzte. Einen Sohn. Sie und ihr Mann waren bereits seit Jahren kinderlos. Er selbst war im Krieg, als der Überfall auf das Dorf stattfand. Wir haben mit allen Mitteln versucht, sie zu überzeugen, das Kind zu opfern, denn wir wollten nicht erneut das Unglück heraufbeschwören. Doch sie war uneinsichtig.“ „Ich nehme an, das war der ‚Jono‘, von dem Ihr spracht?“, erkundigte sich einer der anderen Männer. Bestätigend nickte der Erzähler, ehe er fortfuhr. „Ja. Ein selten gewählter Name in diesem Teil des Landes. ‚Die Götter sind gnädig‘. Ein, meiner Meinung nach, unangebrachter Name für dieses Kind. Und viele andere sahen es genauso. Und wir sollten ja auch Recht behalten. Denn ein paar Jahre später tötete er nicht nur seinen Vater, sondern auch seine Mutter, die ihn unbedingt am Leben erhalten musste. Sie hat schwer für ihren Fehler bezahlt. Dieser Dämon war kein Mensch. Er hatte das Leben nicht verdient, das ihm geschenkt worden war“, ließ der Mann verlauten. Ein Raunen ging durch die Zuhörer. Seths Blick flog zu Jono, welcher nur weiter still ins Feuer starrte. Einer der Viehtreiber wollte es genauer wissen. „Wie das?! Sagtet ihr nicht, der Vater des Kindes sei einer der Söldner gewesen?“ Belehrend blickte der ältere Mann auf. „Ja und nein. Der Ehemann der Frau, einer unserer besten Krieger, kehrte ein paar Jahre später in das Dorf zurück. Damals war der Junge vier Jahre alt. Er war wenig erfreut, sein Weib auf einmal mit einem Jungen zu sehen, der nicht sein eigenes Fleisch und Blut war, doch er fand sich damit ab. Er übernahm die Verantwortung und wurde der Vater des Jungen. Adham war ein gerechter Mann. Er ließ dem Jungen alle Fürsorge angedeihen, als sei es sein eigener und nicht die Brut eines ausländischen Söldners. In den folgenden Jahren trainierte er ihn, um ihn zu einem guten Soldaten, wie er einer war, heranzuziehen. Und doch verkam der Junge immer mehr. Er begann zu stehlen und war auch sonst ein sehr streitsamer, junger Bursche. Doch das war kein Wunder, hatte er doch dasselbe blonde Haar wie sein heimtückischer Vater geerbt und damit wohl auch dessen verachtenswerte Eigenschaften.“ Verächtlich schnaufte der Mann. Die Erzählung ließ eine ferne Erinnerung in Seth erklingen. Als er Jono das erste Mal begegnet war, waren sie beide sechs Jahre alt gewesen. Auch damals hatte er geklaut. Er wusste noch genau, dass er Jono mit einer Hand voller Äpfel auf einem der Bäume im Tempel ertappt hatte. Und doch konnte er den fröhlichen Jungen von einst nur schwer mit der beschriebenen Person in Vereinbarung bringen. „Doch wie kam es dazu, dass der Mann, den ihr Adham nennt, von diesem Sohn getötet wurde? So wie Ihr das erzähltet, klang es, als sei der Junge selbst damals noch nicht sehr alt gewesen.“ „Er war zwölf, als er dieses Verbrechen beging“, mischte sich eine neue Stimme in das Geschehen ein. Aset, ebenfalls eine Frau aus Asyut, trat hinzu und setzte sich neben den älteren Mann. „Mit zwölf soll ein Junge bereits einen ausgebildeten Krieger getötet haben?“, erkundigte sich Akmal, einer der Viehtreiber, skeptisch. Er selbst hatte geschätzt bereits fünfunddreißig Jahre hinter sich und zählte somit zu den Ältesten unter ihnen. Das Gesicht zu einer Maske aus purem Horror verzogen, nickte Aset ihm zu und bestätigte seine Frage. „Ich habe es selbst gesehen… und gehört. Diese Schreie werde ich nie vergessen. Ihr könnt euch das Massaker nicht vorstellen, das sich meinen Augen bot, als ich in ihr Haus trat. Kija war einst eine gute Freundin…“ Unwilliges Schnauben erklang aus Jonos Richtung, doch alle waren zu fasziniert von der Erzählung Asets, um ihm Beachtung zu schenken. „…von mir. Es war später Nachmittag. Die meisten waren auf den Feldern. Ich wohnte in einem Haus neben ihr. Zuerst hörte ich sie schreien. Dann Adham. Ich habe noch nie so viel… Entsetzen und Furcht in einer Stimme gehört. Niemals zuvor und niemals danach. Ich habe mich zuerst nicht getraut, nachzusehen. Erst, als es wieder still war… bin ich in das Haus gegangen. Sie lag im Schlafzimmer. Überall war Blut. Der Junge hatte ihrem Leben mit mehreren Stichen ein qualvolles Ende gesetzt. Ihre Kehle war aufgeschlitzt und als man ihren Körper vor der Beerdigung später vom Blut befreite, konnte man sehen, dass er sie vorher schon mit Fäusten übel zugerichtet haben musste. Adham lag in einer anderen Ecke. Auch ihn hat er… einfach aufgeschlitzt. Ich… so viel Blut…“ Man konnte sehen, dass das schreckliche Bild von damals erneut vor ihrem inneren Auge zu sehen sein musste. „Aber woher wollt ihr wissen, dass der Junge die beiden umgebracht hat?“, wagte einer der anwesenden Männer zu fragen. Mit Grauen im Blick, sah sie zu ihm hinüber. Der Hohepriester sah zu Jono. Dessen Schultern waren angespannt, sein Kopf gesenkt. Es ging ihm nicht gut. Doch er unterbrach sie auch in der nachfolgenden Schilderung nicht ein einziges Mal. „Weil der Junge noch dort war, als ich kam. Er saß da, vor ihrer Leiche. Zwei Messer in den Händen, voller Blut. Alles voller Blut… er… seine Kleidung… alles war rot. Er starrte mich an. Seine Augen waren so… leer. Er war gewiss kein Mensch. Adham lag vor ihm. Und dann… dann hat er plötzlich geschrien. Niemand von euch hat je so einen Schrei vernommen. Glaubt mir, es war schrecklich.“ Schweigen breitete sich aus. Forschend schweifte Seths Blick abermals zu Jono hinüber. Am liebsten hätte er die Frau unterbrochen und den Zuhörern zu verstehen gegeben, dass das, was sie gesehen hatte, nicht wahr sein konnte. Der Jono, den er damals gekannt hatte, dieser fröhliche, freche Junge, wäre zu so einer Tat niemals fähig gewesen. Doch wenn er an die Augen von Anoubis zurückdachte, an die Kälte, die diesen umgeben hatte, war er sich plötzlich nicht mehr so sicher. Aber welchen Grund hätte er gehabt? Warum sollte jemand seinen Vater und seine eigene Mutter umbringen? War diese zweite Seite an Jono vielleicht etwas, das ihn damals schon beherrscht hatte? Vielleicht ein Erbe seines leiblichen Vaters? „Und dann?“ In Erwartung weiterer gruseliger Details hatte eines der jüngeren Kinder es endlich geschafft, sich ganz nach vorn zu drängen. Irritiert sah die Frau auf den kleinen Jungen. „Wie?“ „Na, und dann? Habt ihr Jono dann auch getötet?“, wollte der kleine Junge es ganz genau wissen. „Zuri! Sei still!“, wies ihn einer der Männer zurecht – offenbar sein Vater. „Nein, nein. Schon gut. Der Junge verschwand einfach.“ „Verschwand?“ „Ja. Kaum, dass er mich sah, flüchtete er nach draußen. Ich sprang zur Seite, denn ich befürchtete, dass er auch mich verletzen würde, wenn ich ihn nicht passieren ließe. Später suchte das ganze Dorf noch nach ihm, doch er blieb verschwunden. Man verfolgte seine Spuren noch bis hinaus in die Wüste und wir nehmen an, wir hoffen“, verbesserte sie sich schnell, „dass sich dort die Schakale um ihn gekümmert haben.“ Grimmige Genugtuung spiegelte sich auf ihrem Gesicht, als sie in die Runde sah. „Wir haben viele davon. Schakale. Ich bin sicher, die Götter haben seine Tat gesühnt.“ „Und was soll das alles beweisen?“ Erstaunt sah die Gemeinschaft in die Richtung von Yanis. „Ja, was beweist das alles?“, hakte nun auch Elias nach. Überrascht von ihrem unerwarteten Einwand, hob Jono den Kopf. „Ich habe schon in zahlreichen Schlachten gekämpft und viele Menschen sterben sehen. Auch Kinder. In Blut getränkt… war fast jeder von ihnen. Was beweist schon das Blut auf der Kleidung des Jungen?“ Elias bekräftigte die Worte von Janis. „Ebenso gut hätte jemand anderes die Eltern des Jungen töten und vorher fliehen können.“ „Unmöglich! Er hatte noch die Messer in der Hand!“, untermauerte Aset ihre Worte mit scheinbar eindeutigen Beweisen. „Nun, dann frage ich Euch“, mischte sich nun auch Ilai ein, „was würdet Ihr tun, wenn Ihr in ein Haus kommt und Ihr findet Eure Familie ermordet vor?“ Nur erhellt vom flackernden Schein des Feuers, das Kinn auf seine gefalteten Hände gestützt, begegnete er den Augen der Frau mit ruhigem, ernstem Blick. „Ich frage euch alle“, wandte er sich nun an die ganze Zuhörerschaft „was tut jemand als erstes in solch einer Situation?“ Niemand wusste eine Antwort. Ilai nickte zufrieden. Nichts anderes hatte er scheinbar erwartet. „Seht ihr, niemand weiß es. Vielleicht hat er seine Eltern getötet. Vielleicht kam er aber auch hinzu, als es bereits geschehen war. Ihr sagtet, er sei damals zwölf gewesen. Ein Kind noch. Vielleicht wusste er nicht, was er tun sollte und nahm sich aus einem ersten Impuls heraus die Messer. Womöglich, um sich zu verteidigen.“ Abermals wandte er sich an Aset. „Ihr sagtet, er habe geschrien. Welcher Mörder schreit und macht so auf sich aufmerksam, nachdem er seine Eltern getötet hat?“ Nachdenklich schweifte sein Blick kurz zu Jono, ehe er wieder zu Aset zurückkehrte. „Vielleicht hat er auch geweint und Ihr habt es nur nicht gesehen, weil Ihr zu sehr von Euren Vorurteilen geleitet wart.“ Seth war Ilai und den anderen unsäglich dankbar. Er selbst hatte zunächst keine Worte für die Anschuldigungen gegenüber Jono gefunden. Dabei wäre es seine Aufgabe gewesen, für ihn zu sprechen, wenn dieser es schon nicht selbst tat. „Ich weiß, was ich gesehen habe“, beharrte Aset auf ihrer Meinung. Betreten sahen ein paar der Asyuter ins Feuer. Niemand sagte etwas dazu. Offenbar war die Geschichte allen Dorfbewohnern hinlänglich bekannt. Vermutlich erzählte man sogar den kleinen Kindern schon die Gruselgeschichte vom Jungen, der seine Eltern tötete. Sie würden sich nicht von ihren Vorurteilen abbringen lassen, so viel war sicher. Es war möglich, dass Jono ähnliche Gedanken hatte, als er sich nach ein paar schweigsamen Momenten schließlich vom Feuer erhob. In der Annahme, ihn mit ihrer Geschichte persönlich angegriffen zu haben, versuchte Aset ihn aufzuhalten. „Wartet! Ich hoffe sehr, dass Ihr Euch durch eine Geschichte aus unserem Dorf nicht gekränkt fühlt. Sie soll Euch gewiss nicht den Appetit verderben und Euch aus unserer Mitte treiben. Immerhin habt Ihr uns gerettet. Ich und auch Zayid hier“, sie deutete auf den älteren Mann neben sich, „wollten Euch sicher nicht mit diesem Jungen von damals gleichsetzen. Ihr tragt zwar denselben Namen, doch seid Ihr deshalb nicht für seine verachtenswerten, schrecklichen Taten verantwortlich.“ Erwartungsvoll sahen die Asyuter zu ihm auf. Auch Aziz, Janis, Ilai und Elias wandten den Blick nicht ab und verfolgten jede seiner Bewegungen genau. Ein Seufzen entrann sich seiner Brust, als Jono sich wieder zu den Leuten wandte. „Und was, wenn es so wäre?“ „Wie?“, mit nervösem Lächeln sah Aset sich um und versuchte, den Blick zu Jono zu meiden. Das Tuch, geschoben von Jonos Hand, glitt von seinem Kopf und gab den Blick auf sein blondes, langes Haar frei. Seit dem Kampf wussten alle, welche Farbe seine Haare hatte, und doch schienen einige der Anwesenden zusammenzuzucken, als sie ihn, nach dieser Geschichte, dort ohne schützende Kopfbedeckung stehen sahen. „Was, wenn doch ICH für die Tat des Jungen verantwortlich wäre?“ „Aber nein. Wie könnt Ihr das…“ Jono unterbrach sie. „WAS, wenn ICH dieser Junge bin, den das ganze Dorf für schuldig hielt, seine eigene Mutter umgebracht zu haben – die Frau, die dafür gekämpft hat, ihn am Leben zu erhalten? Was würdet ihr dann tun?“ Fragend und aufmerksam sah er jeden einzelnen nacheinander an und ließ weder Alte noch Junge dabei aus. Nicht wenige wandten sich ab und suchten seine Augen zu meiden. „Würdet ihr“, er wandte sich an alle und breitete erwartungsvoll seine Arme aus „mich dann steinigen? Erschlagen? Um meinen Körper zu opfern, so, wie ihr es mit den fünf anderen Jungen und Mädchen getan habt?" Er holte kurz Luft. Ließ seine Worte wirken. Seine Arme sanken wieder herab. Dann fuhr er fort. "Mit fünf unschuldigen Babys, die sich nicht wehren, sich nicht aussuchen konnten, wer ihr Vater war? So wie die, die ihr den Göttern geopfert habt? Was hat das gebracht? Sagt es mir ehrlich.“ Seine Augen voller Fragen, blickte er in die stumme Runde. Kopfschüttelnd sah er in die Flammen. Sein blondes Haar schimmerte golden. Trauer spiegelte sich in seiner Gestalt. Bitterkeit lag in seinen Worten. „Wurdet ihr danach seltener überfallen? Waren die Ernten besser? Kam weniger Vieh in der Dürre um? Gab es weniger Krankheiten?“ Niemand sprach. „Was also bringt es, ein Menschenleben zu opfern? Was bringt es, ein Kind bereits bei seiner Geburt für etwas zu bestrafen, wenn es doch nichts Schlimmeres getan hat, als geboren zu werden? Vielleicht haben die Götter euch diese Kinder nicht geschickt, damit ihr sie opfern könnt, sondern um euch trotz aller Schwierigkeiten zu helfen, eure Bürde leichter zu tragen. Vielleicht wäre aus dem ein oder anderen ein guter Soldat geworden, der euch bei einem Überfall zur Seite gestanden hätte. Vielleicht wäre ein anderer ein guter Bauer geworden, der euch mit gutem Vieh oder Getreide versorgt hätte. Wieder ein anderer hätte ein Priester werden können, der für euch um den Schutz der Götter ersucht hätte.“ Zufrieden registrierte Seth die Unruhe einiger Dorfbewohner. Jono hatte Recht, mit dem was er sagte. Jedes Leben war ein Geschenk der Götter. Es zu opfern, egal welches Leben, war falsch. Er vermutete jedoch, dass Jono noch auf etwas ganz Anderes hinaus wollte. „Wenn ICH dieser Junge von damals wäre, dann wäre ich jetzt wohl dem Tod geweiht. Denn ihr wäret bereits damals Ankläger und Richter in einem gewesen.“ Es war zu spüren, dass die Asyuter sich zusehends unwohler in ihrer Haut fühlten. Er sprach es nicht aus, doch allen war bewusst, was seine Worte bedeuteten. Hätten sie damals sein Leben genommen, wären sie selbst unlängst getötet worden - denn niemand wäre zu ihrer Rettung gekommen und hätte damit auch noch Erfolg gehabt. „Doch seid unbesorgt.“ Ebenso langsam, wie er es abgestreift hatte, legte er sein Tuch wieder um und verbarg seine blonden Haare. Ein Merkmal, welches in Ägypten in Verbindung mit dem ohnehin seltenen Namen, schwerlich ein weiteres Mal zu finden war. „Wäre ICH tatsächlich dieser Junge von damals, würde ich vermutlich einen großen Groll gegen euch alle empfinden, weil ihr mir als Kind nicht geholfen habt. Weil ihr nicht hättet sehen wollen, wie diese Tat tatsächlich zustande kam.“ Leise, beinahe flüsternd, setzte er hinzu, „Wäre ICH dieser Junge gewesen, hätte ich euch nicht geholfen und euer Leben mit meinem eigenen verteidigt. Doch da ich es getan habe, kann ich nicht dieser Junge von damals sein und ihr habt Recht und der Jono, den ihr kanntet, ist längst in der Wüste gestorben…“ Abermals an diesem Abend breitete sich Stille aus. „Verzeiht, doch ich bin müde. Ich ziehe mich zurück, wir haben morgen noch ein gutes Stück Weg vor uns.“ Mit diesen Worten verließ er die Runde und machte sich auf den Weg zu seinem Nachtlager. Kapitel 44: Schlagabtausch -------------------------- @Lunata: Ja. Die Erinnerungen gehen weiter, denn noch ist die Vergangenheit nicht fertig erzählt und es gibt noch ein paar kleine offene Fragen. Den 'Tod' des kleinen Jono hast du richtig interpretiert. In diese Richtung ging es in etwa. ^.~ Du nimmst mir den Fehler also übel? Nun, damit muss ich wohl leben. @Athene-Chan: Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, mir einen Kommi zu hinterlassen. Was noch passiert ist, erfährst du, zumindest zu einem kleinen Teil, in den kommenden zwei Kapiteln. ^_^ Dazu sage ich daher an dieser Stelle lieber nichts. @DarkTiger: Wie er das überlebt hat, erzählt er später noch. Aber nicht in diesem oder dem nächsten Kapitel. Immer schön langsam. Ob es eine Fügung Gottes war, weiß ich nicht zu sagen. Frei nach Jonos Prinzip: Die Götter helfen denen, die sich selbst helfen', mag man das aber bejahen. @Shakti-san: Ja, er ist das Kind gewesen. Was die Waffen anbelangt und wie man sich verhalten hätte... ich weiß es nicht. Zumindest, wenn der Mensch noch nicht tot ist, sollte man das Messer aber erstmal drin lassen. Zwecks verbluten, wenn man das Messer raus zieht. Erstmal sollte man sich vorab um Verband kümmern. Aber dazu hatte Jono als Kind in dieser Situation wohl kaum die Nerven. Schön, dass du mit Jono mitfühlen konntest. _________________________________________________________________________________________ Bedrückt sah sich die vormals so fröhliche Runde gegenseitig an. Niemand schien recht zu wissen, wie er mit den Worten umzugehen hatte. Zögernd aßen sie weiter. Die Sekunden verstrichen, doch niemand schickte sich an, dem Blonden zu folgen. Seth verweilte noch einen Moment, ehe er sich langsam erhob und sich mit einem kurzen Gruß in die Runde ebenfalls verabschiedete. Es dauerte nicht lange und er hatte den Blonden nahe ihres Nachtlagers eingeholt. „Jono! Warte.“ Angesprochener blieb stehen und wandte sich wie gewünscht dem Hohepriester zu. „Es tut mir leid“, ließ Seth ihn wissen und meinte damit die Anschuldigungen der Dorfbewohner. Jono lächelte schmerzlich. „Das muss es nicht. Denn alles, was sie gesagt haben, ist wahr.“ Die Augen von Seth weiteten sich. „Ich habe meinen Vater getötet.“ Fordernd streckte er seine Arme aus und präsentierte Seth seine Handflächen. „Mit diesen Händen habe ich ihn getötet. Sieh hin, denn sein Blut klebt noch immer an jedem einzelnen meiner Finger.“ Dem Hohepriester entging die Wortwahl des Jüngeren nicht. Sanft umfasste er die Glieder, welche ihm entgegengestreckt wurden. „Aber nicht deine Mutter, nicht wahr?“ Die Hände des Blonden zitterten. Schnell entzog er sie den wärmenden schmalen Fingern des Priesters. „Keine Geheimnisse mehr, Jono.“ Der Kleinere gab nach. „Du bist ein guter Zuhörer“, stellte der Blonde erschöpft fest. „Du lässt mir ja keine andere Wahl. Wer dich verstehen will, braucht eben gute Ohren“, stimmte Seth ihm mit halbem Lächeln zu. „Erzähl es mir. Was ist damals geschehen?“ „Was glaubst du?“ Nachdenklich schaute der Braunhaarige zurück auf die kleine Versammlung. Von ihrem Standpunkt aus konnte man die Flammen des Lagerfeuers durch die Palmen blitzen sehen. „Nun, ich glaube, dass dein ‚Vater‘ nicht ganz so großzügig und liebevoll war, wie die Dorfbewohner zu denken scheinen.“ Als sehe er sein Leben noch einmal vor sich, starrte Jono ins Leere. „Nein. Das war er nicht. Jeder Mensch trägt eine Maske, Seth. Die von meinem ‚Vater‘ war besonders gut gemacht und sorgfältig ausgearbeitet. Für die Dorfbewohner trug er die des großen, siegreichen Soldaten, der für sie im großen Krieg gekämpft hatte. Der immer nur das Beste für das Dorf wollte. Er war einer der angesehensten Männer.“ Abfällig spuckte der Blonde aus. „Doch zu Hause nahm er sie ab und zeigte sein wahres Gesicht. Unter ihr kam ein Mann zum Vorschein, der jeden Tag meine Mutter verprügelte und schlug, so dass sie sich kaum aus dem Haus wagen konnte, um auf den Feldern zu arbeiten. Ein Mann, der seine Frau immer und immer wieder vergewaltigte, wenn ihm danach war und ihr dabei den Mund zuhielt, so dass man ihre Schreie nicht hören konnte und sie fast erstickte.“ Zähneknirschend holte er Luft. „Ein Mann, der niemals im Stande gewesen wäre, das Kind eines Anderen als sein Eigenes zu sehen“, setzte Seth nachdenklich hinzu. Die Wut über all die Ungerechtigkeit von damals, stand Jono ins Gesicht geschrieben. Voller Hohn und Zorn richtete sich sein Blick in die Vergangenheit. „Nein, er war jemand, der mich zu illegalen Kämpfen mitnahm und dort zwang, gegen meine Altersgenossen und auch wesentlich Ältere anzutreten. Er lehrte mich schon früh den Umgang mit den Waffen und das Ringen. Aber nicht, weil er so unglaublich stolz auf mich war oder mich zu einem guten Soldaten ausbilden wollte, wie er den Dorfbewohnern glauben machte, sondern um an mir zu verdienen. Nachdem der große Krieg vorbei war, gab es für ihn nichts weiter zu tun. Er war ein Söldner. Die Arbeit auf den Feldern missfiel ihm. Zu seiner persönlichen Unterhaltung drillte er mich jeden Tag, schlug mich, wann immer ihm danach war und wenn meine Mutter es nicht verhindern konnte. Er stukte mich oft so lange unter Wasser, bis ich das Gefühl hatte, zu ertrinken oder verweigerte mir Nahrung, bis ich vor Hunger fast starb. Ich stahl, um meine Mutter und mich überhaupt am Leben zu erhalten. Für ihn war ich kein Mensch. Für ihn war ich ein Nichts, sein Eigentum, mit dem er machen konnte, wonach immer ihm der Sinn stand. Und meine Mutter? Sie hatte mich geboren und mich auch noch leben lassen. Das machte sie in seinen Augen zu weit weniger wert, als der geringste Sklave, weit weniger, als das letzte bisschen Dreck unter seinen Füßen.“ Grimmig warf er einen Blick zu den Asyutern zurück. „Asyut war damals noch ein Dorf, Seth. Sie alle wussten es. Aber alle haben weggesehen. Sie wollten es nicht sehen. Bis heute nicht. Warum auch? Letztlich war mein Tod auch ihr Wunsch. Es war angenehmer, sich blind und taub zu stellen. Auch meiner Mutter gegenüber, die anfangs noch um Hilfe bat und im Dorf um Essen bettelte. Sie waren blind der Wahrheit gegenüber, weil sie es sein wollten. Genauso, wie sie lieber glauben wollen, dass ich nicht der Jono von damals bin. Dass der Jono, der angeblich seine Eltern umbrachte und den sie zu Unrecht verurteilten und als Zeichen des Unheils am liebsten tot gesehen hätten, dass dieser Jono genau derselbe ist, der sie vor zwei Tagen gerettet hat. Ironie des Schicksals, würde ich sagen, dass all der Drill meines Vaters letztlich dazu geführt hat, dass ich einer der besten Krieger dieses Landes wurde.“ Der Körper des jungen Kriegers, der schon so viel in seiner Kindheit hatte ertragen müssen, war bis in die Fingerspitzen angespannt. Stolz hatte er seinen Kopf erhoben. Kalte Verachtung spiegelte sich in seinen Augen. „Was geschah in dem Haus, an jenem Tag?“, hakte Seth noch einmal nach. Er hatte das Gefühl, das vieles leichter werden würde, wenn Jono es einmal ausspräche. Tonlos und dunkel klang seine Stimme, als er eine beinahe schon sachlich zu nennende Schilderung des Tages preisgab. „Mein Vater war betrunken. Er hatte zu viel Gerstenbier zu sich genommen, schon am frühen Morgen. Wenn er betrunken war, das wussten meine Mutter und ich, wurden seine Launen schlimmer. Und so kam es auch. Es begann eigentlich wie immer. Nach dem Aufwachen verlangte er nach Essen und Trinken. Meine Mutter war ihm nicht schnell genug… Sie war ihm nie schnell genug. Er nahm sie und verprügelte sie anschließend. Dann widmete er sich mir. Meine Mutter wollte mich beschützen. Vielleicht war es geplant, vielleicht hatte sie aber auch erst an diesem Tag eine Entscheidung getroffen… Plötzlich war dieses Messer in ihrer Hand und sie versuchte, sich zwischen mich und ihn zu drängen. Sie traf ihn am Arm. Doch er war ein Krieger – natürlich war er noch immer um einiges stärker, als sie. Er entwand ihr die Waffe und stach auf sie ein. Wieder, und wieder, und wieder. Ich konnte nur zusehen. Überall war ihr Blut und sie schrie mich an, ich solle fortlaufen und nicht wiederkommen. Ihre Schreie waren überhaupt das Schlimmste. Aber ich konnte nicht. Meine Beine waren wie gelähmt. Ich sah sie zusammenbrechen. Sie hat geweint. Doch nicht für sich, für mich. Ich konnte es in ihren Augen sehen. Sie selbst… Ich denke, sie war froh, dass endlich alles ein Ende haben würde…“ Jono schluckte, Schmerz hing in der Luft. „Ich weiß nicht mehr genau, wie das zweite Messer in meine Hand kam. Doch ich weiß noch genau, wie es sich anfühlte, als ich es ihm in den Arm rammte, so dass sein eigenes zu Boden fiel. Er hatte mich gut ausgebildet.“ Grimmig sah Jono auf seine Hände. „Ich schnappte mir sein Messer. Danach ging alles ganz schnell. Es war ganz leicht. Ich glaube, das war das erste Mal, dass etwas in mir aussetzte. Mir war, als würde ich alles aus weiter Ferne beobachten, mich, das Messer, und das, was ich tat.“ Leere Augen richteten sich auf den Hohepriester. „Ich habe ihn umgebracht, Seth. Aber ich bereue es nicht. Für viele Richter dieses Landes mag es nichts Schlimmeres geben, als ein Kind, das seinen Vater tötet." Ein letztes Mal holte er tief Luft. Seine Stimme zitterte leicht. "Aber das war nicht mein Vater. Ich habe nie einen gehabt. Es gibt Vieles, das ich bereue, getan zu haben. Das nicht. Und nun…“, erschöpft atmete er aus, „… kannst du mich gern verurteilen.“ „Und warum, bei Rah, sollte er das tun?“, mischte sich eine weitere Stimme ein, noch ehe Seth etwas dazu sagen konnte. „Was?“ Überrascht starrten Seth und Jono auf die vier Soldaten, welche sich aus dem Schatten der Nacht lösten. Yanis wiederholte seine Frage. „Warum sollte irgendjemand Euch verurteilen? Ich hätte an Eurer Stelle ebenso gehandelt. Das, was dieser Mann tat, war eines Kriegers unwürdig.“ „Als Soldaten ist es unsere Aufgabe, unsere Frauen und Kinder zu schützen. Hätte einer von ihnen dasselbe erlebt, wie Ihr“, bezeichnend sah Elias auf die Asyuter zurück, „würden sie wohl nicht so vorschnell ein Urteil gefällt haben.“ „Seid gewiss, dass Ihr nichts falsch gemacht habt. Dieser Mann war nicht besser, als die Söldner, die einst das Dorf überfielen“, stellte Aziz fest. Ilai sah das ähnlich. „Niemand von uns wird Euch verurteilen, für das, was Ihr getan habt. Selbst für Maat werden die Seelen, die Ihr gerettet habt, schwerer wiegen, als die schwarze Seele dieses Mannes.“ „Ihr habt gelauscht“, war das Einzige, was Jono spontan beim Anblick der vier Soldaten einfiel, welche ihm und Seth nun gegenüber standen. Offenbar war er selbst zu gefangen in seinen Emotionen gewesen, um seiner Umgebung angemessene Beachtung zu schenken. Unter anderen Umständen wäre ihm ein solcher Fehler nicht unterlaufen. „Was blieb uns anderes übrig, wenn Ihr mit Informationen handelt, als wäre es eine seltene Ware, die niemand zu Gesicht bekommen darf, ANOUBIS?“, erkundigte sich Aziz herausfordernd. „Ilai, Ihr habt es ihnen…“ „Nein“, wurde Jono augenblicklich unterbrochen. Abwehrend hob Ilai die Hände. „Sie sind selbst darauf gekommen.“ „Was ja auch nicht wirklich schwer ist, wenn man Euch hat kämpfen sehen. So schwer sind wir nun auch nicht von Begriff“, brummte Yanis. „Immerhin habe ich schon in der letzten großen Schlacht im Norden an Eurer Seite gekämpft. Niemand weiß ein Chepesch so zu führen, wie Ihr. Und dann auch noch zwei davon.“ „Warum habt ihr solange geschwiegen?“, erkundigte sich Seth an Jonos Stelle. „Was hätten wir sonst tun sollen? Ich gebe zu, niemand von uns wusste, wie er nun mit Jono umgehen sollte. Immerhin lernten wir ihn in der Position eines Rekruten kennen. Und mit einmal müssen wir feststellen, dass dieser Rekrut, den wir die ganze Zeit durch die Gegend gescheucht und den Yanis sogar geschlagen hat, unser oberster Befehlshaber ist.“ Als hätte er sich durch die Worte von Elias soeben an etwas erinnert, starrte Yanis vorwurfsvoll auf Jono. „Ihr hättet meinem Schlag ausweichen können!“, empörte sich der schwarzhaarige, kräftig gebaute Mann. Erschöpft von all den Enthüllungen des heutigen Tages, hatte Jono für seine Worte nur ein müdes Lächeln übrig. „Sicher. Doch so habe ich etwas gut bei Euch.“ Skeptisch sah Yanis auf die kleinere und schmalere Gestalt vor ihm. „Ihr glaubt wirklich, dass Ihr mich schlagen könntet?“ Beinahe verlegen kratzte sich der deutlich Größere am Kopf. „Nehmt es mir nicht übel, aber…“ Seth konnte spüren, wie sich die Spannung in Jonos Körper veränderte. Sicherheitshalber zog er sich unauffällig zwei Schritte zurück. Immerhin hatte er inzwischen mehr als nur einen Übungskampf gegen den Blonden geführt und kannte die Warnsignale. „… auch, wenn Ihr mit dem Chepesch recht flink seid, glaube ich doch nicht, dass…“ Weiter kam er nicht. Mit einem herzlichen und freundlichen Lächeln im Gesicht, wurde er von Jono unterbrochen. „Ein Schlag in den Magen. Zwei blaue Flecken am rechten Oberarm. Danach werde ich Euch aus dem Gleichgewicht bringen und Euch auf den Boden der Tatsachen befördern.“ Verdutzt starrte Yanis auf den blonden jungen Mann, dessen Lächeln sich nun zu einem frechen Grinsen verzog. „Nicht, dass Ihr hinterher sagt, ich hätte Euch nicht gewarnt.“ Der größere und gleichzeitig kräftigere Mann kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern. Er schaffte es gerade noch, ein Bein nach vorn zu schieben, sich in Verteidigungshaltung zu begeben, als Jono bereits direkt vor ihm stand. In einer fließenden Bewegung war er in den Ausfallschritt gegangen, hatte sich vom Boden abgestoßen und den Schwung genutzt, um dem Soldaten seine rechte Faust in den Magen zu rammen. Das Keuchen des erfahrenen Kämpfers untermalte anschaulich, wie ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Reflexartig riss er die Arme zur Verteidigung hoch, als Jonos linker Unterarm dessen ersten Schlag abwehrte. Ein gezielter Griff nach seinem Handgelenk brachte den Blonden wieder ins Gleichgewicht und gab ihm zugleich die Chance, sein linkes Bein hochzureißen, um Yanis wie angekündigt am rechten Oberarm zwei blaue Flecken zu verpassen. Doch da Jono seine Vorgehensweise vorher angekündigt hatte, langte die rechte große Hand des Kriegers augenblicklich nach vorn, hielt Jonos Bein am Knöchel fest und zog es nach oben. Inmitten des kurzen Gefechtes sah Seth abermals das Lächeln von Jono aufblitzen, als dieser sich plötzlich auf seine Hände fallen ließ und so seinen Gegner überraschte. Erstaunt sah Yanis nach unten, auf den halben Handstand des Heerführers, während er noch immer dessen Bein in der Luft festhielt. Doch lange wurde ihm dieser Blick nicht gewährt, denn bereits in der nächsten Sekunde schloss sein Kinn Bekanntschaft mit dem rechten Fuß von Jono. Ein kurzer Laut, eher aus Überraschung statt Schmerz, erklang, als Yanis Kopf zurückgeschleudert wurde. Doch Jono ließ ihm keine Zeit, sich zu erholen. Flink stieß er sich mit seinen Händen ab und landete sicher auf seinen zwei Füßen. Ohne dem Anderen Zeit zum Reagieren zu geben, sank er zu Boden und schlug ihm mit einem gezielten Tritt die Beine weg. Kaum, dass Yanis Körper hart auf dem Boden aufgekommen war, war Jono bereits über ihm und eine Hand lag fest an seiner Kehle. Ein Messer, zuvor unsichtbar in den Falten der Kleidung getragen, blitzte in den Händen des Jüngeren auf. Mit zufriedenen Augen sah Jono schmunzelnd auf den Älteren hinab, welcher sich nun mit der scharfen Klinge seines Gegners konfrontiert sah. Die Spitze deutete genau auf sein rechtes Auge. Abwehrend hob er die Hände zum Zeichen, dass er sich geschlagen gab. Immer noch vollkommen überrumpelt, sank sein Kopf zu Boden. Mit neu gewachsenem Respekt sah er zu seinem Heeresführer auf. Dieser hatte den kurzen Kampf anscheinend sehr genossen. Belustigt zog er sich zurück und ließ sein Messer ein ums andere Mal in der Luft wirbeln, ehe er es mit derselben Hand wieder auffing und schließlich wieder in den Falten seiner Tunika verschwinden ließ – niemand der Anwesenden wusste zu bestimmen, wo er diese kleine Waffe die ganze Zeit verborgen hatte. Feixend halfen Aziz und Elias ihrem Kameraden auf. „Siehst du, wie wir es gesagt haben.“ Fordernd streckten die zwei ihre Hände aus. Missmutig starrte der Größte der drei auf die geöffneten Hände. „Ist ja gut. Ihr bekommt es später.“ Neugierig trat Jono wieder näher. „Um was habt ihr gewettet?“, erkundigte er sich, da er die Freude seiner Männer an solchem Zeitvertreib bereits hinlänglich kannte. Aziz und Elias grinsten freimütig, als sie ihm von dem bescheidenen Wetteinsatz erzählten. „Zwei Schläuche von dem Gerstenbier, das er von einem der Viehtreiber erhalten hat und zwei seiner Messer.“ „Nun, da es in der Wette ganz offensichtlich um mich ging, fordere ich selbstverständlich die Hälfte des Bieres. Die Messer könnt ihr hingegen behalten. Ich habe selbst genug davon.“ „Ja, und mich würde sehr interessieren, wo, bei Rah, du die überall an deinem Körper versteckt hast.“ Fröhlich zwinkerte Jono dem Hohepriester zu, ehe er, nur für ihn sichtbar, mit seinem Mund lautlos die Silben ‚Ge. Heim. Nis‘ formte. Seth gab sich damit vorerst zufrieden. Er würde es schon herausfinden. Spätestens bei seiner nächsten… nächtlichen Inspektion. Jetzt war er erstmal froh zu sehen, dass das kleine Gefecht Jono wieder aus seinen trüben Gedanken gerissen hatte. Er war sich nicht ganz sicher, doch er vermutete, dass Yanis in diesem Fall sehr berechnend reagiert hatte. Wenn er das Verhalten der vier Soldaten richtig einschätzte, so hatten auch sie sich während des Lagerfeuers um Jono Sorgen gemacht. In dieser gelösten und merklich entspannteren Stimmung, nachdem nun alle Karten offen auf dem Tisch lagen, machte sich die kleine Gruppe schließlich zu ihrem eigenen Nachtlager auf. Dies lag in dieser Nacht etwas abseits der anderen, da es noch Einiges für die nächsten Tage zu besprechen gab. Man verabredete, dass man Jonos Glück nicht überstrapazieren durfte und sie die Leute nur bis an den Rand der Stadt begleiten würden. Danach war es besser, sich von der großen Gruppe zu trennen und direkt zum Tempel zu gehen, wo sie das Artefakt in Empfang nehmen konnten. Es galt zu vermeiden, dass Jonos ungewöhnliche Haare am Ende doch noch für Aufsehen in der Stadt sorgten. In der Hauptstadt war diese Farbe inzwischen nicht mehr so selten, wie noch vor einigen Jahren, da einige der Nordmänner sich den Ägyptern angeschlossen hatten. Hier in den Randgebieten, welche noch immer von Syriern und Söldnern aus dem Norden überfallen wurden, war dies freilich etwas Anderes. Zudem konnten sie nicht sicher sein, ob tatsächlich jeder der Dorfbewohner des heutigen Abends, die Vergangenheit von Jono auf sich beruhen lassen würde. Trotz aller Vorkommnisse war es noch immer ihr oberstes Gebot, möglichst ohne größeres Aufsehen wieder zurückzukehren. Dennoch würden Aziz und Elias vor Antritt des Rückweges noch in die Stadt gehen, um ein paar Decken oder Ähnliches zu erwerben, welche sie nutzen würden, um besser auf den Pferden sitzen zu können. Die ersten Tage der Rückreise, so prophezeite es Jono, würde den vier Soldaten der Hintern weh tun. Es galt, sich möglichst schnell damit abzufinden und sich daran zu gewöhnen. Mit den Pferden wären sie in jedem Fall schneller, als zu Fuß. Jono wollte dementsprechend die Gelegenheit nutzen, seinen neuen Vertrauten das Reiten beizubringen. Seth konnte es bereits, auch wenn er schon seit ein paar Monaten nicht mehr auf diese Fähigkeit zurückgegriffen hatte. Noch am selben Abend legten alle vier Männer vor Jono einen Treueschwur ab, welcher von Seth magisch versiegelt wurde, und leisteten einen Eid auf ihre Verschwiegenheit, was Jonos Identität als Anoubis anbelangte. Würden sie ihn einst brechen, wäre ihr Leben verwirkt, denn der Zauber war an Jono gebunden, so dass er wusste, wer ihn verraten hatte. Auch ohne diese Magie, so offenbarte der Blonde später Seth, vertraute er den Männern. Doch Folter und Schmerzen waren eine wirksame Methode, um Zungen zu lockern und er selbst hatte über die Jahre schmerzlich lernen müssen, dass zu viel Vertrauen auch tödlich sein konnte. Aziz, Yanis, Elias und Ilai verstanden ihn und leisteten den Schwur ohne Gegenwehr. Als der Mond bereits die fernen Dünen der Wüste in kaltes Licht tauchte, ließen sich alle zum Schlafen nieder. Seth und Jono hatten es sich ein wenig abseits der anderen bequem gemacht. Beiden war klar, dass sie vorerst keine Gelegenheit mehr haben würden, miteinander zu schlafen, doch das war ihnen egal. Es war beiden gleichermaßen wichtig, in der Nähe des anderen zu sein. Zufrieden und in einvernehmlichem Schweigen ließen sie sich nieder. Kapitel 45: Ein Versprechen bis in alle Ewigkeit ------------------------------------------------ Bin immer noch arg im Stress, verzeiht, wenn ich noch immer nicht auf Kommis antworten kann. Aber der nächste Teil entschädigt hoffentlich dafür... ^_^* Nachtrag 4.6.: Ich weise darauf hin, dass ich wirklich jedes WE veröffentliche. Leider benötigt animexx beim Korrekturlesen bisweilen mehr Zeit, als geplant, so dass es sich manchmal trotzdem bis in die nächste Woche hineinzieht. Bitte verzeiht daher, dass das neue Kapitel erst jetzt online ist. Viel Sp... Gutes Lesen. ^_^* ________________________________________________________________ Der Mond war bereits ein gutes Stück gewandert, als Seth von unkontrolliertem Stöhnen und leise gemurmelten Lauten des Schmerzes aus dem Schlaf gerissen wurden. Suchend sah er sich nach der Quelle um. Doch er war nicht mehr in der Wüste. Zumindest nicht in dem Teil der Wüste, in dem er sich in der Nacht zur Ruhe gelegt hatte. Überrascht stellte er fest, dass es heller Tag war und die Sonne hoch am Himmel stand. Irritiert versuchte er sich zu erinnern, wie er hier hergekommen war. Rings um ihn herum, nur getrennt durch je einen sieben Mann breiten Streifen Boden, standen verschiedene Häuser. Klein und nur mit Stroh bedeckt, schienen sie sich zu einem kleinen Dorf aneinanderzureihen. Schnell sah er sich weiter um. Noch immer hörte er das Stöhnen. Sich mit geschlossenen Augen orientierend, lauschte er auf die Richtung, aus der die Laute kamen. Rechts. Ohne weiter nachzudenken, folgte er den Geräuschen und stand alsbald vor einer kleinen Hütte, hinter welcher sich einige große Palmen erhoben. Eine kleine Treppe führte hinauf in das Haus aus dunklem Lehm. Noch einmal warf er einen Blick auf die Straße, auf der sich niemand bewegte außer einem kleinen Mädchen, das so schnell vorbei rannte, dass er es nicht aufhalten konnte. Auch auf seine Rufe reagierte das Kind nicht mehr. Schon war es um die nächste Hausecke verschwunden. Verwundert setzte Seth einen weiteren Schritt nach vorn. Ein seltsames Gefühl im tiefer gelegenen Bereich seines Körpers ließ ihn nach unten sehen. „Na wunderbar.“ Stirnrunzelnd stellte er fest, dass aus seinem Bein ein langer Holzbalken herausragte. Wäre alles so gewesen wie immer, hätte er vermutlich vor Schmerzen schreien müssen, doch stattdessen ging er einfach einen Schritt weiter und ließ den Holzbalken hinter sich. Auch die kleine Mauer aus Lehm, die sich vor ihm erhob, bedeutete keine schmerzhafte Hürde, als er durch sie hindurch lief. „Was für ein Tag. Da will man endlich zur Ruhe kommen und schlafen, da passiert mir so etwas.“ Missmutig schüttelte Seth den Kopf. Er war schon lange nicht mehr körperlos durch die Gegend gewandert. Meist geschah dies nur, wenn Menschen ihn um Hilfe baten. Oft, wenn sie sich an etwas Bestimmtes erinnern wollten, ließen sie ihn einen Blick in ihren Kopf werfen. Er verwendete diese Gabe auch gern, wenn er herausfinden wollte, ob jemand die Wahrheit sprach. Seine Fähigkeit unterschied sich in dieser Hinsicht nur geringfügig von den Möglichkeiten der Milleniumskette des Pharaos. Während Atemu in der Lage war, das große Ganze zu sehen, war sein Blick auf die Vergangenheit meist an eine bestimmte Person gebunden, die ihn zu sich gerufen hatte. Nun galt es nur noch herauszufinden, wer ihm gerade seine Vergangenheit zur Verfügung stellte und ihm seine wohlverdiente Ruhe verwehrte. Langsam schritt er weiter. Da in dem Haus vor ihm die einzigen lebenden Menschen zu hören waren, ging er davon aus, dass des Rätsels Lösung wohl dort zu finden war. Neugierig ging er die Treppe hinauf und betrat das Wohnhaus, welches wohl einem Bauern gehören musste. Es war nicht sonderlich reich eingerichtet. Das Einzige von Wert war eine Streitaxt in der rechten Ecke. Ansonsten enthielt der Raum nur eine kleine Kochstelle und einen Tisch zum Essen. Erneut hörte er schmerzverzerrte Laute und drehte sich in Richtung des zweiten Raumes. Mitten im Schritt verharrte er. Ein kleiner Junge stand dort und sah zaghaft durch einen Spalt in das Schlafzimmer, wie Seth vermutete. Der Junge war in eine dunkelbraune Tunika gekleidet und einfache Sandalen aus Gras schützten seine Füße. Er zitterte am ganzen Körper, das konnte Seth deutlich sehen. „Hör auf! Bitte! Bitte, lass mich!“, schrie es aus dem Zimmer. Ein lauter Schlag war zu hören und abermals folgte ein Wimmern. Angeekelt vernahm Seth die grunzenden Laute eines Mannes aus dem angrenzenden Raum. „Warum hast du ihn auch zur Welt gebracht, Weib?! Nun muss ich ihn durchfüttern, diese Brut! Du hättest mit ihm sterben sollen, elendes Miststück! Sieh zu, dass du für meine Großzügigkeit bezahlst!“, erklang erneut die Stimme eines Mannes. Als etwas Schweres gegen die Tür prallte, zog der kleine Junge davor sich eilig zurück und stellte sich mit dem Rücken zur Wand. Tränen liefen seine Wangen hinab und mit einmal erkannte Seth, wessen Vergangenheit er vor sich hatte. Jono musste damals gerade fünf Jahre alt gewesen sein. Große, braune Augen starrten ins Leere, als er sich an der Wand hinunter sinken ließ, beide Hände auf seine Ohren gepresst, um die Schreie seiner Mutter nicht zu hören. Immer wieder wiegte er seinen Körper vor und zurück. Hilflos. Seths Augen brannten. Vorsichtig ging er zwei weitere Schritte voran und ließ sich vor dem Jungen in die Hocke sinken. Zu gern hätte er ihn getröstet. Doch das stand nicht in seiner Macht. Er hatte in der Vergangenheit eines Anderen keinen Einfluss auf dessen Geschick. Er konnte nur beobachten und versuchen, zu verstehen. Sein Herz zog sich schmerzlich zusammen, als er auf die jämmerliche, kleine Gestalt vor sich blickte. Erst ein Jahr später hatte er ihn kennengelernt. Wenn er ihm doch damals schon begegnet wäre… Ein weiterer Schlag ertönte und das Bild vor ihm verschwand und wurde durch ein neues ersetzt. Der Junge war verschwunden. Unruhig starrte Seth auf die leere Wand und fand die Tür, die eben noch geschlossen war, geöffnet vor. Ein Blick durch das Fenster verriet ihm, dass es abermals helllichter Tag war. Als er von draußen mehrere klatschende Geräusche hörte, trugen ihn seine Füße ganz von selbst zur Rückseite des Hauses. „Du kleine Ratte, sieh gefälligst zu, dass du die Keule aufhebst! Und jetzt nochmal!“ Mehrere harte Treffer prasselten auf den Körper des inzwischen vielleicht neunjährigen Jungen nieder. Dieser blutete bereits aus mehreren Wunden und atmete schwer. Man sah ihm an, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Seine Augen blickten nur noch verschwommen auf die große Männergestalt vor ihm – ein kräftiger Mann mit rabenschwarzen Haaren und ebenfalls einer Keule in der Hand. „Wer stehlen kann, der kann auch die Strafe dafür einstecken! Ich werde dich lehren, kleiner Bastard, die Menschen hier zu beklauen. Du hast zu essen, was ich dir gebe und sonst nichts.“ Abermals folgten mehrere Schläge und erschöpft ging der kleine Jono zu Boden. Doch statt einfach liegen zu bleiben, kämpfte er sich erneut auf die Beine, schnappte sich seine Keule und versuchte, sich damit vor dem Mann zu schützen. Die Augen fest zusammengezogen, starrte er den Älteren an. Schon jetzt konnte man den starken Willen in dem Jungen sehen, der mit den Jahren in ihm gewachsen war. Keine Träne glänzte in seinen Augen, als er abermals zu Boden ging. Der Junge selbst hatte nur ein paar wenige Treffer landen können. Seth sah, dass er sich erneut hoch kämpfen wollte, doch seine Arme und Beine ließen ihn im Stich. Das Zittern konnte schwerlich nur von den erhaltenen Schlägen herrühren. Der Hohepriester vermutete, wenn er sich die dünnen Arme betrachtete, dass der Kleinere schon seit Wochen kaum noch etwas Vernünftiges zu essen bekommen haben musste. Voller Mitleid sah er auf den Kleinen. Machtlos musste er mit ansehen, wie der so genannte Vater erneut zuschlug und Jono endlich in gnädiger Ohnmacht versank. Ein schlurfender Laut hinter ihm ließ ihn sich drehen. Mit geweiteten Augen musste er mit ansehen, wie eine wesentlich jüngere Ausgabe von Aset am Haus des Mannes vorbeiging. Ihr Blick hatte eindeutig auf Jono gelegen, doch schnell hatte sie sich abgewendet und war weitergelaufen. Die Wut, die sich bei diesem Anblick in seinem Magen zu bilden begann, war unermesslich. Jono sollte Recht behalten haben. Aset hatte es gewusst und mit ihr wahrscheinlich viele andere. Aber niemand hatte genauer hinsehen wollen. Hilfe hatte er in diesem Dorf nicht erwarten können. In diesem Moment stürmte aus unerwarteter Richtung eine junge Frau heran. Die Früchte, die sie in ihrem Korb getragen hatte, waren zu Boden gefallen, als sie sich mit einem leisen Aufschrei über den Jungen beugte. Zornig und ängstlich zugleich sah sie auf den Mann, welcher, ohne sie weiter zu beachten, an ihnen vorüberging. „Was hast du getan?!“, verlangte sie zu wissen. „Nichts, was dich interessieren sollte, Kija. Geh ins Haus und lass den Abschaum hier liegen.“ Tränen bildeten sich in ihren Augen, als sie die Wunden ihres Sohnes vorsichtig abtastete. Ihr Mann war bereits weitergegangen. Liebevoll nahm die junge Frau Jono in die Arme. Früher musste sie einmal sehr schön gewesen sein, doch inzwischen waren ihre Wangen eingefallen und ihr schwarzbraunes Haar war stumpf. Auch sie hatte offenbar unter den Grausamkeiten ihres Mannes zu leiden. Sanft wiegte sie ihren Sohn hin und her. „Oh, Jono. Jono, es tut mir so leid, so leid.“ Doch bereits kurze Zeit später hatte sie sich wieder gefangen. Energisch wischte sie sich die Tränen aus den Augen und machte sich daran, notdürftig seine Wunden zu verbinden, ehe sie seinen erschlafften Körper im Schatten des Hauses ablegte. Beim Anblick ihrer gestrafften Schultern erhielt Seth eine kleine Ahnung, wem Jono vermutlich seinen starken und unbeugsamen Willen zu verdanken hatte. Nachdem sie eine Schale mit Wasser neben ihn gestellt hatte, sammelte sie rasch die Früchte auf und ging ins Haus. Offenbar wagte sie es nicht, ihren Sohn erneut in die Nähe des Mannes zu tragen. Der Atem von Jono ging schwer, wie Seth merkte, als er näher trat. Vermutlich hatte er Fieber. Auch, wenn er in dieser Gestalt niemanden anfassen konnte, registrierte er doch die geröteten Wangen und jede einzelne Narbe am Körper. Warum nur war ihm das nicht schon früher aufgefallen? Abermals versuchte er, sich zu erinnern, warum er als Kind nie auf all diese Verletzungen aufmerksam geworden war. Doch die lange Kleidung und das scheinbar fröhliche Lachen des Jüngeren hatten stets jegliche Nachfrage seinerseits verhindert. Selbst, wenn er einmal eine der offensichtlichen Narben im Gesicht bemerkt und ihn darauf angesprochen hatte, hatte Jono stets abgewunken und seiner ständigen Kletterei die Schuld gegeben. Abermals veränderte sich die Szene. Der noch immer ohnmächtige Jono verschwand. Als er sich umwandte, konnte er einen kurzen Blick auf die hoch stehende Mittagssonne werfen. Diesmal nicht von zwei kämpfenden Gestalten abgelenkt, bemerkte er auch Kija, welche in diesem Moment um die Ecke kam. Er vermutete, dass hinter den Palmen die Felder des Dorfes lagen. Da er nicht wusste, was er nun tun sollte, folgte er der davoneilenden Gestalt. Sie steuerte direkt auf das Haus zu. Anscheinend hatte sie etwas vergessen. Doch dann hielt sie inne. Noch auf der Treppe stockte ihr Schritt plötzlich und ihre Hände legten sich voller Schrecken über ihren Mund. Erst konnte Seth nicht einordnen, was zu dieser Reaktion geführt hatte. Doch plötzlich hörte er es auch. Das Wimmern eines Kindes – Jono. Die grunzenden Laute eines Mannes – Adham. „NEIN!“ Entsetzt von den Lauten rannte er die Treppen hinauf und glitt geradewegs erst durch Kija, dann durch die Tür zum Schlafzimmer. Das Bild, das sich ihm bot, war erschreckend. Dort lag er, Jono, abermals ungefähr drei Jahre älter, unter dem sehr viel größeren Mann. Dieser hatte seine Beine gespreizt und drang mit Gewalt in den kleinen Kinderkörper ein. Immer wieder wimmerte der Blonde, doch außer diesem Ton verließ kein Laut seine Lippen. Seth biss die Zähne aufeinander. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Hätte er in diesem Moment seine Kräfte nutzen können oder eine Waffe zur Verfügung gehabt, er hätte den Mann eigenhändig getötet. Doch das brauchte er nicht mehr. Diese Aufgabe übernahm bereits Kija, die kurz hinter ihm in die Szenerie stürmte, in der rechten Hand ein Messer. Ihr Gesicht hatte sich zu einer Maske aus Wut und Schmerz verzogen, als sie die Schneide ohne zu zögern in die rechte Seite ihres Mannes rammte. Von dem plötzlichen Schmerz überrascht, zog Adham sich aus dem Körper von Jono zurück, welcher augenblicklich auf der Bettstatt zurückkrabbelte und sich an die Wand presste. Eine weiße Flüssigkeit rann zwischen seinen Beinen hervor. Die Augen von Seth verdunkelten sich. Am liebsten hätte er sie geschlossen, um den Anblick vor ihm zu entgehen. Doch seine Augen waren wie gefesselt. Voller Hass sah er auf den Mann, der seinem Geliebten all das bereits in seiner Kindheit angetan hatte. Aber hier war er machtlos. Auch die nachfolgenden Ereignisse konnte er nicht beeinflussen, nur beobachten. Denn schnell hatte sich der Mann wieder gefangen und seiner Frau den Arm umgedreht, welche sich schützend zwischen ihn und den Jungen gestellt hatte. „LASS MEINEN JUNGEN IN RUHE!“, brüllte sie ihn an. Doch Adham lachte nur verächtlich, zog das Messer, welches nicht weit eingedrungen war, aus der Wunde. „Kleine Schlampe, du hast ihn zur Welt gebracht. Ich habe ihn als meinen Sohn, mein Eigentum akzeptiert, also kann ich mit ihm machen, was ich will. Du hättest es einfacher haben können, wenn du ihn damals schon getötet hättest, aber nein, du musstest ihn ja behalten!“ Kija sah die Mordlust in den Augen ihres Mannes zuerst. „JONO! Lauf weg! Verschwinde von hier. Komm nicht wieder! Bitte, Jono! LAUF!“, schrie sie, ehe ihr Mann bereits auf sie einstach. Doch Jono schien wie gelähmt und konnte nur, noch immer an die Wand gekauert, mit Entsetzen im Blick, dem blutigen Schauspiel folgen. „LAUF!“ Ein letztes Mal sah seine Mutter zu ihm. Ihre Augen verdrehten sich vor Schmerz, das löste die Starre in Jonos Knochen. Ohne weiter nachzudenken, sprang er auf, hechtete in die angrenzende Stube und kam mit einem weiteren Messer in der Hand wieder. Aber er war nicht schnell genug. Den Schnitt durch die Kehle seiner Mutter konnte er nicht mehr verhindern. Doch er rächte sich bitter und mit tödlicher Präzision. Flink wich er den Abwehrversuchen von Adham aus und stieß ihm sein Messer mit aller Macht in den Arm, drehte es ein Stück, zog es wieder heraus und versenkte es bereits kurz darauf in seinem Magen. Reflexartig ließ dieser sein eigenes Messer fallen, griff nach seinem Bauch und wollte mit der anderen noch im selben Atemzug nach Jono greifen, doch dieser wusste das zu verhindern. Noch ehe er ihn erreichen konnte, duckte er sich weg, schnappte sich das fallen gelassene Messer und führte es über die Kehle des sehr viel größeren und schwereren Mannes vor ihm, während er die andere Klinge, welche noch immer im Magen von Adham steckte, nach oben durchzog und ihn damit regelrecht aufschlitzte. Blut quoll hervor. Adham brach zusammen. Sein schwerer Körper lastete schwer auf Jono. Seine Beine gaben nach. Doch noch bevor die Leiche des Mannes, der ihn und seine Mutter über all die Jahre hinweg gequält hatte, ganz auf ihm zum Liegen kommen konnte, schob er ihn mit Schwung zur Seite. Zitternd kroch er näher, um sicherzugehen, dass er tatsächlich tot war. Um die Gewissheit zu erlangen, dass er nie wieder unter ihm zu leiden haben würden. Von dem Blut, welches sich auf seinem ganzen Körper verteilt hatte, merkte er nichts. Mit festem Griff schlossen sich seine Finger um die zwei Messer und zogen sie hinaus. „Mama, jetzt können wir endlich…“ Seth konnte sehen, wie Jono die Erkenntnis traf. