Time to remember von seththos ================================================================================ Kapitel 50: Eine kleine Wette ----------------------------- Hallo und danke für die lieben Kommis. Ich habe mich gefreut, zu lesen, dass es auch nach längerer Unterbrechung offenbar noch einige gibt, die gern wissen wollen, wie es weiter geht. ^_^ Danke auch für die aufbauenden Worte, die mir der eine oder andere aufgeschrieben hat. Aber nun, ohne weitere lange Vorrede, das nächste Kapitel. LG an alle Leser seththos __________________________________________________________________________________ Der Braunhaarige hatte sich inzwischen wieder von dem Kleineren gelöst und sich seiner eigenen Jacke entledigt. Vorsichtig half er Joey dabei, diese mit der seinen zu tauschen, so dass sie das Gebäude ohne viel Aufsehen würden verlassen können. Das Hemd ließ der Jüngere vorsichtshalber an. Es hatte sich bereits mit seinem Blut vollgesogen und klebte an der rechten Seite. Gleichzeitig sorgte es so dafür, dass nicht noch mehr der lebensspendende Flüssigkeit seinen Körper verließ. Ohne ein Wort wechseln zu müssen, waren die Anwesenden sich einig, dass das Geschehene nichts war, was man einem Außenstehenden erklären konnte. Da die Verletzungen nicht lebensgefährlich waren, wie Joey nochmals beteuerte, wäre es kein Problem, die Versorgung der Wunden auf später zu verschieben. Ein kurzer Augenkontakt genügte, um ihre gegenseitigen Gedanken in Einklang zu bringen. Schnell wurde die blutige und zerrissene Jacke Joeys mit der Hilfe von Thea in ihrem Sportbeutel verstaut. Atemu wickelte sich den Schal neu, um den Einschnitt durch Setos Magie zu kaschieren. Tristan und Yugi hielten sich indes mit allen auf der Zunge liegenden Fragen zurück und sammelten ein paar Sachen ein. Diese hatten sich über den Boden verteilt, als Yugi vor Schreck die Schultasche entglitten war. Binnen Sekunden erinnerte nichts bis auf die noch immer zersplitterte Fensterscheibe an den soeben stattgefundenen Kampf. Seto selbst sorgte derweil mit seinem Taschentuch dafür, dass auch das Blut von Joeys Wange nicht länger zu sehen war. Keinen Moment zu früh, wie sich kurz darauf herausstellte. „Was ist denn hier los?!“, verlangte eine ältere Stimme über ihnen zu wissen. Einer der Lehrer, welcher noch in dem sonst leeren Schulgebäude zugegen war, kam die letzten Stufen der Treppe hinab - dicht gefolgt vom Schularzt. Letzterer verweilte auf dem oberen Treppenabsatz und wäre wohl noch weiter hinunter gekommen, wenn die Verletzungen von Joey nicht so gut kaschiert worden wären. Gleichwohl der Blonde beim Anblick des Arztes augenblicklich einen Schritt von Seto zurücktreten wollte - dieser hatte ihm von Tomes Vorgehen berichtet - ließ der Firmenchef sich nicht beirren. Trotz der forschenden Augen, welche auf die gerichtet waren, brachte Seto nur so viel Abstand zwischen sich und dem Kleineren, dass er sich zu den zwei Herren umdrehen konnte. Empört sah der Ältere der Zwei, einer der Sportlehrer, auf die zerstörte Scheibe. Joey zögerte nicht. Der weithin bekannte Chaosschüler der Schule ergriff die Initiative und ging in die Offensive. Mit einem letzten Blick auf Seto brachte er einen weiteren Schritt zwischen sie und zauberte wie aus dem Nichts ein schuldbewusstes Lächeln auf sein Gesicht. „Entschuldigung. Ich wollte den anderen zeigen, wie ich letztens mein Tor beim Fußball gemacht habe. Dabei ist der Ball wohl irgendwie durch die Scheibe geflogen.