Jareth und René von mikifou (Los Angelos Summerdrive) ================================================================================ Kapitel 6: Noch eine Bar ------------------------ Ich weiß etwas, dass du nicht weißt. Ich weiß etwas, dass ich vorher noch nicht wusste. Ich weiß etwas, dass ich mal wusste und wieder vergessen hatte. 'Nun weißt du wenigstens, was du noch nicht wusstest.' Egal in welcher Betonung oder Wortzusammenstellung ich es mir durch den Kopf gehen ließ, es klang alles nicht so wie es sein sollte. Glaubte ich. Aber was konnte ich überhaupt noch glauben? Es hatte mich ja schon immer gewundert, dass ich mich nicht allzu genau an meine Kindheit erinnern konnte, aber nach dieser Offenbarung mit meinem Unfall und allem... Ich wollte wissen was damals passiert war! Ich hatte es mittlerweile so oft überdacht, dass ich endlich diesen letzten weißen Fleck füllen wollte. Was war passiert als René und ich auf dem Baum waren und warum bin ich runtergefallen? Informationsdurst half mir gerade nicht weiter. Ich brauchte einen Schlachtplan! Immerhin musste ich jetzt Altes und Neues verbinden. Josi hatte ihre Freundinnen angerufen und gefragt, wer alles mit uns einen Trinken gehen möchte. C.G. fragte René. Josi freute sich sichtlich als dieser zusagte. Wir trafen uns allesamt vor der Bar, welche wir für heute auserkoren hatten und setzten uns zu siebend an einen Tisch. Madeline, Larissa und Lina hießen unsere hübschen Begleitungen alias Josis Freundinnen. Ich saß neben Lina und C.G. Dann kam Josi und René und die anderen beiden. Wir starteten die Runde mit einem Tequila in Gold und in Silber. Das haute gut rein und lockerte nach kurzer Zeit schon die Stimmung. Um nicht all zu schnell hinüber zu sein, bestellten wir uns Brot und Chips dazu. Es war richtig lustig. Die Mädels hatten klasse Geschichten zu erzählen und verbildlichten diese auch mit zunehmenden Alkoholspiegel. Ich lachte so sehr, dass mir mein Bauch weh tat. Nach zwei Stunden suchte ich das erste mal die Toilette auf. Nicht um zu kotzen, wohlgemerkt. Anschließend ging ich noch etwas Luft schnappen, um klarere Gedanken zu bekommen. Zum Rumblödeln reichte das alle mal, aber nicht, wenn ich heute noch ernsthaft reden wollte. Zugegeben, seit heute Nachmittag hatte ich nur noch René in meinem Kopf herumgeisterten. Dieser blöde Fatzke! Wenn wir früher mal Freunde waren, musste er es doch zumindest noch wissen. Warum machte er sich dann an mich ran? Anders als so, würde ich es schon gar nicht mehr bezeichnen wollen. Ich kannte selbst Hunderte von Anmach-Strategien. Was versprach der Typ sich davon? Wollte er mich nur bloßstellen? Mir eine reinwürgen? Mich testen, ob ich ihn wirklich vergessen oder ob sich gar jemand die Mühe gemacht hatte, dass ich mich auch an ihn erinnerte? Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Alles Humbuk. Vielleicht war es auch einfach so, dass René mich vergessen hatte? Aber nein, das konnte nicht stimmen, denn C.G. redete ja über mich und so wie Josi und C.G. geklungen haben, musste René sich erinnern. Nur ich war der Doofe. Der, der sich nicht erinnerte oder besser: Nicht erinnern konnte. Ich seufzte. „Ich weiß was, dass du nicht weißt...“, sprach ich leise für mich. Ich hatte keinen Ahnung wie ich René befragen sollte. „Heißt das nicht eigentlich: Ich sehe was, dass du nicht siehst?“ Etwas erschrocken und verwundert, wer mir bitte zugehört hatte, wandte ich mich der Stimme zu und ließ gleich meine Schultern wieder hängen. René... wenn man vom Teufel spricht. „Stimmt schon, aber das war Absicht.“ „Achso. Na dann...