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Time to remember

von

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Ein Versprechen bis in alle Ewigkeit

Bin immer noch arg im Stress, verzeiht, wenn ich noch immer nicht auf Kommis antworten kann. Aber der nächste Teil entschädigt hoffentlich dafür... ^_^*
 

Nachtrag 4.6.: Ich weise darauf hin, dass ich wirklich jedes WE veröffentliche. Leider benötigt animexx beim Korrekturlesen bisweilen mehr Zeit, als geplant, so dass es sich manchmal trotzdem bis in die nächste Woche hineinzieht. Bitte verzeiht daher, dass das neue Kapitel erst jetzt online ist. Viel Sp... Gutes Lesen. ^_^*

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Der Mond war bereits ein gutes Stück gewandert, als Seth von unkontrolliertem Stöhnen und leise gemurmelten Lauten des Schmerzes aus dem Schlaf gerissen wurden. Suchend sah er sich nach der Quelle um. Doch er war nicht mehr in der Wüste. Zumindest nicht in dem Teil der Wüste, in dem er sich in der Nacht zur Ruhe gelegt hatte. Überrascht stellte er fest, dass es heller Tag war und die Sonne hoch am Himmel stand. Irritiert versuchte er sich zu erinnern, wie er hier hergekommen war. Rings um ihn herum, nur getrennt durch je einen sieben Mann breiten Streifen Boden, standen verschiedene Häuser. Klein und nur mit Stroh bedeckt, schienen sie sich zu einem kleinen Dorf aneinanderzureihen. Schnell sah er sich weiter um. Noch immer hörte er das Stöhnen. Sich mit geschlossenen Augen orientierend, lauschte er auf die Richtung, aus der die Laute kamen. Rechts. Ohne weiter nachzudenken, folgte er den Geräuschen und stand alsbald vor einer kleinen Hütte, hinter welcher sich einige große Palmen erhoben. Eine kleine Treppe führte hinauf in das Haus aus dunklem Lehm. Noch einmal warf er einen Blick auf die Straße, auf der sich niemand bewegte außer einem kleinen Mädchen, das so schnell vorbei rannte, dass er es nicht aufhalten konnte. Auch auf seine Rufe reagierte das Kind nicht mehr. Schon war es um die nächste Hausecke verschwunden. Verwundert setzte Seth einen weiteren Schritt nach vorn. Ein seltsames Gefühl im tiefer gelegenen Bereich seines Körpers ließ ihn nach unten sehen.
 

„Na wunderbar.“
 

Stirnrunzelnd stellte er fest, dass aus seinem Bein ein langer Holzbalken herausragte. Wäre alles so gewesen wie immer, hätte er vermutlich vor Schmerzen schreien müssen, doch stattdessen ging er einfach einen Schritt weiter und ließ den Holzbalken hinter sich. Auch die kleine Mauer aus Lehm, die sich vor ihm erhob, bedeutete keine schmerzhafte Hürde, als er durch sie hindurch lief.
 

„Was für ein Tag. Da will man endlich zur Ruhe kommen und schlafen, da passiert mir so etwas.“
 

Missmutig schüttelte Seth den Kopf. Er war schon lange nicht mehr körperlos durch die Gegend gewandert. Meist geschah dies nur, wenn Menschen ihn um Hilfe baten. Oft, wenn sie sich an etwas Bestimmtes erinnern wollten, ließen sie ihn einen Blick in ihren Kopf werfen. Er verwendete diese Gabe auch gern, wenn er herausfinden wollte, ob jemand die Wahrheit sprach. Seine Fähigkeit unterschied sich in dieser Hinsicht nur geringfügig von den Möglichkeiten der Milleniumskette des Pharaos. Während Atemu in der Lage war, das große Ganze zu sehen, war sein Blick auf die Vergangenheit meist an eine bestimmte Person gebunden, die ihn zu sich gerufen hatte. Nun galt es nur noch herauszufinden, wer ihm gerade seine Vergangenheit zur Verfügung stellte und ihm seine wohlverdiente Ruhe verwehrte.
 

Langsam schritt er weiter. Da in dem Haus vor ihm die einzigen lebenden Menschen zu hören waren, ging er davon aus, dass des Rätsels Lösung wohl dort zu finden war. Neugierig ging er die Treppe hinauf und betrat das Wohnhaus, welches wohl einem Bauern gehören musste. Es war nicht sonderlich reich eingerichtet. Das Einzige von Wert war eine Streitaxt in der rechten Ecke. Ansonsten enthielt der Raum nur eine kleine Kochstelle und einen Tisch zum Essen.