“ Worte wie diese riefen erst recht den Zorn des Lehrers hervor. Erzürnt starrte dieser auf den jungen Mann. „SEIT WANN, HERR WHEELER, SPIELEN WIR BITTE FUßBALL IM SCHULGEBÄUDE?“, verlangte er zu wissen. „Also ich weiß ja nicht, seit wann Sie das machen. Für mich war es heute das erste Mal“, informierte ihn Joey - wie immer um keine passende Antwort verlegen. „Und dann auch noch freche Antworten geben! SIE ZAHLEN FÜR DIE SCHEIBE, HERR WHEELER! Sie glauben wohl, jetzt, da Sie so gut abgeschnitten haben, können Sie sich alles erlauben!? Aber SO nicht! Auch wenn Sie nur noch ein halbes Jahr hier zur Schule gehen, haben Sie sich entsprechend zu verhalten!“, stauchte ihn der Mann zusammen. Durch eine solch dreiste Wortwahl abgelenkt, fiel ihm nicht auf, dass Joeys Ausrede ein entscheidendes Detail vermissen ließ: einen Ball. Gerade, als Joey den Zorn des Anderen noch ein wenig weiter auf die Spitze treiben wollte, legte sich eine große warme Hand auf seine Schulter. „Red‘ dich nicht für mich um Kopf und Kragen, Kleiner“, flüsterte Kaiba ihm zu, ehe er sich leicht vor ihn stellte. Mit derselben Miene, mit welcher er täglich Millionenverträge aushandelte, starrte er nun den älteren Mann in Grund und Boden. „Für die Kosten der Scheibe komme ich auf.“ „Das ist sehr großzügig, Herr Kaiba. Aber Herr Wheeler sollte lernen, für seine Fehler alleine gerade zu stehen“, verkündete der Lehrer in bemüht freundlicherem Tonfall, als kurz zuvor Joey gegenüber. „Das tut er. Und dazu auch noch für Fehler, die er nicht einmal selbst begangen hat. Ich war es, der die Scheibe zerschlagen hat“, stellte Kaiba ohne Umschweife richtig. Sicherheitshalber ging er nicht weiter darauf ein, wie genau er das zustande gebracht hatte. „Demnach werde ICH für die entstandenen Kosten aufkommen.“ „Ähm… also…“ Irritiert von dieser Wendung schweifte der Blick des Lehrers zwischen Joey und Kaiba hin und her - als könne er nicht ganz glauben, was der Firmenchef ihm da gerade mitteilte. Ohne Zweifel war er eher geneigt, Joey die Schuld an der kaputten Scheibe zu geben, statt dem immer ruhigen und überlegtem Seto Kaiba. Aber wenn dieser es so sagte, musste er es wohl oder übel glauben. Kaum ein Lehrer legte sich mit dem reichen Firmenchef an, auch wenn er noch zur Schule ging. Sein Einfluss in der Stadt war groß und die jährlichen Spenden willkommen. „Ja… dann… lasse ich Ihnen die Rechnung zukommen.“ „Tun Sie das. Ich werde meine Sekretärin anweisen, Ihnen den entsprechenden Betrag zu überweisen“, ließ Kaiba ihn mit einem eleganten Hinweis auf seine soziale Stellung wissen. Die wenigsten Einwohner dieser Stadt, durften eine persönliche Sekretärin zu ihren Angestellten zählen – geschweige denn, konnten sie eine solche bezahlen. „Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen wollen, ich habe noch wichtige geschäftliche Termine. Die Scherben kann sicher der Hausmeister entsorgen. Immerhin wird er dafür bezahlt. Sie verstehen sicher, dass ich ihn nicht selbst über das Malheur informieren kann. Ich habe, wie gesagt, anderweitig zu tun.