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sich über seine Mutter beugte und erkennen musste, dass sie schon nicht mehr am Leben war. Noch immer sickerte das Blut aus ihren zahlreichen Wunden. Tränen sammelten sich hinter seinen Augen. Erschüttert starrte er auf seine Hände und schien zum ersten Mal das Blut zu sehen, welches nun an ihnen klebte. Schritte erklangen. Aset trat ein, wie sie es am Feuer beschrieben hatte. Doch Jono schien sie noch nicht zu sehen. Noch immer starrte er wie gebannt auf seine Hände. Anscheinend konnte er gar nicht aufhören zu zittern. Und dann… kam der Schrei. Aset hatte Recht gehabt. Noch nie zuvor hatte er etwas Ähnliches gehört. So viel Schmerz. So viel Trauer. So viel Furcht und Angst vor sich selbst und dem, was er getan hatte. Der Hohepriester ließ sich neben ihn nieder, wollte ihn in den Arm nehmen, ihn berühren, doch er griff durch ihn hindurch. Er versuchte noch einmal, ihn zu greifen, doch abermals griff er ins Leere. Es zerriss ihm förmlich das Herz, den kleinen, blonden Jungen, den er als Erwachsenen über alles liebte, so hilflos vor sich sitzen zu sehen, ohne etwas tun zu können. Wiederholt rang Jono, inzwischen am ganzen Körper geschüttelt und sich mit den eigenen Armen umschließend, tief nach Luft. Ein weiterer Schrei folgte. Doch als Seth dieses Mal zugriff, spürte er Stoff in seinen Fingern. Verblüfft blinzelte er und erst beim zweiten Augenaufschlag nahm er die Dunkelheit um sich herum wahr. Dann hörte er den Schrei, mehr ein atemloses Krächzen diesmal, und stellte fest, dass er wieder in der Wirklichkeit war. Jono lag neben ihm. Die Arme, wie auch der kleine Jono, um sich selbst geschlungen, hatte er sich auf die Seite gerollt und schrie. Zumindest sah es aus, als wollte er es. Der Mund war weit geöffnet, das Gesicht vor Schmerz verzogen. Unaufhaltsam rannen Tränen sein Gesicht hinab. Immer wieder holte er Luft und setzte erneut an. Doch kein einziger Ton verließ seine Lippen. Es war ein stummer Schrei und nur, wenn er keine Luft mehr in den Lungen hatte, konnte man ein leises Wimmern hören. „Verdammt seist du, Jono! Du hast es schon wieder getan“, murmelte Seth besorgt, ehe er sich zu dem Blonden beugte. /So zu tun, als sei alles in Ordnung! Mich mit Hilfe deines kleinen Schlagabtauschs mit Yanis glauben zu lassen, dir ginge es gut… Du Trottel. Du verdammter, VERDAMMTER Trottel!/ So fest er konnte, langte er nach den Schultern von Jono und zog ihn aus seiner liegenden Position in eine halb sitzende Position. „Jono. Es ist gut. Wach auf. Jono! Wach! Auf!“, forderte er ihn drängend auf und schüttelte ihn leicht. „Verfluchter Dummkopf, komm her, damit ich dir helfen kann! Dort, wo du bist, kann ich dich nicht trösten, ich kann dich nicht mal beschützen!“ Verzweifelt verfolgte Seth, wie Jono erneut rasselnd Luft holte. Die Angst, die er, gefangen in seinen Erinnerungen, empfand, lähmte seine Atmung. Das Herz schlug viel zu schnell. Donnernd schlug es von innen gegen seine Brust. Er hyperventilierte. Sein Brustkorb hob und senkte sich hektisch. Der Hohepriester sah, wie er versuchte, Luft in seine Lungen zu ziehen. Es gelang ihm nicht. Seth fluchte. „Na schön. Du willst es ja nicht anders.“ Geschickt legte er einen Arm hinter den Rücken von Jono, während er mit der anderen Handfläche den Stoff seiner Tunika teilte und sie auf die entblößte Brust des Jüngeren legte, direkt über seinem Herzen. Fest drückte er zu. Es blieb nur zu hoffen, dass er sich genügend in der Gewalt hatte, um Jono hiermit nicht zu töten. Er konnte spüren, wie sich die Muskeln des Kleineren verkrampften, wie sein Puls raste. Doch dem würde er jetzt sofort ein Ende setzen. Der Mann war tot und er würde nicht zulassen, dass er Jono noch über sein Lebensende hinaus quälte. Jono gehörte ihm und keinem Albtraum aus der Vergangenheit! Vorsichtig beugte er sich hinunter zum Kopf des Anderen und legte seine Stirn an die seine. „JONO. WACH. AUF!“, forderte er erneut - diesmal nachdrücklicher und begleitet von einem magischen Befehl, welchen er an Kopf und Herz des Kriegers übertrug. Augenblicklich schnappte Jono keuchend nach Luft. Diesmal fand sie ihren Weg in seine Lunge. Sein Körper klappte nach vorne zusammen. Seine Augen öffneten sich, weiteten sich geschockt. Für einen kurzen Moment wirkte er ähnlich desorientiert, wie Seth kurz zuvor. Stumm verfolgte der Braunhaarige den gehetzten Blick des Anderen, der mal in die eine, mal in die andere Richtung streifte, ehe er auf ihm liegen blieb. Sein Atem beruhigte sich. Langsam. Seth wusste nicht, was der Kleinere in seinen Augen sah, doch es schien ihm Angst zu machen. Er konnte es spüren. „Du hast es gesehen…“, stellte er beinahe winselnd fest. Seth leugnete es nicht. „Ich… Du…“, stammelte Jono, ehe er versuchte, Seth von sich zu schieben. Doch der Priester ließ es nicht zu und zog Jono gegen dessen Widerstand an sich. Besorgt spürte er, wie dieser erneut zu weinen begann und sich von ihm zu befreien versuchte. „Du solltest es nicht wissen! Wie konntest du…?!“ Zornig ließ Seth zu, dass Jonos Bemühungen zum Teil Erfolg hatten und er sich ein wenig von ihm weg schob, doch nur so weit, dass er ihn noch immer an den Schultern festhalten konnte. In Gedenk an die Nähe der Anderen und dass sie diese womöglich aufwecken könnten, bestand seine aufgebrachte Antwort lediglich aus einem leisen Zischen. „WAS sollte ich nicht wissen? Dass er sich an dir vergangen hat? Ist es das?“ Eindringlich schüttelte er ihn. „Ist es DAS, was du mir nicht sagen wolltest?“ Jono krümmte sich erneut zusammen. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort. „Das ist es, nicht wahr? Denn das ist das Einzige, was du mir bei deiner kleinen Schilderung vorhin vorenthalten hast!“ Frustriert fuhr er sich mit seiner Hand durch die Haare und starrte auf die zusammengesunkene Gestalt vor ihm. Der große Heeresführer bot in diesem Augenblick wahrlich ein Bild des Jammers. „Was glaubst du bitte, was ich getan hätte, wenn du es mir gesagt hättest?“ Jono schwieg, doch er konnte es in seinen Augen lesen. Die Hände des Jüngeren waren zu Fäusten geballt. Ziellos wanderten sie seinen Körper hinauf und hinab, als wisse er nicht, wohin mit ihnen – oder als würde er frieren. Seufzend zog Seth den Kleineren erneut zu sich heran. Er war froh, denn endlich konnte er ihn tatsächlich in den Arm nehmen. Liebevoll streichelte er ihm über den Rücken und tat damit das, was er gern schon bei der jüngeren Ausgabe des Blonden getan hätte. „Ich wünschte, ich hätte dich schon damals beschützen können“, war alles, was er in diesem Moment zu sagen im Stande war. Noch immer die schrecklichen Bilder vor sich sehend, schloss er seine Augen, als könnte er sie so vertreiben. Doch das Gesicht und der Schrei von dem kleinen Kind hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Abermals seufzend, lehnte er sein Kinn auf die weichen Haare von Jono und zog ihn noch fester an sich. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Handgelenk schmerzte. Unbemerkt von Jono schob er mit der anderen Hand den Stoff nach oben und sah nach der Ursache. Ein großer roter Abdruck hatte sich auf seinem Handgelenk abgebildet. Ein kleiner Funken magisches Licht, hinter dem Rücken von Jono entzündet, förderte die groben Umrisse einer anderen Hand zutage, welche sich an ihm festgeklammert hatte. Nun wusste er, was geschehen war. Er wäre nie auf die Idee gekommen, ohne Erlaubnis in die Gedanken und Erinnerungen von Jono einzudringen. Der Blonde selbst hatte ihn also letztlich zu sich gerufen und ihn eingelassen, hatte sich ihm geöffnet. Wahrscheinlich unbewusst, während er geträumt hatte. Vielleicht hatte er nicht mit Worten beschreiben können, was damals geschehen war. Doch er hatte es ihm gezeigt. Nachdenklich dachte Seth an die eher sachliche Schilderung vor ein paar Stunden. Bereits da hatte es ihn gewundert, wie emotionslos er die Geschichte als direkt Beteiligter, im Gegensatz zu Aset, wiedergegeben hatte. Doch nun war deutlich geworden, dass er all die Gefühle bis zum heutigen Tag noch nicht hatte verarbeiten können. Statt sich ihnen zu stellen, hatte er all das tief in sich verschlossen, um nicht an der Last zu zerbrechen. Seth hatte sich immer gefragt, warum Jono stets so sorgenfrei wirkte, im Gegensatz zu ihm selbst. Jetzt wusste er, dass Jono keineswegs sorgenfrei war. Er war nur besser im Verstecken. „Du Dummkopf.“ Inzwischen atmete Jono ruhiger. Das Zittern hatte aufgehört und auch die Tränen waren versiegt. Erst jetzt getraute sich Seth, den Jüngeren loszulassen und anzusehen. „Bei Rah, du siehst schrecklich aus“, stellte er mit einem schiefen Lächeln fest, in der Hoffnung, ihn damit ein wenig aus der Reserve zu locken. Vorsichtig wischte er ihm die letzten Tränen von den geröteten Augen fort. „Danke für das Kompliment“, schniefte Jono, während sich ein zögerliches Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Zufrieden lächelte Seth zurück. Das war noch nicht ganz der Jono, den er kannte, doch es war ein Anfang. Wieder ernst geworden, sah er ihm fest in die Augen. „Jono.“ Fragend blinzelte ihn der Andere an. „Ich werde dich beschützen. Das verspreche ich dir.“ Die Mundwinkel des Blonden zogen sich kaum merklich nach oben. Ein Hauch des alten, widerspenstigen Geistes von Jono kehrte in seine Züge zurück. „Und was kann ich für dich tun? So ein persönlicher Schutz von einem hohen Priester, wie dir hat bestimmt seinen Preis.“ Nachdenklich strich Seth ihm über die Haare und musterte ihn genau. Selbst der kleinste Millimeter wurde sorgfältig abgetastet. In Gedanken führte er sich jede Regung, jede Emotion, die sich in den letzten Wochen auf diesem geliebten Gesicht gespiegelt hatte, noch einmal vor Augen. Niemals wollte er all das vergessen. Jono hatte gewiss keine solch ernste Antwort auf seine scherzhafte Frage erwartet, doch Seth meinte jedes Wort so, wie er es sagte. „Du kannst mir helfen.“ „Helfen?“, hakte Jono nach, nicht wissend, worauf Seth hinauswollte. Der Hohepriester bekräftigte seine Worte mit einem kurzen Nicken. „Hilf mir, glücklich zu werden. Denn, um ehrlich zu sein, glaube ich inzwischen, dass du der Einzige bist, der das kann“, gestand der Braunhaarige ein. „Wurde ja auch Zeit, dass du das merkst“, ließ Jono in einem Anflug von Spott verlauten. Doch auch er fand schnell zum Ernst zurück. Noch immer leicht zitternd, doch etwas sicherer in seinen Bewegungen, beugte er sich vor und umrahmte den Kopf von Seth auf beiden Seiten mit seinen Händen. Vorsichtig neigte er das Haupt des Größeren ein wenig hinunter und setzte einen kleinen Kuss auf seine Stirn. „Mit diesem Kuss schwöre ich, dass ich dir mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln helfen werde, ein glückliches Leben zu führen.“ Langsam ließ er sich zurück sinken. „Magie?“, erkundigte sich Seth milde belustigt. Ruhig sah Jono ihn an. „Nein. Nur ein Versprechen bis in alle Ewigkeit.“ Der übliche Spott war aus seiner Stimme verschwunden. „Wenn das so ist… Dann werde ich dir im Gegenzug auch etwas versprechen. Immerhin soll dieser ‚Handel‘ ja fair sein“, ließ Seth ihn mit einem Augenzwinkern wissen. Die Geste von Jono wiederholend, beugte sich Seth zu dem Kleineren und zog ebenfalls seinen Kopf zu sich heran um einen federleichten Kuss auf seine Stirn zu setzen. „Ich schwöre, dass ich dich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln beschützen werde.“ ~~~~~~~~~~ Kapitel 46: Entführung ausgeschlossen ------------------------------------- Seto schlug die Augen auf. Sein Magen rebellierte, als er die Bettdecke zurückschlug und sich langsam aus dem Bett erhob. /Anscheinend gibt es da doch noch ein paar Dinge, an die ich mich bisher nicht erinnert habe./ Schon damals hatte ihn der Anblick des jungen Jono geschockt. Diese Erinnerung nun noch einmal nachzuempfinden, nachdem er Joey in dieser Zeit gerade endlich wiedergefunden und abermals für sich gewinnen konnte, zehrte merklich an seinen Kräften. „Sollte dieser Kerl ebenfalls in irgendeiner Zeit wiedergeboren werden, werde ich ihn eigenhändig zur Hölle schicken“, prophezeite er zähneknirschend. Forsch schritt er zu den großen Fenstern seiner Villa und ließ kühle Morgenluft in sein Zimmer. Noch immer ließ ihn das Gefühl nicht los, sich am liebsten übergeben zu wollen. So tief er konnte, atmete er die klirrende Kälte in seine Lungen. Erst, als er sicher sein konnte, nicht sofort beim nächsten Schritt das Sushi vom vorigen Abend wiederzusehen, begab er sich langsam ins Bad. Unter der Dusche vertraute er darauf, dass das Wasser auch das beklemmende Gefühl fort wusch, welches ihn noch während seines Traumes befallen hatte. Für einen kurzen Moment nur streifte ihn die Frage, ob es wirklich so gut war, wenn er sich an ALLES erinnerte. Schnell verwarf er diesen Gedanken wieder. Es war, wie er es Jono gesagt hatte: Er liebte ihn, egal, wie seine Vergangenheit aussah. Allein die Schuldgefühle, dass er ihm nicht hatte helfen und beschützen können, nagten an ihm. Wenn DIESE Erinnerung so lange in ihm vergraben war, was lag dann noch begraben und vergessen, oder verdrängt, in seinem Kopf?. An was würde er sich in den nächsten Wochen wohl noch erinnern? „Da hilft nur abwarten“, stellte Seto fest, während er das Wasser abstellte. Es war nicht so, dass er nicht versucht hätte, seine Erinnerungen alle auf einmal wachzurufen. Doch er erreichte sie einfach nicht. Stirnrunzelnd nahm er das kleine Büchlein auf, in welches er die wenigen Bruchstücke schrieb und blätterte noch einmal langsam durch. Inzwischen konnte er alles, was er bisher geträumt hatte, wieder klar vor sich sehen, als wäre es erst gestern geschehen und nicht schon vor 5.000 Jahren. Als er die Seite erreichte, auf welcher das Wort ‚Vergangenheit‘ stand, blätterte er umgehend weiter. Seit dieser Nacht wusste er, warum ihm sein Gefühl gesagt hatte, er müsse sich unbedingt an die Vergangenheit von Jono erinnern. Noch während er die nächsten Seiten überflog, ließ er sich, in Gedanken versunken, auf seinem Bett nieder. Schließlich erreichte er den letzten Eintrag. Erneut pochte sein Herz dumpf gegen das Innere seiner Brust, als er die zahlreichen Zeilen las. Wie ein heiliges Gebet, welches in alter Zeit so oft aus seinem Mund erschallte, breiteten sich die Worte über ganze zwei Seiten aus und erklangen einem Echo gleich in seinem Kopf. „Ich liebe dich, Joey.“ Energisch klappte er das Buch zu. Die Vergangenheit lag hinter ihm. Jetzt galt es, in der Gegenwart zu leben. Ganz gleich, welche Erinnerungen er noch wiedererlangte, er würde sich in dieser Zeit nicht davon beeinflussen lassen. Ohne weiter nachzudenken, kleidete er sich für den kommenden Schultag an. Heute wurden die Ergebnisse der Vorprüfung veröffentlicht. Und er hatte nicht vor, sich die dummen Gesichter des Kindergartens entgehen zu lassen, wenn diese vor der Punktetafel standen und das Ergebnis des Kleineren sahen. Kurz überlegte er noch, sich seine Digitalkamera mitzunehmen, entschied sich dann aber dagegen. Sein Handy hatte eine ähnlich hohe Auflösung. Das genügte. Vergnügt und breit grinsend, was in dieser Kombination nur selten jemand an ihm sah, machte er sich auf den Weg nach unten. „Guten Morgen, Kleiner!“, begrüßte er seinen Bruder, welcher bereits zufrieden mümmelnd am Frühstückstisch saß. „Mogn“, intonierte Mokuba, während er, noch immer kauend, aufstand und zur Theke ging, um sich einen Schluck Milch zu holen. Einen schnellen Blick zu dem kleinen Schwarzhaarigen werfend, schnappte Kaiba sich die zweite bereits geschmierte Hälfte des Brötchens und hatte schon den ersten Bissen gegessen, als Mokuba sich wieder umdrehte. Nur, um festzustellen, dass ein gemeiner Nutellabrötchendieb direkt mit ihm unter einem Dach lebte! Er war fassungslos. Entsetzt musste er mit ansehen, wie mit dem zweiten Bissen bereits die Hälfte seiner Hälfte im Mund seines großen Bruders verschwand. Niemals hätte er diesem, seinem heimlichen Helden, einem gerechten Verfechter des Guten (Kindheitsträume sind etwas sehr Schönes), so ein hinterhältiges Vorgehen zugetraut. „SETO!“, empörte er sich lautstark und stemmte die Arme in die Seiten. Dieser wuschelte ihm scheinbar freundlich durch die Haare. Liebevoll lächelnd ging er zu seinem Bruder auf Augenhöhe und hielt ihm versöhnlich den Rest des Brötchens vor die Nase. „Hier.“ Reflexartig wollte der Schwarzhaarige bereits danach greifen, als sich das freundliche Lächeln vollkommen unerwartet in ein dreistes Grinsen verzog und auch der Rest wie von Zauberhand von Seto Kaiba verschluckt wurde. Oder doch eher eingeatmet? Hatte der überhaupt gekaut?! „Was…“, verblüfft starrte Mokuba noch immer auf seine Hand, welche nach wie vor in der Luft schwebte. Abermals wurde ihm durch die Haare gewuschelt, ehe Seto sich wieder über ihn erhob. „Geschwindigkeit ist keine Hexerei, Brüderchen.“ An ihm vorbeigehend, schloss er mit einem Zeigefinger seine Kinnlade und schnappte sich seine Schultasche. „Mach den Mund zu, sonst kommen die Fliegen rein. Und starr keine Löcher in die Luft, zu viel Nutella ist gar nicht gut für dich. Du bist noch im Wachstum.“ Schnell prüfte er noch, ob er alle erforderlichen Unterlagen hatte, ehe er, eine Melodie pfeifend, zur Tür hinaus spazierte. Fassungslos starrte sein Bruder ihm hinterher. Sein großer Bruder konnte pfeifen?! Er machte Scherze? UND KLAUTE NUTELLABRÖTCHEN?! Bevor Mokuba das Glas Milch fallen lassen konnte, das er noch immer in der Hand hielt, nahm Niles es ihm ab und stellte es vorsorglich zurück auf die Theke. Das pure Grauen hatte sich in Mokubas Gesicht gegraben. Stammelnd sah er zu Niles und wieder zurück zur nun geschlossenen Tür. Dieser hatte volles Verständnis für die Reaktion des jungen Kaiba, konnte er doch erst gestern beobachten, wie Herr Kaiba ihn mit einem breiten Lächeln begrüßte und ebenso mit den Hausdamen verfuhr. Dies zog unmittelbar die Zerstörung einer teuren Vase nach sich, welche zu diesem Zeitpunkt von betreffendem Mädchen abgestaubt wurde. Gleichwohl Niles ihm insgeheim dankte, dass es nun einen Staubfänger weniger in diesem großen Hause gab, versetzte ihm Kaiba kurz darauf den Schock seines Dienerlebens. Nicht nur, dass sein Arbeitgeber ihr nicht umgehend kündigte - was er normalerweise in einem solchen Fall tat! Nein. Stattdessen ging er sogar zu ihr und sprach mit ihr. Freundlich. Zumindest im weitesten Sinne. Aber in jedem Falle ruhig und höflich. Ein Fehler könne jedem passieren und sie solle beim nächsten Mal besser aufpassen, ließ er deutlich hörbar verlauten, ehe er in seinem Hausbüro verschwand. Um weiteren Glasbruch zu verhindern, schob Niles vorsorglich auch die Glaskaraffe mit der restlichen Milch ein Stück weiter nach hinten auf die Theke, ehe er Mokuba umsichtig zu seinem Platz begleitete und ihm ein neues Brötchen mit Nutella schmierte. Er bezweifelte, dass dieser zurzeit zu irgendeiner sinnvollen, koordinierten Handlung fähig war. „Niles… mein Bruder… Niles, er… hat… Nutella… gepfiffen… und dann… Lächeln… Bruder?… ausgetauscht?… Außerird…“ Glücklicherweise arbeitete Niles bereits genügend Jahre in dem Haushalt der Kaibas. Als besonders hilfreich erwies sich auch seine vor zwei Jahren absolvierte Weiterbildung mit dem Thema "Grundkenntnisse in der Betreuung von Schockpatienten". Diese Erfahrungen ermöglichten es ihm nun, den gestammelten Worten von Mokuba Kaiba einen Sinn zu geben. Er wusste, alles, was er Mokuba Kaiba nun mitteilte, konnte seinen Schockzustand womöglich noch verschlimmern, weshalb er sehr bedacht vorging. „Ja, Sir, auch ich habe ihn pfeifen gehört. Gestern Abend bereits. Unter der Dusche. Als ich seine Sachen für die Reinigung holte.“ Niles räusperte sich. „Es klang nach einer merkwürdig abstrakten Mischung eines… arabischen?… Gebetsliedes und ‚On top of the world‘ von Imagine Dragons. Womöglich war auch ein wenig ‚I love you‘ von Woodkid enthalten. Ganz sicher bin ich mir jedoch nicht. Weitere Interpretationen wären ebenfalls denkbar, doch ich bin der Ansicht, das waren die Hauptbestandteile.“ Zum zweiten Mal an diesem Morgen wurde Mokuba von einem Menschen, den er bis dahin zu kennen glaubte, in Erstaunen versetzt. Mit zusammengekniffenen Augen sah er zu Niles auf. Seit wann konnte sein Butler mit solch einem umfangreichen Musikwissen aufwarten? Aufmerksam wie immer deutete Niles seinen Blick richtig und gab sogleich Auskunft. „Da Sie bisweilen Ihre Musik recht laut hören, Herr Kaiba, kam ich nicht umhin, dass sich einige der einprägsamsten Lieder, quasi selbstständig und ohne meinen ausgesprochenen Wunsch, in meinem Gedächtnis verankerten.“ Die nächste Frage stand Mokuba förmlich ins Gesicht geschrieben. Niles schüttelte mit dem Kopf und sah auf die Tür, durch welche der ältere der Kaibabrüder gerade spaziert war. „Nein, Herr Kaiba. Woher Ihr Bruder diese Lieder wiederum kennt, weiß ich wirklich nicht.“ Abermals blickte er zu dem Schwarzhaarigen, der inzwischen doch begonnen hatte, sich nachdenklich seinem Nutellabrötchen zu widmen. Zufrieden stellte Niles fest, dass der enorme Zuckergehalt des Nussaufstriches seine Wirkung tat und der erste Schock sich verflüchtigte. „Außerirdische und eine Entführung durch Aliens können wir übrigens ausschließen.“ Fragend sah Mokuba ihn an. Vollkommen ernst fuhr Niles fort. „Sie können mir glauben. Das habe ich gestern gleich als Erstes überprüft. Doch er stand den gesamten Tag unter Beobachtung und auch in der Schule hat niemand bemerkt, dass er kurz verschwunden wäre.“ „Und was könnte es dann sein, das ihn so verändert hat?“, erkundigte sich Mokuba mit ausgesuchter Höflichkeit. Es lag ihm fern, die Nachforschungen ihres Butlers infrage zu stellen. Im Gegenteil. In diese Fall begrüßte er die Eigeninitiative von Niles sogar. Immerhin konnte er so sicher sein, dass es sich bei diesem Dieb gerade tatsächlich um seinen Bruder handelte. Auch wenn er sich noch nicht recht entscheiden konnte, ob ihm die andere Variante nicht besser gefiele. „Nun…“, zögerte Niles, ehe er weitersprach, „… die wohl gewagteste These, die ich dazu habe ist…“ Erwartungsvoll sah Mokuba ihn an. „… dass er glücklich ist?“ Skeptisch betrachtete der Schwarzhaarige sein Nutellabrötchen. „Seto ist oft glücklich", überlegte er laut. "Zum Beispiel wenn die Aktienkurse steigen oder sich ein Spiel gut absetzen lässt. Zumindest behauptet er das immer. Aber dabei hat er noch nie so gegrinst. Und schon gar nicht GE.PFIF.FEN!“, ereiferte er sich schließlich. „Nun, dann bleibt eigentlich nur eins. Aber diese Theorie ist eigentlich noch unwahrscheinlicher als die erste“, ließ Niles verlauten. „Was denken Sie?“ Gespannt erwartete Mokuba die nächste These seines Butlers, denn er selbst konnte sich noch keinen Reim auf das Verhalten seines Bruders machen. Unbemerkt, da durch das Aufstellen diverser Theorien abgelenkt, hatte er bereits sein ganzes Nutellabrötchen verspeist und ein kleiner schmaler Bart um seinen Mund zeugte davon, dass auch die restliche Milch ihren Abnehmer gefunden hatte. Niles holte indes tief Luft. „Ich denke…" Er brach ab, schüttelte den Kopf und fügte an: "Nein. Das ist einfach zu unwahrscheinlich.“ Von seinen eigenen Gedanken abgeschreckt, begann Niles damit, das genutzte Geschirr abzuwaschen. Ungeduldig sprang Mokuba auf. „Nun sagen Sie schon! Ist er vielleicht krank?“ Furchtsam dachte Mokuba darüber nach, was er wohl tun würde, sollte dieses Verhalten bei seinem Bruder zu einem Dauerzustand werden. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie die Aktionäre reagierten, sollte Seto die nächste Sitzung womöglich mit einem gepfiffenen ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘ oder, noch schlimmer, vielleicht auch mit ‚Somewhere over the rainbow‘ eröffnen. Gar nicht zu sprechen von dem Aufwand, den er würde betreiben müssen, um seinen Nutellavorrat an einem Ort zu verstecken, den sein großer Bruder nicht finden würde – und das, wo dieser doch das gesamte Anwesen überwachte. „Nein“, beruhigte ihn Niles. „… jedenfalls nicht, wenn man schwere Verliebtheit als Krankheit bezeichnen möchte“, fügte er leise murmelnd hinzu. Offenbar nicht leise genug. „WAS?!“ Ein schepperndes Geräusch begleitete den Ausruf. Seufzend sah Niles auf die zahlreichen Glassplitter am Boden. Vermutlich wäre es besser gewesen, er hätte mit seiner nächsten Theorie gewartet, bis Mokuba das Glas wieder auf die Anrichte gestellt hatte. So konnte er nur noch Schaufel und Besen holen, um das kristallene Etwas standesgemäß zu Grabe zu tragen. „Verliebt?“ „Eines der am häufigsten Symptome von Verliebtheit ist ein breites Dauerlächeln im Gesicht“, zitierte Niles. „Ich habe es sicherheitshalber noch mal nachgeschlagen.“ Abwehrend hob Mokuba die Hände. „Das glaube ich nicht. Meistens hat man dann doch auch keinen Appetit. Zumindest erzählen das immer die Mädchen aus meiner Klasse und seufzen dann jedes Mal so komisch.“ Nachdenklich legte Niles den Finger ans Kinn. „DANN, Herr Mokuba", intonierte er mit einem Unterton in der Stimme, der jedem Synchronsprecher für Horrorgeschichten alle Ehre gemacht hätte, "ist es womöglich noch schlimmer.“ Der Schwarzhaarige wartete ab. Wie schlimm konnte es schon noch werden? „Womöglich ist er nicht mehr nur verliebt, sondern schon darüber hinaus.“ „Darüber hinaus? Das geht?“ „Ja. Sein Pfeifen, in Verbund mit dem breiten Lächeln, der Fröhlichkeit und…“ Er sah auf die Uhr. „… bedenkt man, dass er gerade eine gute halbe Stunde früher als sonst zur Schule gegangen ist – vor allem ohne vorher im Büro anzurufen – ist es wahrscheinlich schon…“ Todernst, als würde er gerade seinen Vater zur letzten Ruhe betten und nicht ein paar Glasscherben, beendete er seinen Satz: „…Liebe.“ Man konnte den Trommelwirbel mit anschließendem Paukenschlag förmlich hören, als das letzte Wort die Lippen des Butlers verließ. „Ach du Scheiße.“ Während Niles die letzten Reste des Frühstücks wegräumte, ließ Mokuba sich dessen Verdacht in Ruhe durch den Kopf gehen. Die Theorie ihres Butlers war so abwegig, dass sie sogar schon wieder stimmen konnte. In jedem Fall musste er dem sicherheitshalber nachgehen. Doch wenn dem so war, würde er umgehend die Herausgabe des Namens von seinem großen Bruder verlangen! Es konnte doch nicht angehen, dass er, als kleiner Bruder, womöglich als letzter davon erfuhr! Immerhin war es seine Pflicht, zu entscheiden, ob die Dame für seinen Bruder auch angemessen und nicht nur hinter seinem Geld her war! Für ihn kam nur jemand infrage, der seinen Bruder glücklich machen konnte. Sich sicher, dass er schon einen Weg finden würde, seinen Bruder zu einer Aussage zu bewegen, schnappte er sich ebenfalls seine Schultasche und ließ sich wenig später vom Chauffeur zur Schule fahren. Nur, weil sein Bruder verliebt war und unbedingt zu Fuß laufen wollte, hieß das noch lange nicht, dass er ebenfalls auf diese Annehmlichkeiten des Lebens verzichten musste! Kapitel 47: Der Tag der Wahrheit -------------------------------- ENTSCHULDIGUNG an alle lieben Leser, die bis jetzt auf ein neues Kapitel warten mussten. Derzeit gab es viel Stress auf Arbeit, aber da ich jetzt erstmal Urlaub habe, geht es erstmal besser. Daher im Folgenden nun endlich das nächste Kapitel, das hoffentlich für die lange Wartezeit entschädigt. Zusätzlich werde ich gleich noch das folgende Kapitel hochladen - quasi als Ausgleich für die lange Wartezeit. @eike1991: Danke fürs Lesen! Es freut mich, einen weiteren Leser mit der Geschichte begeistern zu können. Und vielen vielen lieben Dank für deinen Kommi! Ich bin gespannt, wie dir die folgenden Kapitel gefallen. *G* @Rockryu: Was deine erwartungsvolle Haltung gegenüber der Reaktion von Bakura anbelangt, muss ich dich leider enttäuschen, da er in meiner Geschichte keine Rolle spielt. Aber vielleicht gleichen ja die Reaktionen von Thea, Tristan und Yugi die fehlende Person aus. ^_^ @Lunata: *_* Schön, dass jemand meine Art von Humor teilen kann. *GGG* @stargirly77: hallihallo zurück und vielen lieben Dank dass du dir die Zeit genommen hast, mir einen kleinen Kommi zu hinterlassen. Ich freue mich jedes Mal riesig, wenn ich lese, dass die Geschichte positiv ankommt und es dir als Leserin Spaß macht, die Erlebnisse der 4 (eigentlich ja nur 2) Protagonisten zu verfolgen. ^//^ @Shakti-san: *FREU* Wunderbar! Endlich konnte ich mal jemanden so sehr zum Lachen bringen, dass er nicht mehr schreiben kann. Wenn das mal kein Erfolg ist!!! Du hast das Kapitel wirklich hervorragend zusammengefasst. *GGG* Bei der Stelle mit den Aktionären muss im Übrigen sogar ich noch manchmal lachen. ^_^* Und das, obwohl ich das schon zigmal durchgelesen hab. Die Vorstellung ist einfach zu schön... Aber leider muss ich dich in Bezug auf die Schule enttäuschen. So gelöst gibt sich Kaiba nur im privaten Kreis. ^_~ @jvorie: Also diese Überschrift wäre in jedem Fall ebenfalls passend gewesen. @Anyu: Danke, dass mal jemand was zu den Liedern sagt. Ich habe nämlich ewig gegrübelt und mir die verschiedensten Lieder angesehen und deren Texte durchgelesen, ehe ich mich für die genannten entschieden habe. Immerhin müssen die trotzdem irgendwie zu Kaiba passen. @sorakovar: ^_^ Lachen ist gesund. Quasi wie Medizin. Ich lasse dir also demnächst eine Rechnung über meine Behandlungskosten zukommen. *G* _______________________________________________________________________________ ******** in der Schule********* Zur gleichen Zeit strömten an einer nahe gelegenen Schule bereits die letzten Oberschüler in das Gebäude. Unter ihnen auch Joey, welcher ebenfalls früher als sonst aufgestanden war. Schon vor ein paar Tagen hatte er angefangen, die Möbel seiner Eltern entweder zu verkaufen, zu verschenken oder wegzuschmeißen. Mit dem Einverständnis von Serenity, welche sich während ihres Sommeraufenthaltes noch ein paar Erinnerungsstücke mitgenommen hatte, hatte er fast allen Kleinkram, der noch etwas wert war, gespendet. Ein kleiner Oxfam-Laden in seiner Nähe verkaufte solche Spenden. Das verdiente Geld kam dann diversen sozialen Einrichtungen zugute. Es würde sicher nicht so viel bei herum kommen, aber jede Spende war dort herzlich willkommen. Zudem hätte es ihm bei dem einen oder anderen Stück im Nachhinein doch leid getan, es wegzuschmeißen. Auf Grund seiner schwierigen Vergangenheit mit seinem Vater, als er noch allein bei ihm gelebt hatte, hing er nicht sonderlich an den ganzen Dingen, dennoch war ihm das Weggeben überraschend schwer gefallen. Inzwischen hatte er sich auch schon nach einer neuen Bleibe umgesehen und eine passende Einraumwohnung im selben Apartmentblock gefunden. Der Mietvertrag war bereits unterschrieben. Bei seinem Job als Kellner blieb genügend hängen und da die Wohnung kleiner als die vorige war, gestaltete sich die Abgabe an den Vermieter auch nicht mehr ganz so hoch. Auf Grund des ganzen Umzugsstresses war es daher in letzter Zeit sehr ungemütlich in seiner Wohnung geworden, so dass es ihn trotz aller Müdigkeit früh aus dem Haus getrieben hatte. „Hi Joey! Mensch, du kommst ja immer zeitiger!“, wurde er von der Seite angesprochen. „Dir auch einen guten Morgen, Yugi.“ Freundlich begrüßte er den Kleineren und wurde sich mal wieder bewusst, dass er in den letzten Wochen nicht viel Zeit mit seinen Freunden verbracht hatte. Zu viel war geschehen. Ein glückliches Lächeln breitete sich unbewusst auf seinem Gesicht aus. „Hi Alter, du bist ja gut drauf! Grinst da wie ein Honigkuchenpferd und unsereins kommt vor Sorgen gar nicht in den Schlaf.“ Auch Tristan war an diesem Morgen überpünktlich. Überrascht sah Joey ihn an. „Warum?“ Ein freundschaftlich grober Schlag auf den Rücken war die Antwort. „Ey Joey, du scheinst ja echt auf Wolke sieben zu schweben! Komm‘ mal wieder runter. Heute werden doch die Ergebnisse der Vorprüfung veröffentlicht. Mensch, was meinst du, was ich da vor zwei Wochen gebüffelt habe, um das irgendwie noch alles in meinen Kopf zu bekommen!“ Joey stockte im Schritt. /Verdammt! Diese blöden Ergebnisse habe ich ganz vergessen. Wie soll ich denen das jetzt auf die Schnelle noch beibringen? Die grillen mich doch bei lebendigem Leib./ Verschwörerisch klopfte Tristan seinen Freunden auf die Schulter. „Aber da geht es euch ja ähnlich.“ Der Blonde schluckte. Er konnte das Feuer bereits bildlich vor sich sehen. „Das möchte ich bezweifeln, Taylor.“ Genervt sah Tristan hinter sich. Joeys Atmung beschleunigte sich. /Und da kommt schon das Spiritus, das die Flammen erst recht hochschießen lassen wird. Klasse. Ob ich schon mal rumfragen sollte, wer alles ‚Blond am Spieß‘ mag?/ Tief durchatmend wandte Joey sich, wie Yugi und Tristan, in Richtung des Firmenchefs. Dieser schien heute ebenfalls aus dem Bett gefallen zu sein und stand nun hinter ihnen auf dem Schulhof. Unauffällig trat Joey einen halben Schritt zurück und machte ein eindeutiges Zeichen, welches dem Anderen nahe legte, jetzt besser den Mund zu halten. Gleich mehrmals zog er dazu seinen Zeigefinger recht eindeutig über seine Kehle. Doch der Braunhaarige warf ihm nur, unbemerkt von seinen Freunden, einen belustigten Blick zu. /Na toll./ „Hey Kaiba! Kümmere dich um deinen Mist, immerhin kann sich nicht jeder einen Privatlehrer leisten“, ereiferte sich Tristan. „Ja Kaiba, kümmere dich um deinen Mist“, stimmte Joey, merklich leiser als Tristan, grummelnd zu. Kaibas Lippen verzogen sich zu einem süffisanten Lächeln. Elegant überging er Joeys Einwurf, ehe er sich wieder an Tristan wandte. „Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, Taylor, ich gehe auf dieselbe Schule wie du. Bisweilen reicht ein gutes Gedächtnis“, ein vielsagender Blick in Richtung Joey folgte, „um dem Unterricht zu folgen.“ Von diesem Argument außer Gefecht gesetzt, wusste Tristan sich zunächst nicht zu helfen. /Vielleicht sollte ich gleich notieren, ob sie mein Fleisch lieber medium oder doch lieber durch mögen. Wenn ich erstmal tot bin, lassen sich solche speziellen Wünsche immer nur schwer weiterleiten/, erwog Joey kurzfristig, ehe er sich daran machte, Tristan aus dem argumentativen Aus zu holen, in das dieser sich selbst gerade befördert hatte. “Wenn du so ein gutes Gedächtnis hast”, mischte er sich ein und lenkte Kaibas Worte bewusst auf ihn zurück, „dann fällt es dir sicher auch nicht schwer, dich daran zu erinnern, wo sich unser Klassenraum befindet. Mit Sicherheit wirst du dort bereits sehnlichst erwartet. Also verschwinde!“ „Keine Sorge, Hündchen. Im Gegensatz zu dir habe ich mein Gehirn heute früh bereits eingeschaltet. Freitags findet die erste Stunde im Biologiefachraum statt“, berichtigte Kaiba den Blonden. „Ich muss mein Gehirn nicht einschalten. Im Gegensatz zu deinem läuft es auf Dauerbetrieb“, konterte Joey. „Dann war das eben wohl ein klassischer Systemabsturz.“ „Halt die Klappe, Kaiba! Das kann ja wohl jeder Mal verwechseln! Durch diese ständigen Vertretungen kann sich das doch eh keiner mehr merken, was wir gerade haben“, mischte sich Tristan wieder ein. „Ich denke, du wärst überrascht zu erfahren, WAS sich das Hündchen alles merken kann.“ „Momentan merke ich vor allem, dass du hier extrem störst, Kaiba!“, unterbrach ihn Joey postwendend und versuchte so, das Thema zu wechseln. „Touché“, lenkte Kaiba innerlich lachend ein und gab sich für diesen Augenblick geschlagen. Das war ein klarer Hinweis von Seiten des Hündchens gewesen. „Ich bin sicher, du hast mit dem Kindergarten noch eine Menge zu besprechen“, verabschiedete sich der Braunhaarige und wandte sich ab. „Ey Alter, der spinnt doch! Der hat doch gar keine Ahnung, wie viel unsereins büffeln muss für diese Tests, oder Joey?“, ereiferte sich Tristan, sobald der Firmenchef außer Sichtweite war. Der Blonde konnte nur hilflos nicken. „Komm Joey. Lass dich nicht hängen. Ich bin sicher, deine Ergebnisse sind super“, versuchte Yugi ihn ebenfalls aufzumuntern. Ein verunglücktes Lächeln auf den Kleineren werfend, sah Joey auf ihn hinab. „Ja. Das werden sie sein. Da bin ich sicher“, stimmte er ihm andeutungshalber zu. „Na siehst du! Das ist die richtige Einstellung! Und jetzt komm. Thea müsste schon da sein.“ Mit einem Seufzen, als hätte jemand drei schwere Felsbrocken auf seinen Schultern abgeladen, folgte Joey seinen Freunden auf den Weg in den Biologiefachraum. /Man, wie soll ich das nur jemals vernünftig erklären?/, fragte er sich immer wieder und war im Stillen froh, dass die Ergebnisse erst am Nachmittag ausgestellt würden. Das ließ ihm noch exakt 6 Stunden, 24 Minuten und 18, 17, 16, 15, 14, 13… Scheiße, die Sekunden vergingen einfach zu schnell! Um sich nicht unnötig unter Druck zu setzen, zog er vorsichtshalber schnell den Ärmel über die Uhr. Kaum im Raum angekommen, wollte er eigentlich nur seine Tasche abstellen, als er von Herrn Koriami aufgehalten wurde. „Herr Wheeler, auf ein Wort“, rief er ihn umgehend zu sich. Joey ahnte bereits, was der Mann von ihm wollte und konnte nur die Augen verdrehen. Immerhin war klar, dass die Lehrer der Schule die Prüfungsergebnisse noch vor den Schülern zu sehen bekamen. Dennoch ging er folgsam zum Lehrertisch, neben dem der Herr noch immer stand und scheinbar ganz vertieft in ein paar seiner Unterlagen war. Schon als er gesehen hatte, dass Herr Koriami in diesem letzten Schuljahr die Physikstunden übernehmen würde, war Joey sich unsicher gewesen, ob ein weiteres Zusammentreffen mit diesem Lehrer gut ausgehen würde. Mit einem Blick auf den Mann beschloss Joey im Stillen, es drauf ankommen zu lassen. Er hatte Wichtigeres zu tun, als sich dessen verdrehter Weltanschauung zu widmen. Die Stimme gesenkt, kam Herr Koriami auch gleich zur Sache. „Herr Wheeler, wie Sie sicher wissen, werden die Prüfungsergebnisse am heutigen Nachmittag veröffentlicht…“ Natürlich wusste er das. Die ganze Schule wusste das. Mit zusammengekniffenen, misstrauischen Augen sah der Ältere ihn an. „Bevor das geschieht, möchte ich nur eines von Ihnen wissen…“ Ein letztes Mal sah Herr Koriami sich um, ehe er die Frage stellte, die ihm wahrscheinlich schon seit der Auswertung der Ergebnisse auf der Seele brannte. „Wie haben Sie das gemacht?“ Die Unschuld in Person, sah Joey ihn an. „Wie habe ich WAS gemacht?“ Verärgert starrte der Lehrer ihn an. „Sie wissen genau, was ich meine, Herr Wheeler!“, zischte er. Der Blonde hatte nicht vor, es ihm leicht zu machen. „Würde ich sonst fragen?“ Herr Koriami sah ein, dass er so nicht weiterkam und brachte die Sache auf den Punkt. „Wie haben Sie die Prüfungsergebnisse manipuliert?“ Joey konnte es sich nicht verkneifen. Mit ernstem Gesicht lehnte er sich leicht vor, als wolle er dem Älteren ein Geheimnis anvertrauen, das nur er hören dürfe. „Indem ich einen Hacker engagiert habe, der die Firewall der Schulcomputer geknackt und dann meine Noten umgeschrieben und die Gesamtergebnisse manipuliert hat. Es war nicht ganz leicht, müssen Sie wissen, und hat mich eine Menge Geld gekostet. Deshalb habe ich die letzten Wochen auch so viel gearbeitet, um das Ganze bezahlen zu können. Eine Million Yen aufzutreiben, hat ganz schön gedauert…“, flüsterte er ihm verschwörerisch zu. Ungläubig starrte Herr Koriami ihn an. Er war sich offenbar unsicher, ob er ihm glauben sollte oder nicht. /Das Wort 'Sarkasmus' ist ihm anscheinend nicht geläufig./ Den Kopf schüttelnd sah Joey seinen Lehrer an. Hier waren seine Fähigkeiten hoffnungslos verschwendet. Er lenkte ein. „Vielleicht sollten Sie sich lieber fragen, Herr Koriami, ob ich nicht eher Sie statt die Schulcomputer manipuliert habe. Ein Gespräch mit Frau Kurami hilft da sicher weiter“, teilte er ihm hilfreich mit, ehe er ihn einfach stehen ließ. Der Mann war es ihm nicht wert. Er hatte eine Verabredung. Nach einem schnellen Blick auf die Uhr, stellte er nun doch noch seine Tasche an seinen Platz. Durch sein frühes Erscheinen blieben ihm noch 10 Minuten bis zum Unterrichtsbeginn. Zügig eilte er direkt zu ihrem eigentlichen Klassenraum. Dort angekommen stellte er fest, dass der Raum längst nicht mehr leer war, wie um diese Uhrzeit üblich. Leise schloss er die Tür hinter sich. „Von wegen, ich werde sehnsüchtig erwartet“, begrüßte ihn Kaiba, welcher bis eben noch an einem der Tische gelehnt gestanden hatte und nun auf den Jüngeren zu schlenderte. Er hatte seine Tasche bereits kurz vor Joey im Biologiefachraum stehen gelassen. Vor dem Jüngeren angekommen, zog er ihn ohne ein weiteres Wort schmunzelnd an sich und begrüßte ihn mit einem langen Kuss. Genießend schloss Joey die Augen. Darauf hatte er die ganze Nacht gewartet! Dem Firmenchef schien es ähnlich zu gehen, wie Joey bemerkte, denn statt den Kuss bereits nach ein paar Sekunden zu lösen, zog er ihn noch fester an sich. Erst nach weiteren zwei Minuten lösten sich ihre Lippen langsam von einander. Die Arme von Seto waren allerdings nicht ganz so freigiebig und hielten ihn weiter fest an sich gedrückt. Grinsend sah Seto auf den nur wenig Kleineren hinab. „Wie gut, dass dein Gehirn keinen Systemabsturz hatte“, ließ Kaiba ihn wissen. „Das Gleiche könnte ich von deinem sagen“, stimmte Joey zu. „Ich schalte eben schnell“ „Schnell schalten? Pah! Mein Hinweis auf den Klassenraum war ja wohl eindeutig.“ „Besserwisser.“ „Angeber“, konterte Joey ungerührt. Kurz genossen sie die Nähe des jeweils anderen, ehe Seto zum Punkt kam. „Wie ist es gestern gelaufen?“ Joey wusste genau, worauf er hinaus wollte. „Ich habe ihm das Programm sofort auf einen seiner Rechner gespielt. Er hat die Software natürlich von seinen Technikern überprüfen lassen.“ „Wie ich erwartet hatte“, stellte der Firmenchef fest. Der Blonde nickte bestätigend. „Die zwei fingierten Viren haben sie gefunden. Das von uns designte Virus nicht. Ich denke, morgen wird es sich bereits auf mehr als der Hälfte aller Rechner verbreitet haben. Am Montag, wenn die Rechner in der gesamten Firma genutzt werden, müsste das Virus auch die letzten Rechner infiziert haben.“ Zufrieden mit diesem Ergebnis teilte Kaiba ihm mit, dass auch seine Arbeit die ersten Früchte trug. „Meine Anzeige wegen Industriespionage scheint laut meiner Anwälte ebenfalls so gut wie sicher angenommen zu werden. Ich habe auf ein Eilverfahren bestanden. Auf diese Weise wird Tome vorerst genügend mit dem Abwenden meiner Klage zu tun haben. So lange er beschäftigt ist, wird das Virus seine Arbeit machen… „… und du kannst am Ende des Jahres seine Firma übernehmen“, beendete Joey seine Ausführung. „Gut erkannt, Hündchen. Immerhin soll meine persönliche Rache gegen Tome nicht dazu führen, dass seine Mitarbeiter kein glückliches Weihnachtsfest haben und vielleicht noch auf der Straße landen.“ Skeptisch blinzelte Joey zu ihm auf. „Seit wann ist dir ein glückliches Weihnachtsfest für deine Mitarbeiter denn so wichtig, du Eisblock?“ Ernst sah Seto auf den Blonden hinab und fuhr ihm gedankenverloren mit seinen Fingern durch das geliebte weiche Haar. Wie schon vor ein paar Tagen, wanderte seine Hand zum Nacken des Kleineren und vergrub sich dort in den langen Strähnen, von denen er nie genug zu bekommen schien. Nachdrücklich sorgte er dafür, dass Joey ihn ansah und den Kopf nicht abwenden konnte. „Weil ich, seit ich dich wiedergefunden habe, wieder weiß, was ‚glücklich sein‘ bedeutet.“ Joey konnte nicht verhindern, dass ein sanfter Schauer ihn durchrann. Er spürte einfach, dass Seth sich wieder an ihr gegenseitiges Versprechen, welches sie sich vor mehr als 5000 Jahren gegeben hatten, erinnerte. „Aber…“, fuhr Seto ungerührt fort, „… ich habe dieses neue Leben hier bereits so lange gelebt. Ich bin nicht mehr der Seth, in den du dich verliebt hast. Ich habe mich verändert, Jono. Jeder könnte es verstehen, wenn deine Gefühle sich…“ Er atmete tief durch. Die nachfolgenden Worte auszusprechen, bereitete ihm augenscheinlich große Überwindung. „…ebenfalls geändert haben. In diesem Leben werde ich vermutlich immer ein ‚Eisblock‘ bleiben und ich frage mich, ob du damit leben kannst.“ Überrascht sah der Jüngere ihn an. Joey spürte, wie viel es Seto gekostet haben musste, das zu sagen und ihn damit quasi frei zu geben, ihn von ihrem gegenseitigen Versprechen zu entbinden. Er hatte nicht gewusst, dass ihn solche Zweifel quälten - und das noch nach allem, was in den letzten Tagen geschehen war. Bis vor ein paar Minuten war er der festen Ansicht gewesen, Kaiba längst mit jeder Faser seines Wesens vermittelt zu haben, wie er für ihn empfand. Nachdem er einen Moment überlegt hatte, wie er auf diese Zweifel reagieren konnte, resignierte er schließlich. „Es tut mir leid, Seth.“ Ein Schatten legte sich über das Gesicht des Älteren. „Ich liebe dich.“ Joey ließ den Anderen nicht aus den Augen. „Stärkere Worte kenne ich nicht. Ich habe keine Ahnung, wie ich es dir sonst noch begreiflich machen könnte. Ich habe dich in diesem, im letzten und in all deinen anderen vergangenen Leben geliebt…“ Zögernd hielt er inne. Kleine Falten bildeten sich auf seiner Stirn, als er noch einmal über seine Worte nachdachte. Nur Sekunden später korrigierte er sich noch einmal. „Nein. Eigentlich…“ Unglücklich schloss er seine Lider und verbarg den traurigen Schimmer sorgfältig hinter einem schiefen Lächeln. „… eigentlich habe ich mich jedes Mal wieder aufs Neue in dich verliebt. Nicht, dass ich das gewollt hätte“, setzte er voller Ironie hinzu und lenkte den Älteren damit von diesem sensiblen Thema ab. Der Braunhaarige registrierte es, sagte aber nichts dazu und ging auf den lockeren Tonfall ein. „Wer will das schon? Ich bin unausstehlich“, stellte er halb scherzend, halb im Ernst fest, während er Joey noch ein wenig näher an sich heranzog. „Richtig“, bestätigte Joey ungerührt. „Ich weiß gar nicht, wie du dich überhaupt in mich verlieben konntest.“ „Das macht nichts“, wehrte der Blonde großzügig ab. „Ich nämlich auch nicht“, ließ er ihn mit schalkhaftem Augenblinzeln wissen. Als Antwort küsste Seto ihn erneut, ehe das Schulklingeln schließlich ihr kurzes Beisammensein unterbrach. „Wir müssen in den Klassenraum“, murmelte Joey an Setos Lippen. „Unbedingt. Ich werde heute nicht einen Moment von deiner Seite weichen, Kleiner. Den Blick von dem Kindergarten will ich um keinen Preis verpassen.“ Mit wichtiger Miene deutete er auf sein Handy in seiner rechten Hand. „Das Foto werde ich mir als Plakat drucken lassen.“ Joey konnte nur die Augen verdrehen. Doch er war glücklich. Solche Scherze wären zwischen ihm und Seto vor ein paar Tagen noch undenkbar gewesen. Er war sich bewusst, dass diese verspielte, fröhliche Seite des Größeren nur in seiner Nähe zum Vorschein kam. Es war genau, wie er es gesagt hatte: Seto Kaiba würde sich nicht mehr ändern. Er würde nicht mehr zu dem Seth werden, den er früher gekannt hatte. Aber das war in Ordnung. Er selbst hatte sich auch verändert. Und ihm war es nur Recht, wenn nur er diese neue Seite von Seto zu Gesicht bekam. Zumal Seth auch früher schon nicht unbedingt ein Ausbund an Herzlichkeit gewesen war. Mit einem breiten, siegessicheren und überlegenen Grinsen im Gesicht, wie Joey es früher so oft an ihm gesehen hatte, ging der Firmenchef an dem Blonden vorbei in Richtung Flur. Der Kleinere steckte indessen seine Hände aufseufzend in seine Hosentaschen. Seto hatte ihn mit nur wenigen Worten wieder auf den Boden der Tatsachen und der verbleibenden 6 Stunden 14 Minuten und 34, 33, 32, 31, 30, 29… Sekunden gebracht. „In jedem Fall sollten wir deinem Kindergarten noch nichts von uns auf die Nase binden.“ Joey hielt inne. Inzwischen hatten sie die Tür des Fachraumes fast erreicht. „Du willst es geheim halten?“ Verunsichert sah er auf den Größeren. Dieser blieb, bei der veränderten Tonlage des Jüngeren, alarmiert stehen. Offenbar war auch Joey etwas verunsichert, was ihre Beziehung zueinander anging. Um sicherzugehen, dass dem Blonden bewusst wurde, wie ernst es ihm mit seinen nachfolgenden Worten war, drehte er sich noch einmal zu ihm um. „Ich habe nicht vor, es geheim zu halten. Meinetwegen kann die ganze Welt davon erfahren. Wenn es nach mir ginge, lieber gestern als heute – dann wüsste wenigstens jeder, dass du mir gehörst und niemandem sonst.“ Fahrig fuhr er sich mit seiner Hand durch die dunkelbraunen Haare. Seinen Kopf nach unten geneigt, den anderen Arm in die Seite gestützt, hatte er kaum noch Ähnlichkeit mit dem allzeit überlegenen Firmenchef. Ein verunglücktes Lächeln huschte über seine Lippen. „Dann müsste ich mich auch nicht mehr ständig davon abhalten, alle umbringen zu wollen, die dir zu nahe kommen. Das wäre wahrlich eine Erleichterung.“ „Du warst schon immer sehr besitzergreifend“, stellte Joey mit verschmitztem Grinsen fest. Seto konnte das ohne Zögern bestätigen – jedoch mit einer Einschränkung. „Nur, wenn es um dich geht.“ „Und um Mokuba“, berichtigte ihn der Blonde. „Und um Mokuba“, bestätigte Seto. „Und um deine Firma“, setzte der Jüngere hinzu. Kaiba gab ihm aufseufzend recht. „Offenbar scheint das ebenfalls eine meiner hervorstechendsten Eigenschaften zu sein. Doch es gibt einen Unterschied, Hündchen.“ Fragend blickte der Angesprochene zu ihm auf. „Um meine Firma zu behalten, würde ich niemanden umbringen.“ „Dann sollte ich mich wohl geehrt fühlen.“ „Nein. Du solltest nur wissen, dass du Taylor in Zukunft lieber davon abhältst, sich in meiner Gegenwart in Lebensgefahr zu begeben. Und was deine ursprüngliche Frage angeht: Ich denke, der Schock wird groß genug sein, wenn sie deine Prüfungsergebnisse sehen. Du magst deinen Kindergarten. Ich möchte nicht daran schuld sein, wenn ein zweiter Schock sie vielleicht vorzeitig ins Grab bringt.“ „Wie… großzügig“, lachte Joey. /Wahrscheinlich hat er recht. Eine Erkenntnis pro Tag reicht wohl./ Das Stundenklingeln wies sie darauf hin, dass inzwischen der Unterricht beginnen sollte. Ohne Eile überwanden daher beide die letzten Meter bis zur Tür und betraten den Fachraum. Kapitel 48: Mendelsche Vererbungslehre -------------------------------------- Sooo... und gleich das nächste Kapitel als Ausgleich für die lange Wartezeit. Ich freue mich schon auf eure Kommentare! ^_^ ___________________________________________________________________________________ „Hey Alter, wo warst du?“, erkundigte sich Tristan leise flüsternd, nachdem er sich neben ihm niedergelassen hatte. „Hrmhrm“, machte Herr Koriami auf sich aufmerksam und bat um Ruhe im Klassenraum. Joey beließ es daher bei einem nichtssagenden Schulterzucken und sah scheinbar aufmerksam nach vorn. Erst später, als Herr Koriami ihnen alle heute zu beantwortenden Fragen mitgeteilt hatte, konnten sie sich unter dem Deckmantel der Zusammenarbeit miteinander unterhalten. Der Fachraum hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass in diesem die Tische nicht einzeln standen, sondern immer vier nebeneinander angeordnet waren. So konnten auch Thea und Yugi, welche rechts von ihm arbeiteten, der Unterhaltung folgen. „Und, wo musstest du nun vorhin noch unbedingt hin?“ „Ich hatte mein Biobuch vergessen.“ „Mensch Joey, das vergisst du in letzter Zeit aber häufiger“, stellte Tristan herausfordernd fest. „Ich habe halt zurzeit viel um die Ohren“, verteidigte sich dieser. „Und was genau?“, hakte Thea leise nach, während sie die nächste Seite umblätterte. Schnell überlegte sich Joey, was von den vielen Dingen, die sich in letzter Zeit in seinem Leben geändert hatten, am Ehesten während einer Unterrichtsstunde erzählt werden konnte, ohne gleich einen Aufruhr zu provozieren. „Ich… habe einen neuen Job“, ließ er schließlich nach kurzem Grübeln verlauten. „Ach ja? Was denn?“, erkundigte sich Yugi neugierig. „Ich arbeite jetzt als Kellner.“ „Verdient man da mehr?“ „Ja. Ein bisschen zumindest.“ „Aber dann musst du ja bestimmt immer lange arbeiten.“ „Hm“, gab Joey auf Yugis Feststellung nur einsilbig zurück. „Ey Leute, mal ne ganz andere Frage, weiß jemand was mit“, stirnrunzelnd deutete Tristan auf ein paar der Begriffe im Biologiebuch „…‘dominant rezessivem Erbgang“ anzufangen? Oder hier… Was ist die Spaltungsregel, Uniformitätsregel oder Neukombinationsregel?“ „Das hatten wir doch alles schon mal“, rutschte es Joey ungewollt heraus. /Mist. Hör auf, laut zu denken/, rief er sich selbst zur Ordnung. „Ja klar. Irgendwann im letzten Jahrhundert! Daran kann sich doch kein Schwein mehr erinnern. Du etwa?“ Keine gute Frage. Joey zögerte. Die korrekte Beantwortung würde lediglich zu dem führen, was er zu vermeiden versuchte: ein Aufruhr unter seinen Freunden. Zumindest würden sich weitere Fragen ergeben, die sich nicht unter den wachsamen Blicken des Lehrers klären ließen. Außerdem wusste er gar nicht, ob er dafür schon bereit war. Immerhin hatte er noch ganze 5 Stunden 34 Minuten und 8 Sekunden Zeit. „Seh‘ ich aus wie ein wandelndes Lexikon? Nee. Pass halt besser im Unterricht auf, dann musst du mich nicht immer mit diesen Fragen löchern.