“ René kam die Treppe herunter, ging um das Geländer herum und blieb vor mir stehen. Alles, ich sah alles und beobachtete jede seiner Bewegungen in der Hoffnung einen Hinweis auf seine Gedanken zu bekommen. Aber nichts. Und so stand er vor mir, der ich mich an die kühle Hauswand lehnte. Die Lichter der Stadt gingen nach und nach an, da die Sonne schon am niedrigsten Punkt angekommen war und nur noch schwummriges Licht spendete. „Deine Schwester wollte, dass ich mal nach dir sehe. Nicht dass du dich 'schon betrunken hättest'“, zitierte er Josi, seine Hände in den Hosentaschen. „Nein, ich brauchte nur frische Luft. Wollte etwas nachdenken.“ „Was ist denn so wichtig, dass du heute Abend darüber nachdenken musst? Komm lieber wieder rein, da drinnen ist es gerade voll Lustig“, versuchte René mich reinzulotsen. „Hmm? Was machen sie denn?“ „Larissa und Madeline geben gerade wieder einige Geschichten zum Besten. Josi mischt mit. Mit einigen Anekdoten aus eurer Kindheit. Über dich wurde schon viel gelacht.“ Ich sah ihn immer noch an. Das Grau in den Augen schien durch die Laterne wärmer also sonst oder bildete ich mir nur wieder etwas ein? „Achso? Das ist ja dann schon das zweite mal heute, dass ich was erfahre“, meinte ich ruhig und mit einem Pokerface. Ich war ja gespannt, ob René anbiss. „Klingt nicht begeistert? Was haste denn schon erfahren dürfen?“ Er biss nicht an, aber zog an der Leine. Scheinbar waren wir beide vorsichtig und wollten mit nicht zu viel rausplatzen. Ich fand es verständlich, da ich ihn heute mit weniger Argwohn begegnete als zuvor. Das machte doch irgendwo stutzig, oder? Mich zumindest. „Ach nichts besonderes. C.G. und mir war so langweilig und zu zweit trinken gehen, macht keinen Spaß. Darum haben wir Josi gefragt und sie hat dann noch ein paar mehr Leute gefragt. Sie bestand auch darauf, dass du mit kommst“, sagte ich etwas straffer und blickte abschätziger in das Grau. „Ich war dagegen.“ „Oh... nun ja, sie hat mir auch ein Loch in den Bauch gefragt. Dass du dagegen bist, war zu erwarten und trotzdem bist du heute nicht so bissig wie sonst. Wie kommt's?“ Mir entfloh ein Lächeln, fand ich dieses Spiel doch zu amüsant. Es kam mir vor als würde sich zwei Löwen umrunden und warten, bis der andere sich als erster die Blöße gab. „Vielleicht, weil ich auch mal nett sein kann?“, sagte ich und grinste ihn an, die Arme immer noch verschränkt und eigentlich eher eine abwehrende Haltung einnehmend. „Das habe ich nie bezweifelt. Immerhin ist 'nett' der kleine Bruder von 'scheiße'. Womit wir wieder beim Anfang wären: Wie kommt's, dass du nicht so bissig bist, wie hmm letztens im Café?“ Er war ein Arsch, schoss es mir ein. Wie konnte man nur so sehr von sich selbst überzeugt sein? „Es ist interessant wie du mich siehst. Wo wir uns erst so 'kurz' kennen – und du hast gleich meine Schokoladenseite gefunden. Wie überaus schmeichelnd. Könntest du dir dennoch vorstellen, dass ich einfach mal freundlich sein wollte?“ Mir riss gleich der Faden. Es sollte mein Spiel sein und er dreht es einfach um?! Blöder Hammel! „Aber wenn du magst, bin ich suuuper gerne wieder so bissig, wie 'du' es gerne hast“, endete ich und funkelte ihn böse an. Ich stieß mich von der Wand ab und ging ohne René weiter zu beachten, an ihm vorbei. Hatte ich zumindest vor... „Jay, jetzt warte doch mal“, begann er und hielt mich bestimmt am Arm fest. Warum musste er nur so viel Kraft haben? „So war das nicht gemeint. Ich find's nett, dass du nicht so bissig bist. Es war nun ungewohnt für mich.