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab, griff nach seiner Schultasche und ließ den Lehrer sprachlos stehen. Ohne ein weiteres Wort ging er an dem Kindergarten, Atemu und Joey vorbei. Der Drang, den früheren Pharao zu verletzen, war nach wie vor allgegenwärtig, wurde jedoch durch den Anblick des verletzten Joeys merklich gedämpft. Erst an der kaputten Tür hielt er nochmals inne und sah zu dem Blonden zurück. „Komm“, war das Einzige, was er sagte. Der Kleinere ließ ihn nicht zweimal bitten und folgte ihm. Atemu und die Anderen schlossen sich stillschweigend an. Kaum, dass sie das Schulgebäude verlassen hatten und sich außer Hör- und Sichtweite befanden, konnte Tristan sich nicht länger zurückhalten. „Was, zum Teufel, ist hier eigentlich los, Alter?!“, verlangte er von Joey zu wissen und legte dabei in üblicher vertrauter Manier seinen Arm um dessen Schulter. Der Blonde zuckte kurz zusammen, als Tristan versehentlich seine Wunden berührte, sagte aber nichts. Wie hätte er das ganze Dilemma auch erklären sollen? Immerhin hatte er selbst keine richtige Erklärung dafür, weshalb Seto Atemu aus heiterem Himmel angegriffen hatte. Der Einzige, der es womöglich wusste, war der Pharao. Zumindest ließ seine Reaktion auf Seto darauf schließen. Der Firmenchef selbst schien - wenn überhaupt - nur eine Ahnung zu haben, da seine Erinnerungen noch nicht vollständig zurückgekehrt waren. Er selbst konnte sich nur vorstellen, dass der Auslöser für all das etwas sein könnte, das… nach diesem einen Tag geschehen war. Etwas, von dem er selbst keine genaue Vorstellung hatte. Ihm blieb daher nichts anderes übrig, als wie sonst die Schultern zu zucken, was er aber augenblicklich bereute. Der blutige Stoff des T-Shirts löste sich leicht von der Haut und riss eine der Wunden wieder auf. Unwirsch verzogen sich seine Mundwinkel. Einen Laut des Schmerzes konnte er gerade noch unterdrücken. Vollkommen unerwartet verschwand der Arm Tristans von seiner Schulter. Nur Sekunden später fand er sich an der Brust des Firmenchefs wieder, welcher im Gegensatz zu Tristan darauf bedacht schien, nicht noch einmal an seine Verletzung zu rühren. Erbost starrten zwei eisblaue Augen in die Richtung des anderen Braunhaarigen und schienen ihn beinahe, ebenso wie Atemu kurz zuvor, am liebsten zu Asche verbrennen zu wollen. „FASS ihn nicht an, Taylor!“, forderte ihn Kaiba mit unheilvoller Stimme auf, seine Augenbrauen unheilvoll zusammengezogen. „Halte deine Hände von ihm fern.“ „Was…?“ „Joey", bezeichnend legte er die zweite Hand auf das Kinn des Kleineren und bog seinen Kopf leicht nach oben, "gehört mir.“ Ohne weitere falsche Rücksicht auf die Umstehenden, senkte Kaiba seine Lippen auf die des Blonden, welcher trotz des peinlichen Umstands, dass alle seine Freunde sie sehen konnten, nicht die Kraft hatte, sich gegen ihn zu wehren. Während der Kleinere binnen Sekunden alles um sich herum vergaß und vollkommen von dem intensiven Kuss vereinnahmt wurde, ließ Kaiba den besten Kumpel seines Freundes nicht aus den Augen. Mit umwölkten, dunklem Blick fixierte er den Braunhaarigen und machte seinen Besitzanspruch deutlich. „Uf…“ Die Augen aufgerissen und mit einem weit nach unten geklapptem Kiefer, starrte Tristan die beiden an. Auch Thea sah aus, als wäre sie gerade