“ „Als wenn ich dich immer damit löchern würde! Du weißt doch eh nie was“, giftete Tristan. „Na, ich weiß zumindest schon mal, dass es was mit unserem Erbgut zu tun hat“, verteidigte sich Joey. „Super, das kann man ja aus der Überschrift ‚Vererbungslehre‘ auch so gar nicht ableiten“, ließ Tristan ihn mit sarkastischem Unterton wissen. „Du konntest das offensichtlich nicht, sonst hättest du ja nicht gefragt.“ „Und ob, nur das mich das ja nicht weiterbringt.“ „Das ist dann aber nicht mein Problem.“ Der überhebliche, angriffslustige Ton von Joey ließ den Braunhaarigen aufhorchen. Er stutzte. „Man, wie bist du denn überhaupt drauf? Streitet Kaiba nicht mehr genug mit dir, dass du jetzt auf mich losgehst, oder was?“ „Ich… nein… Sorry, Tristan“, entschuldigte sich der Blonde, als ihm bewusst wurde, dass der Andere Recht hatte. Er war einfach überreizt, da er nicht so recht wusste, wie er sich aus seinen ganzen selbst gewobenen Fallstricken wieder herauswinden sollte. Statt die einzelnen Knoten zu lösen, gelang es ihm mit jeder Minute, die verstrich, neue hineinzusetzen. „Probleme, Hündchen?“, erkundigte sich eine belustigte Stimme aus dem Hintergrund. Kaiba arbeitete direkt eine Bank weiter und hatte NATÜRLICH eine ganze Bankreihe für sich allein. „Halt‘ die Klappe, Kaiba!“, forderte ihn Joey ohne aufzublicken grummelnd auf. Ein kurzes, gehässiges Lachen folgte, ehe Kaiba sich wieder seinem eigenen Buch zuwandte. „Vielleicht… sollten wir uns erst mal der anderen Frage zuwenden…“, warf Yugi vermittelnd ein. „Hm“ „Hm“ Stimmten Tristan und Joey gleichermaßen zu und legten ihren Streit vorerst bei. Voller Tatendrang diskutierten Yugi und Tristan anschließend darüber, wo sie weitere Informationen rund um die Vererbungslehre finden können, währenddessen Thea bereits in ihrem Biologiehefter nach Hinweisen suchte. Ein kleines, nerviges, schadenfrohes Flüstern aus dem Hintergrund wies Joey, von den anderen unbemerkt, freundlich auf einen Umstand hin, den er mit aller Macht zu verdrängen versuchte. „Falls du auf den passenden Moment gewartet hast, es ihnen zu sagen… DAS war er gerade.“ Und diese fiese, nagende Stimme sollte Recht behalten. Auch in dem nächsten und übernächsten Unterrichtsblock ergab sich für den Schüler keine weitere passende Gelegenheit, seine Freunde auf die Ergebnisse vorzubereiten. Ihm wollte einfach nie ein passender Gesprächsbeginn einfallen und Kaiba, der sich ständig irgendwie in ihrer Nähe aufzuhalten schien, war ihm dabei keine große Hilfe. Was aber, in Anbetracht dessen, dass er ständig sein Handy in Beschlag hatte, auch nicht sein Anliegen zu sein schien. Somit wurde auch die sechste Stunde an diesem Tag mit einem durchdringenden Klingeln der Schulglocke beschlossen, ohne dass Joey einen nennenswerten Schritt weitergekommen wäre. Doch nun, da die ersten Schüler in Richtung der Informationstafeln strömten, ließ sich das Thema nicht länger aufschieben. Kaum, dass sie den Raum hinter sich gelassen hatten, versuchte der Blonde seine Freunde noch einmal zurückzuhalten. „Ey Leute, es gibt da etwas, das ihr wissen solltet, bevor…“ „Hey Joey, warte mal noch zwei Minuten. Du kannst gleich loslegen, ich will nur schnell mal meine Ergebnisse ansehen“, ließ Tristan ihn wissen und stapfte an ihm vorbei. Schnell hielt Joey ihn an seinem Arm zurück. „Mensch Tristan, nun bleib doch mal stehen. Ich… will da jetzt gerade noch nicht hin.“ „Du vielleicht nicht. Ich schon.“ „Ja und wir auch“, informierte ihn Thea. Yugi, der die Probleme an ganz anderer Stelle vermutete, lief ebenfalls geradewegs an ihm vorüber. „Mach dir keine Sorgen, so schlimm werden deine Ergebnisse schon nicht sein.“ „Das befürchte ich allerdings auch“, stöhnte Joey. Seine Freunde waren schon außer Hörweite. Schnell nahm er seine Beine in die Hand und setzte ihnen nach, um sie vielleicht doch dazu zu bewegen, noch keinen Blick auf die Tafeln zu werfen. Doch als er sie endlich eingeholt hatte, war es schon zu spät. Sie hatten die Glaskästen, in denen die Tafeln hingen, längst erreicht und versuchten nun nur noch, einen Blick durch die Menge und auf die Ergebnisse zu erhaschen. Noch standen zu viele davor, um freien Blick zu haben, doch Tristan nutzte eine der Lücken und schummelte sich bis nach vorne durch. Yugi versuchte indes, sich auf Zehenspitzen zu stellen, um besser sehen zu können, doch es war absehbar, dass ihm das nicht gelingen würde. Tief Luft holend, setzte Joey ein letztes Mal dazu an, sich vorab zu erklären. „Yugi, bevor du die Ergebnisse siehst, wollte ich dir gern noch…“ Doch die anderen Mitschüler seines Jahrgangs gaben ihm keine Chance mehr, den Satz noch zu beenden. Die ersten hatten ihn, nach Sichtung der Ergebnisse, bereits entdeckt und ein jeder fühlte sich verpflichtet, irgendeinen Kommentar dazu abzugeben. „Ey Wheeler! Du bist ja cool! Wie hast du das denn hinbekommen?“ „Ja. Damit hätte ich bei dir ja nie gerechnet!“ „Hast du die Ergebnisse vorher geklaut, oder was?“ „Hast du Lust, mit mir mal was essen zu gehen?“ „Kannst du mir bei Gelegenheit mal den Namen deines Nachhilfelehrers sagen?“ „Bist ja doch gar nicht so blöd, wie du immer tust.“ Währenddessen hatten auch Yugi und Thea eine der neu entstandenen Lücken genutzt und waren bereits bis zu den Ergebnissen vorgedrungen. Er selbst war groß genug um auch von seinem derzeitigen Platz aus einen guten Blick auf die Platzierungen zu haben. Was auch nicht schwer war, da die ersten drei Plätze größer und dicker gedruckt waren, als der Rest. „Ich frage mich, warum du nur 487 von 500 Punkten hast, Hündchen. Bei deinem Gedächtnis hätte ich erwartet, dass du mindestens genauso gut wie ich abschneidest. Ich bin enttäuscht“, flüsterte ihm die jegliche seiner Nerven tötende Stimme hinter ihm zu, welche ihm schon den ganzen Tag immer im Nacken zu hängen schien. Der belustigte Unterton strafte die Worte von Kaiba allerdings Lügen. Da er noch vor ihm stand, musste auch er sich nicht anstrengen, die eigene Platzierung von ihrem Standpunkt aus zu sehen. Allerdings vermutete Joey, dass Kaiba die Ergebnisse ohnehin schon aus dem Schulcomputer kannte. Natürlich hatte man ihm seine erreichte Punktzahl bereits einen Tag zuvor per Post mitgeteilt - man ging schließlich davon aus, dass ein Kaiba Wichtigeres zu tun hatte, als sich höchst selbst vor irgendwelche profanen Tafeln zu stellen. Dennoch sah er scheinbar interessiert weiter in die Richtung der Aushänge und ließ es so aussehen, als stünde er rein zufällig hinter Joey. Dieser zuckte nur die Schultern. Ihm waren seine Ergebnisse egal. „Was kann ich für die ganzen Historiker?“, maulte er leise zurück. „Die drehen die Geschichte doch immer so hin, wie es ihnen gerade gefällt. Du kannst dir ansehen, was du willst. Egal welches Schriftstück die Archäologen ausbuddeln - es sind fast immer die niedergeschriebenen Ansichten der Gewinner. Und die so genannten Archäologen legen sich dann irgendein nettes Bild zurecht, ohne auch nur entfernt zu wissen, was wirklich passiert ist“, teilte er Seto mit und nahm damit Bezug auf das Fach, welches ihn um ganze dreizehn Punkte gebracht hatte. Für jemanden wie ihn, der sich an die ganze Geschichte der vergangenen 5000 Jahre erinnern konnte, war es nicht leicht, eine Arbeit über geschichtliche Fragen zu schreiben. Es hatte ihm widerstrebt, sich ständig den verdrehten Ansichten der Geschichtsschreiber anzupassen. Jede Zeit legte das Vergangene auf ihre eigene Weise aus. Auch wenn er schlecht sagen konnte, dass er es besser wusste, musste er sich diesen ganzen Halbwahrheiten doch nicht anschließen. „Ich wundere mich allerdings, warum du nicht die volle Punktzahl erreicht hast“, konterte Joey im Anschluss. „Das Zeichnen überlasse ich lieber dir, Hündchen“, wehrte Seto die nicht wirklich gut verborgene Spitze in seinen Worten ab. Kunst war eben nicht seine Stärke. Damit ließ Kaiba sich wieder unauffällig ein Stück zurückfallen und lehnte sich an eine der Säulen in der Nähe der Schaukästen. Einige Kommentare seiner Mitschüler später, hatte sich die Menge zumindest so weit gelichtet, dass Joey seine Freunde wieder sehen konnte. Diese schienen inzwischen ihre eigenen Ergebnisse gefunden zu haben und ließen ihren Blick nun zu den Bestplatzierten wandern. Wie bei allen Schülern der Schule, war die Neugierde groß, wer wohl zu den ersten dreien ihres Jahrganges gehörte. Dass Seto Kaiba unter ihnen war, verwunderte eigentlich niemanden. Der andere Name, der kurz darauf folgte, schien die drei allerdings in eine schwere Glaubenskrise zu stürzen. Binnen der nächsten Minute, in welcher sie nur auf die Namen starrten, verschwand auch der Rest der Schüler und begab sich auf den Weg nach draußen. Der Unterricht war für heute beendet. Zögernd betrachtete Joey die Gesichter seiner Freunde, während er langsam auf sie zuging. Thea, welche noch immer den Blick nicht von den Ergebnissen lösen konnte, konnte er nicht einschätzen, da sie genauso aussah, wie sonst auch. Yugis Mund hingegen war leicht geöffnet. Wenn man genauer hinsah, konnte man eine ganze Armee kleiner Fragezeichen sehen, die es sich auf seinem Gesicht bequem machten und auch noch ein paar, die um ihn herum tanzten. Und dann war da noch Tristan, welcher nur verwirrt zu der Tafel und wieder zu ihm sah. Etwas verunsichert, wie er mit dem, was er dort las, umgehen sollte, entschied er sich schließlich für ein breites Grinsen. „Wow Alter! Wie hast du das geschafft?“ Auch Yugi und Thea wandten sich nun zu ihm, nachdem sie sicherheitshalber noch ein weiteres Mal die Ergebnisse und die Platzierung überprüft hatten. 1. Seto Kaiba 495 Punkte (von 500) 2. Joseph Jay Wheeler 487 Punkte . . 22. Yugi Muto 413 Punkte . . 30. Thea Gardner 377 Punkte . . . . 67. Tristan Taylor 245 Punkte . . „Das würde mich auch interessieren“, warf Thea ein. „Sag mal, kanntest du die Fragen, die dran kamen?“, erkundigte sich Tristan, immer noch breit grinsend. Doch man merkte ihm an, dass er einfach nicht wusste, wie er sonst damit umgehen sollte. Joey schüttelte nur mit dem Kopf. „Das ist es ja, was ich euch schon den ganzen Tag sagen will.“ „Was denn?“, hakte Thea nach. „Ich brauchte die Fragen nicht zu wissen. Ich musste nicht mal lernen. Die Antworten kannte ich auch so“, gab er unglücklich zu. „Klar, Joey. Es glaubt ja auch niemand, dass du geschummelt hast. Du musstest ganz schön büffeln, hm?“, beruhigte ihn Yugi. „Ich wusste immer, dass du das kannst Joey, Und jetzt hat sich das endlich mal bezahlt gemacht. Also ich finds super!“, bekräftigte der Kleinste der Runde. Ein bekümmertes Seufzen war die Antwort. „Yugi… ich muss für sowas nicht lernen“, versicherte Joey noch einmal – nur für den Fall, dass es noch immer nicht angekommen war. „Ich musste eigentlich nie irgendwas lernen“, setzte er peinlich berührt hinzu. „Du spinnst, Alter!“, informierte ihn Tristan lachend. „Das kannst du deiner neuen Freundin erzählen. Mal im Ernst, wer hat dir beim Lernen geholfen? Eine dieser Nachhilfeschulen kanns ja nicht gewesen sein, die kosten alle eine ganze Stange Geld…“ /Na toll… Das hat man davon, wenn man so lange so tut, als hätte man von nichts auch nur den geringsten Schimmer und ein Kopf wie ein Sieb. Am Ende wird einem nicht mal mehr geglaubt, wenn man die Wahrheit sagen will. Wie ging doch gleich die Geschichte von dem Hirten und dem Wolf…?/ Kurz überlegte er, wie er den anderen verständlich machen konnte, was er meinte, ehe er sich schließlich abermals an Tristan wandte. „Tristan, kannst du mir eine der Fragen aus dem Biounterricht von heute früh nochmal stellen?“ Irritiert sah der Braunhaarige ihn an. „Was…? Welche meinst du?“ „Ganz egal, irgendeine davon.“ „Klar… aber…“ Seufzend unterbrach Joey seinen fragend dreinblickenden Freund. „Tus einfach.“ Die Schultern zuckend, beugte sich Tristan zu seinem Rucksack und entnahm ihm das Biologiebuch der Abschlussklasse. Zügig blätterte er zu der Seite, auf welcher er auf all die Fragen vom Morgen gestoßen war und wählte spontan eine davon aus. „Was ist ein dominant rezessiver Erbgang?“ Gespannt auf das, was nun kommen würde, sah er auf seinen besten Freund. Dieser schloss für wenige Sekunden seine Augen, nickte kurz und holte tief Luft, ehe er ohne Stottern oder Pausen zur Beantwortung seiner Frage ansetzte. „In Ordnung. Dazu solltest du zuerst wissen, was ein Allel ist. Ein Allel bezeichnet eine mögliche Ausprägung eines Gens, das sich an einem bestimmten Ort auf einem Chromosom befindet. Bei einem dominant-rezessiven Erbgang setzt sich ein Allel bei der Ausprägung eines Merkmals gegenüber einem anderen Allel durch. Das sich durchsetzende Allel wird als dominant bezeichnet, das andere als rezessiv. Die Augenfarbe beim Menschen wird beispielsweise dominant-rezessiv vererbt, wobei das Allel für braune Augen dominant und das Allel für blaue Augen rezessiv ist. Bekommt ein Kind von einem Elternteil die Erbinformation für blaue Augen und vom anderen die für braune Augen, so wird das Kind braune Augen haben. Die Erbinformation für das rezessive Allel, also in diesem Fall die blauen Augen, bleibt aber trotzdem erhalten. Diese Information kann dann an die nächste Generation weitergegeben werden. So ist schon mal klar, dass beispielsweise Kaibas biologische Eltern vermutlich beide blauäugig gewesen sein müssen. In mehr als nur einem Sinne, wenn sie ihn zur Welt gebracht haben…", konnte er es sich nicht verkneifen, wie nebenbei einfließen zu lassen. Als er sah, dass die Augen seiner Freunde im Begriff waren, den Suppentellern in der Schulmensa merklich Konkurrenz zu machen, räusperte sich Joey hastig, ehe er seine Erklärung kurz und bündig zum Ende brachte. "Wie dem auch sei. Bei einem diploiden Organismus sind die in den Mendelschen Regeln – die hast du ja heute früh auch schon genannt – beschriebenen Aufspaltungen zu beobachten. Bei dominant-rezessiver Vererbung gleichen die Nachkommen oft völlig einem Elternteil, da sich nur das dominante Gen durchsetzt - die Merkmale des rezessiven sind zwar wie gesagt im Erbgut vorhanden, kommen aber in dieser Generation nicht zur Ausprägung.“ Ruhig sah Joey auf seine Freunde und ließ seine Antwort wirken. „Bitte?!“, erscholl es aus drei Mündern nahezu gleichzeitig. Mit einem dumpfen Ton rutschte das Biologiebuch, mit dessen Hilfe dieser die Antwort der Frage mit den Worten von Joey abgeglichen hatte, aus Tristans Händen und landete unsanft auf dem Boden. Mit aufgerissenen Augen starrte nicht nur der Braunhaarige auf seinen Freund, als hätte man ihn ohne sein Wissen gegen einen anderen ausgetauscht. Thea war unter der spätsommerlichen, leichten Bräune ziemlich blass geworden. Ihre Augen wanderten unbeständig zwischen dem Blonden, dem Biologiebuch und den Ergebnissen hin und her, als hätte sie alle Mühe zu erfassen, was sie gerade gehört hatte. Bei Yugi bestand hingegen zu befürchten, dass er womöglich niemals wieder ein Wort mit ihm sprechen würde. Oder zumindest nicht konnte, denn trotzdem er den Mund mehrmals schloss und öffnete, war nicht ein Ton von ihm zu hören. Man sah deutlich, dass ihm etwas auf der Zunge lag, es wollte jedoch nicht so leicht heraus. Ein leises Klicken ertönte und riss Tristan wenig später aus seiner Starre, in welche er sich bereits während der Erklärung unfreiwillig begeben hatte. Die Augen verdrehend, warf Joey einen kurzen Blick in Richtung Kaiba, welcher in diesem Moment mit einem zufriedenen Zug um den Mund sein Handy wieder in seine Tasche gleiten ließ. Es war offensichtlich, dass er seine heutigen Ziele als voll erfüllt ansah. „Ok. Wo ist die Kamera?“, erkundigte sich Tristan und sah sich auffordernd um. Offenbar hatte er seine Stimme ein wenig eher wiedergefunden als Yugi. „Welche Kamera?“, erkundigte sich Joey irritiert. „Na, die hier irgendwer versteckt hat. Oder willst du mir erzählen, dass du das alles einfach so wusstest?“ „Nun ja... ja“, gab der Blonde kleinlaut zu. "Aber… wie kann das sein… Ich meine, vorhin wusstest du doch noch nichts. Und dann hast du noch nicht mal richtig mitgearbeitet…", stellte sein bester Kumpel stammelnd fest. "Um ehrlich zu sein, wusste ich es schon." Verlegen zuckte Joey die Schultern. "Ich habs letztes Jahr schon gelesen." "Wie, du hast es 'letztes Jahr gelesen'?", hakte Yugi nun auch staunend nach. Joey war erleichtert. Er hätte Yugis Großvater - und auch Atemu - nie wieder unter die Augen treten können, wenn Yugi durch sein Verschulden für immer verstummt wäre. Entschuldigend blickte Joey in die Runde. „Immerhin haben wir das letztes Jahr alles schon mal durchgekaut. Ich muss sowas selten noch einmal lesen, um zu wissen, was in einem Text stand. Eigentlich wusste ich immer so gut wie alles, was ihr mich gefragt habt. Die Chance, dass ich bei den Prüfungen hätte durchfallen können, lag bei etwa 1 zu 3.456.687 Millionen.“ „Aber wie…“ Seufzend deutete Joey vage auf seinen Kopf. „Photografisches Gedächtnis. Naja… eine besondere Form davon. Ich kann einfach nichts vergessen. Nicht einmal, wenn ich wollte. Alles, was ich mal gelesen, gehört oder gesehen habe, ist hier oben gespeichert. Quasi nicht steuerbar.“ Für viele andere mochte das sehr reizvoll sein, für ihn war es in all den Jahren eine Last gewesen, da er diese Fähigkeit bereits seit 5000 Jahren mit sich herumschleppte. Was zwangsläufig dazu führte, dass er sich an jedes einzelne Leben, das er bisher geführt hatte, erinnern konnte. Etwas, das er mehr als nur einmal verflucht hatte. „Aber das ist… Wahnsinn. Einfach nicht möglich! Ich meine… du bist Joey“, verkündete Tristan mit verwirrtem Blick. Seine letzten Worte und die entsprechende Geste in Richtung seines Kumpels machte deutlich, dass er 'Joey' und 'überdurchschnittliche Intelligenz' nicht miteinander in Vereinbarung bringen konnte. Er stand immer noch unter Schock. Neben ihm ließ sich Thea in die Hocke sinken und nahm das heruntergefallene Biobuch zur Hand, um es umsichtig wieder in Tristans Tasche zu packen. Joey vermutete aber, dass diese Handlung eher dazu diente, ihre Unsicherheit zu kaschieren. Er hatte es an Theas Augen gesehen. Oder vielmehr nicht gesehen, denn seit der Zurschaustellung seiner Fähigkeiten, versuchte sie tunlichst, den Blickkontakt mit ihm zu vermeiden. Die Vermutung lag nahe, dass sie noch nicht recht wusste, wie sie auf diese Eröffnung reagieren sollte. „Sieh es ein, Taylor. Das Hündchen ist schlauer als du“, mischte sich indes Seto in das Gespräch ein und verließ seinen Platz an der Säule. Tristan, noch immer damit beschäftigt, das alles zu verkraften - immerhin hatte er bisher geglaubt, er und der Blonde wären auf einer Wellenlänge, was das Lernen anbelangte - beachtete den Größeren nicht weiter. Etwas, das bisher noch nie vorgekommen war. Er schien noch immer zu beschäftigt, dass alles zu verarbeiten. Wider erwarten war es Yugi, welcher den Schock als erster langsam zu verdauen begann und die neue Situation akzeptierte. Dies mochte wohl auch der Tatsache geschuldet sein, dass er in seinem kurzen Leben bereits mit zahlreichen merkwürdigen und unmöglich erscheinenden Situationen konfrontiert war. Immerhin hatte er seinen Körper einige Zeit mit einer anderen Seele teilen müssen. Dies mochte wohl auch der Grund dafür sein, dass er seine Gedanken als einziger der drei Freunde bereits in eine neue, wichtige Richtung lenken konnte. „Mensch Joey, warum hast du uns das denn nicht viel eher gesagt?“, verlangte er mit ungewöhnlich ernstem Gesicht zu wissen. Unsicher sah dieser ihn an. Es war schwer zu bestimmen, ob Yugi sauer auf ihn war oder nicht. Seine zusammengezogenen Augenbrauen ließen es zwar vermuten, sein ruhiger Tonfall deutete aber an, dass ihm lediglich an einer ehrlichen Aussprache gelegen war. „Irgendwie hat es sich einfach nie ergeben. Außerdem war ich nicht sicher, wie ihr dann reagieren würdet.“ Thea hatte sich beim Klang von Yugis Stimme inzwischen auch wieder aufgerichtet und den Blonden betrachtet, als würde sie ihn heute das erste Mal sehen. Joey erkannte an ihrer Haltung, dass auch sie sich mit der neuen Situation anzufreunden begann. Bei seiner Antwort, verdrehte sie allerdings dermaßen übertrieben die Augen, das man vermuten könnte, sie könne direkt in sich selbst hineinblicken. Umso fester richteten sich diese im Nachhinein wieder auf ihn. Energisch stemmte sie ihre Arme in die Seite. „Joey! Wir sind Freunde, oder?“ Es waren ihre ersten Worte, seit seiner 'Enthüllung'. Der Angesprochene nickte. „Ich hoffe.“ „Da gibt es nichts zu hoffen, Joey. Natürlich sind wir deine Freunde!", setzte Yugi nach. Er überlegte kurz, zuckte dann mit den Schultern. "Es hat schon was, wenn du so viel weißt“, ließ er ihn wissen. "Immerhin bist du damit doch quasi sowas wie ein wandelndes Lexikon, oder?", erkundigte er sich in einem kurzen Anflug von Humor. Joey war ihm insgeheim dankbar, dass er versuchte, die Situation für ihn ein wenig zu entspannen. Der Kleinere hatte schon immer ein gutes Gespür für die Gefühlswelt seiner Freunde gehabt und ahnte vermutlich, wie unwohl er sich derzeit in seiner Haut fühlte. „Na ich weiß nicht… Es wäre noch cooler gewesen, wenn du uns mal eher was gesagt hättest. Zumindest mir“, mischte Tristan sich verstimmt ein. Ihn schien seine Verwandlung in ein allwissendes Genie, seinem zweifelnden Blick nach zu urteilen, am wenigsten zu gefallen. Bestürzt sah Joey den Kumpel an, der ihn von allen in diesem Leben am längsten kannte. Dieser atmete ein weiteres Mal binnen der letzten Minuten tief ein und aus, ehe er fortfuhr. „Naja… immerhin hättest du mir dann beim Lernen helfen können, Alter“, setzte dieser mit einem leicht schmollenden Blick auf seine eigene Platzierung hinzu. Ein kleines Lächeln im rechten Mundwinkel deutete jedoch darauf hin, dass er seine Worte nur halb so ernst meinte und bereits damit begonnen hatte, seinem besten Kumpel zu verzeihen, dass er ihn so lange angelogen hatte. Erleichtert atmete Joey auf. Breit lächelnd ließ er Tristan wissen, dass er ihm dafür bei den richtigen Prüfungen helfen würde. Kapitel 49: Was hast du getan? ------------------------------ Ein großes HALLO an alle Leser!!! Es tut mir unsagbar leid, dass ihr so lange auf ein neues Kapitel warten musstet. In den letzten Wochen kam vieles zusammen. Eine Auszeit war für mich dringend notwendig. Leider ist diese Phase noch nicht vorbei, so dass ich derzeit nicht versprechen kann, dass gleich nächste Woche wieder ein neues Kapitel herauskommt. Aber ich versichere euch, dass ich auf jeden Fall weiterschreibe! Es dauert aber in jedem Fall länger, bis das nächste Kapitel kommt. Wenn ihr trotz der nun folgenden unregelmäßigen Veröffentlichung weiter lest, würde ich mich sehr freuen. Liebe Grüße und herzlichen Dank für die Mails, die mich zwischenzeitlich erreicht haben und mich dazu ermunterten, weiterzuschreiben. Entschuldigt, dass ich euch nicht geantwortet habe, leider sah ich mich dazu nicht in der Lage. Gelesen habe ich aber alle Nachrichten und gefreut habe ich mich jedes einzige Mal. seththos ________________________________________________________________________________________ „Oh. Hier seid ihr alle“, ertönte eine Stimme aus Richtung des Schulhofes. Gekleidet mit einer dunklen blauen Jeans, einer dickeren schwarzen Jacke und einem zu seiner Haarfarbe passenden gelben Schal, betrat Atemu den großzügigen Eingangsbereich der Schule. „Ich habe euch schon gesucht. Heute habe ich im Museum mal früher Schluss, da wollte ich es mir nicht nehmen lassen, euch abzuholen", begrüßte er die Anwenden schon von Weitem fröhlich "…und mal einen Blick auf eure Prüfungsergebnisse zu wer… WOW!“ Reflexartig zog der frühere Pharao seine Arme hoch und wurde von einer nicht sichtbaren Kraft ein gutes Stück nach hinten gestoßen und beinahe aus dem Gleichgewicht gebracht. Schnell ging er in einen leicht gebeugten Ausfallschritt, um nicht komplett auf dem Boden zu landen. Kaum, dass er sich von seiner Überraschung erholt hatte, folgte bereits der nächste Angriff. Er hatte nur wenig Zeit, um mit seinen Kräften einen magischen Schutzwall gegen die Energiewelle aufzubauen, die gegen ihn geworfen wurde. Man konnte hören, wie die Luft knisterte, als die Welle an seiner Mauer brach. Wind, heiß und rasiermesserscharf, zog rechts und links an Atemu vorbei. Eines der Messer schnitt in seinen Schal und verfehlte nur knapp seinen Hals. Eine Scheibe links von der Eingangstür zersplitterte in tausende kleine Stücke. Schwer atmend sah der Pharao auf die Gestalt, welche dafür verantwortlich war. „Hallo Seth“, begrüßte er den braunhaarigen jungen Mann trocken. Dieser stand in ein paar Schritten Entfernung zwischen ihm und den Anderen. Verblüfft sahen diese zwischen den beiden hin und her. Seto hatte seine Beine leicht auseinander gestellt, um einen besseren Stand zu haben. Seine Arme hingen scheinbar locker an seinen Seiten hinunter. Doch sein ganzer Körper war bis aufs Äußerste gespannt. Atemu konnte sehen, wie sich erneut Energie von großem Ausmaß in seiner rechten Hand sammelte. Doch er war  sicher, dass er es als Einziger bemerkte. Niemand sonst beherrschte in diesem Zeitalter noch irgendeine Art von Magie – geschweige denn seine Freunde. Dass Seto in der Lage war, diese Wellen zu formen, konnte nur bedeuten, dass er nicht länger nur Seto Kaiba war. Seth hatte offenbar, ebenso wie Jono, seine Erinnerung zurückerlangt. Schwer seufzend sah er auf Joey, dessen Augen noch immer, in Schock geweitet, zwischen ihm und Seto hin und her flogen. „Du hättest mich vorwarnen sollen, dass Seth seine Erinnerung zurückhat.“ Vorsichtshalber sah er wieder auf die Gestalt des Firmenchefs. Der nächste Angriff dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Die Augen seines früheren Freundes und Hohepriesters waren entrückt, kalte Wut glitzerte in ihnen. Joey musste die Energie nicht sehen, um zu wissen, dass Seto sie in seinen Händen hielt. Zu oft hatte er früher an der Seite des Hohepriesters gekämpft, um einen Angriff nicht zu erkennen, wenn er vorbereitet wurde. „Mir war nicht klar, dass das nötig wäre“, ließ er verwirrt in Richtung Atemu verlauten. Um diesen machte er sich keine Sorgen. Der Pharao war in der Lage, sich selbst zu verteidigen – zumindest wenn es um einen magischen Angriff ging. Die Frage war vielmehr, warum das überhaupt notwendig war. Stirnrunzelnd sah er auf Seth. Thea, Yugi und Tristan schienen ebenso mit der Situation überfordert, wie Joey. Yugi hatte bereits zwei Schritte in die Richtung von Atemu gemacht, als er mit ansehen musste, wie dieser abermals von einer für ihn unsichtbaren Macht nach hinten geschoben wurde. „Bleib da, Yugi“, wies ihn daher der frühere Pharao zurecht. Seit er sich mit Atemu keinen Körper mehr teilte, hatte Yugi auch dessen Fähigkeiten verloren und wäre somit nicht in der Lage, einem Angriff dieser Art entsprechend zu begegnen. „HA!“ Erneut schickte Seth eine Welle in die Richtung des Pharaos, welche von diesem abermals abgewehrt wurde. „Verdammt Seto, was zum Himmel tust du da? Hör auf damit!“, verlangte Joey und wollte ihn bereits an der Schulter zurückreißen, als auch er mitten in der Bewegung von Atemu aufgehalten wurde. „Lass es sein, Joey! Sein Körper steht unter Strom! Ich glaube nicht, dass er sich gerade kontrollieren kann, geschweige denn, dass er dich richtig wahrnimmt.“ Irritiert trat der Blonde einen Schritt zur Seite, so dass er in das Gesicht des Älteren sehen konnte. Der Pharao hatte Recht. /Seine Augen sind so… leer…/ Seto nahm kaum noch etwas um sich herum wahr. Er spürte nur Zorn in sich und den unbedingten Willen, diese Person, den Pharao, verletzten zu wollen. Wie in einem schlechten Film tauchten in immer schnellerer Abfolge Bilder in seinem Kopf auf. Jono, mit seinem Chepesch in der Hand. Er spürte einen warmen Körper, der sich an ihn presste. Blondes Haar, durchsetzt von Blut. Dunkle rote Flüssigkeit, die aus dem blassen Mund des Jüngeren hervorquoll. Eine warme Hand auf seiner Wange. Dann kalt. So kalt. Eiskalt. Tot. Pfeile. Viele Pfeile. Durchbohrt. Getötet. Um ihn zu schützen. Ein Schrei. Und überall nur Tod. Das alles hätte nie geschehen dürfen! Niemals! Er hatte ihn doch beschützen wollen! Er hatte es geschworen! Wenn nur Atemu… wenn nur der Pharao… Abermals knisterte die Luft. Trotz des kalten Oktoberwindes, der durch die Tür des Haupteingangs drang, wurde es auf einen Schlag stickig heiß und schwül, als würde ein Gewitter hereinbrechen. Diesmal glaubte Joey aus dem Augenwinkel zwei kleine Funken zu sehen, welche von einer Hand auf die andere übersprang, als Kaiba sie leicht öffnete. Noch während er sie hob, um den Pharao erneut anzugreifen, umrundete der Blonde den Älteren und trat mit einem entschlossen Schritt zwischen die Kontrahenten. Er wusste, Atemu konnte sich schützen. Andere Schüler oder Lehrer, die sich womöglich noch im Schulhaus aufhielten, allerdings nicht. Er würde verhindern müssen, dass Seto etwas verursachte, das ihm später noch leid täte. Ihm war klar, dass er vermutlich der Einzige war, der den Braunhaarigen zur Vernunft bringen konnte. Doch es war schon zu spät, um ihn zum Aufhören zu bewegen. Die Energie hatte bereits seine Hände verlassen. Gerade noch rechtzeitig riss Joey seine Arme hoch und hielt sie schützend vor sein Gesicht. Die Augen ergeben geschlossen, wartete er auf den Schmerz. „NEEEEIIIIN!“, brach es aus dem Braunhaarigen hervor und seine Hände flogen nach oben, um die Energie noch umzuleiten. Es gelang ihm nur teilweise. Auf seiner linken Seite konnte Joey einen heißen Lufthauch spüren, als würde warmer Wüstenwind an ihm vorüberziehen. Auch rechts schien das Unterfangen beinahe zu gelingen, als er auf einmal zischend einatmete. Als hätte man ihm mit einer heißen Nadel ein Tattoo gestochen, fühlte er, wie sich ein langer Strich auf seiner Wange einbrannte. Ebenso erging es der rechten Seite seines Oberkörpers, welche dem Angriff schutzlos ausgeliefert war. Kleine Messer schienen auf seiner Haut zu tanzen, durchschnitten Jacke und Hemd und hinterließen lange rote Striemen. Dann war es vorbei. Erschrocken starrte Seto ihn an. Langsam ließ Joey die Arme sinken und bemerkte eher nebenbei, dass auch der rechte Unterarm etwas abbekommen hatte. Zumindest war der Stoff auch an dieser Stelle zerschnitten. „Ich… es… es tut mir leid, Joey…“, stammelte Seto und machte dabei ein Gesicht, als hätte er selbst seinen Angriff abbekommen. Geschockt von seinem Tun, sackte er auf ein Knie nieder und starrte weiter zu dem Blonden, welcher trotz des Schmerzes, der sich über seine gesamte rechte Seite zog, mit Erleichterung im Gesicht auf ihn zukam. Ein feines Rinnsal aus Blut lief seine Wange und weiter seinen Hals hinunter, doch er ignorierte es. Hauptsache, Seto war wieder bei Sinnen. Diesem wiederum ging der Anblick seines Freundes durch Mark und Bein. Durch die aufgerissene Jacke der Schuluniform blitzte das einstmals weiße Hemd hervor, welches sich langsam in einem dunklen Rotton färbte. Doch noch bevor der Braunhaarige etwas sagen konnte, zog Joey bereits sein Hemd, oder was davon übrig war, aus der Hose und schob den feuchten Stoff nach oben. „Alles gut. Es sind nur ein paar Kratzer. Siehst du?“ Seto wirkte keineswegs beruhigt, als er der langen blutigen Striemen gewahr wurde. Mit zitternder Hand strich er über die Wunden des Jüngeren. Blut klebte an seinen Händen. Geschockt, dass er die Person, die er über alles liebte, mit seinen eigenen Kräften verletzt hatte, legte er seine Stirn an die des Blonden. „Verzeih“, flüsterte er leise. Joey schüttelte, soweit es mit der Stirn an seiner möglich war, leicht den Kopf. „Alles ok. Wie ich schon sagte, es sind nur Kratzer.“ Auch Atemu näherte sich nun und wehrte unterwegs Yugi ab, der wissen wollte, ob alles gut war. „Es ist auch schön, dich wiederzusehen, Seth“, begrüßte der Pharao seinen früheren Hohepriester ein wenig erschöpft und mit einer Spur besorgter Ironie in der Stimme. Atemu hielt vorsichtshalber einen kleinen Sicherheitsabstand ein, vermutete aber, dass die Gefahr vorerst gebannt war. Zumindest solange Jono in der Nähe war, würde Seth ihn wohl nicht noch ein weiteres Mal angreifen. Thea, Yugi und Tristan hielten ebenfalls Abstand. Man sah ihnen an, dass sie nicht wussten, wie sie mit all dem umgehen sollten. Es war allerdings unklar, was ihnen mehr zu schaffen machte: Ein Seto Kaiba der beim Anblick Atemus in Rage geriet und diesen mit… irgendwas… angriff, oder ein sonst eiskalter Firmenchef, welcher vor seinem größten 'Widersacher' kniete und diesen mit bebender Stimme um Vergebung bat. Und dann erst Joey… Diese Verletzungen, die sich wie aus dem Nichts in seine Haut gebrannt hatten. „Ich verstehe das nicht. Diese… Wut… diese Bilder… Ich… du… du warst… tot… ich verstehe das nicht.“ Immer noch von dem geschockt, was er in seinem Kopf gesehen und gleichzeitig getan hatte, geriet Kaiba immer wieder ins Stocken. Im Gegensatz zu ihm verstand Joey auf einmal sehr gut. Besorgt und unsicher sah er über den Kopf seines Freundes hinweg zu Atemu. Setos Worte machten ihm Angst. Er befürchtete, dass die Erinnerung von Seth bald ganz zurückkehren würde. Anfangs hatte er es noch bedauert, dass Seth sich noch immer nicht an alles erinnern konnte, inzwischen wäre es ihm lieber, wenn es für immer so bliebe. Hilflos sah er zu ihrem ehemaligen Pharao, welcher als einziger wusste, woher seine Sorge rührte. Dieser war inzwischen doch näher herangetreten und legte vorsichtig eine Hand auf die Schulter des früheren Hohepriesters. Dessen Geist war noch immer so verwirrt, dass Atemu beinahe ohne Widerstand in ihn eindringen konnte. Nur Bruchteile von Sekunden später durchforstete er dessen Gedankenwelt, um herauszufinden, wie viele seiner Erinnerungen inzwischen zurückgekehrt waren. Er wollte sicherstellen, dass er so bald nicht wieder auf seine Kräfte zurückgreifen musste. Aus den Worten von Seth war zu schließen, dass er sich seine eigene Reaktion auf ihn nicht erklären konnte. Die Frage war also, wie viel er schon wusste. Schnell sondierte er die verschiedenen Gänge im Geist des Anderen, denn er wusste, dass Seth ihn hinausdrängen wurde, sobald er sich der fremden Präsenz bewusst wurde. Die Tür zu seiner linken war leicht geöffnet. Vorsichtig schob er sie ein Stück weiter auf und sah dieselben Bilder, die auch Seth gerade überwältigt haben mussten. Atemu zuckte zusammen. Bei diesen speziellen Erinnerungen war es nicht verwunderlich, dass er so reagiert hatte. Das erklärte vieles. Nachdenklich betrachtete er das Siegel, welches außen an der Tür haftete. Es war fast vollständig zerstört. Ein tiefer Riss zog sich durch das golden glänzende Metall. Seths Geist versuchte anscheinend nicht erst seit heute mit aller Macht, diese Tür zu öffnen und das Siegel zu lösen. Ein kurzer prüfender Blick genügte, um festzustellen, dass es nicht mehr lange halten würde. Vorsichtig strich er mit einem Finger darüber. Trotzdem es bereits so stark beschädigt war, konnte er noch immer die Macht spüren, die davon ausging. Er wich zurück. Seit diesem Ereignis vor mehr als 5000 Jahren hatte ihn die Frage nie losgelassen, warum Seth sich danach an nichts mehr hatte erinnern können. Erst eine Sondierung seines Geistes war einst in der Lage gewesen, ihm eine Antwort zu geben. Die Götter selbst hatten ihre Hände im Spiel gehabt. Sie hatten seine Erinnerung an diesen schicksalshaften Tag verschlossen. Nach dem, was heute geschehen war, blieb zu entscheiden, ob er die bereits leicht geöffnete Tür wieder ganz verschließen und das Siegel erneuern sollte. Es stellte sich aber die Frage, ob er dazu überhaupt in der Lage wäre. Wenn selbst die Götter Seths Willen, sich zu erinnern, nichts entgegen zu setzen hatten, wie groß war dann die Wahrscheinlichkeit, dass er diese Tür wieder schließen konnte?   Nachdenklich ließ er das Siegel vorerst, wie er es vorgefunden hatte und wandte sich zur nächsten Tür. Auch hier befand sich ein Schutz – wenn auch schwächer, als der vorige. Doch dieses Siegel war bisher noch komplett unversehrt, als wisse Seth nichts von seiner Existenz – oder als wolle er nichts davon wissen. Kurz nur überlegte Atemu, ob er überhaupt daran rühren sollte, ehe er sich zumindest für einen kurzen Blick entschied. Er wollte sicher gehen, in den nächsten Tagen nicht auf noch mehr Überraschungen zu treffen. Ohne auf größeren Widerstand zu stoßen, glitt er durch die geschlossene Tür. Offenbar sollte das Siegel nur Seth selbst am Eintreten hindern – nicht aber andere magiebegabte Personen. Auf das, was er hinter der Tür erblickte, war Atemu jedoch nicht vorbereitet. Ohne Vorwarnung stürmte eine wahre Bilderflut auf ihn ein. Mehrere Jahrhunderte zogen im Eiltempo vorbei und mit jedem Bild blutete sein Herz ein wenig mehr – als wäre nicht mehr er es, der die Bilder sah, sondern Seth. Seine Augen brannten von unzähligen ungeweinten Tränen. Seine Hände zitterten. Schmerz breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Seine Brust fühlte sich an, als würde man einen glühenden Speer in ihn rammen – wieder und wieder und wieder. Seine Beine wurden schwächer. Er drohte, unter der ungeheuren Last der Bilder zusammenzubrechen. Bevor das geschehen konnte, wandte er sich um, so schnell es in seiner Lage möglich war. Keuchend rettete er sich durch die Tür zurück, taumelte in den dunklen, eisigen, gefühlskalten und leeren Gang. Er wankte. Ohne länger nachzudenken zog er sich augenblicklich vollkommen aus Seth zurück - nur um sich erneut den flehenden Augen von Joey gegenüberzusehen. Sie schienen ihn darum zu bitten, kein Wort über das zu verlieren, was auch immer er gesehen haben mochte. Sicherheitshalber zog Atemu seine Hand von Seth zurück. Er wollte vermeiden, noch einmal in diese ganz private Hölle seines Hohepriesters gezogen zu werden. Schwer atmend sah er den Blonden an. „Was hast du getan, Jono?“, wollte er hinter dem Rücken des noch immer knienden Mannes wissen. Doch seine Stimme versagte. Zu tief saß der Schock. Seine Lippen formten die Worte, ohne dass irgendjemand sie hätte hören können. „Was hast du getan?“, setzte er hernach noch einmal an - seine Stimme nicht mehr als ein heiseres Flüstern, ein Keuchen, welches von den Anderen nicht wahrgenommen wurde. Voller Unglauben sah er auf den Blonden. /Wie soll ein Mensch das ertragen? Wie soll ER das ertragen?/, fragte er sich im Stillen. Statt einer Antwort grub sich tiefe Verzweiflung in die Züge des einstigen Heeresführers, welcher so viele Jahrtausende ungesehen und unbemerkt an der Seite von Seth verbracht hatte. Offenbar fürchtete auch er um die Reaktion Seths, sollte er sich je wieder vollständig an seine Vergangenheit erinnern. Und nicht nur an diese… Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, verbannte Joey seine eigenen Erinnerungen wieder in die hinterste Ecke seiner Seele. Was auch immer kommen mochte, darum konnte er sich sorgen, wenn es soweit war. Schnell wandte er sich wieder Seto zu und versuchte den Augenkontakt mit seinem Pharao vorerst zu vermeiden. Kapitel 50: Eine kleine Wette ----------------------------- Hallo und danke für die lieben Kommis. Ich habe mich gefreut, zu lesen, dass es auch nach längerer Unterbrechung offenbar noch einige gibt, die gern wissen wollen, wie es weiter geht. ^_^ Danke auch für die aufbauenden Worte, die mir der eine oder andere aufgeschrieben hat. Aber nun, ohne weitere lange Vorrede, das nächste Kapitel. LG an alle Leser seththos __________________________________________________________________________________ Der Braunhaarige hatte sich inzwischen wieder von dem Kleineren gelöst und sich seiner eigenen Jacke entledigt. Vorsichtig half er Joey dabei, diese mit der seinen zu tauschen, so dass sie das Gebäude ohne viel Aufsehen würden verlassen können. Das Hemd ließ der Jüngere vorsichtshalber an. Es hatte sich bereits mit seinem Blut vollgesogen und klebte an der rechten Seite. Gleichzeitig sorgte es so dafür, dass nicht noch mehr der lebensspendende Flüssigkeit seinen Körper verließ. Ohne ein Wort wechseln zu müssen, waren die Anwesenden sich einig, dass das Geschehene nichts war, was man einem Außenstehenden erklären konnte. Da die Verletzungen nicht lebensgefährlich waren, wie Joey nochmals beteuerte, wäre es kein Problem, die Versorgung der Wunden auf später zu verschieben. Ein kurzer Augenkontakt genügte, um ihre gegenseitigen Gedanken in Einklang zu bringen. Schnell wurde die blutige und zerrissene Jacke Joeys mit der Hilfe von Thea in ihrem Sportbeutel verstaut. Atemu wickelte sich den Schal neu, um den Einschnitt durch Setos Magie zu kaschieren. Tristan und Yugi hielten sich indes mit allen auf der Zunge liegenden Fragen zurück und sammelten ein paar Sachen ein. Diese hatten sich über den Boden verteilt, als Yugi vor Schreck die Schultasche entglitten war. Binnen Sekunden erinnerte nichts bis auf die noch immer zersplitterte Fensterscheibe an den soeben stattgefundenen Kampf. Seto selbst sorgte derweil mit seinem Taschentuch dafür, dass auch das Blut von Joeys Wange nicht länger zu sehen war. Keinen Moment zu früh, wie sich kurz darauf herausstellte. „Was ist denn hier los?!“, verlangte eine ältere Stimme über ihnen zu wissen. Einer der Lehrer, welcher noch in dem sonst leeren Schulgebäude zugegen war, kam die letzten Stufen der Treppe hinab - dicht gefolgt vom Schularzt. Letzterer verweilte auf dem oberen Treppenabsatz und wäre wohl noch weiter hinunter gekommen, wenn die Verletzungen von Joey nicht so gut kaschiert worden wären. Gleichwohl der Blonde beim Anblick des Arztes augenblicklich einen Schritt von Seto zurücktreten wollte - dieser hatte ihm von Tomes Vorgehen berichtet - ließ der Firmenchef sich nicht beirren. Trotz der forschenden Augen, welche auf die gerichtet waren, brachte Seto nur so viel Abstand zwischen sich und dem Kleineren, dass er sich zu den zwei Herren umdrehen konnte. Empört sah der Ältere der Zwei, einer der Sportlehrer, auf die zerstörte Scheibe. Joey zögerte nicht. Der weithin bekannte Chaosschüler der Schule ergriff die Initiative und ging in die Offensive. Mit einem letzten Blick auf Seto brachte er einen weiteren Schritt zwischen sie und zauberte wie aus dem Nichts ein schuldbewusstes Lächeln auf sein Gesicht. „Entschuldigung. Ich wollte den anderen zeigen, wie ich letztens mein Tor beim Fußball gemacht habe. Dabei ist der Ball wohl irgendwie durch die Scheibe geflogen.“ Worte wie diese riefen erst recht den Zorn des Lehrers hervor. Erzürnt starrte dieser auf den jungen Mann. „SEIT WANN, HERR WHEELER, SPIELEN WIR BITTE FUßBALL IM SCHULGEBÄUDE?“, verlangte er zu wissen. „Also ich weiß ja nicht, seit wann Sie das machen. Für mich war es heute das erste Mal“, informierte ihn Joey - wie immer um keine passende Antwort verlegen. „Und dann auch noch freche Antworten geben! SIE ZAHLEN FÜR DIE SCHEIBE, HERR WHEELER! Sie glauben wohl, jetzt, da Sie so gut abgeschnitten haben, können Sie sich alles erlauben!? Aber SO nicht! Auch wenn Sie nur noch ein halbes Jahr hier zur Schule gehen, haben Sie sich entsprechend zu verhalten!“, stauchte ihn der Mann zusammen. Durch eine solch dreiste Wortwahl abgelenkt, fiel ihm nicht auf, dass Joeys Ausrede ein entscheidendes Detail vermissen ließ: einen Ball. Gerade, als Joey den Zorn des Anderen noch ein wenig weiter auf die Spitze treiben wollte, legte sich eine große warme Hand auf seine Schulter. „Red‘ dich nicht für mich um Kopf und Kragen, Kleiner“, flüsterte Kaiba ihm zu, ehe er sich leicht vor ihn stellte. Mit derselben Miene, mit welcher er täglich Millionenverträge aushandelte, starrte er nun den älteren Mann in Grund und Boden. „Für die Kosten der Scheibe komme ich auf.“ „Das ist sehr großzügig, Herr Kaiba. Aber Herr Wheeler sollte lernen, für seine Fehler alleine gerade zu stehen“, verkündete der Lehrer in bemüht freundlicherem Tonfall, als kurz zuvor Joey gegenüber. „Das tut er. Und dazu auch noch für Fehler, die er nicht einmal selbst begangen hat. Ich war es, der die Scheibe zerschlagen hat“, stellte Kaiba ohne Umschweife richtig. Sicherheitshalber ging er nicht weiter darauf ein, wie genau er das zustande gebracht hatte. „Demnach werde ICH für die entstandenen Kosten aufkommen.“ „Ähm… also…“ Irritiert von dieser Wendung schweifte der Blick des Lehrers zwischen Joey und Kaiba hin und her - als könne er nicht ganz glauben, was der Firmenchef ihm da gerade mitteilte. Ohne Zweifel war er eher geneigt, Joey die Schuld an der kaputten Scheibe zu geben, statt dem immer ruhigen und überlegtem Seto Kaiba. Aber wenn dieser es so sagte, musste er es wohl oder übel glauben. Kaum ein Lehrer legte sich mit dem reichen Firmenchef an, auch wenn er noch zur Schule ging. Sein Einfluss in der Stadt war groß und die jährlichen Spenden willkommen. „Ja… dann… lasse ich Ihnen die Rechnung zukommen.“ „Tun Sie das. Ich werde meine Sekretärin anweisen, Ihnen den entsprechenden Betrag zu überweisen“, ließ Kaiba ihn mit einem eleganten Hinweis auf seine soziale Stellung wissen. Die wenigsten Einwohner dieser Stadt, durften eine persönliche Sekretärin zu ihren Angestellten zählen – geschweige denn, konnten sie eine solche bezahlen. „Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen wollen, ich habe noch wichtige geschäftliche Termine. Die Scherben kann sicher der Hausmeister entsorgen. Immerhin wird er dafür bezahlt. Sie verstehen sicher, dass ich ihn nicht selbst über das Malheur informieren kann. Ich habe, wie gesagt, anderweitig zu tun.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab, griff nach seiner Schultasche und ließ den Lehrer sprachlos stehen. Ohne ein weiteres Wort ging er an dem Kindergarten, Atemu und Joey vorbei. Der Drang, den früheren Pharao zu verletzen, war nach wie vor allgegenwärtig, wurde jedoch durch den Anblick des verletzten Joeys merklich gedämpft. Erst an der kaputten Tür hielt er nochmals inne und sah zu dem Blonden zurück. „Komm“, war das Einzige, was er sagte. Der Kleinere ließ ihn nicht zweimal bitten und folgte ihm. Atemu und die Anderen schlossen sich stillschweigend an. Kaum, dass sie das Schulgebäude verlassen hatten und sich außer Hör- und Sichtweite befanden, konnte Tristan sich nicht länger zurückhalten. „Was, zum Teufel, ist hier eigentlich los, Alter?!“, verlangte er von Joey zu wissen und legte dabei in üblicher vertrauter Manier seinen Arm um dessen Schulter. Der Blonde zuckte kurz zusammen, als Tristan versehentlich seine Wunden berührte, sagte aber nichts. Wie hätte er das ganze Dilemma auch erklären sollen? Immerhin hatte er selbst keine richtige Erklärung dafür, weshalb Seto Atemu aus heiterem Himmel angegriffen hatte. Der Einzige, der es womöglich wusste, war der Pharao. Zumindest ließ seine Reaktion auf Seto darauf schließen. Der Firmenchef selbst schien - wenn überhaupt - nur eine Ahnung zu haben, da seine Erinnerungen noch nicht vollständig zurückgekehrt waren. Er selbst konnte sich nur vorstellen, dass der Auslöser für all das etwas sein könnte, das… nach diesem einen Tag geschehen war. Etwas, von dem er selbst keine genaue Vorstellung hatte. Ihm blieb daher nichts anderes übrig, als wie sonst die Schultern zu zucken, was er aber augenblicklich bereute. Der blutige Stoff des T-Shirts löste sich leicht von der Haut und riss eine der Wunden wieder auf. Unwirsch verzogen sich seine Mundwinkel. Einen Laut des Schmerzes konnte er gerade noch unterdrücken. Vollkommen unerwartet verschwand der Arm Tristans von seiner Schulter. Nur Sekunden später fand er sich an der Brust des Firmenchefs wieder, welcher im Gegensatz zu Tristan darauf bedacht schien, nicht noch einmal an seine Verletzung zu rühren. Erbost starrten zwei eisblaue Augen in die Richtung des anderen Braunhaarigen und schienen ihn beinahe, ebenso wie Atemu kurz zuvor, am liebsten zu Asche verbrennen zu wollen. „FASS ihn nicht an, Taylor!“, forderte ihn Kaiba mit unheilvoller Stimme auf, seine Augenbrauen unheilvoll zusammengezogen. „Halte deine Hände von ihm fern.“ „Was…?“ „Joey", bezeichnend legte er die zweite Hand auf das Kinn des Kleineren und bog seinen Kopf leicht nach oben, "gehört mir.“ Ohne weitere falsche Rücksicht auf die Umstehenden, senkte Kaiba seine Lippen auf die des Blonden, welcher trotz des peinlichen Umstands, dass alle seine Freunde sie sehen konnten, nicht die Kraft hatte, sich gegen ihn zu wehren. Während der Kleinere binnen Sekunden alles um sich herum vergaß und vollkommen von dem intensiven Kuss vereinnahmt wurde, ließ Kaiba den besten Kumpel seines Freundes nicht aus den Augen. Mit umwölkten, dunklem Blick fixierte er den Braunhaarigen und machte seinen Besitzanspruch deutlich. „Uf…“ Die Augen aufgerissen und mit einem weit nach unten geklapptem Kiefer, starrte Tristan die beiden an. Auch Thea sah aus, als wäre sie gerade von einem Zug überrollt worden. Samt Anhänger. Mindestens fünf an der Zahl. Keiner der zwei konnte sich von dem unerwarteten Bild vor ihnen losreißen. Yugi indes begnügte sich mit einem kurzen Blick auf das Paar, ehe er ihn stumm weiter zu Atemu wandern ließ. Dieser wiederum sah mit einem halb besorgten, halb zufriedenem Gesicht auf die Zwei. „Na endlich“, war sein schlichter Kommentar. Aufseufzend und immer noch mit leichtem Unglauben im Gesicht, ging Yugi zu ihm hinüber und schob ihm unauffällig eine seiner liebsten Karten aus seinem Deck zu. Er hätte lieber nicht mit dem über 5000 Jahre alten Pharao wetten sollen. „Ich fasse es nicht. Du hattest wirklich Recht“, ließ Yugi ihn wissen. Anscheinend hatte dieser ihm bereits vor längerer Zeit von seinem Verdacht erzählt. Atemu zuckte nur unverbindlich mit den Schultern. „Sicher, immerhin konnten sie schon damals kaum die Finger von einander lassen, auch wenn sie sich ständig gegenseitig an den Rand des Wahnsinns getrieben haben. Es hätte mich gewundert, wenn es in diesem Leben anders gekommen wäre.“ „Was…Wie…? Ich verstehe nicht…“ Das Stottern von Tristan lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Braunhaarigen. Langsam lösten sich die Lippen von Joey. Mit einem kleinen Schritt zur Seite, drehte Seto den Blonden in seinen Armen so, dass auch Tristan das Gesicht des Kleineren sehen konnte. Es war unmöglich, die geröteten Wangen, die etwas angeschwollenen Lippen und die abwesenden, leicht glasigen Augen zu ignorieren. Nur langsam fand der beste Kumpel von Tristan, von dem dieser geglaubt hatte, er würde ihn in und auswendig kennen, wieder in die Gegenwart zurück. „Lass es mich so ausdrücken, Taylor: Rühr ihn noch ein einziges Mal an und du hast zwei Finger weniger“, informierte ihn Kaiba. Sein Blick machte deutlich, dass er jedes Wort ernst meinte. Gleichwohl er offensichtlich noch damit zu tun hatte, das Gesehene zu verarbeiten, konterte Tristan umgehend. „ICH war es nicht, der ihn gerade mit was-auch-immer verletzt hat, Kaiba. Wenn überhaupt irgendwer die Finger von ihm lassen sollte, dann ja wohl du!“ Den Blonden in den Armen des Mannes zu sehen, mit dem dieser bisher nur auf Kriegsfuß gestanden und der ihn obendrein noch so zugerichtet hatte, passte ihm gar nicht und war für den braunhaarigen Schüler nicht nachvollziehbar. Obwohl Seto ihn nicht losließ, konnte Joey, welcher noch immer gegen seine Brust lehnte, doch spüren, dass Tristan mit seinen Worten einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. Er wusste, dass es dem Größeren leid tat, ihn verletzt zu haben – mehr als das. Es bestand für ihn kein Zweifel, dass Seto, sollten Narben zurückbleiben, sich womöglich bis an sein Lebensende Vorwürfe machen würde. Ihm wäre es an seiner Stelle genauso gegangen. Seine Freunde ausblendend, sah er ernst in die Augen seines Freundes. „Es ist in Ordnung, Seto. Ich sagte bereits, es sind nur Kratzer. Es tut nicht mal mehr weh.