Erneut hörte er schmerzverzerrte Laute und drehte sich in Richtung des zweiten Raumes. Mitten im Schritt verharrte er. Ein kleiner Junge stand dort und sah zaghaft durch einen Spalt in das Schlafzimmer, wie Seth vermutete. Der Junge war in eine dunkelbraune Tunika gekleidet und einfache Sandalen aus Gras schützten seine Füße. Er zitterte am ganzen Körper, das konnte Seth deutlich sehen.
 

„Hör auf! Bitte! Bitte, lass mich!“, schrie es aus dem Zimmer.
 

Ein lauter Schlag war zu hören und abermals folgte ein Wimmern.
 

Angeekelt vernahm Seth die grunzenden Laute eines Mannes aus dem angrenzenden Raum.
 

„Warum hast du ihn auch zur Welt gebracht, Weib?! Nun muss ich ihn durchfüttern, diese Brut! Du hättest mit ihm sterben sollen, elendes Miststück! Sieh zu, dass du für meine Großzügigkeit bezahlst!“, erklang erneut die Stimme eines Mannes.
 

Als etwas Schweres gegen die Tür prallte, zog der kleine Junge davor sich eilig zurück und stellte sich mit dem Rücken zur Wand. Tränen liefen seine Wangen hinab und mit einmal erkannte Seth, wessen Vergangenheit er vor sich hatte. Jono musste damals gerade fünf Jahre alt gewesen sein. Große, braune Augen starrten ins Leere, als er sich an der Wand hinunter sinken ließ, beide Hände auf seine Ohren gepresst, um die Schreie seiner Mutter nicht zu hören. Immer wieder wiegte er seinen Körper vor und zurück. Hilflos. Seths Augen brannten. Vorsichtig ging er zwei weitere Schritte voran und ließ sich vor dem Jungen in die Hocke sinken. Zu gern hätte er ihn getröstet. Doch das stand nicht in seiner Macht. Er hatte in der Vergangenheit eines Anderen keinen Einfluss auf dessen Geschick. Er konnte nur beobachten und versuchen, zu verstehen. Sein Herz zog sich schmerzlich zusammen, als er auf die jämmerliche, kleine Gestalt vor sich blickte. Erst ein Jahr später hatte er ihn kennengelernt. Wenn er ihm doch damals schon begegnet wäre…
 

Ein weiterer Schlag ertönte und das Bild vor ihm verschwand und wurde durch ein neues ersetzt. Der Junge war verschwunden. Unruhig starrte Seth auf die leere Wand und fand die Tür, die eben noch geschlossen war, geöffnet vor. Ein Blick durch das Fenster verriet ihm, dass es abermals helllichter Tag war. Als er von draußen mehrere klatschende Geräusche hörte, trugen ihn seine Füße ganz von selbst zur Rückseite des Hauses.
 

„Du kleine Ratte, sieh gefälligst zu, dass du die Keule aufhebst! Und jetzt nochmal!“
 

Mehrere harte Treffer prasselten auf den Körper des inzwischen vielleicht neunjährigen Jungen nieder. Dieser blutete bereits aus mehreren Wunden und atmete schwer. Man sah ihm an, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Seine Augen blickten nur noch verschwommen auf die große Männergestalt vor ihm – ein kräftiger Mann mit rabenschwarzen Haaren und ebenfalls einer Keule in der Hand.
 

„Wer stehlen kann, der kann auch die Strafe dafür einstecken! Ich werde dich lehren, kleiner Bastard, die Menschen hier zu beklauen. Du hast zu essen, was ich dir gebe und sonst nichts.“
 

Abermals folgten mehrere Schläge und erschöpft ging der kleine Jono zu Boden. Doch statt einfach liegen zu bleiben, kämpfte er sich erneut auf die Beine, schnappte sich seine Keule und versuchte, sich damit vor dem Mann zu schützen. Die Augen fest zusammengezogen, starrte er den Älteren an. Schon jetzt konnte man den starken Willen in dem Jungen sehen, der mit den Jahren in ihm gewachsen war. Keine Träne glänzte in seinen Augen, als er abermals zu Boden ging. Der Junge selbst hatte nur ein paar wenige Treffer landen können.
 

