DQ8: Il Santuario in Cielo von Phantom (Das Heiligtum im Himmel) ================================================================================ Kapitel 1: Jessica ------------------ „NEIN!“ Es wackelten die Wände, klapperten die Kochtöpfe, zuckten die Zofen luftschnappend zusammen. „DOCH!“ RUMMS! Stille. Allmählich aus ihrer Angststarre erwachend, nahmen die Domestiken ihre Tätigkeiten wieder auf, zwar wie Kinder, die während ihres Spielens von einem Donnerschlag erschreckt wurden und nun ruhelos den nächsten erwarten, der – das wissen sie – auf jeden Fall kommen wird. Seit die Stammhalterin der Familie in das friedliche Städtchen zurückgekehrt war, gewitterte es wieder ziemlich oft über der Villa auf dem Hügel am hinteren Ende Alexandrias, welche zuvor in staubigem, stillem Sonnenlicht geschlafen hatte. Und so hätte es lieber bleiben sollen, fand Lady Rosalinde. Mit gar tödlichen Absätzen den Edelholzboden malträtierend, stampfte sie in Richtung des töchterlichen Zimmers, in welchem sich eben selbige soeben verschanzt hatte. Einzelne aus dem akkurat frisierten Dutt gesprungene Haarfäden sowie geisterhaft auf rouge- und rageroten Wangen erschienene Äderchen bezeugten den Zorn der Hausherrin. Sie hatte daran geglaubt, dass dieses aufsässige Kind, heimkehrend von seiner Reise, endlich an Reife und die Einsicht gewonnen hätte, dass hier sein ihm zugewiesener Platz war, und dass sie niemals wieder diskutieren müssten. Nacht für Nacht hatte sie schlaflos vor ihrem Bett gekniet und die Göttin angefleht, es gesund nach Hause zu leiten; Tag um Tag hatte das überraschende Gefühl des Vermissens hinter ihren Augen gebrannt. Ein stetiges Ringen in der Brust mit dem Unwissen, ob es überhaupt noch am Leben war. Und dann hatte es unvermittelt vor der Tür gestanden. Deutlich erschöpft von der erhabenen Mission; das weiche Antlitz voller Schrammen; große Augen, die wie ängstliche Sterne zitterten. Sein Lieblingskleid zerfetzt, sodass es in nichts als einem lavendelfarbenen Bustier vor ihr fror. Ihr waren die monatelang vorbereiteten Standpauken im Hals stecken geblieben, und sie waren sich einfach nur heulend in die Arme gefallen. Dies lag nunmehr zwei Monate in der Vergangenheit. „Jessica Alexandra Rosalinda Albert!“ Lady Rosalinde betonte jedes Wort, als riefe sie vier verschiedene Personen auf – wohlwissend, wie sehr die Beschworene es hasste. Entgegen ihrer Hoffnung hatte sie sich nicht verändert. Kein Stückchen. Sie hämmerte gegen die Tür – in den zurückliegenden neunzehn Jahren bereits die achte, die in diesen Angeln hängte. „Und wenn er der letzte Mensch der Welt wäre, lasse ich mich nicht auf den Kerl ein!“, rebellierte es jenseits des Holzes. „Hüte deine Zunge, Fräulein! Er ist kein "Kerl", sondern der Sohn des argonischen Kanzlers!“ „Von mir aus könnte er auch König sein – ich will ihn nicht! Eine Geburt auf Samt und Seide bewahrt nicht vor Dünkel und Dummheit!“ „Er dichtet hinreißend!“ „Vor allem über meinen Busen, an dem er gerne "stranden" würde!“ „Jessica! "Busen" ist in der Dichtung eine wohlklingende Umschreibung für das Herz als Hort der Gefühle! Aber davon verstehst du ja nichts!“ „Genauso wie du von sexueller Belästigung!“ Scharf atmete Rosalinde Albert ein, sich eine Hand auf das Brustbein schlagend. "Sexuell"! Was für ein Ausdruck! In diesem Augenblick sprengte die Tür auf und Jessica stapfte hinaus, mit einer grimmigen Miene. Ein sündig rotes Kleid, dessen distanzierende Dominanz verspielte Details auflockerten, schmeichelte ihren üppigen Kurven. Großen Rosenblüten gleich schmiegte sich der Rock um ihre Beine. In luftigen Locken schien das kupfergoldene Haar auf ihren Schultern zu schweben. Hier und dort blitzte Geschmeide. „Schön, dass du schon fertig bist!“, stieß Lady Rosalinde schnippisch aus, nachdem es ihr gelungen war, sich von dem Anblick zu lösen. „Wir müssen uns beeilen! Zieh deinen Umhang über und komm!“ Der Rotschopf stemmte die Hände gegen die Hüfte. „Damit das klar ist: Ich begleite dich nur, weil ich nicht wieder mit meiner Mutter Krieg führen will. Aber ich gehe auf keinen Fall mit diesem widerlichen Lorenzo aus!“ „Ich habe es dem Kanzler bereits versprochen“, gestand sie ihm da felsenbombenfest. „Du hast – was?!“ „…dem Kanzler zugesagt, dass meine darüber hocherfreute Tochter heute Abend auf dem Ball zu Argonia die Stunden mit seinem sehr geschätzten Sohn zubringen wird. Und nun keine Widerrede mehr! Wenn wir nicht bald in Port Prospekt sind, verpassen wir das Schiff!