Jareth und René von mikifou (Los Angelos Summerdrive) ================================================================================ Kapitel 13: Der Uni-Karneval ---------------------------- Mein Plan benötigte einige Zeit bis zu seiner Vollendung, doch dann war er perfekt. Es war der perfekte Racheplan, der süßlich für mich enden würde. Für mein Opfer würde es sich eher anfühlen, als hätte man an ihm ein Exempel statuiert. Was mir in gewisser Weise nur Recht war. Ich war einfach nur gut drauf dieser Tage. „Du bist die letzten Tage so gut drauf. Gibt's was zu feiern?“, fragte mich eine Mitstudentin. „Nope“, grinste ich nur. „Aber?“ „Die Sonne scheint.“ „Ahhhha~“ Susen sah skeptisch drein. Susanne, in Kurzform auch Susen oder Su, war eine mittlerweile gute Freundin geworden. Irgendwann im zweiten Semester hatten wir herausgefunden, dass wir fast alle Lesungen gemeinsam hatten. Sie war herzensgut und wirklich eifrig. So hatte ich bis vor einigen Monaten sehr viel Zeit mit ihr verbracht. Doch beide waren wir uns einig, einfach nur Freunde zu bleiben. Sie hatte ihr Augenmerk auf jemand anderes gerichtet und ich verlor mein Interesse nach kurzer Zeit ebenfalls an einen alten Bekannten. So wusste sie auch genau, dass 'Die Sonne scheint' oder andere auf das Wetter bezogenen Kommentare eine Ablenkung von dem waren, was ich eigentlich plante. „Und wer ist es diesmal, René? Welche arme Sau muss diesmal dran glauben?“ „Weißt du vielleicht, wo Marry ist?“ „Nein, aber du siehst sie doch morgen. Oder du fragst eine...“, sie stockte und sah mich erschrocken an, „Nein, du willst Marry auf jemanden los lassen?“ Ich lächelte nur lieb. Marry war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Menschenkennung. Ich hatte noch nie jemanden getroffen, der andere Menschen dermaßen gut lesen und einschätzen konnte. Sie konnte sogar sagen, was zwischen zwei Menschen passiert war oder noch passieren könnte. „'Los lassen'... das klingt so barbarisch. Ich würde es eher 'eine Lektion erteilen' nennen.“ „Ich finde 'los lassen' trifft sehr gut auf dich als auch auf Marry zu. Ihr seid wie Bluthunde, die man auf die Menschheit losgelassen hat. Wenn ich dich daran erinnern darf, warst du es doch, der die Erstsemstler aufgehetzt hat, um den Dozenten den 'du' nicht leiden konntest, eine 'Lektion zu erteilen'.“ „Sie hatten es beide verdient“, bemerkte ich nur schulterzuckend. „Bei manchen Dingen, René, bist du einfach nur grausam.“ „Danke schön“, sagte ich Freude strahlend. „Das war kein Kompliment!“ Ob nun ein Kompliment oder nicht, sagt sie doch nur wie ich wirklich war. Ich war kein Frauenheld oder ein besonders matschiger Macho. Ich war jemand, der es genoss andere auszuspielen. Sie mit nur wenigen Worten in eine Richtung zu lenken, die sie selbst wohl nicht eingeschlagen hätten. Ich war jemand, der es genoss anderen dabei zu zu sehen, wie sie meine Pläne ausführten. Selbst rührte ich keinen Finger. Ich saß im Hintergrund und war der Puppenspieler. Ja, Puppenspieler traf es gut. Und ich konnte warten. Wenn ich einen Plan ausgeheckt hatte, konnte ich warten und ließ ihn reifen. Auch diesmal muss ich warten und die Dinge erst einmal geschehen lassen. Doch bevor ich mich zurück lehnte und die Show genoss, brauchte ich meine Königin. Bauern, Läufer und Springer hatte ich zur genüge. Auch einen König, den es zu Fall zu bringen galt. Am nächsten Tag in der Vorlesung war es nun soweit. Ich machte der Königin meine Aufwartung. „Morgen René.“ „Morgen. Du siehst müde aus.“ „Ja, bin ich auch. Ich hab bis halb zwei an meiner Hausarbeit gesessen und konnte dann trotzdem nicht schlafen.“ Müde strich sie sich durch die Haare. Sie brauchte nicht viel um ihre wuscheligen Locken im Zaun zu halten. Meist hatte sie nur einen Zopfgummi drinnen und ihren Pony mit goldenen Klemmen nach hinten gesteckt. Es war keine Frisur mit der man groß auf Männerfang ging, doch zum Studieren reichte es aus. „Musst du die Hausarbeit denn schon abgeben?“ „Nein, aber ich arbeite lieber etwas vor. Unter Druck kommen mir nicht so die tollen Ideen. Außerdem konnte ich nicht schlafen, also habe ich mich sinnvoll beschäftigt.“ Ich lachte kurz und lehnte mich scheinbar entspannt zurück. „Diese Einstellung bräuchte ich auch.“ „Die brauchst du nicht. Du bist so schon Feuer und Flamme. Worum geht’s diesmal? Wieder eine Verschwörung?“, fragte sie und stemmte ihren Ellenbogen auf den Tisch, stützte so ihren Kopf. Neugierig sah sie mich an. Es war schon lustig, wie sehr wir uns ähnelten und doch wieder nicht. „Bin ich wieder so leicht zu lesen?“ „Immer. Manchmal frage ich mich, ob du dir nicht auch mal Mühe geben könntest, dich zu verstellen?“ „Bei dir wird das so oder so zwecklos sein. Außerdem bist wirklich nur du es, die mich so durchschaut. Bei den Personen, bei denen ich es mir wünschen würde, passiert nichts.“ „Hat halt nicht jeder so ein gutes Auge wie ich. Und um wen geht es genau?“ „Um einen alten Freund.“ „'Nur' einen alten Freund?“ Ich sah sie an und lächelte nur. Sie verstand mich schon. Sie konnte Blicke deuten, Mimik lesen und Gestiken übersetzen. Sie könnte jemanden ausfragen, ohne dass dieser antworten müsste und wüsste dennoch, worum es genau ging. „Marry Victoria Alberts, würdest du mir die Ehre erweisen und meine Königin sein?“ Mein Plan war klar. Er basierte auf dem richtigen Timing und begann langsam ehe er sich steigerte. Nach dem Anpirschen, kam eine erste kurze Offensive, dann ein scheinbarer Rückzug nur um den Moment abzuwarten und erneut offensiv zuzuschlagen. Das Ziel, mein Opfer, sollte direkt getroffen werden. Dazu war es nötig dessen Verteidigung zu schwächen, um an den Kern, das Herz, zu gelangen. Und sobald alle Figuren den Weg bereitet und die Dame, meine Königin, den König schachmatt gesetzt hatte, kam das Finale. Denn danach... danach kam ich. Marry war einzigartig. Das erste Mal als ich sie sah, saß sie ganz allein in der Mitte des Vorlesungssaals und um sie herum waren etliche Plätze frei. Eine Tatsache, die mich neugierig machte. Also setzte ich mich zu ihr und begann ein Gespräch. Doch sie wollte mir nie genaueres verraten. Die folgenden Wochen hatte ich damit verbracht mich um zu hören, ob jemand etwas mehr über diese Person wusste. Doch ich bekam immer nur Kommentare wie 'Bleib der bloß fern!' und 'Dieses Biest. Lass dich mit der nicht ein!'