Seth sah, dass er sich erneut hoch kämpfen wollte, doch seine Arme und Beine ließen ihn im Stich. Das Zittern konnte schwerlich nur von den erhaltenen Schlägen herrühren. Der Hohepriester vermutete, wenn er sich die dünnen Arme betrachtete, dass der Kleinere schon seit Wochen kaum noch etwas Vernünftiges zu essen bekommen haben musste. Voller Mitleid sah er auf den Kleinen. Machtlos musste er mit ansehen, wie der so genannte Vater erneut zuschlug und Jono endlich in gnädiger Ohnmacht versank. Ein schlurfender Laut hinter ihm ließ ihn sich drehen. Mit geweiteten Augen musste er mit ansehen, wie eine wesentlich jüngere Ausgabe von Aset am Haus des Mannes vorbeiging. Ihr Blick hatte eindeutig auf Jono gelegen, doch schnell hatte sie sich abgewendet und war weitergelaufen.
 

Die Wut, die sich bei diesem Anblick in seinem Magen zu bilden begann, war unermesslich. Jono sollte Recht behalten haben. Aset hatte es gewusst und mit ihr wahrscheinlich viele andere. Aber niemand hatte genauer hinsehen wollen. Hilfe hatte er in diesem Dorf nicht erwarten können. In diesem Moment stürmte aus unerwarteter Richtung eine junge Frau heran. Die Früchte, die sie in ihrem Korb getragen hatte, waren zu Boden gefallen, als sie sich mit einem leisen Aufschrei über den Jungen beugte. Zornig und ängstlich zugleich sah sie auf den Mann, welcher, ohne sie weiter zu beachten, an ihnen vorüberging.
 

„Was hast du getan?!“, verlangte sie zu wissen.

„Nichts, was dich interessieren sollte, Kija. Geh ins Haus und lass den Abschaum hier liegen.“
 

Tränen bildeten sich in ihren Augen, als sie die Wunden ihres Sohnes vorsichtig abtastete. Ihr Mann war bereits weitergegangen.
 

Liebevoll nahm die junge Frau Jono in die Arme. Früher musste sie einmal sehr schön gewesen sein, doch inzwischen waren ihre Wangen eingefallen und ihr schwarzbraunes Haar war stumpf. Auch sie hatte offenbar unter den Grausamkeiten ihres Mannes zu leiden. Sanft wiegte sie ihren Sohn hin und her.
 

„Oh, Jono. Jono, es tut mir so leid, so leid.“
 

Doch bereits kurze Zeit später hatte sie sich wieder gefangen. Energisch wischte sie sich die Tränen aus den Augen und machte sich daran, notdürftig seine Wunden zu verbinden, ehe sie seinen erschlafften Körper im Schatten des Hauses ablegte. Beim Anblick ihrer gestrafften Schultern erhielt Seth eine kleine Ahnung, wem Jono vermutlich seinen starken und unbeugsamen Willen zu verdanken hatte. Nachdem sie eine Schale mit Wasser neben ihn gestellt hatte, sammelte sie rasch die Früchte auf und ging ins Haus. Offenbar wagte sie es nicht, ihren Sohn erneut in die Nähe des Mannes zu tragen. Der Atem von Jono ging schwer, wie Seth merkte, als er näher trat. Vermutlich hatte er Fieber. Auch, wenn er in dieser Gestalt niemanden anfassen konnte, registrierte er doch die geröteten Wangen und jede einzelne Narbe am Körper. Warum nur war ihm das nicht schon früher aufgefallen? Abermals versuchte er, sich zu erinnern, warum er als Kind nie auf all diese Verletzungen aufmerksam geworden war. Doch die lange Kleidung und das scheinbar fröhliche Lachen des Jüngeren hatten stets jegliche Nachfrage seinerseits verhindert. Selbst, wenn er einmal eine der offensichtlichen Narben im Gesicht bemerkt und ihn darauf angesprochen hatte, hatte Jono stets abgewunken und seiner ständigen Kletterei die Schuld gegeben.
 