“ Dieser blickte zweifelnd auf ihn hinunter. Für jemanden, der ihn so gut kannte wie der Kleinere, war es offensichtlich, dass er das anders sah und sich selbst nicht vergeben konnte. Joey ahnte, dass, solange die Wunden noch frisch waren, seine Worte nichts an den Gefühlen des Älteren ändern würden. Tristan sah indes mit unverhohlenem Entsetzen auf seinen Kumpel, welcher sich gerade auf die Seite des Firmenchefs schlug. „NUR KRATZER!? Mach dich nicht lächerlich, Joey?! Er hätte dich umbringen können!“ „Nein“. In diesem einen schichten Wort lag so viel Überzeugung, dass sein bester Freund dem nichts entgegenzusetzen hatte. Hinzu kam, dass Joey bisher nicht einmal versucht hatte, sich aus den Armen des Firmenchefs zu lösen. Tristan warf die Hände in die Luft. „Ich kotz gleich“, ließ er die Umstehenden wissen. Er hatte genug für heute. Das alles war ihm zu viel. Sollte sein Kumpel doch machen, was er wollte. „Tristan…“, wollte Joey ihn noch aufhalten. In einer halbherzigen Bewegung wollte er sich von dem Größeren lösen und seinen Freund aufhalten. Seto ließ es nicht zu. Mit festem Griff hielt er ihn zurück und zog den Rücken des Kleineren erneut an seine Brust, während er bestimmend einen Arm um seine Taille legte. Doch das wäre gar nicht notwendig gewesen. Tristan deutete mit einer abwehrenden Handbewegung an, dass er ohnehin auf Abstand bedacht war. „Hey, nimms‘ mir nicht übel, Joey, aber das war gerade alles ein bisschen viel auf einmal. Ich meine, erst dieser Kram mit deinem Superhirn, dann diese Verletzungen und dann auch noch…“, er rang nach Worten, „…DAS.“ Beinahe anklagend deutete er auf Kaiba. „Sorry, Joey. Ich brauche erstmal Zeit, das alles zu verdauen.“ Aufseufzend schweifte sein Blick ein letztes Mal zu der geliehenen Jacke und den Wunden, welche durch den Stoff augenblicklich gut versteckt waren. „Sieh zu, dass der Arsch wenigstens deine Wunden versorgt, ok? Ich geh jetzt.“ Damit verließ er die Gruppe, ohne sich noch einmal umzudrehen. Seine Zurückweisung, wenn auch sicher nicht für lange Zeit, versetzten Joey einen Stich. Doch er konnte ihn verstehen. Hätte Kaiba ihn allerdings nicht geküsst, wäre Tristan vielleicht nur halb so ausgerastet. Missmutig ließ Joey sich ein wenig gegen die Brust des Älteren sinken. Setos Griff lockerte sich leicht. „Wolltest du damit nicht noch warten?“ Verstimmt starrte der Firmenchef dem anderen Braunhaarigen hinterher. „Er hat dir weh getan.“ Mehr gab es für den Älteren zu diesem Thema nicht zu sagen. Kopfschüttelnd löste Joey sich nun doch von seinem Freund. Dieser hatte angesichts von Tristans Abgang auch anscheinend nichts mehr dagegen. Joey sah noch einmal kurz der davon stapfenden Gestalt hinterher, ehe er sich den Anderen zuwandte. Mit Tristan würde er später sprechen. Erst einmal musste er das alles selbst richtig verarbeiten. Er wusste noch immer nicht, wie er damit umgehen sollte, sollte Kaiba noch einmal seine Kräfte gegen Atemu einsetzen. Vor allem musste er verdauen, dass Seth seine Kräfte überhaupt noch nutzen konnte! Zumindest die aktuelle Gefahr schien allerdings gebannt. Seto hatte indes nur noch einen Wunsch. Der Gebrauch seiner Fähigkeiten hatte ihn viel Energie gekostet. Er selbst war von all dem mindestens so überrascht, wie Joey. Auch er wollte Antworten. Doch zunächst musste er dringend ins Bett. Am besten mit dem Blonden an seiner Seite. In diesem Augenblick wünschte er sich nichts mehr, als den Jüngeren in seinen Armen zu halten. Er musste sicher sein, dass er wirklich da war. Er musste seine Wärme spüren, um Gewissheit zu haben, dass er noch lebte, dass er atmete. Noch immer spukten all diese Bilder in seinem Kopf herum, die er mit keiner der bisher wiedererlangten Erinnerungen in Einklang bringen konnte. Als Joey sich nun von ihm löste, konnte er sich selbst nur schwer davon abhalten, ihn nicht sofort wieder an sich zu ziehen. Um dem drängenden Gefühl zu wiederstehen, wandte er sich brüsk von der verbleibenden kleinen Gruppe ab und zückte sein Handy. Die Arbeit würde heute warten müssen, er brauchte unbedingt seinen Wagen – mit Chauffeur. Um den Weg nach Hause allein zu laufen, fehlte ihm die Kraft. Während er noch darauf wartete, dass Roland auf seinen Anruf reagierte, folgte er nebenbei mit halbem Ohr der Unterhaltung des Kindergartens. „Das musst du verstehen, Joey – das war heute alles ein bisschen viel für Tristan“ versuchte Thea ihren Freund zu beruhigen, der einen letzten besorgten Blick in Richtung von Tristan geworfen hatte. Dieser verschwand gerade hinter der Mauer, welche das Schulgelände umgab. Thea selbst schien sich noch kein Urteil gebildet zu haben, sagte aber auch nichts weiter dazu. Vorerst. Genau. Du weißt doch, wie Tristan manchmal ist. Er wird sich schon wieder bei dir melden“, ergänzte Yugi. Joeys Gedanken gingen in dieselbe Richtung. „Aber sag mal“, schnitt Atemu vorsichtig ein neues Thema an „wo wir schon dabei sind, alle Karten auf den Tisch zu legen, „wann wolltest du uns eigentlich das von deinen Eltern erzählen?“ Verblüfft sah Joey zu dem Älteren. „Woher…?“ „Serenity hat es uns vor zwei Wochen gesagt. Sie meinte aber, wir sollten warten, bis du es uns selbst sagen kannst“, informierte ihn Yugi ebenso vorsichtig. Der Blonde atmete tief durch. „Entschuldigt. Ich habe es schon so lange für mich behalten… ich wusste nie so recht, wie ich anfangen sollte“, erklärte sich der Angesprochene. „Ist schon gut, Joey. Mir würde es wahrscheinlich genauso gehen, wenn meine Eltern gestorben wären“, tröstete ihn Thea. „Ja. Letztlich ist es ja auch deine Sache, wem du was erzählen willst“, stimmte Yugi ihr zu. „Ich habe auch nur gefragt, weil Serenity erzählte, dass du dabei bist, umzuziehen. Was ich fragen will: Brauchst du Hilfe?“ Verlegen, dass seine Freunde sogar darüber schon Bescheid wussten, kratzte sich Joey am Kopf. „Naja. Später vielleicht. Beim Tragen halt. So viel werde ich gar nicht behalten. Die neue Wohnung ist ja auch kleiner.“ „Hast du schon etwas Neues?“, erkundigte sich Thea fürsorglich. „In dem Nachbarhaus gibt es eine kleine Einraumwohnung. Da passt alles rein, was ich so brauche. Ich denke, das reicht und die Miete ist auch günstig. Der Vertrag ist schon unterschrieben.“ Zweifelnd sah Atemu ihn an. „Verigss es!“ Erstaunt von dem abrupten Zwischenruf sahen sich drei der vier Anwesenden mit Erstaunen zu Kaiba um. Dieser hatte sein Gespräch derweil beendet und steuerte erneut auf die Gruppe zu. Noch während er sein Handy in der Tasche verschwinden ließ, packte er Joey fest am Arm und zog ihn, unnachgiebig, aber trotzdem auf seine Verletzung bedacht, mit sich fort. „Was…?“, konnte der Kleinere gerade noch fragen, erhielt aber keine Antwort mehr. „Entschuldigt uns. Wir haben etwas Dringendes zu besprechen“, ließ Seto die anderen wissen. „Das dachte ich mir schon“, kommentierte Atemu das merkwürdige Verhalten des Firmeninhabers. „Warum?“, verlangte Yugi zu wissen. Abwehrend hob Atemu beide Hände. „Das merkt ihr schon. Lasst uns gehen. Joey wird sich schon melden, wenn er Hilfe braucht.“ „Hm.“ Gemeinsam folgten sie dem Blonden und dem Firmenchef in einigem Abstand. Nachdem er den Jüngeren auf den Rücksitz befördert hatte, ließ Kaiba sich neben ihm auf den Sitz sinken und schloss mit Schwung die Tür. Mit einem letzten Gruß machte sich die zurückbleibende Gruppe auf den Weg in Richtung von Yugis und Atemus Zuhause. Thea spukten noch einige Fragen in ihrem Kopf herum. Sie würde die Beiden begleiten. Kaiba gab seinem Chauffeur Roland indes die Anweisung, nach Hause zu fahren und ließ kurz darauf die Sichtblende zwischen sich und dem Fahrer hochfahren. Kaum, dass das Surren der Scheibe nicht mehr zu hören war, wandte er seine komplette Aufmerksamkeit Joey zu. Ohne dessen Einverständnis abzuwarten, drückte er den Jüngeren an den Schultern in die Polster zurück und presste seine Lippen verlangend auf die des Anderen. Der Blonde wusste kaum, wie ihm geschah, als Seto seine Oberarme umklammert hielt und ihm so jede Möglichkeit nahm, sich gegen diesen Überfall zu wehren. Indem er rücksichtslos die Mundhöhle des Anderen räuberte, sorgte er dafür, dass sich bei dem Blonden binnen Sekunden alle Gedanken an Gegenwehr in Luft auflösten. Alles um ihn erschien ihm wie in Watte gepackt. Leichter Schwindel machte sich breit und von ihm selbst unbemerkt, stöhnte er laut und vernehmlich auf. Seine Brust hob und senkte sich, als läge ein Berg aus Steinen darauf und erschwerte ihm das Atmen. Er war der Übermacht dieser warmen Lippen ebenso hilflos ausgeliefert, wie schon wenige Minuten zuvor auf dem Schulhof. Erst nach mehreren Minuten, ließ der Firmenchef von ihm ab. Wie durch einen Nebelschleier starrte Joey auf die ebenfalls schwer atmende Gestalt, welche ihn nicht aus den Augen ließ. Seine Lippen fühlten sich rau und geschwollen an. Er spürte, wie etwas Feuchtes aus seinem rechten Mundwinkel sein Kinn hinunter wanderte. Doch er fühlte sich nicht in der Lage, etwas daran zu ändern. Seto sah es, und legte seine rechte Hand sanft auf die Wange des Jüngeren, ehe er den Speichel abwischte und mit seinem Daumen die Lippen von Joey nachfuhr. Seto erschauerte. Abermals überlagerten sich Vergangenheit und Gegenwart. Speichel wurde zu Blut. Von seinen Erinnerungen gequält, schloss er die Augen. „Ich gebe dich nicht mehr her, Joey“, ließ er ihn wissen. /Ich lasse dich nicht sterben. Niemals!/, setzte er unhörbar für den Anderen hinzu. /Ich werde dich beschützen./ Doch Joey kannte seine Gedanken nicht. Er spürte nur, dass es in Seto arbeitete. Und auch wenn er nicht erraten konnte, was in ihm vorging, wollte er ihn doch irgendwie beruhigen, seine Sorgen zerstreuen. Ungewollt verstärkten seine Worte die Sorgen des Firmenchefs allerdings nur noch. „Das musst du auch nicht. Ich bleibe bei dir, solange ich lebe.“ Setos Atem stockte. Genau das war es, was ihm die größte Angst machte. Wie lange würde das sein? Wie lange würde er noch leben? Wie lange noch an seiner Seite sein? Doch er nickte nur. Noch während Joey sich selbst wieder in einen herzeigbaren Zustand versetzte, erreichten sie schließlich die Kaiba Villa. Kapitel 51: Spürsinn a la Niles ------------------------------- An alle Leser ein liebes 'Hallo' und 'Willkommen zum nächsten Kapitel'! ^_^ Viele haben ihre Neugierde zum Ausdruck gebracht, bezüglich dem, was Atemu in Seths Geist gesehen hat. Ich kann euch versichern, dass auch dieses Geheimnis noch gelüftet wird - später. ^.~ Viel Spaß beim Lesen... ___________________________________________________________________________ Dort angekommen wurden sie bereits von Niles begrüßt. „Herr Kaiba.“ „Wir haben einen Gast“, informierte ihn Seto ohne lange Vorrede im Vorrübergehen. „Guten Tag, Herr Wheeler.“ „Hallo Niles. Schön Sie zu sehen.“ „Es freut mich auch ganz besonders, SIE hier zu sehen“, erwiderte Niles augenzwinkernd und schien den Worten 'Sie' und ‚hier‘ eine besondere Bedeutung beizumessen. Dienstfertig nahm er Seto seinen Mantel ab. Als er Joey ebenfalls beim Ausziehen seiner Jacke behilflich sein wollte, wehrte dieser nur freundlich ab. Kommentarlos entfernte Niles sich zur Garderobe. Seto schritt bereits weiter in Richtung Küche. Koffein würde ihm jetzt gut tun. Auch ein Glas Sake wäre in seinem derzeitigen Zustand nicht zu verachten, doch da es mitten am Tag war, musste ein Kaffee reichen. Er hatte nicht vor, in der nächsten Zeit zum Alkoholiker zu werden. Er brauchte einen klaren Kopf. In der Küche angekommen, inspizierte er kurz seinen Vorrat und entschied sich schließlich für eine sehr herbe Kaffeesorte, mit der er weiter zu dem sehr teuren Kaffeevollautomaten ging. Die Maschine war nicht nur in der Lage, den Kaffee frisch aufzukochen, sondern mahlte die Bohnen zunächst und fügte auf Wunsch noch verschiedene Aromen hinzu. Immer schneller schien die Kraft aus ihm herauszufließen. Erschöpft öffnete er fahrig den Einfüllbehälter, als ihm die Bohnen bereits aus der Hand genommen wurden. Kommentarlos schickte Joey ihn zu einem der Stühle und übernahm die Zubereitung für ihn. „Wir müssen deine Wunden versorgen.“ „Später. Das hat Zeit. Sie haben längst aufgehört zu bluten“, ließ Joey ihn wissen. Seto gab einen Laut von sich, den man grob als Einverständnis deuten konnte. Der Blonde fragte sich im Stillen, seit wann Seto seinem Urteil in solchen Angelegenheiten vertraute. Doch er entschied, dass er angesichts des müden Ausdrucks in den Augen des Anderen, nicht weiter nachhaken würde und wandte sich dem Automaten zu. Durch seinen neuen Job kannte er sich bestens mit diesen Maschinen aus, so dass ihm die Handhabung des teuren Gerätes keine Probleme bereitete. Offenbar legte Seto großen Wert auf einen vernünftigen Kaffee, sonst hätte er sich dieses Teil nicht angeschafft. Der Firmenchef war zwar reich, aber er glaubte, ihn gut genug zu kennen, um zu wissen, dass er in seinen Augen sinnlose Anschaffung zu vermeiden suchte. Kurz besah sich Joey die verschiedenen zur Verfügung stehenden Geschmacksrichtungen. Setos blaue Augen in seinem Rücken spürend, entschied er sich dann jedoch für eine andere, als die angebotenen Möglichkeiten und griff in den unteren rechten Schrank. Von seinem letzten Besuch wusste er, dass Niles dort den Kakao aufbewahrte. Zusammen mit der frischen selbstgemachten Sahne, welche der Koch der Kaibas im Kühlschrank immer für Mokuba bereitstellte, zauberte er mit ein paar geschickten Handgriffen ein kleines Bild in die Tasse und bestäubte das kleine Kunstwerk mit dem Kakaopulver. Nachdem er sich selbst ebenfalls einen Kaffee zubereitet hatte, setzte er sich wenig später zu seinem Freund und reichte ihm kommentarlos seine Tasse. „Kitschig“, stellte Kaiba fest, als er auf die zwei weißen, miteinander verbundenen Herzen sah, die sich auf der Oberfläche seines Kaffees ausgebreitet hatten. „Ja. Aber es gefällt dir trotzdem“, war Joey sich sicher. „Möglich“, brummte Seto, ehe er die Tasse ansetzte und zu trinken begann. Wenig später betrat auch Niles die Küche, entschuldigte sich aber sofort, als er sah, dass Kaiba und Joey noch am Tisch saßen. Er hatte keinen Laut aus dem Raum gehört und angenommen, dass er sich eine Kleinigkeit zu essen holen könne. Dass er hier seinen Arbeitgeber gemeinsam mit dem jungen Joey Wheeler in solch einträchtiger Stille sitzen und gemeinsam einen Kaffee trinken sehen würde, hatte er hingegen nicht erwartet. „Verzeihen Sie bitte“, entschuldigte er sich kurz, wurde aber von Seto am Gehen gehindert. „Bleiben Sie ruhig, Niles. Wir sind ohnehin gerade fertig. Außerdem, wenn ich die Tasse dort richtig deute, hast du ihm auch einen Kaffee gemacht, oder?“, erkundigte er sich bei dem Blonden. Dieser bestätigte seine Vermutung und entnahm Seto seine Tasse, um sie gemeinsam mit seiner eigenen in den Geschirrspülautomaten einzusortieren. Aufmerksam stellte er die dritte gefüllte Tasse auf den Tisch. „Setzten Sie sich. Sie haben heute bestimmt noch nichts gegessen, oder? Ich habe vorhin Ihr Mittagessen im Kühlschrank gesehen, als ich die Milch rausgenommen habe.“ Voller Staunen sah Niles auf die Tasse mit frisch gebrühtem Kaffee, in welche jemand eine kleine Blume aus Sahne gezaubert hatte. Zögernd trat er näher, während Seto ebenfalls aufstand und noch die Untertassen und die zwei Löffel in Richtung der Spülmaschine trug. „Aber Herr Kaiba, das kann ich doch…“ „Danke Niles, aber das schaffe ich gerade noch alleine“, ließ Seto ihn wissen. „Bitte bereiten Sie nachher noch eine neue Bettgarnitur für Herrn Wheeler vor. Er wird heute hier nächtigen.“ „Aber Seto, was ist mit…“ Unwirsch wurde der Blonde vom Firmenchef unterbrochen. Joey sah ihm an, dass Tome ihm seit dem heutigen Tag vollkommen egal war. „Lass uns nach oben gehen. Ich will dir etwas zeigen.“ „Guten Appetit, Niles“, verabschiedete sich der Blonde und folgte dem Älteren widerspruchslos in das 1. Stockwerk. Zurück blieben ein Butler und eine heiße Tasse Kaffee, an welcher er sich wenig später die Zunge verbrannte, da er vor lauter Staunen zu pusten vergaß. Es dauerte mehrere Minuten, ehe er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte und sich in der Lage fühlte, die Anweisung von Kaiba an das Hausmädchen weiterzuleiten. Nachdenklich rief er sich das Lächeln vom frühen Morgen sowie das Pfeifen vom gestrigen Tag ins Gedächtnis. Sorgfältig analysierte er dieses Verhalten und seine diesbezüglichen Schlussfolgerungen noch einmal in Hinblick auf seine aufgestellte Theorie, dass Seto Kaiba sich womöglich in einem Stadium schwerer Verliebtheit befand. Genüsslich weiter an seinem wohlschmeckenden beruhigenden Kaffee nippend, fügte er dieser Theorie gedanklich das eben durch Zufall erhaschte Bild hinzu. Seto Kaiba, gelassen und scheinbar in sich ruhend neben Joeseph Wheeler sitzend. Ein Kaiba, der einen vormals unwillkommenen Gast seines Bruders nun sogar in der Villa nächtigen lassen wollte. Der Blick, den er zwischendurch in die Richtung des Blonden geworfen hatte, konnte gelinde gesagt als 'sehr eindringlich' bezeichnet werden. Ein ähnlicher Ausdruck lag auch in seinen Augen, wenn er seinen kleinen Bruder betrachtete – nur war dieser in diesem Fall ungleich intensiver. Wenn man bedachte, dass Herr Kaiba vor ein paar Tagen noch bei jeder falschen Bewegung im Dreieck gesprungen war und alles und jeden gemaßregelt hatte, weil Joseph Wheeler ihn über einen längeren Zeitraum hinweg ignoriert hatte, ließ das jetzige Verhalten am Ende nur einen logischen Schluss zu. Völlig versunken holte Niles sein Mittagessen aus dem Kühlschrank und nahm einen großen Bissen von seinem Eier-Gurken-Sandwich. Als Butler war er lediglich ein stiller Beobachter am Rande des Geschehens. Er, als Unbeteiligter, hatte sicher kein Recht, sich eine Meinung zu bilden. Seto Kaiba konnte sich verlieben, in wen er wollte. Egal, ob Mann oder Frau. Doch für ihn stand fest, dass kaum jemand besser zu ihm passte, als der blonde junge Mann, der ihm schon früher so oft die Stirn geboten hatte. Eine starke Persönlichkeit wie die des Firmenchefs brauchte jemanden an seiner Seite, mit dem er auf Augenhöhe sprechen konnte. Egal, wie sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich keine zart besaitete Frau in diesem Haushalt ausmalen. Im Gegenteil. Die fröhliche gefestigte Art von Joseph Wheeler, immer gerade heraus und kein Blatt vor den Mund nehmend, passte perfekt zu ihm. Umso besser, wenn auch Herr Kaiba das erkannte. Schon jetzt hatte Joseph Wheeler, wenn er mit seinen Schlussfolgerungen richtig lag, einige Veränderungen in seinem Chef bewirkt. Zum Positiven, wie er bemerken wollte. Er hoffte nur, dass Mokuba Kaiba dies ebenfalls so sah. So sehr, wie der Firmenchef an seinem Bruder hing, konnte dieser womöglich das Zünglein an der Waage bedeuten. Aber da der kleine Kaiba seinen Bruder ebenso sehr liebte, wie dieser ihn, sollte das eigentlich kein Problem darstellen. So oder so kamen in der nächsten Zeit eine Menge Aufgaben auf ihn zu. Es war Teil seines Vertrages, das Eigentum von Seto Kaiba vor Schäden zu schützen. Die zerbrochene Vase des Hausmädchens vom Vortag und das zersplitterte Glas von Mokuba am heutigen Morgen ließ ihn befürchten, dass in näherer Zeit noch mehr hinzukommen könnte. Sicherheitshalber sollte er die teuersten Gegenstände bereits vorab woanders positionieren und in das ein oder andere Zimmer noch eine Kehrschaufel extra stellen. Zufrieden mit seiner Planung ließ er die Reste seines Mittagessens vom Tisch verschwinden und machte sich auf die Suche nach dem Hausmädchen. Immerhin hatte Seto Kaiba nur angeordnet, eine neue Bettgarnitur vorzubereiten – kein Gästezimmer. Er ging daher davon aus, dass Herr Kaiba nicht plante, diese Nacht allein in seinem Zimmer zu schlafen. ***********zur selben Zeit in der ersten Etage des Kaiba Anwesens********** Ein wenig gekräftigt vom Koffein ging Kaiba voran in die erste Etage seiner Villa. Auf der Galerie angekommen, eröffnete sich dem jungen Gast ein großer hell erleuchteter Bereich. Suchend sah Joey sich um und machte die übergroßen Dachfenster über dem Eingangsbereich als Lichtquelle aus. Interessiert betrachtete er die gemütliche Sitzgruppe, welche sich an die rechte Seite schmiegte. Mehrere Palmen sorgten neben dem dunklen braunen Leder für eine gemütliche Atmosphäre. An die Wand gegenüber der Treppe reihten sich einige Regale, angefüllt mit verschiedenen Büchern. /Die perfekte Leseecke/, dachte Joey spontan. Doch er vermutete, dass Kaiba hier eher selten saß. Ein so vielbeschäftigter Mann wie er nahm sich wahrscheinlich kaum die Zeit, solch einen gemütlichen Bereich zu genießen. Erst, als der Größere weiterging, bemerkte er die drei Türen, die von diesem Bereich abzweigten. Zielstrebig öffnete der Besitzer der Villa die erste Tür, welche in einen breiten Raum mündete, welcher abermals fast die Größe seiner Wohnung hatte. Der Raum  war mit allem ausgestattet, was es auch in seiner bescheidenen Unterkunft gab – ausgenommen ein Bett. Ein Schreibtisch stand in der Mitte des Raumes, mehrere Regale flankierten die bodenlangen Bogenfenster und eine lange Flachstrecke aus hölzernen Sideboards stand links und rechts entlang der Tür. In einer anderen Ecke des Raumes befand sich abermals eine große Sitzgruppe, bestehend aus 3 Couchen. Ausgemessen hätte nicht mal eine davon in sein Zimmer gepasst, dessen war Joey sich sicher. Auch dieses Zimmer wurde von mehreren Pflanzen verschönert und verschiedene dekorative Kunstwerke hingen an den Wänden. Den Preis dieser Gemälde, welche wunderbar auf die braunen Farben des Raumes abgestimmt waren, wollte er lieber gar nicht wissen. Doch auch in diesem Raum wollte Kaiba nicht verweilen. Von ihm zunächst unbemerkt, hatte der Architekt der Villa auch hier noch einmal mehrere Türen abzweigen lassen. Diese Übergänge in die anderen Räume waren allerdings offen gehalten. Sich automatisch Seto anschließend, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, durchquerte er einen der fünf Durchgänge in Form eines Rundbogens. Nacheinander reihten sich mehrere Räume aneinander, in denen er sich jedes Mal aufs Neue bewundernd umsah. In jedem der Räume gab es ein anderes Highlight zu bestaunen. In einem konnte man unter anderem zahlreiche Aquarien sehen, während in dem nächsten ein riesiger Fernseher die Augen auf sich zog. Auch ein Zimmer mit einem großen Kamin, ein Arbeitszimmer mit zahlreichen mit Akten gefüllten Schränken und zwei in unterschiedlichen Farben gehaltene Bäder gab es zu bestaunen. Offenbar hatten entweder der Architekt oder die Besitzer des Hauses ihrer Fantasie bei der Planung der Räumlichkeiten freien Lauf gelassen. Jedes Zimmer war auf ein neues Konzept ausgelegt, rückte ein anderes Highlight als das beherrschende Element in den zentralen Mittelpunkt - und doch wirkte alles auf merkwürdige Weise in sich stimmig.   Erst im neunten oder zehnten Zimmer, Joey hatte nicht wirklich mitzählen können, da ein Raum in den anderen übergegangen war, hielt Seto inne. Abwartend lehnte er sich mit verschränkten Armen an den großen Balken, welcher die Mitte des Raumes dominierte. Dieser war mit sehr hellen Möbeln aus Eiche eingeräumt worden. Auch hier befand sich alles, was man sich wünschen konnte. Neben einem weiteren Schreibtisch gab es außerdem einen kleineren Kamin, mehrere bequem aussehende Sessel, eine große – sehr große – Couch, die breit genug war, damit drei Leute bequem nebeneinander liegen konnten, sowie wieder zahlreiche Regale, ein Raumteiler und zwei aus dem selben alten Holz elegant geformte Tische. Als Seto nur weiter dastand und ihn beobachtete, gelang es Joey nicht mehr, seine Frage noch länger zurückzuhalten. „Was wolltest du mir denn zeigen?“ Mit einer knappen Geste, welche sowohl das derzeitige als auch alle vorangegangenen Zimmer zu umfassen schien, beantwortete Kaiba seine Frage. „Das hier.“ Verständnislos sah Joey sich erneut um, als erwarte er irgendetwas Besonderes zu entdecken, das er bis jetzt übersehen hatte. Doch da war nichts – wenn man mal die ganzen extrem teuren Möbel außer Acht ließ. „Und?“, hakte er im Anschluss an seine Suche noch einmal nach. „Gefällt es dir?“, erkundigte sich Seto abwartend. „Ja schon. Ich meine: wem würde das nicht gefallen?“ Zufrieden nickte der Firmenchef. „Gut. Du wirst nämlich ab heute hier wohnen.“ „Wie bitte?“ Verblüfft starrte der Blonde auf den Firmenchef. „Sagt wer?“ Entschlossen stieß Seto sich von dem Balken ab, an dem er bis dahin mit verschränkten Armen gelehnt hatte. Diese Stütze war ihm notwendig erschienen, da er seinen eigenen Beinen kaum mehr traute, ihn noch lange aufrecht zu halten. Mit jeder Minute, die verstrich, fühlte er sich kraftloser. Das Nutzen von Magie hatte ihn auch früher schon erschöpft, doch damals hatte er sie täglich ausgeübt, so dass sein Körper an die Folgen gewohnt war. Seinem derzeitigen Körper fehlte diese Übung vollkommen. Sich selbst zum Durchhalten zwingend, ging er zu dem Blonden, welcher ihn noch immer zweifelnd ansah. Das hier war zu wichtig, als dass er seinem Körper die dringend benötigte Auszeit zugestehen würde. „Sage ich.“ Sich den Anschein von Selbstsicherheit verleihend, sah Kaiba auf den Jüngeren. „Du ziehst ohnehin bei dir aus. Diese Villa hat 35 Zimmer. Genügend Platz also. Meinetwegen kannst du dir selbst aussuchen, welche Räume du davon nutzen willst. Mir ist es gleich…“, kurz hielt er inne, ehe er anfügte „…außer das Schlafzimmer.“ Es war deutlich zu sehen, dass Joey wusste, worauf er hinaus wollte. Dennoch hakte er, seinem Wesen entsprechend, auch diesmal herausfordernd und in bewusst naivem Tonfall nach. „Warum nicht auch das Schlafzimmer?“ Kaiba konnte den verführerischen Augenaufschlag, der zu dem Tonfall des Kleineren passend gewesen wäre, fast schon bildlich vor sich sehen. Doch was Joey konnte, konnte er allemal. Ihn fixierend und mit den Augen an Ort und Stelle bannend, informierte er ihn mit tiefer Stimme über seine Sicht der Dinge. „Es ist unnötig, dir ein eigenes auszuwählen, da du ohnehin jede Nacht in meinem Bett verbringen wirst.“ Doch der bestimmende Unterton zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Wenn überhaupt reizte es den zukünftigen Mitbewohner Kaibas zu neuerlichem Widerspruch. „Und wer sagt dir, dass ich das überhaupt will?“ „Wer sagt, dass du in dieser Angelegenheit irgendein Mitspracherecht hast?“ „Ich habe schon eine Wohnung.“ „Ja. Hier.“ „Vergiss es. Ich habe schon den neuen Mietvertrag unterschrieben.“ „Dann kündigst du ihn wieder.“ „Der Vertrag ist auf mindestens ein Jahr festgeschrieben. Wenn ich vorzeitig kündige, muss ich eine Strafe zahlen.“ „Gut.“ „Gut? Und was meinst du, von welchem Geld ich das bezahlen soll?“, giftete Joey. Ohne auf seinen Einwand zu reagieren, ging Kaiba zu einem der zahlreichen Schränke. Wie Joey kurz darauf erkennen musste, befand sich in diesem ein kleiner Tresor, aus welchem der Firmenchef wenig später mehrere dicke Geldbündel entnahm. Sprachlos sah Joey auf die Scheine, welche Kaiba neben ihn auf den Tisch packte. Für einen winzigen Moment streifte die Frage durch seinen Kopf, ob es solch einen versteckten Tresor wohl in jedem der gesehenem Schränke gäbe. Dem schloss sich der Gedanke an, wie viel Geld Kaiba dann wohl im gesamten Haus verteilt gelagert haben musste, doch schnell konzentrierte er sich sicherheitshalber wieder auf den vor ihm liegenden unanständig hohen Betrag. Abwehrend schob er die Bündel zur Seite – das mussten mindestens 6 Millionen Yen (52.800 Euro) sein. Wenn nicht noch ein oder zwei Millionen mehr. Immerhin war er noch nicht zum nachzählen gekommen. Bei solch vielen Scheinen auf einem Stapel war es durchaus möglich, dass man sich um dreihunderttausend oder vierthunderttausend Yen verschätzte. „Vergiss es. Ich kann für mich allein sorgen. Ich brauche dein Geld nicht.“ „Das ist nicht mein Geld“, ließ Kaiba ihn wissen. „Du hast gute neun Monate als Grafiker, Techniker und Entwickler in meiner Firma gearbeitet. Das, was du hier vor dir siehst, ist lediglich die Summe deines dir rechtmäßig zustehenden Lohnes. Noch nicht eingerechnet sind das Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie eine Prämie für besondere Dienste, wie Entsorgung von Restmüll.“ „Kirian liegt nur im Krankenhaus, die Entsorgung bleibt dir überlassen.“ „Und doch hast du dich auch um dieses Problem gekümmert“, wies Kaiba seinen Einwand ab. „Dieser Betrag“, er deutete auf das Geld, „ ist daher nur eine Anzahlung. Um deinen Vertrag zu kündigen, reicht es allemal.“ Seufzend nahm Joey das Geld auf und drückte es Kaiba in die, wie er erst jetzt nebenbei bemerkte, kalten Hände. „Es ging mir nie ums Geld, Seto.“ „Das weiß ich, Kleiner. Mir auch nicht“, ließ Kaiba ihn wissen und machte damit deutlich, dass er längst mit seiner Reaktion gerechnet hatte. „Deshalb werde auch ich die anfallende Vertragsstrafe zahlen und du ziehst hier ein.“ Aufstöhnend sah Joey zu ihm auf. „Hast du eigentlich je daran gedacht, mich zu fragen?“ „Nein. Wozu? Du hast versprochen, nicht mehr von meiner Seite zu weichen. Und ich gedenke lediglich, auf die Einhaltung dieses Versprechens zu achten.“ Das war ein Argument, dem auch Joey nur schwer beikommen konnte. Nicht, dass er das wirklich gewollt hätte. Bereits als Kaiba ihm eröffnet hatte, dass er ihn auch innerhalb seines Hauses an seiner Seite wissen wollte, hatte sein Herz einen kleinen Freudensprung gemacht. Dennoch wollte er ganz sicher gehen. „Seto… Ich freue mich über dein Angebot – wenn man es denn so nennen kann. Aber du und ich… Das mit uns beiden… Ich meine… Seit wann weißt du wieder, dass du mich liebst? Seit einer Woche? Seit zwei? Du und ich sind wie Feuer und Eis. Wie Sonne und Mond. Wie Ebbe und Flu…" "Komm zum Punkt." "Wir sind zwei absolute Gegensätze. Was ich sagen will… Ich glaube nicht, dass du schon weißt, auf was du dich da mit mir einlässt.“ Kaibas Augen weiteten sich. Dann… ein Lachen… laut… aus vollem Hals… Selten zuvor hatte der Blonde den Größeren so gelöst gesehen. Dennoch…  Joey, der mit dieser Reaktion auf seinen durchaus ernst gemeinten Einwand nicht gerechnet hatte, verschränkte schmollend die Arme vor der Brust. Nachdem Kaiba sich wieder ein wenig beruhigt hatte, wuschelte dieser ihm liebevoll durch die Haare. „Glaubst du nicht, dass mir 5000 Jahre Bedenkzeit genügen? Ich denke, so allmählich weiß ich, worauf ich mich mit dir einlasse… und… eingelas…sen ha….“ Kaibas Augen drehten sich nach oben. Sein Kopf fiel nach vorn und mit ihm der Rest seines Körpers. Der Firmenchef brach zusammen. Ohne Vorwarnung knickten seine Beine weg, wie die einer Holzmarionette, deren Strippen man durchtrennte. Jetzt, da alles geklärt war, war auch das letzte bisschen Kraft verbraucht. Noch während er fiel, schlossen sich seine Augen. Das, was er hatte sagen wollen, blieb unvollendet im Raum hängen. Überrascht von dem Zusammenbruch langten Joeys Arme reflexartig nach dem Oberkörper des Größeren. Kurz Luft holend, als seine Wunden auf Grund des Gewichts, das an seinen Armen zog, wieder aufbrachen, ließ er ihn langsam und umsichtig zu Boden gleiten. „Seto?“ Besorgt beugte er sich über den Anderen. Dieser atmete bereits tief und als Joey eine Hand auf seine Stirn legte, um seine Temperatur zu prüfen, spürte er kalten Schweiß unter seinen Fingern. Erschrocken befühlte er den Puls, konnte aber nur eine geringfügige Beschleunigung feststellen. Unschlüssig, was er tun sollte, sah er auf die zusammengesunkene Gestalt. Das Beste war wohl, einen Arzt zu rufen, doch er scheute sich davor, den Älteren allein hier liegen zu lassen. Ein Klopfen von Seiten des angrenzenden Zimmers nahm ihm die Entscheidung ab. „Herr Kaiba, ich habe wie gewünscht… Herr Kaiba?“ Stockend hielt Niles inne. Unglücklich sah Joey zu ihm auf. „Er ist einfach umgekippt“, informierte er den Älteren hilflos. Dieser überlegte nicht lange und zog das Haustelefon, welches er den Tag über sicherheitshalber bei sich trug, hervor. Bei diesem großen Haus wäre sonst die Gefahr groß, ständig zu spät am Telefon zu sein oder das Klingeln komplett zu überhören. Sekunden später meldete sich bereits eine Stimme, der Niles kurz und bündig erklärte, dass Herr Kaiba zusammengebrochen sei und die Anwesenheit des Gesprächspartners in der Villa dringend erforderlich wäre. „Das war der Hausarzt von Herrn Kaiba. Was diese Familie angeht, hat er ständige Rufbereitschaft. Er wird in ein paar Minuten hier sein“, informierte er den blonden jungen Mann, welcher besorgt zu seinem Arbeitgeber sah. Dieser lag noch immer zusammengesunken auf dem dicken Teppich und atmete schwer. Kurz überlegte er, ehe er beherzt auf Joseph Wheeler zutrat und in Richtung des angrenzenden Raumes deutete. „Das Beste ist wohl, wenn wir ihn ins Bett schaffen.“ Der Blonde stimmte zu und schob seine Hände unter die Arme seines Freundes, während Niles die Beine nahm. Joey konnte spüren, wie frisches Blut aus seiner eigenen Wunde abermals sein Hemd verschönerte, doch er ignorierte es geflissentlich. Er hatte in der Vergangenheit schon mit schlimmeren Verletzungen zu kämpfen gehabt. Zwei Räume weiter öffnete der Butler eine der zahlreichen Türen, hinter welcher ein abgedunkelter großer Raum mit einem breiten Bett in der Mitte zum Vorschein kam. Es war angenehm kühl, da die Vorhänge zugezogen waren. Frische Luft drang durch eines der leicht geöffneten Fenster. Gemeinsam legten die Träger ihre Last in das riesige Bett. Nach einem kurzen Blick auf Niles entschied Joey, dass dieser vermutlich bereits lange genug im Haushalt arbeitete, um Kaiba schon des Öfteren nackt gesehen zu haben. Dieser schien in eine ähnliche Richtung zu denken, was seine Person anging, denn ohne sich abzusprechen, entledigten sie Kaiba wenig später von den meisten Sachen. Noch bevor der Arzt eintraf, hatten sie ihm eines seiner dunkelblauen Hemden angezogen und seinen Kopf auf das Kissen gebettet. Fürsorglich zog Joey die Decke bis zu seinem Kinn. Gerade rechtzeitig, denn im nächsten Moment trat bereits eines der Hausmädchen in Begleitung eines Mannes in mittlerem Alter das Schlafzimmer des Firmenchefs. Seine Haare waren bereits in Ansätzen ergraut, sein Gesicht länglich und schmal doch kleine Falten um Augen und Mund zeugten von einem fröhlichen Gemüt. Ohne lange Vorrede trat er an das Bett, reichte nur Niles und Joey kurz die Hand. „Was ist passiert?“, verlangte er zu wissen, noch während er sein Stethoskop aus einem schwarzen großen Koffer hervorkramte. Ein flüchtiges Nicken in seine Richtung machte deutlich, dass es seine Aufgabe war, eine kurze Erklärung zu liefern. „Wir haben gerade etwas besprochen, als er auf einmal einfach… zusammengeklappt ist. Sein Puls war leicht erhöht, seine Hände kälter als normal. Der Atem ging etwas schwerer. Seit dem kam er noch nicht wieder zu sich. Wir haben ihn gemeinsam in sein Bett gebracht.“ Der Arzt schnaubte zufrieden angesichts dieser kurzen sachlichen Erklärung. Für gewöhnlich schweiften die Leute, zu denen er in solchen Fällen gerufen wurde, weiter ab. Viele tendierten dazu, alles Geschehene und Gesehene zu überdramatisieren und auszuschmücken, um zu verdeutlichen, wie schlimm alles sei. Das kostete Zeit, die manche der Patienten nicht hatten. Sicher hätte ihm jemand sagen können, dass Joey in den vergangenen 5000 Jahren bereits weitaus Schlimmeres gesehen hatte. Doch da einer der drei einzigen, die darüber Bescheid wussten, gerade nicht sprechen konnte, der zweite nicht darüber sprechen wollte und der dritte sich sicherheitshalber weit weg von Person Nummer Eins aufhielt, kam es nicht dazu. Mit geübtem Griff öffnete der Arzt das Hemd von Kaiba. Es war darauf geachtet worden, die Knöpfe gleich geöffnet zu lassen, so dass nicht viel Zeit verging, bis er sich versichern konnte, das Herz und Lunge in Ordnung waren. Auch ein Blick in die Augen und eine Messung des Blutdrucks brachte keine neuen Erkenntnisse. „Wann hat er das letzte Mal etwas gegessen?“, erkundigte er sich daher, während er sein Stethoskop und den Blutdruckmesser wieder in seinem Koffer verschwinden ließ. „Also in der Schule… eigentlich nichts“, überlegte Joey laut. „Dann heute früh. Ein Nutellabrötchen“, ließ Niles den Arzt wissen. Überrascht sah Joey zum Butler, verkniff sich aber in Anwesenheit des anderen Mannes einen Kommentar. „Hm. Am Essen kann es also nicht liegen. War er heute oder in den letzten Tagen eventuell besonderem Stress ausgesetzt? Hat er sich, bevor er zusammengebrochen ist, über irgendwas aufgeregt?“ „Nun, in letzter Zeit fiel viel Arbeit in der Firma an“, erklärte Niles. /Ach ja, und er hat vor einer Stunde versucht einen Pharao, der aussieht wie 25, mit Hilfe von Magie anzugreifen, die er schon seit guten 5000 Jahren nicht mehr ausgeübt hat. Könnte das eventuell auch als Stress bezeichnet werden?/, hätte Joey am liebsten voller Ironie ergänzt. Doch er vermutete, dass der Arzt ihn dann ebenfalls näher untersuchen wollen würde – besonders seinen Geisteszustand - und schwieg. „Nun, ich denke, dann haben wir die Ursache“, stellte der Arzt fest und richtete sich wieder auf. „Körperlich kann ich keine Ursachen feststellen. Mentale Erschöpfung kann durchaus zu solch einem Zusammenbruch führen.“ Die Stirn runzelnd sah er von Joey zu Niles und wieder zu Seto. „Ich empfehle dringende Bettruhe und eine kräftige Suppe. Ich weiß, es wird nicht leicht werden, Seto Kaiba, wenn er wieder aufgewacht ist, in seinem Bett zu halten. Aber wenn nötig, binden Sie ihn einfach an. Ich gebe Ihnen auch gern ein ärztliches Attest als Rechtfertigung, sollte er protestieren wollen. Bis morgen sollte er sich mindestens schonen. Viel länger werden Sie diesen jungen Mann, so wie ich ihn kenne, vermutlich auch nicht von der Arbeit fern halten können.“ Nachdem das geklärt war, wandte er sich endgültig vom Krankenbett ab. Nachdenklich sah Joey auf die blasse Gestalt im Bett und spürte dem pochenden Schmerz nach, welcher noch immer durch seine rechte Seite zog. „Verzeihen Sie“, hielt er den Arzt schließlich kurz entschlossen auf, noch bevor dieser sich von ihnen verabschieden konnte. „Dürfte ich ebenfalls kurz Ihre Dienste beanspruchen?“, erkundigte er sich überaus höflich. Der Arzt hielt inne und sah kurz auf Niles, welcher kaum sichtbar mit den Schultern zuckte und schließlich nickte. Er war sich insgeheim sicher, dass sein Arbeitgeber für etwaige Rechnungen aufkommen würde. Ohne weiteren Kommentar öffnete Joey die von Seto geliehene Jacke und gab den Blick auf das darunter liegende blutige Hemd frei. Der ehemals weiße Stoff klebte inzwischen wieder an den Wunden, so dass kein weiteres Blut austreten konnte. Joey hatte bis eben penibel darauf geachtet, seine rechte Seite nicht noch einmal zu belasten. Ihm selbst war es egal. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die paar Kratzer erst später versorgt, wenn Niles und der Arzt wieder verschwunden waren. Ein bisschen Wasser zum Auswaschen, Desinfektion und ein fester Verband wären ausreichend gewesen. Doch Niles hätte ohnehin davon erfahren – spätestens, wenn er nach Verbandsmaterial fragen musste. Zudem konnte eine schlechte Wundversorgung zu späteren Narben führen. Dies galt es in jedem Fall zu vermeiden. Er wollte verhindern, dass Seto sich später jedes Mal, wenn er ihn ansah, Vorwürfe machte, ihn verletzt zu haben. Schnellen Schrittes trat der Arzt wieder näher. Besorgt runzelte Niles die Stirn. Warum hatte Herr Wheeler bis eben nichts gesagt? Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der Butler sie in das angrenzende Bad geführt hatte. Vorsichtig entfernte der Arzt den Stoff des Hemdes langsam von der Haut des blonden jungen Mannes, welcher alles klaglos über sich ergehen ließ. Auf diese Weise des provisorischen Verbandes beraubt, fingen die Wunden erneut an zu bluten. Mit einem sauberen feuchten Tuch tupfte der ältere Herr nach und nach das Blut ab, bis die rechte Seite schließlich ganz von den roten Tropfen befreit war. Nach einer kurzen Desinfektion aller Striemen wurden die Einschnitte mit fachkundigem Blick untersucht. Fragend sah der Arzt in das Gesicht von Joey. „Eine Auseinandersetzung mit Messern?“ Der Verletzte zucke nur unbestimmt mit den Schultern. Sollte der Mann sich seine eigenen Gedanken machen. Dieser nahm die nichtssagende Geste kommentarlos hin, war er ein ähnliches Verhalten doch bereits durch Kaiba gewohnt. Zu wissen, woher die Wunden stammten, würde nichts daran ändern, wie sie zu versorgen waren. Sobald das But an der Oberfläche zu gerinnen begann, rieb er die rechte Seite des Blonden mit einer schmerzstillenden Heilsalbe ein und legte ihm anschließend einen breiten Verband um den Oberkörper. Stirnrunzelnd nahm er dabei mehrere kleine kreisförmige Narben an mehreren Stellen wahr. Sie schienen sehr alt zu sein, denn sie waren bereits vollständig verheilt. Er fragte sich allerdings im Stillen, was genau solche Narben hinterließ. In Hinblick auf die derzeitige Auskunftsfreudigkeit seines Patienten, hakte der Arzt jedoch nicht weiter nach sondern beendete seine Behandlung. Angelegentlich drückte er ihm die soeben genutzte Salbe in die Hand. „Reiben Sie die Wunden morgen Abend noch einmal ein. Legen Sie den Verband mindestens noch drei Tage an, damit die Wunden sich halbwegs schließen können. Danach sollten Sie den Verband ablassen, damit Luft herankommt. Die Salbe kann danach ruhig noch weiter verwendet werden.“ „Wird es Narben geben?“, erkundigte sich der Blonde. „Wenn Sie mit der Versorgung fortfahren, wie beschrieben, sollten schon bald nur noch ein paar dunkle Streifen zu sehen sein. Aber auch die werden sicher in ein oder zwei Jahren ganz verblassen.“ Zufrieden mit dieser Aussage nickte der junge Mann, ehe sie beide wieder in das Schlafzimmer gingen, in welchem Seto Kaiba noch immer tief und fest schlief. „Nun, ich werde mich dann jetzt verabschieden“, verkündete der Arzt in Richtung Niles und Joey und reichte beiden noch einmal die Hand. „Verzeihen Sie, aber die nächsten Patienten warten bereits auf mich.“ „Sicher. Amaya wird Sie hinausbegleiten“, ließ Niles den Mann wissen und deutete auf das Hausmädchen, welches stumm neben der Tür gewartet hatte und sich nun wieder um ihren kurz angebundenen Gast kümmerte. Kurz nachdem der Arzt verschwunden war, ließ Joey sich bereits neben Kaiba auf dem Rand des Bettes nieder und knöpfte dessen Hemd sorgfältig zu. Es ärgerte ihn, dass Seto ihm nicht gesagt oder zumindest gezeigt hatte, dass er bereits kurz vor einem Zusammenbruch stand. Aber er war vermutlich die letzte Person, die sich darüber beschweren durfte in Anbetracht dessen, dass auch er viele Dinge lieber für sich behielt – besonders vor der Person, die er liebte. Tief ein und ausatmend strich er eben dieser Person, in Gedanken versunken, zwei Haarsträhnen aus dem blassen Gesicht. Inzwischen hatte sich seine Atmung halbwegs normalisiert. Seine Haut fühlte sich wärmer an als noch eine halbe Stunde zuvor. Noch immer konnte er nur staunen, dass es ihm und Seth nach diesen 5000 Jahren der Suche, des Hoffens und Betens und Wartens gelungen war, wieder zueinander zu finden. Ein diskretes Räuspern ließ ihn aufmerken und führte ihm wieder vor Augen, dass er nicht allein im Raum war. Niles trat näher, unter dem Arm eine weitere frisch bezogene Decke und ein Kopfkissen. „Ich denke, Herrn Kaiba in seinem Bett zu halten, wird wohl am besten gelingen, wenn jemand rund um die Uhr bei ihm ist und aufpasst, dass er keinen Fuß nach außen setzt.“ Kurz starrte Joey ihn an, ehe er belustigt den Kopf schüttelte. „Sie erstaunen mich immer wieder, Niles.“ Dieser nahm die Äußerung als Kompliment und breitete Decke und Kissen neben Kaiba aus. „Ich denke, das beruht auf Gegenseitigkeit.“ Ein aufrichtiges Lächeln grub sich in seine Züge, als er wieder um das Bett herumging und Joey die Hand reichte, welche dieser auch annahm. „Ich gratuliere Ihnen.“ Mit einem Blick auf Kaiba ergänzte er „Sie werden es mit ihm nicht leicht haben.“ Joeys Augen wanderten ebenfalls wieder zu dem Braunhaarigen. „Keine Sorge. Er mit mir auch nicht.“ „Dann ist es ja gut.“ Zufrieden wandte Niles sich ab, um das geöffnete Fenster zu schließen. Der Blonde zog sich indessen einen Stuhl an das Bett des Anderen. Noch war ihm nicht nach Schlafen zumute. Er wollte wach sein, wenn der Größere wieder zu sich kam. Im sich anschließenden Raum hatten viele Bücher gestanden. Wahrscheinlich würde er da auch etwas finden, was er noch nicht kannte. „Kann ich Ihnen noch irgendwas bringen?“, erkundigte sich der Butler dienstbeflissen. Joey überlegt kurz. „Noch etwas zu Trinken, wäre gut. Eine Limonade vielleicht. Und etwas Wasser für Seto, wenn er aufwacht. Ansonsten, denke ich, habe ich alles.“ Niles nickte und schickte sich an, das Gewünschte zu holen. „Ach ja“, hielt Joey ihn noch einmal spontan zurück. „Er isst Nutellabrötchen?“, erkundigte er sich grinsend und deutete mit einem Daumen auf den Älteren. Der Butler nickte und teilte ihm seine morgendliche Beobachtung im Hause der Kaibas  mit todernster Miene mit. „Er entwendete es heute früh hinterrücks seinem Bruder. Was zur Folge hat, dass Herr Mokuba Kaiba, kurz bevor er heute früh zur Schule fuhr, zwei Gläser seines nicht unerheblichen Nutellavorrates in seinem Zimmer versteckte. An einem sehr geheimen Ort. Gleich unter einer der Parkettfliesen links neben dem Fernseher." Niles räusperte sich vernehmlich - so, wie wohl nur Butler es konnten, wenn sie ihr Amüsement zu verbergen gedachten. Im Stillen fragte sich Joey, ob es da wohl spezielle Kurse gab, in welchem Butlern diese grundlegende Fähigkeit vermittelt wurde. "Ich befürchte, dass diese Tat die Beziehung zwischen den Brüdern nachhaltig beeinflusst und womöglich auf lange Sicht schwer geschädigt hat“, fuhr er anschließend fort. Mit diesen Worten verabschiedete sich Niles wenig später und ließ den jungen Joey Wheeler mit einem etwas fröhlicherem Gesichtsausdruck zurück, als er ihn vor einer Stunde im anderen Raum vorgefunden hatte. Kapitel 52: Seele und Herz -------------------------- Sooo... nachdem Seto und Joey für eine ganze Weile im Vordergrund standen, ist es an der Zeit, dass auch Seth und Jono mal wieder zu ihrem Recht kommen. Vielleicht lest ihr, als kleine Auffrischung, noch einmal das letzte Kapitel, das mit Seth und Jono zu tun hatte, denn daran schließt sich dieses Kapitel direkt an. ^_^* Da ich inzwischen nicht mehr ganz regelmäßig veröffentliche, fällt es sonst vlt. schwer, den Anschluss zu finden. Danke für die lieben Kommis! Es freut mich, dass es anscheinend auch viele neue Leser gibt, die es gewagt haben, diese sehr lange und doch noch längst nicht abgeschlossene Geschichte zu beginnen. Das erfordert meiner Ansicht nach immer eine Menge Mut und einen Vertrauensvorschuss in den jeweiligen Autoren - immerhin hofft man immer, dass das ganze Teil auch beendet wird. Für diesen Vertrauensvorschuss danke ich allen herzlich und ein RIESIEGER DANK gebührt auch allen Lesern, die mir über all die Zeit hinweg die Treue gehalten und trotz längerer Schreibpause weitergelesen haben. Aber nun genug mit dem Geschwafel... weiter gehts. ^_~ _______________________________________________________________________________________ ~~~~~~~~~~ „Wie geht es dir?“, erkundigte sich Seth bei Jono, welcher seit ihrem Abschied von der Karawane kaum mehr als fünf Sätze gesprochen hatte. „Du machst dir zu viele Sorgen“, informierte ihn der Blonde. „Du weichst aus“, stellte Seth fest, bestand aber nicht auf einer Antwort. Jono war ihm insgeheim dankbar, dass er nicht noch einmal nachhakte. Seit sie die Karawane verlassen und das Gebiet rings um Asyut betreten hatten, maß Seth ihn immer wieder mit diesem bestimmten Ausdruck in den Augen. Als befürchte er, er würde ein weiteres Mal vor ihm in Tränen ausbrechen. Doch das würde nicht geschehen. Ohne die geringste Regung starrte er auf das inzwischen zur Stadt angewachsene Asyut. Vieles hatte sich verändert. Der Ort, an dem er das Licht der Welt erblickt hatte, war nicht mehr derselbe, den er vor 12 Jahren verlassen hatte. Er selbst war es ebenfalls nicht mehr. Insgeheim stimmte es ihn froh, dass Seth ihm vor einer Woche keine andere Wahl gelassen hatte, als mit ihm gemeinsam gegen die Syrier zu kämpfen. Später, am Feuer, als er in die Augen der vielen mitreisenden Kinder geblickt hatte, war ihm klar geworden, dass er eigentlich nicht anders gehandelt hatte, als die Dorfbewohner vor ihm. Auch er hatte seinen Hass auf die Leute, die damals gewusst hatten, was mit ihm geschehen war, auf die nachfolgende Generation übertragen. All die Jungen und Mädchen konnten nicht das Geringste für seine Vergangenheit. Das Recht stand auf der Seite von Seth, wenn er sagte, dass er sie schwerlich für etwas bestrafen konnte, was deren Eltern ihm angetan hatten. Aber eigentlich hatten sie ihm ja auch nichts angetan, nicht wahr? Im Gegenteil. Sie hatten gar nichts getan. Sie hatten weggesehen, als eine der ihren und ein kleines Kind ihre Hilfe gebraucht hätten. Schnell schüttelte er die schlechten Gedanken ab. Er hatte jetzt ein neues Leben. Und zu diesem Leben gehörte Seth. Wieder. Ohne es zu wissen hatte Seth ihn schon damals davor bewahrt, den Verstand zu verlieren und ihn daran gehindert, sich selbst aufzugeben. In diesen seltenen Momenten, in denen es ihm gelungen war, Adham zu entwischen, war er zu ihm in den Tempel geschlichen. Jeden dieser verbotenen Ausflüge hatte er mit zahlreichen Schlägen bezahlt und nicht selten mit tagelangem Hunger. Doch jede Stunde, die er mit Seth hatte verbringen können, war es ihm wert gewesen. Es hatte ihm Spaß gemacht, dem Priesteranwärter bei kleinen scheinbar alltäglichen Dingen wie dem Harken von Laub zuzusehen und ihm gelegentlich zu helfen. Dort, in dem großen weitläufigen Garten, hatte er das tun können, was ihm nirgendwo sonst vergönnt gewesen war – lachen. Und dieses Lachen, war Seths Verdienst gewesen. Ohne, dass der Andere es bemerkte, sah er auf den Rücken des vor ihm laufenden Priesters. Dieser unterhielt sich angeregt mit Ilai, welcher wissen wollte, wie der Tempel im Inneren aufgebaut war. Gewöhnliche Reisende erhielten selten Einlass in die Tempelanlage von Asyut. Doch Seth, so hatte er es versichert, würde dafür sorgen, dass sie alle die nächste  Nacht dort verbringen konnten. Nach ein paar weiteren Minuten, in denen er den anderen wortlos gefolgt war, erreichten sie schließlich den Eingang des Tempels. Doch noch bevor Seth hindurch schreiten konnte, fing er eine Bewegung im Augenwinkel auf und drehte sich zu der schmalen Gestalt um, welche sich soeben daran machte, die rechte Mauer zu erklimmen. Irritiert hielt der Hohepriester inne. Voller Missbilligung beobachtete er, wie Jono die kaputten oder leicht herausstehenden Steine nutzte, um auf den Sims der Mauer zu gelangen. „Der Tempel hat auch einen Eingang, weißt du?“, ließ er den Blonden wissen, während er bezeichnend auf das große Portal vor sich deutete. Jono zuckte nur grinsend mit den Schultern. „Alte Angewohnheit. Wir sehen uns später.