. Doch genau deswegen, hatte ich nicht locker gelassen und sie schlussendlich auf ein Eis eingeladen. Wir erzählten oberflächlich und beobachteten uns genau. Bis ich schließlich lachen musste, da wir genau dasselbe taten. Wir analysierten unseren Gegenüber. Während ich versucht hatte, mehr über sie zu erfahren, hatte sie das Spiel genossen und darauf gewartete, dass ich dahinter kommen würde. Marry faszinierte mich. Ich hatte bis zu jenen Tag noch niemanden getroffen, der Menschen so gut einschätzen, wenn nicht sogar lesen konnte! Als sie irgendwann mal meinte unser Professor, ein attraktiver Mann in den Mitvierzigern, aber noch von recht frischem Aussehen, würde der einen Studentin in der Ersten Reihe nachstellen, und nach nur zwei Wochen meinte, dass die beiden im Bett gewesen wären, war für mich die Lesung wie eine Live Soap. Marry berichtete mir von Dingen, kleinen Auffälligkeiten, die ich so nie beachtet hätte, und aus denen sie Sachen wie die Affinität des Mädchen zu älteren Männer, begründet durch einen Vaterkomplex oder der möglichen Fortpflanzungsabstinenz unseres Dozenten aufgrund einiger weniger Aussagen in der Lesung zur genetischen Vererbung schloss. Ich befragte später einige Leute, und auch die beiden betreffenden Personen, und konnte durch die Blume hinweg erfragen, was ich wissen wollte. Marry hatte Recht behalten. Wie sie das genau machte, blieb ihr Geheimnis, doch von dem Tag an, erhielt sie meine volle und uneingeschränkte Verehrung. „Du willst also, dass ich intrigiere?“ „Ich hätte gerne, dass du seine Freundin bist. Mit ihm ausgehst und so, das ganze pi pa po.“ „Und ich soll mit ihm flirten und ihn verführen.“ „Jupp.“ „Und das stört dich nicht im Geringsten?“, fragte sie skeptisch nach. „Nein. Wenn du ihn kennen lernst, wirst du auch verstehen warum. Denn aus jetziger Sicht ist er nicht die Person, die ich kenne.“ Marry schwieg einen Moment. „Das kann ich wohl wirklich erst beurteilen, wenn ich ihn kennen gelernt habe. Aber du. Er ist dir nicht egal. Das sehe ich deutlich. Wie kannst du dann jemanden so verletzten wollen?“ „Tu ich das wirklich? Verletzte ich ihn... oder helfe ich ihm vielmehr?“ Marry war es nicht wirklich geheuer sich von mir so benutzen zu lassen, doch willigte sie ein. Ihr Schwachpunkt war eben ihre genaue Menschenkenntnis. Selbst wenn sie es nie zugeben würde, so fehlte es ihr an Willensstärke einer Versuchung zu widerstehen. Egal ob man sie benutzte oder nicht. Und das war mein Vorteil. Ich brauchte sie und hatte sie neugierig gemacht. Nun lag es an ihr, während ich zu sah. Etwas, dass sie nicht leiden konnte. Ich wartete. Die Uni war langweilig und die Tage zogen sich wie zäher Kaugummi. Die eine Woche, die vergangen war, kam mir wie ein ganzer Monat vor. Aber noch hatte ich einfach nicht viel zu tun. Also tröstete ich mich damit, dass, wenn alles gut ginge, ich später wohl keine Zeit mehr haben würde, in der ich mich dermaßen langweilen müsste. Ich behielt Recht. Am Montag bekam ich eine SMS von Marry. »In was hast du mich hier reingezogen?!!!!« Ich lachte nur. Herzhaft und lange. »High School Musical Lovestory?« schrieb ich zurück. »Das machst du wieder gut! Morgen 19:00 Chinese« »Zu Befehl, oh meine Königin« Den Grund für meine Freude und Marry's Unmut war ein weiterer eher spontaner Schachzug meinerseits gewesen. Da ich mich am Wochenende in Grund und Boden gelangweilt hatte, fing ich irgendwann an mit meinem Cousin zu schreiben. Zu meinem Leidwesen war C.G. jobben, schrieb aber, dass wir uns Montag zum Mittag ins Diner an der Sister's Ave zurückziehen würden. Ich stimmte zu und ging am Montag kurz vor Zwölf zum Westtor des Campus', wo wir uns treffen wollten. C.G. war dort, ebenso Jareth und Marry. „Hey, du bist schon da“, begrüßte mich mein Cousin. „Klar, ich bin immer pünktlich. Aber mit solch einem Empfang hatte ich nicht gerechnet. Oh, hi Marry! Kommt ihr mit essen?“, fragte ich lässig, während ich in Marry's Gesicht ein angespanntes Erschrecken und einen Hauch von unterdrückter Panik und Wut sehen konnte. In Jay's Augen laß ich reines Entsetzten und eine schon geplante Flucht vorfand, eh er mich vehement ignorierte und mich nicht einmal mehr ansah. Ich gebe zu: Das tat weh. „Nein, danke. Wir haben anderes vor“, kam es bissig und Jay sah C.G. mit einem Blick an, der ihn fragte, warum er ihn nicht gewarnt hatte oder was ihm einfiele 'den da' einfach einzuladen. „Nur wir gehen“, bestätigte C.G. und verabschiedete sich von seinem Kumpel. Seufzend lehnte er sich gegen das Tor und sah mich eingehend an. „Hast du das geplant gehabt?“ „Der Plan hat sich entwickelt, als ich hier angekommen war.“ „Ich hab mir nichts bei gedacht, dich hierher zu bestellen. Immerhin ist er in letzter Zeit wieder gut drauf. Wer ahnt da denn schon, dass er so aus der Haut fährt, nur weil du 'Hi' sagst?!“, sagte er schwer seufzend und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ich dachte, es hätte sich gelegt. Egal, wollen wir?“ C.G. stieß sich von dem Tor ab und langsam gingen wir zum Diner. „Was meinst du mit 'es hätte sich gelegt'?“ „Nachdem du mir ja alles so glorreich berichtet hast, dass du und Jay im Bett wart, ist es mir irgendwann beim Gespräch mit ihm raus gerutscht.“ Oh... „Erst hat er sich tierisch darüber aufgeregt, wie du so was ausplaudern kannst, dann hat er sich beruhigt und mich etwas ausgefragt. Wir haben uns sogar etwas über das Thema unterhalten. Später dann meinte er, dass es eh Geschichte sei. Er würde sich nicht in jemanden verlieben, den er eigentlich nicht kannte und nur der Erinnerungen wegen, die er eh nicht hatte, sowieso nicht. Außerdem sei er nicht schwul. Er steht auf Möbse und Muschis und wie du siehst... seine neue Freundin hat beides. Woher kennst du sie eigentlich?“ Das konnte ich irgendwie verstehen. Doch allein, dass Jay sich meinetwegen so sehr aufgeregt hatte, stimmte mich fröhlich. Auch, weil ich wusste, dass seine 'Freundin' in meinem Sinne handelte. „Marry? Wir gehen beide in 'Menschliches Sozialverhalten seit 2000 Jahren'“, sagte ich beiläufig, als wäre das nichts Besonders. „Ach so... Wie auch immer. Letzte Woche kam sie mit mal an und meinte sie müsse Jay was Wichtiges sagen.“ „Eine Liebeserklärung?“ „Scheint so. Denn sonst wären sie wohl nicht zusammen.“ „Seit wann das denn?“ „Seit dem Wochenende.“ „Dann kann ich sie in der Lesung jetzt damit aufziehen“, grinste ich breit. „Untersteh es dir!“ „Warum?“, verwundert sah ich meinen Cousin an, der scheinbar selbst von sich überrascht war. „Naja... Jay scheint wieder gut drauf zu sein. Für dich mag das vielleicht nichts bedeuten, aber du musst ja auch nicht seine ständige schlechte Laune ertragen...“ „Du Armer!“, tröstete ich ihn theatralisch. C.G. wusste nun zwar, dass wir miteinander geschlafen hatten und er wusste auch, dass Jay es war, der mir den Laufpass gegeben hatte und so fern ich das aus ihm herauskitzeln konnte, erklärte er sich das alles mit einer für ihn schlüssigen Aussage – wie gesagt, seine ethischen Ansichten ließen ihn manchmal das offensichtliche übersehen. Das Offensichtliche bei dieser Angelegenheit war, dass ich Jay liebte und ihn nicht einfach so davon kommen lassen würde. War also ich nicht der Ärmere von uns beiden? „Aber weißt du was?