Abermals veränderte sich die Szene. Der noch immer ohnmächtige Jono verschwand. Als er sich umwandte, konnte er einen kurzen Blick auf die hoch stehende Mittagssonne werfen. Diesmal nicht von zwei kämpfenden Gestalten abgelenkt, bemerkte er auch Kija, welche in diesem Moment um die Ecke kam. Er vermutete, dass hinter den Palmen die Felder des Dorfes lagen. Da er nicht wusste, was er nun tun sollte, folgte er der davoneilenden Gestalt. Sie steuerte direkt auf das Haus zu. Anscheinend hatte sie etwas vergessen. Doch dann hielt sie inne. Noch auf der Treppe stockte ihr Schritt plötzlich und ihre Hände legten sich voller Schrecken über ihren Mund. Erst konnte Seth nicht einordnen, was zu dieser Reaktion geführt hatte. Doch plötzlich hörte er es auch. Das Wimmern eines Kindes – Jono. Die grunzenden Laute eines Mannes – Adham.
 

„NEIN!“
 

Entsetzt von den Lauten rannte er die Treppen hinauf und glitt geradewegs erst durch Kija, dann durch die Tür zum Schlafzimmer. Das Bild, das sich ihm bot, war erschreckend. Dort lag er, Jono, abermals ungefähr drei Jahre älter, unter dem sehr viel größeren Mann. Dieser hatte seine Beine gespreizt und drang mit Gewalt in den kleinen Kinderkörper ein. Immer wieder wimmerte der Blonde, doch außer diesem Ton verließ kein Laut seine Lippen. Seth biss die Zähne aufeinander. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Hätte er in diesem Moment seine Kräfte nutzen können oder eine Waffe zur Verfügung gehabt, er hätte den Mann eigenhändig getötet. Doch das brauchte er nicht mehr. Diese Aufgabe übernahm bereits Kija, die kurz hinter ihm in die Szenerie stürmte, in der rechten Hand ein Messer. Ihr Gesicht hatte sich zu einer Maske aus Wut und Schmerz verzogen, als sie die Schneide ohne zu zögern in die rechte Seite ihres Mannes rammte. Von dem plötzlichen Schmerz überrascht, zog Adham sich aus dem Körper von Jono zurück, welcher augenblicklich auf der Bettstatt zurückkrabbelte und sich an die Wand presste. Eine weiße Flüssigkeit rann zwischen seinen Beinen hervor. Die Augen von Seth verdunkelten sich. Am liebsten hätte er sie geschlossen, um den Anblick vor ihm zu entgehen. Doch seine Augen waren wie gefesselt. Voller Hass sah er auf den Mann, der seinem Geliebten all das bereits in seiner Kindheit angetan hatte.
 

Aber hier war er machtlos. Auch die nachfolgenden Ereignisse konnte er nicht beeinflussen, nur beobachten. Denn schnell hatte sich der Mann wieder gefangen und seiner Frau den Arm umgedreht, welche sich schützend zwischen ihn und den Jungen gestellt hatte.
 

„LASS MEINEN JUNGEN IN RUHE!“, brüllte sie ihn an.
 

Doch Adham lachte nur verächtlich, zog das Messer, welches nicht weit eingedrungen war, aus der Wunde.
 

„Kleine Schlampe, du hast ihn zur Welt gebracht. Ich habe ihn als meinen Sohn, mein Eigentum akzeptiert, also kann ich mit ihm machen, was ich will. Du hättest es einfacher haben können, wenn du ihn damals schon getötet hättest, aber nein, du musstest ihn ja behalten!“
 

Kija sah die Mordlust in den Augen ihres Mannes zuerst.
 

„JONO! Lauf weg! Verschwinde von hier. Komm nicht wieder! Bitte, Jono! LAUF!“, schrie sie, ehe ihr Mann bereits auf sie einstach.

Doch Jono schien wie gelähmt und konnte nur, noch immer an die Wand gekauert, mit Entsetzen im Blick, dem blutigen Schauspiel folgen.
 

„LAUF!“
 

Ein letztes Mal sah seine Mutter zu ihm. Ihre Augen verdrehten sich vor Schmerz, das löste die Starre in Jonos Knochen. Ohne weiter nachzudenken, sprang er auf, hechtete in die angrenzende Stube und kam mit einem weiteren Messer in der Hand wieder. Aber er war nicht schnell genug. Den Schnitt durch die Kehle seiner Mutter konnte er nicht mehr verhindern. Doch er rächte sich bitter und mit tödlicher Präzision. Flink wich er den Abwehrversuchen von Adham aus und stieß ihm sein Messer mit aller Macht in den Arm, drehte es ein Stück, zog es wieder heraus und versenkte es bereits kurz darauf in seinem Magen. Reflexartig ließ dieser sein eigenes Messer fallen, griff nach seinem Bauch und wollte mit der anderen noch im selben Atemzug nach Jono greifen, doch dieser wusste das zu verhindern. Noch ehe er ihn erreichen konnte, duckte er sich weg, schnappte sich das fallen gelassene Messer und führte es über die Kehle des sehr viel größeren und schwereren Mannes vor ihm, während er die andere Klinge, welche noch immer im Magen von Adham steckte, nach oben durchzog und ihn damit regelrecht aufschlitzte.
 