von einem Zug überrollt worden. Samt Anhänger. Mindestens fünf an der Zahl. Keiner der zwei konnte sich von dem unerwarteten Bild vor ihnen losreißen. Yugi indes begnügte sich mit einem kurzen Blick auf das Paar, ehe er ihn stumm weiter zu Atemu wandern ließ. Dieser wiederum sah mit einem halb besorgten, halb zufriedenem Gesicht auf die Zwei. „Na endlich“, war sein schlichter Kommentar. Aufseufzend und immer noch mit leichtem Unglauben im Gesicht, ging Yugi zu ihm hinüber und schob ihm unauffällig eine seiner liebsten Karten aus seinem Deck zu. Er hätte lieber nicht mit dem über 5000 Jahre alten Pharao wetten sollen. „Ich fasse es nicht. Du hattest wirklich Recht“, ließ Yugi ihn wissen. Anscheinend hatte dieser ihm bereits vor längerer Zeit von seinem Verdacht erzählt. Atemu zuckte nur unverbindlich mit den Schultern. „Sicher, immerhin konnten sie schon damals kaum die Finger von einander lassen, auch wenn sie sich ständig gegenseitig an den Rand des Wahnsinns getrieben haben. Es hätte mich gewundert, wenn es in diesem Leben anders gekommen wäre.“ „Was…Wie…? Ich verstehe nicht…“ Das Stottern von Tristan lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Braunhaarigen. Langsam lösten sich die Lippen von Joey. Mit einem kleinen Schritt zur Seite, drehte Seto den Blonden in seinen Armen so, dass auch Tristan das Gesicht des Kleineren sehen konnte. Es war unmöglich, die geröteten Wangen, die etwas angeschwollenen Lippen und die abwesenden, leicht glasigen Augen zu ignorieren. Nur langsam fand der beste Kumpel von Tristan, von dem dieser geglaubt hatte, er würde ihn in und auswendig kennen, wieder in die Gegenwart zurück. „Lass es mich so ausdrücken, Taylor: Rühr ihn noch ein einziges Mal an und du hast zwei Finger weniger“, informierte ihn Kaiba. Sein Blick machte deutlich, dass er jedes Wort ernst meinte. Gleichwohl er offensichtlich noch damit zu tun hatte, das Gesehene zu verarbeiten, konterte Tristan umgehend. „ICH war es nicht, der ihn gerade mit was-auch-immer verletzt hat, Kaiba. Wenn überhaupt irgendwer die Finger von ihm lassen sollte, dann ja wohl du!“ Den Blonden in den Armen des Mannes zu sehen, mit dem dieser bisher nur auf Kriegsfuß gestanden und der ihn obendrein noch so zugerichtet hatte, passte ihm gar nicht und war für den braunhaarigen Schüler nicht nachvollziehbar. Obwohl Seto ihn nicht losließ, konnte Joey, welcher noch immer gegen seine Brust lehnte, doch spüren, dass Tristan mit seinen Worten einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. Er wusste, dass es dem Größeren leid tat, ihn verletzt zu haben – mehr als das. Es bestand für ihn kein Zweifel, dass Seto, sollten Narben zurückbleiben, sich womöglich bis an sein Lebensende Vorwürfe machen würde. Ihm wäre es an seiner Stelle genauso gegangen. Seine Freunde ausblendend, sah er ernst in die Augen seines Freundes. „Es ist in Ordnung, Seto. Ich sagte bereits, es sind nur Kratzer. Es tut nicht mal mehr weh.“ Dieser blickte zweifelnd auf ihn hinunter. Für jemanden, der ihn so gut kannte wie der Kleinere, war es offensichtlich, dass er das anders sah und sich selbst nicht vergeben konnte. Joey ahnte, dass, solange die Wunden noch frisch waren, seine Worte nichts an den Gefühlen des Älteren ändern würden. Tristan sah indes mit unverhohlenem Entsetzen auf seinen Kumpel, welcher sich gerade auf die Seite des Firmenchefs schlug. „NUR KRATZER!? Mach dich nicht lächerlich, Joey?! Er hätte dich umbringen können!