Jareth und René von mikifou (Los Angelos Summerdrive) ================================================================================ Kapitel 5: Tischgespräch ------------------------ Wenn man es mal nüchtern betrachtete, dann war das nicht Offensichtliche viel schlimmer. Eben weil man keine klare Ansage erhielt, grübelte man irgendwann doch nach. Spätestens wenn man an einem Spiegel vorbeiging oder achtlos die eigenen Lippen berührte, was nur unliebsame Erinnerungen präsent machte. Warum hatte René mich am Morgen nach der Party nicht geküsst? Er hätte es tun können. Es wäre leicht für ihn gewesen und einiges anderes auch noch, einfach weil er stärker war als ich. Warum küsste er mir nur die Stirn? Die Stirn! Das war eigentlich eine Stelle, an welcher Eltern ihren Kindern einen Gute-Nachtkuss gaben. Aber doch nicht so ein Fatzke bei mir! Das war eine Stelle, an der man sich als Kind hinfasste und die Liebe der Eltern mit einem fröhlichem Lächeln quittierte. Ich war aber schon groß. Ging fast auf eine Uni und doch stand ich erneut einige unnütze Minuten vor dem Badezimmerspiegel und betrachte meine Stirn. Man sah nichts, man fühlte nichts, egal wie oft ich drauffasste. Trotzdem kribbelte die Stelle, wenn ich daran dachte. Vehement schüttlte ich den Kopf. Nein, das war alles Blödsinn! Aber gut lassen wir das. Ich brauchte solche Kindeleien nicht. Und Berührungen konnte ich zur genüge haben, wenn ich wieder eine abschleppte. Dabei... war es schon eine Weile her, dass ich eine abgeschleppt hatte. Wie lange ungefähr? Grübelnd stand ich vor dem Spiegel und beschloss, die Sache wirklich auf sich beruhen zu lassen. Schließlich war der Winter eine zu lange Zeit, um nicht aktiv gewesen zu sein. Was hatte ich nur die Zeit über gemacht? Ah, ja genau, ich hatte gelernt und daher waren auch meine Partygänge weniger geworden. „Na dann... wird’s mal wieder Zeit tanzen zu gehen!“ „Aha, klar gerne, aber die Woche ist nichts Besonderes.“ „Scheint so... dann lass uns wenigstens einen trinken gehen. Noch ist es zu früh, dass ich das schöne wilde Leben aufgebe...“, stimmte ich zu und rutschte auf der Parkbank noch ein Stück weiter nach unten. Wie ein Sack, könnte man meinen, hing ich dort. Aber was soll's, wenn's bequem war. „Wer kommt denn alles mit?“, fragte C.G. „Na die Jungs. Bisher hab ich zwar nur dich gefragt, aber die werden schon mitkommen.“ „Na ich weiß nicht, einige können nicht...“, begann mein Kumpel und zählte nach und nach auf, wer nicht konnte und was der dann an Stelle dessen machte. Resignierend ließ ich meinen Kopf in den Nacken fallen. „Aber das sind doch alle! Verdammt. Das ist so langweilig. Haben die nichts besseres zu tun, als jetz' zu schufften, wo endlich Sommerferien sind? Gooooooooooooooooooott.“ „Na, die hatten sich eben davor'n blauen gemacht. Außerdem, kann nicht jeder so viel Geld haben wie du oder ich“, erinnerte mich C.G. „Stimmt schon. Ach man... das ist doch beschissen. Ah, ich weiß was!“ Prompt saß ich wieder gerade, ignorierte den Schwindel und grinste C.G. an. „Wir fragen Josi. Vielleicht bringt sie uns ein paar ihrer Freundinnen mit.“ Ich fand die Idee toll. Wir könnten reden, was trinken und die ein oder andere abschleppen. Josi sagte bestimmt ja. „Nein!“ „Was? Warum nicht?“, entsetzt und bestürzt sah ich meine Lieblingsschwester an - die mich wiederum, nur mit einem mahnenden Blick. „Weil du ein Casanova bist! Wenn ich dich einer meiner Freundinnen vorstellen würde, dann nur, um euch auf lange Zeit zu verkuppeln und nicht damit mein liebster Bruder ein paar Quickies schieben kann.“ „Casanova war ein sehr schlauer Mann des Rokkoko und ist der Inquisition mehrfach entkommen, außerdem... C.G. würde mit machen!“ „Das ist ja noch schlimmer! Frauen sind keine Bumsobjekte! Such dir endlich was festes. Und wie oft Casanova der Inquisition entkommen is', is' mir Pups! Sollte ich dich in die Finger kriegen, bist du dran. Herr Gott nochmal!