Blut quoll hervor. Adham brach zusammen. Sein schwerer Körper lastete schwer auf Jono. Seine Beine gaben nach. Doch noch bevor die Leiche des Mannes, der ihn und seine Mutter über all die Jahre hinweg gequält hatte, ganz auf ihm zum Liegen kommen konnte, schob er ihn mit Schwung zur Seite. Zitternd kroch er näher, um sicherzugehen, dass er tatsächlich tot war. Um die Gewissheit zu erlangen, dass er nie wieder unter ihm zu leiden haben würden. Von dem Blut, welches sich auf seinem ganzen Körper verteilt hatte, merkte er nichts. Mit festem Griff schlossen sich seine Finger um die zwei Messer und zogen sie hinaus.
 

„Mama, jetzt können wir endlich…“
 

Seth konnte sehen, wie Jono die Erkenntnis traf. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sich über seine Mutter beugte und erkennen musste, dass sie schon nicht mehr am Leben war. Noch immer sickerte das Blut aus ihren zahlreichen Wunden. Tränen sammelten sich hinter seinen Augen. Erschüttert starrte er auf seine Hände und schien zum ersten Mal das Blut zu sehen, welches nun an ihnen klebte. Schritte erklangen. Aset trat ein, wie sie es am Feuer beschrieben hatte. Doch Jono schien sie noch nicht zu sehen. Noch immer starrte er wie gebannt auf seine Hände. Anscheinend konnte er gar nicht aufhören zu zittern. Und dann… kam der Schrei. Aset hatte Recht gehabt. Noch nie zuvor hatte er etwas Ähnliches gehört. So viel Schmerz. So viel Trauer. So viel Furcht und Angst vor sich selbst und dem, was er getan hatte.
 

Der Hohepriester ließ sich neben ihn nieder, wollte ihn in den Arm nehmen, ihn berühren, doch er griff durch ihn hindurch. Er versuchte noch einmal, ihn zu greifen, doch abermals griff er ins Leere. Es zerriss ihm förmlich das Herz, den kleinen, blonden Jungen, den er als Erwachsenen über alles liebte, so hilflos vor sich sitzen zu sehen, ohne etwas tun zu können.
 

Wiederholt rang Jono, inzwischen am ganzen Körper geschüttelt und sich mit den eigenen Armen umschließend, tief nach Luft. Ein weiterer Schrei folgte. Doch als Seth dieses Mal zugriff, spürte er Stoff in seinen Fingern. Verblüfft blinzelte er und erst beim zweiten Augenaufschlag nahm er die Dunkelheit um sich herum wahr. Dann hörte er den Schrei, mehr ein atemloses Krächzen diesmal, und stellte fest, dass er wieder in der Wirklichkeit war. Jono lag neben ihm. Die Arme, wie auch der kleine Jono, um sich selbst geschlungen, hatte er sich auf die Seite gerollt und schrie. Zumindest sah es aus, als wollte er es. Der Mund war weit geöffnet, das Gesicht vor Schmerz verzogen. Unaufhaltsam rannen Tränen sein Gesicht hinab. Immer wieder holte er Luft und setzte erneut an. Doch kein einziger Ton verließ seine Lippen. Es war ein stummer Schrei und nur, wenn er keine Luft mehr in den Lungen hatte, konnte man ein leises Wimmern hören.
 

„Verdammt seist du, Jono! Du hast es schon wieder getan“, murmelte Seth besorgt, ehe er sich zu dem Blonden beugte.
 

/So zu tun, als sei alles in Ordnung! Mich mit Hilfe deines kleinen Schlagabtauschs mit Yanis glauben zu lassen, dir ginge es gut… Du Trottel. Du verdammter, VERDAMMTER Trottel!/
 

So fest er konnte, langte er nach den Schultern von Jono und zog ihn aus seiner liegenden Position in eine halb sitzende Position.
 