“ Mit geübtem Blick stellte er fest, ob sich jemand im unter ihm liegenden Garten aufhielt, ehe er sich ohne weiteren Gruß von der Mauer abstieß und mit beiden Beinen sicher auf dem Boden landete. Seth, welcher noch immer draußen stand, konnte nur den Kopf schütteln. Doch er würde sich nicht die Mühe machen, dem Kleineren auf diese unwürdige Weise zu folgen. Schon zu Beginn der Reise, unbemerkt von dem Heeresführer, hatte er mit Hilfe eines magischen Bannes dafür gesorgt, dass er Jono jederzeit finden konnte. Es brauchte nunmehr lediglich einen magischen Befehl und mit Hilfe der Fäden, die sie beide verbanden, würde er den Blonden wiederfinden. Zunächst galt es, sich offiziellen Eintritt in die Tempelanlage zu verschaffen. Während er die letzten Schritte bis zum Eingang hinter sich brachte, konnte er die bohrenden Blicke von Ilai in seinem Rücken spüren. Er hielt es allerdings nicht für notwendig, sich umzudrehen. Ihm war bewusst, dass Ilai schon seit einiger Zeit etwas auf der Zunge lag, sich aber zurückhielt, es auszusprechen. Sicher würde er sich an ihn wenden, wenn er seine Gedankengänge beendet hatte. Seth respektierte die Einstellung des Hauptmannes. Im riesigen Tor, angefertigt aus Kupfer, prangten zahlreiche Symbole und Zeichen. Nur ein magisch begabter Priester konnte erkennen, dass sich hinter jedem der zahlreichen scheinbar durcheinander angeordneten Symbole, ein Schutzzauber verbarg. Die einen sollten die Tür stärken und sie gegen Eindringlinge schützen. Andere waren ein Gebet an die Götter, diesem Tempel ihren Segen zu spenden. In aller Ruhe betrachtete Seth sich ein paar Minuten lang die Striche und Linien vor sich, ehe er gefunden hatte, wonach er suchte. Mit einem kurzen gemurmelten „Un“, dem altägyptischen Wort für ‚öffnen‘ und einer kompliziert wirkenden Handbewegung, schwangen die Flügeltüren mit einem leisen Klicken auf. Ein klarer heller Ton hallte durch Pylon und Peristyl und war sicher auch noch bis zum Hypostyl zu hören, als Seth in Begleitung von Ilai eintrat. Kaum, dass sie die ersten Schritte in den Peristyl, den Innenhof, gesetzt hatten, kamen ihnen bereits fünf Priester entgegen. Sie alle waren in langes weißes Leinen gekleidet. Kein Haar verdeckte ihr Gesicht, denn es war Brauch, sich jede Strähne vom Körper zu entfernen. Aufgabe der Priester war es, dem Gott des Tempels zu huldigen, ihm zu dienen und ihm zu gefallen zu sein. Dazu gehörte auch die tägliche rituelle Reinigung, welche zweimal am Tage und zweimal in der Nacht stattfand. Die Priester vertraten die Ansicht, die Seele des Gottes Anubis wohne in der heiligen Statue im Sanktuar und ein jeder war darauf bedacht, diesen Gott nicht zu erzürnen, sondern ihn mit Opfergaben, Geschenken und Dienern, rein am Körper und im Geiste, milde zu stimmen. Seth hatte, fern von der Ruhe des Tempels, viele dieser Regelungen längst den Notwendigkeiten und Anforderungen des täglichen Lebens angepasst. Dazu zählte auch, dass er des Nachts schlief, statt sich zu waschen und seine rituelle Reinigung auf den Verlauf des Tages beschränkte. Er brauchte genügend Schlaf, um seinem Pharao dienen zu können. Zumal die übermäßige Anwendung von Magie ihn noch immer stets erschöpfte. Nach den strengen Regularien der Priester, hätte er sich zudem nach jedem Beischlaf mit Jono ebenfalls einer rituellen Reinigung unterziehen müssen. Der Beischlaf war zwar einem Priester nicht verboten, man galt danach jedoch als unrein und unfähig, seinem Gott zu huldigen, bis man sich wieder gesäubert hatte. Vor ein paar Wochen, hätte er dem sicher noch ohne einen zweiten Gedanken zugestimmt. Nicht ein einziges Mal hatte er das Lager mit einer Frau geteilt, ohne im Anschluss ein Säuberungsritual zu vollziehen. Doch seit er Jono an seiner Seite wusste, hatte sich seine Meinung diesbezüglich ebenfalls geändert. Auch wenn er erst zweimal mit ihm geschlafen hatte, hatte er sich doch danach nicht ein einziges Mal als unrein empfunden  - auch Jono nicht. /Wenn die Götter nicht gewollt hätten, das wir uns miteinander vereinen, hätten sie unsere Körper schwerlich so erschaffen, dass wir zueinander passen/, dachte Seth sich im Stillen. Zudem nahm er sich die Freiheit heraus, sein Haar wieder wachsen zu lassen. Dies entsprach weniger einer Anpassung an das tägliche Leben, als vielmehr einer persönlichen Vorliebe. Einer Vorliebe, die nunmehr zu Fragen führen konnte, da man ihn in seiner derzeitigen Aufmachung kaum als Priester, geschweige denn als Hohepriester erkennen würde. Eine höchst lästige Angelegenheit. Zumal er seit der durchlebten Erinnerung von Jono ohnehin nicht mehr gut auf diesen Tempel zu sprechen war. Schon früher war er auf Grund seiner außerordentlichen Fähigkeiten ein Außenseiter unter den Priestern gewesen. Man hatte ihn geduldet und aufgezogen, da er offenbar von den Göttern gesegnet war. Nicht selten war er allerdings das auserkorene Ziel von Neid und Missgunst geworden. Ein weiterer Grund, warum er als junger Knabe von seinem Lehrmeister, den er sehr respektiert hatte, oft zum Arbeiten in den Garten geschickt wurde. Wer konnte schon wissen, was ohne die fröhliche Gesellschaft von Jono wohl aus ihm geworden wäre? „Wir grüßen Euch, Reisende“, wurden sie vom ältesten der fünf Priester in Empfang genommen. Ilai nickte zwar, hielt sich jedoch still im Hintergrund und überließ Seth das Reden. Hier endete sein Teil der Aufgabe und es oblag nun dem Hohepriester, ihren Auftrag zum schlussendlichen Erfolg zu führen. „Wir grüßen Euch ebenfalls, Cheriheb“, entrichtete Seth seinen Gruß mit Blick auf die breite Schärpe über der Brust des Priesters, welche ihn als den Vorleser des Tempels zeichnete. Er kannte den Mann nicht. Vermutlich war er erst nach seinem Fortgang dem Tempel beigetreten. Dennoch – es brauchte nur diese wenigen Worte des Grußes und dessen missbilligenden Blick, um Seth einen grundlegenden Eindruck des Mannes zu vermitteln. Kurzum: Er mochte ihn nicht. Misstrauisch sah der Ältere, welcher damit betraut war, die Totenriten vorzulesen, auf die geöffnete Flügeltür, welche von einem seiner Männer bereits wieder geschlossen wurde. Dass der Reisende vor ihm sie überhaupt allein hatte öffnen können, zeugte davon, dass er einen Priester vor sich hatte, gleichwohl seine Kleidung nicht darauf schließen ließ. Es blieb abzuwarten, was sein Begehr war. Seine Fragen standen dem Mann deutlich ins Gesicht geschrieben. Seth war es gleich. Nichts lag ihm ferner, als sich für sein Auftreten oder seinen Begleiter zu rechtfertigen. Zudem war seine Langmut dieser Tage reichlich knapp bemessen. Alle Geduld, die er sich in den vergangenen Jahren mühsam angespart hatte, hatte Jono binnen weniger Tage mit vollen Händen für sich beansprucht. Ihm war nichts geblieben, außer der Wunsch nach einem vernünftigen Lager, einer anderen Mahlzeit als Dörrfleisch und Gerstenbier sowie einem Jono, der sich einmal ohne Widerspruch in seine Arme begab und dort auch blieb. Dementsprechend nicht gewillt, das Gespräch länger als notwendig zu führen, scheute er sich nicht davor, dem Mann zu verdeutlichen, was er von diesem erwartete. „Mein Begleiter und ich werden heute Nacht mit vier weiteren Männern bei Euch im Tempel bleiben. Wir beabsichtigen, morgen weiter zu reisen. Ein wenig Essen und ein einfaches Quartier sollten daher ausreichend sein.“ Seth äußerte keine Bitte. Es war ein Befehl, dem Folge zu leisten war. Gleichwohl die Priester die befehlsgewohnte Autorität hinter den Worten vernahmen, schienen sie doch nicht gewillt, dem ohne Weiteres nachzukommen. Abermals richtete der Cheriheb das Wort an den Hohepriester. „Ich muss Euch mitteilen, dass Euer Begleiter“, angelegentlich deutete er auf Ilai, „hier keinen Zutritt hat. Ich bin sicher, er wird in Asyut ein angemessenes Quartier finden. Dasselbe gilt für die anderen Männer, von denen Ihr spracht – es sei denn, es sollte sich dabei um Priester handeln. Gleichwohl ich nicht erkennen kann, dass Ihr mit unseren Gepflogenheiten vertraut seid“, stellte er mit herablassendem Blick auf die schmutzige Kleidung und das unter dem Gewand hervorstechende braune Haar fest, „so ist doch ersichtlich, dass Ihr einer der unseren seid. Als solcher müsste Euch bewusst sein, dass ich Euch Eure Bitte daher nicht vollständig erfüllen kann. Euch jedoch steht es selbstredend frei, heute hier zu nächtigen.“ Der Cheriheb ließ keinen Zweifel daran, dass er zwar ein Quartier in Anspruch nehmen durfte, er es jedoch lieber sähe, wenn dem nicht so wäre. Voller Strenge und Arroganz sah er auf den Mann vor sich, wähnte er sich doch weit über diesem. „Ihr täuscht Euch, Cheriheb, wenn Ihr in meinen Worten eine Bitte zu erkennen glaubtet, die Ihr nach Belieben ausschlagen könnt“ Die Züge des Hohepriesters, waren sie auch vorher schon nicht von Herzlichkeit geprägt, erstarrten zu Stein. Kühl begegnete er dem Blick vor ihm. Auf Ilai hatte er selten furchteinflößender gewirkt und er erkannte, dass er gut daran getan hatte, nie dessen Groll auf sich zu ziehen. „Ein Hohepriester", setzte Seth an und ließ bewusst eine kleine Pause um seinen Titel in die Köpfe der Männer sinken zu lassen, "… BITTET nicht.“ Der Braunhaarige hatte nur geringfügig lauter gesprochen als zuvor, doch die Wirkung wäre wohl nicht furchteinflößender, hätte er die Worte herausgeschrien. Ungläubig und voller Schrecken sahen die fünf Priester zu dem Mann vor ihnen, während seine Worte vermutlich bis in die letzte Ecke des Tempels zu hören waren. Ilai war kein Priester, doch angesichts der kaum sichtbaren Handbewegung Seths vermutete er, dass dieser seine Worte mit einem magischen Befehl unterlegt hatte. Wie sonst war es möglich, dass selbst die Priester nahe des Hypostyl noch zu ihnen hinüber starrten – wo es doch außer der Mauer hinter ihnen keine Wand gab, die den Schall hätte weitertragen können. Auf dem Gesicht des Cheriheb, blass geworden unter seine Bräune, spiegelte sich blankes Entsetzen. Der Hohepriester war der höchste Priester von allen und wurde als solcher in seiner Macht nur noch vom Pharao selbst übertroffen. Ihm oblag die Entscheidung über jeden einzelnen Priester in Ägypten. Zeigten sich die Götter verärgert, hatte er sogar die Macht, unter deren Dienern den Einen zu wählen, der geopfert würde, um sie milde zu stimmen. Mit einmal waren alle Arroganz und alles Gebaren verschwunden – zurück blieben nur unsichere Zweifel in den Augen des Cherihebs und seiner Begleiter. Diese schwiegen noch immer, schienen jedoch ebenso wie ihr Vorsteher noch immer an der endgültigen Wahrheit hinter den Worten von Seth zu zweifeln. Sicher ließ sich ihre Vorstellung bezüglich des zweiten Mannes in Ägypten nur schwer mit dem Bild des verstaubten Reisenden vereinen, welcher nun vor ihnen stand. „Seid Ihr wirklich der Hohepriester? Verzeiht meine berechtigten Zweifel, doch um Eurer Bitte“, der Cheriheb strauchelte sichtlich bei der schnellen Umformulierung seiner Worte, „Eurem ANLIEGEN nachzukommen, bedarf es zumindest eines Beweises. So Ihr tatsächlich unser Hohepriester seid, werdet Ihr sicher wissen, dass unser oberstes Ziel der Schutz dieses Tempels ist. Gewiss tragt Ihr einen Beweis Eurer Worte mit Euch, der Euch über jeden Zweifel erhaben macht. Uns wurde die Botschaft überbracht, der Schutzgott des neuen Hohepriesters sei Set, der Gott des Todes. Wenn Ihr tatsächlich unser Hohepriester seid, so sollte es Euch ein Leichtes sein, dies und Eure Zugehörigkeit zu Amun zu belegen.“ Ilai fragte sich im Stillen, ob der Mann vor Seth sehr mutig oder einfach nur sehr dumm war, um zu einer solchen Frage - wollte man die Unterstellung, Seth sei ein Betrüger - denn als solche auslegen, überhaupt anzusetzen. Seth schien des Redens müde. Er sagte nichts mehr. Stattdessen drehte er ledig seine rechte Handfläche nach oben und hob den Arm so weit, dass alle klar sehen konnten, was er tat. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe er die Hand wieder drehte, auf den Boden deutete und  damit begann, seinen Zeigefinger immer schneller werdend im Kreis zu bewegen. Mit gerunzelter Stirn sahen die fünf Priester zunächst verwundert in das Gesicht ihres Gegenüber, ehe ihre Augen weiter in Richtung des Sandes zu ihren Füßen wanderten. Auch andere Priester hatten damit begonnen, auf die Unterredung aufmerksam geworden, sich der kleinen Gruppe zu nähern. Es dauerte nicht lange, als bereits die Ersten furchtsam zurückwichen. Kaum merklich hatte der Sand unter ihren Füßen damit begonnen, sich zu bewegen, im Kreis zu wirbeln und sich vom Boden zu erheben. Ilai, der dasselbe Phänomen schon vor ihrem Angriff hatte beobachten können, zog sich vorsichtshalber weiter in Richtung der Mauer in seinem Rücken zurück. Flugs schützte er Mund und Nase mit einem Tuch vor dem sich immer schneller aufbauenden Sandsturm. Einem Sandsturm, der seinen Anfang mitten im Innenhof, einer in jede Windrichtung durch Mauern geschützten Tempelanlage, nahm. Inzwischen begann sich überall auf dem Gelände der Sand zu erheben. Spiralförmig baute sich der Sturm immer weiter aus, und die kleinen Sandkörner und Steinchen, welche mit vom Boden aufgelesen wurden, hinterließen teils blutige Striemen auf der Haut mancher Priester. Diese versuchten sich notdürftig zu schützen, indem sie die Arme hochrissen und vor das Gesicht hielten. Als sie jedoch merkten, dass der Sturm nicht nachließ, sondern eher noch schlimmer wurde, sank einer nach dem anderen schutzsuchend auf den Boden und kauerte sich dort zusammen. Allein Seth stand angesichts des Sturms, welcher um ihn herum tobte, noch immer mit gleichgültiger Miene inmitten der Tempelanlage, als ginge ihn das alles nichts an. Ilai betrachtete sich all das, im Schutz des Torbogens stehend und das Gesicht in ein Tuch bergend, aus halbwegs sicherer Entfernung. In den vergangenen Wochen hatte er Seth stets mit seinem Vornamen angesprochen und ihn in den letzten Tagen sogar wie seinesgleichen behandelt. Die nur kurz zurückliegenden Ereignisse hatten ihn fast vergessen lassen, mit wem er unterwegs war. Erstmals seit langer Zeit sah er in der hochgewachsenen schlanken Gestalt wieder den Hohepriester, dem er in einem Zimmer des Palastes das erste Mal gegenübergestanden hatte. Sich seiner eigenen Macht bewusst, wies er die anderen Priester mit dieser kleinen Demonstration erbarmungslos in ihre Schranken. Nicht das geringste Mitleid spiegelte sich auf dessen Gesicht, selbst, als der eine oder andere Priester vor Schmerz zusammenzuckte. Seth, als die zweitmächtigste Person des Reiches, war zugleich der Mann, sollte der Pharao einst ohne Nachfolger sterben, der dessen Aufgaben übernehmen würde. Doch nicht nur seine derzeitige Position verlieh ihm diese Macht. Ilai hatte munkeln hören, dass es nie zuvor einen Hohepriester gegeben habe, der die Kraft Sets und Amun Rahs, dem Schutzgott des Pharaos, zu gleichen Teilen in sich vereinte. /Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Macht nie gegen Ägypten selbst wendet. Die Götter mögen uns beistehen, sollte irgendjemand Seth jemals wirklich wütend machen/, erkannte Ilai, behielt seine Gedanken aber lieber für sich. Stattdessen drängte sich ein weiterer Gedanke wieder in den Vordergrund. Einer, der ihn schon seit Tagen beschäftigte. Jono und Seth. Beide standen an der Seite ihres Pharaos. Nicht nur, um den Sohn der Götter, sondern auch um Ägypten zu schützen. Seine Beobachtungen der vergangenen Wochen hätten einen glauben lassen können, dass sich diese zwei wichtigen Männer nicht verstanden. Für die Entwicklung Ägyptens, hätte dies womöglich zu einem großen Nachteil gereicht. Doch je mehr er den Heeresführer und den Hohepriester beobachtete, desto mehr war ihm bewusst gewesen, dass der erste Eindruck täuschte. Schlimmer als das: das Gegenteil war der Fall. Jono und Seth schienen wie zwei Seiten einer Medaille zu sein. Keiner konnte ohne den anderen leben. Erneut maß Ilai die kalte abweisende Gestalt des Hohepriesters. Der Sandsturm begann sich bereits zu legen, doch noch immer spiegelte sich keine Spur von Mitleid auf Seths Gesicht. /Zwei Seiten einer Medaille…/, dachte Ilai erneut. /Wenn Seth die Seele von Jono ist… dann ist Jono sein Herz…/ Seit dem Beginn ihrer Reise waren gerade einmal ein paar Wochen vergangen und doch war etwas zwischen den beiden gewachsen, das man nur schwer in Worte fassen konnte. Es genügte, die Augen zu öffnen, um zu sehen, dass sowohl Seth als auch Jono sich brauchten wie die Luft zum Atmen. Doch im selben Maße, in dem der Gedanke, dass die zwei sich trotz ihrer Wortgefechte gut verstanden, ihn anfangs beruhigt hatte, fragte er sich inzwischen doch, ob dies wirklich so gut war… /Die Zeit… wird es wohl zeigen./ Abermals sah er auf die Priester, welche es derweil gewagt hatten, sich nach einem furchtsamen Blick in Richtung Seth, wieder zu erheben. „Verzeiht, Hohepriester. Dies ist wahrlich die Macht Sets, die Ihr in Euch tragt.“ Ilai kannte sich nicht aus, vermutete jedoch, dass wohl nur ein Priester mit der Kraft des Set in der Lage war, die Wüstenwinde zu kontrollieren. Den Hohepriester ließ die neu errungene Hochachtung indessen kalt. Es kümmerte ihn nicht, was der Mann dachte, solange das Resultat dasselbe war. „Wenn Ihr…“, zögerte der Cheriheb, „… mir bitte folgen wollt? Ich zeige Euch, wo Ihr und Eure … Begleiter heute nächtigen könnt.“ Seth bedeutete Ilai, dass er dem Mann folgen sollte. Er selbst lehnte ab, da er sich in der Tempelanlage auskannte. Niemand der Anwesenden traute sich, die Herkunft dieses Wissens zu erfragen. Keiner wusste, dass Seth in dieser Gegend geboren worden war und vor seiner Ernennung im Tempel des Anubis gedient hatte. Zu sehr hatte er sich nach den fast zehn Jahren verändert und viele der alten Priester waren inzwischen verstorben. Die Lebenserwartung in diesem Teil des Landes war auf Grund der häufigen Überfälle und zahlreichen Krankheiten nicht sehr hoch. Dem Hohepriester war dies nur Recht. Ohne die Priester weiter zu beachten, machte er sich auf den Weg in Richtung des Allerheiligsten. Wie er den Priestern erklärte, um der im Tempel wohnenden Gottheit seine Aufwartung zu machen. Somit verwunderte es auch niemanden, dass er die Teilnahme am Mittagsgebe ausschlug. Nicht wenige, die seine Machtdemonstration miterlebt hatten, waren dankbar, diesen wahrlich furchteinflößenden Hohepriester während des Gebets an einem anderen Ort zu wissen. ********** Aufmerksam sah Jono sich nach seinem Sprung in den Garten des Tempels um. Selbst nach all den Jahren hatte sich kaum etwas in der Tempelanlage verändert. Letztlich war der gesamte Komplex nicht mal halb so groß wie der Tempel nahe der Hauptstadt, dennoch würde man wohl bis zur Mittagsstunde brauchen, um alle Gänge einmal abzulaufen. Wachsam sah Jono sich nach Priestern um, welche sich womöglich irgendwo in der Nähe aufhielten, konnte aber niemanden ausmachen. Ohne weiter zu warten wanderte er durch die Reihen der in vollem sattem Grün stehenden Obstbäume in Richtung eines Nebeneinganges. Da für gewöhnlich jeder Normalsterbliche den Eingang nutzte und nicht durch den Garten in das Innere des Tempels vordrang, gab es an dieser Stelle niemanden, der ihm den Zutritt verwehrte. Ungesehen gelangte er in den Innenhof, welcher mit symmetrisch nebeneinander stehenden Säulen bestückt war. Rechts von sich konnte er das Pylon sehen, das Eingangstor des Tempels, vor welchem noch immer Seth auf Einlass wartete. Nun, er hatte kein Interesse an solchen Formalitäten. Wenn es um Tempel ging, hatte er sich schon immer selbst eingelassen und auch selbst wieder hinausgefunden. Dazu brauchte es keinen Priester. Zumal beinahe jede Tempelanlage Ägyptens ähnlich aufgebaut war. Angelegentlich betrachtete er den großen Innenhof, welcher sich an die Säulenhalle, das Hypostyl, anschloss. Er selbst befand sich gut verborgen im Schatten der ersten Säule. Er wusste, wenn er die Säulen in entgegengesetzter Richtung zum Pylon durchquerte, würde er schon bald auf das Sanktuar treffen. Der Ort, an welchem die Statuette des Anubis aufgestellt worden war. Links und rechts von dieser heiligen Halle würden mehrere kleinere Räume mit Statuetten anderer schwächerer Götter stehen. Hauptgott dieses Tempels war Anubis und damit genau der, dem er noch etwas schuldig war. Ohne noch länger auf Seth oder Ilai zu warten wandte er sich, sich unauffällig von Säule zu Säule bewegend, in Richtung des geweihten Raumes. Nachdem es ihm ein ums andere Mal gelungen war, sich gerade rechtzeitig hinter eine Säule, eine Mauer oder in eine der zahlreichen Nischen zu drücken, um seine Gestalt vor den Blicken vorbeieilender Priester zu verbergen, wurde er schließlich von tiefer kühler Dunkelheit umfangen. Er hatte das Sanktuar, das Allerheiligste erreicht. Vor ihm erhob sich die aus Ton gefertigte ungefähr sechs Mann hohe und drei Mann breite Götterstatue des Anubis – dem Schutzgott dieses Tempels und der umliegenden Gebiete. Vor der Statue befand sich ein großer glatt polierter Felsblock, geschmückt mit Blumen und einer breiten Schale für diverse Opfergaben. Derzeit befanden sich vornehmlich Früchte und einige kleine Schmuckstücke darin – Gaben von Betenden aus der Stadt, die sich auf diese Weise die Erfüllung eines ihrer Gebete vom Gott des Krieges erhofften. Vermutlich waren all diese Dinge von den Priestern dort hingelegt worden, denn nur wenige Außenstehende gelangten jemals an diesen heiligen Ort. Nicht so sehr, weil es in Tempeln nicht die Möglichkeit gab, selbst einzutreten und sein Gebet persönlich zu entrichten, sondern wegen des Artefakts, welches hinter den dicken Mauern aufbewahrt wurde. Die Priester des Tempels vertrauten nur wenigen. Dies war einer der Gründe, weshalb er schon als Kind immer über die Mauer in den Tempel eingedrungen war. Zum einen hatten ihn die Berichte von den Apfelbäumen gelockt, die er damals im Dorf aufgeschnappt hatte. Zum anderen hatte er sich vermutlich einmal irgendetwas erhofft, wenn er Anubis, den einzigen Gott, der für ihn erreichbar war, um etwas bat. Doch seine Gebete waren nie erhört worden. Niemand sonst hatte seine Mutter und ihn je von Adham befreit. Schlussendlich hatte er es selbst getan – tun müssen. Doch der Preis war hoch gewesen. Damals hatte er begriffen, dass Götter einem nur dann halfen, wenn man sein Schicksal selbst in die Hand nahm. Dennoch hatte er es sich einst nicht nehmen lassen, noch ein letztes Mal in den Tempel zu schleichen, ehe er Asyut für lange Zeit den Rücken kehrte. An diesem einen Tag vor 12 Jahren, hatte er Anubis um etwas gebeten. Doch bis vor einem Jahr hätte er nie geglaubt, das seine Gebete beim Gott des Krieges Gehör fänden. Und mehr als das. Es war an der Zeit, sich dafür zu bedanken. Ein letztes Mal sah er sich um und versicherte sich, dass niemand sich mit ihm im Allerheiligsten aufhielt, ehe er aus den tiefen Schatten des niedrigen Eingangs hervortrat und direkt auf die Statuette und die Schale mit den Opfergaben zuging. Dort angekommen griff er ohne noch einmal zu zögern in die weiten Falten seines Gewandes und förderte ein längliches Messer zutage. In einer fließenden Bewegung schob er das Tuch, welches bis eben sein Haar verborgen hatte, über den Kopf zurück und holte den am frühen Morgen geflochtenen Zopf nach vorn. Geschickt drehte er das Messer in der Hand, hielt seine Haare am Ansatz fest und durchtrennte es. Anschließend leerte er die steinerne Opferschale, welche findige Handwerker aus dem Dorf angefertigt hatten, und legte das eigene Haar hinein. Das Messer noch immer in der Hand, schnitt er sich in den linken Unterarm und ließ einige Tropfen Blut auf das blonde Haar fallen. Die Fackel zur Hand nehmend, die er bereits vor dem Eintreten aus ihrer Halterung gelöst hatte, steckte er das Haar gemeinsam mit seinem Blut in Brand. Er wartete ab, bis auch die letzte Strähne und der letzte Tropfen verbrannt waren, ehe er wieder zur Statue aufsah und ihm stumm für die Erfüllung seines Gebetes dankte. „Welch seltener Anblick“, ließ sich eine Stimme aus Richtung des Einganges vernehmen. „Warst du es nicht, der mir sagte, ich solle daran denken, meinen Schutzgott zu ehren?“, erkundigte sich Jono ohne den Blick zu wenden. Lautlos stellte sich Seth neben ihn. "Ja, aber seit wann hörst du auf das, was ich sage?", merkte Seth mit verborgenem Lächeln in der Stimme an. Nachdenklich und mit leichtem Bedauern im Blick strich der Hohepriester Jono durch das nun stark gekürzte Haar. „Welches Gebet erfordert solch ein Opfer?“, verlangte er zu wissen und deutete mit der anderen Hand auf den linken Unterarm, von dem noch immer Blut tropfte. Jono beachtete es nicht weiter. Stattdessen glitten seine Hände über die zwei goldenen breiten Armbänder, welche links und rechts um seine Handgelenke geschlungen waren – wie auch um seine Fußgelenke. Seth hatte sie ihn weder am Tage noch in der Nacht je abnehmen sehen. „Du hast mich einmal gefragt, warum ich damals nicht zurückgekehrt bin.“ Stumm wartete Seth ab, während Jono noch über seine nächsten Worte nachdachte. Schließlich sah er ihn mit offenem Blick an. „Ich werde es dir erzählen, Seth. Hier, vor diesem meinem Schutzgott, werde ich dir erzählen, was damals geschehen ist, nachdem meine Mutter von Adham getötet und ich von den Dorfbewohnern gejagt worden bin. Es wird das erste und letzte Mal sein. Danach möchte ich diesen Ort verlassen und nie wieder davon sprechen.“ Seth nickte. Er hatte verstanden. Kapitel 53: Verräter und Spion ------------------------------ Dennoch verstrichen noch mehrere schweigsame Minuten, in welchen Jono stumm auf die letzten verglimmenden Reste seiner Haare sah. Tiefe Stille umgab sie. Gleich einer Tunika, gewebt aus schwarz gefärbtem Stoff, schluckten die dunklen Mauern um sie herum beinahe jedes Licht. Trotz der brennenden Mittagssonne, die um diese Zeit hoch am Himmel stand, war es angenehm kühl hinter den dicken Mauern des Tempels. Ein tiefer lang anhaltender Ton bahnte sich seinen Weg durch die Gänge des Allerheiligsten. Das Signal für alle Priester, sich im Hypostil zu versammeln, wo um diese Zeit ein Ritual zur Ehrung des Horus beginnen würde. Jono wusste um die Bedeutung des Signals, hatte er sich doch in Kindertagen oft genug um diese Zeit von Seth verabschieden müssen. Alle anderen Anwesenden im Tempel würden der Zeremonie beiwohnen. Dies war der Moment, auf den er gewartet hatte. Das, was er zu erzählen hatte, ging niemanden sonst etwas an. Ohne, dass er ihn dazu auffordern brauchte, legte Seth, begleitet von einer kurzen Handbewegung und einem gemurmelten Befehl, einen magischen Bann über das Sanktuar. Ein zusätzlicher Schutz, um ungebetene Zuhörer vom Eintreten abzuhalten. Der Heeresführer war dankbar für das unsichtbare Band, welches sich in nur drei Wochen Reise zwischen ihnen gesponnen hatte. Es bedurfte nicht mehr vieler Worte, um sich miteinander zu verständigen. Leise begann er zu erzählen. „Meine Mutter war tot. Adham ebenfalls. Ich brauchte nur in das Gesicht von Aset zu sehen, um zu wissen, was sie von mir dachte. Die Dorfbewohner hatten mich schon immer gehasst. Da meine Mutter jedoch nicht mehr in der Lage war, ihre schützende Hand über mich zu halten, war ich ein Ausgestoßener und in ihren Augen … ein Mörder. Doch was das alles für mich bedeutete, begriff ich erst später. Ich rannte damals zum Fluss, wollte mir das Blut meiner Mutter und von Adham von den Händen und von meinem Körper waschen.“ Er sah auf seinen Unterarm, an welchem das frische Blut langsam trocknete. Bezeichnend hielt er ihn so, dass Seth die rote Kruste, die sich bildete, deutlich sehen konnte. „Es ging kaum ab. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich damals in dem Wasser stand, aber immer wieder schien neues Blut an meinen Händen zu kleben. Es dauerte, bis ich verstand, dass ich selbst auch verletzt war. Durch das Reiben meiner Haut, hatten sich die Wunden wieder geöffnet und neues Blut floss nach. Irgendwann wurde es dunkel und ich hörte auf, mich zu waschen. Aus dem Dorf konnte ich Stimmen hören. Aset, wie sie die Leute zusammenrief und von den Feldern holte. ‚Findet ihn!‘, ‚Tötet ihn‘, ‚Er hat Adham und seine eigene Mutter getötet!‘, schrien sie durch die Gegend. Ich versteckte mich im Schilf. Sie rannten an mir vorbei. Drei Tage ging das so. Wenn Horus hoch am Himmel wanderte, versteckte ich mich, des Nachts schlich ich ins Dorf, um mir Kleidung und etwas zu Essen zu stehlen. Dann…“ Eine kurze Pause folgte. Seth hielt sich mit Fragen zurück. Er wusste einfach, dass Jono ihm diesmal die ganze Wahrheit erzählen würde – auch ohne, dass er danach fragen musste. Der Blonde setzte erneut an. „Dann haben sie Adham und Mutter draußen in der Wüste begraben. Ich habe sie aus der Ferne beobachtet. Anschließend versteckte ich mich noch mehrere Wochen in der Nähe des Dorfes. Eine Höhle, weiter östlich, bot mir Schutz.“ Seine Augen schweiften in eine längst vergessene Zeit, die er am liebsten ganz aus seiner Erinnerung getilgt hätte. „Ich war noch ein Junge. Zu schwach, um allein die Wüste zu durchqueren und zur nächsten Stadt zu gelangen. Also blieb ich in der Nähe des Dorfes, auch wenn ich nicht wagen konnte, mich dort sehen zu lassen. Wenn ich Hunger hatte, stahl ich und wenn ich Durst hatte, schlich ich mich im Schutz des Schilfes zum Fluss. Ich kann nicht sagen, dass man das Leben nennen konnte. Ich habe geatmet, aber ich denke, die meiste Zeit war ich dem Tod näher als dem Leben. Nicht nur einmal habe ich mich gefragt, ob Mutter damals nicht doch die falsche Entscheidung getroffen hat. Ob die Götter mich nicht vielleicht doch lieber tot sehen wollten und dies alles die Strafe dafür war, dass ich damals nicht schon geopfert worden bin.“ Nachlässig zuckte er mit den Schultern. „Letztlich ist es egal. Ich wollte am Leben sein. Also habe ich gekämpft. Keine Ahnung warum. Vielleicht wegen dir.“ Mit einem schwachen Grinsen sah er zu Seth, ehe er zur Anubis-Statue hinaufblickte. Seine Stirn legte sich in Falten, als er an das dachte, was danach geschehen war. „Im Laufe der Wochen konnte ich einige Priester in Begleitung von Dorfbewohnern beobachten. Sie stellten rings um das Dorf Fallen auf. Damals gab es in dieser Gegend viele Schakale, die nicht nur einmal das Vieh der Dorfbewohner angriffen. Im Laufe der Zeit wurden viele von ihnen eingefangen und hier“, er deutete auf den flach polierten Stein, „geopfert.“ Kopfschüttelnd deutete Jono auf die große Statue und den schwarzen Schakalkopf. „Dies ist der Tempel des Anubis. Die Schakale sind sein Ebenbild. Er ist ihr Schutzgott.“ Höhnisch lachte er auf. „Und diese Menschen hier glauben tatsächlich, dass sie Anubis EHREN würden, indem sie seine Kinder, sein Ebenbild töten und ihn als Opfer darbringen?“ Offenbar konnte er dieser verdrehten Vorstellung bis heute nichts abgewinnen. Seth schwieg. Als Priester, welcher in diesem Tempel aufwuchs, war er mit den Riten vertraut, vertrat jedoch insgeheim eine ähnliche Meinung. „Der Gedanke dahinter hat sich mir schon damals nicht erschlossen. Also habe ich sie, wenn ich einen von ihnen fand, wieder freigelassen. Vielleicht tat ich es auch, weil sie mich irgendwie an mich selbst erinnert haben. Geboren, gejagt, getötet, geopfert und zwischendurch der ständige Kampf, am Leben zu bleiben… Ich kann nicht sagen, dass sich auch nur einer von ihnen je bei mir bedankt hätte…“, stellte er lächelnd fest. Im Stillen dachte er an die vielen Bisse und Verletzungen, die er damals davongetragen hatte. An der einen oder anderen Stelle hoben sich noch immer deutlich sichtbare Narben von seiner sonst eher hellen Haut ab.   „… aber sie sorgten indirekt dafür, dass ich danach immer etwas zu Essen hatte“, beendete er seine Ausführung. Den fragenden Blick von Seth richtig deutend, setzte Jono erklärend hinzu: „Irgendwann bin ich auf ein ganzes Rudel gestoßen. Sie jagten und fraßen gemeinsam. Nach ein paar Wochen stellten sie wohl fest, dass ich keine Gefahr für sie darstellte. Sie begannen, mich in ihrer Nähe zu dulden. Mit der Zeit war es für mich immer gefährlicher geworden, in das Dorf zu schleichen. Ich fing an, das Fleisch zu essen, das die Schakale am Ende ihres Beutezuges übrig ließen. Nach und nach gelang es mir, selbst Fallen zu basteln und ein paar Kleintiere zu jagen. Hasen, Mäuse und ab und zu, mit etwas Glück, auch mal eine Gazelle oder ein paar Fische. Keine Ahnung, wann es begann, aber als ich es besser beherrschte, fing ich an, meine Beute mit den Schakalen zu teilen. So, wie sie es zuvor mit mir getan hatten.“ „Dann waren die Schakale, denen wir nahe der Oase begegnet sind…“, setzte Seth an, wurde aber von Jono unterbrochen. „Nein. Und ja. Es ist schon viele Jahre her, seit ich Teil des Rudels war. Die meisten Tiere dürften längst gestorben sein. Aber vielleicht… hat ihnen ja Anubis einen kleinen Hinweis gegeben?“, fügte er nachdenklich hinzu. Seth nickte nur. Er glaubte an die Götter. Und wenn Jono vormals dazu beigetragen hatte, das Leben der Schakale zu erhalten, so hatte sich Anubis womöglich auf diese Weise dafür bedankt. „Irgendwann begriff ich wohl“, fuhr Jono fort, „…dass es so nicht weitergehen konnte. Ab und zu zogen Handelskarawanen am Dorf vorbei, handelten mit Vieh oder Stoffen. Ähnlich der Männer und Frauen, mit denen wir hierher kamen. Lange Zeit hatte ich zu viel Angst, mich ihnen anzuschließen, da auch einige der Dorfbewohner im Schutz dieser Karawanen zur nächsten Stadt reisten. Die Gefahr, erkannt zu werden, wäre zu groß gewesen. Allerdings hatte ich auch nicht vor, den Rest meines Lebens in der Wüste zu verbringen. Also beschloss ich, der Karawane in einigem Abstand zu folgen.“ Um Verzeihung bittend, sah Jono zu ihm auf. „Der Tag, an dem ich zum letzten Mal zu dir kam, war der Tag der Abreise. Ich wollte dich noch einmal sehen, mich von dir verabschieden…“ Stille. „Aber ich konnte es nicht.“ Seine Brust zog sich zusammen, als er an den kleinen Seth von damals dachte. Er war immer darauf bedacht gewesen, ihn nicht spüren zu lassen, was ihm bis dahin alles wiederfahren war. Der kleine braunhaarige Junge war immer der Einzige gewesen, der ihn nie gescholten, geschlagen oder verraten hatte. Sie hatten sich kennengelernt, als er erst sechs Jahre alt gewesen war. Damals war er aus der Not heraus über die Mauer geklettert, um für seine Mutter und sich etwas Essbares aufzutreiben. Von Seth beim Klauen erwischt zu werden, hatte ihm einen großen Schrecken beschert. In Gedanken hatte er damals bereits die Schläge von Adham gespürt und sich selbst auf dem Altar liegend gesehen, während jemand anderes ihm die Kehle durchschnitt. Adham hatte ihm eingeprügelt, dass dies genau das war, was eines Tages mit ihm geschehen würde, wenn er noch einmal klaute oder nicht still war, wenn er sich an ihm verging. Aber Seth hatte ihn damals nicht verraten. Im Gegenteil. Er hatte ihm sogar noch beim Pflücken geholfen und ihm angeboten wieder zu kommen, wenn er Hunger habe. Jono, der solche freundlichen Worte damals nur von seiner Mutter gekannt hatte, hatte die Flucht ergriffen. Und doch hatte es ihn danach immer wieder zum Tempel gezogen. Heimlich hatte er in den Bäumen darauf gewartet, dass Seh seine Arbeit im Garten aufnahm. Er nahm an, dass der junge Priesteranwärter ihn damals sicher zwischen den Ästen gesehen haben musste, doch er hatte nie etwas gesagt. Aber immer, wenn er gegangen war, hatte er wie zufällig zwei oder drei reife Äpfel im hohen Gras am Mauerrand abgelegt, wo die anderen Priester sie nicht sehen würden. Es hatte einige Zeit gedauert aber irgendwann hatte er Vertrauen zu dem Jungen gefasst und angefangen, mit ihm zu sprechen und zu spielen. Was ‚spielen‘ hieß, hatte er bei anderen Kindern des Dorfes gesehen. Heimlich, hinter einer Ecke versteckt. Er selbst hatte nie dazu gehört. Ein Gefühl, das ihn mit Seth verbunden hatte. Auch der junge Priesteranwärter hatte auf dem großen Tempelgelände niemanden gehabt, der mit ihm zusammen gelacht hätte. Wahrscheinlich hatten sie sich deshalb so gut verstanden. „Verstehst du, Seth? Ich wusste, ich würde hier nicht überleben. Ich wusste, dass wir uns wahrscheinlich nach diesem Tag nie wieder sehen würden… aber ich wollte auch nicht ‚Lebewohl‘ sagen. Vielleicht, weil ich trotzdem immer die Hoffnung hatte, dass wir uns doch eines Tages wiederbegegnen würden.“ „Du hättest mir wenigstens sagen können, was geschehen ist.“ Ehrliches Bedauern lag in den Augen des Heeresführers. „Du warst 12, Seth. Es hätte nichts geändert, wenn du es gewusst hättest. Selbst die Priester haben anfangs nach mir gesucht, um mich zu töten. Du hättest mir nicht helfen können.“ Er sah Seth an und wusste, dass er seine Beweggründe verstehen konnte. Noch immer hielt er das Messer in der Hand, mit dem er seine Haare durchtrennt hatte. Ohne Hast legte er es auf den Opferstein und stützte seine Hände auf die kalten Kanten des Sockels. In Erinnerungen versunken, dachte er an das letzte Mal, als er an dieser Stelle gestanden hatte. „Nachdem ich dich im Garten verlassen hatte, kam ich hierher. An diesen Ort. Es war zur selben Zeit. Ihr wart alle draußen. Hier drinnen war alles so… ruhig. Leise. Ich schlich in diesen Raum und schloss einen Handel mit Anubis.“ Skeptisch wanderten beide Augenbrauen von Seth fast bis zum Haaransatz. Niemand schloss einen ‚Handel‘ mit den Göttern. Man konnte die Götter um etwas bitten oder sie anflehen, einem zu helfen - doch niemand würde je auf die Idee kommen, mit ihnen wie mit Händlern zu feilschen. Doch er sagte nichts. „Ich bat Anubis darum, eines Tages hierher zurückkehren zu dürfen, um dich noch einmal wiederzusehen. Im Gegenzug schwor ich ihm, dass er der einzige Gott sei, dem ich je dienen würde, wenn er es zuließe. Das hier“, bezeichnend griff er in seine nun kurzen Haare, „ist mein Dank an ihn, das er seinen Teil des Handels eingehalten hat. Ein Teil von mir, ihm zu Ehren.“ „Man kann mit Göttern nicht verhandeln“, ließ Seth ihn wissen. „Und doch habe ich dich wiedergesehen und bin hierher zurückgekehrt“, wies Jono die Belehrung von sich. Dem hatte Seth schwerlich etwas entgegenzusetzen. „Und die 12 Jahre danach?“, erkundigte er sich stattdessen. „Der Rest ist eigentlich relativ schnell erzählt. Ich folgte der Karawane. Lange Zeit ging es gut, doch bei der Ankunft in einer der Oasen, war ich unvorsichtig. Man entdeckte mich und wie ich es befürchtet hatte, erkannten mich zwei der mitreisenden Dorfbewohner. Sie forderten meinen Tod und ihre Bitte wurde ihnen, nachdem man sie angehört hatte, gewährt.“ Ein Schnauben voller Missbilligung ertönte aus Seths Richtung. „In der Wüste sind die Reisenden einer Karawane bisweilen Ankläger und Richter in einem. Niemand kann es sich leisten, sein Essen mit einem Mörder zu teilen, nur um ihn erst in der nächsten Stadt oder vom Pharao richten zu lassen.“ Während er weiter berichtete, bückte sich Jono und begann die goldenen Ringe von seinen Fußgelenken zu lösen. „Doch ich hatte, wenn man so wollte, Glück. Syrier überfielen, kurz nachdem man mich entdeckte, die Karawane. Sie töteten alle. Ich selbst lag noch immer gefesselt im Wüstensand. Im Gefolge der Männer gab es einige der Söldner aus dem Norden. Ich hatte bis dahin noch nie einen gesehen und kannte sie nur aus den Beschreibungen meiner Mutter. Damals verstand ich ihre Sprache noch nicht, aber da ich ohnehin längst zum Tode verurteilt worden war und sie alle anderen Karawanenmitglieder töteten, rechnete ich nicht damit, dass sie mich am Leben ließen. Doch genauso kam es. Heute denke ich, dass es mein Haar war, das mich rettete. Es war genauso hell, wie das der Nordmänner. Sie lösten meine Fesseln und redeten auf mich ein. Ich verstand sie nicht, also sagte ich nichts. Später hielten sie mich wohl für stumm.“ Das Rascheln der Kleidung zeugte davon, dass Jono sich wieder aufrichtete. Nachdem er die zwei gelösten Ringe auf den Rand des Opfersteins gelegt hatte, machte er sich daran, auch die zwei Reife an seinen Handgelenken zu öffnen und abzustreifen. Als schmerzten die Stellen, an denen er die Ringe so lange getragen hatte, massierte Jono die freigelegte Haut kurz, ehe er, seine Handflächen zurückgebogen, Seth die Unterarme entgegenhielt. Der Hohepriester atmete scharf ein. Auf der Innenseite beider Handgelenke prangten, auf ewig eingebrannt, verschiedene Muster und Symbole. Nachdem Seth sie eingehend studiert hatte, schob Jono zusätzlich den Stoff seiner Tunika hoch und entblößte auf der jeweiligen Außenseite seiner Fußgelenke zwei nahezu identische Muster. „Du warst einer von ihnen?“, hakte der Hohepriester sicherheitshalber noch einmal nach. Seth wusste, dass Zeichen wie diese, syrischen Kindern eingebrannt wurden, sobald diese sich selbst als Mann bewiesen. Es waren Hinweise auf den jeweiligen Stamm, dessen Rang und sein Name. Sollte er im Kampf getötet werden, konnte man einen Mann mit Hilfe dieser Symbole und Muster wiedererkennen und seine Angehörigen informieren. Jono schüttelte den Kopf, während er damit begann, die Ringe nacheinander wieder anzulegen. „Ich bin es noch, Seth. Ich habe nie aufgehört, einer von ihnen zu sein.“ Ein Keuchen entrang sich seiner Brust, während Seth wie gebannt auf die goldenen Ringe starrte, welche nun wieder die Zeichen des Verrats verbargen. „Aber wie bist du…“ „Dem Pharao ist bewusst, was ich bin, Seth“, ließ Jono ihn wissen. „Und nun weißt es auch du. Doch niemand sonst darf je davon erfahren.“ Der letzte Ring schloss sich wieder um das rechte Handgelenk. „Die Nordmänner waren damals wohl der Ansicht, ich sei einer der ihren und wäre von den Ägyptern gefangen genommen worden, um mich womöglich auf dem Sklavenmarkt zu verkaufen. Das ich gefesselt war, war nur ein weiterer Beweis für diese Theorie. Sie nahmen mich mit nach Syrien. Vielleicht war einer der Männer mein wahrer Vater. Ich weiß es nicht. Das werde ich wohl nie erfahren. Ich wehrte mich auch nicht. Ich war am Leben, das war damals alles, was für mich zählte. Wenn man keine andere Wahl hat, dann interessiert es einen nicht, wer einem Essen und Trinken gibt. Es zählt nur das Überleben. Und als einer der ihren haben sie mich auch nicht schlecht behandelt. In Ägypten hatte sich außer meiner Mutter und dir nie jemand um mich gesorgt. Die meisten Ägypter, denen ich bis dahin begegnet war, wollten mich tot sehen. Vielleicht verstehst du also, warum es mir letztlich nichts ausmachte, von da an bei den Syriern zu leben, in deren Obhut mich die Söldner ließen. Auch dort gehörte ich nie dazu. Selbst unter Syriern sind Nordmänner Außenseiter. Doch Syrier erkennen Stärke an und ich, mit der harten Schule, durch die mich Adham geschickt hatte, gewann schnell an Respekt und Ansehen. Sowohl unter meinen Altersgenossen, als auch den Älteren. Schon bald wurde ich als einer der ihren gesehen und zwei Jahre später nahm ich bereits an den ersten Überfällen teil. Manch einer mag es als Ironie sehen, dass ich, der ich nun Ägypten und seine Bewohner schütze, eben jene Bewohner vormals tötete. Aber damals war es mir egal.“ Zögernd, als erwarte er noch immer auf Grund seiner Beichte von Seth zurückgewiesen zu werden, hielt Jono in seiner Schilderung inne. Doch der Hohepriester ließ nicht erkennen, was er von all dem hielt und gab ihm stattdessen mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er fortfahren solle. „In den folgenden Jahren kämpfte ich an der Seite der Syrier und der Nordmänner in verschiedenen Schlachten. Nicht nur gegen Ägypten, auch gegen andere Länder. Ihre Sprache und die Sprache der Nordmänner hatte ich schnell gelernt doch ich hielt mich zurück und sagte nie auch nur ein Wort. Es gab nichts, was ich zu erzählen gehabt hätte. Es dauerte eine Zeit, aber da sie merkten, dass sie daran nichts ändern konnten, akzeptierten sie es." Ein Lächeln blitzte auf und war genauso schnell verschwunden, wie es gekommen war. "Manchmal ist es von Vorteil, wenn Leute glauben, man wäre des Sprechens nicht mächtig. Du wärst erstaunt, wie viele davon ausgehen, dass der Verlust der Sprache in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Fähigkeit des Hörens steht. In meiner Nähe sprachen viele über Dinge, die sie andernfalls wohl zurückgehalten hätten. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie nicht glaubten, ich könne das Gehörte jemandem erzählen. Wer weiß?" Jono schüttelte den Kopf über diesen Irrglauben. "Doch letztlich hatten sie ja auch nichts von mir zu befürchten. Ihre Geschichten scherten mich nicht. Letztlich wäre wohl auch alles so weitergegangen, wenn nicht der Herrscher Syriens einen Krieg mit Ägypten begonnen hätte. Zuvor hatte es stets nur kleinere Gemetzel und Überfälle am Rande der Grenze gegeben. Doch mit einmal ging es um viel mehr. Als einer der besten Kämpfer wurde ich ausgewählt, mit einigen anderen einen Hinterhalt gegen den Pharao zu planen. Damals hielten sich ein paar syrische Spione im Palast auf, welche berichteten, dass Atemu mit einem Teil seiner Armee auf dem Weg zur syrischen Grenze sei, um einen Überraschungsangriff zu wagen und die Truppen zurück zu schlagen. Auch innerhalb der Armee gab es Spitzel, so dass die Syrier immer über die Truppenbewegungen informiert wurden. Schließlich fand man einen Ort, an deren Durchquerung es ein Leichtes sein würde, den Pharao zu überwältigen und zu töten.“ Bezeichnend sah Jono den Hohepriester an. „Pelusium.“ Eine kleine Stadt, nah am Mittelmeer gelegen. Kurz hinter ihr eröffnete sich die Weite der Wüste Sinai und das Gebiet der Syrier.   „Damals wurde ich ausgewählt, Atemu umzubringen.“ Seths Augen weiteten sich, doch er unterbrach den Kleineren nicht. „Ich schlich mich als Rekrut in die Armee ein. Inzwischen waren blonde Haar nicht mehr so auffällig wie früher. Einige Söldner hatten die Seiten gewechselt. Niemand schöpfte Verdacht. Die Zeichen an meinen Armen und Händen verband ich und konnte mich auf diese Weise unerkannt innerhalb der Armee bewegen. Neben mir gab es natürlich sicherheitshalber auch noch andere, die meine Aufgabe vollenden würden, sollte ich versagen. Mein Auftrag war es, Atemu genau im Auge zu behalten und eine Möglichkeit zu finden, mich ihm zu nähern und zu töten. Doch je länger ich ihn beobachtete, desto mehr stellte ich fest, was für eine Art Herrscher er war. Sein Ansinnen war anders als das des syrischen Herrschers. Er kämpfte nicht, um das Reich zu vergrößern oder um mehr Macht zu erlangen, sondern um die Menschen in seinem Land zu schützen. Irgendwann im Verlauf der zahlreichen Wochen musste das dazu geführt haben, dass sich mein Entschluss änderte – auch wenn ich selbst vermutlich der Letzte war, der es bemerkte.“ Noch immer hatte Jono die Nacht, in welcher es ihm gelang, sich in das Zelt von Atemu Zutritt zu verschaffen, klar vor Augen. Es war sehr dunkel gewesen, doch die zahlreichen Fackeln hatten für genügend Licht im Lager gesorgt. Der Standort auf einem kleinen Hügel war gut gewählt worden, da dieser einem einen guten Überblick über die umliegende Gegend bot. Sein Verdienst war es gewesen, dass der junge Mann, welcher Atemu sonst das Obst anreichte … nicht mehr auffindbar war. Mit Hilfe von Bestechung und mehreren kleinen Gefälligkeiten zur rechten Zeit, war er selbst an die Stelle des Dieners getreten. Auf diese Weise hatte er ohne größere Schwierigkeiten bis in das Zelt des Pharaos vordringen können. Voller Demut war er vor Atemu auf die Knie gegangen, hatte die Schale abgestellt und noch in der rückläufigen Handbewegung ein Wurfmesser aus den Falten seiner Kleidung gezogen. Ohne das Entsetzen in den Augen der Umstehenden zu beachten, hatte er das Messer geworfen und dem ersten ohne zu zögern noch zwei weitere folgen lassen. Das Geschrei war groß gewesen. Doch nicht eines hatte sein Ziel getroffen. Es vergingen nur Sekunden, ehe man ihn von hinten packte und zu Boden rang. Ein Chepesch, welches über ihm niederzugehen drohte, hatte seinem Leben umgehend ein Ende setzen sollen. Damals drang nichts, was ihm in dem Moment geschah, in sein Innerstes vor. Er beobachtete all das wie aus weiter Ferne. Mehr Zuschauer, statt Beteiligter, hatte er den Luftzug wahrgenommen, als das Chepesch nach unten, in Richtung seines Genicks, geschwungen wurde. Gerade im letzten möglichen Moment, hatte die Stimme des Pharaos die lauten, durcheinander schreienden Ausrufe der Umstehenden übertönt und seinen Tod verhindert. Harsche Worte waren gesprochen worden, um die Männer davon abzuhalten, den Kopf von seinen Schultern zu trennen. Atemu erstaunte die Anwesenden, indem er alle nach draußen schickte. Niemand zeigte sich darüber überraschter als Jono. Er, der Mann der Atemu kurz zuvor noch umbringen wollte, befand sich auf einmal allein mit ihm im Zelt. Dem Blonden leuchtete zu diesem Zeitpunkt nicht ein, warum Atemu sich selbst einer solchen Gefahr  aussetzte – musste er doch fürchten, dass Jono nur auf eine zweite Chance wartete, um seine Tat zu vollenden. Gleichwohl man den offenen Widerspruch und das Entsetzen ob dieses Befehls in den Augen der Soldaten und der Bediensteten hatte sehen können, waren seine Worte Gesetz und tatsächlich hatte einer nach dem anderen das Zelt verlassen. Auf Bitte des Pharaos wob einer der Feldpriester einen Schutzzauber gegen ungebetene Zuhörer, ehe auch dieser wieder hinausgeschickt wurde. Erst dann, als Jono und er sich allein im Zelt aufhielten, hatte er sich direkt an ihn gewandt.   Folgerichtig musste er feststellen, dass Jono ihn längst hätte töten können, wenn er es denn wirklich wollte. Bezeichnend hielt er ihm die drei Wurfmesser hin und bis zum heutigen Tag konnte Jono nur den Kopf schütteln, auf Grund dieser offensichtlichen Nachlässigkeit des jungen Pharaos. Doch seine vorschnelle Einschätzung entsprang einer aufmerksamen Beobachtung. Letztlich verunstaltete nicht ein einziger Kratzer das Antlitz des Pharaos – was jedoch keineswegs an seiner mangelnden Treffsicherheit lag. Seine Hand hatte sich wie von selbst geweigert einen Mann umzubringen, dem er nach nur wenigen Wochen mehr Respekt entgegen brachte, als er dem syrischen Herrscher gegenüber je empfunden hatte. Dies vermittelte er auch Atemu, als dieser ihn danach fragte, warum er nicht besser gezielt habe. Anschließend unterhielten sie sich über alles Mögliche – auch über den Plan, Atemu umzubringen, den Hinterhalt in Asyut und die Spione innerhalb der Armee. Er wusste bis heute nicht, woran genau es gelegen haben mochte, dass er Atemu binnen dieser kurzen Sekunden zwischen dem Werfen der Messer und dem Verhindern seines eigenen Todes, mit einmal so viel Vertrauen entgegenbrachte, wie kaum einem Anderen zuvor. Und umgekehrt ebenso. Er wusste es nicht genau, da er in der Magie nicht bewandert war, doch vielleicht hatten die Milleniumsgegenstände des Pharaos ihren Teil zu dieser merkwürdigen Situation beigetragen. Vielleicht sah Atemu schon damals etwas in ihm, was er selbst zu dem Zeitpunkt noch nicht hatte erkennen können. Zumindest versuchte er sich dies noch viele Jahre einzureden, um nicht an dem Gedanken zu verzweifeln, dass es womöglich tatsächlich Menschen gab, die es fertig brachten, dem eigenen Mörder vorbehaltlos und grundlos zu vergeben und zu vertrauen. Noch in der Nacht beschlossen sie gemeinsam, dass Jono offiziell und für alle sichtbar gefangen genommen und zum Tode verurteilt wurde. Wie vermutet befreiten ihn einige Syrier später, da er in den voran gegangenen Wochen wichtige Informationen über die Vorgänge innerhalb der Armee sammeln konnte. In der folgenden Zeit ließ er Atemu immer wieder Hinweise zukommen, welche am Ende dazu beitrugen, den Pharao seinerseits ausgezeichnet über die Truppenbewegungen der Syrier zu informieren. Auch die Spione in der eigenen Armee erhielten auf diese Weise nach und nach einen Namen und ein Gesicht für den jungen Pharao. „Wir entschieden uns dazu, die Männer weiter arbeiten zu lassen und sie stattdessen nur noch mit gezielten Informationen zu versorgen, die uns einen Vorteil verschaffen würden.  Nachdem die Grenzen damals erfolgreich verteidigt werden konnten, zog Atemu sich wieder zurück in die Hauptstadt. Ich selbst folgte ihm ein paar Monate später. Aus Sicht der Syrier schlich ich mich abermals in die Armee ein und arbeitete fortan als Spion für sie. Allein Atemu weiß, woher ich meine Informationen beziehe.“ „So hast du von dem geplanten Attentat auf Atemu vor ein paar Wochen erfahren.“ Der Blonde nickte bestätigend. „Im Verlauf der nächsten Jahre habe ich Atemu und diverse Hohepriester“, angelegentlich sah er in die Richtung von Seth, „vor Angriffen dieser und andere Art bewahrt. Meine Erfahrungen als Söldner in der syrischen Armee führte zudem zu einem besseren Verständnis von deren Taktiken. Nicht zu sprechen von den Kampftechniken, die ich mir nicht nur von den Syriern, sondern auch den Nordmännern und Ägyptern aneignete. Jetzt, nach all diesen Jahren, gibt es nur noch wenige, die in einem Kampf auf Leben und Tod ohne Magie gegen mich bestehen könnten.