“ „Kay, was ist los...warum bist du so zickig?“ „Ich bin nicht zickig!“, keifte sie und ihre Stimme schien sich zu überschlagen. Das Raubtier in den Augen behaltend, schoben C.G. und ich uns aus dem Zimmer. Es war besser wir ließen sie für den Moment allein. Sonst gäbe es noch Tote und ich wollte noch nicht sterben. Zumal sie es ja auch angedroht hatte. Wir verzogen uns für den Moment in die Küche und ich machte uns eine Cola mit Eis. Boar, das tat so gut, bei dieser Affenhitze. „Und nun?“, fragte C.G. „Kein Plan. Wenn wenigstens was ordentliches dieses Wochenende angesagt wäre, könnte wir ja noch zu zweit hingehen, aber zu zweit einen saufen... is' irgendwie öde...“ „Find ich auch...“ Schweigend saßen wir da. Von oben konnte man Gerumpel hören. Es hörte sich an, als ob ein Elefant gerade durch die obere Etage wüten würde. Den Kopf auf den Tisch gepackt, war mir urst langweilig. Dieser Tag war einfach nur zum gammeln da. Ich überlegte noch etwas hin und her, ob nicht vielleicht doch noch eine Möglichkeit bestand heute Abend etwas zu unternehmen, als gesittetere Schritte die Treppe hinunter kamen. Wenig später betrat Josi die Küche und setzte sich zu uns an den Tisch. „Sorry, wegen eben, aber ein Kumpel von mir geht mir so Hammer auf die Nerven. Da bin ich wohl heute etwas gereizt.“ „Willst drüber reden?“, fragte ich nach. „Später vielleicht...“ „Kay... willst ne Cola?“ Ich schaute meine Schwester von der Tischplatte her an und ein Grinsen führte zum anderem. „Klar, aber bleib ruhig liegen, ich mach das schon.“ Sie stand auf und füllte sich ein. „Sag mal, das mit dem Trinken... steht das noch?“ „Hmm? Nya, wenn wir noch ein paar Leute finden, die mitmachen, klar.“ „Kay. Dann mach ich mit.“ Sie setzte sich wieder zu uns an den Tisch und sah von einem zum anderem. „Und ich werd' mal ein paar meiner Freunde fragen. Vielleicht hat eine ja Lust, sich euch an zu tun“, sagte sie frechgrinsend. „Tss... so grausam sind wir auch nicht, wa C.G.?!“ „Eben. Wir sind ja keine Unmenschen. Wir nehmen nur, was bei 3 nicht auf den Bäumen ist“, pflichtet er mir bei. Wir lachten beide auf. Dann wand ich mich wieder meiner Schwester zu. „Das wäre voll cool, wenn da wer kommt.“ „Na klar. Ich hab ja auch nur coole Mädels. Ähm...sag mal C.G. könntest du nicht auch René fragen?“ Unbemerkt von den anderen Beiden verschluckte ich mich. Musste das wirklich sein? „Klar. Der kommt bestimmt gerne“, stimmte C.G. zu. „Willst du dich an ihn ran machen?“, warf ich ein, mit einem doch sehr skeptischen Blick. „Nein... Ich mag mal mit ihm reden. Letztens hatten wir nicht so viel Gelegenheit dazu, wegen deiner Party, aber ich würde schon gerne wissen, was er jetz' so macht, weißt?“ „Äh.. nee, weiß ich nicht. Ich weiß auch gar nicht, was ihr an dem Typen so toll findet“, rutschte es mir raus. „Er ist mein Cousin.“ „Er ist ein alter Freund.“ Kam es von beiden zeitgleich und ich verdrehte nur die Augen. „Jay, ich weiß gar nicht, warum du ihn nicht auch magst. Nur weil er dich als Püppchen bezeichnet hat? Ich hab dir doch erklärt, dass es nur eine Masche von ihm ist. Das macht er bei so ziemlich jedem“, sagte C.G. in einem neuem Versuch. „Klasse, ein bi'er Idiophat, der sich an alles ran macht.“ C.G seufzte. „Du Jay... wegen René... kannst du dich wirklich nicht mehr daran erinnern, wie wir als Kinder gespielt haben?“, fragte nun Josi. Ich fand, dass diese Frage ganz dünnes Eis war und die aufwallende Unruhe in meinem Magen, gab mir recht. „Ich habe den Typen noch nie vorher gesehen! Wie sollte ich?“, beharrte ich stoisch. Das ließ beide seufzen und Josi stand kurz auf, nur um mit einem Bilderrahmen in der Hand zurück zu kommen „Schau, das da ist er.“ Sie zeigte mit dem Finger auf das kleine Kind am Rande des Bildes. Es war das Cosplaybild aus unseren Kindertagen und das Mädchen, in welches ich mich rein von Bild her verliebt hatte, sollte ausgerechnet dieser Mistkerl sein? Ich starrte das Bild eine Weile an und musste zugeben, dass sie und er doch etwas Ähnlichkeit besaßen. „Kay, sie sind sich etwas ähnlich. Mehr aber auch nicht. Außerdem ist das da ein Mädchen, Josi.