“ „Nett also? Sprich scheiße, was heißt, du bevorzugst es doch bissig“, giftete ich weiter. So leicht wollte ich es ihm wirklich nicht machen. Doch er seufzte nur, während ich einen Versuch startete, um mich von ihm los zu machen. „Du liebst es immer noch mit Wörtern zu spielen und sie dir so hin zu drehen wie es dir gerade am besten passt“, seufzte er und pinnte mich ohne große Mühe seinerseits an die kühle Wand, von der ich mich gerade noch losgeeist hatte. Natürlich wollte ich es ihm nicht zu leicht machen, doch was er da gesagt hatte, ließ mich meine Vorsicht kurz verlieren. 'Immer noch'? Was meinte er damit genau? Außerdem hatte er doch angefangen! „Was mein-“ „Du bist immer noch der gleiche Holzkopf. Das freut mich. Aber denk nicht, dass ich groß mit mir spielen lasse.“ Was war denn nun? Seine Augen sahen viel härter aus und doch lag in seiner Stimme etwas weiches. Dazu hatte sich mein Kopf gerade ausgeschaltet, was echt hinderlich war, um diese Szene zu analysieren. Wenn möglich, stand ich gerade so da, wie ein Fisch vor der Häutung. Mein Mund war noch offen von dem abgebrochenen Satz und meine Augen sahen in seine. Ohh Shit, Jay! Denk was, tu was, mach was! Der denkt sonst noch, wer weiß was von dir! „Jareth, ich... ich weiß nicht wie viel... oder ob dir überhaupt... es ist...kompliziert...“ Wortfetzen. Zusammenhangslos, jedenfalls für mich. Bitte noch mal auf deutsch? Und was dachte ich gerade noch? Warum sah er mich so an, als ob ich gerade von einem Taxi überfahren worden war? Seine Hand streichelte sanft meine Wange. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er mich losgelassen hatte und sich nun mit den Armen an der Wand abstützte. Ich stand sicher da wie doof. Ob er mich wieder küsste, schoss es mir durch den Kopf. Immerhin war er mir so nah und sah mich so komisch an. Wenn ich ein Mädel klar machen wollte, wäre jetzt der passende Zeitpunkt um sie, sprich mich, zu küssen. Doch es passierte nichts. Schon etwas enttäuschend. René seufzte tief und ließ mich frei. „Freunde?“, fragte er und bot mir seine Hand an. Was sollte das denn jetzt? „Hä?“, kam es unelegant von mir und endlich, mein Gehirn war wieder online. „Freunde? Wir? Wie kommst du denn jetzt auf die Idee?“ Oh ja, ich war wieder da und meine eben noch verebbte Bissigkeit ebenso. „Wir werden ganz bestimmt keine Freunde werden. Hallo? Als erstes führst du dich auf wie ein Arsch, küsst mich, warum auch immer, und dann stammelst du irgendwelche Dinge vor dich hin, die kein normaler Mensch verstehen kann!“ Ich löste mich wieder von der Wand und ging diesmal in einem größerem Bogen um René herum. „Dazu kommt, dass du etwas weißt, du Arsch, und du behältst es fein für dich. War ja nicht anders zu erwarten. Verkauft mich nur alle für dumm und fertig ist“, keifte ich und marschierte die Treppe hinauf und saß wenig später wieder zwischen Lina und C.G. Das ich ungehalten war, konnte man gut sehen, doch ich spielte die Fragen einfach runter und befragt sie zu den Themen, die bereits gefallen waren; vor allem was Josi über mich erzählt hatte. Ich war noch zu nüchtern und gerade zu sauer, als dass ich mich weiterhin mit René beschäftigen wollte. Der sich übrigens gerade zu uns setzte und lächelte als sei nie etwas gewesen. Dazu tauschte er mit Josi wie mit C.G. vielsagende Blicke aus. Eine stumme Unterhaltung die in etwa so ging: 'Was hast du gemacht?', fragten Josi's große Augen. 'Nichts.' 'Was hast du nun schon wieder gemacht?', erkundigte sich C.G. 