“ „Darum bist du also so sehr darauf bedacht, dass nicht einmal deine eigenen Soldaten wissen, wer sich hinter dem ‚Roten Schakal‘ verbirgt“, fasste Seth zusammen. Ein Senken des Kopfes bezeugte, dass der Hohepriester die richtigen Schlüsse gezogen hatte. „Mit jedem Menschen, der weiß, wer sich hinter Anoubis verbirgt, vergrößert sich die Gefahr, dass man auch mir falsche Informationen zukommen lässt und mich benutzt, um Atemu zu schaden.“ „Nicht zu sprechen von der Gefahr für dein eigenes Leben.“ Ein unwilliges Schnauben machte deutlich, wie hoch Jono sein eigenes Leben schätzte. Seth ahnte, dass kaum etwas in der Lage wäre, den Jüngeren von seiner vorgefassten Meinung abzubringen. Für Außenstehende war es leicht ersichtlich, dass es viele Menschen gab, welchen an einem Weiterleben Jonos sehr gelegen war. Pharao Atemu, seine Mutter, die ihr Leben für ihn gegeben hatte, sowie viele seiner Soldaten – allen voran Ilai – waren nur einige  der vielen. Ganz zu schweigen von ihm selbst. Eine Zeit lang kehrte Stille in das Allerheiligste ein. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Erst, als sich der Gesang der Priester auf leisen Sohlen in die Gemächer des Anubis schlich, wurden sie wieder der Zeit gewahr, welche seit ihrem Eintreten verstrichen war. Die Gebete waren beendet. Mit einem letzten Blick auf die heilige Statue des Anubis wandten sich beide im stillen Einvernehmen ab und strebten dem Ausgang entgegen. Dort angekommen hob Seth kurz die rechte Hand und vollführte eine schlingernde Handbewegung, als würde eine Schlange sich durch die Dünen der Wüste gleiten lassen. In Begleitung eines kurzen magischen Befehls folgte der Sand zu ihren Füßen, welcher den ganzen Boden des Allerheiligsten bedeckte, der Bewegung. Kaum sichtbar für das Auge, wirbelten die feinen Körnchen auf und ordneten sich neu. Alle Fußspuren verschwanden und damit auch jeder Beweis, dass Jono oder er diesen Ort betreten hatten. Kapitel 54: Zwischenzeitlich... ------------------------------- Sooo... kurz vor dem neuen Jahr hier nun doch noch ein weiteres Kapitel. Derzeit habe ich wenig Zeit und es geht viel langsamer, aber ich hoffe, dass es immer noch Interessierte gibt, welche die Geduld haben und Nachsicht üben und trotzdem das nächste Kapitel lesen. Danke für die lieben Kommis! Ich freue mich immer darüber, auch wenn ich nicht mehr jedem einzeln antworten kann. Allen ein frohes neues Jahr 2014! Feiert schön! ^.~ ______________________________________________________________________________ Doch statt sich wieder dem Ausgang zuzuwenden, bog Seth wenig später nach rechts ab und führte Jono geradewegs in eine der kleinen Nebenkammern des Allerheiligsten, in welchem ebenfalls in kleinem Rahmen geopfert und gebetet werden konnte – allerdings den anderen Göttern des Landes. Jeder Raum galt als Aufenthaltsraum für einen dieser mächtigen Herrscher. Auch hier war es strengstens untersagt, die Ruhe zu stören, da man nie wissen konnte, wann die Götter sich dazu entschieden, in eine der Statuen zu fahren. Der Hohepriester ignorierte jedoch sowohl die Götterstatue als auch den kleinen Opferstein, welcher sich in dem von ihm gewählten Raum befand. Stattdessen trat er hinter den Stein, welcher nahe an der rechten Wand stand und studierte aufmerksam die dortigen Schriftzeichen. Jono verhielt sich zunächst still. Er kannte nur ein paar der kleineren Räume, da er die meiste Zeit während seiner heimlichen Tempelaufenthalte im Garten der Anlage verbracht hatte. Doch während er sich einmal nach rechts und links umsah, musste er zu seiner Enttäuschung feststellen, dass auch dieser Raum mit nichts nennenswert Neuem aufwartete. Das einzige Faszinierende in diesem sonst leeren Gewölbe, war die kleine Horusstatue, welche mit außergewöhnlicher Kunstfertigkeit ausgearbeitet war. Interessiert beugte er sich näher, um den Falkenkopf und die kleinen goldenen Verzierungen zu studieren, wurde dessen aber schnell überdrüssig. Da er noch nicht recht wusste, was Seth in diesem Raum zu finden hoffte, blieb ihm zunächst nichts Anderes übrig, als zu warten. Angelegentlich begab er sich ebenfalls hinter den Stein und versuchte, den Zeichen an der Wand einen sinnvollen Inhalt abzugewinnen. Entgegen vieler anderer Wände in der Tempelanlage, war diese nicht mit den üblichen Bildern ausgestattet, welche die Geschichte des im Raum wohnenden Gottes verständlich wiedergab, sondern mit einer langen Reihe von Hieroglyphen. Seufzend lehnte er sich zurück. So nachdenklich, wie Seth auf diese Zeichen starrte, musste es wichtig sein – und würde wohl noch dauern. Ein schepperndes Geräusch hinter ihm sorgte allerdings dafür, dass Jono kurz darauf Seths ganze Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Erschrocken wandte der Heeresführer sich um und stellte fest, dass Horus, welcher bis eben noch unschuldig hinter ihm gestanden hatte, inzwischen in diverse nicht definierbare Einzelteile zerlegt, auf der anderen Seite des Opfersteines lag. „Verflucht!“, entfuhr es ihm unwillkürlich. Ihm waren schon öfter Dinge aus der Hand gerutscht. Bisweilen geschah es, dass er, in Gedanken versunken, etwas mit seinem langen Zopf, seinem Chepesch oder seinem Ellbogen zerlegte. Neben diversen Tellern, Bechern, der ein oder anderen Keramikschale und ein paar Vasen gab es nur wenig, was er noch nicht in Stücke gebrochen hatte. Die Statue eines Gottes zu zertrümmern, gehörte aber selbst angesichts dieser langen Liste zweifelsfrei zu seinem Meisterstück. Sicher, er hatte, wie Seth richtig vermutete, des Öfteren bereits das eine oder andere Ebenbild der Götter zum Ärger des Hohepriesters aus den Altarräumen des Horustempels entfernt – und sich köstlich darüber amüsiert, wenn die jungen Priester wie aufgescheuchte Hühner umher gerannt waren, um das Verschwinden und wieder Auftauchen wahlweise als Fluch oder Segen zu deuten. Der entscheidende Punkt war aber, dass er sie immer wieder zurückgebracht hatte. Heil. In einem Stück. Ohne Kratzer. Beunruhigt sah er auf Seth, welcher noch immer ungläubig auf die Einzelteile starrte, welches einmal den Schutzgott des Reiches und damit auch den des Pharaos dargestellt hatten. Nicht, dass Jono diverse Flüche oder einen Vergeltungsschlag des betreffenden Gottes fürchtete. Im Gegenteil. Durch sein bewegtes Leben sowohl bei den Ägyptern als auch den Syriern und Nordmännern, war er bereits mit zahlreichen Göttern in Kontakt gekommen. Bisher war es keinem der Menschen gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass einer dieser Götter sein Leben lenkte und mehr Einfluss auf ihn ausübte, als ein anderer. Daher nahm er sein Geschick lieber selbst in die Hand. Gleichwohl er somit nicht an die allumfassende Macht des Horus glaubte, glaubte er doch an den Zorn des Seth. Einer sehr realen und mehr als gläubigen Person, welche nun vor ihm stand und ihn mit tief gen Nase gezogenen Augenbrauen musterte. „JONO!“, verlieh dieser mit nur einem Wort seinem Zorn Ausdruck. Sicherheitshalber wich der Heeresführer einen Schritt zurück. Bei Seth konnte man nie wissen, was er tun würde, wenn jemand sich an seinen Sachen vergriff. Besonders, wenn es sich um seiner Ansicht nach heilige Sachen handelte. Und als Hohepriester gehörte ihm nahezu alles, was sich in den Tempeln des Landes befand. Besagter Mann versuchte ihn indes noch immer in Grund und Boden zu starren. Dies war vielleicht einer der wenigen Momente, in welchen Jono sich wünschte, lieber nicht wissen zu wollen, was in dessen Kopf ablief. Entgegen seinem Willen konnte er im Spiegelbild von Seths Augen jedoch nur allzu deutlich erkennen, wie dieser ihn gedanklich zuerst vierteilen ließ, ehe er ihm sicherheitshalber den Kopf abriss – selbstverständlich eigenhändig – die Einzelteile getrennt voneinander verbrannte, die Asche in alle vier Himmelsrichtungen verstreute und seinen Kopf schließlich auf einen Spieß steckte. Der Spieß wiederum wurde, zu seiner ewigen Qual und Erinnerung, vor den Tempel des Horus gestellt, mit Blick in Richtung der Tempeltüren – als Abschreckung für alle anderen. Jono wusste einfach, dass Seth genau dies derzeit ernsthaft erwog - immerhin hatten sie sich schon als Kinder darüber ausgetauscht, was sie demjenigen antäten, der ihnen einmal großen Schaden zufügte. Kinder entwickeln bei der gedanklichen Bestrafung ihrer Intimfeinde bisweilen eine rege Fantasie. Und auch wenn die Theorie bereits einige Jahre in der Vergangenheit lag, rechnete Jono nicht damit, dass Seth sie heute nicht mehr in die Praxis umsetzen würde. Im Gegenteil. Womöglich spielten inzwischen auch einige neumodische Foltermethode eine tragende Rolle...   Angesichts dieser wenig erquickenden Aussichten, griff Jono reflexartig auf das einzige Mittel zurück, welches ihn womöglich vor dem sicheren Tod bewahren konnte. „Entschuldigung“, brach es aus ihm hervor. Seth, welchem bereits eine harsche Entgegnung auf der Zunge lag, hielt angesichts des unerwarteten Wortes inne. Sah man in das Gesicht des Heeresführers, kam man nicht umhin zu bemerken, dass diesem sein Versehen tatsächlich leid tat. Unwillkürlich dachte Seth an die letzten Monate im Palast. Durch die Gespräche seiner Diener erfuhr er bereits nach wenigen Tagen, dass Jono sich hin und wieder äußerst ungeschickt anstellte. Bis heute hatte er diese Unterstellung für ein pures Gerücht gehalten. Oder für eines von vielen weiteren Kleinigkeiten, die Jono unternahm, um nicht mit dem Heeresführer Anoubis in Verbindung gebracht zu werden. Denn wer konnte glauben, dass ein Mann, der in der Lage war, mehr als nur ein Chepesch mit höchster Präzision und Eleganz zu führen, bisweilen dazu neigte, ohne ersichtlichen Grund Dinge fallen zu lassen oder umzuwerfen? Doch nun, da er so vor ihm stand, die kaputte Statue auf der anderen Seite des Steines, wurde ihm klar, dass die Diener vermutlich nicht übertrieben hatten. Angesichts der Entschuldigung und des erschrockenen Ausdruckes in den Augen, als er auf die Figur blickte, erkannte er deutlich, dass er die Statue nicht absichtlich zerstört hatte. /Dennoch/, dachte Seth im Stillen und ohne seinen Gedankengang sichtbar nach außen zu tragen, /Strafe muss sein. Immerhin hat er nicht nur einmal für Unruhe in meinem Tempel gesorgt./ Er kam nicht umhin, sich auszumalen, was er in dieser Situation alles von dem Blonden verlangen konnte und fragte sich, wie weit Jono wohl gehen würde, um ihn wieder milde zu stimmen. Mit ernstem Gesicht trat er näher. „Wie genau, gedenkst du, den Schaden wieder gut zu machen?“ Nachdenklich sah Jono auf die Einzelteile, ehe er sich wieder Seth zuwandte. „Mit Leim?“, schlug er vor. Seth schüttelte den Kopf. Es ließ sich schwer einschätzen, ob der Blonde ihn mit Absicht falsch verstand oder wirklich nicht wusste, worauf er anspielte. Er musste also deutlicher werden. „Dir ist klar, dass du dich sicher nicht bei mir entschuldigen musst.“ "Muss ich nicht?", wagte der Blonde halb scherzend halb verunsichert zu fragen. Seths Blick umwölkte sich. Jono hielt inne. Ihm schien zu dämmern, dass sein Gegenüber auf etwas Anderes hinauswollte. „Nein", bestätigte er, nachdem er des Effektes halber einen Augenblick mit seiner Antwort wartete. "Deine Abbitte gebührt dem Gott, dem du in diesen seinen geheiligten Räumen geschadet hast.“ Misstrauisch werdend, sah der Blonde den Größeren an. „Und… wie genau stellst du dir das vor… Hohepriester?“, verlangte er zu wissen. „Ich denke, dass ein Besuch im Haupttempel des Horus das Einzige ist, das ihn milde stimmen wird.“ Unnütz zu erwähnen, dass Seth, als Hohepriester des Pharaos, die Aufsicht über alle durchgeführten Rituale im Tempel des ägyptischen Schutzgottes führte. Jono dachte nach. Dann nickte er zögernd. Letztlich erschien dies immer noch die bessere Variante zu sein – angesichts der anderen Möglichkeiten, welche er in Seths Augen kurzfristig aufflackern sah. „Wenn es denn…“, Jono fiel es sichtlich schwer, die anschließenden Worte zu formulieren, „der Wunsch des Gottes ist, werde ich gleich nach unserer Ankunft den Tempel aufsuchen und Abbitte leisten.“ „Gut, das ist ein Anfang“, ließ Seth ihn wissen. Der Blonde horchte auf. „Ein Anfang?“ Als wäre dies eindeutig und stünde außer Frage, sah Seth mit strengem Blick auf seinen Liebhaber. „Sicher. Immerhin hast du die Götterstatue des Horus zerstört. Allein geschaffen, um seiner Seele eine Heimat zu geben, wenn er hier einkehren will. Indem du sein Ebenbild zerstört hast, hast du ihn nicht nur eines Körpers beraubt, sondern auch Unheil über diesen Tempel, diese Stadt und alle seine Bewohner gebracht.“ Da Seth wusste, dass Letzteres womöglich eher ein Anreiz für Jono darstellte, seiner Aufforderung nicht nachzukommen, setzte er noch hinzu: „Auch Ilai und deine anderen Untergebenen, sowie ich, werden vom Fluch des Horus heimgesucht werden, wenn du nicht…“ „SCHON gut!“, unterbrach Jono den Priester, da er vermeiden wollte, dass Seth ihm in seiner Litanei womöglich noch die Schuld an allem Unheil in den kommenden einhundert Jahren zuschrieb. Etwas, das seiner Ansicht nach vollkommen übertrieben war. Leicht gereizt sah er zu dem Hohepriester. „Also? Was soll ich NOCH tun?“ Seth wusste, dass er gewonnen hatte. „Du nimmst an allen wichtigen Ritualen des Gottes Horus teil.“ Missmutig stimmte Jono zu. Er hasste diese Rituale - und Seth wusste es. „Welche Rituale wichtig sind und an welchen Tagen du dementsprechend im Tempel zu erscheinen hast, bestimme ich.“ Abermals gab Jono sein Einverständnis. Zufrieden reichte ihm Seth die Hand. Auffordernd sah der Hohepriester auf das entsprechende Gegenstück an Jonos Seite. „Gib mir dein Wort.“ Angesichts der zahlreichen wichtigen Rituale, welche ständig im Tempel des Horus zu dessen Ehren stattfanden – immerhin war er der wichtigste Gott des Landes – zögerte Jono ein letztes Mal, ehe er zum Zeichen seines Einverständnisses, sein Versprechen mit Handschlag besiegelte. Als läge ein unsichtbarer Zauber in dem warmen Händedruck, breitete sich ein siegessicheres Lächeln in dem Gesicht des Priesters aus. Noch immer die Hände miteinander verschränkt, zog er Jono kurz zu sich heran, ehe er diesem einen kurzen aber liebevollen Kuss aufdrückte. Nebenbei hob er seine andere Hand, die Handfläche in Richtung der Statue gedreht und löste sich langsam von den Lippen seines Geliebten. Mit unangemessen breitem Grinsen trat er auf das zerbrochene Gebilde zu und nahm nun auch die zweite Hand zu Hilfe. Mit nur wenigen einfachen Bewegungen durch die Luft, fügten sich binnen Sekunden die einzelnen Scherben wieder zu einer kompletten Figur zusammen. Noch immer zogen sich an den Bruchstellen deutlich sichtbar viele zarte Risse durch die feine Keramik. Doch auch hier half ein kleiner Funke Magie. Indem Seth vorsichtig über die einzelnen Risse strich, schloss sich ein Spalt nach dem anderen und das zerbrechliche Material fügte sich an den betreffenden Stellen zusammen, als sei nie etwas geschehen. Während der gesamten Prozedur warf Seth mehr als nur einen verstohlenen Blick auf die vor Unglauben geweiteten Augen seines Begleiters. Als die Figur schließlich wieder wie neu aussah, stellte er sie vorsichtig zurück auf den ihr angedachten Platz und wandte sich, als würde er den Ausdruck auf Jonos Gesicht nicht bemerken, wieder der Wandschrift zu. „Du hast mich reingelegt!“, ließ der Blonde sich schließlich empört vernehmen. „Ich wüsste nicht, womit.“ „Immerhin dachte ich, das Teil wäre kaputt.“ „Das war es ja auch.“ „Sicher. Aber du hast nicht gesagt, dass du es mit einem Fingerschnipsen wieder reparieren kannst.“ Selbstsicher sah Seth ihn an. „Es ist schwerlich meine Schuld, wenn du mir nach all der Zeit nicht einmal zutraust, eine simple Keramikfigur wieder zusammensetzen zu können.“ Angriffslustig starrte Jono auf die Figur, welche nun wieder unschuldig hinter dem Opferstein stand, und auf die Seele wartete, welche in ihr wohnen sollte. Es war unschwer zu erkennen, dass Jono in diesem Moment ernsthaft mit dem Gedanken rang, die Statue noch einmal zu zerstören – diesmal mit Absicht. „Ich denke, dass ich dich nicht daran erinnern muss, dass unser Handel trotzdem Bestand hat. Immerhin HAST du die Figur kaputt gemacht und damit einen Gott verärgert.“ Missmutig musste Jono ihm zustimmen – selbst wenn ihm klar war, dass Seth seine Situation schlicht ausgenutzt hatte. Letztlich hielt er seine Versprechen immer, wenn es ihm möglich war. Selbst ohne magisches Band, das wusste Seth nur zu gut, würde er zu seinem Wort stehen. /Allerdings…/, durchzuckte Jono eine Idee, /… habe ich ihm weder versprochen, wie ich zu diesen Ritualen erscheine, noch wo genau ich daran teilnehmen werde. Immerhin hat er nur ‚im Tempel‘ gesagt – nicht ‚im Allerheiligsten‘. Die Bäume der Tempelanlage sahen sehr gemütlich aus./ Zufrieden mit diesen Gedanken, widmete er sich wieder voll und ganz der Rückansicht von Seth. Dieser würde schon früh genug merken, dass er auch in näherer Zukunft nicht vorhatte, sich etwas von einem Hohepriester sagen zu lassen. Besagter Priester war noch immer dabei, den Text zu Ende zu lesen. Im Stillen bedauerte Jono, dass er des Lesens nicht mächtig war. Auch das Malen ging ihm nur schwer von der Hand. Es gab Tage, da wünschte er sich, so malen zu können, wie er es oft an den Wänden der Tempel oder an den Palastmauern bewundern konnte. All diese Figuren und Götter. So filigran gezeichnet. Auch die Herstellung von Farben hatte ihn stets fasziniert – bargen diese aus Pflanzen und Wasser bestehenden Gemische doch einen ganz eigenen Zauber. Aber dies waren Fähigkeiten, die in seinem bisherigen Leben keinen Platz fanden. Weder das Malen noch das Lesen oder Schreiben hätte ihm in der Vergangenheit in Syrien oder Ägypten seinen Magen gefüllt oder ihn am Leben gehalten. Er lernte schnell – doch immer nur das, was er zum Überleben brauchte. Kämpfen, ringen, reiten, Kriegsführung, Taktiken – Fähigkeiten, die ihn und andere nicht nur einmal davor bewahrt hatten, frühzeitig den Kopf zu verlieren. /Vielleicht, irgendwann einmal… werde ich die Zeit haben, das Malen oder Schreiben zu lernen…/, streifte ein kleiner sehnsüchtiger Gedanke durch seinen Kopf. Bis es soweit war, würde er sich auch weiterhin auf die Fähigkeiten von Seth verlassen müssen. Immerhin wurde bereits Priesteranwärtern das Lesen und Schreiben der Schriftzeichen beigebracht. Dieser war inzwischen fertig und tastete mit seinen Fingern den unteren linken Rand der Wand ab. Interessiert sah Jono dem Priester dabei zu, wie dieser immer wieder ein ums andere Mal ein Wort murmelte, kurz mit der Hand über eines der Zeichen fuhr, ehe er schließlich aufstand und dasselbe an einzelnen Wandbildern im Raum wiederholte. Erst, als er wieder am Ausgangspunkt anlangte, wurde der Sinn hinter dem ganzen Gebaren deutlich. Mit einem knappen Befehl drückte Seth schlussendlich nur noch einmal leicht gegen die beschriftete Wand hinter dem Opferstein. Beinahe gleichzeitig konnte Jono um sich herum die Umrisse der Bilder und Schriftzeichen in goldenem Licht aufleuchten sehen, ehe sich die so massiv erscheinende Wand vor ihnen mit einem dunklen Grollen zur Seite schob. Ohne lange zu zögern, entnahm Seth einer der Wände eine Fackel und betrat den dunklen Gang. Gleich nach den ersten Schritten entflammte er eine der zahlreichen Fackeln, welche den Weg nach unten säumten. Der Hohepriester machte sich nicht die Mühe, sich umzusehen, als er hörte, wie langsame Schritte ihm folgten. Jono war von Natur aus neugierig – was ihn als Kind letztlich überhaupt erst in den Garten des Tempels geführt hatte. ~~~~~~~~~ Langsam und sich nur schwer von seinen Träumen losreißen könnend, erwachte Joey halb auf dem Bett von Seto liegend. Das Buch, welches er eigentlich hatte lesen wollen, war ihm vermutlich aus der Hand gerutscht. Blinzelnd öffnete er seine braunen Augen und starrte geradewegs in zwei blaue Gegenpaare. Keiner von ihnen sagte einen Ton. Ein Blick auf die auf dem Bett lose in einander verschränkten Hände machte deutlich, dass sie soeben wahrscheinlich dieselbe längst vergangene Erinnerung mit einander geteilt hatten. Die Lider geschlossen richtete Joey sich in seinem Stuhl auf und bemerkte erst jetzt, in welch unbequemer Position er – ein Blick auf die Uhr folgte – die letzten drei Stunden verbracht hatte. Dennoch, um ganz sicher zu gehen, warf Joey versuchsweise ein paar Brocken in den Raum. „Ägypten. Tempel des Anubis, kurz bevor wir das Artefakt geholt haben?“ Seto, die Augen auf Halbmast gesenkt, ihn jedoch genau beobachtend, nickte bestätigend. „Als du gerade deine Haare in Brand gesteckt hast.“ Seufzend lehnte sich Jono zurück. Seine eigenen Erinnerungen hatte er in chronologischer Reihenfolge zurück erhalten. Sollte dies bei Seth ebenfalls der Fall sein, war er noch ein gutes Stück von dem Tag entfernt, an den er sich besser nicht erinnern sollte. Immer noch erschöpft deutete Seto auf die blonden Strähnen von Joey. „Wozu?“, war seine einzige Frage, doch der Blonde wusste, worauf er hinauswollte. Reflexartig griff er sich in sein langes Haar, welches er im Nacken mit einem Gummi zusammengebunden hatte. „Diesmal ist es nur ein Gebet. Eines, das längst erhört wurde, also sollte ich sie wohl wieder abschneiden“, ließ Joey den Liegenden wissen und kam nicht umhin, dass ein wenig Blut den Weg in seine Wangen fand. Seto sah ihn einige Sekunden versonnen an. „Lass es so“, verlangte er schließlich. „Es gefällt mir.“ Den Kopf schräg gelegt, schaute Joey ihn fragend an. „Immerhin hast du es wegen mir wachsen lassen.“ Kapitel 55: Der Morgen danach ----------------------------- Hier nun also endlich mal wieder ein neues Kapitel. Es ist ein Adult - Kapitel und ich hoffe, dass alle es lesen können. Genießt die Wärme draußen. Der Winter kommt früh genug. ^.~ Solltet ihr doch lieber drinnen sitzen und lesen wollen, bin ich allerdings die Letzte, die es euch übelnehmen würde. Ein Kommi ist jederzeit herzlich willkommen, daran hat sich nichts geändert. In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen. LG seththos _____________________________________________________ Oktobermorgen. Der inzwischen kühler werdenden Luft nachspürend, welche durch die Fenster kroch, öffnete Seto gemächlich seine Augen. Vorsichtig streckte er den linken Arm ein wenig, öffnete und schloss die Hand, um wieder Blut durch seine Venen zu pumpen. Den Schlaf fortblinzelnd, strich er mit einer liebevollen Geste ein paar blonde Strähnen aus dem Gesicht von Joey, welcher dicht neben ihm lag. Unbewusst verzogen sich seine Lippen zu einem schmerzlichen Lächeln, als er feststellen musste, dass sein rechter Arm, den er des Nachts um den Kleineren geschlungen hatte, eingeschlafen war. Noch immer lag Joey mit seinem Gewicht halb auf ihm, so dass er ihn schwerlich wegziehen konnte, ohne den Anderen aufzuwecken. Sich damit abfindend, dass sein Arm wohl auch nach dem Aufstehen noch einige Zeit taub bleiben würde, musterte er das noch schlafende Gesicht vor sich. Fasziniert strich er ihm zwei weitere Strähnen über den Kopf nach hinten und hielt sie dort fest, um Joey in aller Ruhe, ohne dass er ihn daran hätte hindern können, in Augenschein zu nehmen. Nur selten hatte er den Kleineren so ruhig neben sich liegen gesehen. Gleichwohl sein gleichmäßiger Atem ein sicherer Hinweis darauf war, dass er noch immer im Traumland weilte, war sein Gesicht keineswegs ausdruckslos. Ein stilles zufriedenes Lächeln hatte sich in seine Züge gegraben. Kitschige Phrasen wie ‚engelsgleich‘ gehörten für gewöhnlich nicht in den Wortschatz von Seto Kaiba. Dennoch fiel ihm zu seinem großen Bedauern kein anderes Adjektiv ein, welches Joey in diesem Augenblick besser beschrieben hätte. Sein kleiner Bruder hatte ihn einmal gefragt, ob er glücklich sei. Rückblickend musste er erkennen, dass Glück kein Gefühl wie Liebe oder Zuneigung war, das man selbst empfand. Glück war etwas, das einem nur gegeben werden konnte. Etwas, das man erhielt, wenn alles für einen kurzen Augenblick im Leben sich einfach ‚richtig‘ anfühlte. Hätte ihm sein Bruder diese Frage heute noch einmal gestellt, wäre die Antwort in diesem kostbaren Moment, in dem er hier lag, mit Joey in seinem Arm, wohl eindeutiger ausgefallen, als noch vor ein paar Jahren. „Morgn‘“, nuschelte es leise neben ihm. Braune Augen sahen verschlafen in seine. Seto antwortete mit einem unverständlichen Grummeln. Er wusste, dass Joey ihn verstand. Einige Minuten verbrachten sie in einträglicher Stille, eng aneinander geschmiegt. Vielleicht lag es an der Ruhe, die sie umgab, dass Seto die Hand erst bemerkte, als sie sich bereits bis in seine Lendengegend vorgeschlichen hatte. Forsch strichen ein paar warme Finger über seinen steifen Schaft. Wie zu jeder frühen Stunde, seit er Joey in diesem Leben das erste Mal nackt gesehen hatte, zeigte sein Körper am nächsten Morgen deutlich, wie sehr es ihm nach dem Blonden verlangte. Warnend sah er auf Joey, welcher ihn nur unschuldig anblinzelte und erneut seine Erregung mit der Hand massierte. Aufstöhnend nutzte Seto seine freie Hand, um in Joeys Haare zu greifen. Ohne ihm Schmerzen zuzufügen, sorgte er dafür, dass dem Blonden keine andere Wahl blieb, als ihn anzusehen. „Hör auf, oder ich garantiere für nichts.“ Vollkommen unbesorgt, angesichts der dunklen Drohung, welche sich hinter seinen Worten verbarg, schlüpften zwei Finger neckend in seine Unterhose und umspielten die feuchte Spitze von Setos Schaft. „Vergiss es. Heute gibt es nichts, was du dagegen tun könntest. Ohne deine Magie und so erschöpft wie du bist, bin ich stärker als du.“ Ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen, massierte Joey das feste Fleisch unter seinen Fingern und genoss es, zu beobachten, wie Seto langsam die Kontrolle verlor. Sein Atem ging inzwischen merklich schneller und wie von selbst schob sich ein ums andere Mal dessen Hüfte vor, um den begonnenen Rhythmus zu steigern. Doch Joey ließ sich nicht drängen. Nach dem kläglichen Versuch, Joeys Körper mit nur einem Arm von sich zu schieben, um selbst die Führung zu übernehmen, musste Seto einsehen, dass der Kleinere wohl Recht hatte. Noch immer litt sein Körper unter den Nachwirkungen des plötzlichen Magiegebrauchs. Allein das Heben einer Kaffeetasse, könnte sich an diesem Morgen als echte Herausforderung erweisen. Ergeben ließ er sich zurück in die Kissen sinken und gestattete Joey, ihn weiter mit der Hand zu verwöhnen. Nicht jedoch, ohne ihm im Stillen Rache zu schwören. Er wusste, das Joey seine Gedanken erriet, denn seine Augen schienen ihm mitzuteilen, dass er sich schon jetzt darauf freute, alles mit gleicher Münze heimgezahlt zu bekommen. Doch bis es soweit war, behielt Joey die Oberhand. Was in diesem Fall sogar wörtlich zu nehmen war. Inzwischen hatte dieser seine Hose ein Stück weit nach unten gezogen und sein steifes Glied lag fest in den Händen des Blonden. Dessen Kopf wanderte inzwischen nach unten und nahm die Bettdecke Stück für Stück mit sich mit. Kühle Luft streifte über den Oberkörper des Firmenchefs. Dieser realisierte flüchtig, dass irgendjemand ihn vor ein paar Stunden umgekleidet haben musste. Gebannt starrte er auf Joey, dessen Mund inzwischen auf Höhe seiner Hüfte angekommen war. Fasziniert beobachtete der Braunhaarige die kleine Zunge, die sich vorwitzig über die Lippen leckte, während die dunkelbraunen Augen auf sein heißes Fleisch sahen, als sei soeben ein köstliches Mahl serviert worden. Noch bevor Joey ihn überhaupt berührte, entrang sich seiner Brust bereits bei diesem Anblick ein gequältes Stöhnen. Doch sobald er heiße Lippen auf der Spitze seines Gliedes spürte, waren auch diese Gedanken vergessen und er war dankbar, dass sein Butler oder Joey gestern geistesgegenwärtig die Fenster geöffnet hatte. Von seiner Mitte aus schienen kleine Flammen über seinen Körper zu züngeln. Die süße Qual, die Joey ihm mit seiner Zunge bereitete genießend, schloss Seto die Augen. Immer wieder befeuchtete der Blonde seinen Schaft und ließ diesen mal langsam mal schnell aus seinem Mund hinaus und wieder hinein gleiten. Mit kleinen zarten Bissen entlockte er Seto nicht nur einmal ein kurzes lautes Aufkeuchen und die schluckenden Bewegungen, während er sich noch in seinem Mund befand, brachten ihn fast um den Verstand. Sein Glied pochte und alles Blut in seinem Körper schien sich an den Stellen zu sammeln, an denen Joey ihn so intensiv verwöhnte. Zitternd krallte sich seine Hände in die blonden Strähnen, versuchten ihn zu dirigieren, ihm zu zeigen, was er tun sollte. Doch Joey wusste genau, was er tat und verweigerte Seto die Führung. Genüsslich testete er die verschiedenen Reaktionen auf seine neckenden Streicheleinheiten. Abermals versuchte Seto, den Kopf des Kleineren zu seinem Glied zu dirigieren, doch statt ihm zu gehorchen, ließ er ganz von ihm ab und sah von unten belustigt zu ihm auf. Zufrieden über das Verlangen, das in Setos Augen glitzerte, blies er sanft über die erigierte Spitze, ohne ihn jedoch ein weiteres Mal mit den Händen zu berühren. Seto erschauerte. „Joey…!“, forderte er, ohne sich in der Lage zu sehen, seinen Wunsch klarer zu formulieren. Abermals blies er über den Schaft, wobei er diesmal jedoch bei der Wurzel begann und das heiße Fleisch wie zufällig leicht mit der Nase streifte. Augenblicklich reckte sich die Hüfte in die Höhe und versuchte der Bewegung zu folgen. Längst hatte Joey die Hände Setos von seinem Kopf genommen und sie links und rechts von seinem Körper mit seinen eigenen Händen fixiert. Auf diese Weise blieb ihm zwar nur noch sein Mund, um Seto bis zum Höhepunkt zu treiben, doch das war ohnehin sein Ansinnen gewesen. Wie in Zeitlupe führte er seine Lippen erneut an die zuckende Spitze von Setos Erregung. „Nein, Herr Kaiba, Sie dürfen nicht…“, erklang es mit einmal von draußen, während bereits energisch die Klinke hinunter gedrückt wurde. „Niles! Sie erzählen mir, dass gestern der Arzt da war, weil mein Bruder zusammengebrochen ist. Also darf ich sehr wohl!“ Und schon stand Mokuba im Zimmer und kam mit energischen kleinen Schritten zum Bett von Seto. Niles, vollkommen ergeben und wissend, dass er an der Situation nun ohnehin nichts mehr ändern konnte, spähte vorsichtig in den Raum, ehe er sich ebenfalls einen Schritt hineinwagte. „Mokuba“, begrüßte ihn Seto schwer atmend, was dessen Sorge über die Gesundheit seines Bruders noch vergrößerte. Nun doch verunsichert, trat er an das große Bett heran. Dick eingepackt in zwei Decken und gestützt von zwei Kopfkissen, lag Seto vor ihm. Schweiß stand ihm auf der Stirn, als er versuchte, seinem kleinen Bruder mit ruhigem Blick zu begegnen. „Wie geht es dir?“, erkundigte sich der Kleinere zaghaft. Ein kurzes unkontrolliertes Stöhnen seitens des Größeren folgte, ehe er mit zusammengebissenen Zähnen verärgert ein „Bestens“ herauspresste. Fürsorglich setzte sich der jüngere Kaiba auf den Rand des Bettes, was sein Bruder jedoch sofort abwehrte. „Komm mir lieber nicht zu nahe, Mokuba.“ Erschrocken weiteten sich die Augen des Kleineren. „Bist du denn so krank?“ Niles, welcher noch immer etwas abseits stand, war erleichtert. Er hatte bereits befürchtet, dass Herr Mokuba Kaiba in eine… etwas unpässliche Situation hineinplatzen könnte. Doch offenbar… Suchend sah er sich nach dem jungen Herrn Wheeler um, für den das zweite Kissen und die zweite Decke im Bett ursprünglich gedacht war. Er selbst hatte am vergangenen Abend noch einmal kurz in das Zimmer gesehen, um sich zu erkundigen, ob noch etwas gebraucht würde. Doch sowohl Herr Kaiba als auch Herr Wheeler hatten bereits tief und fest geschlafen. In einer äußerst… interessanten Position. Herr Kaiba, auf der Seite liegend, hatte den blonden jungen Mann im Schlaf fest mit beiden Armen umschlungen gehalten. Eine genauere Betrachtung des Faltenwurfs der Decke ließ zudem vermuten, dass sich auch eines der Beine seines Arbeitgebers, über die des Anderen geschoben hatte. Beinahe, als wolle er ihn vor… irgendwas… beschützen oder als habe Herr Kaiba nicht vor, Joseph Wheeler in nächster Zeit loszulassen. Der Kopf von Herrn Wheeler hatte sich indes in vollkommenem Einverständnis mit seiner Position, unter das Kinn seines Chefs gelegt. Was die Frage aufwarf, wo Herr Wheeler sich in diesem Augenblick aufhielt. Unauffällig sah er sich um, während Herr Mokuba Kaiba weiter leise mit seinem Bruder sprach. Suchend richtete er seine Augen auf die Badtür. Stopp. Eine Bewegung. Aber sie kam nicht, wie vermutet, aus Richtung des Bades, sondern… Aber das konnte nicht sein. Sicherheitshalber sah Niles noch einmal genauer hin und stellte fest, dass er sich nicht getäuscht hatte. Joseph Wheeler musste noch im Bett liegen, auch wenn seine Gestalt, auf Grund der zwei Decken, nur schwer auszumachen war. Offenbar lag er noch immer dicht an den Körper von Herrn Kaiba geschmiegt, so dass die Umrisse seines Körpers für jemanden, der nicht um seine Anwesenheit wusste, nicht wirklich erkennbar waren. „Nein, Mokuba. Krank nicht, eigentlich mehr erschöpft.“ „Siehst du! Ich habe dir doch gleich gesagt, dass du dich nicht immer überarbeiten sollst“, grummelte der Kleinere anklagend. Kaiba zuckte zusammen. Erstaunt sah Mokuba in das Gesicht seines Bruders. Offenbar nahm er sich seine Worte sehr zu Herzen. Beinahe bedauerte der Schwarzhaarige seine anklagenden Worte schon wieder. Sein älterer Bruder kämpfte indes mit ganz anderen Dingen. Mokuba vor der Tür zu hören, hatte sowohl ihn als auch Joey binnen eines Wimpernschlage in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Ein kurzer Blickwechsel genügte, um sich darüber einig zu sein, dass niemand von ihnen von Mokuba beim morgendlichen Liebesspiel überrascht werden wollte. Kaiba konnte sich weitaus bessere Möglichkeiten vorstellen, wie er seinem kleinen Bruder nahebringen konnte, dass er und Joey jetzt ein Paar waren. Ohne sich weiter abzusprechen, hatte Joey sich sein Kissen geschnappt und es Kaiba noch zusätzlich unter seinen Kopf gesteckt. Anschließend wanderte die zweite Decke weiter in die Nähe von Kaiba, so dass es wirkte, als hätte dieser in der Nacht mit zwei Decken geschlafen. Sich mit der Hilfe des Größeren flach auf das Bett drückend, war er schließlich komplett unter dem dicken Stoff verschwunden. Noch während Mokuba eintrat, hatte Kaiba schnell ein paar Falten zurechtgelegt, welche Joey bis zur Unkenntlichkeit verbargen. Das dämmrige Licht im Schlafzimmer tat sein Übriges. In den nächsten Minuten bemühte er sich, eine gelassene Miene aufzusetzen, um Mokuba möglichst schnell dazu zu bringen, den Raum wieder zu verlassen. Joey indes, statt ihn darin zu unterstützen, indem er ruhig liegen blieb, war mehr damit beschäftigt, ihn an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Während er anfangs einfach nur die Wärme des Anderen an seinem Körper gespürt hatte, konnte er inzwischen fühlen, wie die vorwitzige Hand des Blonden sich unter der Decke abermals zu seinem noch immer steifen Schaft tastete. Immer wieder strichen die Finger des Blonden sanft über das empfindliche Fleisch. Wie zufällig wanderte der Daumen der rechten Hand in nicht vorhersehbaren unregelmäßigen Abständen über seine feuchte Spitze. Und das alles, während sein kleiner Bruder vor ihm stand und ihn mitleidig ansah, weil er kaum ein Stöhnen unterdrücken konnte! Zusätzlich begann nun auch sein Mund, der sich an seine Seite presste, ihn zärtlich in die Haut zu beißen und zu lecken. Reflexartig zog Seto seine Beine an und war weiß Gott froh, dass er stets übergroße Decken hatte, so dass nicht auf einmal Joeys Beine am Ende hervor sahen. „Du solltest unbedingt etwas essen, Seto“, verlangte Mokuba derweil. Unruhig schob sich Seto noch ein Stück weiter die Kissen hinauf, in der Hoffnung, Joey dadurch zu verstehen zu geben, dass das, was hier gerade passierte, nicht in ihrer beider Interesse lag. „Oh. Soll ich dir die Kissen nochmal ausschütteln?“, erkundigte sich der Schwarzhaarige fürsorglich. „NEIN!“, wehrte Kaiba entschiedener und lauter ab, als beabsichtigt. Was wohl auch daran lag, dass der Blonde unter der Decke gerade kräftig über die Spitze seines Gliedes strich. Schnell riss sich der Firmenchef zusammen und senkte seine Stimme. „Danke, Mokuba ist schon ahhhhh… gut.“ Ein besorgter Blick seitens seines Bruders folgte. /Dafür wirst du büßen, Kleiner!/, versicherte Kaiba dem Blonden im Stillen, welcher die derzeitige Position von Seto sogar noch reizvoller zu finden schien. Das Anziehen der Beine hatte er ihm zum Bedauern des Firmenchefs die Möglichkeit gegeben, nun nicht nur unauffällig mit der Hand nach oben zu wandern, sondern auch mit seinem Kopf. Noch während er sich etwas höher in die Kissen geschoben hatte, hatte der Blonde die Bewegung der Falten genutzt, um seinen Kopf in seinem Schoss zu positionieren und begonnen, sanft an ihm zu saugen und zu lecken. Er wusste nur zu gut, würde er jetzt die Beine wieder senken, wäre der Kopf deutlich unter der Decke sichtbar, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als in dieser Position zu verharren und zu hoffen, dass Mokuba möglichst schnell verschwand, damit er sich um diesen kleinen Teufel in seinem Bett kümmern konnte. „Vielelleicht sollten wir doch nochmal den Arzt rufen, Niles“, schlug Mokuba in Richtung des Butlers vor. Dieser hatte indes die Decke, unter der er Joseph Wheeler vermutete, nicht einen Moment aus den Augen gelassen, während der junge Herr sich zu ihm umdrehte. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass nur er die verdächtige Bewegung auf Höhe der Hüfte seines Chefs bemerkte, als dieser gleichzeitig mit einmal die Augen schloss und sich auf die Lippe biss. Von dem Schauspiel, das sich ihm da gerade bot abgelenkt, ignorierte er zum ersten Mal in seinem Leben den kleinen Mokuba Kaiba. „Bitte?“, erkundigte er sich und wurde mit einem Stirnrunzeln seitens des Jüngeren bedacht. Dieser sah den Grund für seinen abwesenden Gesichtsausdruck jedoch zum Glück nicht, da er den Blick noch immer fest auf den Butler gerichtet hatte. „Den Arzt, Niles. Ich denke, wir sollten ihn noch einmal anrufen, oder was meinen Sie?“ Kaiba hatte die Augen inzwischen wieder geöffnet und sah ihn - Niles scheute sich beinahe davor, diesen Begriff in einen direkten Zusammenhang mit seinem Arbeitgeber zu bringen - flehentlich an, ehe er kaum sichtbar den Kopf schüttelte. Abermals stöhnte er kurz auf. Schnell wandte Mokuba sich wieder seinem großen Bruder zu, während ein kurzes selten zu sehendes breites Grinsen auf dem Gesicht von Niles erschien - gepaart mit einer dezenten Röte. Er wusste, sollte Kaiba dieses Grinsen in seinem derzeitigem ‚Zustand‘ wahrnehmen, würde er ihn später vermutlich feuern, doch in diesem Augenblick konnte er nicht mehr an sich halten. Gleichwohl es ihm peinlich sein sollte, seinen Chef in einer solchen Lage vorzufinden, war er bei seinem vorigen Arbeitgeber, Herrn Gozaburo Kaiba, mit weitaus schlimmeren Situationen konfrontiert worden. Den allseits beherrschten und verschlossenen Seto Kaiba jedoch mit so wenig Kontrolle über sich und andere anwesende Personen zu sehen, ließ ihn innerlich den Hut vor dem jungen Herrn Wheeler ziehen. Offenbar hatte besagter Herr Joseph Jay Wheeler seinen Arbeitgeber schon jetzt vollkommen in der Hand. Und das, betrachtete man sich den Faltenwurf genauer, vermutlich wortwörtlich. Schon jetzt sah er seine Hoffnung, dass der junge blonde Mann seinem Chef guttun würde, vollends bestätigt. Mit einem eleganten Räuspern ein unprofessionelles Auflachen kaschierend, trat er einen weiteren Schritt in den Raum. „Ich denke, Herr Mokuba, dass Herr Kaiba sich in diesem speziellen… Zustand“, Kaibas Blick schien ihn gerade zu Asche verbrennen zu wollen, „lieber Hilfe von… anderer Seite holt.“ Verwirrt starrte der kleine schwarzhaarige Junge ihn an. „Sie meinen, Herr Saeki hat ihn vielleicht nicht richtig behandelt?“ Ein abermaliges auffällig heftiges Räuspern seitens des Butlers folgte. Sorgsam wählte er die folgenden Worte, welche dazu gedacht waren, den Jüngsten im Raum zu beruhigen. Da ein Butler es jedoch unter allen Umständen vermeiden sollte, seinen Arbeitgeber - und Mokuba Kaiba zählte unzweifelhaft dazu - anzulügen, musste die Erklärung mit Bedacht gewählt worden. „Nun, Sir, das glaube ich nicht. Ich denke nur, dass diese Krankheit nur auf… natürlichem Wege abklingen kann. Immerhin sind seine derzeitigen… Probleme… laut Meinung des Arztes, auf zu viel… körperlichen Stress zurückzuführen. Herr Saeki hat ihm strenge Bettruhe verschrieben und ich denke, dass dies auch genau das ist, was Ihr Bruder jetzt braucht.“ Kaiba war keineswegs entgangen, dass Niles ahnte, was genau sich unter seiner Bettdecke abspielte. Selten war ihm etwas so peinlich gewesen. Was jedoch nichts an seiner sich sekündlich steigernden Erregung änderte. Es wurde eher noch schlimmer. Inzwischen hatte der Blonde ihn, das konnte er überdeutlich spüren, ganz in seinem Mund aufgenommen und während seine Zunge ihn streichelte, malträtierten seine Zähne sanft sein heißes Fleisch. Dass Joey sich in seiner derzeitigen Position nicht schneller auf und ab bewegen konnte, ohne sich zu verraten, machte es nicht leichter. Das Ganze kostete ihn wahrlich Nerven und seine Stimme obendrein, denn er war sich nicht mehr sicher, auch nur noch ein einziges Wort herauszubekommen, ohne dabei versehentlich laut aufzustöhnen. Und auch wenn er seinen Butler am liebsten gevierteilt hätte, für dessen offensichtlich belustigten Unterton, war er doch dankbar für dessen Hilfe. Begleitet von einigen zweideutigen Bemerkungen, die sein kleiner Bruder zum Glück nicht verstand, schaffte es der Butler schließlich, Mokuba wieder aus seinem Zimmer zu locken. „Kommen Sie, Sir. Ich bin sicher, dass Ihr Bruder nur noch ein wenig Zeit für sich braucht. Wenn wir ihm jetzt ein bisschen Ruhe geben, hat er nachher vielleicht auch die Kraft, ein wenig länger zu stehen und uns unten beim Essen Gesellschaft zu leisten. Nicht wahr, Herr Kaiba?“, konnte es sich der Butler am Ende doch nicht verkneifen nachzuhaken. Zähneknirschend sah dieser ihn an, ehe ihm ein heiseres „Jah“, entwisch und Niles die Tür hinter sich und seinem Bruder schloss. Kaum, dass beide den Raum verlassen hatten, stöhnte Kaiba tief und grollend auf. Er brauchte die Decke gar nicht zu heben, um Joeys hinterhältiges Grinsen an seinem Glied zu spüren. Jetzt, da sich keine weiteren Beobachter im Raum aufhielten, schob er flugs den Stoff zurück und holte selbst erst einmal Luft. Es waren nur wenige Minuten vergangen, doch die Luft unter zwei solch dicken Decken war reichlich knapp bemessen. Mit lustverhangenen Augen starrte Seto ihn an. „Ich werde dich köpfen lassen“, ließ Seto ihn unumwunden wissen. "Wie… altmodisch." Abermals über sein Glied leckend und dabei einen der wertvollen Tropfen auffangend, sah Joey ihn unschuldig an. „Köpfen und vierteilen“, verbesserte sich Seto aufstöhnend. Der Blonde grinste nur. Immerhin kannte er dessen Hang, sich den Tod seiner Feinde so fantasievoll wie möglich auszumalen. Joey waren seine leeren Drohungen reichlich egal. Statt darauf zu reagieren, brachte er sich selbst nur in eine bequemere Position zwischen Setos Beine und begann erneut damit, ihn zu verwöhnen. Er genoss die Möglichkeit, diesmal auch seinen Kopf auf und ab zu bewegen, was er nur zu gern tat, um Seto noch weiter zu reizen. Sicherheitshalber drückte er mit seinen Händen die Beine des Braunhaarigen ein Stück weiter auseinander, ehe er seine Auf- und Abwärtsbewegung intensivierte. Er spürte, an dem Pochen unter seiner Zunge, dass es nicht mehr viel brauchte, um Seto zum Höhepunkt zu bringen. Und nun, da er angesichts seines Bruders und seines Butlers so gut durchgehalten hatte, wollte er ihn auch entsprechend belohnen. „Joey… nicht… nimm den Mund da weg… ich…sonst…“ Doch Joey ließ nicht ab. Immer schneller wurden seine Bewegungen. Fest strich seine Zunge über die Spitze und wann immer er es vermochte, holte er sich einen Tropfen nach dem anderen. Inzwischen schien sein Freund nicht mehr in der Lage zu sein, auch nur einen zusammenhängenden Satz zu sprechen. Stöhnend hob er sich seinem Mund entgegen, wollte noch tiefer eindringen. Joey, der merkte, dass es gleich so weit sein würde, steigerte sein Verlangen noch ein letztes Mal, indem er nebenbei begann, seine Hoden in seiner rechten Hand im Wechsel zu massieren und zu streicheln. Das war zu viel. Mit einem heiseren unterdrückten Schrei bäumte sich Setos ein letztes Mal auf. Seine Hände krallten sich in das Laken. Joey hustete. Offensichtlich hatte sich bei Seto durch dieses kurze Zwischenspiel eine Menge angestaut. Doch nach seiner ersten Überraschung begann er damit, sich selbst und auch Setos Glied sanft zu säubern. Erst nachdem das erledigt war, kroch er langsam hoch und legte sich, die Decke über sie beide ziehend, wieder neben seinen Geliebten. Dieser starrte noch immer schwer atmend an die Decke. Zufrieden, seine Mission erfolgreich beendet zu haben, kuschelte sich Joey glücklich an die breite Brust des Älteren. Der Arzt hatte gesagt, Seto müsse mindestens einen Tag unter allen Umständen am Arbeiten gehindert werden. Nun, nichts Anderes hatte er getan. Er war sich sicher, dass Seto mindestens für die nächsten zwei Stunden nicht in der Lage wäre, auch nur den kleinen Zeigefinger zu heben. Und nach den zwei Stunden? Nun, da wartete mit Sicherheit schon Niles mit einem köstlichen Mahl auf sie. /Und ganz sicher lässt sich nach vier Stunden auch noch eine Möglichkeit finden, Seto in diesem Bett zu halten./ Schmunzelnd strich er über die geliebte Brust neben sich. /Oder vielleicht auch auf der Couch…zumindest einer davon… oder in dieser riesigen Badewanne, die ich vorhin gesehen habe…oder…/, führte er seine Idee im Stillen weiter und döste darüber langsam ein. Kapitel 56: Manches will man gar nicht wissen... ------------------------------------------------ Hi hallo, und danke für die Kommis zum letzten Kapitel. Hier geht es nun auch endlich weiter und ich wünsche viel Spaß beim nächsten Kapitel. ^.~ GLG seththos _____________________________________________________________________________ **********zwei Stunden später********** Langsam richtete Seto Kaiba sich auf. Zum zweiten Mal an diesem Tag, war er aus einem dämmrigen Schlaf erwacht, eine blonde schmale Gestalt neben sich im Bett liegend. Schmunzelnd betrachtete er erneut das noch immer friedlich schlummernde Gesicht. Inzwischen fühlte er sich ein wenig besser als noch am vergangenen Abend. Nachdenklich musterte der Braunhaarige seine Hände. Sorgsam darauf bedacht, Joey neben sich nicht aufzuwecken, murmelte er flüsternd einen knappen Befehl. Mit ein bisschen Konzentration gelang es ihm ohne größere Schwierigkeiten, ein kleines eisblaues Leuchten in seiner rechten Hand zu erzeugen. Nachdem er das Licht ein paar Sekunden am Leben erhalten hatte, schloss er seine Finger wieder und ließ es wortlos wieder verschwinden. Die Erzeugung eines solchen kleinen Zaubers benötigte nur ein Mindestmaß an magischem Geschick und ein Wort, welches den Zauber formte. Es war nichts weiter, als ein kleines Kunststück, welches selbst die jüngsten Priester beherrschten. Zur Beeindruckung von einfachen Menschen war es ausreichend gewesen. Abermals sah er in die Richtung des Blonden und musste feststellen, dass dieser ihn, noch immer neben ihm liegend, aus ruhigen Augen musterte. Nach seinem gestrigen Ausbruch war es wohl nicht verwunderlich, dass Joey kein Zeichen von Überraschung oder Staunen zeigte. „Hallo Priester“, begrüßte ihn der Kleinere mit einem Unterton, der Seto die nächste Frage bereits verriet, bevor er sie überhaupt aussprach. Dennoch ließ er Joey die Zeit, seine Worte selbst zu wählen. „Du hast wieder Zugriff auf deine alten Fähigkeiten.“ „Hm.“ „Seit wann?“, erkundigte sich der Blonde. Erneut sah Seto auf seine rechte Hand, als könne er noch immer einen Schimmer des blauen Lichts erkennen. „Seit gestern.“ Ein Schulterzucken folgte. „Vielleicht auch schon früher. Ich nehme an, seit meine Erinnerungen angefangen haben, zurückzukehren.“ Nun war es an Joey, seine Aussage mit einem unbestimmten ‚Hm‘ zu quittieren. Ein kurzes Schweigen folgte. „Warum wolltest du Atemu töten?“, rang Joey sich schließlich zu der Frage durch, die ihm in diesem Moment als die bei weitem wichtigere erschien. „Nicht töten, nur verletzen.“ Joeys rechte Augenbraue verschwand beinahe in seinem Haaransatz. Wieder ein Schulterzucken. „Vielleicht auch töten. Ich weiß es nicht.“ Sich an die Bilder von gestern erinnernd, welche während des kurzen Schlagabtausches in seinem Kopf gewütet hatten, grub sich Entschlossenheit in seine Züge. „Aber ich werde es herausfinden.“ Langsam ließ er seinen Blick über die Konturen des Blonden streifen, welche sich nun wieder deutlich unter der Decke abzeichneten. Ein Teil des Stoffes war hinuntergerutscht. Geflissentlich half Seto ein wenig nach und sorgte dafür, dass er freien Blick auf Joeys Oberkörper hatte. Stirnrunzelnd sah er auf das T-Shirt, welches sich während des Schlafes ein Stück nach oben geschoben haben musste und nun den Blick auf weiße Verbände freigab. Federleicht, als hätte er Angst, ihn erneut zu verletzen, strich Seto über die Seite, auf welcher er dem Blonden am Tag zuvor die blutigen Striemen beigebracht hatte. Joey ließ es stillschweigend zu. Er sah den Schmerz in den Augen des Anderen und wusste doch, dass kein Wort in der Lage wäre, diesen Schmerz zu lindern. „Es tut mir leid“, flüsterte Seto erneut. Doch Joey schüttelte nur den Kopf. **********später in der Küche********** Nachdenklich saß Mokuba am Frühstückstisch und wartete auf seinen großen Bruder. Niles hatte ihm berichtet, dass dieser inzwischen aufgewacht war. So, wie er Seto kannte, würde er vermutlich trotz der Warnung des Arztes aufstehen und zur Arbeit gehen wollen. Sein erklärtes Ziel war es, ihn davon abzubringen. Er kannte ihn gut. In jedem Fall würde er vorher noch in der Küche einen Kaffee trinken. Also brauchte er eigentlich nur hier zu sitzen und zu warten. Außerdem wollte er sich unbedingt selbst davon überzeugen, dass es ihm schon wieder besser ging, bevor er ihn, irgendwie, vielleicht mit der Hilfe von Niles, ans Bett fesselte. Mit einem Knebel. Sein Bruder konnte ziemlich ungehalten und laut werden, wenn er von wichtiger Arbeit abgehalten wurde. Bis es soweit war, wollte er sich noch mit einem Nutellabrötchen stärken. „Hier.“ Mit einem dankbaren Nicken nahm Mokuba die heiße Schokolade entgegen, welche Niles ihm zubereitet hatte. „Danke.“ „Hm.“ Man sah Mokuba an, wie sehr ihn der plötzliche Zusammenbruch seines Bruders beschäftigte. Gern hätte der Butler die Sorgen des sonst so fröhlichen kleinen Jungen zerstreut, doch seiner Ansicht nach fiel dies in diesem Fall einmal nicht in seinen Aufgabenbereich. DIESE Aufgabe würde er seinem Arbeitgeber überlassen. Mit Freuden. Aber er würde vorsichtshalber in der Nähe bleiben – sicherheitshalber. Immerhin war er nicht nur für das Personal und seine Arbeitgeber zuständig, sondern auch für den Erhalt des gesamten Mobiliars, welches in letzter Zeit bereits arg in Mitleidenschaft gezogen worden war. „Meinst du wirklich, dass Seto wieder gesund wird?“, erkundigte sich der Schwarzhaarige bei seinem Lieblingsbutler. „Nun mach dir da mal keine Sorgen, Kleiner“, erscholl es bereits aus einer anderen Richtung, noch ehe Niles überhaupt zu einer Antwort ansetzen konnte. Überrascht sahen beide in die Richtung der Küchentür. Seto, gekleidet in eine schwarze Hose sowie einen gemütlich aussehenden dunkelbraunen Pullover und mit einem milden beruhigenden Lächeln auf den Lippen, trat herein und steuerte augenblicklich auf seinen kleinen Bruder zu. Dort angekommen wuschelte er ihm liebevoll durch die Haare. „Ich habe schon ganz andere Sachen überstanden, meinst du nicht?“, erinnerte er den Kleineren. „Oder glaubst du etwa, dein großer Bruder lässt sich von so einem kleinen Schwächeanfall umbringen?