“ Just als ich das gesagt hatte, bekam ich einen leichten Schlag auf meinem Hinterkopf. „Sag mal, wie blöd bist du eigentlich?“, fragte Josi. Grimmig sah ich sie an. „Was sollte das? Du hast mir doch erzählt, dass wir - sie, ich, du und C.G - dort Cosplay gemacht haben.“ Was war sie denn jetzt so grantig? Wir hatten Jahrelang nicht darüber geredet und keiner hatte es für nötig gefunden, mich zu korrigieren. Aber jetzt auf einmal, soll ich alles, woran ich mich die letzten Jahre geklammert hatte, wegwerfen, nur um der Wahrheit zu folgen, an die ich mich kein Stück erinnerte?! Zuzugeben, dass mir dieses Eingeständnis Angst machte, machte selbst ein gedankliches Eingeständnis schwer. Es laut auszusprechen war unmöglich! „Gott, Jareth! Das hier ist doch kein Cosplay, sondern der Fasching im Kindergarten.“ Verwundert sah ich sie an. Dann sah ich zu meinem Kumpel, der sich auf den Stuhl zurückgelehnt hatte und sich köstlich zu amüsieren schien. „Fasching im Kindergarten?“ Eigentlich müsste man mich für mein Pokerface loben. Während ich so unwissend tat, ratterte mein Hirn auf Hochtouren. Aber egal, ob nun Fasching oder Cosplay, da war nichts. Das war schon immer so gewesen, wenn ich versuchte mich an meine Grundschulzeit oder alles vor meinem 8. Lebensjahr zu erinnern. Es kam nichts außer gähnende Leere und ein Gefühl der Beklemmung. „Ja, und nur mal so. Sollte das wirklich ein Cosplay sein, dann erklär mir mal bitte, warum sich alle als ihr Gegenteil verkleidet hatten, außer 'sie'.“ Dieses Wort betonte sie besonders doll. Wieder überlegte ich. Sicher wäre das Sinnlos, aber das änderte nichts daran, dass ich mich nicht erinnerte. „Ähm...Vielleicht hatten wir schon angefangen und als das Foto gemacht wurde, kam sie gerade dazu...?“ In der schwachen Hoffnung, es richtig erraten zu haben, sah ich zu ihr auf. Aber meine Schwester rieb sich ihre scheinbar schmerzenden Schläfen. C.G. lachte sich derweil halb tot und ich kam mir total bekloppt vor. Für Josi und C.G. mag das Thema ausgekaut und nervend sein, aber wie ich mich dabei fühlte, fragte keiner. „Gott, Jay... wie blöd stellst du dich eigentlich an? DAS hier ist René! Kapiert? Wir haben uns alle verkleidet. Du, er und der Lachaffe da, hatten Kleider von mir angezogen und ich hatte welche von dir an. Wir kamen auf die Idee, so als Gruppe zum Fasching zu gehen“, erklärte Josi erneut. Innerlich stöhnte ich. „Echt?“, ich sah beide nach einander an. Jeder nickte und der 'Lachaffe' beruhigte sich so langsam wieder. Der Sachverhalt war schlüssig und so ernst wie die beiden schauten, würden sie nicht lügen. Nur warum erinnere ich mich nicht?! Ich stützte meinen Kopf mit der Hand ab und sah ungläubig drein. „Ich weiß nichts davon. Echt nicht. Ich kann mich daran nicht erinnern...“ Josis Blick wurde milder und C.G.'s ernster. „Weißt du eigentlich noch, dass du mal von einem Baum gefallen bist?“, fragte C.G. Ich schüttelte meinen Kopf. „Um ehrlich zu sein nein. Ich sag zwar immer "klar doch, hab ja die Narbe am Hals daher", aber so wirklich mit Erinnerungen und Bildern ist da nichts.“ „Es war an dem Tag direkt. Als wir den Nachmittag nach hause gekommen waren, waren du und René noch spielen gegangen", begann C.G. Josi erzählte weiter: "C.G. hatte nach hause gemusst und ich hatte eine Freundin zu Besuch. Ihr wart in den Garten gerannt und seid auf Bäumen rum geturnt. Ich hatte euch noch gesagt, ihr sollt meine Kleider ja heile lassen und sie nicht dreckig machen, aber ihr wart Jungs und habt nicht gehört. Ich weiß noch, dass du nur geschrien hast, dass es sich in 'den Dinger super toben lässt'.