“ „Nein“. In diesem einen schichten Wort lag so viel Überzeugung, dass sein bester Freund dem nichts entgegenzusetzen hatte. Hinzu kam, dass Joey bisher nicht einmal versucht hatte, sich aus den Armen des Firmenchefs zu lösen. Tristan warf die Hände in die Luft. „Ich kotz gleich“, ließ er die Umstehenden wissen. Er hatte genug für heute. Das alles war ihm zu viel. Sollte sein Kumpel doch machen, was er wollte. „Tristan…“, wollte Joey ihn noch aufhalten. In einer halbherzigen Bewegung wollte er sich von dem Größeren lösen und seinen Freund aufhalten. Seto ließ es nicht zu. Mit festem Griff hielt er ihn zurück und zog den Rücken des Kleineren erneut an seine Brust, während er bestimmend einen Arm um seine Taille legte. Doch das wäre gar nicht notwendig gewesen. Tristan deutete mit einer abwehrenden Handbewegung an, dass er ohnehin auf Abstand bedacht war. „Hey, nimms‘ mir nicht übel, Joey, aber das war gerade alles ein bisschen viel auf einmal. Ich meine, erst dieser Kram mit deinem Superhirn, dann diese Verletzungen und dann auch noch…“, er rang nach Worten, „…DAS.“ Beinahe anklagend deutete er auf Kaiba. „Sorry, Joey. Ich brauche erstmal Zeit, das alles zu verdauen.“ Aufseufzend schweifte sein Blick ein letztes Mal zu der geliehenen Jacke und den Wunden, welche durch den Stoff augenblicklich gut versteckt waren. „Sieh zu, dass der Arsch wenigstens deine Wunden versorgt, ok? Ich geh jetzt.“ Damit verließ er die Gruppe, ohne sich noch einmal umzudrehen. Seine Zurückweisung, wenn auch sicher nicht für lange Zeit, versetzten Joey einen Stich. Doch er konnte ihn verstehen. Hätte Kaiba ihn allerdings nicht geküsst, wäre Tristan vielleicht nur halb so ausgerastet. Missmutig ließ Joey sich ein wenig gegen die Brust des Älteren sinken. Setos Griff lockerte sich leicht. „Wolltest du damit nicht noch warten?“ Verstimmt starrte der Firmenchef dem anderen Braunhaarigen hinterher. „Er hat dir weh getan.“ Mehr gab es für den Älteren zu diesem Thema nicht zu sagen. Kopfschüttelnd löste Joey sich nun doch von seinem Freund. Dieser hatte angesichts von Tristans Abgang auch anscheinend nichts mehr dagegen. Joey sah noch einmal kurz der davon stapfenden Gestalt hinterher, ehe er sich den Anderen zuwandte. Mit Tristan würde er später sprechen. Erst einmal musste er das alles selbst richtig verarbeiten. Er wusste noch immer nicht, wie er damit umgehen sollte, sollte Kaiba noch einmal seine Kräfte gegen Atemu einsetzen. Vor allem musste er verdauen, dass Seth seine Kräfte überhaupt noch nutzen konnte! Zumindest die aktuelle Gefahr schien allerdings gebannt. Seto hatte indes nur noch einen Wunsch. Der Gebrauch seiner Fähigkeiten hatte ihn viel Energie gekostet. Er selbst war von all dem mindestens so überrascht, wie Joey. Auch er wollte Antworten. Doch zunächst musste er dringend ins Bett. Am besten mit dem Blonden an seiner Seite. In diesem Augenblick wünschte er sich nichts mehr, als den Jüngeren in seinen Armen zu halten. Er musste sicher sein, dass er wirklich da war. Er musste seine Wärme spüren, um Gewissheit zu haben, dass er noch lebte, dass