“ „Unter den gegebenen Umständen, Mutter, werde ich mich bemühen, meinen Schritt der dazu nötigen Geschwindigkeit zu unterwerfen!“, wetterte Jessica leidenschaftlich und stampfte Richtung Erdgeschoss. Hilflos jaulte die Treppe unter vier polternden Absatzschuhen. „Jessica!“ „Warum lässt du mich nicht einfach mein Leben leben?!“ „Weil das vergangene Jahr mir bewiesen hat, dass man dich nicht dir selbst überlassen darf!“ „Wie du siehst, habe ich alles hervorragend überstanden und stehe lebendig vor dir!“ „Ja! Vielleicht etwas zu sehr!“ Die Hausherrin scheuchte das Personal mit dem Gepäck zur Droschke. Dann schubste sie Jessica hinterher, die indigniert herumwirbelte. „Ich komme schon mit! Die Abwechslung von Alexandria kommt mir nur gelegen!“ Vieles hatte sich verändert, und doch wirkte alles gleich geblieben zu sein. Die Reise des verwunschenen Königs schien ihr wie ein fantastischer Traum innerhalb ihres permanenten Wiederholungen ausgesetzten Daseins. Malerische Heiden und Hügel stahlen sich an ihnen vorbei, aber Jessica würdigte die allzu vertraute Umgebung keiner Aufmerksamkeit. Die aufregenden Ereignisse hatten keinerlei Abdrücke auf ihnen hinterlassen. Niemand äußerte mehr ein Wort über den blutroten Himmel, die Schwarze Zitadelle oder Rhapthorne, und was aus ihren einstigen Gefährten geworden war, wusste sie so wenig wie sich zu erklären, weswegen sie den Kontakt zu allen verloren hatte. Sie vermisste sie, und sie vermisste die Freiheit ihrer gemeinsamen Reise. Der Tag bettete sich hinter glitzernden Bergzinnen zur Ruhe und schloss sein leuchtendes Auge. Von der anderen Seite streckte sich die Nacht über den Himmel und stellte allmählich ihr weites Diamantenkleid zur Schau. Die Kutsche wackelte durch das mächtige Tor in Argonias festlich bunte Burgstadt. Im Inneren der Burg hieß sie Orchestermusik gleich willkommen, und gesellige Gäste ließen die sonst großen Räumlichkeiten drückend erscheinen. Eine zarte Melodie wie die Flügelschläge eines Schmetterlings. Jessica glaubte, ihr schon einmal gelauscht zu haben, vor fast vergessen vielen Jahren, da ein kurzes Mädchen mit zwei langen Zöpfen selig im Haus der Gedankenlosigkeit gespielt, welches Vater und Bruder für es erbaut hatten. Sie schob sich an den Menschen vorbei, als wären sie trockene Hecken, und ließ alles, was nicht Musik war, der Eindimensionalität anheimfallen, indem sie dem torkelnden Schmetterling folgte. Klangliche Blumen, die sich öffneten, säumten ihren Gang in den Thronsaal, und dann: Geigenstriche wie sich im Kreis drehende Kinder. Über riesigen, tanzenden Blütenblättern in den Farben des Regenbogens spielten die Instrumente auf der Lichtung am Ende des Pfades, und auf einem davon landete der Schmetterling. Das Lied sank in die Stille, bevor Jessica ihn erreichte, und der Wald verfinsterte, verdichtete sich um sie. Hektisch schnellte ihr Schopf umher. Plötzlich: Trompeten! Sie riefen eine Fanfare, und mit einem Mal hüpften die sich als Tanzpaare entpuppenden Blütenblätter zu einer fröhlichen, schwungvollen Ouvertüre! Jessica – vollkommen überrumpelt – wurde wie von aus einem Lachsack prasselnden Perlen hin- und hergestoßen, bis sie in etwas bemerkenswert Bequemes fiel, dessen schwarze Samthände die Verblüffte sicher fassten und in der nächsten Sekunde mit ihr durch den Saal tanzten, dass ihre vernünftigen Gedanken nicht imstande waren, sie einzuholen. Die dunkelrot kostümierte Gestalt wirbelte sie mit einem herausfordernden Lächeln durch die Freiräume zwischen den anderen Paaren. Konturen verwischten, bunte Schemen rasten vorbei – und aus diesem Hintergrund hob sich allein die schauerlich schwarze Maske des talentierten Tänzers ab. Schließlich fanden ihre Füße kaum mehr Bodenkontakt; sie schien zu fliegen, und während die Musik mit sich ziehenden Tönen endete, starrte Jessica Albert atemlos in zwei verschattete Löcher, die sie mit zäher Undurchsichtigkeit necken wollten. Gerade noch rechtzeitig, um Luft zu schnappen, gewahrte sie aus den Augenwinkeln Lorenzos trippelnden Schritt. Ihre Mutter stampfte dem blonden Blödchen voran. Es war unverkennbar, nach wem sie suchte und was diesem Jemanden, sobald gefunden, drohte. Trotz der Behinderung durch die vielen Leute geschah es, dass ihre Blicke sich trafen – ein lautloser Blitz schoss auf Jessica zu. In dieser Sekunde packte die samtene Hand nach ihr und zog sie rechtzeitig fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)