“ Zögernd schüttelte der Schwarzhaarige den Kopf. Mokuba dachte an all die Dinge, die sie in den letzten Jahren gemeinsam gemeistert hatten. Doch auch wenn er wusste, dass sein großer Bruder stark war, fürchtete er doch, ihn eines Tages zu verlieren. Sicher war die Sorge unbegründet. Zumindest versuchte er sich das immer wieder einzureden. Sein großer Bruder war der Einzige aus seiner Familie, der ihm noch geblieben war. Bis jetzt war Seto immer für ihn da gewesen, wenn er ihn gebraucht hatte, hatte sich um ihn gesorgt und ihn unterstützt. Doch das ließ seine Sorgen nur noch wachsen. Seto hatte immer alles alleine gemacht und sich von niemandem helfen lassen. Nicht einmal von ihm. Er wusste, wenn es nach Seto ginge, sollte er den ganzen Tag fröhlich sein und Spaß haben. Ihm war durchaus bewusst, dass er ihm in seinem Alter noch keine große Hilfe sein konnte, dazu war er noch zu jung. Daher versuchte er, so viel zu lachen, wie es nur ging, um Setos Wunsch zu erfüllen und ihm nicht noch mehr Sorgen zu bereiten. Doch wer kümmerte sich dann um seinen großen Bruder? „Nein, das nicht“, druckste er leise herum. Seto schien diese Antwort vorerst zu genügen und setzte sich ihm gegenüber an den Frühstückstisch. Wie jeden Morgen sorgte Niles dafür, dass er mit ausreichend frisch gebrühtem Kaffee versorgt wurde. Erstaunt verfolgte Mokuba, wie sein großer Bruder sich entspannt zurücklehnte und das schwarze Gebräu zu sich nahm, während ihr Butler ihm auch einen Teller mit heißer Suppe dazustellte. „Gehst du heute gar nicht zur Arbeit?“, wagte er zögernd zu fragen. Irgendetwas an seinem Bruder hatte sich verändert. Er hatte sich noch nicht einmal eine Zeitung von Niles geben lassen, um sich neben seinem Kaffee über die neuesten Aktien- und Börsenkurse zu erkundigen. Diese Entwicklung, in Gedenk an das tags zuvor beobachtete Verhalten, machte ihm Angst. Seto ersparte sich eine längere Erklärung. Joey hatte es doch tatsächlich gewagt, ihm seine Gesellschaft im Bett zu verweigern, wenn er heute auch nur einen Schritt aus dem Haus ginge. Immer noch ein wenig verstimmt auf Grund dieser Fremdbestimmung, widmete er dieser Frage nur einen kurzen stechenden Blick in Richtung Mokuba, welcher ihm deutlich zu verstehen gab, lieber nicht näher nachzufragen. „Nein.“ „Aha“, entgegnete dieser daraufhin, welcher den unterschwelligen Hinweis durchaus wahrnahm. Warum auch immer sich Seto dazu entschieden hatte, einmal auf das zu hören, was der Arzt sagte – ihm war es gleich. Was zählte, war das Ergebnis. Er spürte, wie seine Schultern sich langsam entspannten. Jetzt, da er wusste, dass Seto nicht zur Arbeit gehen würde, konnte er sich endlich um sein Nutellabrötchen kümmern, das noch immer unberührt vor ihm lag. „Bitte, Sir“, machte Niles wieder auf sich aufmerksam und stellte einen Teller mit der frisch zubereiteten heißen Suppe vor seinen Arbeitgeber. Dieser betrachtete die Hühnerbrühe mehr als skeptisch und schob sie demonstrativ ein Stück von sich weg. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, widmete er sich wieder seinem schwarzen morgendlichen Gebräu. „Nein, danke Niles. Sie wissen, dass ich morgens nur einen Kaffee zu mir nehme.“ Mokuba wollte gerade protestieren, als bereits eine andere Stimme diese selten dankbare Aufgabe übernahm. „Dieses Argument ist seit ziemlich genau zwei Minuten hinfällig, Seto. Es ist bereits zwei Minuten nach zwölf und somit Mittagszeit. Und das hier, Mokuba, ist viel zu ungesund für dich.“ Ein weiteres Mal an diesem Morgen, riss Mokuba erstaunt die Augen auf. Weniger wegen der Brötchenhälfte, die bis eben noch unschuldig und unberührt auf seinem Teller gelegen hatte, als vielmehr wegen der Hand, die sie wegnahm. Wäre er nicht so geschockt von dem Anblick gewesen, der sich ihm bot, hätte er sicher augenblicklich protestiert, als sich sein geliebtes Nutellabrötchen bereits zu einem kleinen Teil im Mund von Joey wiederfand. Kritisch beäugte der Blonde den Teller Suppe und ließ sich an dem großen Tisch scheinbar vollkommen ungezwungen neben Seto nieder. Ohne weiteren Kommentar schob er die gesunde Mahlzeit wieder in Richtung des Firmenchefs zurück. „Dein Koch hat die Suppe sicher extra für deine Stärkung zubereitet. Das solltest du entsprechend zu würdigen wissen…“ „Ich kann mich nicht daran erinnern, um eine Suppe gebeten zu haben. Dementsprechend besteht für mich kein Grund, irgendetwas zu würdigen.“ „… ich war noch nicht fertig. Außerdem…“ Joey kam nicht mehr dazu, weitere Argumente vorzubringen. „Was ist… Joey… Guten Morgen… also … entschuldige, aber…“, zögernd sah Mokuba immer wieder von einem zum Anderen und ließ auch sein Nutellabrötchen bei seiner Betrachtung nicht aus. Nur langsam drangen alle Fakten in seinen Kopf vor und wurden dort nahezu tröpfchenweise verarbeitet. Joey hielt sich schon am frühen Morgen nicht nur im Hause der Kaibas auf, sondern auch noch in der Küche, am Frühstückstisch. Sein großer Bruder wurde nicht nur nicht sauer, er schien auch keineswegs erstaunt, dass der Blonde ihnen um diese Stunde Gesellschaft leistete. Hinzu kam, dass er an Joeys Körper eindeutig Kleidungsstücke seines Bruders wiederzuerkennen glaubte: Eine etwas zu lange dunkle Hose gemixt mit einem viel zu großen graublauen Pullover, bei welchem Joey vorsichtshalber die Ärmel hochgeschoben hatte. Von dem Nutellabrötchen, das bereits den zweiten Tag in Folge Beine bekommen hatte, ganz zu schweigen. Er kam nicht umhin, sich zu fragen, an was er eher zweifeln sollte: an seinen Augen oder seinem Verstand. Hilfesuchend sah er zu Niles. Gleichwohl dieser wie jeden Tag eine möglichst unberührte Miene aufsetzte, bemerkte Mokuba doch, dass sein bester Vertrauter in diesem Haus ihn ganz offensichtlich hintergangen hatte. Die belustigt funkelnden Augen verrieten, dass ihm die Anwesenheit des Blonden nicht neu war. Dennoch hatte er ihm, Mokuba, dieses Geheimnis vorsätzlich verschwiegen! Wenn er ihm bis jetzt noch nicht gesagt hatte, was hier eigentlich vor sich ging, war wohl auch in den nächsten Minuten mit keiner Erklärung seinerseits zu rechnen. Dem entsprechend blieben nur noch zwei andere Personen in diesem Raum übrig, an die er sich wenden konnte. Augenblicklich driftete sein Blick zurück zu Joey und Seto. Leider bemerkte er auf diese Weise, von seinen wirbelnden Gedanken vollkommen in Beschlag genommen, viel zu spät, dass auch seine zweite Brötchenhälfte sich einen neuen Besitzer suchte. Das ging zu weit! Ohne zu zögern stellte er vorerst alle weiteren Fragen zurück und langte hastig nach seinem Essen. „HEY! Das. Ist. Meins!“ Schnell versuchte er das leckere Teil mit flinken Fingern dem hinterhältigen Dieb zu entwenden. Es blieb bei einem Versuch. Joey neckte ihn, indem er die kleine Hälfte immer genau so weit entfernt von ihm hielt, dass er nicht heranreichte. Hilflos musste Mokuba mit ansehen, wie der Rest seines Frühstücks von einer Hand zur anderen wanderte, ohne, dass er etwas dagegen ausrichten konnte. Joey grinste indessen nur und machte sich einen Spaß daraus, den Kleineren zu ärgern. Sich das kleine Schauspiel noch einen Moment wortlos betrachtend, nippte Kaiba derweil ruhig an seinem Kaffee und nahm auch ein paar Löffel Suppe zu sich. Als schließlich jedoch der Tisch zu wackeln begann, da Mokuba und auch Joey so oft an ihn stießen und die heiße Suppe überschwappte, sah er sich doch gezwungen, dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Ohne weiteren Kommentar schnappte er sich das Brötchen, welches Joey just in diesem Moment in seine Richtung hielt und legte es zurück auf den Teller von Mokuba. „Mit dem Essen spielt man nicht“, belehrte er die Beiden, ehe er aufstand und sich aus Schrank und Kühlschrank ein paar Sachen zusammensuchte und sich wieder an den Tisch setzte. Derweil wischte Niles bereits die übergeschwappte Suppe auf und stellte auch Joey, wie schon Mokuba, eine heiße Schokolade vor die Nase. Von dessen früheren gelegentlichen Besuchen wusste er, dass er einer heißen Schokolade nie abgeneigt war. Nun erneut im Vollbesitz seines Frühstücks, gelang es Mokuba, wieder auf andere Dinge, als die unmittelbare Nahrungsaufnahme, zu achten. Verblüfft stellte er fest, dass sein Bruder neben einem Teller und einem Messer auch ein Brötchen und das Nutellaglas an den Tisch brachte. Binnen kurzer Zeit wurde das Gebäck in zwei Hälften geschnitten und mit der braunen Creme bestrichen, ehe er es wortlos zu Joey hinüberschob. Erst danach schloss er das Glas wieder und schob alles, für eine eventuelle spätere Verwendung, an den Rand des Tisches. „Danke“, erklang es grinsend aus Joeys Richtung, welcher sich über das Tun von Seto in keiner Weise überrascht zeigte. „Wie aufmerksam“, konnte er sich einen nachgeschobenen ironischen Kommentar nicht ganz verkneifen. „Iss einfach“, intonierte Seto in typisch wortkarger Manier, ehe er sich nun doch noch die Zeitung von Niles reichen ließ. Statt ähnlich wie Mokuba, tellergroße Augen zu bekommen, machte Joey sich flugs über das extra für ihn geschmierte Brötchen her, deutete dabei jedoch noch einmal angelegentlich auf die Suppe. Seto verstand den Hinweis. Statt allerdings noch ein paar weitere Löffel zu sich zu nehmen, legte sich seine Stirn in Falten und sein Blick schien dem Kleineren ein ‚Übertreib es nicht!‘ zuzuwerfen, ehe er sich wieder dem Aktienkurs widmete. Fünfzehn Löffel Suppe waren seiner Ansicht nach mehr als ausreichend, um den Zweck der Stärkung und Würdigung zu erfüllen. Joey überlegte noch kurz, zuckte dann die Schultern und schien sich mit Setos Entscheidung einverstanden zu erklären. Nur eine Minute später faltete dieser die Zeitung in seiner Hand bereits wieder sorgfältig zusammen und reichte sie Niles, welcher sie dienstfertig entsorgte. Als sei das Alles das Normalste der Welt, sah sein großer Bruder anschließend zu ihm auf und wies ihn seinerseits auf sein eigenes Frühstück hin. „Du solltest das lieber aufessen. So, wie ich Joey kenne, ist sein Appetit mit diesem hier“, er richtete seinen Blick auf das vor dem Blonden liegende Brötchen „noch längst nicht gestillt.“ In Ordnung. Das war eindeutig zu viel. „Was verdammt und zum Teufel nochmal, geht hier eigentlich vor?“, erkundigte sich der Kleinste der Runde gerade heraus. „Man flucht nicht am Essenstisch“, wies sein großer Bruder ihn automatisch zurecht. „Das ist mir SCHEIß egal, Seto!“, informierte ihn Mokuba in großzügiger Missachtung seiner vorangegangenen Belehrung. Nichts war für ihn in diesem Moment so nebensächlich wie Benimmregeln am Essenstisch. Solche Regeln wären auch am nächsten Tag oder im nächsten Jahr noch dieselben – sein Bruder allerdings nicht! Schließlich hatte er es binnen zwei Tagen geschafft, sich komplett zu verändern. Und das, ohne ihn vorher zu fragen! „Ich verlange eine Erklärung! Ich bin immerhin dein Bruder!“ Ein kurzer Blickwechsel bei den Älteren stürzte den Schwarzhaarigen in noch größere Verwirrung. Doch er kam nicht mehr dazu, weiter nachzuhaken. Mit leicht säuerlicher Miene erklärte Joey „Dein Bruder will, dass ich bei euch einziehe“, ehe er mit dem Essen fortfuhr, als sei nichts gewesen. Doch der gelassene Eindruck, den die beiden zu vermitteln versuchten, täuschte. Gespannt warteten sie auf eine erste Reaktion des Kleineren. Seto hatte beschlossen, dass sein Bruder die Wahrheit verkraften würde, aber er wollte es ihm lieber in kleinen Schritten beibringen. Erstmal galt es zu vermitteln, dass der Blonde ab heute mit ihnen zusammen wohnte. Alles Andere kam später. Immerhin verlangte er eine Menge von seinem kleinen Bruder, zu akzeptieren, dass er den Rest seines Lebens an der Seite eines Mannes verbringen wollte. Er würde sich nicht von Joey trennen, egal, was der Kleinere sagte – dennoch war ihm dessen Verständnis überaus wichtig. Mokuba schluckte. Die Worte ließen sich nur langsam verdauen. Er brauchte Zeit, um sich eine angemessene Reaktion zu überlegen und versuchte, diese mit einem Bissen von seinem Brötchen zu gewinnen. So langsam er konnte, zerkaute er jedes Krümelchen einzeln und zerlegte die kleinen Stücke dabei vermutlich in ihre jeweiligen atomaren Einzelteile, ehe sie in seinem Magen landeten. Dieser freute sich, brauchte er dadurch doch weniger zu arbeiten. Nebenbei ließ er die beiden Älteren nicht eine Sekunde aus den Augen. Fieberhaft versuchte sein Verstand alles, was er in den letzten Tagen gesehen und gehört hatte, mit dem zu kombinieren, was er nun vor sich sah. Sein Bruder war eindeutig nervös, auch wenn er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Doch Mokuba war aufmerksam genug, um zu bemerken, dass nicht Joey es war, der ihn nervös machte, sondern er – sein kleiner Bruder. Offenbar war ihm wichtig, was er zu dem Wunsch seines Bruders zu sagen hatte. Was ihn zu der Frage brachte, warum es Seto kümmern sollte, was er davon hielt. Nachdenklich betrachtete er sich die Haltung des Größeren. Von seiner Nervosität abgesehen, strahlte er eine innere Ruhe aus, die Mokuba noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. Die gemütliche Kleidung, die er heute gewählt hatte, unterstrich diesen Eindruck noch. Hinzu kam, dass er sich selten von jemandem Etwas sagen ließ. Vermutlich ging nicht nur das Essen der Suppe auf das Konto von Joey, sondern auch, dass Seto heute zu Hause blieb. Denn was sonst konnte für diese Entscheidung die Ursache sein? Die Samstage, an denen Seto nicht arbeitete, waren rar gesät. Meist trat ein solches Wunder nur ein, wenn er zuvor darauf bestand, dass er etwas mit ihm unternehmen müsse. Und dass Seto auf einmal auf den Rat eines Arztes hörte, erschien ihm reichlich unwahrscheinlich. In Gedenk an seine gestrige Unterhaltung mit Niles und angesichts des eigens von Seto für Joey geschmierten Brötchens, drängte sich dem Kleineren eine äußerst logische und wichtige Frage auf. Ein zaghaftes Lächeln schob sich auf sein Gesicht. „Liebst du Joey?“, erkundigte er sich schließlich ohne weitere Zurückhaltung gerade heraus. Ein kurzer aber kräftiger Hustenanfall war die Folge. Kaiba hatte nicht geglaubt, dass Mokuba so schnell die richtigen Schlüsse ziehen würde. So viel zu seiner Idee, es dem Jüngeren schonend beizubringen. „Was?“, erkundigte er sich dennoch vorsichtshalber, nur, um sicherzugehen, dass er sich nicht verhört hatte. Mit ernsten wissenden Kinderaugen sah der Kleinere ihn an. „Niles hat gemeint, du könntest verliebt sein, weil du gestern die ganze Zeit gepfiffen hast. Bist du es? Ich meine: verliebt? In Joey?“ Der Blick des Älteren zuckte zum Butler. "So, hat er das, ja?" Dieser entdeckte just in diesem Augenblick noch einen kleinen Milchfleck auf der Küchenplatte und suchte dienstbeflissen sofort nach einem Lappen. Kaiba beschlich allerdings der leise Verdacht, dass es sich dabei nur um einen Vorwand handelte, um erst später am Tag von seiner umgehenden Lohnkürzung zu erfahren. Fast schon hilfesuchend schweiften Kaibas blaue Augen weiter zu seinem Sitznachbarn. Der Blonde hielt sich zurück. Er bewunderte die Courage des Kleineren, sich so unversehens dieser für ihn neuen Wendung im Herzen seines Bruders zu stellen und ihn direkt darauf anzusprechen. Man vergaß oft nur all zu leicht, dass auch er ein Kaiba war. Interessiert sah er zu Seto, machte aber keine Anstalten, ihm in irgendeiner Weise zu helfen. Inzwischen waren bereits einige wertvolle Millisekunden verstrichen und Joey konnte sich gut vorstellen, wie die Gedanken hinter der Stirn des Älteren rasten. Es war eine Sache, ihm in stiller Zweisamkeit zu versichern, dass er ihn liebe – doch vor seinem Bruder musste das eine ganz besondere Herausforderung für den Firmenchef sein. Auch für Seto Kaiba, wie er schmunzelnd erkannte. Eine kaum sichtbare Röte legte sich über das Gesicht des Größeren. Feixend beobachtete Joey das Schauspiel weiter. Er würde ihm in dieser Sache nicht helfen – immerhin gab es da noch immer diese Sache mit dem Knutschfleck… Seto, ebenfalls ein Kaiba durch und durch, hielt sich allerdings trotz seiner sichtbaren Verlegenheit - was in keiner Weise recht zu dem allseits gefürchteten Firmenchef passen wollte - nicht mit langen Reden auf, sondern beantwortete die Frage seines kleinen Bruders nach nur wenigen Millisekunden gerade heraus mit einem klaren „Ja“. Mokuba maß die zwei Älteren noch einen Moment mit einem langen Blick, ehe er einmal tief durchatmete und mit einem Nicken quasi sein Einverständnis gab. „In Ordnung“, sagte er nur und nahm einen weiteren Bissen zu sich. „Wurde auch Zeit“, setzte er mit vollem Mund hinzu. Man sah ihm an, dass jetzt, da sich für ihn alles geklärt hatte, seine volle Aufmerksamkeit wieder der Nahrungsaufnahme diente. Kaiba horchte auf. „Wie?“ „Naja“, grinsend sah der Kleinere halb kauend auf seinen großen Bruder und blinzelte Joey fröhlich zu „wenn ich es recht bedenke... du konntest ja schon beim Baden vor ein paar Wochen deinen Blick nicht von Joey lösen.“ „Soso“, ließ dieser sich vernehmen und grinste den Anderen, dessen Gesichtsfarbe auf einmal noch mehr Farbe zeigte, als zuvor, unverhohlen an. „Wer kann also bitte nochmal den Blick nicht von dem Anderen lassen?“, hakte er lachend nach. „Halt den Mund, Hündchen“, wies Kaiba ihn zurecht und steckte ihm unversehens eine Brötchenhälfte in den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ohne weiteren Kommentar räumte er das Frühstück weg. „Hey!“, protestierte Joey „If var nock nüch fertick.“ „Es gibt noch Suppe“, entgegnete der Größere grummelnd und verstaute das Nutellaglas ganz hinten in einem der oberen Schränke, an welchen weder Joey noch Mokuba ohne Stuhl heranreichten. Er würde die Beiden lehren, sich über ihn lustig zu machen! Mokuba und Joey, die ahnten, dass Seto damit lediglich seine Verlegenheit zu überspielen gedachte, blinzelten sich belustigt zu und genossen die verbleibenden Bissen ihres schokoladenreichen Frühstücks. „Wo hast du denn heute Nacht eigentlich geschlafen?“, wollte der Schwarzhaarige mit einem Blick auf Joes Kleidung nun doch noch wissen. „Werd fertig mit dem Essen, Joey. Ich will noch einmal ein paar Programmcodes mit dir durchgehen. Also sieh zu. Nimm das Brötchen meinetwegen mit.“ Wenn überhaupt möglich, nahm die Röte in Kaibas Gesicht ein weiteres Mal zu und auch das Grinsen in Joeys Gesicht erreichte neue Dimensionen. Dennoch schwieg er sicherheitshalber, wollte er doch vermeiden, dass am Ende er es war, der allein in einem dieser riesigen Betten in diesem Haus schlafen musste. Entschuldigend die Schultern zuckend, verabschiedete sich Joey von Mokuba und Niles. Seto hatte die Küche bereits verlassen und der Blonde verlor keine Zeit, ihm zu folgen. Verstimmt, da er keine Antwort erhalten hatte, sah Mokuba zu dem merkwürdigerweise ebenso breit grinsendem Niles. Da ein messerscharfer Verstand in den Genen der Kaibas verankert war, brauchte Mokuba nicht lange, um einen Rückschluss zwischen dem noch eben erhaschten Blick auf den hochroten Kopf seines Bruders und dessen barschen Befehlston sowie dem breiten Grinsen von Joey und dessen geliehener Kleidung zu ziehen. Auch er selbst wurde ein wenig rot um die Nase, als er zu der folgerichtigen Erkenntnis gelangte. Dennoch scheute er sich nicht davor, auch diesmal sicherheitshalber nachzuhaken. Kinder wollten es eben immer ganz genau wissen. „Er hat bei ihm geschlafen, oder?“ Niles nickte nur. Immer noch mit einem belustigten Lächeln im Gesicht. „Kann es sein… dass er, als ich vorhin bei Seto war…“ Das Lächeln seines Butlers vertiefte sich, ebenso wie der Rotton im Gesicht des Jüngeren. Mokuba unterstützte und akzeptierte die Verbindung seines Bruders zu Joey. Es war unschwer zu übersehen, dass er ihm bereits jetzt gut tat. Dennoch war er sich mit einmal sicher, dass er deshalb noch längst nicht alle Details wissen wollte und sah trotz jugendlicher Neugierde von weiteren Nachfragen ab. Kapitel 57: Ich brauche DICH! ----------------------------- Sodale... vielleicht ist dieses Kapitel nicht gerade weihnachtlich... aber es ist leider das nachfolgende Kapitel und ich hoffe, dass ich euch zumindest damit eine Freude mache, dass es überhaupt ein neues Kapitel gibt. ^_^* Viel Spaß beim Lesen? _______________________________________________________________-- ~~~~~~~~~ Schweiß strömte über sein Gesicht. Seine Glieder schmerzten. Angestrengt hielt er den Schutzwall aufrecht. Er durfte keinesfalls scheitern. All die Männer dort unten kämpften schon seit Stunden. Doch dies war schon längst kein Krieg mehr, der nur mit Waffengewalt und Köpfchen ausgefochten wurde. Der Herrscher Syriens hatte es in den vergangenen Jahren geschafft, zahlreiche begabte Magier auf seine Seite zu ziehen. Mit zahlreichen kleinen Demonstrationen ihrer Macht hatten sie es in den vergangenen Monaten geschafft, selbst die treuesten Männer des Pharaos zu verunsichern. Viele hatten Angst um sich und ihre Familien, die im Herzen Ägyptens Schutz gesucht hatten. Ein dumpfer Ton neben ihm, ließ ihn sekundenweise den Blick abwenden. Stumm registrierte er aus dem Augenwinkel den fallenden Körper einer der ehemaligen Palastwachen, welche bereits seit Tagen an seiner Seite kämpfte. Abir. Noch gestern hatten sie am abendlichen Feuer miteinander einen kurzen makaberen Scherz über sein mögliches baldiges Ableben ausgetauscht. Stirnrunzelnd richtete er seinen Blick wieder nach vorn. Heute Abend würde er keinen Scherz mehr machen. Ein Pfeil ragte aus seinem Hals. Sein Blut würde sich binnen Minuten mit dem trockenen Gestein unter ihm verbinden. Selbst über das Schlachtgetümmel am Grund der Schlucht, welches bis nach oben schallte, konnte er die gurgelnden Laute von Abdul hören. Noch lebte er. Ein knackendes Geräusch folgte. Grässlich anzuhören. Hätte er es nicht schon so oft in den letzten Wochen vernommen, hätte es ihm wohl einen Schauer über den Rücken gejagt. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ ihn die Silhouette von Hamzahn erkennen. Blutrot fielen zahlreiche Tropfen von seinem Streitkolben zu Boden. Er hatte seinen Kameraden von einem langsamen qualvollen Tod erlöst. Man hätte ihn nicht retten können. Bitterkeit und Resignation lag in seinem Blick, als er den Platz von Abir an Seths rechter Seite einnahm. Schnell entwand er dem leblosen Leib die Pfeile und den Bogen, den dieser nun nicht mehr gebrauchen würde. Trotzdem der Schädel zertrümmert war, starrten die Augen des Toten noch immer aus tiefen Höhlen in den rauchschwarzen Himmel. Das Leben hatte ihn bereits verlassen und doch war Seth sicher, einen verglimmenden Funken Dankbarkeit in den einst braunen Iriden erkennen zu können. Keiner der Soldaten wollte elend auf dem Schlachtfeld verbluten. Ein jeder, so hatte er von Jono erfahren, war dankbar für die Gnade eines schnellen Todes, sollte er nicht mehr zu retten sein. Dennoch erforderte dieser letzte Gnadenstoß fiel von den verbleibenden Soldaten ab. In einer schnellen Folge streckte Hamzahn von seiner erhöhten Position aus einige der Krieger mit Pfeil und Bogen Abirs zu Boden. Erst als er auch den letzten Pfeil Abirs abgeschossen und seinen Tod mit dem von zahlreichen Syriern gerächt hatte, griff er nach seinem eigenen und setzte sein schreckliches aber notwendiges Tun fort. Seth sah sich kein weiteres Mal um. Stattdessen richtete er seine Aufmerksam wieder auf das Gewimmel aus dunkelbraunen, gelben und orangen Farben. Ein erneuter Angriff auf seine mentale Barriere erfolgte. Geschwächt durch den erheblichen Schlafmangel geriet er kurz ins Wanken. Doch es dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte er sich wieder im Griff. Neben ihm gaben die Krieger weitere Schüsse ab. Unten, das konnte er mit magisch geschultem Auge gut erkennen, hatten sie inzwischen ein wenig an Boden wettgemacht. Da! Kurz konzentrierte Seth sich auf einen kleinen farbigen Punkt und schärfte seinen Blick erneut. Rot. War es Jono? Der kleine rote Punkt war nur schwer von den anderen zu unterscheiden. Gerade preschte er nach links weg, wich einem der Streitäxte aus, nur um kurz darauf direkt in eines der Chepesch des Feindes zu laufen. Sein Kopf glitt ihm von den Schultern. Der rote Punkt bewegte sich nicht mehr. Seth wartete kurz. Er spürte nichts. Jono war am Leben. Seit Beginn des Krieges vor mehr als einem Jahr hatten er und Jono zahlreiche Schlachten geführt. Er hatte es immer gespürt, wenn der Blonde verletzt war. Doch diesmal spürte er nichts. Wie auch? Dies war die letzte, die gefährlichste und größte Schlacht, die sie je gegen die syrische Armee geführt hatten. Atemu hatte darauf bestanden, selbst am Kampf teilzunehmen. Nur mit der Kraft der Millniumskette, hatte er argumentiert, wären sie in der Lage, die nächsten Schritte der Gegner vorherzusehen. Nun, da Jonos Einfluss und seine Funktion in der Armee des Pharaos vor nahezu zwei Jahren aufgedeckt worden war, war es nahezu unmöglich für ihn geworden, an Informationen zu gelangen. Atemu sollte Recht behalten. Seine Fähigkeiten waren bei dieser Schlacht von unschätzbarem Wert, hatten sie doch dafür gesorgt, dass man die Armee der Syrier in diesem riesigen Tal hatte stellen können. Lediglich eine enge Passage führte von hier aus nach Ägypten. Schon zwei Tage vor dem Eintreffen der Gegner hatten sie das Gelände grob erkundet, um eine gute Verteidigung aufzubauen. Geschützt durch grobes Felsgestein waren einige Soldaten und Magier, unter anderem auch er selbst, am Taleingang zurückgeblieben. Der Hauptteil der Armee war weitergezogen, als wüssten sie nichts von den zahlreichen Männern, die auf der anderen Seite Stellung bezogen hatten. Für den Stoßtrupp, gleichwohl nur zur Ablenkung gedacht, war es ein Himmelfahrtskommando gewesen. Dennoch hatten sich auf Jonos Aufruf zahlreiche Freiwillige gemeldet - alle bereit, ihr Land unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen. Sicher trug auch der Mut und die tiefe Zuversicht ihres Heeresführers, welcher selbst an der Spitze mit ihnen geritten war, dazu bei, dass niemand sich vor ihm als Feigling hatte präsentieren wollen. Dies wiederum war ein Beleg für das Vertrauen, dass sie selbst nach dem großen Blutvergießen der letzten Wochen nach wie vor in ihren Anführer setzten. Inzwischen wusste jeder um die Fähigkeiten Jonos. Die Anwesenheit Atemus verlieh ihnen zusätzliche Kraft. Dieser Kraft war es am Ende wohl auch zu verdanken, dass mehr als die Hälfte der vorausgesandten Männer es am Ende schafften, lebend zurück zu kehren - fliehend und mit dem Hauptteil der syrischen Armee im Rücken. Diese wähnte sich zu diesem Zeitpunkt noch am Siegen, wurden jedoch schon bald eines besseren belehrt. Doch auch die Syrier hatten inzwischen Einiges zu verlieren und kämpften bis zum letzten. Seit dem gestrigen Tag war ihr Kräfteverhältnis relativ ausgewogen. Es war ihnen gelungen, zwei Feldmagier, welche ihm in den vergangenen Tagen ihre Macht geliehen hatten, zur Strecke zu bringen. Inzwischen waren sie nurmehr leere Hüllen - nicht fähig, einen eigenen Gedanken zu denken. Man beratschlagte noch, ob ihr geistiger Tod mit dem Sterben auf dem Schlachtfeld gleichzusetzen war und es nicht besser sei, ihrem Leiden wie auch den Kriegern ein Ende zu bereiten. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen. Doch in Zeiten, da bereits so viele Männer dazu gezwungen waren, ihre verblutenden Kameraden mit eigenen Händen zu erschlagen oder auf andere Weise zu töten, wollte niemand das Leben eines Menschen beenden, der noch in der Lage wäre, aus eigener Kraft zu gehen und zu atmen. Man würde sich erst zu einem späteren Zeitpunkt ihrer annehmen. Jetzt zählte erst einmal nur, dass Seth zwei weitere Männer fehlten, welche ihm helfen konnten, den Flammen Einhalt zu gebieten, welche die Gegner den Männern des Pharaos entgegenwarfen. Erneut spürte der Hohepriester, wie etwas… oder jemand. versuchte in seinen Geist einzudringen. Augenblicklich riss er seine Barriere hoch. Verstärkte sie mit zahlreichen Fetzen aus nichtigen Erinnerungen. Das Rauschen von Wasser, wie es den Nil hinunterfloss. Das platschende Geräusch von Fischernetzen, welche am frühen Morgen ausgeworfen und am Abend wieder eingeholt wurden. Das Summen einer Dienerin, welche vor ihm um die Ecke bog. All diese kleinen Erinnerungen dienten der Ablenkung und sorgten dafür, den unerwünschten Eindringling von seinen wichtigsten Gedanken fernzuhalten. Nur wenn er selbst diese Barriere aufrecht erhielt, konnte er sicher sein, dass auch die anderen Männer um ihn herum von diesem schwarzen Einfluss verschont blieben. Wie leicht konnte man Gedanken manipulieren und lenken. In den vergangenen Jahren hatte er Unmengen an Wissen angesammelt. Er wusste, es brauchte oft nicht viel, um aus einem vormals treuen Mann einen Meuchelmörder zu machen. Sicher konnte man niemanden komplett verändern und ihn etwas tun lassen, was er nicht wollte. Doch wenn man einen Menschen fand, der gegen das gewünschte Opfer bereits einen kleinen Groll hegte, war es möglich, diesen so zu verstärken, dass er am Ende alle moralischen Grenzen niederriss und wider besseren Wissens zum Mörder wurde. Wie leicht konnte so jemand dazu gebracht werden, sich gegen den Pharao zu wenden. Schon allein aus diesem Grund hatte man zum Schutz des Pharaos in dieser Schlacht nur Leute ausgewählt, welche Seth und Jono zuvor auf Herz und Nieren geprüft hatten. Der Heeresführer hatte ihre Fähigkeiten im Kampf getestet, während Seth - unbemerkt von den Männern - in deren Köpfen nach vergangenem Groll oder möglichem Hass gesucht hatte. Das Ergebnis ihrer Bemühungen waren fast dreißig Männer. Einer von ihnen war Jono. Dieser hatte bei Seth selbst um eine Prüfung seines Geistes gebeten. Trotzdem Anoubis bereits seit ihres Tempelbesuches vor ein paar Jahren nicht mehr zum Vorschein getreten war, schien er sich doch gesorgt zu haben, dass am Ende er es sein könnte, der das Leben seines Pharaos an sich nahm. Doch Seth hatte ihn beruhigen können. Links von ihm prallte ein Pfeil von einem der umliegenden Felsen ab. Gerade noch rechtzeitig hatte er seinen Kopf ein Stück zur Seite neigen können. Seth fluchte lautlos. Gestern noch hätten die zwei Feldmagier dafür gesorgt, dass solch ein Pfeil niemals in seine Nähe gelangt wäre, damit er sich ganz auf den Schutz des Pharaos und auf den der Soldaten konzentrieren konnte. Heute jedoch oblag es ihm selbst, sich auch diese Angriffe vom Leib zu halten. Diese Bürde zehrte ihn zusätzlich aus. Hamzahn neben ihm sah sich kurz um, entdeckte den Schützen in der in einiger Entfernung gegenüberliegenden Felswand und brüllte einen Befehl zu den anderen Soldaten. Diese richteten ihr Augenmerk augenblicklich auf die braun ummantelte Gestalt, welche zwischen dem gleichfarbigen Gestein nur schwer zu erkennen war. Gerade wollte er sich noch wegducken. Doch sein Standpunkt war schlecht gewählt. Um einen sicheren Tritt zu haben, hatte er sich auf einen kleinen flachen Vorsprung stellen müssen und die schützende Felswand begann erst kurz hinter ihm. Noch bevor er den rettenden Schritt tun konnte, ragten bereits ein Pfeil aus seiner Brust und einer aus seinem Bein, während ein dritter das Ziel um nur wenige Millimeter verfehlte und hinter ihm aufschlug. Seth konnte über diese Entfernung nichts hören, doch er war sicher, dass der Mann wohl ebenso röcheln würde, wie Abir kurz zuvor. Zwar hatte der Pfeil ihn nicht am Hals getroffen, doch wenn Seth den Punkt, an welchem der Schaft aus seiner Brust ragte, richtig deutete, waren wohl seine Lungen in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Hohepriester sparte sich sein Mitleid für die eigenen Leute auf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Wichtigeres. Kurz konzentrierte er sich auf sein Innerstes, spürte den Fäden nach, welche er bereits vor Tagen an einem weitaus sicherem Ort gewoben hatte. Er wusste, dass Atemu selbst über starke Kräfte verfügte. Allein das Milleniumspuzzle, welches er und Jono aus dem Tempel des Anubis in die Hauptstadt gerettet hatten, war angefüllt von unglaublicher Macht. Doch der Einsatz desselbigen barg auch unzählige Gefahren - nicht nur für die Feinde, auch für das Volk Ägyptens. Niemand, nicht einmal Atemu, konnte den wahren Umfang seiner Macht einschätzen. Zum Schutz Ägyptens hatte man sich dazu entschlossen, dass Atemu zwar in der Nähe der Schlacht bleiben würde, jedoch weit genug entfernt, um nicht selbst ein Opfer zu werden. Sollte der Pharao fallen, wäre alles umsonst gewesen. Es gab noch keinen Nachfolger, der seinen Platz übernehmen würde und sollte das Land aus diesem Krieg ohne einen Pharao hervorgehen, würde der syrische König am Ende doch gewonnen haben. Denn ein führerloses Land ließe sich mit bei weitem weniger Männer einnehmen. Dem entsprechend verweilte Atemu in einer nahe gelegenen Festung. Eigentlich ein Tempel, welcher jedoch bereits vor so langer Zeit erbaut wurde, dass seine Existenz längst vergessen worden war. Die dreißig ausgewählten Krieger würden ihn notfalls von dort fortbringen und, sollte es notwendig sein, ihr eigenes Leben für ihn opfern. Damit dies nicht geschah oblag es nun Seth, seine eigenen Gedanken vor einem Eindringen in seinen Geist zu schützen, um nicht selbst unfreiwillig zu einem Verräter zu werden. Er zollte Atemu hohen Respekt. Dennoch wusste er, dass sein eigentlicher Antrieb schon längst nicht mehr allein der Schutz seines Pharaos war - sondern der Schutz Jonos. Dieser verweilte ebenfalls in der Festung. Sehr zu dessen persönlichem Missfallen, wie er wusste. Doch auch er wusste um die Notwendigkeit dieser Vorsichtsmaßnahme. Die Männer, welche Atemu im Falle des Falls zur Seite standen, waren diesem treu ergeben. Doch niemand von ihnen konnte letztlich sicher sein, dass die Magier des Gegners nicht doch eine Möglichkeit finden würden, diese zu beeinflussen. Seth, das wussten sie vorher, würde genügend damit zu tun haben, die Männer auf dem Schlachtfeld vor den magischen Angriffen der Gegenseite zu schützen. Dreißig weitere Männer, die sich zudem auch noch fernab seines Standpunktes aufhielten, vor mentalen Angriffen abzuschirmen, ging selbst über seine Kräfte hinaus. So hatte man sich dazu entschlossen, dass Seth stattdessen nur zwei Personen schützen würde - den Pharao und Jono. Sollten sich die Männer Atemus wider Erwarten doch gegen ihn wenden, wäre der Heeresführer, als der stärkste von Ihnen, in der Lage, sie aufzuhalten. Zudem brauchte es einen kühlen strategischen Kopf, welcher den Überblick über die Schlacht behielt. Sie konnten es sich nicht leisten dass Jono, welcher noch immer am Besten mit der Vorgehensweise von Syriern vertraut war, auf dem Schlachtfeld starb. Vor nunmehr drei Tagen hatten sie sich daher von einander verabschiedet. Nahezu wortlos. Der Tod hatte ihnen schon immer im Nacken gesessen. Von Beginn an war ihnen dies stets gegenwärtig. Doch beide wussten um die Stärken des Anderen und vertrauten darauf, dass sie einander wiedersehen würden. Seths Augen verdunkelten sich. Zumindest war dies bis jetzt immer der Fall gewesen. Vor drei Tagen jedoch, hatte er diese Zuversicht zu einem guten Teil verloren. Atemu war vor seiner Abreise auf ihn zugekommen, hatte ihn gewarnt, dass er diese Schlacht womöglich nicht überleben würde. Seine Milleniumskette hatte ihm diese düstere Zukunft offenbart. Nach Ansicht der Kette, würde er, durchbohrt von zahlreichen Pfeilen, zu Boden gehen und sterben. Vor zwei Tagen hatte er die Vorhersage Atemus noch abgetan. Seine Barriere war zu stark, als dass nur ein einziger Pfeil sein Ziel hätte erreichen können. Doch inzwischen war er sich da nicht mehr sicher. Im Verlauf der letzten Stunden waren mehrere Feldmagier der geballten Stärke ihrer Gegner zum Opfer gefallen. Immer mehr Pfeile fanden ihren Weg zu ihm - wie der vorangegangene Zwischenfall nur all zu deutlich bewies. Atemus Sorgen waren demnach berechtigt. Wenn es so weiter ginge, würde er heute sterben. Innerlich fluchend geisterte sein Blick erneut zu dem roten Punkt, welchen er einige Zeit zuvor im Schlachtgetümmel hatte niedergehen sehen. Er hatte Jono nichts von der Wahrsagung des Pharaos erzählt - und hatte Atemu ebenfalls um Stillschweigen gebeten. Es gab ohnehin nichts, was der Blonde hätte tun können. Sein Platz war an der Seite des Pharaos. Der Heeresführer hatte geschworen, sein Leben in den Dienst des Herrschers zu stellen. Und er war dankbar dafür, denn er befürchtete, dass Jono sonst womöglich etwas sehr Dummes versucht hätte. So wusste er - selbst wenn er heute tatsächlich fallen sollte, Jono wäre in Sicherheit. Er würde gewiss eine Möglichkeit finden, die Truppen der Syrier doch noch aufzuhalten, selbst wenn sie hier überrannt werden sollten. /Aber ich werde nicht sterben. Nicht heute!/, versicherte er sich selbst. Abermals spürte er einen scharfen Luftzug neben sich. Nur knapp verfehlte ein weiterer Pfeil sein Ziel. Grimmig verfolgte Seth den Luftwirbel mit Hilfe seiner Magie zurück zu seinem Ursprungsort, noch bevor die einzelnen Schichten aus Nichts wieder in ihren vorherigen Zustand zurückfallen konnten. Augenblicke später hatte er den Schützen ausgemacht. Es bedurfte lediglich eines Fingerzeigs. Sekunden danach gellte ein Schrei durch die Luft, ehe der Mann den Halt verlor. Ein paar winzige Steine unter ihm hatten sich gelöst und eine kleine Lawine ausgelöst, welche ihn kurzzeitig aus dem Gleichgewicht brachte. Das reichte. Doch das Gefühl der Zufriedenheit blieb aus. Der vorangegangene Pfeil hatte ihn zwar verfehlt, sich dafür allerdings ein anderes Ziel hinter sich gesucht. Ein weiterer guter Mann, seines Lebens beraubt. Wenn sich überhaupt ein Gefühl in ihm ausbreitete, dann war es Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass der Soldat sofort tot war. Dankbarkeit für ihn, weil er nicht leiden musste - und für seine Kameraden, weil sie ihn nicht hatten umbringen müssen. Erschöpfung zeichnete sich inzwischen auf allen umstehenden Gesichtern ab, als der nächste Bogenschütze den frei gewordenen Platz des Getöteten einnahm. Es war nicht leicht gewesen, Plattformen zu finden, von denen aus sie einen sicheren Stand hatten und zugleich eine gute Schusslinie auf das Schlachtfeld unter ihnen. Die wenigen geeigneten Plätze am Rande der Klippen mussten stets besetzt bleiben. Während die vordere Reihe Pfeil um Pfeil auflegte und abfeuerte, sammelte die nächste Reihe die Pfeile der Toten ein und reichte sie weiter, bis sie selbst an der Reihe waren und den Platz eines getöteten Kameraden einnahmen. Hinter ihnen türmte sich derweil nicht nur felsiges Gestein in die Höhe, sondern auch die Leichen der Gefallenen. Der Stein unter ihnen war getränkt von Blut denn der Feind hatte sich bereits mit mehreren guten Schützen in der gegenüberliegenden Felswand verschanzt. Sie schienen ein ähnliches Ziel zu verfolgen. Seth sah nach unten. Der Strom nachrückender Krieger seitens der Syrier wollte einfach nicht abreißen. Die Ägypter, einer wie der andere, kämpften gut. Der enge Ausgang gab ihnen, wie von Jono vermutet, einen Vorteil. Dennoch… /Womöglich…/, dachte Seth zum ersten Mal, /ist die Übermacht der Syrier zu groß, um sie besiegen zu können./ Doch schnell schob er den Gedanken zur Seite. Ein erneuter mentaler Angriff erfolgte. Er wankte. Fiel kurz auf ein Knie, ehe er sich wieder aufrichtete. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, schlug er zurück. Die Augen geschlossen, um sich besser auf die Präsenz der anderen Magier konzentrieren zu können, nahm er die Bewegung hinter ihm viel zu spät wahr. Mit einmal fühlte er, wie er ein Stück nach vorn gestoßen wurde. Unversehens fand er sich auf seinen Knien wieder, die Hände auf den scharfkantigen Stein gestützt. Ein zischender Laut drang durch seine Lippen, als er spürte, wie seine rechte Hand auf der Innenseite aufgerissen wurde. Seine Linke glitt indes ab und mit Schrecken stellte er fest, wie ihm der Milleniumsstab, den er bis eben noch in der betreffenden Hand gehalten hatte, entglitt. Hastig versuchte er, danach zu greifen, als er plötzlich ganz zu Boden gestoßen wurde. "PASS AUF!", schrie jemand hinter ihm. Erstaunt riss er seine Augen auf, glaubte er doch, die Stimme Jonos zu hören. Doch schon wenig später war der Moment vorbei und das Schlachtgetümmel brandete erneut auf. Alles Andere trat in den Hintergrund. Stöhnend versuchte er, wieder auf die Beine zu kommen. Er musste dringend seinen Milleniumsstab wiederbekommen. Dieser war ein Stück den Abhang hinunter geschlittert und ruhte nun auf einem Felsvorsprung - nicht mehr als zwei Meter unter ihm, doch weit genug, um ihm in den nächsten Minuten vermutlich noch einige Scherereien zu machen. "Geht es dir gut?", erkundigte sich eine Stimme, durch die Klänge von aufeinander prallenden Chepesch, Schmerzensschreien und sirrenden Pfeilen in der Luft nur schwer zu verstehen - aber nicht weit hinter ihm. "Sicher", gab er zähneknirschend und einigermaßen erschöpft von sich. Seine Hand würde er später noch heilen können doch er fragte sich im Stillen, ob es ihm je gelingen würde, den sträflich vernachlässigten Schlaf nachzuholen. Die über Tage andauernde Anwendung von Magie hatte ihn bereits viel Kraft gekostet. Er konnte es in seinen Knochen spüren, denn es dauerte bei weitem länger als noch vor einer Woche, sich aus dieser halb liegenden Position in eine halbsitzende und schließlich eine stehende hinaufzuarbeiten. Fahrig klopfte er seine Kleidung ab. "Dann ist es gut", hörte er es hinter sich murmeln. Nahe. Zu nahe. Die dunkle Ahnung, bis eben nur am Rande seiner Wahrnehmung, wurde Gewissheit. Sein Körper erstarrte. Schmerz breitete sich in seinem Innern aus. Schmerz, der ihn von innen zu zerreißen schien. Er wollte... KONNTE sich nicht umdrehen. Wenn er es täte, würde er IHN sehen und er müsste erkennen, dass etwas ganz und gar nicht 'gut' war. Nur einen Augenblick, einen winzigen unendlich scheinenden Augenblick schloss er die Augen. Versuchte, den unvermeidbaren Moment noch ein wenig hinauszuzögern und konnte doch nichts dagegen tun, als ein leises Röcheln ihn brutal in die Gegenwart zerrte. Das Blut rauschte in seinen Adern. Erfüllt von dunklem Grauen drehte er sich um und sah Jono. Ein Chepesch lag noch immer in seiner blutenden Hand. Ein anderes befand sich einen Schritt entfernt auf dem Boden, ebenfalls rot von Blut. Er kniete vor ihm. zurückgesunken auf seine Knie und Füße, sah er ihn an. Ein Lächeln auf dem Gesicht. Eines, voller Erleichterung. Eines, das zu dem feinen Blutrinnsal, welches über seine Lippen floss, nicht passen wollte. "Ich da...te …ch komme z... spät", fuhr er fort. Die Stimme nicht mehr als ein halb ersticktes Gurgeln. Tropfen um Tropfen quoll zäh aus seinem rechten Mundwinkel. Seine blonden Haare zeigten sich verstaubt, ebenso seine Kleidung. Dreckig, zerrissen. Man sah ihm an, dass er sich den Weg bis hierhin freigekämpft haben musste. Rah allein ahnte, woher er gewusst hatte, wo Seth sich aufhielt. Der Hohepriester war sicher, dass von Anfang an er das Ziel des Jüngeren darstellte. Die Augen des Blonden verrieten ihn. Sie waren … ruhig. Zufrieden. Glücklich? Wie konnte er so glücklich aussehen? Der blutende Körper sank zur Seite. Mit einem Sprung hechtete Seth zu ihm und hielt ihn davon ab, zu hart auf den Steinen aufzuschlagen. Es hätte ihm schwerlich mehr Verletzungen zufügen können, als er bereits besaß. Der Braunhaarige zwang sich zu zählen. Sieben Pfeile. Zwei im Oberschenkel. Einer im rechten Fuß. Zwei im Magen. Einer im linken Oberarm. Einer knapp über der Hand. Der letzte … in der Brust. Jono hustete. Ein neuer Schwall Blut folgte. Es tropfte zu Boden. Ohne, dass er etwas sagen musste, schlossen die geschockten Soldaten die Reihen und füllten die von ihm hinterlassene Lücke. Um ihn herum ging das Töten weiter und doch hatte er nur Augen für den Todgeweihten, der in seinen Armen lag. Durchbohrt von Pfeilen. /Du wirst sterben, Seth. Durchbohrt von sieben Pfeilen/, hallte es in seinem Kopf wieder. "Atemu!", fluchte er voll bebendem Zorn, während er auf Jono niederstarrte. Die Wahrheit dämmerte ihm und mit ihr kam die Wut. "Er hat…", setzte er an, doch Jono ließ es nicht zu. Ein blutiger Finger legte sich auf seine Lippen. "Er ...at… nichts, Seth. Gar ni...ts. Ich habe… Ich ga…nz allein habe…" Jono würgte. Sein Körper zitterte haltlos. Kalter Schweiß mischte sich mit der roten Flüssigkeit, die an zahlreichen Stellen aus vielen kleinen und großen Wunden hervortrat. Doch schlimmer war das, was man nicht sehen konnte. Blut drang in seine Lungen und bahnte sich in krächzendem Husten Tropfen für Tropfen einen quälenden Weg durch die Luftröhre nach außen. Hilflos musste der Hohepriester mit ansehen, wie Jono in seinen Händen starb. Er wusste, er konnte nichts mehr für ihn tun. Gar nichts. Verzweiflung breitete sich in ihm aus. Pechschwarze, düstere Verzweiflung. Das kleine Licht, welches Jono in ihm entzündet hatte, begann zu verlöschen. Die Flamme wurde kleiner. Alle Farben verblassten. Seine Welt wurde grau. "Jono… wie kannst du… Du hast geschworen, dass…" Der Blonde versuchte den Kopf zu schütteln. Nicht mehr in der Lage, seine Kraft noch richtig zu dosieren, drückte er vermeintlich fest gegen die Brust des Hohepriesters. Doch für Seth fühlte es sich nicht stärker an, als das leichte, kaum spürbare Streichen einer Feder. "'Mein Leben… für das deine'", zitierte er leise die Worte, welche Seth vor all der Zeit nur wie der Widerhall eines Traumes erschienen war. Damals. In der Wüste. Als sie sich zum ersten Mal geliebt hatten. "Seth… mei... Leben … gehörte imme... dir. Nur dir", fuhr Jono fort. Das Licht seiner Augen erlosch bereits. Immer wieder zuckten die einstmals braunen Perlen mal nach links, mal nach rechts, konnten den Hohepriester jedoch nicht mehr deutlich ausmachen. Doch er ließ nicht ab von seinen Worten und fuhr fort: "… Verspri... mir …" Ein neuer Hustenschwall. Noch mehr Blut. Jono versuchte erneut, ihn zu fixieren. Vielleicht in der Hoffnung, dass Seth ihn, wie in all den letzten Jahren, auch ohne Worte verstand. Sein Wunsch sollte nicht erfüllt werden. Das goldene Braun seiner Augen erblasste. Das Leben entwich immer schneller aus ihm, floss heraus wie das Wasser eines Baches, das man nicht greifen, nicht festhalten konnte. "Versprich…", setzte er ein letztes Mal an, "dass ...u lebe... wirst. Beschü...e Ägypten", bat er flehentlich. Voller Entsetzen sah Seth ihn an. "Das kannst du nicht ernst meinen! Wie kannst du das von mir verlangen?!" Fassungslos starrte er ihn an. Er hatte nicht vor, weiterzuleben. Nicht ohne Jono. Er wollte nicht zurück, in diese Leere, diese Schwärze. Niemals. Das konnte ihm Jono nicht antun. Ihm ein solches Versprechen abzuringen. "Atemu… brau...t di...", brachte er hervor. "Äg...pten… brauc… dic…", ergänzte er. "Ägypten ist mir egal! Ich brauche DICH!", ließ Seth ihn wissen. Ein glückliches Lächeln legte sich über das Gesicht von Jono. "Ich weiß" Seine Hand sank zu Boden. Seine Augen starrten ins Leere. Und was auch immer er noch hatte sagen wollen, es blieb unausgesprochen. Das Grau verschwand. Um Seth herum wurde es schwarz. "Nein", flüsterte Seth. Hastig griff er nach der Hand des Blonden, drückte sie sich an die Wange. Ein Funke Leben. Wenn nur noch ein Funke Leben in ihm wäre, dann… Doch mit seinem letzten Atemzug wich auch die Wärme aus seinen Gliedern. Kein Finger mehr, der sich krümmte und ein letztes Mal über seine Wange strich. Kein freches Blitzen in den Augen, nur kalte, bodenlose, graue Leere. Er hatte immer geglaubt, sie hätten alle Zeit der Welt. Doch Jono hatte ihn erneut eines Besseren belehrt. Er war gegangen. Tot. Einfach so. Und im selben Augenblick, in dem er ihn hier zurückgelassen hatte, hatte er ihn zum Leben verdammt. Mit seinen letzten Worten hatte er ihn an den Pharao und dieses Land, das ihm das Wertvollste, was er besaß, genommen hatte, gebunden. Und dafür hasste er ihn. Aus ganzem Herzen. Hass war das einzige Gefühl, das ihm geblieben war. Alle anderen hatte Jono mit sich genommen. "Ich hasse dich", fluchte Seth flehentlich und zog den schlaffen Körper in seine Arme. "Ich hasse dich, Jono. Ich hasse dich." Es regnete. Seth sah ins Leere. Sah nach oben. Stellte fest, dass es kein Regen war, der auf seine Hände tropfte, der seine Wangen hinunterlief. Er hatte nie zuvor geweint. Hatte nicht gewusst, was Tränen sind. Dass sie so brennen konnten. Wie Feuer. Der Himmel über ihm war blau. Doch er sah es nicht. Er sah nur Schwärze. Der Stein neben ihm, war braun. Es war egal. Für ihn war er schwarz. Er sah sich um. Dunkelheit. Nichts hatte sich verändert. Die Schlacht war noch in vollem Gange. Noch immer hallten Schreie vom Grund bis zu ihnen nach oben. Unstetig schweiften seine Augen über die blutige Szenerie, die sich vor ihm ausbreitete. Über die zahlreichen Leichen, welche um ihn herum lagen. Erstochen. Von Pfeilen durchbohrt. Erschlagen. Und unten? In der Schlucht? Noch mehr Tote. Krieg. Wenn dieser Krieg nicht wäre, wäre Jono noch am Leben. Er spürte die irritierten Blicke nicht, welche ab und zu, wenn gerade ein Moment Luft war, in seine Richtung geworfen wurden. Er sah sich weiter um, bis er ihn entdeckt hatte. Den ersten Schützen. Den ersten, der ihn hatte treffen wollen. Den ersten, der stattdessen Jono mit einem Pfeil durchbohrt hatte. Es reichte ein Augenblinzeln. Der Mann rutschte ab. Stürzte. Fiel in die Tiefe. Kurz darauf der zweite. Dann der dritte. Einer nach dem anderen. Sie alle fielen. Einfach so. Es war so leicht. Er sah aus der Ferne ihre geöffneten Münder und vermutete, dass sie schrien. Alles egal. Er hörte es nicht. Einer der Männer näherte sich ihm, wollte ebenso wie schon zuvor die restlichen Pfeile Jonos verwenden, um dessen Tod zu rächen. Er hatte kaum den Köcher berührt, als er bereits tot zusammenbrach. Voller Entsetzen registrierten die umstehenden Krieger viel zu spät, dass dessen plötzlicher Tod nicht das Resultat eines feindlichen Magiers war. Auch sie fielen nur Sekunden später ohne erkenntlichen Grund. Brachen einfach zusammen und standen nicht mehr auf. Erfüllt von Furcht, ließen einige der noch lebenden Krieger, welche hatten aufrücken wollen, ihre Waffen fallen. Sie rannten. Rannten um ihr erbärmliches Leben. Sorgsam bettete Seth den Kopf von Jono auf das braunrote Gestein. Er hatte keinen Mantel um, mit dem er ihn hätte bedecken können. Kein roter Mantel, der ihn als Anoubis Ano-Ooobist, als Heerführer, ausgewiesen hätte. Er war als Jono gekommen. Jono hatte sein Leben für seines gegeben. Und der Pharao hatte ihn verraten. Hatte sein Versprechen nicht erfüllt. Hatte es zugelassen, obwohl Jono durch einen Schwur an ihn gebunden war. Und er sollte einfach weiterleben? Weiterleben und für diesen Pharao kämpfen? Für dieses Land leben, das Jono bis hinein in den Tod nur Schmerz gebracht hatte? Er erinnerte sich an die kleine Szene vor drei Tagen, als Jono in der Nacht vor seiner Abreise zu ihm gekommen war. Sie hatten sich geliebt. Das letzte Mal, wie er nun wusste. Und Jono hatte ihm von dem Glauben der Nordmänner erzählt. Dass es ein Leben nach dem Tod gäbe. Dass sie daran glaubten, dass die Seelen wiedergeboren wurden. Und er hatte ihm gesagt, wenn er sich einen Glauben aussuchen könnte - sich eine Wahrheit aussuchen könnte - dann wäre es diese. Denn er wolle gern noch ein weiteres Leben mit ihm leben. Und Seth hatte zugestimmt. Er wollte nichts Anderes. Ein Leben ohne ihn, konnte er sich nicht vorstellen. Wie auch? Jono WAR sein Leben. Sein Blick fiel auf die Syrier unter sich. Der Milleniumsstab lag noch immer unerreichbar zwei Meter unter ihm auf dem Felsvorsprung. Doch nun war es gleich. Den Stab brauchte er, um seine Kraft zu kanalysieren, um sie zu lenken. Wozu sollte er jetzt noch seine Macht beschränken? Jetzt, da es keinen Sinn mehr machte, wenn einer von denen, die dort unten miteinander kämpften, lebten oder starben? /Wenn sie auch sterben/, so dachte er, /wird es keinen mehr geben, den ich beschützen muss. Kein Syrien und kein Ägypten mehr. Dann kann ich ihm folgen./ Ausdruckslos hob er seine rechte Hand ein wenig an. Kein Gefühl spiegelte sich auf seinem Gesicht, während