er atmete. Noch immer spukten all diese Bilder in seinem Kopf herum, die er mit keiner der bisher wiedererlangten Erinnerungen in Einklang bringen konnte. Als Joey sich nun von ihm löste, konnte er sich selbst nur schwer davon abhalten, ihn nicht sofort wieder an sich zu ziehen. Um dem drängenden Gefühl zu wiederstehen, wandte er sich brüsk von der verbleibenden kleinen Gruppe ab und zückte sein Handy. Die Arbeit würde heute warten müssen, er brauchte unbedingt seinen Wagen – mit Chauffeur. Um den Weg nach Hause allein zu laufen, fehlte ihm die Kraft. Während er noch darauf wartete, dass Roland auf seinen Anruf reagierte, folgte er nebenbei mit halbem Ohr der Unterhaltung des Kindergartens. „Das musst du verstehen, Joey – das war heute alles ein bisschen viel für Tristan“ versuchte Thea ihren Freund zu beruhigen, der einen letzten besorgten Blick in Richtung von Tristan geworfen hatte. Dieser verschwand gerade hinter der Mauer, welche das Schulgelände umgab. Thea selbst schien sich noch kein Urteil gebildet zu haben, sagte aber auch nichts weiter dazu. Vorerst. Genau. Du weißt doch, wie Tristan manchmal ist. Er wird sich schon wieder bei dir melden“, ergänzte Yugi. Joeys Gedanken gingen in dieselbe Richtung. „Aber sag mal“, schnitt Atemu vorsichtig ein neues Thema an „wo wir schon dabei sind, alle Karten auf den Tisch zu legen, „wann wolltest du uns eigentlich das von deinen Eltern erzählen?“ Verblüfft sah Joey zu dem Älteren. „Woher…?“ „Serenity hat es uns vor zwei Wochen gesagt. Sie meinte aber, wir sollten warten, bis du es uns selbst sagen kannst“, informierte ihn Yugi ebenso vorsichtig. Der Blonde atmete tief durch. „Entschuldigt. Ich habe es schon so lange für mich behalten… ich wusste nie so recht, wie ich anfangen sollte“, erklärte sich der Angesprochene. „Ist schon gut, Joey. Mir würde es wahrscheinlich genauso gehen, wenn meine Eltern gestorben wären“, tröstete ihn Thea. „Ja. Letztlich ist es ja auch deine Sache, wem du was erzählen willst“, stimmte Yugi ihr zu. „Ich habe auch nur gefragt, weil Serenity erzählte, dass du dabei bist, umzuziehen. Was ich fragen will: Brauchst du Hilfe?“ Verlegen, dass seine Freunde sogar darüber schon Bescheid wussten, kratzte sich Joey am Kopf. „Naja. Später vielleicht. Beim Tragen halt. So viel werde ich gar nicht behalten. Die neue Wohnung ist ja auch kleiner.“ „Hast du schon etwas Neues?“, erkundigte sich Thea fürsorglich. „In dem Nachbarhaus gibt es eine kleine Einraumwohnung. Da passt alles rein, was ich so brauche. Ich denke, das reicht und die Miete ist auch günstig. Der Vertrag ist schon unterschrieben.“ Zweifelnd sah Atemu ihn an. „Verigss es!“ Erstaunt von dem abrupten Zwischenruf sahen sich drei der vier Anwesenden mit Erstaunen zu Kaiba um. Dieser hatte sein Gespräch derweil beendet und steuerte erneut auf die Gruppe zu. Noch während er sein Handy in der Tasche verschwinden ließ, packte er Joey fest am Arm und zog ihn, unnachgiebig, aber trotzdem auf seine Verletzung bedacht, mit sich fort. „Was…?“, konnte der Kleinere gerade noch fragen, erhielt aber keine Antwort mehr. „Entschuldigt uns. Wir haben etwas Dringendes zu besprechen“, ließ Seto die anderen wissen. „Das dachte ich mir schon“, kommentierte Atemu das merkwürdige Verhalten des Firmeninhabers. „Warum?