“, fing C.G. an und schluckte noch schnell seinen Nugget runter. Wir saßen mittlerweile schon im Diner und vertilgten jeder Pommes, Nuggets und eine eisgekühlte Cola. „Ich wette mit dir, dass ich morgen oder die nächsten Tage noch was zu hören bekomme. Woher kennt er sie? Waren sie mal zusammen? Und was nicht noch alles...“ Ein interessanter Einwurf. „Wie meinst du das genau?“ Ich hatte C.G. nicht mehr in Ruhe gelassen, bis er mir alles diesbezüglich gesagt hatte. Ich war neugierig und wie sich herausstellte, war diese Information für einen späteren Teil meines Plans nur von Vorteil. Dementsprechend amüsiert las ich auch die SMS von Marry, die mich erst am späten Abend erreichte. Der Dienstag kam und es war herrliches spätsommerliches Wetter. Es war angenehm warm, eine sanfte Brise zog durch die Straßen, spielte mit Röcken und Haaren und ich hatte Hunger. Den Tisch hatte ich schon reserviert, so wartete ich vor dem Laden mit der zwei Meter großen Miniaturpagode mit den roten Dächern. Dieses Restaurant war wirklich schön und verströmte das, was ich unter einem angenehmen chinesischen Flair verstand. Ich wartete auch nicht lange, da Marry schon die Straße entlang kam. Sie hatte sich sichtlich aufgebretzelt, denn 'so' hatte ich sie noch nie rumlaufen sehen. Sie trug einen flatterhaften Rock, ein locker sitzendes Oberteil, das dennoch ihre Brüste betonte, Sandaletten mit hohen Absätzen, Schmuck und ihre Haare waren gestylt. Auch wenn es vielleicht nicht danach aussah, doch ich wusste, sie waren es. „Wow, du siehst... hinreißend aus“, komplimentierte ich sie. „Na dann, zerreiß dich gleich mal.“ Eisiger konnte die Antwort nicht ausfallen. Ich bat sie erstmal herein. Vielleicht war sie nur hungrig und Hunger macht bekanntlich ja böse. Leider hatte sich das mit dem Böse sein auch nach dem Essen nicht erledigt. „Ich hätte mich nie darauf einlassen sollen.“ „Warum?“ „Dein 'alter Freund'“, sie zeigte gereizt mit den Finger auf mich, „der hat eine Klatsche. Er ist... ohhh ich weiß gar, nicht wie ich ihn beschreiben soll! So ein einfältiges, dummes, engstirniges, kindliches, naives, dummes, unaufmerksames und idiotiebehaftetes Menschenkind ist mir noch nie untergekommen.“ „Du hast zwei Mal dumm gesagt.“ „Das reicht noch nicht mal!“ „Ich weiß“, grinste ich breit. „Und wie war es gestern noch?“ Wieder blitzten ihre Augen auf. Scheinbar hatte sie wirklich eine schwere Zeit gehabt. „Du... was dachtest du dir dabei dort einfach aufzutauchen?“ „Das war Zufall...“ „Ich Zufalle dich auch gleich mal. Warum musstest du Jareth stecken, dass du mich kennst? Weißt du eigentlich, was danach noch los war? Erstmal hat er mir ein Ohr abgekaut, woher ich dich kenne und selbst als ich ihm erklärt hatte, dass es nur flüchtig aus dem Seminar war, gab er sich noch nicht zufrieden. Er tat zwar so, aber er hat gebroddelt. Und ich bin mir nicht mal sicher, ob es wegen mir war. Später dann, als wir bei ihm zuhause waren und ich ihn etwas verführen wollte, kam das Thema wieder auf. Er fragte mich allen Ernstes, ob ich mit dir geschlafen hätte. Tss, ist das zu glauben?“ Ich zuckte mit den Schultern und grinste immer noch. „Nein, wirklich?“ Marry hörte meinen Spot sofort raus. „Du wusstest es und hast ihn absichtlich auf die Palme gebracht. Warum?“ „Ich dachte, du kannst mich lesen wie ein offenes Buch? Warum glaubst, du mache ich das wohl?“, fragte ich, mich entspannt zurücklehnend und verschränkte meine Arme vor der Brust. Marry beobachtete mich wie schon lange nicht mehr. Meine Haltung, meine Mimik, meine Augen. „Ich weiß, dass er dir viel bedeutet...“, setzte sie an, doch ich verzog keine Miene und wartete. Diesmal würde es nicht so leicht für sie werden. „Jareth hat mir erzählt, dass ihr Kindheitsfreunde gewesen wart. Doch an Genaueres kann er sich nicht erinnern. Dann hättest du ihn hier wieder ausfindig gemacht und zusammen mit seiner Schwester und deinem Cousin, der, der gestern mit am Tor war, habt ihr versucht seine Erinnerungen wieder wach zu rufen. Doch das hat nicht geklappt. Ich vermute mal, dass er wirklich sehr stark gefallen sein muss, um solch eine Amnesie so lange behalten zu können. Oder aber er blockiert sich selbst, was ich mir auch sehr gut vorstellen kann. Immerhin schien er mich für einen Moment vergessen zu haben, als er über dich erzählte.“ Mein Lächeln verbreiterte sich um ein My, was Marry sofort wahrnahm. „Ihr habt... eine besondere Beziehung zueinander, richtig?“ „Kann man so sagen. Wir kennen uns schon lange.“ „Ja, seit der Kindheit. Aber mir schien, dass er an einen bestimmten Gedanken hing. Etwas, dass wichtig für euch beide war und etwas, dass noch nicht so weit zurück liegen kann. Dazu war er zu aufgewühlt“ Einer Professorin gleich stützte sie ihren Kopf auf der Hand ab. Sie war gut. Wirklich gut. Einige Tage später saßen Marry und ich erneut an einem Tisch zusammen. Diesmal in unserem bevorzugten Eiscafé. Marry berichtete mir von den vergangenen Tagen, wie Jay sich benommen hatte und dass er sich eindeutig zurückzog. „Wenn ich ein normales dummes Mädchen wäre, würde ich sagen: Ich versteh das nicht! Wie kann ein Kerl so etwas Heißes wie mich nicht vögeln wollen?“, fragte sie, theatralisch die Arme hebend und sah mich mit großen Augen an. „Da ich aber eine gute Analystin und angehende Psychologin bin, kann ich sagen, dass er sich abkapselt. Den Grund kenne ich noch nicht. Doch er ist eindeutig nicht auf eine Beziehung aus. Was für mich die Frage aufwirft, warum er meinem Werben nachgegeben hat?“ „Und was denkst du dir?“ „Ich glaube, er ist über seine Letzte noch nicht hinweg. Es ist schlicht, klassisch und offensichtlich. Bei Berührungen hadert er. Er öffnet sich nur so weit, dass ich ihn nicht sofort verlasse, als ob er ein Backup bräuchte. Und er gibt mir gerade genug an Zuneigung, dass es mir als Freundin ausreicht, mich aber nicht befriedigt.“ „Habt ihr miteinander geschlafen?“ „Nein, ich hab es ein paar mal versucht, aber so richtig Lust hatte ich nicht und er schien das zumindest gespürt zu haben. Kann es sein, dass sein einziges Talent darin besteht, rollige Weibchen ausfindig zu machen?“, fragte sie mit leicht fasziniertem Blick. „Laut seiner Schwester kann das gut hinkommen. Er kam wohl manchmal jede Woche mit einer Anderen an. Und jede schien rollig zu sein.