„Jono. Es ist gut. Wach auf. Jono! Wach! Auf!“, forderte er ihn drängend auf und schüttelte ihn leicht.
 

„Verfluchter Dummkopf, komm her, damit ich dir helfen kann! Dort, wo du bist, kann ich dich nicht trösten, ich kann dich nicht mal beschützen!“
 

Verzweifelt verfolgte Seth, wie Jono erneut rasselnd Luft holte. Die Angst, die er, gefangen in seinen Erinnerungen, empfand, lähmte seine Atmung. Das Herz schlug viel zu schnell. Donnernd schlug es von innen gegen seine Brust. Er hyperventilierte. Sein Brustkorb hob und senkte sich hektisch. Der Hohepriester sah, wie er versuchte, Luft in seine Lungen zu ziehen. Es gelang ihm nicht. Seth fluchte.
 

„Na schön. Du willst es ja nicht anders.“
 

Geschickt legte er einen Arm hinter den Rücken von Jono, während er mit der anderen Handfläche den Stoff seiner Tunika teilte und sie auf die entblößte Brust des Jüngeren legte, direkt über seinem Herzen. Fest drückte er zu. Es blieb nur zu hoffen, dass er sich genügend in der Gewalt hatte, um Jono hiermit nicht zu töten.
 

Er konnte spüren, wie sich die Muskeln des Kleineren verkrampften, wie sein Puls raste. Doch dem würde er jetzt sofort ein Ende setzen. Der Mann war tot und er würde nicht zulassen, dass er Jono noch über sein Lebensende hinaus quälte. Jono gehörte ihm und keinem Albtraum aus der Vergangenheit! Vorsichtig beugte er sich hinunter zum Kopf des Anderen und legte seine Stirn an die seine.
 

„JONO. WACH. AUF!“, forderte er erneut - diesmal nachdrücklicher und begleitet von einem magischen Befehl, welchen er an Kopf und Herz des Kriegers übertrug.
 

Augenblicklich schnappte Jono keuchend nach Luft. Diesmal fand sie ihren Weg in seine Lunge. Sein Körper klappte nach vorne zusammen. Seine Augen öffneten sich, weiteten sich geschockt. Für einen kurzen Moment wirkte er ähnlich desorientiert, wie Seth kurz zuvor. Stumm verfolgte der Braunhaarige den gehetzten Blick des Anderen, der mal in die eine, mal in die andere Richtung streifte, ehe er auf ihm liegen blieb. Sein Atem beruhigte sich. Langsam. Seth wusste nicht, was der Kleinere in seinen Augen sah, doch es schien ihm Angst zu machen. Er konnte es spüren.
 

„Du hast es gesehen…“, stellte er beinahe winselnd fest.

Seth leugnete es nicht.

„Ich… Du…“, stammelte Jono, ehe er versuchte, Seth von sich zu schieben.

Doch der Priester ließ es nicht zu und zog Jono gegen dessen Widerstand an sich.

Besorgt spürte er, wie dieser erneut zu weinen begann und sich von ihm zu befreien versuchte.

„Du solltest es nicht wissen! Wie konntest du…?!“

Zornig ließ Seth zu, dass Jonos Bemühungen zum Teil Erfolg hatten und er sich ein wenig von ihm weg schob, doch nur so weit, dass er ihn noch immer an den Schultern festhalten konnte.

In Gedenk an die Nähe der Anderen und dass sie diese womöglich aufwecken könnten, bestand seine aufgebrachte Antwort lediglich aus einem leisen Zischen.

„WAS sollte ich nicht wissen? Dass er sich an dir vergangen hat? Ist es das?“

Eindringlich schüttelte er ihn.

„Ist es DAS, was du mir nicht sagen wolltest?“

Jono krümmte sich erneut zusammen.

Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort.

„Das ist es, nicht wahr? Denn das ist das Einzige, was du mir bei deiner kleinen Schilderung vorhin vorenthalten hast!“

Frustriert fuhr er sich mit seiner Hand durch die Haare und starrte auf die zusammengesunkene Gestalt vor ihm. Der große Heeresführer bot in diesem Augenblick wahrlich ein Bild des Jammers.

„Was glaubst du bitte, was ich getan hätte, wenn du es mir gesagt hättest?“

Jono schwieg, doch er konnte es in seinen Augen lesen.
 