“ Ein verträumtes lächeln umspielte ihre Lippen. Das soll ich gesagt haben? Nun gut, Kleider waren schon irgendwo cool, sonst würden Mädchen sie ja nicht tragen und Männer nicht darauf abfahren. Wir waren damals Kinder... warum also nicht? Auch wenn es sich für mich sehr albern anhörte. „Das Nächste was ich weiß ist, dass René nach einiger Zeit heulend ins Haus gerannt kam und nur schrie, dass du vom Baum gefallen bist und dich nicht mehr bewegen würdest. Wir sind alle hin gerannt, Mum und Dad waren panisch und Granny hat gleich den Krankenwagen gerufen. Es war so ein durcheinander. Die Notärzte meinten du lebst noch, aber es sei kritisch. Ich hatte nur geweint, weil da so viel Blut war. Du hattest Schürfwunden und dein Kopf hatte so sehr geblutet. Mum ist fast ohnmächtig geworden und Dad... der war so aufgelöst, dass er wirr rumgerannt ist. Als du dann weg warst, beruhigte sich alles etwas. Granny war mit Dad ins Krankenhaus gefahren und Mum, René und ich blieben heim. Wir machten uns große Sorgen und René weinte noch mehr als ich. Er sagt dauernd nur, dass es seine Schuld sein und so. Aber richtig erklären konnte er es uns nicht. Den nächsten Tag sind dann auch wir zu dir ins Krankenhaus gefahren, aber du hast noch geschlafen. Der Arzt meinte, es sei einem komatösen Zustand ähnlich und er hoffe, dass du bald wieder aufwachst. Dann nach drei Tagen warst du endlich wieder wach.“ Josi kamen die Tränen, C.G saß still da und ich war sprachlos, als ich meine Geschichte hörte. „Wir waren ja so froh! Mum umarmte dich gleich und bestürmte dich mit Fragen. Doch das erste was von dir kam war: „Wer seid ihr?“ Wir waren geschockt. Der Arzt erklärte uns dann, wo du dir den Kopf verletzt hattest und dass du dadurch eine Amnesie hättest. Mum weinte und wir Kinder fragten dich aus. Aber nichts. Du kanntest keinen von uns. Erst nach und nach hast du dich erinnert und es dauerte lange, bis du wieder so warst wie vor dem Unfall.“ Ich schluckte... Das erste Mal in all den Jahren traute sich Josi mir reinen Wein einzuschenken. Ich gebe zu, das war gerade verdammt viel Input. Vorrangig erfasste mich aber ein Gefühl der Klarheit. Im Sinne von: Dann war klar, dass ich mich nicht erinnern konnte! Mein trotziges Verhalten tat etwas leid, aber.. nein. Das war trotzdem kein Grund mir diese Details so lange zu verheimlichen. Ich dachte schließlich, ich wäre einfach so vom Baum gefallen, nicht, dass ich im Koma gelegen hatte! Auch René ... jemand Fremdes zu küssen oder besser jemanden, von dem man wusste, dass er einen nicht mehr erkannte. Aber warte mal... „Wie lange brauchte ich denn, um mich zu erinnern?“, fragte ich nach einer Weile. „Etwas mehr als ein Jahr.“ Schock. Bitte was?! „Und...wenn ich mich an euch alle erinnere, warum dann an René nicht?“, fragte ich vorsichtig weiter. „Weil er eine Woche nach dem Unfall weggezogen ist. Seine Eltern mussten aus beruflichen Gründen weg. Ich hatte ihn gefragt, ob es schwer für ihn wäre, weg zu gehen, weil du dich auch noch nicht an ihn erinnert hattest. Aber er meinte nur, dass es ok sei und wohl auch besser. Ich weiß nicht, was zwischen euch war, an dem Tag, und wir haben es auch nie zu erfahren bekommen. Du erinnerst dich nicht und René schweigt es tot.“ C.G grummelte. Und ich kam mir nun wirklich mehr als Schuldig vor. „Tut mir leid.“ „Ach was! Schwamm drüber!“, grinste mein bester Kumpel. „Genau. Du bist wieder da und der Rest ist ja egal. Nun weißt du wenigstens, was du noch nicht wusstest“, grinste auch meine Schwester. Mir wurde flau im Magen. Ich hatte viel zu überdenken und eigentlich wollten wir einen Trinken gehen. Um die Stimmung nicht komplett zu killen, bat ich Josi wie auch C.G. mir nie wieder solche wichtigen Details zu verheimlichen. Ich schaffte es nicht wirklich zu sagen, wie dumm ich mich gerade fühlte, aber ein bisschen konnte ich ihnen den Eindruck vermitteln, dass es hilfreich gewesen wäre, solch wichtige Informationen früher zu erfahren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)