“ Wir schwiegen eine Weile und hingen unseren Gedanken nach. Ich zumindest versank in meinen und stellte mir Jay vor, wie er jede Woche ein anderen Mädchen mitbrachte. Er muss ja schon eine ziemlich hohe Zahl haben... Aber er hatte nur einen Mann. Mich. Ob ihn 'das' so aufwühlte? „Du liebst ihn“ Erschrocken sah ich auf. Marry hatte die Gunst der Sekunden genutzt und mich beobachtet. „Jupp, du liebst ihn. Ich wollte es erst nicht in Erwägung ziehen. Außerdem ist deine Denkerfassade wirklich schwer zu knacken. Aber allein die Reaktion auf meine Aussage reicht aus, um meinen Gedanken zu bestätigen.“ Ich fasste mich wieder und lächelte sie kühn an. „Und deswegen machst du den ganzen Aufriss? Hat er dich betrogen oder will er nichts von einem Mann wissen?“ Fragen über Fragen. Ja, nun war ein neues Kapitel aufgeschlagen worden und sie hatte Fragen. Doch ich beantwortete keine von ihnen. Marry war schlau genug, um sie sich selbst zu beantworten. Außerdem wäre sie enttäuscht, wenn ich ihr einfach das Ergebnis verraten würde. „Unabhängig davon. Was machst du als Nächstes?“ „Mit Jay? Ich dachte, ich versuche ihn ins Bett zu bekommen. Du meintest ja, ich dürfe“, sie dehnte ihre Worte und sah mich eingehend an. Prüfend, wie weit sie gehen konnte. Mein Mundwinkel zuckte vor Unmut, doch sonst beherrschte ich mich recht gut. „Versuch es.“ 'Türlich macht es mir was aus! Aber ich wäre bereit, mir selbst diese Wunde zu verpassen. „Denk aber daran, dass du ihn vor dem Unikarneval wieder verlässt. Und sei so biestig wie du kannst.“ „Warum eigentlich da?“ „Du wirst bemerken warum.“ „Hi, Josi! Wie geht’s? Klingt super. Mir geht’s gut. Ja, erstaunlich aber wahr, mir geht es wirklich gut. Hm? Denkst du wirklich, ich trage dir nach, dass du in letzter Zeit keine Zeit für mich hattest? Sei bitte nicht albern. Nein, wie schon gesagt, es geht mir gut. Aber du hör mal. Für den Unikarneval, du hast sicher schon von gehört- Ja, genau der. Gut, dann hat er dir schon davon erzählt. Ich bräuchte noch eine Begleitung. Weißt du, wo Jareth ja nun seine Freundin hat, möchte ich nicht gern allein hingehen. Hahaha, nein du brauchst nicht meine Freundin spielen. Er würde das durchschauen. Doch das traue ich ihm schon zu. Würdest du trotzdem mitkommen? Oh, wirklich? Danke du bist super! Als was ich gehe?... hmm, das weiß ich noch nicht. Wir wär's mit: Ich bin der Imperator und du meine Hohekaiserin? Hahaha, ja, das wäre doch lustig. Klar, da lass ich dir freie Wahl. Ich komm dann am Freitag mal vorbei. Wie, Samstag? Kay, dann Samstag. Bis dann, bye!“ Zufrieden mit mir legte ich den Hörer auf die Gabel zurück. Bei einen meiner Flohmarktbummel hatte ich ein altes Telefon mit Wählscheibe und Telefongabel gefunden. Ich hatte mich sofort verliebt und es passt immer noch super in mein Wohnzimmer. Auch wenn ich gestehen muss, dass nachdem Jay hier war, alles etwas... leerer wirkt. Seufzend rieb ich mir dir Augen. Es war nicht mehr lange. Am Samstag würde wohl Phase drei meines Plans endlich eingeleitet werden. Die zweite Offensive. Mit Marry hatte ich mich angepirscht und Informationen eingeholt. Als ich spontan unsere kleine Zusammenkunft am Westtor sprengte, habe ich mich in Jays Gedanken eingraviert und ihm gezeigt, dass ich noch da war und lebte und es mir blendend ging. Das hatte ihn zumindest soweit aus seinem strickten Kurs geworfen mich zu ignorieren und zu leugnen, dass er trotz seiner Freundin – die er nur gewähren ließ, damit auch weiterhin sichtbar war, dass er hetero war und er sich dessen weiterhin selbst belügen konnte – mehr Gedanken an mich verschwendete, als daran sie flach zu legen. Und das bei Jareth, den Frauenverschlinger; da war ich schon stolz drauf. Nun lag es am kommenden Samstag. Jay strauchelte schon und ich hatte mich mit Marry verständigt, dass wir uns diesen Samstag alle bei ihm treffen werden. Ich, um Josi wegen der Kostüme zum Karneval Probe zu stehen, und sie, um Jay ins Bett zu bekommen. Ich hoffte inständig, dass ich ihn soweit verwirren würde, dass es dazu nicht kommen musste. Der Samstag kam und ich war so aufgeregt wie damals als ich noch ein Kind war und mein Opa sich für uns Kinder als Weihnachtsmann verkleidet hatte. Wie wenig es früher gebraucht hatte, um uns fröhlich zu stimmen. Nun ja, heute, Jahre später, empfand ich eine ähnlich kribbelnde Aufregung, die mich voll und ganz erfasste. Den Tag über erledigte ich alles Mögliche. Ich räumte sogar meine Wohnung auf, dass mich meine Nachbarin frage, ob bei mir endlich der Frühjahrsputz angebrochen sei, und ob ich dann danach bei ihr weiter machen könnte? Es glich wirklich einem Frühjahrsputz, auch wenn es Mitte September war. Ich saugte, wischte, polierte die Möbel, säuberte mein Bad, brachte den Müll raus, wischte Staub und bezog sogar mein Bett neu, sodass ich zwei Maschinen Wäsche waschen konnte. Während diese trocknete, putzte ich noch meine Fenster und bestellte mir eine Pizza. Die Küche war gerade sauber und ich mochte mich nicht bewegen. Nach einem erholsamen Nickerchen, zog ich mich um und ging immer noch froh gelaunt los. Bis zu Josis und Jays Haus waren es gerade mal 10 Minuten mit der Straßenbahn. Den restlichen Weg von der Station bis zur Haustür ließ ich mir etwas mehr Zeit, sodass ich genau Punkt drei klingelte. Ich wartete nur kurz. Dann schwang die Tür auf und Josi grinste mich freudestrahlend an. „Ohhhhh, mein René!“, fiel sie mir um den Hals. „Schön, dass du da bist.“ „Ich freu mich auch dich zu sehen, Josi. Du siehst gut aus.“ „Hihi, danke schön. Komm mit rein und setz' dich. Ich deck nur noch den Tisch.“ „Brauchst du Hilfe?“ „Nein, lass gut sein. Du bist Gast. Wenn dann könnte mir mein nichtsnutziger Bruder ja helfen, doch der is' mit seiner Flamme noch auf seinem Zimmer und kommt sicher erst, wenn ich ihn rufe.“ Josi redete schnell, während sie voraus durch den Flur ging und nach rechts zur Küche abbog. Geradezu war die gerade Treppe mit ihren 13 Stufen, die in den Zweiten Stock führte. Links, etwas hinter der Küchentür, ging es ins Wohnzimmer und noch ein Stück weiter, hinter der Treppe erreichte man ein kleines Gästebad zur Linken und den Wirtschaftsraum zur Rechten. Ich blieb aber schon im Flur stehen. Kurz hinter der Tür und erinnerte ich mich an den Tag, als ich Jay nach Hause gebracht hatte. Er hatte keine so glorreiche Nacht hinter sich gehabt und Josi war stinksauer gewesen. Um sie zu beruhigen, schrieb ich ihr, dass Jay bei mir bleiben und ich ihn am nächsten Morgen heim bringen würde. Und als wir dann hier im Flur waren, da hat er sich angestellt. Es war ein heilloses Durcheinander gewesen. Josi hatte uns empfangen und ich genoss es, Jay mit den vorigen Abend aufzuziehen, an dem er mich das erste Mal aus freien Stücken geküsst hatte und ich ihn zu den Dates überreden konnte. Es hatte Spaß gemacht ihn so vorzuführen, seine Augen hatten geglänzt und seine Wangen waren rot geworden. „René? Alles in Ordnung?