Die Hände des Jüngeren waren zu Fäusten geballt. Ziellos wanderten sie seinen Körper hinauf und hinab, als wisse er nicht, wohin mit ihnen – oder als würde er frieren.

Seufzend zog Seth den Kleineren erneut zu sich heran. Er war froh, denn endlich konnte er ihn tatsächlich in den Arm nehmen. Liebevoll streichelte er ihm über den Rücken und tat damit das, was er gern schon bei der jüngeren Ausgabe des Blonden getan hätte.
 

„Ich wünschte, ich hätte dich schon damals beschützen können“, war alles, was er in diesem Moment zu sagen im Stande war.
 

Noch immer die schrecklichen Bilder vor sich sehend, schloss er seine Augen, als könnte er sie so vertreiben. Doch das Gesicht und der Schrei von dem kleinen Kind hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Abermals seufzend, lehnte er sein Kinn auf die weichen Haare von Jono und zog ihn noch fester an sich. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Handgelenk schmerzte. Unbemerkt von Jono schob er mit der anderen Hand den Stoff nach oben und sah nach der Ursache. Ein großer roter Abdruck hatte sich auf seinem Handgelenk abgebildet. Ein kleiner Funken magisches Licht, hinter dem Rücken von Jono entzündet, förderte die groben Umrisse einer anderen Hand zutage, welche sich an ihm festgeklammert hatte.
 

Nun wusste er, was geschehen war. Er wäre nie auf die Idee gekommen, ohne Erlaubnis in die Gedanken und Erinnerungen von Jono einzudringen. Der Blonde selbst hatte ihn also letztlich zu sich gerufen und ihn eingelassen, hatte sich ihm geöffnet. Wahrscheinlich unbewusst, während er geträumt hatte. Vielleicht hatte er nicht mit Worten beschreiben können, was damals geschehen war. Doch er hatte es ihm gezeigt. Nachdenklich dachte Seth an die eher sachliche Schilderung vor ein paar Stunden. Bereits da hatte es ihn gewundert, wie emotionslos er die Geschichte als direkt Beteiligter, im Gegensatz zu Aset, wiedergegeben hatte. Doch nun war deutlich geworden, dass er all die Gefühle bis zum heutigen Tag noch nicht hatte verarbeiten können. Statt sich ihnen zu stellen, hatte er all das tief in sich verschlossen, um nicht an der Last zu zerbrechen. Seth hatte sich immer gefragt, warum Jono stets so sorgenfrei wirkte, im Gegensatz zu ihm selbst. Jetzt wusste er, dass Jono keineswegs sorgenfrei war. Er war nur besser im Verstecken.
 

„Du Dummkopf.“
 

Inzwischen atmete Jono ruhiger. Das Zittern hatte aufgehört und auch die Tränen waren versiegt. Erst jetzt getraute sich Seth, den Jüngeren loszulassen und anzusehen.
 

„Bei Rah, du siehst schrecklich aus“, stellte er mit einem schiefen Lächeln fest, in der Hoffnung, ihn damit ein wenig aus der Reserve zu locken. Vorsichtig wischte er ihm die letzten Tränen von den geröteten Augen fort.

„Danke für das Kompliment“, schniefte Jono, während sich ein zögerliches Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete.

Zufrieden lächelte Seth zurück.

Das war noch nicht ganz der Jono, den er kannte, doch es war ein Anfang.

Wieder ernst geworden, sah er ihm fest in die Augen.
 

„Jono.“

Fragend blinzelte ihn der Andere an.

„Ich werde dich beschützen. Das verspreche ich dir.“

Die Mundwinkel des Blonden zogen sich kaum merklich nach oben. Ein Hauch des alten, widerspenstigen Geistes von Jono kehrte in seine Züge zurück.

„Und was kann ich für dich tun? So ein persönlicher Schutz von einem hohen Priester, wie dir hat bestimmt seinen Preis.“
 

Nachdenklich strich Seth ihm über die Haare und musterte ihn genau. Selbst der kleinste Millimeter wurde sorgfältig abgetastet. In Gedanken führte er sich jede Regung, jede Emotion, die sich in den letzten Wochen auf diesem geliebten Gesicht gespiegelt hatte, noch einmal vor Augen. Niemals wollte er all das vergessen. Jono hatte gewiss keine solch ernste Antwort auf seine scherzhafte Frage erwartet, doch Seth meinte jedes Wort so, wie er es sagte.
 