“, verlangte Yugi zu wissen. Abwehrend hob Atemu beide Hände. „Das merkt ihr schon. Lasst uns gehen. Joey wird sich schon melden, wenn er Hilfe braucht.“ „Hm.“ Gemeinsam folgten sie dem Blonden und dem Firmenchef in einigem Abstand. Nachdem er den Jüngeren auf den Rücksitz befördert hatte, ließ Kaiba sich neben ihm auf den Sitz sinken und schloss mit Schwung die Tür. Mit einem letzten Gruß machte sich die zurückbleibende Gruppe auf den Weg in Richtung von Yugis und Atemus Zuhause. Thea spukten noch einige Fragen in ihrem Kopf herum. Sie würde die Beiden begleiten. Kaiba gab seinem Chauffeur Roland indes die Anweisung, nach Hause zu fahren und ließ kurz darauf die Sichtblende zwischen sich und dem Fahrer hochfahren. Kaum, dass das Surren der Scheibe nicht mehr zu hören war, wandte er seine komplette Aufmerksamkeit Joey zu. Ohne dessen Einverständnis abzuwarten, drückte er den Jüngeren an den Schultern in die Polster zurück und presste seine Lippen verlangend auf die des Anderen. Der Blonde wusste kaum, wie ihm geschah, als Seto seine Oberarme umklammert hielt und ihm so jede Möglichkeit nahm, sich gegen diesen Überfall zu wehren. Indem er rücksichtslos die Mundhöhle des Anderen räuberte, sorgte er dafür, dass sich bei dem Blonden binnen Sekunden alle Gedanken an Gegenwehr in Luft auflösten. Alles um ihn erschien ihm wie in Watte gepackt. Leichter Schwindel machte sich breit und von ihm selbst unbemerkt, stöhnte er laut und vernehmlich auf. Seine Brust hob und senkte sich, als läge ein Berg aus Steinen darauf und erschwerte ihm das Atmen. Er war der Übermacht dieser warmen Lippen ebenso hilflos ausgeliefert, wie schon wenige Minuten zuvor auf dem Schulhof. Erst nach mehreren Minuten, ließ der Firmenchef von ihm ab. Wie durch einen Nebelschleier starrte Joey auf die ebenfalls schwer atmende Gestalt, welche ihn nicht aus den Augen ließ. Seine Lippen fühlten sich rau und geschwollen an. Er spürte, wie etwas Feuchtes aus seinem rechten Mundwinkel sein Kinn hinunter wanderte. Doch er fühlte sich nicht in der Lage, etwas daran zu ändern. Seto sah es, und legte seine rechte Hand sanft auf die Wange des Jüngeren, ehe er den Speichel abwischte und mit seinem Daumen die Lippen von Joey nachfuhr. Seto erschauerte. Abermals überlagerten sich Vergangenheit und Gegenwart. Speichel wurde zu Blut. Von seinen Erinnerungen gequält, schloss er die Augen. „Ich gebe dich nicht mehr her, Joey“, ließ er ihn wissen. /Ich lasse dich nicht sterben. Niemals!/, setzte er unhörbar für den Anderen hinzu. /Ich werde dich beschützen./ Doch Joey kannte seine Gedanken nicht. Er spürte nur, dass es in Seto arbeitete. Und auch wenn er nicht erraten konnte, was in ihm vorging, wollte er ihn doch irgendwie beruhigen, seine Sorgen zerstreuen. Ungewollt verstärkten seine Worte die Sorgen des Firmenchefs allerdings nur noch. „Das musst du auch nicht. Ich bleibe bei dir, solange ich lebe.“ Setos Atem stockte. Genau das war es, was ihm die größte Angst machte. Wie lange würde das sein? Wie lange würde er noch leben? Wie lange noch an seiner Seite sein? Doch er nickte nur. Noch während Joey sich selbst wieder in einen herzeigbaren Zustand versetzte, erreichten sie schließlich die Kaiba Villa. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)