“, Josi kam aus der Küche auf mich zu. Verwirrt sah ich sie an. „Du musst nicht im Flur stehen bleiben...“ „Oh... ich, ich habe mich nur an etwas von vor ein paar Wochen erinnert. Das ist alles“, verzeihend lächelte ich. Josi sah mich an, ließ dann die Schultern hängen und sah leicht betrübt drein. „Meinst du etwa den Moment, als du Jay hier im Flur geküsst hast? Ich war damals mehr als überrascht gewesen. Für mich war er immer nur der Frauenschwarm und der Kuss war so das genaue Gegenteil.“ „Ich weiß. Dein Weltbild war sicherlich erschüttert, nicht wahr?“ „Ach, nicht wirklich“, rief sie schon fast fröhlich aus und ging, während sie weiter erzählte, in die Wohnstube. Ich zog mir schnell die Schuhe aus und hastete hinterher, damit ich nichts von dem, was sie mir sagte, verpasste. „Ich habe auch viel nachgedacht. Über dich und meinen Bruder. Über damals als wir Kinder waren und heute. Ich war selbst verwirrt, als Jay mir erzählt hatte, er würde mit dir nichts anfangen, 'nur' weil du'n Kerl bist. Den Tag hatten wir uns richtig gezofft und ich wusste nicht mal warum ich so sauer auf ihn war. Als ich dann später von dir aus nach Hause ging, fragte ich mich noch mal wieso. Er hatte immerhin solches Glück, dass du ihn erwählt hast. Und da wurde es mir dann klar.“ Josi hatte gesittet den Tisch gedeckt und ich hörte ihr nur aufmerksam zu. Ihre Seite bei der ganzen Geschichte hatte ich vollkommen außer Acht gelassen. C.G. hatte die Rolle des besten Freundes und das würde sich auch nicht ändern. Er war eine Konstanze und eigentlich dachte ich, dass es mit Josi genauso wäre. Sie war Jareths Schwester, ein Stützpfeiler, auf den ich mich stützen konnte. Doch ich schien mich hierbei grundlegend verrechnet zu haben. Josi war mit eindecken fertig und sah mich nun an. Mit einem Blick, den man oft in Filmen sah, den man gut kannte, der einem, auch wenn man ihn noch nie gesehen hatte, sofort klar machte, was Sache war. „Du hast es nie bemerkt“, sagte sie bitter. „Josi...“ „Aber das ist ok. Mir ist es ja selbst erst vor ein paar Wochen klar geworden.“ „Josi...“ „Doch ich bin zufrieden mit dem, wie es ist.“ Sie schlug die Augen nieder und schien wirklich mit sich im Reinen zu sein. „Nun ja, nicht vollends. Eine Sache bleibt noch.“ ihre Augen blitzen schelmisch auf. Mein Herz hingegen stolperte. Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. War ich wirklich so fixiert gewesen, dass mir das nicht aufgefallen war? Scheinbar waren nicht nur Jay und C.G. schwer von Begriff. „Josephine, es tut mir leid“, setzte ich an und ging ein paar Schritte auf sie zu, um sie in den Arm zu nehmen. „Aber ich danke dir“, flüsterte ich in ihr Ohr und setze einen kleinen Kuss darauf. „Für dich immer.“ „Was is' denn hier los?“ Die Stimme kam so unvorbereitet und unerwartet, dass Josi mich augenblicklich von sich wegschob. „Schön, dass du auch mal runter kommst! Wie du siehst, habe ich schon gedeckt, also danke für die Hilfe“, griff Josi ihren Bruder an. Wohl eher eine Art Verteidigung, um die peinliche Szene eben zu übertünchen. Mein Blick glitt von Josi, der noch eine feine Röte auf den Wangen hing und deren Augen leicht glänzten, zu Jay, der sich zusammenriss und, seiner Freundin wieder gewahr, auf den kleinen Streit um häusliche Pflichten einging. Es ging Josi nahe. Ich war doch ein Idiot. Und Jay? Er war aufgewühlt. Zu gerne hätte mich interessiert, was er nun dachte. Neugierig sah ich zu Marry, die beruhigend Jays Hand hielt und mir nur einen Blick mit hochgezogener Augenbraue schenkte. Sicher war sie auch gespannt, was das eben zu bedeuten hatte. Aber vielleicht behielt ich dieses Geheimnis auch für mich. Nach dieser kleinen Bagatelle, fanden wir uns doch endlich am Tisch ein. Es gab Kaffee, Tee, Gebäck und Kuchen. Das Gespräch führten Josi und ich an. Wir redeten viel von früher und ab und an mischte Marry sich, als neugierige Freundin, vielleicht auch als neugierige Professorin, mit ein und fragte nach. Für kurz erinnerte mich dieses Gespräch an die kleine Barrunde vor Ewigkeiten, bei der wir auch viel über Jay geredet hatten und dieser, als es ihm zu viel wurde, einfach rausgegangen war. Ich war ihm gefolgt und fand ihn draußen neben der Treppe unter einer Laterne an die Wand gelehnt. Damals war er noch widerspenstiger. Unser Kaffeeklatsch verlief gut. Aus meiner Sicht heraus gesehen. Nachdem wir alles – jeder hatte mit angefasst – in den Spüler gestellt hatten und die Mädchen sich gerade über Kostüme unterhielten, sah ich zu Jay, der unschlüssig in den Kühlschrank sah, als wenn es darin ein Geheimnis zu entdecken gäbe. Ich gesellte mich zu ihm und lehne mich an die Küchenzeile. „Sie ist hübsch. Ich wusste nicht, dass du auf ältere stehst.“ „Hat sich so ergeben. Sie is' auch ganz nett.“ Seine Stimme war monoton und recht beherrscht. Ich lächelte nur, was ihn, als er kurz aufsah, nur noch verbissener dreingucken ließ. „Sie ist aus deinem Seminar, richtig?“, fing Jay wieder an. „Ja.“ Dass ich nicht mehr dazu sagte, wurmte ihn scheinbar noch mehr. „Lief da mal was zwischen euch?“ Überrascht sah ich ihn an. „Wie kommst du darauf?“ „Ach komm schon. So dumm bin ich nicht. Ihr kennt euch und kurz nachdem ich dich-“, er brach ab und knallte die Kühlschranktür zu, was nun auch die Mädchen auf unser Gespräch aufmerksam machte. „Kurz nachdem was?“, fragte ich langsam und es wurde still im Raum. Je länger Jay schwieg, desto schwerer schien ihm die Antwort zu werden. Genüsslich sah ich zu, wie Jareth die Hitze und Peinlichkeit zu Kopfe stieg und seine Wangen erröten ließ. „Du bist ein echtes Arschloch, René!“, brüllte Jay und verließ im strammen Gang die Küche, um die Treppe hoch zu poltern. Wir drei blieben stumm-staunend in der Küche stehen. „Faszinierend und dumm zugleich“, meinte ich. „Das ist einfach nur dumm und nicht faszinierend...“, fügte Josi an. „Es gibt einfach zu wenige Worte, um diese grenzenlose Dummheit und Ignoranz zu beschreiben...“, fügte Marry fasziniert hinzu. Dann wurde es wieder still in der Küche und keiner rührte sich. Josi und ich sahen uns an, dann zu Marry, die uns wiederum ansah, eh sie bemerkte, dass sie als seine Freundin schon längst hinterher gemusst hätte. „Ohh! Verzeiht, ich bin dann mal trösten“, meinte sie verlegen und schlich wesentlich leiser die Stufen hinauf. Wir hörten nur ein fernes Klopfen, eh die Tür wieder ins Schloss fiel. „Ich wäre ihm auch nachgegangen, das weißt du, oder?“ „Ja, aber es ist ok. Vielleicht ist es noch zu früh dazu.“ „Sicherlich.“ „René, ich... das von vorhin... also... ich will nichts mehr von dir. Dass du es weißt. Ich will eigentlich nur noch, dass mein Bruder nicht so ein sturer Esel ist und endlich das macht, was er schon immer machen wollte.