'Na, nichts.' Hmpf. Sollten sie René doch etwas malträtieren. Ich kümmerte mich lieber um die süße Lina neben mir, die mir vorhin schon aufgefallen war. Vielleicht hatte sie ja Lust, die Party später noch weiterzuführen. Irgendwo anders, natürlich. Und allein, nur zu Zweit. Es wäre mir auch fast geglückt, hätte Josi sich nicht dazwischen geworfen. Sie bestand darauf ihre Freundinnen nach hause zu bringen, während wir Jungs, speziell ich, doch Gentleman genug sein sollte, um C.G. und René nach Hause zu begleiten. Na aber natürlich machte ich das! Die Ironie dabei war unverkennbar. Aber was sollte ich sonst machen? Zumindest hatte ich Lina's Nummer noch bekommen. Damit ließ sich doch etwas anfangen, grinste ich in mich hinein. „Ich halt's nicht mehr aus! Jay was hat René vorhin zu dir gesagt?“, platzte es aus C.G. heraus. Wir waren noch ganze drei Blocks von deren Zuhause entfernt. Shit, das ist zu viel um mich rauszureden... „Hey, ich hab nichts gemacht“, wehrte sich René. „Stimmt, er hat nichts gemacht“, pflichtete ich ihm bei. „Ja, aber du warst den ganzen Tag nicht so bissig gewesen und kaum lässt man euch alleine, kommst du grantig wieder“, polterte C.G weiter. „Ja und? Warum sollte ich nicht grantig werden bei diesen vollpfostigen Idioten?“ „Hey, ich hab diesmal wirklich nichts gemacht!“, beschwerte sich René. „Sicher nicht? Du hast ihn nicht wieder irgendwie unsittlich berührt? Ich hab dir doch gesagt, dass er das nicht leiden kann.“ C.G. ging mittlerweile schon rückwärts, um uns beide besser im Blick zu behalten. Wobei er gerade eher René verwurstete. „Und ich habe nichts gemacht. Ehrlich nicht. Das einzige was ich gefragt habe, war ob wir Freunde sein wollen.“ „Sicher, mehr nicht?“, bohrte C.G. nach. „Eine Frage? Waren es nicht eher drei?“, erwiderte ich. „Und seit wann bist du so klein kariert?“, giftete nun René zurück. „Nun sind's vier.“ „Argh!“ Dass René gerade am verzweifeln war, freute mich irgendwie und das kleine gehässige Grinsen sahen sowohl C.G. wie auch René. Aber das war mir gerade herzlichst. „Und warum willst du nicht mit ihm befreundet sein?“, mischte sich C.G. wieder ein. Ich seufzte. „Warum sollte ich? Bisher hat er sich nur als reiner Arsch gezeigt. Warum sollte ich mich mit so jemanden anfreunden?“ Gut wir selbst waren innerhalb unserer Gang nicht gerade harmlos zueinander, aber jeden in meiner Crew konnte ich leiden und akzeptieren. René war weder noch. Hallo, der hatte mich geküsst! Und diese Schwelle hatte noch keiner aus meiner Crew übertreten! „Aber Jay... Josi und ich haben dir doch erzählt, was damals passiert ist. Du weißt, dass René nicht so ist. Außerdem ist das für mich kein Grund. Was spricht den dagegen, dass ihr euch wieder anfreundet?“ Ich schielte kurz zu René rüber. Ihm hatte ich von dem Gespräch noch nichts erzählt, sondern ihm vorhin nur etwas an den Kopf geworfen. Und eben das sah ich in seiner Mimik. Die Augen waren erstaunt geweitet. Dann fiel sein Blick auf mich. Kurz sah ich ihn an, dann schnell wieder weg. Mir war jetzt richtig unbehaglich zumute. Er wusste, dass ich wusste, dass ich etwas wieder wusste, was ich vergessen hatte. Gut, immer noch vergessen hatte, aber mit neuen Informationen gefüttert war. Dennoch war es dumm für jede weitere Strategie ihn auszuhorchen, dass er nun wusste, dass ich mehr wusste, als ich zugeben mochte und auch, dass ich – bei dem Wenigen, was ich wusste – so viel mitbekommen hatte, dass 'er' mehr wusste, als er mir zu glauben machen versuchte. Kommt da noch wer mit? „Aha“, kam es unbetont von ihm. Mir wurde noch mulmiger zumute und je länger ich schwieg, desto mehr schien die Anspannung auf meine Antwort zusteigen. Um cool zu klingen, hatte ich den Absprung verpasst. Um mich stammelnd irgendwie rauszureden ebenso. Was mir blieb war zu schweigen. Also schwieg ich. Ich hatte auch wirklich keine Antwort auf diese Frage. Ich traute mich auch nicht mehr, einen der beiden anzusehen. Oh man! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)