„Du kannst mir helfen.“

„Helfen?“, hakte Jono nach, nicht wissend, worauf Seth hinauswollte.

Der Hohepriester bekräftigte seine Worte mit einem kurzen Nicken.
 

„Hilf mir, glücklich zu werden. Denn, um ehrlich zu sein, glaube ich inzwischen, dass du der Einzige bist, der das kann“, gestand der Braunhaarige ein.

„Wurde ja auch Zeit, dass du das merkst“, ließ Jono in einem Anflug von Spott verlauten. Doch auch er fand schnell zum Ernst zurück.
 

Noch immer leicht zitternd, doch etwas sicherer in seinen Bewegungen, beugte er sich vor und umrahmte den Kopf von Seth auf beiden Seiten mit seinen Händen. Vorsichtig neigte er das Haupt des Größeren ein wenig hinunter und setzte einen kleinen Kuss auf seine Stirn.
 

„Mit diesem Kuss schwöre ich, dass ich dir mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln helfen werde, ein glückliches Leben zu führen.“

Langsam ließ er sich zurück sinken.

„Magie?“, erkundigte sich Seth milde belustigt.

Ruhig sah Jono ihn an.

„Nein. Nur ein Versprechen bis in alle Ewigkeit.“
 

Der übliche Spott war aus seiner Stimme verschwunden.
 

„Wenn das so ist… Dann werde ich dir im Gegenzug auch etwas versprechen. Immerhin soll dieser ‚Handel‘ ja fair sein“, ließ Seth ihn mit einem Augenzwinkern wissen. Die Geste von Jono wiederholend, beugte sich Seth zu dem Kleineren und zog ebenfalls seinen Kopf zu sich heran um einen federleichten Kuss auf seine Stirn zu setzen.
 

„Ich schwöre, dass ich dich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln beschützen werde.“
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  DarkTiger
2013-06-09T16:39:56+00:00 09.06.2013 18:39
O.O Das versprechen. und er hat es all die leben gehalten und in diesem leben auch... ohne was von seto zurück zu bekommen bis zu diesem leben. immer in der hoffnung das er sich an ihn erinnert und mit dem wissen das er es in den letzten 5000 jahren in all den leben nicht getan hat. bin sehr gespannt auf setos reaktion wenn er aufwacht nach dem traum...

lg Y
Von:  Lunata79
2013-06-05T06:08:23+00:00 05.06.2013 08:08
Echt schlimm, die Vergangheit von Jono.
Ich hätte auch, wie Seth gerne in die Handlung eingegriffen. Wirklich schlimm, dass sich keiner darum geschert hat, wie Jono´s (Stief)vater drauf war. Und die Aset wollte auch nur das glauben, was sie gesehen hat.
Die zwei Versprechen am Schluss waren irgendwie süß. Bin schon gespannt, wie Seto mit dieser Erkenntnis umgehen wird.
Freu mich aufs nächste Kapitel.

Lg
Lunata79
Von:  Shakti-san
2013-06-04T22:46:46+00:00 05.06.2013 00:46
Ich muss jyorie zustimmen.
Die erzaehlung von asset war so, ka ...so unglaubwuerdig. Die erzaehlung von jono, man merkte igwie, da fehlte etwas.
Das jono im schlaf nach seth ruft und ihm dann alles sehen laesst, war...naja, auf der einen seite ein beweis, das er es nicht wirklich verarbeitet hat, aber auch igwie ein vertrauensbeweis. Klar das jono trotzdem angst hat(te), wie seth darauf reagiert.
Die schwuere sind schoen, auch wenn einer 5000 jahre braucht, um sich wieder daran zu halten.
Gruesse shakti
Von:  jyorie
2013-06-04T19:54:52+00:00 04.06.2013 21:54
Hi ^_^

Also ist alles ganz anders verlaufen, als wie es die alte Frau erzählt hat, war ja eigentlich klar. Aber ich finde es ist besser so, besser das Seth jetzt alles weiß auch wenn es irgendwie ein unbewusster Hilferuf von jono war, als er ihn in seine Erinnerungen gezogen hat.

Das Versprechen mit dem Kuss auf der Stirn am Ende hat mir sehr gut gefallen, ob jono das auch abgeben hätte, wenn er wüsste, das er sich fast 5000 Jahre vergeblich abmüht?

CuCu Jyorie


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