“ „Das ist kein Problem. Was meinst du damit genau?“ Etwas verwirrt sah ich sie an. Sie spielte nervös mit ihren Fingern und wirkte wieder wie 10 und nicht fast 21. „Damals noch bevor Jay seinen Unfall hatte, gab es ein fürchterliches Gewitter. Vielleicht erinnerst du dich noch daran. Er und ich hatten uns in unsere kleine Bude verzogen, die wir alle zusammen ein paar Tage davor gebaut hatten. Mum und Dad erlaubten es, eben wegen dem Gewitter. Wir spielten mit Taschenlampen und naja... wir redeten über alles Mögliche und irgendwann sagte ich zu Jay, dass ich dich gern hab. Und was er davon halten würde, wenn ich dich mal zu einer Limonade einladen würde.“ Ich schmunzelte. Limonade war für uns Kinder im Sommer noch besser als Eis. Und für ein erstes Date im zarten Alter von 10 und 9 Jahren... warum nicht? „Aber du hast es nie getan“, schlussfolgerte ich. Josi aber lächelte nur. „Ja, ich konnte nicht mehr. Mein Bruder, gerade mal 8 Jahre alt, sah mich mit einer solchen resoluten Selbstsicherheit an, dass ich schon fast Angst bekam. 'Nein, das darfst du nicht!', rief er da, 'Wenn du ihn fragst, sagt er sicher sofort ja! Warte ab-'“ „Warte ab?“, fiel ich ihr ins Wort, aber sie grinste mich nur an. „Ja, er sagte, ich solle doch abwarten, bis er dir gesagt hätte, dass er dich ganz doll lieb hat. Er hat so vehement darauf bestanden, dass ich eingewilligt habe. Mein kleiner Bruder, der nicht mal wusste, was richtiges verliebt sein war, der eigentlich noch viel zu jung dafür sein müsste, hielt mir jedes Für und Wider vor, das du dir vorstellen kannst. Er wusste, was es bedeutete, dass ihr beide Jungs wart und dass das nicht normal war. Normal war Mann und Frau, aber er hatte dich einfach lieber als alles andere auf der Welt und wollte es dir sagen und so versprach ich ihm mich zurückzuhalten. Ich versprach abzuwarten, bis er es dir gesagt hatte, und wenn er einen Korb bekäme, würde ich es dir sagen. Doch dann fiel er vom Baum und alles war anders. Er erinnerte sich nicht mehr und du!“ Josi liefen die Tränen und ich fühlte mich irgendwie schuldig. „Du hast dich damals schon entschieden gehabt. Ich hätte so oder so keine Chance gehabt. Doch Jay erinnerte sich nicht mehr. Ich drehte fast durch und hätte ihn am liebsten windelweich geprügelt, dass er dich nicht erkannte, nicht wusste was ich wusste, alles vergessen hatte. Und dann durftest du ihn nicht mehr besuchen. Ich war am Boden zerstört. Kurzzeitig dachte ich, ich sollte es dir einfach sagen. Dir sagen was er und ich fühlten, doch eh ich mich entschlossen hatte, warst du weggezogen. Und dann vergaß ich es mit der Zeit...“ Sie zog ein Taschentuch heraus und wischte sich die Tränen ab. „Es tut mir leid, René. Es tut mir wirklich leid.“ „Warum denn?“, fragte ich leise nach und strich ihr liebevoll über das Haar. „Du hast nur das getan, was du für richtig hieltest. Und wenn ich das richtig sehe, hast du, als ich wieder da war, dafür gesorgt, dass er und ich uns wieder näher kommen.“ „Ja. Ja, vielleicht eher unterbewusst, aber ich glaube, ihr passt einfach besser zusammen.“ Ich schenkte ihr ein Lächeln und küsste ihr die Stirn. „Lass mich dir auch was verraten.“ Aufmerksam sah sie zu mir hoch. „Ich kenne Marry besser als nur flüchtig. Sie studiert Psychologie und ist eine echte Wucht. Daher bat ich sie mit Jareth zusammen zu kommen und etwas mit ihm zu spielen. Morgen, kurz vor dem Karneval soll sie ihn dann verlassen.“ Mit stummen Entsetzen blickte sie mich an. Ihr Mund ging lautlos auf und zu wie bei einem Fisch, eh sie schallend lachend sich am Waschbecken festhielt. Später dann erzählte ich ihr, was ich geplant hatte und dass sie mir nun ja auch noch etwas helfen könnte. Freudig willigte sie ein, während sie mein Kostüm fertig steckte. Ich erzählte ihr auch von Marry und meinen Absichten, die nicht gerade nett Jay gegenüber waren. Vielleicht hatte sie mich deshalb so oft mit der Nadel gepickt... »Ganz und gar man selbst zu sein, kann schon einigen Mut erfordern.« (Sophia Loren) „Jareth? Was war denn das eben?“ Marry war mir nachgekommen. Doch das war nicht anders zu erwarten gewesen. Sie war immerhin meine Freundin und so gehörte es sich nun mal. „Nichts. Es war nichts.“ „Dann ist aber jetzt noch was“, beharrte sie weiter und setzte sich neben mich auf's Bett. „Nein. Es ist wirklich nichts.“ Ich lächelte ihr zu und tätschelte ihr Haar. Sie lächelte zurück und setzte sich elegant auf meinen Schoß. Verführerisch lächelte sie mich an, legte ihre Haare über eine Schulter und den Kopf etwas schief. Ihre Arme legten sich um meinen Hals und ihre Finger kraulten mich sanft im Nacken. „Na dann. Können wir dann weiter machen, wo wir eben aufgehört haben?“ Ihr Blick war eindeutig und ich ließ mich küssen. Sie küsste gut. Sachte, gemächlich und ohne viel Speichel. Sie war keine dieser sabbernden Weiber, die sich nicht gedulden konnten und oben wie unten gleich feucht wurden. Als sie mich gefragt hatte, ob ich mit ihr gehen würde, war ich erst ziemlich perplex. Aber dann fragte ich mich, warum eigentlich nicht? Schließlich musste ich in mein normales Leben zurück finden. Dass dank René ja vollkommen auf dem Kopf stand. Zumindest für mich. Marry drückte mich weiter auf das Bett. Ich legte mich hin und strich mit meinen Händen über ihre Oberschenkel. Ich wollte endlich wieder Sex haben. Ja wirklich! Doch auch dieses Mal ging es nicht. Je näher sie mir kam, desto klarer wurden die Bilder dieses einen Abends. Es war zum Haare raufen! Wieder, wie schon in den vergangenen Tagen, schob ich sie von mir. „Tut mir leid. Ich kann gerade nicht.“ „Bist du wieder nicht in der Stimmung?“, fragte sie nach und küsste meinen Hals. Ich schloss die Augen und versuchte es zu genießen. Doch das was ich mir ersehnte, stellte sich nicht ein. Kein Herzrasen, kein kribbelndes Gefühl im Bauch oder sonst noch was. Ich seufzte und setzte mich auf. Warum verglich ich nur alles so sehr? Man konnte Frauen und Männer doch nicht miteinander vergleichen! Genauso wenig konnte ich Marry und... und René vergleichen. Ich erlaubte es mir, nur in meinen Gedanken diesen Namen zu nennen. Mehr wollte ich nicht von ihm wissen. „Okay... weißt du was. Ich warte bis es dunkel ist und dann gehörst du mir“, flüsterte sie mir gegen die Lippen. „Okay“, grinste ich. Doch auch nach einigen Stunden, vor allem als ich wusste, René war nicht mehr im Haus, fand ich nicht zu meinem ursprünglichen Selbst zurück. Marry schien langsam angenervt zu sein. Das völlig zu Recht. „Weißt du was. Ich glaube, ich sollte jetzt gehen.“ „Sehen wir uns morgen?“ „Ich denke doch.