seine Finger immer größere Kreise zogen. Zur selben Zeit, etwas abseits vom großen Getümmel, wirbelten zahlreiche Sandkörner immer schneller in der Luft herum. Mit jedem Kreis nahm der kleine Sturm, welcher sich durch die Hand Seths bildete, immer größere Gesteinsbröckchen mit auf, welche am Rande zu tödlichen Geschossen wurden. Ein kurzes gemurmeltes Wort später wuchs der Sandsturm erst auf seine doppelte, dann auf seine vierfache und fünffache Größe an. Mit einem kurzen Befehl wanderte der Sturm in Richtung der Kämpfenden, welche schon bald die Arme hochrissen - Freund wie Feind - weil der Wind mit den Gesteinsbrocken, ihre Augen verletzte und die Haut aufriss. Die ersten Schreie schallten nach oben, bahnten sich ihren Weg die Klippen hinauf. Seth kümmerte es nicht. Jono war tot. Wenn diese Menschen nicht wären, wäre er noch am Leben. Ein weiterer Befehl. Der Sturm wirbelte schneller. Er spürte mehr, als dass er es sah, dass die ersten Soldaten starben - getötet durch scharfkantige Steine, welche sich in deren Köpfe bohrten, die Haut aufschlitzten, bis sie verbluteten oder sich in ihre Brust gruben. Ägypter und Syrier gleichermaßen. Egal. "SETH!", erscholl es warnend hinter ihm. Der Hohepriester sah sich kurz um. Ein höhnisches Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus. Soso. Sein Pharao hatte also auch den Weg hierher gefunden? Reute es ihn, dass er sein Versprechen gebrochen und Jono von dem bevorstehenden Schicksal seines Geliebten berichtet hatte? Oh ja! /Bereue, Pharao! Doch alle Reue wird dir nichts bringen - denn ich werde dir nie vergeben! Niemals. Du hast es zugelassen. Hast zugelassen, dass er stirbt und meinen Platz einnimmt/, dachte er im Stillen. Ohne lange zu überlegen, richtete er sein Augenmerk auf Atemu. Der Wind zu seinen Füßen flaute ab. Stattdessen sammelte er ihn in seinen Händen und entsandte ihn in Richtung der Person, welche nur wenige Meter von ihm entfernt stand. Die offensichtliche Trauer und das Bedauern im Blick des Pharaos ignorierte er. Dieser schien seine Reaktion vorausgeahnt zu haben und blockte seinen Angriff ab. Doch Seth war noch nicht fertig. Immer wieder sammelte er die Kraft in seinen Händen und schleuderte sie voller Wut in die Richtung des Pharaos. Hinter diesem zersprang Gestein und Geröll löste sich. Dennoch konnte er Atemu nur wenig anhaben. Einige Kratzer, mehr nicht. Erneut sammelte er sich. Unvermutet brach sein rechtes Bein unter ihm weg. Begleitet von einem schmerzhaften Aufstöhnen prallte es auf das Felsgestein. Doch Seth ignorierte es und wollte erneut angreifen. Es dauerte nur einen Augenaufschlag, bis er feststellen musste, dass sein Pharao anscheinend mächtiger war, als er aussah. Mühelos trat er näher und damit auch durch seine unsichtbare Barriere, die er um sich und Jono gezogen hatte. "Es tut mir leid, Seth. Es tut mir leid. Ich hatte keine Wahl. Es tut mir unendlich leid", sprach er immer wieder auf ihn ein. Kurz warf er einen Blick auf die blonde Gestalt, welche leblos neben ihm lag, ehe er sorgsam einen weiteren Fuß vor den anderen setzte. Es war offensichtlich, dass er seine Worte so meinte, wie er sie sagte. Dass es ihm tatsächlich leid tat. Und doch konnte Seth sich nicht dazu bringen, ihm zu vergeben. Weder ihm, noch irgendeinem anderen. Vor allem nicht sich selbst. Er hatte zugelassen, dass die Pfeile, die für ihn bestimmt waren, Jonos Leben beendeten. Er hatte ihn nicht beschützt, sein Versprechen nicht halten können. Doch ohne den Pharao wäre es Jono nie möglich gewesen, seinen Platz im Rad des Schicksals einzunehmen und an seiner Stelle zu sterben. Ohne den Pharao würde er womöglich noch leben, atmen, lachen. Also würde er den Pharao töten. Erst ihn und dann sich selbst. Das war das Letzte, was er dachte, ehe sich tröstliche Dunkelheit über ihn legte. Wie ein Mantel breitete sie sich über ihm aus und ließ ihn zu Boden gehen. Er spürte noch, wie zwei Hände seine Schultern stützten. Fühlte, wie seine Beine unter ihm nachgaben. Danach fühlte er nichts mehr. Jono war tot. Er hatte alle Gefühle mit sich genommen. Kapitel 58: Ein Museumsbesuch mit Tod im Gepäck ----------------------------------------------- Hiho. 2 Jahre Auszeit. Und weiter geht's. ^_^ Viel Spaß beim Lesen! (p.s. Entschuldigung, dass ich so lange gebraucht habe) ~~~~~~~~~~ Seto schrie. Schmerz durchzuckte ihn, Schmerz und tiefe Verzweiflung. Keuchend setzte er sich auf, hielt die Hand auf seine Brust gepresst und atmete schwer. Hinter ihm machte er ein ihm unbekanntes Geräusch aus. Wie ein feines Knacken. Immer lauter wurde es um ihn herum. Der Atem immer noch stoßweise, erspürte er die Vibration eher in der Luft, als dass er sie sah. Ein letztes Mal krampfte sich seine Hand zusammen. Seine Augen weit aufgerissen. Die Scheibe zersprang. Erst eine, dann noch eine und noch eine und auch die letzte zersplitterte mit einem berstenden Geräusch. Als hätte die Druckwelle einer Explosion sie von innen auseinander gerissen, verteilten sich die zahlreichen winzigen Scherben sowohl im Inneren des Raumes als auch außerhalb, im Garten. Es dauerte nur Sekunden, bis zwei Hausmädchen, sein Butler und sein kleiner Bruder in das Zimmer gestürmt kamen. Voller Entsetzen betrachteten sie sich das Unheil und Mokuba rannte auf ihn zu, "Großer Bruder! Bist du verletzt?" Noch immer um Luft ringend, sah Seto zu dem kleinen schwarzen Schopf. "Keine Sorge", brachte er schließlich mit gepresster Stimme hervor. "Sicher?" "Ja. Ich habe mich wohl nur erschrocken." Beruhigt aber mit tiefem Stirnrunzeln sah Mokuba auf die zahlriechen Scherben. "Wie ist denn das passiert?" Seto war noch halb in der Traumwelt seiner Erinnerung gefangen, dennoch gelang es ihm irgendwie, eine halbwegs plausible Erklärung abzuliefern. Schnell fischte er das nächst Beste, das er in seinen Erinnerungen finden konnte und schusterte es zu einem vollständigen Satz zusammen. "Vermutlich wurden die Scheiben falsch eingesetzt und standen unter Spannung. Es kann vorkommen, dass sie dann einfach irgendwann zerbersten, wenn der Druck zu groß wird." Skeptisch sah Mokuba zu seinem großen Bruder. Da ihm jedoch auch keine bessere Erklärung einfiel, beließ er es bei einem zögerlichen Nicken. Seto hatte seinem kleinen Bruder bisher noch nichts von seinen magischen Fähigkeiten erzählt. Und eigentlich hatte er es auch nicht vor. Er wusste genau, was die Scheiben in seinem Zimmer gesprengt hatte - oder wer. Wenn auch unbewusst. Nach ein paar Minuten, in denen er es schaffte, sich restlos von seinem morgendlichen Schockzustand zu erholen, schickte er alle Anwesenden hinaus. Im Stillen dankte er dem Zufall, dass Joey heute noch einmal bei sich zu Hause genächtigt hatte. Genauso, wie er es auch morgen nochmal tun würde, um seine Sachen zu Ende zu packen. Er brauchte Zeit, um das Geträumte zu verdauen. **********zwei Tage später********* Hellbraune Fliesen reihten sich, in immer neuen Mustern, aneinander. Der Eingangsbereich war sehr weitläufig und hell. Große Oberlichter sorgten für lichtdurchflutete Räume, in welchen die Ausstellungsstücke perfekt zur Geltung kamen. Ein kurzer Blick auf die Hinweistafeln klärte darüber auf, dass man sich derzeit in der Ausstellung von erst kürzlich gefundenen Keramiken befinde. Seto orientierte sich kurz, ehe er sich für den rechts von der Halle abzweigenden Weg entschied. Dieser führte in Richtung der Pharaonenausstellung. Aufmerksam sah sich der Firmenchef auf seinem Weg um. Die Ausstellungen waren offenbar sehr gut besucht, denn selbst um diese Uhrzeit strömten bereits erste interessierte Gruppen durch die verschiedenen Räumlichkeiten. Lauschte man aufmerksam, konnte man hören, dass das scheinbar allgegenwärtige Murmeln nicht nur japanischer, sondern auch deutscher, englischer, spanischer, koreanischer oder chinesischer Natur war. Die Museumsleitung hatte bereits vor zwei Jahren, zu Beginn der Dauerausstellung, mehrere Führer angestellt, welche mindestens zwei Fremdsprachen beherrschten. Da nur wenige Japaner des Ägyptischen mächtig waren, verwunderte es dementsprechend nicht, dass die Bewerbung eines gewissen Atemu Muto schnell regen Zuspruch gefunden hatte. Immerhin kamen auch aus Ägypten, der eigentlichen Heimat all dieser Gegenstände, viele Menschen zu Besuch. Meist Professoren und Archäologen, welche das eine oder andere Fundstück ergänzten, ein paar Dinge untersuchen wollten oder denen einfach nur daran gelegen war zu prüfen, wie die kostbaren Schätze hier untergebracht waren. Dementsprechend, soviel hatte Seto Kaiba inzwischen in Erfahrung gebracht, wurde Atemu vorrangig damit betraut, diese Fachbesucher in den Räumlichkeiten herumzuführen. Es war zu vermuten, dass dies nicht immer eine einfache Aufgabe für den ehemaligen Pharao darstellte. Stirnrunzelnd blieb Seto kurz vor einem langen Schaukasten stehen, in welchem eine der zahlreichen Mumien ausgestellt war. "Pharao Ramses lebte von…", stand unter dem Kasten auf einer kleinen Tafel geschrieben, doch sofort ließ Seto seine Augen weiterwandern. Makaber zu sehen, dass die Menschen, die einst bis in alle Ewigkeit in Frieden hatten ruhen wollen, nun der größte Unfriede überhaupt zuteil wurde. Nur mühsam unterdrückte er das Gefühl, sich schütteln zu müssen. Er nahm an, dass Atemu ganz froh war, dass man seine Leiche nie gefunden hatte. Es würde wohl reichlich makaber anmuten, wäre er heute dazu verdammt, jeden Tag an seiner eigenen mumifizierten Leiche vorbeizulaufen und sie irgendwelchen Experimenten zur Verfügung zu stellen. Im Stillen hoffte er, dass nicht auch sein eigener Körper noch irgendwo herum lag. Zwar reichten seine eigenen Erinnerungen noch nicht bis zu seinem Tod, doch er wusste zumindest, das einst auch hohe Würdenträger einbalsamiert und mumifiziert worden waren. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, konnte er darauf gut verzichten. Mit festem Schritt ging er weiter. Ohnehin war er heute nicht hierhergekommen, um sich über sein eigenes Ableben Gedanken zu machen. /Zumindest nicht in dieser Form/, schränkte er wenig später ein, während er langsam den Saal der Pharaonenschätze betrat. Überall funkelten ihm vergoldete Ausstellungsstücke entgegen. Er wusste, dass es sich nur um simple Imitationen handelte. Die waren Schätze lagen im Keller des Museums hinter dicken Stahltüren mit einem von ihm entwickeltem Sicherheitssystem verborgen. Niemand wäre in der Lage, dies mit den derzeit bekannten Mitteln zu überwinden. Stirnrunzelnd dachte Seto an eine Begebenheit vor wenigen Tagen zurück. /Niemand außer Joey vielleicht. Aber selbst das setzt menschliches Versagen voraus, was wohl im Endeffekt bedeutet, dass mein System noch immer nicht narrensicher ist./ Im Stillen vermerkte er sich die Notwendigkeit eines Gesprächstermins mit dem hiesigen Direktor. /Vielleicht/, überlegte er, /sollte ich auch Joey zu diesem Gespräch hinzu bitten. Ich vermute, dass er ein paar interessante Verbesserungen einbringen könnte./ Doch bevor dies geschehen konnte, musste er zuerst sicherstellen, dass er einen der besten Museumsführer dieses Hauses, wie der Direktor ihm versichert hatte, nicht bei nächstbester Gelegenheit aufschlitzte oder zu Asche verbrannte, sobald er ihm über den Weg lief. Solche drastischen Vorgehensweisen waren meist ein schlechter Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen mit dem entsprechenden Arbeitgeber. Zumindest, wenn er dies in der Öffentlichkeit tat. Tiefe Falten gruben sich in seine Stirn, als er an die Fenster seines Schlafzimmers dachte. Diese waren vorgestern in tausend kleine Stücke zerborsten - auf Grund eines Traumes, den er lieber gestern als heute wieder aus seinem Gedächtnis verbannt hätte. Wenn es denn ein Traum gewesen wäre. Leider handelte es sich dabei um Erinnerungen und er würde den Teufel tun, sich diesen Erinnerungen zu verschließen. Die Bilder zu verdrängen würde bedeuten, dass er vor den damit einhergehenden Problemen davon lief - aber ein Kaiba rannte niemals davon. Schon gar nicht, wenn die Ursache der besagten Probleme so leicht aus dem Weg zu schaffen war. Er hatte sein Ziel erreicht. Aufmerksam sah er sich in dem kleinen Raum um. Dämmriges Licht sorgte dafür, dass allein die angestrahlten Exponate zur Geltung kamen. Der Blick eines jeden Besuchers wurde beinahe automatisch von der Mitte des Raumes angezogen, in welchem sich eine Glasvitrine mit den Herrschersymbolen der alten Pharaonen präsentierte. Sowohl die rot-weiße Doppelkrone, als Symbol der Herrschaft über Ober- und Unterägypten, als auch Krummstab und Geißel waren zu bewundern. Wie merkwürdig musste es dem Pharao erscheinen, jeden Tag an den Insignien seiner Macht vorbeizuwandern und sie wissbegierigen Archäologen zu präsentieren, die mit allerlei wissenschaftlichen Methoden die winzigsten Hinweise daran suchten. Und das alles, während er selbst ihnen binnen einer Stunde mehr über das tägliche Leben sowohl der Ober- als auch Unterschicht hätte erzählen können, als sie in über zweihundert Jahren penibler Suche herausgefunden hatten. Allein die pure Existenz Atemus in dieser Zeit, an diesem Ort, war ein Hohn für alle Wissenschaftler. Da sollte noch einmal jemand behaupten, die Götter hätten keinen Sinn für Humor gehabt. Kaum hatte er diesen Gedanken beendet, als durch einen im Dunkel liegenden Seiteneingang Atemu hereintrat. Es dauerte einen kurzen Augenblick, ehe Seto begriff, dass der Kleinere, während seiner Erklärungen, fließend die ägyptische Sprache benutzte. Angesichts all der Dinge, die ihm in der letzten Zeit passiert waren, hätte es ihn eigentlich nicht verwundern müssen, dass er alles, was er sagte, wunderbar verstehen konnte. Die Leute, welchen er gerade eines der Exponate näher erläuterte, schienen jedoch nicht ganz so vertraut mit seinem Dialekt zu sein. Wäre er unter anderen Umständen hergekommen, hätte Seto Kaiba es sich wohl nicht nehmen lassen, sich über die stupiden Männer zu amüsieren, welche noch nicht einmal die altägyptische Sprache verstanden, jedoch ebenso alte Texte entziffern wollten. Von seinem Standpunkt aus, Atemu hatte ihn noch nicht gesehen, konnte er beim Näherkommen der Gruppe hören, wie diese Leute den ehemaligen Pharao in höchsten Tönen lobten. "Herr Muto, ich muss sagen, der Herr Direktor hat in keiner Weise übertrieben. Sie sind wahrlich ein Meister Ihres Faches! Ich habe noch niemals zuvor jemanden diese alte Sprache so fließend sprechen hören, wie Sie. Sie müssen Jahre gebraucht haben, sich diese Aussprache und Betonung anzueignen. So wie Sie es sprechen, könnte man wahrlich annehmen, haben es vielleicht auch die alten Ägypter getan." Seto kam nicht umhin Atemu für seinen gelassenen Gesichtsausdruck zu bewundern. Mit einem unverbindlichen Lächeln nahm er die Bewunderung zur Kenntnis. Im gleichen Zuge verkniff er es sich jedoch, den Mann darauf hinzuweisen, dass er die Sprache schwerlich erst hatte studieren müssen. "Sagen Sie, wie steht es um Ihr Interesse, einmal selbst an einer bedeutenden Ausgrabung teilzunehmen? Ich bin sicher, Sie wären eine nicht zu unterschätzende große Hilfe." Höflich lehnte Atemu das Angebot ab. "Ich danke Ihnen vielmals für dieses Angebot. Derzeit bin ich mit meinem Beruf in diesem Museum jedoch hinlänglich beschäftigt." "Oh, ich denke nicht, dass Sie Ihren Beruf hier dafür aufgeben müssten. Sicherlich findet sich eine Möglichkeit, eine Absprache mit dem Direktor zu treffen", ließ der Mann nicht locker. "Das mag sein und ich denke, dass mein Chef Ihnen gewiss zustimmen wird. Ich selbst bin hier jedoch familiär gebunden. Bis auf einen gelegentlichen Urlaub, um zu sehen, wie sich alles entwickelt, zieht mich, um ehrlich zu sein, nichts nach Ägypten." "Aber Ihr Gehalt!", protestierte der Mann. "Einer ansprechenden Entlohnung führ Ihre Mühen, können Sie doch schwerlich abgeneigt sein." Ein mildes Lächeln zierte Atemus Lippen, als er zum Widerspruch ansetzte. "Ich habe hier alles, was ich brauche", beendete er die Diskussion mit einem bestimmten Unterton, der keine weiteren Einwände zuließ. Seto Kaiba hatte genug gehört. Es war an der Zeit, die sich anschließende Diskussion über nichtige Details betreffend eines der Ausstellungsstücke zu unterbrechen, um selbst mit dem ehemaligen Pharao zu sprechen. Ohne noch länger zu warten, löste er sich aus dem Schatten und schritt auf die kleine Gruppe aus fünf Personen zu. Er war gerade noch zehn Schritte entfernt, als er unvermittelt innehalten musste. Es bedurfte keiner weiteren Untersuchung, um festzustellen, dass der Pharao jedes Vorankommen seinerseits verhindern würde. Ruhig und abwartend sah dieser ihn an, während die vier anderen der Gruppe munter weiterdebattierten und von dem Geschehen um sich herum nur wenig mitbekamen. Seto ertastete kurz die mentale Barriere, welche ihn davon abhielt, sich dem jungen Mann weiter zu nähern. Spöttisch registrierte er, dass diese bei weitem nicht stark genug wäre, um ihn vollkommen von der schmalen Gestalt fern zu halten. Dieser kleine Zauber stellte lediglich eine Botschaft, eine Warnung, dar. Unsichtbar für jeden anderen. Atemu hatte nicht vor, hier zu sterben. Das traf sich gut. Denn er hatte auch nicht vor, ihn hier umzubringen. Zumindest nicht, bevor er nicht ein paar Antworten erhalten hatte. "Wir sollten reden", informierte er den Pharao, ohne weitere nichtige Begrüßungsfloskeln. Dieser nickte, hielt seine Barriere aber weiter aufrecht. Seine Körpersprache ließ vermuten, dass er bereits mit seinem Besuch gerechnet hatte. "Nicht hier", war alles, was er sagte. Seto nickte. Er war einverstanden. Kurze Zeit später befanden sich beide auf den Weg in Richtung Stadtgrenze. Während Atemu in seinem Kleinwagen platzgenommen hatte, folgte ihm Kaiba in kurzem Abstand auf einem seiner Motorräder. Es hatte nur einer kleinen Andeutung seitens des ehemaligen Pharaos bedurft, dass Seto Kaiba detaillierte Informationen zum alten Ägypten wünsche, um ihn kurzfristig freizustellen. Jemand anderes hatte seine Führung übernommen. Unzweifelhaft spekulierte der Direktor des Museums auf eine großzügige Spende seitens Kaibas, sollte Atemu ihn für ihre Ausstellung erwärmen können. Dementsprechend hinterfragte er auch nicht weiter, weshalb Atemu, um dem Firmenchef einen Einblick in die alte Zeit zu geben, das Museum verlassen musste. Seto nahm sich indes vor, dem Museum tatsächlich einen nicht geringfügigen Betrag zukommen zu lassen. Immerhin würden sie bald den Tod eines sehr kompetenten Mitarbeiters zu bedauern haben. Inzwischen war er sich beinahe sicher, dass er den Pharao nicht nur verletzen wollte. Das Gefühl, ihn zu Asche verbrennen zu wollen, wurde während ihrer kleinen Fahrt in die nähere Umgebung mit jedem Kilometer stärker und drängender. Die Fahrt dauerte, bedingt durch den nur zäh fließenden Verkehr in der Stadt, nahezu 20 Minuten. Für den Firmenchef der Kaiba Corporation war es nur schwer abschätzbar, ob Atemu genau das Ziel vor Augen gehabt hatte, an das sie am Ende gelangten. Da der Pharao, das wusste Seto aus seiner Erinnerung, selten etwas tat, ohne vorher genau überlegt zu haben, handelte es sich bei dieser menschenleeren Gegend mit nichts als Feldern um sie herum, vermutlich tatsächlich um den gesuchten Ort. Kaiba war es recht. Keine Menschen bedeutete keine Zeugen. Nachdem beide ihre Fahrzeuge auf einem selten genutzten Feldweg abgestellt hatten, wanderten sie schweigend ein paar Meter auf den inzwischen schon teilweise gemähten Acker. Erst, als sie sich noch ein weiteres gutes Stück von der nahe liegenden viel befahrenen Straße Richtung Domino City entfernt hatten, und sie von nichts mehr außer Bäumen und Gräsern umgeben waren, hielt Atemu schließlich inne. Aufmerksam sah er sich ein letztes Mal um, um sicherzustellen, dass sich niemand in ihrer Umgebung aufhielt. Scheinbar zufrieden mit seinen Beobachtungen, wandte er sich um. "Also gut. Lass uns 'reden'", hob er seine Stimme an, wobei Seto spürte, dass er noch immer seine Barriere aufrecht erhielt. Inzwischen jedoch ungleich stärker, als noch einige Minuten zuvor im Museum. Der Braunhaarige, welcher die ganze Zeit über Abstand zu seinem ehemaligen Herrscher gehalten hatte, trat zwei Schritte näher, ehe ihn die Barriere erneut vom Weitergehen abhielt. Überlegen lächelnd, strich er beinahe sanft über die unsichtbare Wand und spürte das leichte Kribbeln in seinen Fingern, ehe er aufsah. "Und du glaubst, das hier", er deutete vage von oben nach unten in die Luft, als sei dort wirklich ein festes Hindernis, welches ihn am Weitergehen hinderte, "würde mich aufhalten?" Atemu legte den Kopf schief. Nachdenklich maß er ihn von oben bis unten mit einem kurzen Blick. "Ja", antwortete er schließlich ungerührt. "Dass du überhaupt hierauf zurückgreifst, zeugt davon, dass du dir da nur halb so sicher bist, wie du tust", stellte Seto fest. Atemu ging darauf nur bedingt ein. "Ich lege keinen gesteigerten Wert auf Verletzungen. Gleich welcher Art. Und Jono ist heute nicht hier, um mir als Schutzschild zu dienen." Der Pharao wusste, dass er damit einen empfindlichen Nerv bei seinem einstigen Hohepriester traf. Es war klar, dass ihn die Erinnerung daran verletzte. Doch es war ein notwendiges Übel. Denn wie Atemu es bereits gesagt hatte: Sein Interesse an weiteren Verletzungen war vorerst gedeckt. Den Braunhaarigen daran zu erinnern, dass sein Geliebter keineswegs mit solchen Verletzungen einverstanden wäre, war die wohl effektivste Methode, Seto von eben diesen Taten abzuhalten. Der Hinweis zeigte Wirkung. Zufrieden registrierte der Kleinere, dass sein Gegenüber die Finger von der Barriere ließ und sogar einen Schritt zurück wich. "Ich hatte nicht vor, dich zu verletzen." In Gedenk ihrer letzten Begegnung maß der Pharao ihn mit einer gehörigen Portion Skepsis. "Sicher", stimmte er mit einem Hauch von Ironie zu. "Nein", bekräftigte Seto, ehe er ohne Umschweife fortfuhr. "Um genau zu sein, würde ich dich gern töten." Atemu nickte. Dies stellte scheinbar keine Neuigkeit für ihn dar. "Das kann ich verstehen", erwiderte der Pharao beschwichtigend… und ehrlich. "Doch bevor du etwas tust, was du hinterher womöglich bereust, will ich dir erst meine Sicht auf die damaligen Ereignisse zeigen." "Ich bezweifle, dass ich hinterher irgendwas bereuen werde", stellte Seto richtig. "Denn dein Verrat war es, der Jono das Leben gekostet hat. Du hast mich hintergangen und Jono in den sicheren Tod geschickt. Er war an dich gebunden! Er hatte den Eid geleistet und so wie es seine Aufgabe gewesen wäre, dein Leben zu beschützen, warst du auch für sein Leben verantwortlich. Ihr wart sicher. Damals. In dem Tempel. Ich hatte einen Schutzzauber über euch gelegt. Das zumindest, weiß ich noch. Jono hätte gar nicht auf dem Schlachtfeld sein dürfen! Doch du…!" Seto bebte vor nur noch mühsam unterdrückter Wut. "DU hast dein Versprechen gebrochen!" Atemu nickte. Trauer spiegelte sich in seinem Blick. "Das habe ich", gestand er leise ein. "Doch du kannst mir glauben: niemals zuvor und niemals danach musste ich eine solch schwere Entscheidung treffen." Der Größere fluchte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Atemu seine Schuld am Tod Jonos so einfach eingestehen würde. Ihm wäre es lieber gewesen, er hätte es geleugnet. Dann hätte er wenigstens einen Grund, ihn anzugreifen, ihn in die Knie zu zwingen und um Vergebung für sein Vergehen zu bitten. "Ich habe schwere Schuld auf mich geladen", fuhr Atemu mit gesenkter Stumm fort. "Auch wenn ich wusste, dass es die richtige Entscheidung war, lastete sie doch den Rest meines Lebens unendlich schwer auf meinen Schultern." Eine kurze Pause folgte. Dann: "Denn ich wusste, um was ich dich gebracht habe. Und mich", setzte er hinzu. "Es wird dich vielleicht erstaunen zu hören, wer diese Schuld am Ende von mir nahm." Seto lag bereits eine harsche Antwort auf den Lippen. Zu gern hätte er zum Ausdruck gebracht, dass Atemu für seine Tat seinetwegen gern bis ans Ende der Ewigkeit Schuldgefühle haben konnte, als die Realität um sie herum aufflackerte. Das Feld um ihn verschwand und wurde durch kleine Stände ersetzt. Irritiert wandte er seinen Kopf in Richtung Atemu, welcher sich keinen Meter bewegt hatte. Dieser deutete vage nach rechts. Setos Blick folgte dem ausgestreckten Finger und blieb an Joey hängen, welcher binnen einer bunten Menschenmenge stumm ein paar Schritte entfernt neben ihm stand. Es dauerte einen Moment, ehe Seto die Szenerie als das vor ein paar Wochen stattgefundene Schulfest erkannte. Eine Illusion. Eine Erinnerung Atemus. Joey gegenüber, in gewisser Entfernung, stand der Kindergarten und in ihrer Mitte … ein weiterer Atemu. Gekleidet in ein ähnliches Gewand wie zu Pharaonen Zeiten. Die kleine Truppe tauschte ein paar belanglose Nettigkeiten aus, ehe sich alle von einander verabschiedeten. Seto erinnerte sich, dass er und Joey sich damals kurz darauf am Schießstand auf dem Fest begegnet waren. Stirnrunzelnd verfolgte er, wie der Blonde und Atemu sich kurz umarmten. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann schloss der Kleinere sich den anderen an. Während sie sich immer weiter von ihm entfernten, huschte ein kleiner wehmütiger Schimmer über die Miene des Blonden. Kurz darauf schlich sich ein ehrliches Lächeln in seine Züge. Er rief noch einmal nach Atemu. Dieser wandte sich um. "Danke", war alles, was Joey sagte. Die Szene verschwand. Zurück auf dem Feld, wandte er sich wieder in die Richtung seines früheren Pharaos. Beide schwiegen einen Moment, ehe Atemu das Wort ergriff. "Er hat mir vergeben", war alles, was er sagte und Seto wusste, dass er Recht hatte. Seinen Wunsch nach Rache linderte dieses Wissen jedoch nicht. "Erwarte nicht von mir, das ich das ebenfalls tue! Letzten Endes warst du es, der ihn getötet hat. Nicht die Soldaten, nicht die Schützen … du allein trägst die Schuld! Wenn du…" "Du kennst nur die halbe Wahrheit, Seth", unterbrach ihn der Kleinere. "Jono hätte sein Leben nie in die Hände eines anderen gelegt. Du, von allen anderen, hättest das am besten wissen müssen." Leichte Verunsicherung machte breitete sich in Seto aus und ließ ihn kurz stocken. "Das stimmt nicht… Er hat einen Eid geleistet und dieser Eid beinhaltete…" Der Pharao unterbrach ihn abermals. Kopfschüttelnd. "Es gab keinen Eid." "Aber wie…" Langsam trat Atemu näher. Hilfreich streckte er seine Hand aus. Offenbar fürchtete er nicht, dass Seto ihn doch noch angreifen könnte. "Lass mich dir ein paar Wahrheiten zeigen, Seth. Und dann urteile selbst, wer Schuld an Jonos Tod hat. Versteh mich nicht falsch. Auch ich habe meine Rolle gespielt und es gibt viele Augenblicke, in denen ich diese Rolle bedauert und auch verflucht habe, denn sie hat mich einen sehr guten Freund gekostet. Eigentlich sogar zwei. Doch ich bin nicht so arrogant zu glauben, dass ich genügend Einfluss auf Jono gehabt hätte, um allein alle Schuld an Jonos Tod zu tragen." Zweifel lag in Setos Augen, als er auf die ausgestreckte Hand starrte. Doch was blieb ihm anderes übrig? Er hatte nach der Wahrheit verlangt und Atemu war bereit, sie ihm zu zeigen. Es wäre ihm nicht möglich, ihn zu täuschen, dazu waren seine eigenen mentalen Fähigkeiten viel zu ausgeprägt. Entschlossen ergriff er die Hand des Pharaos. Kapitel 59: Zurück in die Vergangenheit - Oder: Ein unmoralisches Angebot ------------------------------------------------------------------------- Hiho liebe Leser! Danke für die lieben Kommis. Heute habe ich endlich wieder Zeit, ein weiteres Kapitel zu veröffentlichen. Ich hoffe, es bringt ein wenig Licht ins Dunkel und Spaß in eure Arbeitszimmer... oder wo auch immer euer Computer steht, an dem ihr meine Geschichte lest! Herzliche Grüße und wie immer freue ich mich wie ein Schneekind über jeden hinterlassenen Kommentar. ^.~ _____________________________________________________________________________________ Es dauerte nur Sekunden. Kurz darauf befanden sie sich bereits ein gutes Stück von ihrem Ausgangspunkt entfernt. Sogar ein ziemlich großes Stück. In etwa 5000 Jahre. Seto störte sich nicht daran. Er kannte die Prozedur bereits, hatte er diese Magie in der Vergangenheit doch selbst häufig angewandt. Die Frage war nur, wohin genau der Pharao sie beide gebracht hatte und was er ihm zeigen wollte. Aufmerksam musterte er erst sich, dann seine Umgebung. Einen kurzen Fluch ausstoßend, bemerkte er, wie ein Diener durch ihn hindurch glitt, als sei er überhaupt nicht anwesend. Was bei genauerer Betrachtung auch der Fall war, immerhin konnte er, mit ein wenig Mühe, durch seine Füße hindurch den Boden erkennen, auf dem er stand. Graugelb. Stirnrunzelnd blickte er auf. Eine Säule links, eine Säule rechts. Bemalt und beschrieben mit allerlei wichtigen Hieroglyphen. Aha. Der Palast. Regierungssitz des Pharaos. Es blieb zu ergründen, in welchem Jahr sie sich befanden. "Seth!", rief ihn die Stimme seines Reiseführers zu und forderte ihn damit auf, ihm zu folgen. Missgestimmt wies er den inzwischen nur noch geringfügig Kleineren darauf hin, dass er in der gegenwärtigen Zeit einen anderen Namen trug. Atemu sah sich ob dieser Bemerkung nur vielsagend um. "In der 'gegenwärtigen' Zeit, erscheint mir der Name 'Seth' weitaus passender… Zumal 'Seto' sich nicht wesentlich davon unterscheidet." "Ich wüsste nicht, wann ich dir je gestattet hätte, mich 'Seto' zu nennen", stellte dieser richtig. "In Anbetracht dessen, dass du mein Leben vorzeitig beenden wolltest, ist meiner Meinung nach jegliche Art von höflicher Anrede zwischen uns überflüssig." "'Wollte' trifft es nicht ganz. Mein Wunsch, dir ein Messer in den Rücken zu rammen, ist nach wie vor nahezu unbezwingbar." "Nun, dann bin ich beruhigt. Da man mit einem Messer im Rücken durchaus Überlebenschancen hat, gehe ich davon aus, dass dein Wille, mich zu töten, bereits merklich nachgelassen hat", warf Atemu die Schultern zuckend ein und wandte sich von ihm ab. Nachdem Seto erfolgreich den dringenden Wunsch unterdrückt hatte, dem in seiner Zeit Älteren mit Hilfe eines kleinen Windzaubers seinen Namen auf die bloße Haut einzuritzen, gingen sie weiter. Letztlich, dessen war Seto sich bewusst, wäre es in seiner geisterhaften Gestalt ohnehin schwer gewesen, den Anderen zu verletzen. Eigentlich sogar unmöglich. Weshalb er den Gedanken nicht komplett fallen ließ, sondern ihn nur an einem sicheren Ort im hintersten Winkel seines Kopfes verwahrte. Immerhin würden sie nicht auf ewig als halbdurchsichtige wabernde Körper unterwegs sein. Halbwegs zufrieden mit diesen Überlegungen, widmete Seto sich wieder ihrer näheren Umgebung. Es dauerte ein paar Schritte, ehe der frühere Hohepriester sich orientieren konnte - was nach einer 5000jährigen Abwesenheit wohl halbwegs verzeihlich war. Doch mit jedem Schritt wurde die Erinnerung an diesen Ort klarer. Sie waren auf dem Weg zu den privaten Gemächern des Pharaos. Kurze Zeit später glitten sie durch eine geschlossene Tür und fanden sich in einem geräumigen weitläufigem Saal wieder, an welchen sich auf der gesamten gegenüberliegenden Seite eine breite und mit Stoff überdachte Terrasse anschloss. Ob man diese Einrichtung schon damals so genannt hatte, wusste Seto derzeit nicht mehr zu sagen. Sein Augenmerk lag indessen auf dem Pharao, welcher sich suchend umsah. Seto folgte seinem Beispiel, konnte jedoch nichts Besonderes entdecken. Nach einer Erklärung verlangend, sah er Atemu an. "Ich hatte angenommen, wir wären schon da", murmelte dieser nur und zuckte halbwegs entschuldigend mit den Schultern. "Wir?", erkundigte sich Seto. Bezeichnend sah er auf sich und Atemu. "Meiner Ansicht nach sind 'Wir' in jedem Fall schon da." Ein kurzes Stirnrunzeln gepaart mit einer genauen Begutachtung seiner nahezu durchsichtigen Hände folgte. "Zumindest zur Hälfte", schränkte er missmutig ein. Selbst vor 5000 Jahren hatte ihm diese Art der Magie schon keine besondere Freude bereitet. Atemu ließ seinen Kommentar unbeachtet. Stattdessen sah er zur Tür, durch welche sie zuvor ohne Widerstand hindurch geglitten waren. Beinahe lautlos schwangen die großen Flügel kurz darauf auf. Nun ließ auch Seto dem Eingang zu den Räumlichkeiten des Pharaos seine volle Beachtung zuteilwerden. Zwei Diener hielten die schweren Bronzetüren offen. Eine zweite Ausgabe, wesentlich jünger und nur geringfügig kleiner als die geisterhafte Erscheinung neben ihm, trat ein. Mit einem kurzen Wink gab er der Dienerschaft zu verstehen, dass diese ihn allein lassen solle. Seinem Wunsch wurde ohne Weiteres entsprochen und seine Untergebenen zogen sich zurück. Seto wartete ab. Ihm wurde klar, dass Atemu mit seinen Worten nicht von ihrem gegenwärtigem Ich gesprochen hatte. Offenbar warteten sie, ebenso wie die jüngere Ausgabe des Pharaos, auf einen weiteren Gast. Dieser ließ nicht lange auf sich warten und betrat ebenfalls den Raum - wenn auch aus von Seto unerwarteter Richtung. Ein schabender Ton erklang rechts von ihnen. Dementsprechend wurde er nicht durch die aufschwingenden Türen verursacht, welche sich nach wie vor im absoluten Stillstand befanden, sondern von einer Person, welche die Funktion solcher Türen zur damaligen Zeit offensichtlich noch nicht für sich entdeckt hatte. Stirnrunzelnd betrachtete Seth, ebenso wie Atemu, sowohl der vergangene als auch der gegenwärtige, wie sich eine schmale Hand auf den Sims der großzügigen schattigen Terrasse legte. Halbwegs elegant stemmte sich die betreffende Person hoch und schwang erst ein Bein, dann ein zweites auf die sichere Seite des Gemäuers. Ein kleines Zeichen des durchsichtigen Pharaos, bedeutete ihm, zuzuhören. "Jono", wurde der Fassadenkletterer von dem Pharao begrüßt. Seto sah genauer hin. Tatsächlich. Nachdem die Gestalt sowohl den schon bekannten sandfarbenen Mundschutz als auch sein gleichfarbiges Kopftuch zurückgestreift hatte, kamen die blonden Haare und braunen Augen zum Vorschein. Angelegentlich deutete der Pharao auf die großen Türflügel. "Wir haben auch einen Eingang, weißt du?" Ein schmales Grinsen bildete sich auf einer Ausgabe von Jono, welche zu diesem Zeitpunkt in etwa zwanzig Jahre alt sein musste. Bis zu ihrer erneuten Begegnung im alten Ägypten würden demnach noch fast vier Jahre vergehen, registrierte Seto nebenbei. Dankend nahm der Blonde das mit Wasser gefüllte Gefäß entgegen, welches Atemu ihm reichte. "Sicher. Davon habt Ihr sogar mehrere. Ich für meinen Teil, bevorzuge den sichersten." "Was verleitet dich zu der Annahme, dass es sicherer wäre, an einer steilen Mauer empor zu klettern, statt einen Gang zu nutzen, bewacht von zahlreichen Soldaten?", verlangte Atemu mit deutlicher Belustigung in der Stimme zu wissen. Aus dem lockeren Umgangston, welche beide miteinander pflegten, ließ sich schließen, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt schon eine Weile kannten und Atemu den jungen Mann zu schätzen wusste. "Nun, unter anderem, dass mindestens zwei der in diesem Gang postierten Soldaten bestechlich sind." "Womit du dir selbst ein mangelndes Urteilsvermögen ausspricht, wenn man bedenkt, dass du es warst, der meine Leibgarde zusammengestellt hat." "Im Gegenteil. Wenn überhaupt belegt es EUER mangelndes Urteilsvermögen, weil Ihr mir, einem syrischen Spion, so viel Vertrauen bei der Auswahl EURES Schutzes entgegenbringt." "Er hatte schon immer eine entwaffnende Logik", wisperte Atemu neben Seto leise. Da es der Wahrheit entsprach, hatte Seto nichts zu entgegnen und schnaubte nur unwillig. Noch immer fragte er sich, was er hier sollte. Es erfreute ihn nicht unbedingt, dass er Jono mit dem Mann muntere Wortgefechte austragen sah, der ihn Jahre später das Leben kosten würde. Die Unterhaltung der Beiden, welche in der Zwischenzeit etwas getrunken hatten, ging derweil weiter. "Was vor allen Dingen damit zu tun hat, dass du mir bereits sehr viel Anlass für dieses Vertrauen gabst." Immer noch durstig goss Jono sich einen weiteren Becher mit dem belebenden Wasser ein. "Ich habe versucht, Euch umzubringen", korrigierte er geflissentlich. Atemu zuckte die Schultern. "Mehrmals", unterstrich der Blonde. Der Pharao blieb ungerührt. "Und doch lebe ich noch." "Was die Frage aufwirft, wer von uns beiden wohl weniger von seiner Aufgabe versteht. Entweder ich, der anscheinend nicht in der Lage ist, seine Waffen vernünftig zu führen oder Ihr, der es fertig bringt, sein Vertrauen in einen ehemaligen Söldner Eurer Feinde zu stecken und ihm sein Leben quasi auf einem goldenen Teller zu servieren." "Du", konterte der Herrscher Ägyptens ohne lange zu überlegen. "ICH weiß, dass ich dir vorbehaltlos vertrauen kann." Jono hob zum Zeichen, dass er sich geschlagen gab, die Hände. "Ich bin sicher, ihm lagen damals noch mehr Argumente auf der Zunge", kommentierte Atemu abermals leise das Geschehen. "Mit Sicherheit", rutschte es Seto, in Gedenk zahlreicher anderer 'Unterhaltungen' mit dem Blonden, brummend heraus. Geschäftig machte sich der Pharao an einem Kästchen zu schaffen, welches auf einem der niedrigen Tische stand. Neugierig trat Jono ein paar Schritte näher. Doch er kam nicht weit, denn schon kurz darauf drehte sich sein Herrscher mit einem noch halb verborgenen Gegenstand in seinen Händen zu ihm um. "Wie dem auch sei, Jono", sein Ton wurde eine Spur ernster. "Ich habe dich hergebeten, weil ich etwas Wichtiges mit dir zu besprechen habe. In den letzten Jahren, ist es dir mehr als nur einmal gelungen, mein Leben vor allen Gefahren zu schützen. Du hast dich nicht nur als Soldat in meiner Armee, sondern auch als ein ausgesprochen guter Taktiker und Führer meiner Truppen erwiesen." Der Blonde runzelte die Stirn angesichts dieser Aneinanderreihung von Lob und Dankbarkeit. Es bereitete ihm offenkundig keine Freude, so gepriesen zu werden. Was wohl auch daran lag, dass er den Pharao zu diesem Zeitpunkt bereits eine vergleichsweise lange Zeit diente und ahnte, welchen Preis er für ein solches Lob womöglich bezahlen musste. "Aus diesem Grund… und noch diversen anderen, die sich an dieser Stelle nicht alle lohnen aufzuzählen… wünsche ich, dass du die Stelle des Heerführers in meinem Land übernimmst." Protestierend wich Jono zurück. "Nein", schlug er die Ehrung, für die jeder andere sich dankbar auf die Knie geworfen hätte, ohne Umschweife beinahe panisch aus. "Mir liegt nichts an einer solchen Position." Zufrieden nickte der Pharao.. "Und genau deshalb, Jono, bekommst du sie." Abermals schüttelte der zukünftige Heeresführer den Kopf. "Ich kann noch nicht mal mich selbst kontrollieren, geschweige denn eine ganze Armee!" Er atmete tief durch. "Ich fühle mich geehrt, Pharao. Nein. Mehr als das. Aber wenn es zu einem Kampf käme, würde ich im Zweifel vermutlich mehr von Euren Männern töten, als Feinde. Das müsstet Ihr wissen, besser noch als jeder andere. Ihr habt es selbst erlebt. Verzeiht also, wenn ich Euer Angebot ausschlage, Pharao. Ich arbeite lieber weiterhin allein, wenn Ihr nichts dagegen habt." Der Pharao fixierte ihn mit festem Blick. "Ich glaube, du hast mir nicht richtig zugehört, Jono. Dies war keine Bitte und auch kein Angebot, das man ausschlagen könnte. Einen geeigneteren Mann als dich, gibt es nicht, der diesen Posten ausfüllen könnte. Du weißt ebenso wie ich, dass meine Armee einen verlässlichen starken Mann braucht, der nicht nur gut im Taktieren ist, sondern auch mit den Männern umzugehen weiß. Jemand, der mir treu ergeben ist." Widerwillig schüttelte Jono den Kopf und starrte auf den kleinen feinen Dolch, den Atemu in seinen Händen hielt. Dieser Dolch war aus wertvollem seltenen Metall gefertigt. Jeder, der ein solches Stück sein eigen nennen durfte, genoss das uneingeschränkte Vertrauen des Pharaos. -Seitdem der alte Herrscher ermordet worden war und Atemu seinen Platz eingenommen hatte, hatte er noch niemandem einen dieser kunstvoll verzierten Dolche gegeben. Fieberhaft suchte Jono nach weiteren Argumenten, mit denen er den Pharao noch von seiner Entscheidung abbringen konnte. "Mahmud und Majod vereinen diese Eigenschaften ebenfalls in sich und stehen schon seit weit längerer Zeit in Eurem Dienst." Ablehnend schüttelte Atemu den Kopf. "Sie sind stark und zäh und mir treu ergeben. Doch trotz ihrer Jahre haben sie nie an einer großen Schlacht teilgenommen, können weder die tatsächlichen Stärken noch die Schwächen ihrer Gegner einschätzen. Das weißt du ebenso wie ich." "Nayyr jedoch schon." "Sicher. Doch er ist arrogant und überschätzt sich selbst zu leicht." "Auch Sahid wäre eine gute Wahl." "Sahid ist ein guter Mensch und gewiss ein guter Soldat", stimmte ihm Atemu zu. "Er weiß es, Leute zu führen und kämpfte schon in mancher Schlacht. Doch er ist alt geworden und seine Sehnsucht nach Frieden könnte an vielen Stellen, an denen Durchgreifen notwendiger wäre, fehl am Platze sein." "Mir war nicht klar, dass Jono gezwungen werden musste, dieses Amt zu übernehmen", kommentierte Seto das Geschehen für Atemu deutlich hörbar. Dieser nickte. "Es gibt Einiges, was du noch nicht über ihn weißt und was er dir sicher nie erzählt hat. Aber es ist, wie ich es ihm damals schon sagte: Keiner wäre geeigneter gewesen. Ihm war selbst nicht klar, dass das, was er vermeintlich für seine größte Schwäche hielt, seine größte Stärke war. Gerade weil er solche Angst hatte, andere zu verletzen, war er die beste Wahl als Heeresführer." Seto wusste, worauf Atemu anspielte, ließ ihn jedoch fortfahren. "Nachdem er das Amt übernommen hatte, war er darauf bedacht, die Männer seiner Armee nie einem größerem Risiko auszusetzen, als unbedingt notwendig. Er versuchte sich stets auf alle Möglichkeiten einzustellen, um die Gefahr für seine Männer und damit auch meine, so gering wie möglich zu halten. Und wenn er kämpfte, hielt er sich selbst nie zurück, schonte sich kein einziges Mal. Obwohl die meisten nicht wussten, wer er wirklich war, bewunderten ihn alle für seinen Mut, seine Entschlossenheit, seine Stärke und sein Geschick, die Truppen zu motivieren und zu führen. Im Gegensatz zu vielen anderen, welche ich für dieses Amt noch erwogen hatte, taktierte er mit meinen Soldaten nicht wie mit Schachfiguren. Da er sich selbst nie über sie stellte und unter ihnen lebte, wusste er, was sie bewegte und konnte dieses Vertrauen weitergeben. Jeder, der unter ihm diente, spürte das." Seto nickte nur. Er erinnerte sich an einige Schlachten, an denen er teilgenommen hatte. Selbst bei ihrem ersten gemeinsamen Einsatz mit Ilai, Yannis, Aziz und Elias waren all die Eigenschaften, von denen Atemu berichtete, zutage getreten. Das Gespräch des jüngeren Pharaos und seines baldigen Heerführers war inzwischen weiter vorangeschritten. Der Blonde hatte noch einige weitere Argumente ins Feld geführt, welche von seinem Pharao allesamt zerschlagen worden waren. Stille kehrte ein, in welcher Jono unruhig auf und ab ging. Sein Herrscher beobachtete ihn stumm und sagte vorerst nichts weiter. "Du hättest ihn damals einfach zwingen können", stellte Seto fest. Die durchsichtige Gestalt neben ihm schüttelte den Kopf. "Welchen Wert hat ein Heeresführer, der sein Amt nur mit Widerwillen antritt?" Sein Blick wanderte zu Jono, welcher, am ganzen Körper angespannt, an einem der Fenster stand und eine Lösung zu finden versuchte. Bedächtig fuhr Atemu fort. "Um ein Land zu führen, braucht es zwei Arten von Männern. Das eine sind Männer, die einem folgen, egal was man tut. Männer, auf die man sich verlassen kann und einem treu ergeben sind. Das andere, sind Männer, die sich nicht scheuen, einem die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Die einen davon abhalten, zur falschen Zeit das Falsche zu tun und einen an das erinnern, was richtig ist." Atemu deutete mit den Händen zwei Waagschalen an. "Der Frieden eines Landes befindet sich stets in der Waage. Treue Männer, die dir überall hin folgen, egal was du tust, sind der Grundstein. Doch ohne richtige Führung, sind sie wie Schafe. Leitet der Hirte sie falsch, sterben sie." Seine rechte Hand sank nach unten, während eine Augenbraue Setos deutlich nach oben wanderte, auf Grund dieser unerwartet belehrenden philosophischen Anwandlung des einstigen Pharaos. Dieser fuhr trotz des vielsagenden Gesichtsausdruckes seines unfreiwilligen Zuhörers ungerührt fort. "Deshalb brauchst du auch die, welche die steinigen Wege kennen. Die, die wissen, wo es Wasser gibt, welche Gefahren man meiden sollte und welchen es sich zu stellen lohnt." Die linke und rechte Hand glichen sich wieder an. "Doch sollte es sich dabei um Männer handeln, die nur auf ihr eigenes Wohl bedacht und nicht in der Lage sind, zur rechten Zeit ihre Stimme zu erheben, wird auch das Vertrauen der anderen Männer schwinden." Bezeichnender Weise sank nun die linke Hand ein gutes Stück nach unten. "Das Land würde zu Grunde gehen und mit ihm sein Herrscher." Ein zutiefst zufriedener und dankbarer Ausdruck legte sich auf sein Gesicht, als er seine Arme ineinander verschränkte. "Es ist schwer, Menschen zu finden, die sich nicht scheuen, einem ihre ehrliche Meinung zu sagen. Besonders als Pharao. Deshalb bin ich voller Dankbarkeit" Der Braunhaarige kam nicht umhin, dem Anderen einen fragenden Blick zuzuwerfen. "Mir wurde das Glück zuteil, gleich zwei dieser besonderen Menschen gefunden zu haben." Der ehemalige Pharao bedachte den Größeren mit einem vielsagendem Blick. Dieser wandte die Augen nicht ab, sagte aber nichts weiter dazu. Inzwischen schien Jono zu einer Entscheidung gelangt zu sein. Erneut trat er zu seinem Pharao, welcher bis eben geduldig an Ort und Stelle verharrt und ihn ebenso wie sein älteres Ebenbild beobachtet hatte. "Wenn ich dieses Amt annehme, Atemu, müsste ich Euch das Wertvollste geben, das ich besitze." Die Miene des Pharaos zeigte an, dass er nicht wusste, worauf der Jüngere anspielte. "Als ich aus meinem Dorf floh, hatte ich nichts. Als ich nach Syrien ging, hatte ich noch weniger. Doch eines ist mir immer geblieben." Jono unterbrach sich kurz, dachte nach, dann redete er weiter. "Und dieses eine, ist mein Leben. Mehr habe ich nicht. Nur das. Ich schätze Euch sehr, Pharao. Ihr wisst, dass ich alles in meiner Macht stehende tun würde, um Euch zu dienen. Doch dieses Amt würde verlangen, dass ich Euch mein Leben verspreche. Wenn ich das täte, wäre es ein Meineid und damit hätte ich das Vertrauen, von dem Ihr so oft spracht, verwirkt." Nachdenklich maß Atemu ihn von Kopf bis Fuß. Diesem Argument hatte er nur wenig entgegenzusetzen, denn es entsprach der Wahrheit. Der Eid, der seit Urzeiten sowohl vom Heeresführer als auch vom Hohepriester verlangt wurde, beinhaltete, dass sie ihr ganzes Leben in den Dienst des Pharaos stellten. Mit diesem Eid erlangte der Pharao als Einziger das Recht, über Tod oder Leben seiner zwei engsten Vertrauten zu entscheiden und auch darüber, wie sie ihr Leben in Zukunft verbrachten. Eine schiere Notwendigkeit, wenn man bedachte, wie viel Macht diese zwei Amtsinhaber haben würden. Wäre ihm daran gelegen, hätte er Ihnen sogar befehlen können, sich selbst umzubringen. Es dauerte einige Zeit, bis der Pharao wieder das Wort an Jono richtete. Doch als er es tat, überraschte er nicht nur den Blonden, sondern auch einen weiteren ungesehenen Zuhörer. "Dann erlasse ich dir den Eid." Sowohl die Augen des Blonden als auch des Braunhaarigen weiteten sich in Erstaunen. Ruckartig drehte Seto seinen Kopf in Richtung von Atemu, welcher nur weiter auf die Szene vor ihnen sah. Seine frühere Ausgabe sprach indessen ungerührt weiter. "Ich stelle dir frei, dein Leben zu führen, wie du es für richtig hältst. Als Gegenleistung erwarte ich nichts weiter von dir, als dass du mir treu ergeben bist, dein Amt gewissenhaft erfüllst und mir stets deine ehrliche Meinung mitteilst… was dir allerdings nicht schwer fallen dürfte, da du ohnehin ständig allem widersprichst, was ich sage." Jono konnte nicht anders, als ihn entsetzt anzustarren. Ihm war bewusst, welch großes Risiko sein Pharao damit einging. Ohne einen magisch gestützten Eid wäre er jederzeit in der Lage, ein Attentat auf ihn zu verüben, denn als Heerführer durfte er sich dem Pharao zu jedem Zeitpunkt nähern. Der Eid hätte selbst den bloßen Gedanken, sein Leben in den Dienst eines anderen Herrn zu stellen, zunichte gemacht. So stand es ihm jederzeit frei zu wählen. Gleichzeitig war es jedoch genau dieses Zugeständnis, welches dafür sorgte, dass Jono sich seinem Pharao zu lebenslanger Treue verpflichtet fühlte. Ohne länger nachzudenken, ließ er sich auf beide Knie sinken und dankte Atemu, indem er Stirn und Hände auf den Boden presste. Eine schmale Hand legte sich auf seine Schulter. "Darf ich deine ungewohnte Ehrerbietung so verstehen, dass du bereit bist, das dir anvertraute Amt zu übernehmen?" Jono nickte. Ein unwilliges Schnauben ertönte und der Pharao verlangte, dass er sich erheben solle. "Wenn dem so ist, Jono, dann hoffe ich, dass ich dich zum ersten und letzten Mal so ergeben vor mir knien sehe. Zumindest, wenn wir unter uns sind", schränkte er ein. Der Blonde erhob sich und ein berechnendes Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus. Kopfschüttelnd sah er in das Gesicht seines Herrschers. "Ich hoffe, Ihr wisst, auf was Ihr Euch mit mir eingelassen habt. Nicht alle meine Entscheidungen als Heeresführer werden Euch gefallen", warnte er ihn vor. Atemu nickte lediglich, ehe er verfolgte, wie Jono nun doch den Dolch von ihm entgegen nahm. Bewundert strich er über die scharfe Klinge und die feinen Verzierungen im Griff der Waffe. Sorgsam wog er sie in der Hand, ehe er sie zweimal in die Luft warf und sicher wieder auffing, ohne sich zu schneiden. "Eine schöne Waffe", urteilte er schließlich. Nicht nur Seto zuckte zusammen, als Jono das dritte Mal den Dolch auffing, ehe er seinen Arm ohne zu zögern nach hinten schnellen ließ und in die Richtung des Pharaos zielte. Nur einen Augenaufschlag später entglitt die Waffe seiner Hand und zog knapp neben Atemus linkem Ohr an ihm vorbei, um sich kurz darauf in einer hölzernen Wand hinter ihm zu vergraben. Gemächlichen Schrittes ging Jono an seinem Pharao vorbei. Dieser, das musste Seto ihm lassen, hatte lediglich kurz mit der Wimper gezuckt. Jono befreite die Klinge wieder aus dem Holz und reichte das edle Stück an Atemu zurück. "Hört also meine erste Entscheidung, Pharao. Diese Klinge… so gut sie auch sein mag… werde ich nicht annehmen. Wer sieht, dass ich sie trage, weiß, dass ich hoch in Eurer Gunst stehe. Ich gedenke jedoch, trotz meiner Funktion, weiter zu verfahren wie bisher. Letztlich bin ich Euch nur dann von Nutzen, wenn sich meiner kein anderer bemächtigen kann. Der Eid hätte Euch davor geschützt. Da dies nun nicht der Fall ist, halte ich es für das Sinnvollste, dass niemand je erfährt, wen Ihr zu Eurem Heerführer ernannt habt. Ich gebe zu, inzwischen wäre ich untröstlich, wenn mich jemand mit einem Zauber manipulieren würde, um Euch am Ende doch noch umzubringen", schloss der neue Heerführer seinen kurzen Vortrag. "Wie gedenkst du dann, deiner Funktion als Heeresführer gerecht zu werden und meine Soldaten anzuführen, wenn niemand weiß, wer du bist?", erkundigte sich der Pharao gutmütig. "Oh, seid unbesorgt. Sie werden wissen, wer ich bin. Zumindest werden sie erkennen, wem sie zu folgen haben, wenn es soweit ist. Sie brauchen nur nicht zu wissen ist, dass es 'Jono' ist, der sie anführt." Ein wenig skeptisch maß ihn der Pharao mit seinen Blicken. Dennoch war er einverstanden. Nur wenige Augenblicke später begann das Bild vor Setos Augen und die Umgebung um sie herum, sich aufzulösen. Es war gerade noch zu erkennen, wie Jono, nun wieder vollständig verhüllt, abermals die Tür großzügig ignorierte und sich mit einer geschmeidigen Bewegung über den Rand der Terrasse begab, ehe er auf der anderen Seite verschwand. Zurück blieb ein resignierender Pharao, welcher erkennen musste, dass ein weiterer Hinweis auf den eigentlichen Aus- und Eingang ebenso wenig bringen würde, wie der vorangegangene. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)