“ Sie küsste mich flüchtig auf die Wange und ging dann. Vom Fenster aus sah ich ihr nach. Doch eigentlich war es mir egal. Das eben hatte sich weniger gut angehört. Eigentlich hatte es mich an mich selbst erinnert. Ich sagte ähnliches, wenn ich eine Frau verließ. Es klang positiv, war aber keine direkte Antwort auf ihre Frage gewesen. Nun, entweder war sie wirklich sauer auf mich oder sie würde mit mir Schluss machen. Bei Frauen wusste man da nie so recht Bescheid. Die Nacht schlief ich dafür kaum. Ich drehte mich dauernd von einer Seite auf die andere und fand doch nicht die erlösende Ruhe. Gegen 7 schlief ich endlich ein. Gegen 13 Uhr wachte ich auf und hatte 10 verpasste Anrufe von Marry. Dazu einige SMS's. Sie hörten sich erst gut an, doch je mehr ich las, desto böser klangen sie. Ich ließ mein Handy auf mein Bett fallen und nahm mir ein Bier, welches ich in meinem kleinem Zimmerkühlschrank bunkerte, und trank es aus. Bis zum Abend hatte ich gerade mal eine Schüssel Cornflakes und eine Banane gegessen. Dazu dann noch 4 Bier. Ich wollte noch die Fünfte anfangen, doch hob ich mir die noch auf. Da es mittlerweile schon spät geworden war und Josi, der ich den Tag über aus dem Weg gegangen war, schon mit René, der sie abgeholt hatte, los zur Uni gegangen war. Sie hatte sich als eine Art Nymphe verkleidet. Sehr elegant, sehr aufreizend. Zum Glück war René bei ihr. Dieser hatte sich in ein ähnliches Gewand gehüllt, eine Tunika, wenn ich mich recht entsinne. Er sah... gut aus. Aber davon mal ab, ich sah besser aus. Sofern ich das mit meinem verschleierten Blick noch sagen konnte. Ich ging als Cowboy. Nicht wirklich originell, aber zum aufreißen von heißen Mädchen immer gut im Rennen. Ich hatte sogar meinen Hut auf. Wo der dann im Laufe des Abends geblieben war, wusste ich später nicht mehr. Wie gesagt, ging ich schon gut angetrunken zum Karneval. Dort angekommen dauerte es nicht lange und Marry fand mich. „Da bist du ja endlich! Kannst du denn nicht an dein Handy gehen?“, fauchte sie leise, eh sie mit der Hand vor ihrer Nase wedelte. Anscheinend hatte ich schon eine leichte Fahne. Hehe. Und mein Handy... ähm... das hatte ich nicht bei mir. „Hast du schon vorgesoffen?“ „Und wenn es so wäre?“ „Weiß du, was ich nicht verstehe? Du hast eine echt heiße Braut als deine Freundin, aber du schläfst nicht mit ihr. Warum wohl?“ „Vielleicht is' sie weniger heiß, als sie denkt?“ Ich wusste, dass das die falsche Antwort war, doch ich konnte nicht anders. Eigentlich empfand ich nichts für Marry. „Heißt das, dass du auf Sex mit mir verzichtest?“ Sie war mir näher gekommen und sah mir direkt in die Augen. Ihre Stimme überschlug sich etwas in meinen Ohren. „Joar“, zuckte ich nur mit der Schulter. „Dann gehst du also lieber den Schwanz von den Kumpel deiner Schwester lutschen?“ „Was- Was soll das heißen?“, fragte ich entrüstet und überrumpelt und fühlte mich nüchtern, auch wenn ich noch torkelte. „Das heißt, Jareth, dass du im Schlaf redest und das ziemlich ausführlich. Was meinst, du wie dumm ich mich fühle, wegen einer Schwuchtel so sitzen gelassen zu werden!“, fauchte sie noch beherrscht, aber schrill. Viel Aufmerksamkeit von den Umstehenden bekamen wir nicht, aber es wäre mir in meiner schockartigen Geistesabwesenheit, nicht mal wirklich aufgefallen. „Was... Aber... Das hab ich nich'!“, versuchte ich mich zu retten, doch fing mir damit nur eine saftige Ohrfeige ein. „Wir sind fertig miteinander!“ Damit ging sie und ließ mich in den Massen vor den Zelt, in dem sich laute Technomusik ihren Weg nach draußen bahnte, einfach stehen. Für einige Momente war mein Hirn wie leergefegt. Erst als mich jemand angerempelt hatte, wurde ich wieder wach und torkelte leicht benommen vom Alkohol, leicht benommen von der Abfuhr in das Zelt und bestellte mir dort gleich eine Wodka-Cola. Mir war auch der Preis egal, denn nach zwei Gläsern, war mir alles egal. Ich hatte Mut gefasst, wie das mit Besoffenen nun mal war. Sprechen konnte ich zwar weniger gut, doch das war egal. Nun suchte ich in der Menge aus bunten Kostümen eine bräunliche Tunika. Ich ging etwas umher – torkelte wohl eher – eh ich etwas Braunes fand. Es war genau der selbe Farbton. Dachte ich zumindest. Ich riss den Typen rum und schlug ihn ohne abzuwarten ins Gesicht. „Wat soll'n der Scheiß ei'n'lich?“ Der Typ, René, taumelte und beschwerte sich. Aber mir waren seine Worte sowas von egal. Ich stürzte mich auf ihn und rang mit ihm am Boden. „Asslochhh! Du bist'n Arssssloch, du verdammder Bastard! Dengst wohl du gannst jed'n vögln den de willst?! Aba nich' mit miiir, kapisché?!!!“ Ich gebe zu, ich hatte ruhmreichere Tage gesehen. René keifte nur mit einer unnatürlich hohen Stimme zurück und doch wollte ich nicht von ihm lassen. Was fiel diesem Arsch auch ein mich so zu verwirren! Er hat das von langer Hand geplant. Seit wir uns bei der Disco getroffen hatten, in der ich Rio verkuppelt hatte. Er hat alles geplant, wollte mich nur verwirren und er ist verdammt noch mal erfolgreich damit gewesen! Als ich gerade erneut zuschlagen wollte, fasste mich einen Hand von hinten am Kragen und ich versuchte mich blindlings loszureißen. Ich wehrte mich gegen die neue Kraft, die viel stärker war als ich und seltsamerweise 'auch' etwas Braunes trug. Das letzte was ich spürte, woran ich mich nun aber auch nicht mehr erinnern konnte, war ein schmerzhafter Schlag in meinen Magen. Ich erbrach mich etwas und die Leute huschten auseinander. Doch dann wurde alles irgendwie schwarz. Ich spürte zwar, dass ich getragen wurde, dass mein Kopf und meine Glieder dumm hin und her schaukelten, doch machen konnte ich nichts. Ich war k.o. – geistig, seelisch und körperlich. Dabei wäre alles so einfach gewesen. Hätte ich ihn nicht gehen lassen, wäre ich jetzt wohl glücklich. Ich hätte mich nur auf ihn einlassen müssen und alles wäre gut gewesen. Selbst diese kleine Erinnerung, deren Bedeutung mir endlich bewusst wurde, wäre nicht nur so ein zartes Pflänzchen geblieben. Es hätte neue gegeben und viel schönere. Wenn ich nur nicht so feige gewesen wäre! Ich merkte in meinem Dämmerzustand noch, wie ich weinte. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, tat mir alles weh. Zu erst einmal mein Kopf. Ich hatte mich ja zu saufen müssen. Dann mein Kreuz und meine Hände, die, warum auch immer, rot angeschwollen waren. Hatte ich mich geprügelt? Aber wann und warum? Scheiße, ich hatte einen totalen Blackout. Das letzte woran ich mich erinnere war... Ich stand auf, hatte mein Handy betrachtet und die Nachrichten gelesen, dann ein Bier getrunken und war irgendwann als Cowboy zur Uni gegangen. Wovon ich aber nur noch die braune Hose mit den Franseln an der Seite und ein weißes Leinenhemd trug. Und danach? War ich denn dort angekommen? Ein einzelnes Bild von Marry schoss mir in den Kopf. Doch ich war dort gewesen und sie hatte Schluss gemacht... War das richtig so? Ja? Scheiß, verdammt, wie war das nochmal?! Noch etwas blind auf den Augen sah ich mich um. Wo bin ich hier eigentlich, fragte ich mich. Dieser Raum war urst sauber und aufgeräumt. Die Vorhänge waren zugezogen und ich lag auf einem Bett. Die Bettwäsche war mir unbekannt, doch wenn es andere, braunere wäre, dann... Leise stand ich auf, unterdrückte ein Keuchen, da mir der Schädel gleich ein Loch in meine Schläfen bohrte. Ich kniff die Augen zusammen und ging zur Tür. Leise öffnete ich sie und spähte hinaus, doch es war niemand da. Ich ging in die Küche. Bisher war ich nur zweimal hier gewesen, dennoch war mir vieles so vertraut... Renés Wohnung. Sie war sauber. Noch sauberer als bei meinem ersten Besuch. Ob er wohl doch eine Freundin gefunden hatte? Aber was tat ich dann hier?! „Wie ich sehe bist du wach, Darling.“ René erhob sich vom Sofa. Ich hatte ihn nicht bemerkt. Nun stand ich stocksteif im Türrahmen und konnte nicht mal zu ihm aufsehen. „Was mache ich hier?“ „Willst du ein Aspirin? Du hast sicherlich Kopfschmerzen.“ Er klang lieb und gut gelaunt, wodurch ich mich noch schlechter fühlte. Ich nickte, doch hätte ich nicht mal das machen brauchen, da René mir schon ein Glas Wasser mit einer Brausetablette vor die Nase stellte. „Danke. Was... mache ich hier?“, versuchte ich mich erneut. „Warum fragst du das dauernd?“ „Weil ich mir nicht erklären kann, warum 'ich' noch 'hier' bin...“ Verdammt um altkluge Sprüche zu lassen, tat mein Kopf noch zu weh. „Meinst du nicht eher, weil du einen Filmriss hast?“ Warum war der Arsch so gut gelaunt?! Könnte mir das mal wer verraten? „Und woher weißt 'du' das?“ „Weil 'ich' derjenige war, der 'dich' hierher gebracht hat.“ Ach nee! „Betrunken.“ War klar. „Nach einer Schlägerei.“ Das war mir auch schon klar gewesen... irgendwie... „Und weil du es wolltest.“ Ich wollte gerade einen Schluck Wasser nehmen, da hielt ich inne und stellte das Glas sicherheitshalber wieder ab. Bitte was?! Nie und nimmer! „Ganz sicher nicht.“ „Oh doch. Und da ich gnädig bin, erzähle ich dir, was du gestern verbockt hast.“ Ich schluckte. Dummerweise hatte ich aufgesehen und sah nun in sein schönes Grau. Ahh, nein, nicht schön, nicht schön! Trotzdem konnte ich nicht wegsehen und kam mir 'noch' dümmer vor, als René mir aus der Küche auch noch näher kam. „Du kamst viel später als erwartet zum Karneval. Marry war schon richtig sauer auf dich und hat in einer glorreichen Szene mit dir Schluss gemacht.“ So glorreich war das nun auch wieder nicht, protestierte ich innerlich. „Nachdem sie dich stehen lassen hat, bist du ins Musikzelt gegangen und hast dich volllaufen lassen. Josi hatte schon ein ungutes Gefühl, also haben wir dich im Auge behalten. Warum auch immer bist du dann auf einen Typen in einem Little-John-Kostüm losgegangen und hast ihn vermöbelt.“ Shit. Und ich dachte es wäre René gewesen. Zwar erinnerte ich mich daran nicht mehr so gut, doch dessen war ich mir sicher. Ich wollte ihn verdreschen. Verdammt noch mal! Es hatte wirklich nichts geklappt an dem Tag! „Deswegen musst du mich nicht gleich mit nach Hause nehmen...“, René hob mein Kinn an und sah mir direkt in die Augen. Warum war er mir so nahe?! „Aber das wolltest du doch. Josi bat mich dazwischen zu gehen und als ich dich dann einigermaßen beruhigt hatte, wenn auch nicht gerade besonders zärtlich...“ Was sollte das denn jetzt heißen?! Mit leicht bösen Blick sah ich ihn an, doch er lächelte nur charmant. „Trug ich dich über meine Schulter geworfen nach hause. Erst wollte ich zu dir, doch dann hast du angefangen zu weinen und hast dich entschuldigt. Du hast meinen Namen gesagt.“ Nein, nein, nein, nicht näher, nicht näher! „Du sagtest irgendwas von wegen, es wäre einfacher, du bist ein Idiot und dass es damals nicht so gemeint gewesen war.“ „Ich hab alles so gemeint, wie ich es gesagt habe“, sagte ich und versuchte standhaft zu bleiben. „Dann liebst du mich also nicht?“ Sanft strich seine Hand über meine Wange und sein Blick war so weich und doch irgendwo verletzlich... Ich schluckte nur schwer. „Wi-i-i-ie kommst du darauf?“ Meine Stimme zitterte und ich drückte mich näher an den Rahmen der Tür und hielt mich an diesen krampfhaft fest, dass meine geschwollenen Hände mehr wehtaten als mein Kopf. „Man sieht es dir einfach an“, säuselte René leise und kam meinen Lippen viel zu nahe. „Widersteh' mir, dann lass ich dich in Ruhe.“ Ein leichtes, dachte ich mir, doch war es auch so einfach durchzuführen? René drängte sich an mich. Oberkörper an Oberkörper umrahmte seine Hand mein Gesicht und ich spüre seine Lippen auf meinen. Sein Kuss war sanft und überzog meinen Rücken mit einer Gänsehaut. Ich musste ihm nur widerstehen. Der Teufel wusste, dass es mir unmöglich sein würde! Als sich seine Lippen bewegten, wurden meine Knie weicher und ich sackte ein Stück ab, doch noch hielt ich stand. René legte seinen Arm um mich und zog mich wieder zu sich hoch. Nun war ich ihm noch viel näher und konnte noch schlechter fliehen. Er küsste meine Lippen, knabberte an meiner Unterlippe und mir wurde das Herz schwer. Meine Hände legten sich auf seine Unterarme und strichen sanft darüber. Seine Haare kitzelten und eh ich es mich versah, erwiderte ich seinen Kuss. Es dauerte nicht lange bis Renés Zunge seinen Einlass forderte und ich ließ ihn gewähren. Es war dumm sich jetzt noch zu wehren. Was soll ich ihn nicht küssen? Ihn nicht begehren? Ich liebte ihn vielleicht nicht – etwas, dass ich mir noch geraume Zeit einredete – aber er war mir wichtiger als alles andere auf der Welt. Wie in dieser einen Erinnerung, als wir zusammen verstecken spielten. C.G. suchte und fand als erstes Josi. René und ich hatten uns beide im selben Versteck versteckt. Die kleine Nische unter der Treppe mochte nicht jeder. Spinnen webten ihre Netze und manchmal schlich auch einen Ratte durch. Doch wir beide hatten genug Platz. „Setz dich auf meinen Schoß, dann wird deine Hose nicht dreckig.“ „Aber dann wird deine Hose dreckig!“, flüsterten wir beide leise. „Das ist schon ok. Komm her.“ Und ich setzte mich auf seinen Schoß. „Duhu, René?“ „Ja, was?“ „Danke schön.“ Ich küsste meinen Kumpel die Wange und dieser lächelte. „Du musst aber nicht rot werden.“ „'Schuldige...“ „Nein, nein, es ist süß.“ Lieb streichelte er meine Wange und ich lächelte. „Aber für ein richtiges Danke war das falsch.“ Schockiert sah ich ihn an. „Du musst das hier rauf machen“, sagte er und zeigte mit dem Zeigefinger auf seine Lippen. Ich zögerte, doch lehnte mich zu ihm vor. „Danke“, wiederhole ich leise und verschenkte so meinen ersten Kuss an ihn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)